Der Kult - Gunnar Kaiser - E-Book

Der Kult E-Book

Gunnar Kaiser

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Beschreibung

Warum tun gute Menschen Böses? Weshalb werden so viele zu fügsamen Dienern des Unrechts? Und warum rebellieren sie nicht, wenn man ihnen die Freiheit nimmt? Antworten auf diese Fragen erhalten wir, wenn wir erkennen: Es geht tatsächlich ein Virus um — ein verheerendes Virus des Geistes. Ein Virus, das die Menschen zu Anhängern eines Weltuntergangskultes macht, das sie in ängstliche Sklaven verwandelt und ihre Werte ins Lebensfeindliche verkehrt. Wie funktioniert dieser Kult und woher kommt er? Wer ist sein Gott, wer sind seine Priester? Nur wenn wir die Wirkweise dieses Kultes verstehen und uns philosophisch gegen ihn immunisieren, können wir uns ein Leben bewahren, für das es sich zu leben lohnt. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage »Wie konnte all das bloß geschehen?« nimmt Gunnar Kaiser uns mit auf eine philosophische Reise ins Dickicht der Kultideologie, ins Innerste einer vergifteten Gesellschaft.
Mit kategorischem Optimismus inmitten der geistigen Nacht weist Kaisers Buch den Weg aus selbst verschuldeter Ohnmacht hin zu einer Kultur der Lebendigkeit und Freiheit. Egal, wie aussichtslos die Lage auch erscheint: Wir sind nicht machtlos. Denn sobald wir unsere Fesseln erkennen, können wir uns von ihnen befreien und gemeinsam Neues erschaffen — besser denn je!

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Seitenzahl: 434

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Die Zukunft gehört den Mutigen.

»Der Organisationsmensch hat die Fähigkeit zum Ungehorsam verloren, er merkt nicht einmal mehr, daß er gehorcht. An diesem Punkt der Geschichte könnte möglicherweise allein die Fähigkeit zu zweifeln, zu kritisieren und ungehorsam zu sein, über die Zukunft für die Menschheit oder über das Ende der Zivilisation entscheiden.«

Erich Fromm

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-96789-029-7

1. Auflage 2022 © Rubikon-Betriebsgesellschaft mbH, München 2022

Lektorat: Susanne George

Konzept und Gestaltung: Buchgut, Berlin

INHALT

EINFÜHRUNG

DIE PARTY IST VORBEI!

DAS ERWACHEN

ES IST EIN KULT!ANALYSE EINES KRISENPHÄNOMENS

ELEMENTE DES KULTS

METHODEN DES KULTS

ZIELE DES KULTS

URSPRÜNGE DES KULTS

GEGEN DEN KULT

ANHANG

»Ungeheuer ist viel. Doch nichts

Ungeheuerer als der Mensch.

[…] Allbewandert,

Unbewandert. Zu nichts kommt er.

Der Toten künftigen Ort nur

Zu fliehen weiß er nicht,

Und die Flucht unbeholfener Seuchen

Zu überdenken.

Von Weisem etwas, und das Geschickte der Kunst

Mehr, als er hoffen kann, besitzend

Kommt einmal er auf Schlimmes, das andre zu Gutem.«

Sophokles, Antigone

(Übersetzung: Friedrich Hölderlin)

GELEITWORTVON MATTHIAS BURCHARDT

DAS UNGEHEURE DENKEN

Das Ungeheure trägt sich zu. Vor unseren Augen. Benommen von Eindrücken und Nachrichten, misstrauen wir noch unserer Wahrnehmung und zögern, ein Urteil über das zu fällen, was bereits offenkundig ist: Es ereignet sich eine politische Transformation, eine kulturelle Zäsur, ein Zivilisationsbruch. Manches hat sich seit Jahren abgezeichnet, anderes kommt in seiner Wucht überraschend. Unsere Herkunft vermag uns keinen Halt mehr zu geben, und die Zukunft verheißt wenig Gutes. Wir fühlen uns ausgeliefert, wie Insassen, gefangen in einer Situation ohne einen Ausweg, welchen wir uns aus eigener Kraft bahnen könnten. Das Gemeinwesen und seine Instanzen haben jegliches Vertrauen verspielt. Medien, Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Kirche, Gesundheits-, Rechts- und Bildungswesen, Kunst und Kultur erweisen sich zunehmend als dysfunktional, und je hysterischer sie ihre Relevanz behaupten, desto offenkundiger wird, dass sie gescheitert sind. Gescheitert an ihren eigentlichen Zielen. Gescheitert an der Aufgabe, das Ungeheure abzuwenden. Längst sind sie vom Ungeist befallen und wirken an dessen Verbreitung mit. Kulturelle Orientierung und Sinnangebote sind nicht mehr zu erwarten, nur noch leere Herrschaftsnarrative und repressive Maßnahmen.

