Die Tyrannin: Godspeaker - Band 3 - Karen Miller - E-Book
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Die Tyrannin: Godspeaker - Band 3 E-Book

Karen Miller

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Beschreibung

Kann Unterdrückung den Weg in die Freiheit ebnen? Der epische High-Fantasy-Roman »Die Tyrannin« von Karen Miller jetzt als eBook bei dotbooks. Eine dunkle Macht droht, ihr Volk ins Verderben zu stürzen … Königin Rhian von Ethrea steht vor dem Untergang: Ihr Vertrauen in ihre Mitstreiter ist erschüttert, Vasallen widersetzen sich ihrem Befehl und im Wüstenreich Mijak hat die mächtige Herrscherin Hekat geschworen, die Welt zu vernichten. Keiner der Regenten aus den umliegenden Reichen nimmt ihre Drohung ernst. Nur Han, der Herrscher eines mysteriösen Kriegervolks, schenkt Rhian Glauben. Während die blutdurstige Armee aus dem Wüstenreich zum ersten Schlag ausholt, drängt er Rhian zum Handeln – aber ist er wirklich ein Verbündeter? »Diese Frau schreibt mit der Wucht eines Dampfhammers und mit einer Fantasie, die den Lesern den Atem raubt.« Buchhändler heute Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das donnernde Finale der Godspeaker-Trilogie! Der High-Fantasy-Roman »Die Tyrannin« von Karen Miller. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1091

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Über dieses Buch:

Eine dunkle Macht droht, ihr Volk ins Verderben zu stürzen … Königin Rhian von Ethrea steht vor dem Untergang: Ihr Vertrauen in ihre Mitstreiter ist erschüttert, Vasallen widersetzen sich ihrem Befehl und im Wüstenreich Mijak hat die mächtige Herrscherin Hekat geschworen, die Welt zu vernichten. Keiner der Regenten aus den umliegenden Reichen nimmt ihre Drohung ernst. Nur Han, der Herrscher eines mysteriösen Kriegervolks, schenkt Rhian Glauben. Während die blutdurstige Armee aus dem Wüstenreich zum ersten Schlag ausholt, drängt er Rhian zum Handeln – aber ist er wirklich ein Verbündeter?

Über die Autorin:

Karen Miller wurde in Vancouver, Kanada geboren und lebt bereits seit ihrem zweiten Lebensjahr in Australien. Nachdem sie ihr Studium in Kommunikationswissenschaften abgeschlossen hatte, zog sie für drei Jahre nach England. Sie arbeitete in vielen verschiedenen Berufen, unter anderem als Pferdezüchterin. Inzwischen widmet sich Karen Miller in Sydney ganz dem Schreiben.

Karen Miller veröffentlichte bei dotbooks bereits die Godspeaker-Trilogie mit den Bänden »Die Herrscherin«, »Die Thronerbin« und »Die Tyrannin« und die Chroniken von Lur mit den Bänden »Der Erbe des Windes« und »Der König des Sturms«.

***

eBook-Neuausgabe Februar 2020

Copyright © der englischen Originalausgabe 2008 by Karen Miller

Die englische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Godspeaker 3: Hammer of God« bei bei HarperCollins, Australien.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2012 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

First published by HarperCollins Publishers, Sydney, Australia in English in 2008. This German edition published by arrangement with HarperCollins Publishers Pty Ltd.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: HildenDesign © hildendesign www.hildendesign.de Illustration: Veronika Wunderer

Map by Karen Miller and Darren Holt.

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96148-703-5

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Karen Miller

Die Tyrannin

Roman

Aus dem Englischen von Michaela Link

dotbooks.

Für Elaine, deren Freundschaft mich in Gang hielt, als das Gelände wirklich schwierig wurde.

ERSTER TEIL

ERSTES KAPITEL

»Dmitrak.«

Dmitrak hielt den Blick auf den eroberten Hafen von Jatharuj gerichtet, wo sich die Kriegsschiffe Mijaks dichter drängten als Zecken auf einer Ziege. Es war die Zeit des Hochsonnenopfers. Wie Ameisen schwärmten sie dort unten umher und sammelten Blut, seine Krieger, seine Sklaven und all die Gottessprecher, auf deren Verbleiben die Herrscherin bestanden hatte. Die Stadt war überreif und platzte aus allen Nähten. Die Hälfte ihrer überlebenden ursprünglichen Einwohner hatte man in andere eroberte Siedlungen geschickt, nur um Platz für Mijaks Kriegerschar zu schaffen.

Meine Kriegerschar. Ich bin ihr Kriegsfürst, sie gehört mir.

Er drehte sich nicht um. »Hoher Gottessprecher Vortka.«

»Kriegsfürst, du fehlst beim Opfer.«

Er zuckte die Achseln. »Genau wie du.«

Ein Seufzen. »Dmitrak ...«

»Hat die Herrscherin dich geschickt?«

»Der Gott schickt mich, Dmitrak.«

»Zu beschäftigt, um selbst zu kommen, Hoher Gottessprecher?«

»Dmitrak!« Vortkas Stimme war heiser vor Verärgerung. »Du bedarfst einer weiteren Züchtigung. Spuckst du dem Gott deshalb deine Worte ins Auge? Denkst du, Worte könnten den Gott blenden?«

Dmitrak fuhr so scharf herum, dass die silbernen Gottesglocken in seinen scharlachroten Gotteszöpfen aus dem Schlummer erwachten und Dmitraks Wut erklingen ließen. »Ich bin der Züchtigungen müde, Vortka. Ich werde keine weiteren dulden.«

»Es ist nicht an dir zu entscheiden, wer gezüchtigt wird, Kriegsfürst«, sagte der alte Mann streng. »Es ist nicht an dir zu sagen: ›Ich werde nicht zum Opfer kommen‹. Du bist der Kriegsfürst. Dein Platz ist am Altar, wenn der Gott sein Blut empfängt.«

Dmitrak wandte sich wieder dem weiten, seichten Hafen und dem noch weiteren Ozean dahinter zu. Ja, ich bin der Kriegsfürst. Ich bin der Hammer des Gottes, ich kann einen Gottessprecher niederstrecken, wenn das mein Wunsch ist. Sei vorsichtig, alter Mann. »Mein Platz ist da, wo ich sage, dass er ist.«

»Dein Platz ist da, wo der Gott dich hinstellt, Dmitrak«, erwiderte Vortka in kaltem Ton. »Seinem Wunsch gemäß bist du sein Hammer. Solange der Gott dich sieht und nicht länger.«

Alter Mann. Alter Narr. Wie die Herrscherin klammerte er sich an die Hoffnung, dass eines Tages der andere Hammer des Gottes zurückkehren würde.

»Zandakar ist fort, Vortka. Zandakar ist höchstwahrscheinlich tot. Ich bin der einzige Hammer auf der Welt.«

Er erstickte beinahe daran, den Namen laut auszusprechen. Allein schon der Gedanke an den Namen ließ die Welt rot schimmern. Zorn ließ seine Gottesglocken harsch aufheulen. Seine Haut fühlte sich heiß an, das Blut strömte ihm heiß durch die Adern.

Er war mein Bruder; er hat das Gesicht von mir abgewandt. Wie konnte er es wagen, das zu tun? Wie konnte er es wagen, das zu wagen?

Es war so viel Zeit verstrichen, und noch immer hätte er weinen und töten mögen, wenn er an Zandakar dachte.

»Er hat dich geliebt, Dmitrak«, sagte Vortka. Seine Stimme war brüchig und stockte vor Schmerz. »Dein Bruder hat dich geliebt. Wie kannst du daran zweifeln? Die Welt hat seine Liebe gesehen. Er hat dich im Auge des Gottes geliebt.«

Warum sollte Vortka so etwas sagen? Dachte er, es würde den Kriegsfürsten Dmitrak freuen, über Zandakar zu reden? Er hatte noch nie zuvor etwas Derartiges gesagt, sie hatten nie über Zandakar gesprochen. Niemand wagte es, in seiner Hörweite von Zandakar zu sprechen.

Du verteidigst ihn, Vortka? Du verteidigst ihn dem Mann gegenüber, dem er das schlimmste Unrecht getan hat? Tze, du bist blind, du erzählst dir selbst Lügen.

Vortkas Verteidigung des verräterischen Zandakar stachelte ihn zum Sprechen an, wo Schweigen besser gewesen wäre. »Er hat seine stinkende, gescheckte Hündin mehr geliebt.«

»Und deshalb hast du versucht, ihn zu töten?«, fragte Vortka, wieder wütend. »Aieee, Kriegsfürst, du verstehst nicht. Ein Mann kann einen Bruder und auch eine Ehefrau lieben. Selbst wenn ...« Er seufzte, ein Laut des Kummers. »Selbst wenn die Ehefrau ein Fehler war. Er hat diese falsche Frau geliebt, er hat nicht aufgehört, dich zu lieben. Er hat mich angefleht, der Herrscherin niemals zu erzählen, dass du einen Anschlag auf sein Leben verübt hast, er hat zu jeder Hochsonne, da meine Hand ihn festhielt, von dir gesprochen. Voller Trauer und Verzweiflung, manchmal nahe daran, den Verstand zu verlieren, hat er trotzdem noch an dich gedacht. Kriegsfürst, du solltest ein weicheres Herz haben.«

Dmitrak hob den rechten Arm und ballte seine aus Gold und Kristall bestehenden Finger zur Faust. Beschwor die Macht herauf, so dass die blutroten Steine glühten. »Du solltest deine Altmännerzunge hüten, ich werde sie in deinem Mund verbrennen, wenn du meinen Rat nicht befolgst.«

»Dmitrak ...«

Vortka klang wieder bedauernd. Aber es schwang ein Hauch von Furcht mit. Gut.

