Der König des Sturms: Die Chroniken von Lur - Band 2 - Karen Miller - E-Book
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Der König des Sturms: Die Chroniken von Lur - Band 2 E-Book

Karen Miller

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Beschreibung

Epische High-Fantasy mit eindrucksvollen Helden: »Der König des Sturms« von Karen Miller jetzt als eBook bei dotbooks. Das Königreich Lur steht am Abgrund: Ein finsterer Magier hat die Königsfamilie ausgelöscht und Prinz Gar, ihren letzten Überlebenden, unter seine Kontrolle gezwungen. Obwohl es nun niemanden mehr geben kann, der die schützenden Mauern von Lur mit Magie erfüllt, können die davor lauernden Dämonenhorden sie nicht niederreißen – aber kann es wirklich sein, dass es Gars bester Freund ist, ein einfacher Fischersohn , der das Königreich mit einer ungeahnten Kraft beschützt? Ein mörderischer Wettlauf mit der Zeit beginnt: Während Asher verzweifelt versucht, herauszufinden, ob er der Auserwählte einer uralten Prophezeiung ist, gerät er in Lebensgefahr … Jetzt als eBook kaufen und genießen: der High-Fantasy-Roman »Der König des Sturms« von Karen Miller, Teil 2 der packenden Saga »Die Chroniken von Lur«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag

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Seitenzahl: 1119

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Über dieses Buch:

Das Königreich Lur steht am Abgrund: Ein finsterer Magier hat die Königsfamilie ausgelöscht und Prinz Gar, ihren letzten Überlebenden, unter seine Kontrolle gezwungen. Obwohl es nun niemanden mehr geben kann, der die schützenden Mauern von Lur mit Magie erfüllt, können die davor lauernden Dämonenhorden sie nicht niederreißen – aber kann es wirklich sein, dass es Gars bester Freund ist, ein einfacher Fischersohn , der das Königreich mit einer ungeahnten Kraft beschützt? Ein mörderischer Wettlauf mit der Zeit beginnt: Während Asher verzweifelt versucht, herauszufinden, ob er der Auserwählte einer uralten Prophezeiung ist, gerät er in Lebensgefahr …

Über die Autorin:

Karen Miller wurde in Vancouver, Kanada geboren und lebt bereits seit ihrem zweiten Lebensjahr in Australien. Nachdem sie ihr Studium in Kommunikationswissenschaften abgeschlossen hatte, zog sie für drei Jahre nach England. Sie arbeitete in vielen verschiedenen Berufen, unter anderem als Pferdezüchterin. Inzwischen widmet sich Karen Miller in Sydney ganz dem Schreiben.

Karen Miller veröffentlichte bei dotbooks bereits die Godspeaker-Trilogie mit den Bänden »Die Herrscherin«, »Die Thronerbin« und »Die Tyrannin« und die Chroniken von Lur mit den Bänden »Der Erbe des Windes« und »Der König des Sturms«.

***

eBook-Neuausgabe November 2019

Dieses Buch erschien bereits 2008 unter dem Titel »Königsmörder« bei Penhaligon Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der englischen Originalausgabe 2006 by Karen Miller

Die englische Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Innocence Lost« bei Harper Collins, Australien.

First published by HarperCollins Publishers, Sydney, Australia in English in 2006. This German edition published by arrangement with HarperCollins Publishers Pty Ltd.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2008 by Penhaligon Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: © hildendesign, Veronika Wunderer

Map by Karen Miller and Darren Holt

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96148-700-4

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Karen Miller

Der König des Sturms

Roman

Aus dem Englischen von Michaela Link

dotbooks.

Für Mary, die Gar immer am liebsten mochte

ERSTER TEIL

Kapitel 1

Asher stand auf der Sandsteintreppe des Turms, schirmte mit einer Hand die Augen gegen die Sonne ab und beobachtete, wie die Reisekutsche mit ihrer königlichen Fracht und Meistermagier Durm die Einfahrt hinunterholperte, um die Kurve bog und dahinter verschwand. Dann stieß er einen gewaltigen Seufzer aus und marschierte zurück in den Turm. Darran und Willer, die nirgends zu sehen waren, hinterließ er eine Notiz, dass die königliche Familie zu einem Picknick gefahren sei.

. Mit einem Prinzen, so befand er, während er die Wendeltreppe hinauflief, hatte man das sehr ärgerliche Problem, dass sie zu Picknicks auf dem Land entschwinden konnten, wann immer ihnen der Sinn danach stand, ohne dass jemand sie hätte aufhalten können. Sie konnten sagen: »Oh, seht nur, die Sonne scheint, die Vögel singen, wer schert sich heute um Pflichten? Ich denke, ich werde für ein oder zwei Stündchen zwischen den Blauglöckchen umherspazieren, trallala, trallala.«

Und wenn man für einen Prinzen arbeitete, hatte man ebenfalls ein Problem, fügte er im Geiste hinzu, während er die Tür zu seinem Arbeitszimmer aufdrückte und mit einer Mischung aus Mutlosigkeit und Entsetzen den Stapel von Briefen, Memoranden und Terminplänen betrachtete, die in seiner Abwesenheit nicht auf magische Weise von seinem Schreibtisch verschwunden waren. Das Problem bestand darin, dass man selbst nie in den Genuss dieser Art von sorglosem Luxus kam. Irgendein armer Narr musste sich um die Pflichten kümmern, die die Königlichen Hoheiten so fröhlich im Stich gelassen hatten, und jetzt hieß dieser arme Narr eben Asher.

Mit einem weiteren Seufzer stieß er die Tür hinter sich zu, ließ sich widerstrebend auf den Stuhl sinken und machte sich wieder an die Arbeit.

Während er sich gewissenhaft durch Meister Glospottles pestilenzisches Pisseproblem quälte, bemerkte er nicht, dass das Licht des Tages langsam verdämmerte und die Zeit verging. Ihm war nicht einmal bewusst, dass er nicht länger allein in seiner Amtsstube war, bis ihm jemand eine Hand auf die Schulter legte und sagte: »Asher? Träumst du? Wie heißt sie?«

Erschrocken fuhr er auf dem Stuhl herum. »Matt! Du verrückter Hund! Willst du, dass mir das Herz stehen bleibt?«

»Nein, ich versuche, deine Aufmerksamkeit zu erringen«, sagte der Stallmeister. Sein Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Grinsen und Sorge. »Ich habe geklopft, bis meine Knöchel wund waren, und dann habe ich deinen Namen gerufen. Zweimal. Was ist so wichtig, dass du deswegen taub geworden bist?«

»Urin«, erwiderte er säuerlich. »Hast du welchen?«

Matt blinzelte. »Hm, nein, nicht dabei. Jedenfalls nicht als solchen.«

»Dann bist du verdammt nutzlos für mich. Du könntest dich genauso gut gleich wieder verziehen.«

Die wohltuende Aura von Unerschütterlichkeit war es, die er an dem Stallmeister am meisten schätzte. Mit welcher Merkwürdigkeit auch immer man ihm kommen mochte, Matt würde immer nur lächeln. So, wie er jetzt lächelte. »Und wenn ich frage, warum du so dringend Urin brauchst, wird es mir dann leidtun?«

Asher, der sich plötzlich der steifen Muskeln in seinem Nacken und drohender Kopfschmerzen bewusst wurde, schob seinen Stuhl zurück und stampfte durch seine Amtsstube. Hah! Seinen Käfig! »Wahrscheinlich. Mir tut es auf jeden Fall leid, mich damit befassen zu müssen. Urin gehört in den nächsten Nachttopf, er ist nicht dafür da, ihn zu horten wie ein Knauser sein Gold.«

Matt wirkte verwundert. »Seit wann verspürst du den Drang, Urin zu horten?«

»Den habe ich noch nie verspürt! Es ist der elende Indigo Glospottle, der den Drang verspürt, nicht ich.«

»Ich weiß, ich werde diese Frage bereuen, aber wie, in Barls Namen, könnte irgendjemand eine Knappheit an Urin zu beklagen haben?«

»Indem er klüger ist, als es ihm verdammt noch mal guttut!« Er lehnte sich an das Fenstersims, die Brauen finster zusammengezogen. »Indigo Glospottle sieht sich selbst gern als ›Künstler‹, musst du wissen. Das gute, altmodische Färben der Stoffe, wie sein Pa es getan hat und der Pa seines Pas vor ihm, das ist für Meister Indigo Glospottle einfach nicht gut genug. Nein. Meister Indigo Glospottle muss sich neue Methoden des Färbens von Tuch, Wolle und dergleichen ausdenken, nicht wahr?«

»Nun«, wandte Matt der Gerechtigkeit halber ein, »du kannst dem Mann keinen Vorwurf daraus machen, dass er versucht, sein Gewerbe zu vervollkommnen.«