Doch Vorsicht! Was manche als Niedergang beklagen, gilt anderen als Fortschritt. Was den einen als Repression erscheint, ist für die anderen Solidarität. Diese Mehrdeutigkeit aber ist kein Einwand gegen das Ungeheure, sondern vielmehr Ausdruck dessen. Wir sind entzweit. Die gemeinsame Welt ist zerbrochen. Für Hannah Arendt ist dies ein Symptom von Totalitarismus. Die totale Herrschaft überbietet in dieser Hinsicht sogar die Tyrannei, welche die Menschen nur voneinander isoliert, sie aber nicht in die Verlassenheit stürzt.

»Nur wo diese gemeinsame Welt völlig zerstört und eine in sich völlig unzusammenhängende Gesellschaftsmasse entstanden ist, deren heterogene Gleichförmigkeit aus nicht nur isolierten, sondern auf sich selbst und nichts sonst zurückgeworfenen Individuen besteht, kann die totale Herrschaft ihre volle Macht ausüben, sich ungehindert durchsetzen.« (Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft)

Die Mentalität des Massenindividuums aber ist die Ergebenheit. Welch willkommene Gelegenheit für die Nachfahren der Aufklärung, die Last der Mündigkeit abzustreifen und sich des eigenen Verstandes wieder unter Anleitung eines anderen zu bedienen, sich endlich der Faulheit und der Feigheit hinzugeben und mit bestem Gewissen die Freuden von Denunziation und der Ausgrenzung von Gesinnungsdissidenten und Impfabweichlern genießen zu dürfen. Bis zu deren symbolischer oder tatsächlicher Annihilation ist es dann wohl nur noch ein kleiner Schritt. Was aber vermag die Hoffnung zu nähren, dass dieser Schritt ausbleiben wird, wenn mit der Ethik und der Wissenschaft ausgerechnet die Instanzen der sittlichen Maßstäbe und der Erkenntnis nicht nur keinen Widerstand leisten, sondern sich sogar als Geburtshelfer einer zivilisatorischen Enthemmung andienen? In Anbetracht der selbst-verantworteten Impfzurückhaltung eines nicht unerheblichen Teils der Bevölkerung empfiehlt die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, wörtlich, aber hoffentlich nicht buchstäblich, »aus allen Rohren zu schießen«.

Es fällt einem wie Schuppen von den Augen. Es raubt einem den Atem. Es verschlägt einem die Sprache. Es, das Ungeheure. Gerade, weil es so gewaltig ist, kann es in aller Offenheit geschehen. Wir halten es für unvorstellbar, eben weil es wirklich ist. Wir halten die Kassandrarufe für überzogen, weil wir irrigerweise glauben, dass die Wirklichkeit unserer Akzeptanz oder Zustimmung bedürfte, um Macht über uns zu gewinnen. Selbst in kritischen Kreisen ist es mitunter verpönt, das Ungeheure zu benennen, weil die vermeintliche Macht der Gedanken diesem erst Realität verleihe. Vielleicht ist es verfrüht, die sprichwörtliche Flinte ins Korn zu werfen. Ohnmachtsgefühle und Resignation sind legitim, aber keine gute Grundlage für ein hinnehmbares Leben. Hoffnung darf meines Erachtens aber nicht aus einer Beschönigung der Lage, sondern nur aus realistischen Handlungsalternativen erwachsen. Dazu gehören eine ehrliche Lageanalyse und der Versuch einer Aufarbeitung, wie wir in diese Situation geraten sind. Wir wissen inzwischen, dass Zeitdiagnose heute ein riskantes Unterfangen ist. Zum einen kann man sich mangels Distanz in seinen Einschätzungen irren und zum anderen kann man – gerade weil man den wunden Punkt getroffen hat – zum Gegenstand von sozialer Ausgrenzung und Verachtung werden. Es ist also ein theoretisches und existenzielles Wagnis, sich heute philosophierend zu Wort zu melden, insbesondere wenn die Diagnose zutreffen sollte, dass der Totalitarismus seine Bindekraft für die Massen aus einer kultischen Verfassung bezieht. Ketzer und Häretiker sind ein Dorn im Auge der Orthodoxie (Rechtgläubigkeit). Ihnen drohen die Inquisition und der Scheiterhaufen. Zugleich aber erwächst aus der Entlarvung der politischen Katastrophe auch die Chance, das Schlimmste abzuwenden oder sich zumindest in Sicherheit zu bringen. Die Aufgabe der Philosophie besteht dann in der Klärung von Kategorien, damit die Rückzugsorte oder Aufbrüche nicht ihrerseits die Saat des Ungeheuren in sich tragen, sondern die Grundlage für ein menschliches Leben im besten Sinne bilden.