»Du kannst nicht bis in alle Ewigkeit hassen«, sagte der törichte alte Mann. »Hass wird dein Herz verdorren lassen, er wird deinen Gottesfunken vergiften.«

Dmitrak schnitt im Wind eine Grimasse. Der Hohe Gottessprecher irrte sich, Hass war machtvoller als der Dattelwein aus Icthia. Hass füllte den Bauch eines Mannes, er stärkte seine Knochen.

»Tze, Vortka, du bist dumm. Der Gott hasst. Der Gott hasst seine Feinde und züchtigt sie, um sie zu schlagen, der Gott hasst Dämonen und Schwächlinge. Ich bin sein Hammer, dazu geboren, sie zu brechen.«

»Der Gott hasst seine Feinde, ja«, pflichtete Vortka ihm bei. »Wenn wir den Gott in unseren Herzen sehen, müssen wir seine Feinde ebenfalls hassen, das ist wahr. Dmitrak, Zandakar war niemals dein Feind.«

Schon wieder Zandakar! Brannte der alte Mann darauf, seine Zunge zu verlieren? »Habe ich dich gebeten, hierher zu kommen und deine Zähne an diesem Namen zu wetzen? Ich denke, das habe ich nicht getan, Vortka. Ich denke, du denkst, ich werde dich nicht strafen. Ich werde es tun.«

»Du strafst, wo der Gott es will, du strafst nirgendwo sonst«, sagte Vortka, nun wieder streng. »Du bist Kriegsfürst, du hast Macht, du hast weniger Macht als der Gott. Ich bin der Hohe Gottessprecher Vortka, ich bin im Auge des Gottes. Du wirst mich nicht strafen, Dmitrak.«

Er schaute über seine Schulter. »Nein? Warum hast du dann Angst?«

Vortka begegnete seinem Blick ohne einen Wimpernschlag. »Warum hast du Angst, wenn Zandakar fort ist?«

Ein heißer Schmerz durchzuckte ihn. Manchmal des Nachts, wenn er nicht gesättigt war von weiblichem Fleisch oder Dattelwein, träumte er von seinem Bruder, von den Tagen, da sie Freunde waren. Er erinnerte sich an Gelächter und Pferderennen und das Gefühl einer starken, warmen Hand in seinem Nacken. Manchmal erwachte er mit tränennassen Augen aus diesen Träumen.

Schwache Männer weinen, ich bin nicht schwach. Ich bin Kriegsfürst Dmitrak, der Hammer des Gottes, der Untergang von Dämonen.

Er bewegte sich, bis er seitlich zum Hafen stand. »Wann sagt der Gott, dass wir von Jatharuj zu dieser Insel namens Ethrea segeln müssen?«

»Noch nicht«, erwiderte Vortka.

Noch nicht. Immer dieselbe Antwort. »Die Sklavenseeleute reden von Passatwinden, sie sagen, die Passatwinde seien schwach. Sie sollten nicht schwach sein. Was sagt der Gott dir im Gottesteich, Vortka? Warum verlieren die Passatwinde ihre Stärke? Wir können nicht zu diesem Ethrea segeln, wenn die Winde zu schwach sind, um unsere Segel zu füllen. Die Sklaven können dort nicht hinrudern, sie werden in ihren Ketten sterben.«

»Der Gottesteich ist Sache der Gottessprecher, Dmitrak«, entgegnete Vortka. »Es ist nicht an dir zu fragen oder an mir zu antworten.«

Und was bedeutete das? Wusste Vortka es nicht? Sagte der Gott ihm nicht, warum die Winde schwach geworden waren?

Wenn Zandakar ihn gefragt hätte, hätte Vortka geantwortet.

»Meine Kriegerschar wird rastlos, Hoher Gottessprecher«, sagte er und stieß den sauren Gedanken beiseite. »Icthia ist erobert. Die Länder dahinter sind erobert. Die Welt liegt vor uns, dort draußen ...« Er deutete mit einer weit ausholenden Armbewegung auf den sich sanft wiegenden Ozean. »Meine Kriegerschar übt von Neusonne bis Tiefsonne, sie kennt diese Boote, Vortka, sie weiß, wie man segelt. Wir sind in der Welt, um für den Gott Dämonen zu töten, es gibt Dämonen in Ethrea. Warum sind wir noch hier?«

Vortkas Gotteszöpfe waren so silbern wie seine Gottesglocken, sie waren beschwert von Amuletten, so dass sein Kopf ebenfalls schwer war. Sein Skorpionpanzer umklammerte Rippen, die ohne Fleisch waren. Er war ein alter Mann, älter als die Herrscherin, aber er besaß eine Alterslosigkeit, als könne er niemals sterben.

Er würde sterben, wenn ich ihn tötete, wenn der Hammer ihn schlüge, würde er sterben.

Vortkas eingefallene Augen funkelten vor Zorn. »Dmitrak, du führst den Gott in Versuchung, dich schwer zu schlagen. Du bist sein Hammer, du stellst keine Forderungen. Die Kriegerschar ist in Jatharuj, bis der Gott sagt, sie sei es nicht mehr. Sagst du, du wirst dem Gott erklären, was er begehrt?« Seine Hand schnellte vor. »Tze! Du sündhafter Junge!«

Dmitrak starrte ihn an, und sein Gesicht brannte von dem Schlag. Er brauchte nicht hinzuschauen, um zu wissen, dass sein Panzerhandschuh Feuer gefangen hatte, dass Macht von seinem Blut zu den roten Steinen pulsierte, sie glühen ließ und in ihnen die Sehnsucht nach Tod weckte.

Warum darf er mich schlagen, wenn ich nicht zurückschlagen darf?

Plötzlich war er wieder ein Kind, das vor der Herrscherin kauerte, seiner Mutter, und seine Wangen brannten von ihren achtlosen Schlägen, weil er in den hotas zu langsam tanzte, weil er nicht gerade auf seinem Pony saß, weil – weil ...

Weil ich Dmitrak bin und nicht Zandakar.

»Dmitrak ...«

Der Zorn auf Vortkas gefurchtem Gesicht war erstorben, die Hitze in seinen dunklen Augen hatte sich abgekühlt, und an ihre Stelle war – war – Mitleid getreten.

»Du bist der Hammer des Gottes, du bist im Auge des Gottes«, sagte Vortka. »Du dienst dem Gott, du dienst ihm gut, führe ihn nicht in Versuchung, dich zu schlagen. Lass dich nicht von Wut in die Irre führen, Dmitrak. Die Herrscherin braucht dich. Sie wird es nicht zugeben.« Aieee, Gott, der Skorpionschmerz in ihm. Ich bin ein erwachsener Mann, ich brauche keine Hündin von einer Herrscherin, die mich braucht. Er ließ den Panzerhandschuh abkühlen und zog die brennende Macht zurück in sich selbst hinein. Ich brauche keinen Bruder, ich brauche niemanden. Ich bin der Hammer.

»Kriegsfürst Dmitrak«, sagte Vortka. »Die Kriegerschar schaut auf dich, du bist ihr Vater und ihre Mutter und ihr Bruder. Du musst zum Opfer kommen, du musst zur Züchtigung niederknien, du musst Mijaks Kriegsfürst sein, so wie Raklion vor dir Kriegsfürst war.«

Er spürte, wie seine Lippen schmal wurden und sich zu einem Hohngrinsen verzogen. »Nicht Zandakar?«

»Zandakar ...« Vortka schaute weg, zum Ozean hinüber, zum Horizont an seinem fernen Rand. Entsetzliches Leid zeichnete sich in seinen alten Zügen ab. »Dein Bruder hat seinen Weg verloren, Dmitrak. Er war ein großer Kriegsfürst, bis er es nicht mehr war, und als er es nicht war, hat der Gott ihn für seine Sünden gestraft. Er kennt keine Gnade für menschliche Schwächen. Sündhafte Männer sterben, wie viele Male habe ich das gesehen? Sündhafte Männer werden gebrochen, der Gott hämmert sie in Stücke. Bist du dumm, Dmitrak? Denkst du, der Gott wird dich nicht hämmern?«

Wenn er Nein sagte, würde Vortka ihn abermals schlagen. Vortka war nicht Nagarak, grimmige Geschichten von Nagarak lebten noch weit über dessen Tod hinaus, aber trotzdem war Vortka auf seine eigene Art grimmig. Er war grimmig für die Herrscherin, er atmete die Luft für sie und für Mijak.

Er wird sich immer für sie entscheiden, er wird niemals sehen, dass sie verbraucht ist. Er ist geblendet von Hekat. Er ist geblendet von Liebe. Denkt er, ich sei blind und könne es nicht sehen? Zandakar war blind, Vortka ist blind, Liebe ist ein Ding, das blind macht. Ich behalte meine Augen.

»Wann habe ich dem Gott nicht gedient, Vortka?«, fragte er scharf. »Städte sind Schutt, weil ich dem Gott diene. Blut fließt in Strömen, weil ich dem Gott diene. Mein Blut kocht und verbrennt mich, weil ich dem Gott diene. Ich schwitze von Neusonne bis Tiefsonne, weil ich dem Gott diene. Ich lebe in seinem Auge, der Gott ist alles, was ich sehe. Aber du stehst da und sagst, ich diene ihm nicht? Tze!«

Vortka sah ihn ruhig an, die Hände entspannt an seinen Schenkeln. Im hellen Sonnenschein glänzte sein Skorpionpanzer. »Du dienst dem Gott nicht, wenn du dich vom Opfer fernhältst, Dmitrak. Du dienst dem Gott nicht, wenn du sagst: ›Ich werde mich nicht züchtigen lassen.‹ Schmerz hält dein Herz rein. Schmerz reinigt deinen Gottesfunken von Sünde. Schmerz hält dich im Auge des Gottes, er sieht deinen Schmerz und kennt deinen Gehorsam. In deinen Schreien hört er deine Liebe.«

Er hatte bei der Züchtigung so oft geschrien, dass der Gott an seiner Liebe inzwischen zugrunde gegangen sein sollte. Er war seit seiner frühesten Knabenzeit häufiger gezüchtigt worden, als er zählen konnte. Er atmete zu tief, zu oft, und die Herrscherin schickte ihn zur Züchtigung. Er tanzte zu schnell, zu langsam, und die Herrscherin schickte ihn zur Züchtigung. Er sprach zu laut ... er sprach überhaupt ... und die Herrscherin schickte ihn zur Züchtigung.

