Der Körper in der analytischen Therapie von Kindern und Jugendlichen - Jochen Willerscheidt - E-Book

Der Körper in der analytischen Therapie von Kindern und Jugendlichen E-Book

Jochen Willerscheidt

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Beschreibung

Die Behandlung in der analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ist von körpernahen Handlungsdialogen geprägt. In vielen Fallbeispielen reflektiert Jochen Willerscheidt das körperliche Geschehen zwischen Psychoanalytiker und Patient. Gelingt es dem Analytiker, der Analytikerin, diese Begegnungsmomente unmittelbar zu verstehen, können korrektive emotionale Erfahrungen das implizite Beziehungswissen der Kinder und der jugendlichen Patienten transformieren. Den praxeologischen Aspekten gehen kurze Einführungen zu relevanten theoretischen Konzepten voraus. Mit diesem Buch wird eine Lücke in der Fachliteratur zur Psychoanalyse mit Kinder- und Jugendlichen geschlossen.

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Herausgegeben von

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Jochen Willerscheidt

Der Körper in deranalytischen Therapievon Kindern undJugendlichen

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit einer Abbildung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-90078-0

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter:www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

Umschlagabbildung: Paul Klee, Zwiesprache, 1938/akg‐images

© 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 Göttingenwww.vandenhoeck-ruprecht-verlage.comAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

1Einleitung

2Theoretische Grundlagen für eine körperorientierte Kinder- und Jugendlichenpsychoanalyse

2.1 Das Bewegungskonzept der Individualpsychologie

2.2 Der Beitrag der empirischen Säuglingsforschung

2.3 Implizites Beziehungswissen und das Unbewusste

2.4 Das Paradigma der Intersubjektivität

3Entwicklungspsychologische Aspekte

3.1 Von der Entwicklung des Körpererlebens und den Ursprüngen des Körperbildes

3.2 Die erste psychosomatische Triangulierung

3.3 Die zweite psychosomatische Triangulierung

4Diagnostik

4.1 Das Körperbild und die Körperbild-Liste

4.2 Körperlesen

5Praxeologische Aspekte in einer körpernahen Kinder- und Jugendlichenanalyse

5.1 Haltung

5.1.1 Präsentisches Verstehen

5.1.2 Die Winnicott’sche Trias körperbezogen

5.1.3 Interventionen oszillieren zwischen prozedural-handelndem und verbalem Modus

5.1.4 Abstinenz und Spontaneität

5.1.5 Körperinszenierungen

5.2 Beziehung

5.2.1 Umgang mit Übertragung und Gegenübertragung im Konzept der Mit-Bewegung

5.2.2 Intuitive Handlungskompetenz

5.3 Prozess

5.3.1 Augenblicke der Begegnung (Now-Moments) und Werksatmosphäre

5.3.2 Berührungsdialoge und Enactments als »korrektive emotionale Erfahrung«

5.3.3 Elternkörper

6Therapieziel

7Aus- und Weiterbildung

8Schlussbemerkung

Literatur

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.

Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.

Themenschwerpunkte sind unter anderem:

–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.

–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.

–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.

–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.

–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Soziale Arbeit, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.

–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

Die Interaktion mit Kindern ohne ein konkretes Tätigwerden und körperliches Sicheinlassen des Therapeuten, der Therapeutin ist kaum vorstellbar. Vor diesem Hintergrund baut der Autor ein individualpsychologisches Konzept der »Bewegung« zur theoretischen Fundierung von »Handlungsdialogen« aus. Die Bewegungsfähigkeit und -tätigkeit als zentrales Lebenselement ist durch Intentionalität, zwischenmenschliche Bezogenheit und eine Oszillation zwischen Formerhaltung und Formauflösung im repräsentionalen Erleben gekennzeichnet. Beiträge der Säuglingsforschung werden herangezogen, die in Form von Lichtenbergs »motivationalem System« das Bewegungskonzept untermauern. Auch die Theorie der multiplen Codierungen auf subsymbolischer, nonverbal-symbolischer und verbal-symbolischer Ebene nach W. Bucci wirft ein Licht auf die Entstehung von Gedächtnisspuren in Handlungsdialogen. Schließlich spielt die intersubjektive Orientierung als eine Bedürfnislage beim Kind eine zentrale Rolle im innerpsychischen Bereich der Motivationen.

Ein eigenes Kapitel ist der Entwicklungspsychologie von Körpererleben und Körperbild gewidmet. Der Körperaneignung des Kindes im Kontext liebevoller Beziehungen als erster psychosomatischer Triangulierung und den adoleszenten Veränderungen im Sinne einer zweiten psychosomatischen Triangulierung wird Rechnung getragen.

Die Diagnostik des Körperbildes und das »Körperlesen« leiten zu praxeologischen Aspekten einer körperbezogenen Kinder- und Jugendpsychoanalyse über. Eine wache Präsenz des Therapeuten im schützenden Rahmen ist gefordert. Die therapeutischen Interventionen oszillieren zwischen prozedural-handelndem und verbalem Modus. Der Möglichkeitsraum des Spiels eröffnet dem Kind korrektive emotionale Erfahrungen. Neue Beziehungsmuster können erprobt werden. Spontaneität und Abstinenz des Therapeuten, der Therapeutin müssen durchaus kein Gegensatzpaar darstellen. Eindrucksvolle Fallbeispiele machen den theoretischen Rahmen lebendig.