»Screw your freedom!«

Arnold Schwarzenegger, 2021

VORWORT

EINE IMPFUNG DES GEISTES

Jemand musste Gunnar K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hatte, wurde er eines Morgens verhaftet. Doch bald schon erkannte er, dass er nicht der Einzige war. Unzählige hatte man eingesperrt und ihrer Freiheit beraubt. Und die Zeit ihrer Knechtschaft schien nicht enden zu wollen. Wer die Agenten der Festnahme waren, was ihre Anklage und was ihre Motive, zeigte sich denen, die es wissen wollten, nach und nach immer deutlicher. Doch eines konnte K. nicht begreifen: Warum rebelliert denn niemand? Warum lassen die Menschen all das mit sich machen? Mehr noch: Warum sind so viele geradezu verliebt in ihre schönen neuen Fesseln?

Denn das Erstaunliche: Die Bande, in die die Menschen geschlagen sind, sind bloß eingebildet, es sind Ketten des Geistes. Gerade diese Tatsache aber verleiht ihnen ihre überwältigende Macht.

Und doch liegt darin auch die Möglichkeit der Befreiung. Um zu verstehen, warum wir diese Möglichkeit nicht ergreifen, müssen wir also fragen, warum wir die Ketten unseres Geistes nicht ablegen wollen … selbst nachdem so erschreckend sichtbar geworden ist, dass unsere Gefangenschaft niemals gerechtfertigt war und ihre Folgen mörderisch sind.

Was hält uns in dieser seltsamen Gefangenschaft? Warum spielen so viele mit? Warum bricht niemand aus? Diesen und weiteren Fragen geht das vorliegende Buch nach. Es stellt keine naturwissenschaftliche Abhandlung dar, die Aufklärung über epidemiologische Themen betreiben will. Es geht ihm nicht um medizinische Erkenntnisse, mit denen das offizielle Narrativ »entlarvt« werden soll.1 Es ist auch kein Buch über die politischen Hintergründe der Krise.2 Es beschäftigt sich höchstens am Rande mit den Verfehlungen der Politik3, der Medien4 oder der Wissenschaft5. Ein Buch über »Corona« ist es höchstens in dem Sinne, dass es das Thema zum Anlass nimmt, über die Frage nach der persönlichen Verantwortung des Einzelnen in einer Krisenzeit nachzudenken, die von selbst auferlegter medialer Uniformität und pharmazeutisch-politischer Dauerpropaganda geprägt ist. Es handelt sich auch nicht um ein Buch über Verschwörungen, die geheimen Machenschaften der Machtelite und die Drahtzieher hinter etwas, was man »Plandemie« nennen müsste. Für die Suche nach Antworten auf die Frage, warum so viele bei einer Sache mitmachen, die so offensichtlich katastrophale Folgen hat, ist keine Theorie über ein bewusstes Handeln von Einflussagenten nötig, auch wenn es die sicherlich gibt. Die Analyse des Buches bezieht sich auf Elemente und Ursprünge technokratischer Herrschaft, die sich dank der Logik der Sachgesetzmäßigkeiten, der Verwissenschaftlichung unseres Daseins, der Technisierung unseres Alltags, der Objektivierung des Menschen, der Rechtfertigungsnot demokratischer Prozesse und vieler weiterer Faktoren auch und gerade hinter dem Rücken der Akteure ergibt und verstärken kann.