Wenn ich im Gotteshaus gestorben wäre, hätte sie keine Träne vergossen.

Das sollte ohne Belang sein, es sollte ihn nicht scheren, ob es sie scherte. Und doch war es ihm wichtig, und es verbrannte ihn, so wie die Macht des Gottes ihn verbrannte, wenn er seinen Panzerhandschuh in Brand steckte.

»Wenn du zur Züchtigung niederkniest«, sagte Vortka, »sieht deine Kriegerschar, dass du dem Gott dienst, deine Krieger wissen, dass ihr Kriegsfürst gesehen wird, sie wissen, dass ihr Kriegsfürst im Auge des Gottes ist. Kannst du in mein Auge blicken, Dmitrak, und mir sagen, dass es keine Rolle spielt?«

Aieee, tze, es spielte eine Rolle. Es spielte eine Rolle, aber er hasste es. »Wenn sie wahrhaft meine Krieger sind, wissen sie, dass ich ihr Kriegsfürst bin, sie wissen, dass der Gott mich sieht«, gab er zurück. »Bin ich ein Kind oder ein Sklave, dass ich geschlagen werden muss, Vortka? Ich denke, das bin ich nicht. Züchtige die Herrscherin, nicht mich.«

»Der Gott züchtigt die Herrscherin jeden Tag, Dmitrak«, sagte Vortka. »Das ist die Angelegenheit des Gottes und meine, du musst an deine eigenen Angelegenheiten denken. Die Kriegerschar wird nicht für immer in Jatharuj verweilen. Willst du nach Ethrea segeln, wenn dein Gottesfunke in Zweifel steht?«

Als er ein Kind war, hatten die Gottessprecher ihn gezüchtigt, nicht freundlich, aber in dem Wissen, dass er ein Kind war. Er war jetzt ein Mann, er war der Kriegsfürst, er war der Hammer des Gottes. Die Gottessprecher dachten, er werde nicht brechen.

Bei jeder Züchtigung hatte er Angst, er könne beweisen, dass sie sich irrten.

Er wandte sich von Vortka ab und starrte auf die dicht an dicht liegenden Boote, auf das sonnenbeschienene Wasser, auf die hin und her huschenden ameisengleichen Männer. Das Hochsonnenopfer war dargebracht worden. Jetzt lag in der salzigen Brise der an Eisen gemahnende Geschmack von frischem Blut. Seine Kriegerschar würde seiner harren, sie musste üben, sie durfte nicht müßig bleiben. Zumindest in diesem Punkt hatte die Herrscherin Recht.

Vortka hatte ebenfalls Recht, obwohl es ihn erzürnte, das zu denken. Die Kriegerschar ist eine Bestie, sie muss meiner Faust zahm bleiben. Sie musste Vertrauen in ihn haben, musste an ihn glauben. Sie musste ohne den Schatten eines Zweifels daran glauben, dass er im Auge des Gottes war. Er drehte sich wieder um. »Nein, Hoher Gottessprecher«, gab er widerstrebend zu. »Ich will nicht nach Ethrea segeln, während mein Gottesfunke in Zweifel steht.«

»Dann wirst du zum Tiefsonnenopfer kommen, Kriegsfürst«, sagte Vortka, mit der Stimme, die er für die Verkündigungen des Gottes benutzte. »Und nachdem du Blut für den Gott getrunken hast, wirst du für die Gottessprecher niederknien, damit sie dich züchtigen. Du bist die Hoffnung des Gottes gegen die Dämonen, die die Welt verseuchen. Du bist die Hoffnung der Herrscherin. Du darfst nicht versagen.«

Er starrte den Hohen Gottessprecher von oben herab an. »Versagen? Ich bin Kriegsfürst Dmitrak, ich bin der Hammer des Gottes. Wo Zandakar seinen Weg verloren hat, bin ich stark geblieben.«

Vortka nickte abermals, und seine Miene war vorsichtig. »Das ist richtig.« Wie ein Fisch in trübem Wasser regte sich erneut Mitleid in seinen Augen. »Aber wahre Stärke liegt in dem Wissen, wann man sich beugen muss, bevor man bricht, Kriegsfürst. Du hast Stolz, er hat dich gerettet. Er wird dich vielleicht nicht für immer retten.«

Warum scherst du dich darum, Hoher Gottessprecher? Du liebst Zandakar, du liebst Hekat. Du liebst nicht mich.

Er runzelte die Stirn. »Ja, Vortka.«

Vortka schaute sich auf dem kahlen Gipfel des Hügels um, auf dem sie standen. Jetzt war sein Gesichtsausdruck verwirrt, als suche er nach etwas. Der Himmel war über ihnen, der Hafen unter ihnen. Vor ihnen erstreckte sich der Ozean, blau und tief, die größte Prüfung, die der Gott seinen Auserwählten geschickt hatte. Was war eine Wüste aus Sand, wenn die Welt Wüsten aus Wasser enthielt, um sie zu ertränken?

»Was tust du hier, Kriegsfürst Dmitrak?«, fragte Vortka, der jetzt beinahe flüsterte. »Warum kommst du so oft auf diesen Hügel?«

Er war weit entfernt von der Stadt. Es war trockenes Land, kein Wasser. Die Brise war kühl, sie besänftigte seine Haut. Sie ließ seine Gottesglocken singen wie süße Vögel. Bis vor kurzem war die Herrscherin hierhergekommen, dieser Hügel gefiel ihr, aber sie kam nicht länger. Der Weg war zu anstrengend. Sie brauchte Ruhe.

Aber ich kann hier stehen, Vortka. Ich kann stehen, wo sie stehen will, ich kann sehen, was sie nicht sehen kann. Was ich hier habe, begehrt sie, sie kann es nicht haben, ich siege.

Ich siege, Vortka. Warum sonst sollte ich hierherkommen?

Er lächelte. »Ich werde zum Tiefsonnenopfer kommen, Vortka. Ich bin der Kriegsfürst, ich gebe dir mein Wort. Wenn das Opfer beendet ist, werde ich vor deinen Gottessprechern niederknien, ich werde ihnen erlauben, mich zu züchtigen. Ich bin der Hammer des Gottes. Ich diene dem Gott.«

In der Stille starrte Vortka ihn an. Kein Mitleid in seinen Augen, keine Verwirrung oder Vorsicht oder herrliche Furcht. Seine Augen sind leer. Ich vertraue leeren Augen nicht.

»Der Gott sieht dich, Kriegsfürst«, sagte der Hohe Gottessprecher Vortka. »Der Gott sieht Mijak in der Welt.«

Er ging davon. Beunruhigt schaute Dmitrak ihm nach, bis der alte Mann auf dem Hang des steilen Hügels außer Sicht war. Dann drehte er sich wieder zum Hafen um, zu dem blauen Wasser, der nassen Wüste, die er für den Gott durchqueren musste. In seiner Magengrube ballte sich ein Knoten der Furcht zusammen. Unbarmherzig tötete er ihn.

Ich bin der Kriegsfürst, was bedeutet mir Furcht? Sie ist nichts, sie ist unbekannt, Furcht gehört meinen Feinden. Ich habe keine Angst.

Unten in der Stadt befand sich ein Pferch voller alter, kranker oder verkrüppelter Sklaven, die nicht länger arbeiten konnten. Die Herrscherin begehrte sie, ihr Blut barg große Macht, aber er würde sie sich zuerst holen. Er würde sie ihr vorenthalten. Sie sagte, die Kriegerschar dürfe nicht müßig sein, und sie war nicht müßig, seine Krieger würden ihre Schlangenklingen an den Knochen nutzloser Sklaven schärfen. Krieger, deren Klingen nicht oft Blut tranken, waren Krieger, deren Gottesfunken in der Sonne verwitterten.

Wie kann sie mich strafen? Ihren eigenen Worten nach habe ich Recht.

Schon konnte er spüren, wie seine Schlangenklinge in Fleisch biss, wie sie Knochen trennte. Er konnte den Nektar frischen Blutes riechen, konnte ihn kosten, wie er heiß spritzte, Eisen auf seiner Zunge, seiner durstigen Haut. Er konnte den Gesang seiner Kriegerschar hören, konnte das verdrossene Gesicht der Herrscherin sehen, die wusste, dass sie gegen ihn verloren hatte, wusste, dass er Recht hatte.

Die Brise auf dem Gipfel wurde kräftiger, seine Gottesglocken sangen in der Stille. Sie sangen zu seinem Ruhm, sie sangen zu Kriegsfürst Dmitrak, dem Gotteshammer Dmitrak, dem Krieger Dmitrak in der Welt.

Er warf den Kopf zurück. Er lachte und lachte.