Ein Buch, das einen Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis der analytischen Kinder- und Jugendpsychotherapie ermöglicht.

Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

1Einleitung

Wenn man die wissenschaftliche Literatur zur analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (aKJP) sichtet, wird man zur Bedeutung der körperlichen Dimension im analytischen Prozess wenig Hinweise finden. In meiner supervisorischen Tätigkeit am Alfred-Adler-Institut (AAI) in Köln schilderten mir Ausbildungskandidatinnen und -kandidaten häufig Szenen aus ihren Fällen, wie sie vor allem von Kindern körperlich involviert wurden.

Auch im Laufe meiner psychoanalytischen Praxis vermerkte ich zunehmend, wie ich im therapeutischen Prozess körperlich intervenierte. Dies geschah anfangs unreflektiert, aber oft begleitet von einem Gefühl der Stimmigkeit und einer zustimmenden Resonanz durch meine Patienten und Patientinnen. Mit meinem Buch hoffe ich, diese Lücke in der Fachliteratur zur Kinder- und Jugendlichenpsychoanalyse zu schließen.

In einem ersten Praxisbeispiel gebe ich eine Fallepisode aus der Intervision wieder, die veranschaulicht, wie körperliche Begegnungsmomente für die Entwicklung des Patienten genutzt werden können. Anschließend schildere ich die konzeptuelle Einbettung meines Entwurfes einer körperbezogenen Kinder- und Jugendlichenpsychoanalyse. Es folgen praxeologische Aspekte und erste Gedanken zur Weiterbildung.

Zunächst beschreibt mein Kollege Jörg Dohn1 die zentrale Bedeutung des Körperdialogs in einer therapeutischen Beziehungsepisode:

»Es handelt sich um den Beginn der 45. Stunde einer einstündigen analytischen Psychotherapie mit einem zwölfjährigen Jungen, der von den Eltern wegen Essproblemen vorgestellt wurde. Er wuchs in dem Spannungsfeld einer kühl wirkenden Mutter auf, die ihn nicht stillte, um sehr bald wieder arbeiten zu gehen, und die ihm dann aus beruflichen Gründen wenig zur Verfügung stand, sowie eines sehr anspruchsvollen, fordernden und ihn oft entwertenden Vaters. Die Eltern trennten sich, als S. dreieinhalb Jahre alt war, und reden seitdem und bis heute sehr wenig miteinander.

Mein Patient hatte zu der Zeit der 45. Sitzung mehr Vertrauen in mich gefasst. Wir hatten viel über seine Angst vor dem Vater gesprochen, hatten dabei auch bereits mit Stofftieren gespielt und gekämpft, wobei wir auch in Körperkontakt gekommen waren. Seine Konflikte und seine depressiven Reaktionen setzten sich in den Sitzungen immer deutlicher in Szene und konnten herausgearbeitet werden. Es wurde nun auch für S. spürbar: Wenn er aus sich herausgeht, muss er befürchten, von seinen Objekten in seiner seelischen Existenz annulliert zu werden. Wenn er seine vitalen Tendenzen aus Angst vor den antizipierten Verletzungen immer weiter selbst unterdrückt, geht er sich immer weiter selbst verloren.

Über eine lange Zeit begann S. seine Sitzungen mit Schweigen, wobei er dabei unter einen starken Druck geriet. Wenn ich ihn darauf ansprach, zeigte er eine Verzweiflung und begann verkrampft zu weinen, was er wiederum verbal nicht erklären konnte. Dieser Situation wich er dann im Laufe der Therapie aus, indem er mich, kaum dass wir Platz genommen hatten, mit schräg gelegtem Kopf und Hündchenblick fragte: ›Spielst du ein Spiel mit mir?‹ Mir wurde sehr schnell deutlich, dass er erwartete, in seinem Wunsch zurückgewiesen zu werden. Hier schien er mit mir, der ihm ja ausdrücklich gesagt hatte, dass er in seiner Sitzung alles bestimmen könne, einen Ausweg aus seiner Ambivalenz zu probieren, mit der er seine Angst vor Zurückweisung bewegen konnte.

In der 45. Stunde reagierte ich auf seine ritualisierte Frage, indem ich so tat, als ob ich eingeschlafen wäre, und dabei laut schnarchte. S. sprang aus seinem Sessel heraus, griff nach einem Kissen und warf es auf mich. Dann kam er näher und schlug mich mit einem Kissen. Ich schützte mich und merkte in der Gegenübertragung, dass ich froh darüber war, dass er seine vitalen und aggressiven Lebensbewegungen aus der leiblichen Erstarrung lösen konnte.

Umso erstaunter war ich, als S. mir, der ich immer noch im Sessel saß, plötzlich in den Arm sprang und sich an mich kuschelte. Ich nahm einen kurzen Gewissenskonflikt in der Gegenübertragung wahr, ob dies so nicht zu nah sei, gewann dann aber schnell meine Sicherheit zurück. Ich hielt S. nun wie ein Baby im Arm und streichelte seinen Kopf.