Was der Leser in diesem Buch auch kaum finden wird, ist der Versuch, ihn von der Wahnhaftigkeit des Wahnsinns zu überzeugen. Wer im Jahr 2022 noch immer davon ausgeht, dass in den vergangenen Jahren mehr oder weniger alles mit rechten Dingen zuging, alles von höchstens überforderten Politikern doch irgendwie gut gemeint war oder zumindest glimpflich enden wird, der wird durch kein Buch der Welt, sei es noch so gut recherchiert und rhetorisch noch so unwiderstehlich geschrieben, auf den Trichter kommen. Wem die totalitäre, menschenverachtende und spalterische Rhetorik der Politiker und der Medienelite nicht übel aufgestoßen ist, wer die zahlreichen Selbstwidersprüche in Politik, Wissenschaft und Medien, die das Narrativ so fadenscheinig machen wie des Kaisers neue Kleider, die Gleichausrichtung der herkömmlichen Medien mit ihren überdeutlichen Doppelstandards, die Verengung des Debattenraums, die Einseitigkeit, Eindimensionalität und, ja, ausgesprochene Dummheit der »Argumentation« im öffentlichen Diskurs, die Forderung nach Ausgrenzung, das Ausbleiben und Stummschalten von Kritik, die Umwertung der Werte (»gesund« wird zu »potenziell krank«, Politiker werden zu altruistischen Volkshelden, die Pharmaindustrie zur Heilsarmee, Propaganda wird zum »Faktencheck« und so weiter), wer vor allem das Handeln der Menschen, ihr widersinniges Tragen von Masken, selbst wenn sie allein im Wald oder im Auto sind, ihr Bejubeln von Überwachung und Kontrolle im Privatleben sowie von Polizeigewalt, das Aufleben von Aggression und Denunziation gegen deviante »Pandemieleugner«, ihre gefährliche Bereitschaft, die Spaltung der Gesellschaft zu riskieren, weil »die Wissenschaft« ihnen die Legitimation dafür zu geben scheint, das Wohl der Kinder für das Ausleben ihrer eigenen Selbstherrlichkeit aufs Spiel zu setzen oder alte Menschen für ihre Solidaritätshuberei zu instrumentalisieren, oder ihre absurde Lächerlichkeit, sich mit Bratwurst, Bordellbesuch und Bällebad zu einer genbasierten Spritze verführen zu lassen … wer all das nicht höchst bedenklich und anprangernswert findet, der wird sich in diesem Buch wahrscheinlich eher als Gegenstand der Analyse wiederfinden.

Vielleicht ist Der Kult nicht einmal ein philosophisches Buch. Über die selbstverschuldete Ohnmacht der Philosophie in Krisenzeiten wäre viel nachzudenken. Hat nicht auch diese Disziplin in der Stunde der Not versagt? Wenn die Eule der Minerva dazu verdammt ist, erst nach der Dämmerung zum Flug anzusetzen, ist vieles schon zu spät. Gleichwohl wäre eine solche systematisch-philosophische Abhandlung, die die Arbeit am Begriff mit dem Willen zur Großen Theorie verbindet, das Werk einer kommenden Zeit – auch wenn die Aussicht, dass es sein aufmerksames Publikum finden wird, mit jedem Jahr, in dem die öffentliche Geisteszerrüttung anhält, geringer wird.

Das Buch, das der Leser in den Händen hält, ist ein Wagnis, und das in dreierlei Hinsicht. Es wagt die Gratwanderung zwischen der Klage über die fortgeschrittene Spaltung der Gesellschaft und die Unfähigkeit beider Seiten, sich unvoreingenommen zuzuhören und in den sachlichen Diskurs zu gehen, auf der einen Seite und der Feststellung, dass die Masse der Menschen mit Blindheit und Denkunfähigkeit geschlagen ist, auf der anderen Seite. Es will die Spaltung nicht, ist sich aber bewusst, dass der Erkenntnispflock des Ausrufs »Es ist ein Kult!« diese Spaltung durchaus zu vertiefen vermag.

Es wagt damit zweitens den Verzicht auf ein gesamtgesellschaftliches Publikum. Gewiss, »wir sind da alle gemeinsam drin«, wir sitzen alle im gleichen Boot. Und doch sitzen einige an Deck und genießen die Aussicht, während sie sich zwanghaft mühen, vor der Realität die Augen zu verschließen: der Realität nämlich, dass es sich bei unserem Boot um eine Galeere handelt, die von in ihrer Profitgier blinden Sklaventreibern gegen die Klippen gesteuert wird. Und andere sitzen eben unter Deck, die Hände an die Ruder gekettet, und erzählen sich Geschichten darüber, was falsch gelaufen ist. Wenn sich die Galeerensträflinge über die Natur ihrer Gefangenschaft im Klaren werden wollen, ist es nötig, dass sie dies vorerst unter sich tun. Vom Schmieden gewagter Fluchtpläne einmal ganz abgesehen.