Als Vortka in die Stadt zurückkehrte, bemerkte er die Gottessprecher kaum, die sich vor ihm verneigten, die Krieger, die sich mit der Faust auf die Brust schlugen, die Angst der Sklaven, während sie sich mit dem Gesicht nach unten in den Sand warfen, ins Gras, aufs Pflaster. Er roch das frische Opfer kaum, das Salz in der auffrischenden Brise, er beachtete die Münzen in den Gottesschalen vor den Gottespfosten dieser Straße nicht. Er eilte auf der Suche nach dem Gott in sein Gotteshaus.

Obwohl es über der Stadt lag, beherrschte das Gotteshaus von Jatharuj den Ort nicht so wie das Gotteshaus auf Raklions Zinne. Bevor Mijak gekommen war, um die Stadt zu reinigen, war das Gebäude das Heim eines Beamten gewesen. Er war jetzt tot, seine Knochen in der Sonne ausgebleicht. Ein Gottespfahl ragte auf dem Dach des Gotteshauses auf, er warf einen langen Schatten über den Hügel von Jatharuj. Aus dem Gotteshaus waren die weichen Möbel Jatharujs weggeschafft worden, zerbrochen und verbrannt, sie gefielen dem Gott nicht. Der Baderaum im Haus war in einen Gottesteich verwandelt worden, sein Blut wurde bei den Opfern gesammelt und in den steinernen Zisternen tief unter dem heißen Boden aufbewahrt.

Vortka rief drei Novizen herbei, nachdem er das Gotteshaus betreten hatte. »Füllt den Gottesteich«, wies er sie an. »Ich werde jetzt den Gott suchen.«

Während er darauf wartete, dass sie ihre Aufgabe erledigten, stand er auf dem Balkon an der vorderen Seite des Gotteshauses. In Kleinigkeiten erinnerte er ihn an Hekats Palastbalkon in Et-Raklion. Die Aussicht vielleicht oder die saubere Luft. Das Gefühl von Höhe und Freiheit. In Et-Raklion war der Palast von einem Meer aus Grün, Feldern und Weingärten und offenem Land umgeben. Hier war das Meer blau, es war ein Ozean, er erstreckte sich noch weiter als die grünen Länder Et-Raklions. Vortka vermisste Et-Raklion.

Er starrte auf den Hafen, aber statt die dicht an dicht liegenden Kriegsgaleeren der Kriegerschar zu sehen, sah er Dmitrak. Er sah das wütende Gesicht des Kriegsfürsten.

Aieee, Gott, er beunruhigt mich. Er ist ein Knabe im Körper eines Mannes, sein Gottesfunken ist voller Narben. Wenn ich ihn preise, ist er argwöhnisch, wenn ich ihn tadele, will er mich tot sehen. Irgendwie muss ich ihn erreichen. Wie kann ich ihn erreichen? Er lebt allein in seinem Herzen. Ohne Zandakar ist er verloren.

Ein schrecklicher Gedanke, da Zandakar fort war. Dmitrak sagte, er sei wahrscheinlich tot, und es war in der Tat wahrscheinlich, obwohl Hekat sich an ihre Hoffnung klammerte. Hekat klammerte sich so fest an Zandakar, dass sie den Sohn, der vor ihr stand, nicht sah.

Sie hat ihn nie gesehen, bis auf die Dinge, die sie hassen konnte. Bei jeder Hochsonne hasst sie ihn, bei jeder Hochsonne werden seine Narben dicker, aber sie bewahren ihn nicht vor Schmerz. Aieee, Gott, dies ist ein Durcheinander, hast du es so gewollt? Ist es so richtig?

Nach dem Gottesteich musste er zur Herrscherin gehen. Wenn Dmitrak wütend war, war Hekat außer sich. Die Passatwinde waren träge, er konnte ihr nicht sagen, warum. Sie drohte mit einem Gemetzel wie dem Gemetzel in dieser Wüste hinter ihnen, der, die Hekats erstes menschliches Blut getrunken hatte. Er beobachtete, wie seine Finger sich um das Geländer des Balkons spannten, vor seinem inneren Auge färbte sich der Ozean scharlachrot und stank.

Wie sehr ich mir wünschte, sie hätte niemals die Macht von menschlichem Blut kennengelernt. Warum hast du sie ihr gezeigt, Gott? Sie ist etwas Schreckliches.

Zweifellos war auch dieser Gedanke schrecklich, aber wie konnte er es verhindern? Es war eine Sache, Tiere zu opfern. Das war geziemend, sie lebten, auf dass sie starben. Aber Menschen abzuschlachten, selbst Sklaven, selbst jene verdorbenen Gottesfunken, die nicht im Auge des Gottes lebten, sie abzuschlachten, auch wenn sie keine Verbrecher waren ... Mijak war in der Welt für den Gott. Welchem Zweck wurde gedient, indem man tötete, wenn der Gott lebendige Männer und Frauen brauchte, um ihn zu rühmen?

Wenn Zandakar hier wäre, könnte er sie daran hindern, Menschen zu opfern, ihre Liebe zu ihm war das einzig Weiche in ihr. Zandakar ... Zandakar ... warum bist du vom Weg abgekommen?

Trauer war eine Schlangenklinge, die in seinem Herzen steckte. Wann immer er an seinen Sohn dachte, drehte die Klinge sich, und er blutete innerlich, blutete Tränen, blutete Verzweiflung, blutete Furcht, dass sie einander nie wiedersehen würden.

Wenn er tot wäre, würde ich es gewiss spüren. Wenn mein Sohn tot wäre, würde der Gott es mir in meinem zerschnittenen und blutenden Herzen sagen.

»Hoher Gottessprecher?«, fragte Novize Anchiko hinter ihm. »Der Gottesteich ist gefüllt.«

Er wartete einen Moment, bevor er sich umdrehte, damit die Brise sein Gesicht trocknen konnte. »Gut. Kehre zu deinen Pflichten zurück.«

Anchiko verneigte sich und zog sich zurück. Vortka schaute ihm nach, während er durch den Flur des Gotteshauses ging; seine Robe aus grob gesponnener Wolle wies an manchen Stellen scharlachrote Spritzer auf.

Ich war auch einmal so jung, ich hatte die gleiche Angst vor meinem furchteinflößenden Hohen Gottessprecher. Ich bin nicht Nagarak, ich werde nicht fett von der Angst von Novizen, doch sie fürchten mich dennoch. Ich habe nie davon geträumt, dass dies ich sein würde, ich habe nie um diese Macht gebeten. Jahreszeiten verstreichen, so viele Jahreszeiten, und ich verstehe den Gott immer weniger und weniger.

Vielleicht würde er im Gottesteich eine Antwort erhalten.

Die Novizen waren gut ausgebildet, alles war bereit für ihn in dem gekachelten Raum, den sie dem Gott geschenkt hatten. Es war ein Glück, dass der Beamte aus Jatharuj Luxus geliebt hatte. Das in den Boden eingelassene Bad war verschwenderisch, groß genug für fünf ausgewachsene Männer. Jedoch klein für einen Gottesteich, schäbig im Vergleich zu dem Gottesteich im Gotteshaus auf Raklions Zinne, aber seinen Zwecken genügte es.

In der Luft in dem gekachelten Raum hing schwer der Duft von Blut. Vortka zog sich bis auf die Haut aus und legte seinen steinernen Skorpionpanzer vorsichtig auf den gekachelten Boden. Der Panzer war seit so vielen Jahreszeiten nicht mehr erwacht, zu jeder Hochsonne betete er, er möge nicht wiedererwachen.

Das Blut im Gottesteich war kühl und klebrig; es stand kurz davor zu verwesen. Dieses Icthia war nicht wie Et-Raklion, wo die Bauernhöfe des Gotteshauses ungezählte heilige Tiere für das Opfer züchteten. Es gab hier weniger Blut, es musste gehortet werden, aufbewahrt, bis es den Punkt erreichte, an dem es stank. Er spürte, wie seine Haut vor der Berührung des Blutes zurückweichen wollte. Der Gestank verklebte ihm Mund und Nase, bedeckte seine Zunge mit Übelkeit. Als das Blut sich über seinem Kopf schloss, wollte sich ein Schluchzen seiner Kehle entrinnen.

Vergib mir, Gott, vergib diesem sündhaften Mann in deinem Auge.

In der dunklen Röte des Gottesteichs, wo er nicht richtig gehen, sondern nur kriechen konnte, öffnete er dem Gott sein Herz und seinen Geist.

Wir sitzen in Icthia gefangen, Gott, wir sind gefangen in Jatharuj. Ist dies dein Werk, oder erheben sich Dämonen gegen dich? Wir sitzen in deinem Auge, wir warten auf dein Begehren, was ist es, das du willst? Hat Hekat Recht, müssen wir mehr Sklaven opfern, um die Macht der Dämonen über die Passatwinde zu brechen? Oder hältst du dich zu irgendeinem anderen Zweck von uns fern? Ich bin hier, Gott, im Gottesteich, der Hohe Gottessprecher Vortka, dein Diener in der Welt. Ich trachte danach, deinen Willen zu erfahren, sprich zu mir, auf dass ich dir gehorchen kann, ich habe dir mein Leben lang gehorcht.

Sein Schlangenklingenherz blieb still. Er spürte, wie hinter seinen geschlossenen Lidern Tränen aufstiegen, spürte, wie sie in seiner Brust anschwollen und sein Herz vor Schmerz pulsieren ließen.

Warum schweigst du, Gott? Habe ich dir missfallen? Habe ich gesündigt, indem ich Zandakar gerettet habe? Hätte ich Dmitrak erlauben sollen, ihn zu töten?

Seine Lippen waren fest zusammengepresst gegen das stinkende Blut, er schluchzte in seiner Kehle, ließ aber keinen Laut entweichen. Wie hätte er das tun können, wie hätte er seinen Sohn Nagaraks verderbtem Sohn geben können, damit dieser ihn tötete?