»Doch, das kann ich!«, gab er zurück. »Wenn seine Ideen zur Vervollkommnung seines Gewerbes mich kostbaren Schlaf kosten! Wegen des Urins eines anderen Mannes! Da solltest du besser glauben, dass ich es kann!« Er verzog mit Macht das Gesicht, bis es Indigo Glospottles permanent säuerliche Miene annahm, dann äffte er dessen Stimme nach und flötete: »›Oh, Meister Asher! Die Blautöne sind so blau und die Rottöne so rot! Meine Kunden können gar nicht genug davon bekommen! Aber das macht allein der Pinkel, versteht Ihr!‹ Kannst du das fassen? Der verfluchte Mann kann sich nicht mal dazu überwinden, Pisse zu sagen! Er muss ›Pinkel‹ sagen. Als würde das bedeuten, dass das Zeug nicht genauso stänke. ›Ich brauche mehr Pinkel, Meister Asher! Sie müssen mehr Pinkel für mich auftreiben!‹ Denn die Sache ist die, seine kostbaren neuen Methoden verbrauchen zweimal so viel Pisse wie die alten. Und da er alle anderen Gildemitglieder mit seinem fantastischen, geheimen Färberezept furchtbar gegen sich aufgebracht hat, haben sie an den notwendigen Fäden gezogen, um sicherzustellen, dass er nicht so viel Urin bekommt, wie er braucht. Jetzt schätzt er, dass ihm nur eine Wahl bleibt, wenn er die Nachfrage befriedigen will; er muss von Tür zu Tür gehen, mit einem Eimer in einer Hand und einer Flasche in der anderen, und sagen: ›Entschuldigt, mein Herr und meine Dame, würdet Ihr so freundlich sein, eine Spende zu machen?‹ Und aus irgendeinem eigenartigen Grund ist er nicht allzu scharf auf diese Idee!«

Matt johlte vor Lachen. »Asher!«

Trotz seines Ärgers zuckten Ashers Lippen ebenfalls. »Ja, hm, ich würde wohl auch lachen, wenn der Narr es nicht geschafft hätte, sein Problem zu meinem Problem zu machen. Aber genau das hat er getan, daher bin ich im Moment nicht geneigt, die Geschichte komisch zu finden.«

Matt wurde wieder ernst. »Tut mir leid. Es klingt alles äußerst verdrießlich.«

»Es ist noch schlimmer«, sagte Asher schaudernd. »Wenn ich keine Einigung zwischen Glospottle und der Gilde erzielen kann, wird das ganze Durcheinander in der Halle der Gerechtigkeit enden. Und wenn das passiert, wird Gar mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen. Er ist so sehr mit seiner Magie beschäftigt, dass Probleme in der Halle der Gerechtigkeit das Letzte wären, was er will. Das Letzte, was ich will, sind Probleme in der Halle der Gerechtigkeit, denn bei der Stimmung, in der er in letzter Zeit war, wird er verflucht noch mal mir sagen, dass ich mich darum kümmern soll. Ich! Ich soll in diesem goldenen Sessel vor all diesen Leuten sitzen und Urteile sprechen, als wüsste ich, was ich tue! Ich habe mich nie bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen. Das ist Gars Sache. Und je eher er sich daran erinnert und diesen ganzen magischen Unsinn vergisst, umso glücklicher werde ich sein.«

Das Lächeln auf Matts Zügen verblasste. »Was, wenn er es nicht vergessen kann – oder nicht will? Er ist der erstgeborene Sohn des Königs, und er hat seine Magie gefunden, Asher. Alles ist jetzt anders. Das weißt du.«

Asher runzelte die Stirn. Ja, er wusste es. Aber das bedeutete nicht, dass es ihm gefallen musste. Oder dass er allzu viel darüber nachdenken musste. Verdammt, er sollte nicht einmal hier sein! Er sollte unten im Süden an der Küste sein und mit seinem Vater darüber streiten, welches Fischerboot sie am besten kaufen sollten, und Pläne schmieden, wie er es am besten anstellen konnte, dreimal so viel Fisch zu verkaufen wie seine elenden Brüder. Dorana hätte inzwischen eine Erinnerung sein sollen, die zunehmend verblasste.

Aber dieser Traum war tot, genau wie Pa, beide zerschmettert in einem Sturm des Unglücks. Und er saß hier fest. In der Stadt, im Turm. In seinem unerwünschten Leben als Asher, verfluchter Vizetribun für Olkische Angelegenheiten. Er saß hier fest mit dem verdammten Indigo Glospottle und seinen verfluchten stinkenden Pisseproblemen.

Er begegnete Matts besorgtem Blick mit aufsässigem Trotz. »Anders für ihn, aber nicht für mich. Er bezahlt mich, Matt. Ich gehöre ihm nicht.«

»Nein. Aber ehrlich, Asher, so wie die Dinge im Moment für dich stehen – wo könntest du sonst hingehen?«

Matts zaghafte Frage traf ihn wie ein Messerstich. »Überallhin, wo es mir gefällt! Ich gehöre meinen Brüdern genauso wenig, wie ich Gar gehöre! Ich bin für den Augenblick zurück, nicht für immer. Zeth hin, Zeth her, ich bin als Fischer geboren, und ich werde als Fischer sterben wie mein Pa vor mir.«

»Ich hoffe es für dich, Asher«, sagte Matt leise. »Ich denke, es gibt schlimmere Arten zu sterben.« Dann schüttelte er das Gefühl der Melancholie ab. »Also. Da wir gerade von Seiner Hoheit sprechen, weißt du, wo er ist? Wir wollten uns treffen, aber ich kann ihn nicht finden.«

»Hast du in seinem Arbeitsraum nachgesehen? In seiner Bibliothek?«

Matt schnaubte verärgert. »Ich habe überall nachgesehen.«

»Frag Darran. Wenn es um Gar geht, hat der alte Knacker Augen im Hinterkopf.«

»Darran ist nicht da. Aber Willer ist hier, das selbstgefällige kleine Wiesel, und er hat Seine Hoheit ebenfalls nicht gesehen. Er hat etwas von einem Picknick gesagt.«

Asher setzte sich auf den Fenstersims und blickte hinaus. Das Sonnenlicht des späten Nachmittags schimmerte auf den herbstgoldenen Blättern und den Dächern der Ställe. »Das ist jetzt Stunden her. Sie können nicht immer noch beim Horst sein. Sie hatten nicht viel zu essen dabei, und es dauert nur fünf Minuten, den Ausblick zu bewundern. Danach können sie nur herumgesessen und geredet haben und so tun, als würde Fane Gar nicht bis aufs Blut hassen, nicht wahr? Wahrscheinlich sind sie auf direktem Weg in den Palast zurückgekehrt, und er hat sich mit Durm in dem magischen Raum eingeschlossen und dich völlig vergessen.«

»Nein, ich fürchte, das hat er nicht getan.« Darran. Bleich und reserviert, stand er in der offenen Tür. Von seiner Miene war nichts abzulesen.

Asher spürte einen Nadelstich der Furcht zwischen den Rippen. Er tauschte einen Blick mit Matt und ließ sich von dem Fenstersims gleiten. »Was?«, fragte er rau. »Was faselt Ihr da?«

»Ich fasele nicht«, erwiderte Darran. »Ich hatte im Palast zu tun und bin gerade erst zurückgekommen. Die Königliche Familie und der Meistermagier sind nicht dort. Ihre Kutsche ist noch nicht zurückgekehrt.«

Wieder schaute Asher aus dem Fenster. »Seid Ihr Euch sicher?« Darrans Lippen wurden schmal. »Absolut.«

Ein weiterer Nadelstich, schärfer diesmal. »Also, was wollt Ihr sagen? Wollt Ihr sagen, sie seien irgendwo zwischen hier und Salberts Horst verloren?«

Darran hatte die Hände hinterm Rücken verschränkt. Etwas in der starren Haltung seiner Schultern ließ vermuten, dass er sie fest ineinandergekrampft hatte. »Ich sage gar nichts. Ich frage, ob Ihr Euch einen Grund vorstellen könnt, warum sich die Rückkehr der Kutsche so sehr verspätet hat. Seine Majestät wurde vor einer Stunde bei einer Versammlung erwartet, bei der über die Anlage eines öffentlichen Parks entschieden werden sollte. Seine Abwesenheit ist mit einer gewissen ... Überraschung ... aufgenommen worden.«

Asher unterdrückte einen Fluch. »Sagt mir nicht, dass Ihr umhergelaufen seid und über die Verspätung der Kutsche lamentiert habt! Ihr wisst doch, wie diese alten Klatschtanten sind, Darran, sie werden ...«

»Natürlich habe ich nichts dergleichen getan. Ich bin alt, aber noch nicht verwirrt«, entgegnete Darran. »Ich habe den Ausschuss darüber in Kenntnis gesetzt, dass Seine Majestät aufgehalten worden sei, weil er sich mit Prinz Gar und dem Meistermagier um eine Angelegenheit von magischer Natur habe kümmern müssen. Sie waren mit dieser Erklärung äußerst zufrieden, die Versammlung ist ohne weitere Störung fortgesetzt worden, und ich bin unverzüglich hierher zurückgekehrt.«

Asher nickte mit widerstrebender Anerkennung. »Gut.«

»Und ich werde Euch noch einmal fragen«, sagte Darran, den Ashers Anerkennung wenig beeindruckte, »könnt Ihr Euch irgendeinen Grund denken, warum die Kutsche noch nicht zurückgekehrt ist?«

Die Nadelstiche kamen jetzt immer schneller und heftiger, im gleichen Rhythmus wie das Hämmern seines Herzens. »Vielleicht hat der Wagen ein Rad verloren, und sie sind deshalb aufgehalten worden.«

Darran schnaubte. »Jeder von ihnen könnte so etwas mit einem Zauber binnen weniger Augenblicke in Ordnung bringen.«

»Er hat Recht«, sagte Matt.