In dem Maße, in dem das vorliegende Buch eine solche Geschichte ist, die sich die Sklaven unter Deck erzählen, geht es drittens das Wagnis ein, eine der Urfragen der Religion und der Metaphysik zu stellen: Woher stammt das Böse in der Welt? Das erscheint in diesen Zeiten tatsächlich als ein Wagnis, weil der Versuch unternommen wird, Antworten auf diese Frage nicht allein im Individuell-Psychologischen zu suchen, sondern im Wesen der modernen Welt insgesamt, man könnte beinahe sagen: im Weltbild der westlichen Zivilisation. Den Ursprung ihrer selbstzerstörerischen Agenda nachzuzeichnen soll Aufschluss darüber geben, warum das Böse auch in unserem Zeitalter der Aufklärung nichts von seiner Macht eingebüßt hat.

In dieser lächerlichen Unbescheidenheit ist Der Kult eine Meditation über drei Grundfragen:

1. Wo sind wir hier eigentlich?

2. Wie sind wir nur hierhin geraten? Und

3. Wie kommen wir hier wieder raus?

Sie münden in einer vierten: Was ist der moderne Mensch?

Mehr als ein Wohnhaus grimmer Viren? Ein homo contaminans, dem ständigen Zugriff der Behörden, der modernen Medizin und der medialen Moralapostel ausgesetzt? Oder ist er doch ein Wesen, das nicht aufgeht in dem objektivierenden Blick der politisierten Wissenschaft, sondern Träger einer rätselhaft bleibenden Menschenwürde und ausgestattet mit vitalen Bedürfnissen nach Selbstbestimmung, Geselligkeit und Lebendigkeit? Mit diesen und weiteren Fragen als Ausgrabungswerkzeugen ausgestattet, wagt sich das Buch an eine Archäologie, um die konstituierenden Schichten freizulegen, auf denen der Kult seinen Palast erbaut hat, von dem aus er in die Herzen der Menschen hineinregiert und ihr Verhalten bestimmt.

»Es ist nicht notwendig, daß du aus dem Haus gehst«, schrieb Franz Kafka vor über hundert Jahren. »Bleib bei deinem Tisch und horche. Horche nicht einmal, warte nur. Warte nicht einmal, sei völlig still und allein. Anbieten wird sich dir die Welt zur Entlarvung, sie kann nicht anders, verzückt wird sie sich vor dir winden.«

Angesichts der horrenden Folgen, die in der Krise entstanden sind, können wir, ohne aus dem Haus zu gehen, die Entlarvung der Welt auf unserer Suche nach der geistigen Situation der Zeit nur bewerkstelligen, indem wir fragen: Warum sind so viele plötzlich so fügsam? Warum tun gute Menschen Böses? Wie gelingt es, die Menschen zu Mittätern zu machen? Wo ist der gesunde Menschenverstand geblieben?

Während der Großen Einschließung 2020/21 wurde mir bewusst: Antworten auf all die Fragen nach den Entstehungsbedingungen der menschlichen Destruktivität erhalten wir nur, wenn wir erkennen: Es ist ein Kult! Denn ein Virus geht um in der Welt – ein Virus des Geistes. Es verwandelt die Menschen, die es befällt, in Anhänger eines lebensfeindlichen Weltuntergangskults, der blind für seine eigenen Taten ist.

Wie funktioniert dieser Kult? Wer ist sein Gott, wer seine Priester? Warum verlangt er seinen Anhängern so viel ab? Und wozu ist er künftig noch in der Lage? Das Virus ist der unheilige Geist des Kults, mit dem es ihm gelingt, sich unbemerkt in den Köpfen der Menschen festzusetzen und ihre Steuerung zu übernehmen. Nur wenn wir seine Wirkungsweise verstehen und uns philosophisch gegen die Viralität des Bösen wappnen, können wir ein Leben in der Gemeinschaft freier und selbstbestimmter Menschen bewahren, für das es sich zu leben lohnt.

1 Hierzu unterrichten in großer Bandbreite folgende Bücher: Sebastian Rushworth, COVID. Why most of what you know is wrong, Karneval Publishing, Stockholm 2021; Miryam Muhm, Die Wahrheit über Covid-19: Licht ins Dickicht der Halbwahrheiten und wie Sie sich vor dem Virus schützen können. Europaverlag, München 2020; Gunter Frank, Der Staatsvirus. Ein Arzt erklärt, wie die Vernunft im Lockdown starb, Achgut Edition, Berlin 2021; Karina Reiss/Sucharit Bhakdi, Corona Fehlalarm? Zahlen, Daten und Hintergründe, Goldegg, Berlin 2020; dies., Corona unmasked. Neue Zahlen, Daten, Hintergründe, Goldegg, Berlin 2021; Wolfgang Wodarg, Falsche Pandemien. Argumente gegen die Herrschaft der Angst, Rubikon, München 2021; Clemens G. Arvay, Wir können es besser, Quadriga, Köln 2020; Illa, Das PCR-Desaster. Zur Genese und Evolution des »Drosten Tests«, Verlag Thomas Kubo, Münster 2021; Walter van Rossum, Meine Pandemie mit Professor Drosten. Vom Tod der Aufklärung unter Laborbedingungen, Rubikon, Neuenkirchen 2021; Stefan W. Hockertz, Generation Maske. Corona: Angst und Herausforderung, Kopp, Rottenburg a. Neckar 2021; Jens Berger, Schwarzbuch Corona. Zwischenbilanz der vermeidbaren Schäden und tolerierten Opfer, Westend, Frankfurt 2021. Raymond Unger, Das Impfbuch: Über Risiken und Nebenwirkungen einer COVID-19-Impfung. Scorpio, München 2021