Friede, Vortka. Du hast nicht gesündigt. Zandakar lebt, es ist ihm bestimmt zu leben. Sage es niemandem, sein Leben liegt in deinen Händen.

Dann schluchzte er doch, und das ranzige Blut quoll ihm in den Mund. Würgend mühte er sich, bei dem Gott zu bleiben, seine schwache Stimme zu hören.

Keine menschlichen Opfer mehr, Vortka. Der Wind ist der Wind, er wird kommen, wenn er kommt. Sei geduldig. Sei geleitet. Dein Herz kennt den wahren Pfad.

Da brach er doch aus dem Gottesteich hervor, er musste aus dem Teich herausbrechen oder ertrinken. Hustend und mit rudernden Armen klammerte er sich, immer noch würgend, an die gekachelten Seiten des Bades.

Die Tür des Gottesteichs wurde geöffnet, und ein Novize schaute herein. »Hoher Gottessprecher? Hoher Gottessprecher!«

Sie lauschten draußen vor diesem gekachelten Raum? Obwohl er ihnen gesagt hatte, sie sollten ihn allein lassen, hatten sie verweilt? Sie hatten sich seinem Befehl widersetzt?

»Habe ich eure Gegenwart erbeten?«, knurrte er. »Ich denke, das habe ich nicht!«

Es war eine andere Novizin, nicht Anchiko, es war ein Mädchen, und ihr Name war – war – Rinka. »Vergib mir, Hoher Gottessprecher«, flüsterte sie. »Ich habe ein Geräusch gehört, als ich vorbeikam.«

Erschöpft klammerte er sich an die dunkelblauen Kacheln. Seine Knochen schmerzten, seine Muskeln zitterten, sein Herz hämmerte wie eine abgenutzte Trommel. Das heilige Blut tropfte langsam, sein Gestank würde für viele Hochsonnen verweilen. Leise wispernd, die Stimme des Gottes.

Dein Herz kennt den wahren Pfad.

Und doch fühlte er sich so unwissend wie ein Novize.

Rinkas dunkle Augen waren groß und verängstigt, sie kniete am Rand des Gottesteichs und starrte Vortka an. »Hoher Gottessprecher Vortka, soll ich nach einem Heiler schicken?«

Nach einem Heiler? Nein. Er war bereits geheilt, der Schlangenklingenschmerz war aus seinem Herzen verschwunden. Zandakar lebt. »Ich bedarf keiner Heilung, Novizin«, erklärte er. Seine Stimme war ein harsches Keuchen. »Du darfst mir behilflich sein, ich muss mit der Herrscherin sprechen. Ich muss mich reinigen und frische Roben anlegen. Hilf mir aus dem Teich.«

Vor so langer Zeit hatte Hekat seinen Körper geritten, sie hatte ihn geritten, bis er Samen vergoss, und gemeinsam hatten sie Zandakar gemacht. Der Körper dieses Vortkas war jung und stark gewesen, er war erwacht unter der Berührung der jungen Hekat, er hatte sich nach Gefühlen gesehnt. Jetzt stand er nackt unter dem Wasser, das aus dem Hahn in der Ecke spritzte, die junge Berührung Rinkas befreite ihn von Blut, und er fühlte nichts. Er war ein Mann aus Stein, unbewegt.

In seinen hassenden Augen nennt Dmitrak mich einen alten Mann, er hat Recht. Ich bin alt. Ich bin verwelkt. Ich bin für den Gott vertrocknet. Spielt es eine Rolle? Ich denke, das tut es nicht. Zandakar lebt.

»Hoher Gottessprecher?«, fragte Rinka zögernd.

Er tat so, als seien seine Tränen Wasser aus dem Hahn, er tat so, als wolle er nicht sein Glück herausschluchzen. »Du darfst mich allein lassen«, sagte er. »Kehre zu deinen Aufgaben zurück.«

Sie wollte ihn nicht allein lassen, ihre Augen waren voller Sorge, aber er war der Hohe Gottessprecher. Ihm den Gehorsam zu verweigern, bedeutete zu sterben. Also ging sie und schloss die Tür hinter sich.

Er war allein, er ließ sich gegen die kühlen Kacheln sinken. Ich bin der Hohe Gottessprecher, der Gott hat im Gottesteich gesprochen. Jetzt muss ich Hekat sagen, dass sie die Passatwinde nicht heraufbeschwören kann. Aieee, Gott. Die Aufgaben, die du stellst.

Es war keiner von Hekats guten Tagen, das sah Vortka sofort. Gute Tage kamen mit jedem verstreichenden fetten Gottesmond seltener zu Hekat.

»Was willst du?«, fragte sie, auf ihren gepolsterten Diwan gestützt. »Muss ich wieder geheilt werden, Vortka? Ich denke, das muss ich nicht.«

Zandakar lebt. Sag es niemandem. Sie würde nicht überrascht sein, es zu hören, sie hatte nie geglaubt, dass ihr Sohn tot war. Aber der Gott war der Gott, Vortka behielt diese Neuigkeit für sich.

»Herrscherin«, sagte er und zog sanft die Tür des Gemachs zu. Als ihren Palast hatte sie das Haus eines Kaufmanns aus Jatharuj genommen, eines reichen Mannes mit vielen Münzen, die er für Annehmlichkeiten und üppige Pracht hatte ausgeben können. Seine Münzen hatten ihm natürlich nicht das Leben gerettet, seine Knochen waren ausgebleicht und sein Blut schon vor langer Zeit vergossen worden, um dem Gott zu dienen.

Die Balkontüren des Palastes standen weit offen, um die frische, salzige Luft einzulassen. Er atmete ihre Süße ein und wollte, dass der Gestank des Gottesteichs verflog. Lächelnd ging er über den weichen Teppich zu Hekat hinüber, ergriff ihre Hand und küsste die Knöchel. Goldene Armreifen klimperten an ihrem Handgelenk. Ihrem knochigen Handgelenk, so fleischlos, nur mit der Hälfte der Stärke noch, die er in Erinnerung hatte.

»Tze«, sagte sie, als habe er ihr irgendwie missfallen, aber das war nur eine Zurschaustellung, eine Angewohnheit, sie war zufrieden. »Du bist gekommen, um mich zu küssen, Vortka? Das haben wir lange hinter uns.«

So viele Gottesmonde waren sie gemeinsam durchs Leben gegangen, er fragte nicht, ob er sich setzen durfte. Er zog einen gepolsterten Hocker näher heran und senkte seinen mageren Hintern auf seinen weichen Trost. »Ich war im Gottesteich.«

Ihr Gesicht war zusammengeschrumpft; es bestand nur noch aus Narben und Augen. Jede Wölbung und jede Kante ihres Schädels war unter ihrer straffen, vernarbten Haut zu sehen, ihre blauen Augen verblassten langsam, ihre vollen Lippen waren dünn geworden. Schmerz lebte in ihr, Vortkas verzweifelte Heilungen konnten ihn nicht verjagen. Ihre Gotteszöpfe waren eine Peinigung, zu schwer für ihren Kopf. Sie weigerte sich, sie auch nur um ein einziges Amulett zu erleichtern, um eine einzige Gottesglocke. Sie war die Herrscherin, ihre Gotteszöpfe priesen den Gott.

»Im Gottesteich«, wiederholte sie. Jetzt waren ihre blauen Augen hungrig. Sie beugte sich vor und krampfte die Finger zusammen. »Der Gott hat gesprochen? Was hat er gesagt?«

Vortka holte tief Luft und wappnete sich gegen ihren Zorn. »Er hat gesagt, es dürfe keine Menschenopfer für die Passatwinde geben. Die Passatwinde werden zu ihrer eigenen Zeit kommen und nicht vorher.«

»Tze!«, zischte sie und trommelte mit den Fersen auf dem breiten Diwan. »Du hast dich verhört, Vortka! Ich werde im Gottesteich schwimmen, der Gott spricht zu mir geradeso gut wie zu dir.«

»Ich habe mich nicht verhört, Hekat, ich habe den Gott sehr wohl gehört«, erwiderte er. »Und du bist zu schwach, um im Gottesteich zu schwimmen.«

Sie warf ein Kissen nach ihm. »Zu schwach? Zu schwach? Wer bist du, einer Herrscherin zu sagen, sie sei zu schwach?«

Er griff abermals nach ihrer Hand, es war, als halte er eine Vogelklaue. »Du weißt, wer ich bin. Ich bin Vortka, dein lieber Freund. Ich bin Mijaks Hoher Gottessprecher, ich sage dir die Wahrheit. Immer die Wahrheit, obwohl du sie selten zu hören wünschst.«

»Tze«, entgegnete sie und entriss ihm die Hand. »Weil deine Wahrheiten weich sind, sie gefallen mir nicht. Ich wünsche zu segeln!«

»Und wir werden segeln, Hekat. Wenn die Winde kommen, werden wir segeln.«

»Warum kommen sie nicht, Vortka?«, fragte sie verdrossen. »Sind deine Gottessprecher in ihrem Glauben schwach geworden?«

Er schüttelte den Kopf und lächelte wieder. Lächelte, obwohl sein geheiltes Herz ihn schmerzte. Du warst so schön, Hekat, die Zeit war nicht gütig. »Du weißt, dass sie stark sind. Du weißt, dass ich sie gut ausbilde.«

»Wo bleiben dann die Passatwinde? Warum segeln meine Kriegsschiffe nicht?«

Er seufzte. »Hekat, wir brauchen nicht das Ziel des Gottes zu kennen, um seinen Willen zu kennen. Es gibt Gründe, warum die Winde träge sind, ich kann dir nicht sagen, was das für Gründe sind. Ich bin der Hohe Gottessprecher des Gottes, ich bin nicht der Gott.«

Sie schnaubte. »Habe ich es nötig, mir das von dir sagen zu lassen? Ich denke, das habe ich nicht!«

»Hekat ....« Zum dritten Mal nahm er ihre Hand in seine und faltete ihre Finger über seine Finger. »Du brauchst mich als deinen Freund, ich bin dein Freund, ich werde dein Freund sein, ganz gleich, was du sagst oder tust.«

Für einen Herzschlag leuchteten ihre Augen, dann tötete sie die weiche Regung. So war es ihre Art. »Vortka, wir brauchen die Passatwinde. Bist du sicher, dass du den Gott richtig gehört hast?«

Er nickte. »Ich bin mir sicher.«

»Aieee, tze«, sagte sie und ließ den Kopf zurückfallen. »Kann der Gott sich irren? Ich denke, das kann er nicht. Wir werden warten, Hoher Gottessprecher. Wir werden warten und beten.«

Seine Erleichterung war so groß, dass sie wie Schmerz war. Aber unter der Erleichterung war aufgewühlter Kummer. Sie hatte zu leicht nachgegeben, sie kämpfte nicht lange genug gegen ihn.