»Dann ist es eben ein lahmes Pferd. Ein Stein im Huf oder eine verrenkte Fessel.«

Matt schüttelte den Kopf. »In diesem Falle wäre Seine Hoheit mit dem anderen Pferd zurückgekommen, um einen Ersatz zu holen.«

»Ihr macht Euch lächerlich, Asher«, erklärte Darran. »Ihr klammert Euch an äußerst dürftige Strohhalme. Ich werde also laut aussprechen, was wir alle gedacht haben. Es hat einen Unfall gegeben.«

»Ein Unfall, dass ich nicht lache!«, fuhr er auf. »Ihr stellt Vermutungen an, und Ihr irrt Euch, da gehe ich jede Wette ein. Was für eine Art Unfall könnten sie auf dem Weg zu Salberts Horst und zurück gehabt haben, hm? Wir reden über die mächtigsten Magier des Königreichs, die Seite an Seite in derselben verfluchten Kutsche sitzen! Es gibt keinen Unfall auf der Welt, der ihnen etwas anhaben könnte!«

»Also schön«, erwiderte Darran. »Die einzige andere Erklärung ist ... dass es kein Unfall war.«

Asher brauchte einen Moment, um zu begreifen, was er meinte. »Was? Solch ein Unsinn! Als ob irgendjemand so etwas ... Als gäbe es auch nur einen Grund ... Ihr seid ein törichter, alter Narr! Sie haben sich verspätet, das ist alles. Irgendetwas hat sie abgelenkt! Sie haben beschlossen, vom Horst aus noch ein wenig weiter in die Landschaft zu fahren, und darüber haben sie die Zeit vergessen! Ihr werdet sehen! Gar wird jeden Augenblick die Treppe hinaufgelaufen kommen! Ihr werdet sehen!«

Einen Moment lang hielten sie alle drei den Atem an und warteten auf das Geräusch eifriger, klappernder Stiefelabsätze und eine charmante königliche Entschuldigung.

Stille.

»Hör mal, Asher«, sagte Matt mit einem beklommenen Lächeln, »du hast wahrscheinlich Recht. Aber wie wär's, wenn wir beide, um Darran zu beruhigen, zum Horst hinausreiten würden? Die Chancen stehen gut, dass sie uns entgegenkommen und sich über unsere Sorgen amüsieren werden.«

»Ein hervorragender Vorschlag«, meinte Darran. »Ich wollte ihn gerade selbst machen. Geht jetzt. Und falls – wenn – Ihr ihnen begegnet, sollte einer von Euch unverzüglich hierher zurückkommen, damit ich dem Palast Nachricht geben kann, falls sich irgendwer sein taktloses Maul immer noch über das Thema zerreißt.«

Asher nickte stirnrunzelnd. Er wusste nicht, was schlimmer war: Die Tatsache, dass Darran Recht hatte oder die Nadel der Angst, die jetzt so tief in seinem Fleisch steckte, dass er kaum noch Luft bekam.

»Nun?«, hakte Darran nach. Seine Stimme klang beinahe schrill. »Warum steht Ihr noch hier herum wie festgewachsen? Geht!«

Zwanzig Minuten später kanterten sie schweigend die Straße entlang, die zu Salberts Horst führte. Das letzte Licht des Tages warf ihnen lange Schatten voraus.

»Dort ist das Schild zum Horst«, rief Matt und deutete mit dem Kinn auf das Schild. »Es wird spät, Asher. Wir hätten ihnen inzwischen begegnen müssen. Dies ist die einzige Straße zum Horst, und die Tore an der Abzweigung waren noch immer geschlossen. Der König hätte sie doch gewiss offen gelassen, wenn sie von hier aus noch weitergefahren wären?«

»Vielleicht«, rief Asher zurück. Seine kalten Hände krampften sich um die Zügel. »Vielleicht auch nicht. Wer will so etwas bei Königen und Prinzen im Voraus wissen? Zumindest deutet nichts auf einen Unfall hin.«

»Bisher nicht«, sagte Matt.

Sie trieben ihre Pferde unsanft weiter, und ihre Herzen hämmerten im gleichen Rhythmus wie das dumpfe, hohle Trommeln der Hufe. Schließlich ritten sie durch eine langgezogene Linkskurve, hinter der die Straße zu beiden Seiten von Bäumen gesäumt wurde.

Matt streckte die Hand aus. »Barl steh mir bei! Ist das ...«

»Ja!«, sagte Asher und schluckte, als jähe Übelkeit in ihm aufstieg.

Gar. Er lag halb auf der Straße, halb auf dem grasbewachsenen Straßenrand. Bewusstlos – oder tot.

Sofort rissen Asher und Matt an ihren Zügeln, und die Pferde warfen schnaubend den Kopf hoch und blieben stehen. Asher sprang vom Sattel und stolperte zu Gar hinüber, während Matt nach Cygnets Zügeln griff, um zu verhindern, dass das Pferd durchging.

»Nun?«

Gars Haut und seine Kleidung waren bedeckt von Blut, Erde und den grünen Flecken von zerdrücktem Gras. Sein Hemd und die Hosen waren zerrissen, ebenso wie das Fleisch darunter.

»Er lebt«, rief Asher zittrig, während er die Finger auf den sprunghaften Puls unter Gars Kinn drückte. Dann tastete er mit unsicheren Händen den reglosen Körper des Prinzen ab. »Aber er ist ohnmächtig. Möglicherweise ist sein Schlüsselbein gebrochen. Und er hat jede Menge Schnittwunden und Prellungen abbekommen. Ein paar Beulen hat er ebenfalls, aber ich glaube nicht, dass der Schädel gebrochen ist.«

»Fleisch und Knochen heilen«, erwiderte Matt und fuhr sich mit dem Hemdsärmel über das nasse Gesicht. »Gelobt sei Barl, dass er nicht tot ist.«

»Ja«, sagte Asher und nahm sich einen Moment – nur einen Moment! – Zeit, um zu atmen. Als er wieder dazu in der Lage war, blickte er auf und rang um einen unbefangenen Tonfall. »Der verdammte Darran. Jetzt wird er jahrelang blöken: ›Ich hab es Euch ja gesagt‹.«

Matt lachte nicht. Er lächelte nicht einmal. »Wenn der Prinz hier ist«, meinte er grimmig, »wo sind dann die anderen?«

Ihre Blicke trafen sich; sie beide fürchteten die Antwort auf diese Frage.

»Ich schätze, genau das sollten wir herausfinden«, sagte Asher. Er schlüpfte aus seiner Jacke, faltete sie zusammen und schob sie Gar sachte unter den Kopf. Dann versuchte er, den linken Arm des Prinzen bequemer zu betten, wobei er behutsam auf die verletzte Schulter achtete. »Er wird mit der Zeit wieder auf die Beine kommen. Lass uns gehen.«

Er saß wieder auf und ritt Knie an Knie mit Matt um die nächste weite Kurve in der Straße. Kämpfte Furcht und ein wachsendes Gefühl böser Ahnungen nieder. Cygnet, der Probleme witterte, legte die Ohren an.

Als Nächstes fanden sie Durm, der der Länge nach mitten auf der Straße lag. Genauso bewusstlos wie Gar, aber blutüberströmt und in noch schlimmerem Zustand als dieser.

»Er hat sich den Arm gebrochen und das Bein«, sagte Asher, nachdem er abgesessen war und nun die Hände über Durms Gliedmaßen gleiten ließ. Der Körper des Meistermagiers fühlte sich an wie ein mit Tonscherben gefüllter, nasser Sack. »Verdammt. Es sind beide Beine. überall ragen gesplitterte Knochen heraus. Und sein Schädel liegt bloß wie ein gekochtes Frühstücksei. Es ist ein Wunder, dass ihm das Blut nicht aus dem Leib gesickert ist wie Wasser aus einem löchrigen Eimer.«

Matt schluckte. »Aber er lebt?«

»Für den Augenblick«, antwortete Asher und erhob sich müde. Zum ersten Mal schaute er weiter die Straße hinunter – und spürte, wie die Welt um ihn herum ins Wanken geriet.

»Was?«, fragte Matt erschrocken.

»Der Horst«, flüsterte er und streckte die Hand aus. Er musste sich an Cygnets massige Schulter lehnen, um sich auf den Beinen zu halten.

Nicht einmal die herannahende Abenddämmerung konnte es verbergen. Das gesplitterte Loch in dem Bretterzaun am Rand des Horstes – breit genug für eine Kutsche, die mitten hindurchraste.

Matt schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. »Barl stehe uns bei. Das kann nicht wahr sein.«

Asher wollte es ebenfalls nicht glauben, so Übelkeit erregend war seine Angst, aber es ließ sich nicht leugnen. »Wo ist dann die Kutsche? Die Pferde? Wo ist die Familie geblieben?«

»Nein. Nein, das kann nicht passiert sein«, beharrte Matt. Er klang um Jahre jünger und war offenkundig den Tränen nahe.

»Ich schätze, es ist wahr«, erwiderte Asher benommen und ließ seine Zügel fallen. Gehorsam und resigniert senkte Cygnet den Kopf und zupfte mit klapperndem Gebiss an dem Gras am Straßenrand. Asher rannte auf den Rand des Ausgucks zu.