2 Zu diesem Komplex seien folgende Bücher empfohlen: Flo Osrainik, Das Corona-Dossier. Unter falscher Flagge gegen Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, Rubikon, Neuenkirchen 2021; Paul Schreyer, Chronik einer angekündigten Krise. Wie ein Virus die Welt verändern konnte, Westend, Frankfurt 2020; Jamal Qaiser/Markus Miksch, COVID-19. Falsche Pandemie. Die fatalen Fehler der WHO und ihre verhängnisvollen Folgen, DC Publishing, 2020; Vandana Shiva, Oneness vs. the 1%. Shattering Illusions, Seeding Freedom, Chelsea Green Publishing Company, White River Junction 2020; Raymond Unger, Vom Verlust der Freiheit. Klimakrise, Migrationskrise, Coronakrise, Europa Verlag, München 2021. Kees van der Pijl, Die belagerte Welt. Corona: Die Mobilisierung der Angst – und wie wir uns daraus befreien können, Der Politikchronist, Ratzert 2021

3 Hierzu informieren vor allem diese Bücher: Frank Furedi, Democracy Under Siege, John Hunt Publishing, 2020; Laura Dodsworth, A State of Fear. How the UK government weaponised fear during the Covid-19 pandemic, Pinter & Martin, London 2021; Gertrud Höhler, Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Corona-Bilanz, Heyne, München 2020; Friedrich Pürner, Diagnose Pan(ik)demie. Das kranke Gesundheitssystem, Langen-Müller, Stuttgart 2021; Wolfgang Kubicki, Die erdrückte Freiheit. Wie ein Virus unseren Rechtsstaat aushebelt, Westend, Frankfurt a. M. 2021; Albrecht Müller (Hrsg.), Die im Dunkeln sieht man nicht. 70 Zeitzeugen zu den missachteten Folgen der Corona-Politik, Westend, Frankfurt a. M. 2020; Heribert Prantl, Not und Gebot. Grundrechte in Quarantäne, C. H. Beck, München 2020; Ulrich Mies (Hrsg.), Schöne Neue Welt 2030. Vom Fall der Demokratie und dem Aufstieg einer totalitären Ordnung, Promedia, Wien 2020; Hannes Hofbauer/Stefan Kraft (Hrsg.), Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand, Promedia, Wien 2021; Hannes Hofbauer/Stefan Kraft (Hrsg.), Lockdown 2020. Wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern. Promedia, Wien 2020; Walter van Rossum/Tom Lausen, Die Intensiv-Mafia. Von den Hirten der Pandemie und ihren Profiten, Rubikon, München 2021

4 Besonders zu erwähnen sind hier Michael Meyen, Die Propaganda-Matrix. Der Kampf für freie Medien entscheidet über unsere Zukunft, Rubikon, München 2021; Marcus Kloeckner, Zombie-Journalismus. Was kommt nach dem Tod der Meinungsfreiheit?, Rubikon, München 2021

5 Vgl. dazu v. a. Michael Esfeld/Christoph Lütge, Und die Freiheit?, riva, München 2021 ; Bruce Charlton, Not Even Trying. The Corruption of Real Science, University of Buckingham Press, Buckingham 2012

»Es ist sehr gut denkbar, daß die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereitliegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit. Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie. Das ist das Wesen der Zauberei, die nicht schafft, sondern ruft.«

Franz Kafka, Tagebucheintrag vom 18. Oktober 1921

Seit ich etwas werden wollte, wollte ich berühmt werden. Eine Mischung aus Elvis Presley und Julius Cäsar. Je berühmter, desto besser. Denn wer ist eher in der Lage, die Welt nach seinem Bilde zu verändern, als der mit Ruhm Gesegnete? So dachte ich in meiner frühpubertären Hybris. Über die Gründe für meine Sucht nach Anerkennung will ich lieber nicht öffentlich spekulieren. Später dann, mit siebzehn, begann sich mein Wunsch nach Weltruhm auf eine Existenz als Philosoph, öffentlicher Intellektueller und Poet zu konzentrieren. Waren das nicht die wahren Helden der Geschichte? Männer, die die Gesellschaft rein mit der Kraft ihres Geistes umgestaltet haben? Fortan bestand die Mischung aus George Orwell, Jean-Paul Sartre und Thomas Mann, manchmal kam Nietzsche, manchmal Hermann Hesse dazu. Schriftsteller wollte ich werden, oder beim Versuch zugrunde gehen.