Sie ist erschöpft. Sie ist ausgelaugt. Schicke die Passatwinde bald, Gott.

ZWEITES KAPITEL

Edward, Herzog von Morvell, räusperte sich. »Es tut mir leid, Majestät, aber Damwin und Kyrin lassen Euch keine Wahl. Ihr müsst gegen sie kämpfen.«

Rhian stand am Fenster ihres Ratssaals, den Rücken ihren Ratgebern zugewandt, und spürte, wie sich ihre Finger zu Fäusten ballten. Sie hegte solche Zuneigung für ihren getreuen und unerschütterlichen Anhänger, aber trotzdem ...

Sag mir nicht, was ich tun muss, Edward. Du weißt, dass solch kompromisslose Parolen mir Verdruss bereiten.

Statt zu antworten, starrte sie auf den geschäftigen Hafen von Königspfalz. Sie hatte aus der Burg hoch über der Stadt einen perfekten Blick. Obwohl es früh war, noch vor neun Uhr, wimmelte es in den blauen Gewässern des Hafens von Schiffen, die kamen und gingen, die ihre Fracht löschten und neue Ladung nahmen. Als lauere im Osten keine Gefahr. Als würde sich das Leben in seiner süßen Sicherheit niemals verändern. Aber das wird es. Das Leben, wie wir es kennen, wird bald zerrissen werden, wenn man den Hexern von Tzhung-tzhungchai Glauben schenken darf. Sie hatte keinen Grund, an ihnen zu zweifeln. Es war verlockendes Wunschdenken, mehr nicht, das sie dazu verleitete zu hoffen, dass ihnen kein Unheil drohte, dass ein Krieg unvorstellbaren Ausmaßes nicht seinen fauligen Atem anhielt und darauf wartete, auszuatmen und Tod auf sie alle zu speien.

Als brauchte ich weitere Beweise, wenn Zandakar in einem Kerker unter meinen Füßen eingesperrt ist.

Ein Fehler, an Zandakar zu denken. Ihre Augen brannten, der ferne Hafen verschwamm, während der Schmerz des Verrats sie von neuem peinigte.

Er hätte mir sagen sollen, wer er wirklich ist. Was sein Volk vorhat. Er hätte mir vertrauen sollen. Ich dachte, wir seien Freunde.

Sie schob den Schmerz beiseite und drehte sich um. Ließ den Blick zuerst auf Alasdair fallen, der schweigend am Tisch saß. Seine Miene war nüchtern, ernst, in der Tat überaus königlich, aber ihr Herz schlug gerade ein klein wenig schneller, als ein warmer Ausdruck in seine Augen trat.

Mein Gemahl. Mein Gemahl.

Doch sie sorgte dafür, dass ihr eigenes Gesicht ebenso wenig von ihren Gefühlen verriet, wie das seine es tat. In diesem Ratssaal war sie Königin, und er war nur ein Ratgeber. Sollte auch nur ein einziger Mann denken, Alasdair leite ihre Schritte, herrsche aus den Schatten ...

Edward runzelte die Stirn. »Majestät ...«

»Ja, Edward«, fuhr sie ihn an. »Ich habe Euch gehört.«

»Und meine Worte sind nicht nach Eurem Geschmack, dessen bin ich mir durchaus bewusst«, sagte er seufzend. »Aber es ist nicht meine Pflicht, Euch zu sagen, was Ihr hören wollt. Ich diene Euch am besten, wenn ich Euch sage, was gesagt werden muss. Und so sage ich Euch jetzt in vollem Bewusstsein, dass Ihr dafür wahrscheinlich Eure Zunge an mir wetzen werdet: Damwin und Kyrin muss entgegengetreten werden. Es sind fast zwei Wochen vergangen, seit Ihr gekrönt worden seid, und sie haben noch immer keinen Treueeid abgelegt. Ihr stummer Trotz führt dazu, dass Ethrea weiterhin in Aufruhr ist.«

»Edward hat Recht«, sagte Alasdair. »Jeder von uns hier weiß es, du am besten von allen.«

»Ich bestreite nicht, dass wir uns um Damwin und Kyrin kümmern müssen, und das bald«, erwiderte sie, wobei sie ihre Stimme gleichmütig und leise hielt. »Aber, Edward ... meine Herren ... Ich habe meine Meinung bezüglich der Frage, wie ich regieren soll, nicht geändert. Ich werde die Ethreaner keinen blutigen Krieg gegen ihresgleichen ausfechten lassen. Es muss einen anderen Weg geben.«

Ihre Ratgeber tauschten mit geschürzten Lippen Blicke. »Wenn es einen Weg gibt, Majestät«, sagte Rudi mit finsterer Miene, »fällt uns keiner ein. Und was wichtiger ist, Euch fällt auch keiner ein.«

Das entsprach der Wahrheit, und es lag nicht daran, dass sie es nicht versucht hätte. Und sie hätte es mit Freuden eingestanden, wäre Rudi in seinem Gehabe nur nicht so grob gewesen. Ihr Herzog von Arbat konnte eine Bemerkung übers Wetter machen und es wie eine Kriegserklärung klingen lassen.

»Wenn sich das so weiterentwickelt, wird es eines Wunders bedürfen, um sie kleinzukriegen«, fügte Rudi hinzu. Dann sah er erwartungsvoll Helfred an.

Der Prälat von Ethrea seufzte und betrachtete seine abgekauten Fingernägel. Als Rudi den Mund öffnete, um weiterzusprechen, hob Rhian eine Hand und sah ihn kopfschüttelnd an. Es hatte keinen Sinn, ihren ehemaligen Kaplan zu bedrängen; er würde antworten, wenn er dazu bereit war, nicht früher. Wenn sie ihm zusetzten, würde das nur einen ermüdenden Vortrag nach sich ziehen, wie sie zu ihrem Verdruss vor langer Zeit gelernt hatte.

Anders als sein verstorbener und unbetrauerter Onkel Marlan kleidete Prälat Helfred sich wie ein einfacher Ehrwürdiger in eine dunkelblaue Wollrobe, zu der er offene Ledersandalen trug. Das einzige Zugeständnis, mit dem er seinen erhöhten Stand offenbarte, war der jüngst gefertigte, schwere, goldene Amtsring am zweiten Finger seiner linken Hand. Der Ring enthielt einen Splitter von einem der Pfeile, die Rollin getötet hatten. Sogar seine Gebetsperlen waren dieselben abgegriffenen Holzperlen, mit denen er gebetet und geklagt hatte, während sie auf Umwegen vom Klerikum in Vossen ins Herzogtum Linfoi und schließlich nach Hause nach Königspfalz gereist waren.

Er kennt keine Eitelkeit. Keinen Ehrgeiz als den, Gott nach bestem Vermögen zu dienen. Er ist eine Seltenheit, ein guter Mann ... und trotzdem treibt er mich in den Wahnsinn.

Helfreds Schweigen schleppte sich dahin. Und da sie nicht ewig hier sitzen und auf seine Äußerungen warten konnten, beschloss sie, einen Vortrag zu riskieren. »Helfred? Ist unser Zeitalter der Wunder verstrichen? Oder kann Gott eingreifen, was Damwin und Kyrin betrifft?«

Helfred regte sich und hob den Blick. »Ich war niemals eingeweiht in Wunder, Majestät, wie Ihr sehr wohl wisst. Für eine Antwort auf diese Frage müsst Ihr nach Eurem Spielzeugmacher schicken.«

Friemelsam. Wieder dieser sengende Stich des Verrats. Er hätte mir von Zandakar erzählen sollen, er hatte kein Recht, den Mund zu halten. »Ich denke nicht«, sagte sie knapp. »Ich denke, ich werde zuerst alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen. Es sei denn, Ihr sagt mir, dass ich mich mit ihm besprechen muss?«

»Nein«, entgegnete Helfred nach einem weiteren kürzeren Schweigen. »Ich bin nicht geneigt, Euch Anweisungen zu erteilen. Majestät, Ihr seid die Königin. Gott hat Euch auf Ethreas Thron gesetzt, zu seinen eigenen Zwecken und zum Wohlergehen aller, die hier leben. Menschliche Angelegenheiten müssen von Männern bereinigt werden.« Er lächelte kurz. »Und Frauen. Die Herzöge Damwin und Kyrin sind Eure ungehorsamen Untertanen. Es ist Eure Angelegenheit, sie zu züchtigen, wie Ihr es für richtig erachtet.«

»Und Ihr müsst sie züchtigen«, warf Adric ein, der neben Rudi – seinem Vater – saß und genauso direkt war. »Mit jeder Minute, die sie atmen und Eurer Herrschaft trotzen, verspotten sie Krone und Rat.«

Sie tauschte einen Blick mit Alasdair, dann wandte sie sich wieder zum Fenster um, so dass sie ohne Zeugen aus dem Kronrat mit ihrem Temperament ringen konnte. Sie bedauerte es immer mehr, Adric das Herzogtum von Königspfalz überantwortet zu haben. Er war halsstarrig, er war reizbar, er weigerte sich, seine Zunge zu hüten. Ich habe einen Fehler gemacht ...