»Tu das nicht«, rief Matt. »Es ist bereits zu dunkel, du Narr, es ist zu gefährlich!«

Die Stimme der Vernunft hatte hier keinen Platz. Er hörte, wie Matt sich fluchend von seinem Pferd gleiten ließ, bevor er ihm nachrief: »Asher, um der Liebe Barls willen, bleib hier! Wenn sie dort unten sind, können wir ihnen nicht helfen. Wenn sie über den Rand des Horsts gestürzt sind, sind sie mit Sicherheit tot! Asher! Hörst du mir zu?«

Ohne auf seinen Freund zu achten, ließ er sich auf den Boden fallen und spähte in den Abgrund. »Ich kann etwas sehen. Vielleicht ein Rad. Es ist schwer zu sagen. In jedem Falle ragt dort eine Art Felsvorsprung hervor.« Er schob sich rückwärts vom Abgrund weg, richtete sich auf und sah Matt an. »Ich schätze, sie sind nicht ganz bis nach unten gestürzt. Ich werde dort runtergehen.«

Entsetzt packte Matt ihn an den Schultern und versuchte, ihn auf die Füße zu ziehen. »Das kannst du nicht!«

Er befreite sich aus Matts Griff und stand auf. »Reite zurück zum Turm, Matt. Sag Darran Bescheid. Hol Hilfe. Wir brauchen Pother, Wagen, Seile. Licht.«

Matt starrte ihn an. »Ich lasse dich nicht allein hier, während du weiß Barl welche Wahnsinnstaten unternimmst!«

Verdammt, was war los mit dem Mann? Begriff er denn nicht? »Du musst es tun, Matt«, beharrte er. »Wie du sagst, es wird langsam dunkel. Wenn sie dort unten liegen und nicht alle tot sind, können wir nicht bis zum Morgen warten, um es herauszufinden. Sie würden die Nacht niemals überstehen.«

»Du glaubst doch nicht etwa, dass irgendjemand dies hier überleben konnte?«

»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Wie wär's, wenn du jetzt aufhören würdest, Zeit zu verschwenden, hm? Vielleicht sind sie alle tot dort unten, aber wir haben hier oben Lebende, die verletzt sind, und ich weiß nicht, wie lange dieser schrullige alte Durm ohne einen guten Pother, der ihm hilft, weiteratmen wird. Ich komme schon zurecht, Matt. Aber brich endlich auf.«

Matts Gesichtsausdruck war gequält. »Asher, nein ... Du darfst dich nicht in Gefahr bringen. Auf keinen Fall. Ich werde es tun.«

»Das kannst du nicht. Du bist anderthalb Kopf größer als ich und auch schwerer. Ich weiß nicht, wie sicher der Boden des Berghangs ist, aber ein leichterer Mann muss eine bessere Chance haben.« Matt starrte ihn nur an, als warte er förmlich darauf, geschlagen zu werden. »Hör zu, du dummer Bastard, jede Minute, die wir hier stehen und streiten, ist eine vergeudete Minute. Schwing dich einfach auf dein verdammtes Pferd, ja, und reite los!«

Matt schüttelte den Kopf. »Asher ...«

Asher, der weder Zeit noch Geduld erübrigen konnte, machte einen Satz nach vorn und stieß Matt heftig rückwärts. »Du gehst nur, wenn ich einen Befehl daraus mache? Schön! Es ist ein Befehl! Geh!«

Matt war geschlagen, und er wusste es. »Na schön«, sagte er mutlos. »Aber sei vorsichtig. Ich muss Dathne gegenüber Rechenschaft ablegen, vergiss das nicht, und wenn dir etwas zustößt, wird sie mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen.«

»Und ich werde dir bei lebendigem Leib die Haut abziehen, wenn du nicht endlich verschwindest. Binde Cygnet an einen Baum, damit er dir nicht folgt. Ich habe keine Lust, zu Fuß zum Turm zurückzukehren.«

»Versprich mir, dass ich es nicht bereuen werde«, sagte Matt, während er langsam rückwärts auf sein Pferd zuging. Sein Gesichtsausdruck war so finster, dass er frische Milch hätte sauer werden lassen können.

»Bis bald.«

Matt blieb stehen. »Asher ...«

»Verflucht, muss ich dich mit eigenen Händen auf dieses verdammte Pferd werfen ...«

»Nein, warte!«, sagte Matt und hob die Hände. »Warte. Was ist mit Matcher?«

Er ließ die Fäuste sinken. »Was soll mit ihm sein?«

»Er hat eine Familie, sie werden sich Sorgen machen und Aufsehen erregen ...«

Verdammt. Matt hatte Recht. »Dann beruhige sie. Schick einen der Stallburschen mit einer Nachricht zu ihnen, dass er im Palast aufgehalten wurde. Auf diese Weise wird seine Frau Stillschweigen bewahren, bis wir ...«

»Du meinst, ich soll sie belügen? Asher, das kann ich nicht!«

Barl bewahre ihn vor anständigen Männern. »Du musst es tun. Wir müssen dies so lange wie möglich geheim halten, Matt. Denk nach. Wenn wir sie nicht zumindest für ein Weilchen in die Irre führen ...«

»Schon gut«, erwiderte Matt. »Ich werde mich darum kümmern. Ich werde lügen.« Seine Züge verzerrten sich, als hätte er eine bittere Frucht gekostet. »Langsam bekomme ich Übung darin«, fügte er hinzu, beinahe so, als spreche er zu sich selbst.

Asher hatte keine Zeit, darüber nachzugrübeln, was er damit meinte. »Beeil dich, Matt. Bitte.«

Er sah seinem Freund nach, während dieser zu den Pferden zurücklief, Cygnet an einen kräftigen Stamm band und sich dann auf den Sattel seines eigenen Reittiers schwang. Die eiligen Hufschläge hallten durch das Tal. Dann schob sich Asher unter dem Abendhimmel, der in Lavendel, Blutrot und Gold erstrahlte, über den Rand von Salberts Horst.

Es ging elend tief hinunter zu dem verborgenen Grund des Tals.

Dann sieh nicht hinunter, du jämmerlicher Narr. Mach einen Schritt nach dem anderen. Das kannst du tun, oder etwa nicht? Einen verfluchten Schritt nach dem anderen.

Der mit Steinen übersäte Boden fiel zuerst trügerisch langsam ab. Unter seinen Stiefelabsätzen hatte er Schotter und lose Erde, sodass er hinabschlitterte und sich die Hände aufschürfte, wenn er sich immer wieder an Büschen und scharfkantigen Felsvorsprüngen festhielt, um seinen Abstieg zu verlangsamen. In seinen Augen brannte Schweiß, und sein Mund war trocken vor Angst. Die Luft war würzig und frisch, nicht wie in der überfüllten Stadt mit ihren mannigfachen Gerüchen. Sie drang kühl durch das dünne Seidenhemd, überzog sein vom Schweiß klebriges Fleisch mit Gänsehaut.

Er kam dem Talgrund immer näher und näher. Der weite, leere Raum unter ihm warf das Echo jedes Steins und jedes Kiesels zurück, der sich aus dem Felsen löste. Erschrockene Vögel erhoben sich mit heiserem Protest in die Lüfte oder beschimpften ihn unsichtbar aus dem dichten Blätterwerk des Horsts heraus.

Er erreichte ein kleines Kliff, einen gut brusthohen Absturz, an dem sich unten eine Schräge und dann eine natürliche Plattform anschlossen, die in die Schlucht ragte. Der größte Teil der Terrasse selbst wurde von Dunkelheit und Felsvorsprüngen verborgen, aber er war sich jetzt sicher, dass er den Rand eines Rades sehen konnte, das in die Luft ragte.

Wenn die Kutsche auf ihrem Weg nach unten irgendwo anders gelandet war als auf dem verborgenen Talgrund, dann auf diesem Felsvorsprung. Darunter kam lange Zeit nichts als leerer Raum und das Kreischen der Adler.

Brusthoch. Er war von ebenso hohen Mauern gesprungen, ohne sich etwas dabei zu denken. War lachend gesprungen. Jetzt, da er auf dem Bauch kroch, schob er sich, die Füße voraus und rückwärts, über den Rand, klopfte mit den Zehen die Felswand nach Rissen ab und grub seine zerfetzten, blutigen Fingernägel in den losen Schiefer, während er verzweifelt nach Halt suchte.

Wenn er stürzte ...

Als er sicher unten angelangt war, musste er sich eine Pause gönnen; beinahe gelähmt vor Angst hielt er sich nach wie vor am Rand des Kliffs fest und sog gierig Luft in seine Lungen.

Als er sich schließlich ein wenig erholt hatte, drehte er sich mit äußerster Vorsicht um, den Brustkorb, dann die Schulterblätter gegen den Felsen gepresst, und hielt Ausschau nach dem nächsten Vorsprung, auf den er treten konnte ...

Ah. Seine Augen hatten ihn nicht betrogen.

Es war in der Tat ein Rad und mehr als ein Rad. Es waren zwei Räder und der größte Teil einer kunstvoll bemalten Kutsche. Es waren ein braunes Pferd, ein losgerissenes Geschirr, ein Mann, eine Frau und ein Mädchen.

Er schloss die Augen, würgte. Sah einen geborstenen Mast und einen anderen Mann mit zerschmetterten Gliedern.

»Pa«, flüsterte er. »Oh, Pa ...«

Überall war Blut, das meiste von dem zerrissenen Leib des Pferdes. Es erfüllte die Luft mit seinem metallischen Geruch.

Als er über den Rand der Plattform schaute, sah Asher Baumwipfel wie einen Teppich und die weißen Flecken von Vögeln, die ihre Kreise drehten. Keine Spur von dem zweiten Kutschpferd oder Kutscher Matcher. Er war ein prächtiger Bursche. War es gewesen. Verheiratet, mit zwei Kindern, einem Sohn und einer Tochter. Peytr war allergisch gegen Pferde, und Lillie hatte das beste Paar Hände an den Zügeln, das die Stadt je gesehen hatte.