Bald wurde mir klar, dass es, um ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden, nicht ausreicht, gut schreiben zu können. Sich im Literaturbetrieb einen Namen machen, in den Feuilletons abgedruckt, in den großen Gazetten besprochen werden – das war die eigentliche Kunst, wenn man als Intellektueller gehört werden wollte. In einem renommierten Verlag veröffentlichen, auf Buchmessen gern gesehener Gast sein, nach der Literaturlesung bei einem Glas Rotwein mit den anderen Happy Few in schöngeistigen Gesprächen versinken. Man musste vor allem »dabei sein«, und das hieß: »akzeptiert werden«. Ich stellte mir diese Republik der Gelehrten, zu der ich gehören wollte, immer wie eine große Festgemeinschaft vor. Eine kultivierte Party im Stile eines Jay Gatsby, auf der interessante Persönlichkeiten bedeutende Dinge von sich geben, weil sie den Drang zur Weltverbesserung verspüren. Diesem apart schillernden Club der Geistesgrößen, die von zukünftigen Literaturwissenschaftlern in die Reihe Orwell – Sartre – Thomas Mann eingeordnet werden würden, wollte ich angehören. Es gelang mir, teilweise, eine Zeit lang. Nach der Veröffentlichung meines ersten Romans wurde ich zu Buchmessen und Lesungen geladen, zu Vorträgen und Soireen … lauter Gelegenheiten, die meinem Geltungsdrang endlich eine gewisse Linderung verschafften.

Es waren diese Vorstellungen, die über Jahrzehnte hinweg meine Träume vereinnahmten, und das bis vor nicht allzu langer Zeit. Doch neben dem tief in meiner Seele wurzelnden Bedürfnis nach Anerkennung und danach, gehört und vor allem gelesen zu werden, ging es auch darum, der Verantwortung nachzukommen, die doch dem Beruf des Philosophen und öffentlichen Intellektuellen zukommt. Intellektuelle existieren nicht einfach so – sie bewegen sich in kritischer Distanz zur Macht, sie handeln nach dem eigenen Gewissen und wollen ihre geistige Arbeit als eine Art Korrektiv verstanden wissen, vielleicht sogar, erneut in aller Bescheidenheit, als einen Versuch der Weltverbesserung.

Und doch: Auf dieser kultivierten Party kam ich mir stets wie ein Außenseiter und Beobachter vor. Betrachtet man die High-Society-Intellektuellen als Gatsbyesque Festgesellschaft, dann fühlte ich mich wie Nick Carraway. Der Zuschauer, der sich schließlich eingesteht, mitten unter den Feiernden ein Fremder zu sein: Ich war, »innen als auch außen, gleichzeitig verzaubert und abgestoßen«. So denkt Nick im Laufe des Romans wiederholt über seine Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft voller Chaos, Alkohol und Exzess. Nicks Verzauberung und Abscheu spiegeln eine anfängliche Anziehung wider, die bereits seine spätere Abgrenzung erahnen lässt, als er sich der oberflächlichen, ja verdorbenen Natur der Partygäste bewusst wird. Er ist als Umstehender den (grausamen) Wahrheiten der anderen ausgesetzt. Er befindet sich in dieser verrückten, oberflächlichen, korrupten Welt und ist doch gleichzeitig nicht von ihr. Voller Unbehagen distanziert er sich, anstatt weiterhin danach zu streben, zu diesen Kreisen zu gehören. Schließlich begeht er sozialen Selbstmord, indem er sich gewaltsam von dieser unmoralischen Gesellschaft abwendet.