»Adric bringt ein gutes Argument zur Sprache«, sagte Alasdair milde. Er verlor so gut wie nie die Beherrschung. »Unbeherrscht, aber ... es ist ein gutes Argument. Ohne einen Bader verwandelt sich ein Nadelstich in eine schwärende Wunde. Und die Bewohner der Herzogtümer Hartshorn und Meercheq verdienen Besseres als diese ungehorsamen Fürsten.«

»Das weiß ich sehr wohl«, entgegnete Rhian, die wieder auf den Hafen hinabschaute. Kaiser Hans schnelles, elegantes kaiserliches Schiff mit dem pfauenblauen Rumpf lag noch immer an einer der Botschafterpiers, die beiden goldbemalten Segel zusammengerollt und die dunkelroten Wimpel still in der Flaute. Wann er beabsichtigte, nach Tzhung-tzhungchai zurückzureisen, wusste sie nicht. Sie hatte ihn seit ihrer hastig arrangierten Krönung nicht mehr gesehen, als er sich lächelnd verneigt und die minderen Botschafter derart eingeschüchtert hatte, dass sie nur noch zusammenhanglos hatten stottern können. Noch hatte sie einen seiner Hexer erblickt. Sie blieben unter sich innerhalb der Mauern der Botschafterresidenz.

Und wenn ich sie nie wiedersehe, werde ich unaussprechlich glücklich sterben.

»Wissen ohne Handeln ist Narrheit«, sagte Rudi. »Euer Majestät.«

Sie drehte sich zu ihnen um. »Und wie soll ich Eurer Meinung nach handeln, Rudi? Soll ich noch die letzten Männer und Knaben der Garnison von Königspfalz versammeln, ihnen ein Schwert in die rechte Hand und eine Pike in die linke drücken und sie nach Hartshorn und Meercheq schicken, mit dem Befehl, nach Lust und Laune zu verstümmeln und zu töten? Ist es das, was ich Eurer Meinung nach tun soll, neun Tage, nachdem Helfred mich zur Königin gesalbt hat?«

Rudis dunkles Gesicht rötete sich. »Ich möchte, dass Ihr weniger sanft in Euren weiblichen Skrupeln seid und männlicher in Eurer Fürsorge für die Krone. Wie eine Frau klammert Ihr Euch an den Gedanken, dass ein Lächeln eine Vielzahl von Kümmernissen lindern wird. Aber diese aufsässigen Herzöge sind keine kleinen Jungen mit aufgeschürften Knien, Majestät. Sie sind Männer, und Ihr habt ihrem Stolz klaffende Wunden geschlagen. Es gibt nicht genug lächelnde Blicke unter der Sonne, um die Kränkungen zu heilen, die Ihr ihnen in letzter Zeit zugefügt habt. Wenn sie sich weigern, das Knie zu beugen und Euch Treue zu geloben, dann muss ihr Leben verwirkt sein ... Und das Leben eines jeden Mannes, einer jeden Frau und eines jeden Kindes, die töricht genug sind, ihrem verräterischen Beispiel zu folgen.«

Rhians Herz hämmerte, und der Raum um sie herum drehte sich. »Kinder, Euer Gnaden? Ihr wollt, dass ich Kinder niedermetzele, um an der Macht zu bleiben? Mein Gott, Ihr würdet mich zu einem zweiten Marlan machen. Nein, zu einem Herrscher, der schlimmer wäre als Marlan. Zumindest ist er nie so tief gesunken, Säuglinge zu töten!« Sie funkelte Edward an. »Ist das auch Euer Allheilmittel? Wenn, dann bin ich schockiert. Ich habe Euch für einen gütigeren Mann gehalten.«

»Nein«, antwortete Edward bekümmert. »Ich meinte nicht ...«

»Ihr meintet nicht?«, gab sie zurück. »Ihr habt gesagt, ich müsse gegen sie kämpfen, Edward. Was habt Ihr anderes gemeint, als dass ich meine Krönung mit einem Kuss aus Blut besiegeln müsse?«

»Blut ist nicht zwangsläufig vonnöten«, entgegnete Edward. »Wenn Ihr diesen halsstarrigen Herzögen nur androhen würdet, ihnen mit Stahl entgegenzutreten, sollten sie sich weigern nachzugeben, dann ...«

»Oh, Edward. Was immer ich androhe, muss ich in die Tat umzusetzen bereit sein!«

»Ja, das müsst ihr«, pflichtete Adric ihr bei. »Ohne es durch Barmherzigkeit abzumildern.«

Rhian maß ihren Rat mit kaltem Blick. »Meine Herren, wenn das eure Einstellung ist, könnt ihr mir in der Tat ›weibliche Skrupel‹ wegen meines Widerstrebens vorwerfen, Ethrea in einen Bürgerkrieg zu stürzen. Was mich betrifft, so ziehe ich es vor, es als Staatskunst zu betrachten. Ich bezweifle stark, dass der verstorbene König es eilig gehabt hätte, Soldaten nach Hartshorn und Meercheq zu schicken. Ich bezweifle außerdem, dass Ihr ihn weiblich genannt hättet, hätte er es vorgezogen, eine weniger gewalttätige Lösung für dieses Problem zu finden.«

Und diese Bemerkung traf ins Schwarze, was durchaus angemessen war.

»Es ist nichts daran auszusetzen, eine Frau zu sein, meine Herren«, fuhr sie fort, immer noch kalt. »Weiblichkeit macht mich nicht schwach. Wenn sie es täte, hätte Gott es dann für richtig befunden, mich auf den Thron zu setzen? Helfred?«

Helfred blickte auf. »Euer Majestät, Ihr seid dort, wo Gott Euch haben will.«

»Aber Ihr tut noch nicht das, was Gott von Euch will«, warf Rudi ein, halsstarrig bis zum Letzten. »Wenn Ihr keine Soldaten gegen Kyrin und Damwin schicken wollt, was werdet Ihr dann unternehmen, um ihrem Trotz ein Ende zu bereiten?«

»Das ist eine berechtigte Frage«, erklärte Alasdair. »Und wir brauchen eine Antwort.«

Rhian biss sich auf die Unterlippe. War sie die Einzige, die die Anspannung in seiner Stimme hören konnte? Sie hatten nicht über dieses Thema gesprochen. Über einige Dinge – wie die Planung der Krönung oder die tägliche Tretmühle der Staatsangelegenheiten – redete sie gern nachts mit ihm, im Bett, an seiner Brust. Aber nicht darüber. Es war zu wichtig. Es berührte ihre noch gefährdete Herrschaft zu sehr. Das tat ihm weh, und sie wusste es, aber es ließ sich nicht ändern.

Während sie sie niederstarrte, die Herzöge ihres Rates, ihren Prälaten und ihren Gemahl, den König, hallten Worte, die zu vergessen sie sich mit aller Macht bemüht hatte, laut durch ihren Geist. Die Worte, die Zandakar zu ihr gesagt hatte, als sie über dem toten Ehrwürdigen Martin gestanden hatte, das Messer, das ihn getötet hatte, in ihrer Hand.

Ihr wollen Königin sein? Dies ist Königin. Böse Männer zu töten und wei yatzhay zu sein.

Sie hatte seine Worte damals zurückgewiesen. Sie wies sie jetzt zurück. Sie würde keine Königin von Blut und Stahl sein.

Es sei denn, Damwin und Kyrin drängen mich mit dem Rücken zur Wand.

»Ich werde ihnen eine letzte Chance geben, zu Verstand zu kommen«, erklärte sie. »Wenn dies in Gewalt enden muss, soll überliefert werden, dass ich diesen törichten Männern jede Möglichkeit gewährt habe, eine Katastrophe zu vermeiden. Helfred ...«

»Majestät?«

»Werdet Ihr und das Kirchengericht als meine Gesandten fungieren? Werdet Ihr mit allem geziemenden Zeremoniell in die Herzogtümer Hartshorn und Meercheq reisen und alles in Eurer Macht Stehende tun, um die Herzöge dazu zu bringen, vielleicht doch noch Vernunft anzunehmen?«

Helfred ließ seine Gebetsperlen durch die Finger gleiten. »Natürlich.«

Gesegnet seist du. »Ich werde Briefe für Euch verfassen lassen, die Ihr den Herzögen persönlich präsentieren könnt.«

»Briefe, in denen was stehen wird?«, fragte Adric. »Und welche Vergeltung sollen diese Briefe androhen, falls die Herzöge die rechtmäßige Königin von Ethrea und ihren Rat nicht anerkennen?«

Rhian sah ihn einen Moment lang schweigend an, dann nickte sie dem Ehrwürdigen zu, den Helfred ihr als Sekretär sowohl für private als auch für den Rat betreffende Angelegenheiten zur Seite gestellt hatte. Der pedantische, schnelle Schreiber mittleren Alters notierte getreulich jede Bemerkung in einer geheimen kirchlichen Kurzschrift, die später in lesbares Ethreanisch übersetzt wurde.