Das jedenfalls hatte Matcher, ihr hingebungsvoller Vater, immer behauptet.

Borne lag eingekeilt unter den gesplitterten Überresten der Kutsche. Sein langer, hagerer Körper war vollkommen zerquetscht, und an einer Seite war sein Gesicht eingedrückt. Er sah so aus, als trüge er eine leuchtend rote Perücke. Dana lag etwa zwei Schritte zu seiner Linken, aufgespießt von wie Wurfspieße geschärften Ästen. Die Wucht des Aufpralls hatte ihren Leib so verzerrt, dass sie halb auf der Seite lag, das feinknochige Gesicht abgewandt. Es bedeutete, dass er ihre Augen nicht sehen konnte. Asher war dankbar dafür.

Und Fane ... Die schöne, brillante, unmögliche Fane war bis an den äußersten Rand des schmalen Felsvorsprungs geschleudert worden; eine schlanke, weiße Hand baumelte unverletzt ins Leere, die Diamanten an ihren Fingern glitzerten im Abendlicht. Ihre Wange ruhte auf dem ausgestreckten Arm, und sie hätte schlafen können, nur schlafen, jeder, der sie so vorfand, mochte sie für gesund und unversehrt gehalten haben ... wenn er den geronnenen, dunkelroten Teich unter ihrem zierlichen Körper nicht gesehen hätte oder die unheimliche, durchscheinende Blässe ihres liebreizend ungepuderten Gesichtes. Ihre Augen standen halb offen, blicklos; die Lider, nachgedunkelt durch irgendeine Magie, die nur Frauen bekannt war, dicht und lang und betörend reizvoll, geradeso wie sie betörend gewesen war. Diese Wimpern lagen wie ein Gewebe aus Schatten auf ihrer zarten Haut.

Eine Fliege lief ihr zwischen die leicht geöffneten Lippen.

Lange Zeit, sehr lange stand er einfach dort und wartete. In einem Moment wird einer von ihnen sich bewegen. In einem Moment wird einer atmen. Oder blinzeln. In einem Moment werde ich aufwachen, und all das wird nichts gewesen sein als ein verdammter, dummer, vom Bier geborener Traum. In einem Moment ...

Endlich begriff er, dass es keine Momente mehr gab. Dass nicht einer von ihnen sich wieder bewegen oder atmen oder blinzeln würde. Dass er bereits wach und dass dies kein Traum war.

Dann kamen die Erinnerungen, glühend wie Kohlen im Herzen eines sterbenden Feuers. »Willkommen, Asher. Mein Sohn hat eine so hohe Meinung von Euch, dass ich einfach weiß, dass wir die besten Freunde sein werden.« Dana, Königin von Lur. Wie sie seine ungeübte Verbeugung und seine unbeholfene Begrüßung aufnahm, als hätte er ihr wohlduftende Rosen und einen unbezahlbar kostbaren Diamanten geschenkt. Ihr ungehemmtes Gelächter, ihr aufmerksames Schweigen. Die Art, wie ihre Augen in den ernstesten Momenten lächelten, ein Lächeln, das sagte: Ich kenne dich. Ich vertraue dir. Vertraue du mir.

Borne, über dessen teigige Wangen silbrige Tränen rannen. Was aus meinem Königreich kann ich Euch geben? Er ist mein kostbarer Sohn, und Ihr habt ihm das Leben gerettet. Für seine Mutter. Für mich. Für uns alle. Ihr habt einen Vater verloren, wie ich höre. Ich trauere mit Euch. Darf ich seine Stelle einnehmen, Asher? Euch einen väterlichen Rat anbieten, wann immer Ihr seiner bedürfen solltet? Erlaubt Ihr mir das? Bitte tut es.«

Und Fane, die nur lächelte, wenn sie dachte, dass es auf irgendeine Weise Schaden anrichten konnte. Die sich selbst niemals genug kannte, um zu wissen, dass unter der Bosheit Begehren lag. Die schön war in jeder Hinsicht, bis auf die eine, die am wichtigsten war.

Tod, Tod und Tod.

In einsamem Schweigen, keiner Träne mehr fähig, blieb er bei ihnen, bis es töricht gewesen wäre, noch länger auszuharren. Bis Kälte und Dunkelheit vom Talboden heraufkrochen und ihre eisigen Zähne in sein Fleisch senkten. Bis er sich an das letzte lebende Mitglied dieser Familie erinnerte, dem man erst noch mitteilen musste, dass es das letzte war.

Eingedenk dessen verließ er sie schließlich widerstrebend und kletterte langsam zurück den Berghang hinauf.

Kapitel 2

Etliche Hände streckten sich ihm entgegen, um ihm an dem zerbrochenen Geländer über den Rand von Salberts Horst zu helfen.

»Ganz ruhig«, sagte Pellen Orrick, der mit festem Griff seinen Ellbogen umfasst hielt. »Atmet einen Moment lang tief durch. Geht es Euch gut?«

Nach vorne gebeugt, sog Asher tief die Luft in seine Lungen und nickte. Sein ganzer Körper brannte von Schürfwunden, und seine Muskeln waren angespannt. »Ja«, antwortete er. »Wo ist Matt?«

»Er ist im Turm und kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten.« Orrick runzelte die Stirn und ließ ihn los. »Asher, manche Leute würden vielleicht sagen, dass Ihr verrückt wart, den Horst hinunterzuklettern. Ich könnte einer dieser Leute sein. War es das Risiko wert?«

Das Atmen fiel ihm jetzt leichter, und er richtete sich langsam auf. Einige Doranen hatten Glimmfeuer heraufbeschworen; eine schwebende Flotte magischer Lichter verwandelte den frühen Abend in eine bleiche Imitation des Tages.

Asher blickte in das scharf geschnittene Gesicht des Hauptmanns und nickte abermals. »Ja.«

Orricks Züge verkrampften sich. Dann fiel die Anspannung von ihm ab, und für die Dauer eines Herzschlags sackte er ein klein wenig in sich zusammen. »Ihr habt sie gefunden.«

Es war sonst niemand in Hörweite. Orrick hatte das Gelände von Wachleuten absperren lassen, damit niemand an den trügerischen Abgrund des Horsts treten konnte und es keine weiteren Unfälle gab. Hinter ihnen scharte sich am Straßenrand eine Gruppe erregter Doranen. Asher erkannte Conroyd Jarralt und Barlsmann Holze; dann Lord Daltrie, Hafar, Sorvold und Boqur, Jarralts Spießgesellen aus dem Großrat. Von Gar oder Meistermagier Durm fehlte jedoch jede Spur. Zweifellos waren sie schnellstens in den Palast zurückgebracht worden und zu der eifrigen Knochenflickerei von Pother Nix.

Ein Stück weiter die Straße hinunter standen zwei gewöhnliche Pferdewagen, eine elegante doranische Kutsche und einer von Orricks Männern, der eine Reihe zusammengerollter Seile bewachte. Ein Stich der Erleichterung durchzuckte ihn, als er sah, dass Cygnet nach wie vor sicher festgebunden war.

»Asher?«, riss Orrick ihn aus seiner Betrachtung.

»Ja«, erwiderte er. »Ich habe sie gefunden. Zumindest die Familie. Kutscher Matcher liegt auf dem Grund des Tales, schätze ich, zusammen mit einem seiner geliebten Pferde.«

»Und Ihr seid Euch sicher, dass sie tot sind?«

Asher lachte ohne Humor. War er sich sicher? Rotes Blut und weiße Knochen und schwarze, kriechende Fliegen ... »Wollt Ihr hinuntersteigen und Euch selbst davon überzeugen?«

Orrick schüttelte mit einem tiefen Seufzer den Köpf. »Kann man ihre Leichen bergen?«

Er zuckte die Achseln. »Vielleicht. Aber ich schätze, dazu wären eine kräftige Dosis Magie und ein wenig Glück vonnöten.«

»Sie liegen an einer schwer zugänglichen Stelle?«

»Auf einem Felsvorsprung, der über das Tal hinausragt. Sagt Ihr mir, ob das eine schwer zugängliche Stelle ist oder nicht.« Erfasst von einer plötzlichen, Schwindel erregenden Woge der Erschöpfung, spürte Asher, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich, und er taumelte. »Verdammt«, murmelte er.

»Ganz ruhig«, sagte Pellen Orrick und griff abermals nach seinem Arm. »Ihr habt einen üblen Schock erlitten.«

Die Freundlichkeit des Hauptmanns gab ihm beinahe den Rest. Trauer und Zorn und ein Gefühl heißer Hilflosigkeit trübten seine Sicht. Er konnte das brutale Hämmern seines Herzens spüren, kräftige Schläge gegen die Rippen wie das Dröhnen der Trommel bei einer Beerdigung. Die kalte Nachtluft brannte ihm in den gequälten Lungen, und die Zähne begannen ihm in der leichten Brise zu klappern. Er spürte Feuchtigkeit auf den Wangen und blickte auf. Regnete es?

Nein. Der sternenübersäte Himmel war frei von Wolken. Außerdem, wie hätte es regnen können? Lurs Wettermacher war tot. Wütend blinzelte er gegen die brennenden Tränen an. Tränen? Narr. Tränen waren etwas für Leute, die Zeit hatten ...