»Ihr wollt, dass ich Euch in meine königliche Korrespondenz einweihe, Adric? Vielleicht seid Ihr Eurer herzöglichen Pflichten bereits müde geworden. Wünscht Ihr, den Platz des Ehrwürdigen Cedwin einzunehmen? Das lässt sich arrangieren.«

Sie sprach mit honigsüßer Stimme, aber ihre Drohung war offenkundig. Adric warf einen schnellen Blick auf seinen Vater, und Ärger ließ seine hohen, scharfen Wangenknochen fleckig werden. Rudi sagte nichts, doch er zog warnend die Brauen zusammen.

Ja, in der Tat, Adric, seid auf der Hut. Meine Geduld ist ihrem Ende gefährlich nahegekommen.

»Majestät«, sagte Helfred und ließ seine Gebetsperlen los. »Die Kirche steht ohne Vorbehalt hinter Euch. Wer Euch trotzt, trotzt Gott. Das wird nicht geduldet werden.«

Er erinnerte sie an Marlan, wenn er so sprach. Die anderen hörten es ebenfalls. Rücken wurden durchgedrückt, Zähne zusammengebissen. Knöchel wurden in plötzlich geballten Fäusten weiß.

»Ich denke, wir haben für den Augenblick genug von Interdikten, Helfred«, sagte sie leise.

Helfred zog die Brauen hoch. Trotz der Härten, die sie beide jüngst erlebt hatten, blieb er körperlich ein weicher Mann, aber etwas in seinen Augen hatte sich verändert. Er war jetzt gehärtet. Seine Seele war Stahl. »Majestät, die Krone hat nicht das Recht, zwischen einem Mann und seiner Seele zu stehen. Das ist die Domäne der Kirche. Gott hat uns dort hingestellt, und dort werden wir stehen, bis Gott etwas anderes verfügt.«

Sie hatte nicht die Absicht, sich auf eine theosophische Debatte mit ihm einzulassen. Nicht während der Rest des Rats zuhörte. Und vor allem nicht zu einer Zeit, da sie ihn als Vermittler für die Herzöge benötigte. »Prälat, ich will Euch Eure geziemende Autorität nicht streitig machen. Natürlich ist Euer Aufgabengebiet das spirituelle Wohlergehen eines jeden Ethreaners, ganz gleich, wie hoch oder niedrig seine Stellung sein mag. Ich wünsche Euch lediglich daran zu erinnern, dass dieses Königreich gerade erst geheilt ist. Es kann keinem guten Zweck dienen, diese Wunden aufzukratzen.«

»Das Königreich ist keineswegs geheilt«, widersprach Edward. »Und das wird es auch nicht sein, bis die unbotmäßigen Herzogtümer zum Gehorsam gebracht sind.«

Sie hätte schreien können. Eine Faust auf den Ratstisch schlagen. Sie hätte Edward für seinen Tonfall zur Rede stellen können. Aber sie war müde und besorgt, und sie wollte diese Versammlung beenden. Sie brauchte ein wenig Zeit für sich, in frischer Luft, so dass sie mit klarem Sinn darüber nachdenken konnte; was als Nächstes geschehen musste, ohne dass die belastenden Blicke und kriegerischen Mienen ihrer Ratgeber sie verfolgten. Denn wenn die Frage der Herzöge geregelt war, war da noch Mijak ...

Sie spürte, dass sie schauderte, spürte, wie sich die feinen Härchen in ihrem Nacken aufstellten.

Ich bin nicht bereit. Ich kann das nicht tun. Gott, warum hast du mich erwählt? Ich denke, du hast einen Fehler gemacht.

»Edward«, sagte Alasdair und sah sie an. Er wusste um ihre Angst. »Ihre Majestät bedarf keiner Belehrung. Sie wurde von einem König unterwiesen.«

Edward nickte und schwieg. Aber sie glaubte, seine Gedanken hören zu können und die Gedanken von Rudi und Adric.

Vielleicht ist das wahr, aber sie muss es uns noch beweisen.

Was nicht gerecht war – mochte Gott sie alle für ihr kurzes, kleinliches Gedächtnis verfluchen! Hatte sie nicht um ihre Krone gekämpft? Marlan die Stirn geboten? Ihnen allen die Stirn geboten, bis sie Vernunft angenommen hatten?

Mit Friemelsams Hilfe. Jetzt bin ich allein, ohne bequeme Wunder. Jetzt bin ich ein Mädchen auf dem Thron eines Mannes und zögere, irgendjemandem mit der Spitze einer Klinge meine Autorität aufzuzwingen. Macht mich das schwach? Hatte Zandakar doch Recht?

Zandakar ... der kämpfte ... der ihre Leute beschützte ... der gegen die Herzöge siegte ... die alten Tage Ethreas ...

»Rhian?«, fragte Alasdair argwöhnisch. »Woran denkst du?«

Sie antwortete nicht. Eine Idee nahm Gestalt an, ungeheuerlich und unwahrscheinlich. Aber nicht unwahrscheinlicher als eine ethreanische Königin. Sie war noch nicht bereit, im Rat darüber zu sprechen.

Ich muss hier raus ...

Sie verschränkte die Hände vor dem Bauch und reckte das Kinn vor, die Augen groß und mit Bedacht nichtssagend. Sie verbarg all ihre Geheimnisse vor den Männern, die sie beherrschen würden, wenn sie könnten, und sei es auch nur in der besten Absicht. »Meine Herren, wir sind uns darüber einig, dass die Kyrin und Damwin betreffende Frage prompt angegangen werden muss. Sie haben unsere Geduld bis zum Letzten strapaziert, und es darf ihnen nicht länger gestattet werden, der Krone zu trotzen. Prälat Helfred, Ihr und Euer kirchliches Gericht müsst euch bereithalten, morgen beim ersten Tageslicht Königspfalz zu verlassen. Mein Sendschreiben an diese unverschämten Herzöge wird Euch vor Eurem Aufbruch überreicht werden, und wir werden noch einmal darüber sprechen, wie Ihr Euch bei Eurer Begegnung mit ihnen zu verhalten habt.«

Helfred nickte. »Euer Majestät.«

»Edward, Rudi ...« Sie zwang sich zu einem Lächeln, obwohl ein Teil von ihr immer noch voller Zorn auf sie war. »Ich weiß eure Sorge um meine Herrschaft über Ethrea durchaus zu würdigen. Ebenso halte ich es für keineswegs selbstverständlich, dass ihr hier in der Hauptstadt bleibt, um mir weisen Rat zu erteilen, während eure Herzogtümer nach ihren herzöglichen Herren rufen. Sobald hier alles in geregelteren Bahnen verläuft, hoffe ich, dass ich euch nach Hause zurückkehren lassen kann, sollte das euer Wunsch sein. Es soll mir aber gleichermaßen recht sein, wenn ihr es vorzieht, im geheimen Kronrat zu verbleiben.«

Edward und Rudi tauschten einen kläglichen, resignierten Blick. »Majestät, wir dienen Euch, wie es Euch beliebt«, erwiderte Edward. »Solange Ihr zwei alte Männer benötigt, werden wir bleiben.«

Sie nickte, dann wandte sie sich Adric zu. »Euer Gnaden, die Anwesenheit von Jugend in diesem Rat ist mir ein großer Trost. Verzweifelt nicht, wenn alles Euch zu überwältigen droht. Die Zeit wird Euch reifen lassen, daran habe ich keine Zweifel.«

»Majestät«, erwiderte Adric. Er klang beinahe schmollend. Er war ein solch junger Mann. Er wäre gut beraten, von der Pike an zu lernen, wie Herzöge sich privat und in der Öffentlichkeit benahmen.

»Meine Herren, ihr dürft euch zurückziehen.«

Die Ratssitzung löste sich auf. Der ehrwürdige Cedwin nickte Helfred respektvoll zu, während er sein tintenfeuchtes Pergament methodisch mit Salz bestreute. Helfred schenkte Rhian ein kleines, anerkennendes Nicken und entfernte sich. Sie war sich nicht sicher, ob sie erfreut oder verärgert sein sollte. Irgendwie, auf irgendeine seltsame Art und Weise und ungeachtet dessen, wie die Welt sie beide hin und her warf, würde ein Teil von ihr immer die Prinzessin Rhian sein, und Teil von ihm würde der schlichte Kaplan Helfred bleiben. Sie sprachen nicht darüber, sie wussten es einfach. Sie fragte sich, ob es ihn genauso erstaunte wie sie.

Die Herzöge zogen sich zurück und schließlich auch der ehrwürdige Cedwin. Und nur sie selbst und Alasdair verblieben in dem kleinen, hohen Raum, den sie für ihren Kronrat ausgewählt hatte. Das andere Zimmer, in dem Marlan seine Ratssitzungen abgehalten hatte, war verschlossen und verriegelt und würde nicht wieder benutzt werden, so lange sie in Ethrea herrschte.

Alasdair sah sie kopfschüttelnd an. »Eines Tages wirst du eine Versammlung des Kronrats im Sitzen durchstehen. Du bist Königin, ob du auf den Füßen stehst oder auf dem Hintern sitzt, weißt du.«

Sie warf ihm einen Blick zu. »Ich bin mir nicht sicher, ob es sich gehört, seiner Herrscherin gegenüber Worte wie ›Hintern‹ zu benutzen.«

Mit funkelnden Augen stieß er sich vom Ratstisch ab und stellte sich neben sie vors Fenster. Küsste sie auf die Nasenspitze und dann ganz sanft auf die Lippen. »Ich bin mir auch nicht sicher. Ist es dir wichtig?«

Sie legte ihm eine Hand flach auf die Brust. »Nicht hier drin, Alasdair. Niemals hier.«

Das spielerische, liebevolle Licht in seinen Augen verblasste. Er trat zurück. »Majestät.«