Dort, wo die doranischen Würdenträger standen, erscholl ein lauter Ruf. Lord Hafar hatte Asher entdeckt. Er streckte die Hand aus und zupfte Conroyd Jarralt am Brokatärmel. Jarralt drehte sich stirnrunzelnd um, den Mund zu einer barschen Erwiderung geöffnet. Dann sah auch er ihn. Jarralt reckte das Kinn vor und drückte die Schultern durch. Erfüllt von einem Gefühl wütender Überheblichkeit, löste er sich aus der Gruppe. Jetzt sah Asher, wer in dessen Mitte saß.

Gar!

Nachdem er sich aus den Fängen seiner tiefen Ohnmacht befreit hatte, saß der Prinz – nein. Nicht mehr. Nicht nach dem heutigen Tag. Der König saß auf einem gepolsterten Hocker am Straßenrand, eingehüllt in eine Decke und mit einem Verband, den ihm jemand hastig um den Kopf gelegt hatte. Sein linker Arm war an seinen zerschundenen Körper gebunden worden, um das gebrochene Schlüsselbein zu schützen. In der rechten Hand hielt er einen Becher mit irgendeiner dampfenden Flüssigkeit und starrte hinein, als enthielte er alle Geheimnisse der Welt.

Conroyd Jarralt machte noch einen schnellen Schritt vorwärts, die juwelenbesetzten Finger zu Fäusten geballt. »Asher!«

Sein Name klang wie eine Kapellenglocke, die Schweigen gebot. Das Gemurmel der Lords verebbte, wurde immer leiser mit jedem Schritt, mit dem Asher die Entfernung zwischen sich und seinem Freund überwand. Seinem König.

Gar blickte auf, zog eine bleiche Augenbraue hoch und bemerkte ihn. Und Asher begriff, dass etwas so Grobes wie Worte nicht vonnöten war. Die Wahrheit war in seinen Tränen, die auf seinem schmutzigen Gesicht noch nicht ganz getrocknet waren, auf seinen unsicheren Lippen und in der verräterischen Blässe seiner Wangen, die sich eiskalt anfühlten.

Er erreichte die Traube doranischer Lords. Erreichte Gar, der ruhig und fragend in sein starres Gesicht blickte. In seinen Zügen stand ein Ausdruck höflicher Geduld. Ein Ausdruck, der keine mächtigere Regung verriet als eine milde Neugier.

Asher blieb stehen und ließ sich auf die Knie fallen. Als seine Knochen den harten Boden berührten, durchzuckte ihn ein Schmerz, den er kaum wahrnahm. Die Hände schlaff neben sich, die Schultern mutlos vorgezogen und schmutzig von Erde und Schweiß und kleinen Spritzern vom Blut anderer Menschen, senkte er den Kopf. »Eure Majestät.«

Einer der Lords, die sie beobachteten, ächzte. Ein Aufschrei wurde laut und gleich darauf erstickt. Ein unterdrücktes Schluchzen.

Jemand kicherte.

Asher riss ungläubig den Kopf hoch.

Gar lachte. Sein Gesicht war ohne Heiterkeit, aber er lachte dennoch. Die Decke um seine Schultern rutschte zu Boden. Der kaum angerührte Inhalt des Bechers schwappte über und hinterließ dunkle Flecken auf der ohnehin ruinierten Reithose. Seine Nase begann zu laufen, und Glimmfeuer spiegelte sich auf den Tränen und dem Schleim auf seinem Gesicht, das glitzerte, als sei es von flüssigen Diamanten überzogen. Und er lachte noch immer.

Jarralt trat auf ihn zu. »Hört auf damit!«, zischte er. »Ihr bringt Schande über Euch selbst, Herr, und Schande über unser Volk! Hört sofort auf, habt Ihr mich verstanden?«

Er hätte sich seine Worte sparen können. Gar ignorierte ihn und lachte weiter. Er hörte erst auf, als Barlsmann Holze näher trat, um ihm sachte eine Hand auf die unverletzte Schulter zu legen.

»Mein Junge«, flüsterte er. »Mein lieber, lieber Junge. Seid jetzt still. Still.«

Wie ein olkisches Spielzeug, dessen Räderwerk langsam zum Stehen kam, verebbte das Kichern nach und nach. Asher zog ein Taschentuch aus der Tasche und hielt es Gar hin. Eine Weile saß der ehemalige Prinz einfach nur da und starrte auf das Stück blauer Baumwolle. Dann ergriff er es und wischte sich das Gesicht ab. Gab das besudelte Taschentuch zurück und sagte: »Ich will sie sehen.«

Die Fürsten brachen in schnatternden Protest aus.

»Macht Euch nicht lächerlich«, blaffte Conroyd Jarralt. »Das kommt nicht in Frage.«

»Conroyd hat Recht«, fügte Holze hinzu und versuchte, Gar beruhigend eine Hand auf den Arm zu legen.

Der Prinz – der König! – schüttelte ihn ungeachtet des Schmerzes ab und stand auf. Ein unheilverkündender Ausdruck stand auf seinem Gesicht.

»Wahrhaftig, die Idee ist überaus unklug!«, beharrte Holze. »Mein lieber Junge, denkt an die Gefahr. Ihr habt gehört, was der Gehilfe von Pother Nix gesagt hat! Ihr braucht Wärme. Ruhe. Gründlichere Behandlung. Wir müssen Euch unverzüglich in den Palast schaffen, in die Wärme. Kommt jetzt. Hört auf den Rat erfahrener Männer, Euer Ho... Euer Ma... Gar. Nehmt weisen Rat an und verlasst diesen unglückseligen Ort.«

Die anderen Lords unterstrichen diese Forderung. Asher, der bemerkte, dass Pellen Orrick jetzt dicht hinter ihm stand, erhob sich stöhnend und tauschte einen beklommenen Blick mit ihm, während die Lords sich um Gar scharten und ihre Stimmen immer nachdrücklicher wurden.

Gar ließ den Sturm der Worte unbeeindruckt über sich hinweggehen. Er schien seine durcheinanderrufenden Untertanen kaum zu hören. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, auf etwas geheftet, das er allein sehen konnte. Dann richtete er sich endlich auf und hob die Hand. »Genug!«

Die Lords beachteten ihn nicht, sondern redeten weiter auf ihn ein.

»Genug, habe ich gesagt!«

Jetzt wichen sie erschrocken zurück. Sie starrten auf das Glimmfeuer, das aus Gars Fingerspitzen schoss, während er mit plötzlich klarem Blick in ihre verblüfften Gesichter sah. »Ist das die Art, wie Ihr mit Eurem König sprecht?«

Conroyd Jarralt trat vor. »Ihr maßt Euch einen Titel an, der Euch noch nicht übertragen wurde, Eure Hoheit.« Er drehte sich zu Asher um. »Kommt her zu mir.«

Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um einen Lord wegen seines schroffen Benehmens zurechtzuweisen. Asher verneigte sich. »Herr.«

»Bornes Tod steht außer Zweifel?«

Er schauderte. »So ist es. Der Tod des Königs, der Königin und der Prinzessin. Sie liegen alle tot dort unten.«

Spürbare Trauer schlug ihm von den Doranen entgegen.

Jarralt, der als Einziger ungerührt wirkte, sah ihn mit Augen wie gefrorenes Silber an. Dann wandte er sich mit funkelndem Blick zu Gar um. »Dennoch. Bevor nicht beide Räte zusammengekommen sind und die geziemenden Zeremonien befolgt wurden, seid Ihr immer noch ein Prinz, Herr. Kein König.«

Gar ballte die Fäuste, und das Glimmfeuer erstarb. »Ihr stellt meinen Anspruch in Frage?«

»Ich stelle Eure Anmaßung in Frage. Seit dem Tod Eures Vaters sind nur wenige Stunden verstrichen. Bevor die Thronfolge geregelt wird, müssen Fragen gestellt und beantwortet werden, was das Dahinscheiden Seiner Majestät betrifft.«

»Welche Fragen?«

Jarralt machte eine ungeduldige Handbewegung. »Dies ist weder die Zeit noch der ...«

»Da bin ich anderer Meinung«, unterbrach ihn Gar. »Es ist der einzige Ort, und wenn Ihr Eure Fragen nicht hier und jetzt stellt, schwöre ich, dass Ihr es niemals tun werdet.«

Holze schob sich zwischen die beiden Männer. »Gar, Conroyd, bitte. Dies ist überaus unziemlich, die Leichen können noch nicht einmal kalt sein. In Barls Namen, ich flehe Euch an, haltet Euch ...«

»Nein«, sagte Gar. »Ich möchte Lord Jarralts Frage hören.«

Jarralts Lippen verzogen sich zu einem wütenden Lächeln. »Also schön. Da Ihr darauf besteht. Wie kommt es, dass Ihr den Unfall beinahe unversehrt überlebt habt, während der Rest Eurer Familie auf so furchtbare Weise gestorben ist?«

Das Lächeln, mit dem Gar antwortete, war winterkalt. »Ihr vergesst Durm.«

»Es ist unwahrscheinlich, dass unser geschätzter Meistermagier die Nacht überleben wird. Wenn der Morgen dämmert, davon bin ich überzeugt, werdet nur noch Ihr da sein.«

»Ihr bezichtigt mich des Mordes, Lord Jarralt? Bezichtigt mich, meinen Vater getötet zu haben, meine Mutter, meine Schwester ...«

»Eure ungeliebte Schwester«, warf Jarralt ein. »Die erst vor wenigen Tagen versucht hat, Euch zu töten.« Er deutete mit dem Kopf auf den Verband, der unter Gars Hemdmanschette hervorlugte. »Ich glaube, die Wunde ist noch nicht verheilt.«

»Ich verstehe, Conroyd. Ihr seid ein Mann, der auf Dienstbotentratsch hört«, sagte Gar. »Wie ... enttäuschend.«

Jarralts Miene verdüsterte sich. »Es gefällt Euch, mich zu beleidigen. Schön. Aber wie lange wird Eure Arroganz halten, sobald ich Nachforschungen darüber angestellt habe, wie genau es zu diesem Unfall gekommen ist? Wenn ich ...«

»Was das betrifft, Mylord«, schaltete Pellen Orrick sich ein, »obliegen alle Ermittlungen in diesen Todesfällen mir. Als Hauptmann der Stadt ist es mein Recht und meine Verantwortung.«

»In der Tat?«, fragte Jarralt und warf Orrick einen verächtlichen, durchbohrenden Blick zu. »Und warum sollte ich auf Eure Unvoreingenommenheit vertrauen? Oder auf Eure Fähigkeiten?«

»Weil der verstorbene König darauf vertraut hat, Herr«, entgegnete Orrick ruhig.

»Und wenn Ihr herausfindet, dass es bei diesem Unfall nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, Hauptmann?«, fragte Holze. »Was dann?«

Orricks Züge wirkten mit einem Mal noch schärfer als sonst. »Dann werde ich den Mörder bis ans Ende des Königreichs verfolgen. Er oder sie wird keinen Fluchtweg finden und keine Gnade erfahren ... ungeachtet seines Rangs oder gesellschaftlichen Standes.«

Gar nickte. »Zufrieden, Conroyd? Gut. Wenn Ihr jetzt bitte beiseitetreten würdet – ich habe die Absicht, mich für eine Weile zu meiner Familie zu gesellen!«

Erschrocken und hilflos beobachtete Asher, wie Gar taumelnd zwei Schritte auf den Abgrund zuging. Ungeheißen griffen Lord Baltrie und Lord Sorvold nach seinen Armen, um ihn aufzuhalten.

Das war ein Fehler.

»Lasst mich in Ruhe!«, rief Gar. Um ihn herum schimmerte mit einem Mal goldenes Licht. Die Lords, die ihn so unklug berührt hatten, schrien auf und rissen die Hände zurück.

Conroyd Jarralt legte eine Hand auf das Messer an seiner Hüfte. »Seht Ihr?«, fragte er scharf. »Er benutzt Magie als Waffe! Prinz Gar taugt für keinerlei hohes Amt! Er hat keine Ahnung, was von einem wahren Doranen verlangt wird! Er ist ein altkluges, undiszipliniertes Kind, dem man die Macht, die ihm so plötzlich zugefallen ist, nicht anvertrauen kann!«

»Ihr seid derjenige, dem man nicht trauen kann!«, zischte Gar. »Euer Leben lang habt Ihr den Thron meines Vaters begehrt, und jetzt, da er tot ist, wollt Ihr ihn Euch nehmen! Nun, Ihr befindet Euch im Irrtum, Conroyd. Mein Vater hatte mehr Königswürde im kleinen Finger als Ihr in Eurem ganzen Körper. Eher würde ich dieses Königreich als schwelende Ruine sehen, bevor ich Euch auf seinem Thron sehe!«

Jarralt hob eine zitternde Faust. »Genau wie Euer Vater übertretet Ihr alle Grenzen. Magie hin, Magie her, Ihr taugt nicht dazu zu herrschen! Ihr seid nichts als der unnatürliche Sprössling eines selbstsüchtigen, kurzsichtigen Narren!«

Gars goldene Aura vertiefte sich. Flackerte dunkelrot auf, wie ein Feuer, das frischen Brennstoff erhalten hatte. Jarralt wurde einen halben Schritt rückwärts gezwungen. »Ich fordere Euch heraus, Conroyd, geht in die Halle der Gerechtigkeit und wiederholt Eure Worte«, flüsterte Gar. »Geht in die Halle der Gerechtigkeit und seht, wie das Volk darauf reagiert.«

Conroyd Jarralt lachte höhnisch. »Das Volk. Dieser ungebärdige Haufen von Olken? Sie sind es, die Ihr zu Eurer Unterstützung aufruft? Was für ein jämmerlicher Junge Ihr seid, wenn sie alles sind, worauf Ihr Euch stützen könnt ...«

Der entrüstete Asher zuckte zusammen, als Pellen Orrick sich vorbeugte und ihm drängend ins Ohr flüsterte: »Tut etwas, Asher, schnell, bevor die Narren zu weit gehen.«

»Ich?« Er starrte den anderen Mann an. »Warum ich?«

»Weil Ihr der Einzige hier seid, auf den der Prinz hören wird.«

Gar zitterte, das Gesicht verzerrt vor jeder Art von Schmerz. »Ist diese Katastrophe Euer Werk, Conroyd? Hegt Ihr eine solche Gier nach Macht, dass Ihr dafür töten würdet? Mein Vater, meine Mutter ...«

»Eure Mutter töten?« Ungeachtet Gars blutrotem Mantel der Macht, seines aufgerissenen Fleisches und der gebrochenen Knochen, packte Jarralt ihn am Hemd und zerrte ihn zu den Zehenspitzen hoch. »Ihr jämmerlicher kleiner Wurm, ich habe Eure Mutter geliebt! Ich liebe sie immer noch! Wenn sie mich geheiratet hätte, wäre sie in dieser Minute gesund und munter! Wenn sie mich geheiratet hätte, hätte ich ihr einen echten Prinzen gegeben! Einen Sohn, auf den sie hätte stolz sein können!«

»Meine Lords!«, rief Asher und stürzte sich auf Jarralt. Riss an den erzürnten Händen des Mannes, riss sie von Gars Hemd los, dann stieß er Gar in die Brust, ungeachtet der Gefahr, und der Prinz taumelte zwei Schritte rückwärts. »Ihr solltet Euch schämen, meine Herren, alle beide! Die königliche Familie ist tot, und Ihr rauft wie Betrunkene in einem Bierhaus!«

Jarralt drehte sich mit einem wütenden Knurren zu ihm um. »Legt noch einmal Hand an mich, und ich sorge dafür, dass Ihr noch vor Sonnenaufgang an einem Galgen aufgeknüpft werdet!«

Holze mischte sich ein, pergamentgrau im Gesicht vor Sorge. »Nein, Conroyd, nein, der Junge hat Recht. Wir müssen uns in Selbstbeherrschung üben während ... dieser schrecklichen Geschichte und ... ein Beispiel geben ...« Die Augen des alten Geistlichen waren voller Tränen. Hinter ihm zauderten die anderen doranischen Lords. »Seine Hoheit ist überreizt, seine Worte sind geboren aus Trauer und Schock. Ihr könnt nicht denken, er glaube, dass Ihr – dass irgendjemand – unserem König und seiner Familie mit vorsätzlichem Bedacht Schaden zufügen würde. Und Ihr, Conroyd, auch Ihr habt gesprochen, ohne nachzudenken. Diese schreckliche Tragödie ... Wir befinden uns alle in furchtbarem Aufruhr. Eure Hoheit ...«

Der rote Schimmer, der Gar umgab, verblasste schnell. Auch waren Zorn und Leidenschaft aus seinem Gesicht gewichen und hatten nur Schmerz zurückgelassen. Er wirkte verwirrt. Sprachlos. »Mylords, ich glaube ... ich spüre ...« Ein gewaltiges Schaudern schüttelte ihn von Kopf bis Fuß, und er wurde totenbleich. »Barl hilf mir«, murmelte er und verdrehte die Augen.

Asher machte einen Satz und fing ihn auf, bevor er auf die Straße fallen konnte. »Gar!«

Der Prinz lastete wie ein nasser Sack auf ihm, er musste ihn trotz dessen Verwundungen und gebrochenen Knochen auf den Boden sacken lassen.

»Seine Hoheit sollte nicht hier sein«, sagte Asher zu Holze, als der Geistliche niederkniete und Gars unverletztes Handgelenk ergriff, um es warm zu reiben. »Er muss nach Hause gebracht werden.«

»Zuerst braucht er eine gute ärztliche Behandlung«, sagte Holze und sah sich um. »Conroyd ...?«

Ohne ein Wort trat Jarralt vor. Er ließ sich auf ein Knie fallen, schob die Arme unter Gar und stand mühelos wieder auf. Der Prinz lag jetzt an seine Brust gebettet.

»In die Kutsche mit ihm, Conroyd«, erklärte Holze, der mit Ashers Hilfe wieder auf die Beine kam. »Nix muss ihn so bald wie möglich untersuchen. Wir Übrigen werden uns mit einem der Wagen zufrieden geben müssen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Erfahrung uns nicht umbringen wird.« Als ihm bewusst wurde, was er gesagt hatte, zuckte er zusammen.

»Ihr werdet nicht mit ihm zurückfahren?«, fragte Asher überrascht.

Holze schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Zuerst müssen hier noch einige Dinge erledigt werden. Wir brauchen einen Schrein. Eine Gebetskerze. Ich habe alles Notwendige mitgebracht.«

Asher nickte. »Ich nehme an, Gar wird das zu schätzen wissen. Und der König.«

»Ja, hm ...« Einen Moment lang drohte frische Trauer aufzusteigen. Dann riss Holze sich zusammen und deutete auf Jarralt. »Was steht Ihr noch hier herum, Conroyd? Geht!«

Asher, der hinter ihnen her trottete, wartete, bis Gar sicher und schweigend in dem üppig gepolsterten Wagen saß, Conroyd Jarralt an seiner Seite. »Bringt Seine Hoheit in die Krankenstube des Palastes, Mylord«, sagte er, während die Kutschentür zwischen ihnen zugezogen wurde. »Ich schätze, Nix sitzt bereits auf glühenden Kohlen und wartet auf ihn.«

Jarralts gut geschnittenes Gesicht bestand nur aus scharfen Linien und glatten Flächen. Kalt. Distanziert. Wie das Flache Land in den Tiefen des Winters. »Ja. Ich vermute, das tut er.«

»Mylord ...« Asher zögerte, dann sprach er hastig weiter. »Ich kann nicht glauben, dass dies kein schrecklicher Unfall war, aber sollte Hauptmann Orrick zu anderen Ergebnissen kommen ... Ihr müsst es wissen. Gar trägt nicht die Verantwortung dafür.«

Eine Weile saß Jarralt in fortgesetztem Schweigen da. Dann drehte er den Kopf, gerade weit genug, und sah Asher direkt in die Augen. »Ich auch nicht.«

Asher nickte – und log. »Ich glaube Euch, Herr.«

Jarralts Blick war eisig genug, um einen Mann an Ort und Stelle festfrieren zu lassen. »Und was bringt Euch auf den Gedanken, es könne mich auch nur im Geringsten scheren, was Ihr glaubt oder nicht glaubt?« Er schlug mit der Hand gegen die bemalte Vertäfelung der Kutschentür. »Kutscher! Zum Turm!«

Pellen Orrick gesellte sich mitten auf der Straße zu Asher und tätschelte ihm die Schulter. Gemeinsam beobachteten sie, wie die von Glimmfeuer erleuchtete Kutsche um die erste Biegung der Straße verschwand. »Gut gemacht, Asher«, sagte er. »Ein unangenehmer Augenblick, elegant gerettet. Sollet Ihr des Lebens in des Prinzen Diensten jemals müde werden, könnte ich gewiss einen Platz in der Garde für Euch finden.«

»Ich muss gehen«, sagte Asher. Sein Kopf schmerzte so heftig, dass er glaubte, er werde explodieren. »Im Turm sind Leute, die sich fragen, was geschehen ist, und wahrscheinlich gehen sie inzwischen die Wände hoch. Was werdet Ihr wegen der Leichname unternehmen?«

»Heute Nacht?« Orrick zuckte mit den Schultern. »Nichts. Selbst mit Magie und Glimmfeuer ist es zu gefährlich, sie bei Dunkelheit zu bergen. Ich werde ein paar Männer hier lassen, um Wache zu halten, und selbst beim ersten Tageslicht mit Hilfe zurückkommen.«

Asher nickte vorsichtig. »Dann gibt es noch ein weiteres Problem. Habt Ihr an Matcher gedacht? Während wir hier miteinander reden, sitzen seine Frau und seine Familie zu Hause und erwarten, dass er jeden Augenblick durch die Tür tritt. Und dann sind da noch die Stallburschen des Palastes. Sie werden die Pferde vermissen.«

»Verdammt«, entfuhr es Pellen Orrick. »Ja. In Ordnung. Überlass das mir. Ich sorge dafür, dass sich einige erfahrene Leute darum kümmern. Und dafür sorgen, dass die Nachricht sich nicht herumspricht.«

»Schön«, sagte er erleichtert. »Dann werde ich mich jetzt mal auf den Weg machen. Wir werden uns irgendwann morgen sehen.«

Orrick nickte. »Ja, gewiss.«

Asher trottete davon. Cygnet war auf ängstliche Weise froh darüber, ihn zu sehen; er schnaubte und wieherte und stampfte ungeduldig mit den Hufen. Holze beschwor einen kleinen Ball Reiseglimmfeuer herauf, um seinen Heimweg zu erhellen, und segnete ihn mit unsicheren Händen.

»Ihr habt Barl heute gut gedient, junger Mann«, sagte der Geistliche, als Asher sich in den Sattel schwang. »Ich werde in meinen Gebeten Euer gedenken.«

Asher blickte auf ihn hinab und nickte. »Ich schätze, bis dieses Durcheinander geordnet ist, werden wir alle Gebete gebrauchen.«

»In der Tat«, erwiderte Holze nüchtern. »In der Tat.« Dann trat er zurück, während Asher Cygnet die Fersen in die Flanken bohrte und davongaloppierte.

Erst als er Jarralts in gemessenem Tempo fahrende Kutsche lange überholt hatte und fast wieder beim Turm angelangt war, wurde Asher bewusst, dass er die letzten Minuten damit verbracht hatte, einigen der mächtigsten Doranen im Königreich Befehle zu erteilen – und die Doranen hatten ihm gehorcht!

Als er endlich im Stallhof des Turms angelangt war und Cygnet Boonie überlassen hatte, damit dieser ihn gründlich abrieb und ihm Futter gab, fand er Matt mit der Behandlung eines Hengstes beschäftigt, der sich mit wilden Tritten aus einem Transportwagen befreit und sich dabei mit Splittern gespickt hatte. Ein Blick und ein Kopfschütteln waren alles, was er brauchte, um die schlimmen Neuigkeiten weiterzugeben. Matts Gesicht verlor an Farbe, und seine Hände zitterten ein wenig, während er einen weiteren Holzstachel aus dem Hals des verletzten Hengstes zog.

»Barl segne sie«, sagte er und warf den Splitter in die Schale zu seinen Füßen. »Wir werden später reden?«

»Ja«, antwortete Asher und wandte sich ab. »Später.«

Es war nur ein kurzer Weg von den Ställen zum Turm. Leer und benommen und voller Furcht vor den bevorstehenden Auseinandersetzungen, schleppte er sich über den Kies des Pfades und dachte, dass es vielleicht schön wäre, wenn ihn genau jetzt der Schlag träfe und er tot umfiele. Dann würde er die Vordertür des Turms nicht öffnen müssen. Würde nicht hineingehen müssen. Würde die Gesichter der Menschen nicht sehen müssen, die dort warteten, auf ihn, auf Neuigkeiten. Warteten, gesagt zu bekommen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, dass alles falscher Alarm gewesen war.

Sie warteten vergeblich.

Die Vordertüren des Turms standen einen Spaltbreit offen. Er holte tief Luft. Schlang die Finger um jeden der beiden Messinggriffe. Zog hart und trat ein.

»Ich habe alle nach Hause geschickt«, sagte Darran, während er sich von seinem Stuhl am Fuß der Treppe erhob. »Es schien mir sinnlos, sie stundenlang hier herumlungern zu lassen.«

»Sinnlos«, wiederholte Asher langsam und schob die Tür hinter sich zu. »Ja.«

Die Finger über seiner gewölbten Leibesmitte ineinander gefädelt, machte Darran drei Schritte vorwärts und blieb dann stehen. »Nun?« Jeder, der ihn nicht kannte, hätte geglaubt, er habe seine Gefühle vollkommen unter Kontrolle. »Ist er tot?«

Asher, der hilflos mitten in der leeren Halle stand, blinzelte. »Nein.« Mit einem Mal war er sehr müde. Er brauchte einen Stuhl. Waren heute Morgen nicht mehr Stühle hier gewesen? »Nur ein wenig gebeutelt. Jarralt bringt ihn jetzt zu Pother Nix.«

»Lord Jarralt«, verbesserte Darran ihn automatisch. »Asher?«

Er zwang sich, die herabgefallenen Lider zu öffnen. »Was?«

»Ist irgendjemand zu Tode gekommen?«

Er wandte sich ab. Der schrullige alte Narr würde durchdrehen, wenn er es erfuhr.

»Asher!«

Er drehte sich wieder um und schob die Hände in die Taschen. Er zwang sich, in Darrans ausgezehrtes Gesicht zu blicken. »Nicht Durm. Durm lebt. Oder zumindest lebte er noch, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe.« Er zuckte mit den Schultern. »Gerade noch.«

»Durm interessiert mich nicht«, erwiderte Darran.

»Das sollte er aber. Denn wenn er nicht durchkommt und für Gars Magie eintritt, schätze ich, stecken wir alle in einem üblen Schlamassel.«

Darran schien ihn kaum zu hören. »Wer noch? Ihr habt gesagt, Durm lebt. Sehr schön. Wer lebt sonst noch abgesehen von ihm und Gar?«

Es war das erste Mal, dass die alte Vogelscheuche von Gar als etwas anderem sprach als »der Prinz« oder »Seine Hoheit«. Der alte Mann hatte Angst.

Doch Asher hatte keine Kraft mehr, ihn zu schonen. »Niemand«, sagte er brutal. »Habt Ihr verstanden? Seine ganze Familie ist tot. Oh, und Matcher ebenfalls. Und die Pferde. Wir sollten die armen Pferde nicht vergessen, hm? Sie sind alle tot. Liegen in Stücken am Hang von Salberts Horst. Also, gab es sonst noch etwas, das Ihr wissen wolltet?«

Ein dünnes, ungläubiges Stöhnen entrang sich Darrans erschreckend blauen Lippen. Seine Finger lösten sich, und er griff sich an die Brust. Dann sackte er langsam auf die Knie.

Asher sprang auf ihn zu. »Wagt es nicht! Ihr Mistkerl, Ihr elender Tropf, Ihr dumme, schieläugige Krähe! Ihr werdet es, verdammt noch eins, nicht wagen!«