Mein eigener Nick-Carraway-Moment kam eines Tages in Gestalt meines Literaturagenten zu mir. Ein angenehmer Mensch, mit dem ich einige Jahre erfolgreich zusammengearbeitet und mit dem ich mich immer gut verstanden, ja gar auf einer Wellenlänge gewähnt hatte. Nun jedoch teilte er mir mit, er könne mich, stünde ich weiter zu dem, was ich neuerdings an Unerhörtem von mir gebe, nicht länger vertreten. So unerhört war es mir gar nicht vorgekommen, eher wie das Selbstverständlichste von der Welt – aber es passte eben nicht zu den Geschichten, die man sich wohl sonst auf der Party erzählte. (Dass meine Äußerungen den Stempel der Unerhörtheit der Tatsache verdankten, dass die Welt verrückt geworden war, ihre Verrücktheit aber als Normalität verkaufte, sollte ich erst später begreifen.)

Der Agent stellte mich vor eine Entscheidung: Willst du deinem Gewissen folgen oder willst du auf der Party bleiben? Mein Unbehagen wuchs, und mit ihm kamen die Fragen: Sind die Ziele der Partygäste gar nicht meine Ziele, ihre Ideale gar nicht meine? Begegne ich hier echten Menschen mit intellektueller Verantwortung oder nur Masken, die die Angst davor verdecken sollen, was aus ihnen wird, sollte die Party für sie enden? Plötzlich musste ich mich entscheiden: Wie weit bin ich bereit zu gehen für meine Werte und Überzeugungen? Bin ich bereit, das, was ich mir immer gewünscht habe, meinen Lebenstraum, mein Lebensmodell aufzugeben, um das zu tun, was ich für richtig halte? Bin ich bereit, die Party zu verlassen?

Steht die Überzeugung, dass es die grundlegende Aufgabe eines Intellektuellen ist, aufzuschreiben und aufzuschreien, wenn Freiheiten eingeschränkt und untergraben, humanistische Werte über Bord geworfen und die Forderung nach Gehorsam und Autoritätshörigkeit zum leitenden Motiv wird, im Widerspruch zur Teilnahme an der Party, muss man die Party verlassen, egal welche persönlichen Folgen das hat. Sonst kommt es früher oder später zu einer Situation, vor der der deutsche Schriftsteller B. Traven warnte:

»Wo man so laut schreien muss: Wir sind ein Volk von freien Menschen!, da will man nur die Tatsache verdecken, dass die Freiheit vor die Hunde gegangen ist oder das sich vor Hunderttausenden von Gesetzen, Verordnungen, Verfügungen, Anweisungen, Regelungen und Polizeiknüppeln so abgenagt worden ist, das nur noch das Geschrei übrig geblieben ist.«

Für mich war die Party damit vorbei. Ich nahm Abschied von dem Lebenstraum, über den ich mich so lange definiert hatte: Gunnar Kaiser, der anerkannte Philosoph, nach dessen Tod mehr Menschen dem Sarg folgen werden als bei Sartres öffentlichem Begräbnis. Doch durch die Entscheidung habe ich etwas Entscheidendes gewonnen. Die Einsicht nämlich, dass ich dieser Gunnar Kaiser nicht bin, jedenfalls nicht nur. Diese Erkenntnis kam nicht von einem Tag auf den anderen. Mein Umgang mit der Situation war geprägt von einem langsamen Erwachen. Ich verstand – und gleichzeitig verstand ich nicht. Was war geschehen? Welche Mechanismen waren hier am Werk? Warum ist die Party nicht auch für alle anderen vorbei? Woher die Blindheit, woher der Realitätsverlust?

ICH HABE MICH GEIRRT

Am Anfang steht das Bauchgefühl, dass das, was nicht stimmt, nicht man selbst ist – sondern die Situation. Dem aber folgt bald schon das Eingeständnis, dass man sich geirrt hat, und zwar in mindestens einem wesentlichen Punkt der Sicht auf die Dinge, und dass es gerade dieser Irrtum ist, der uns Teil der Situation werden ließ. Nun ist Irren nur allzu menschlich, doch die Größe, sagt man, soll im Eingestehen des Irrtums liegen und darin, aus seinem Fehler zu lernen. Oder, um es mit Goethe zu sagen: »Einer neuen Wahrheit ist nichts schädlicher als ein alter Irrtum.« Die Situation hat Erkenntnisse hervorgebracht, die das Weltbild vieler ins Wanken gebracht haben. Man wird sich eingestehen müssen, dass man sich vielleicht ein wenig hat blenden lassen. Man ist eine gewisse Zeit lang in die falsche Richtung gerannt. Vielleicht war man auch einfach zu gutgläubig.

Die Erkenntnis kann stattfinden, sobald das Narrativ, auf dem die Weltsicht der anderen aufgebaut ist, sichtbar zu bröckeln beginnt. So entwickelten sich auch die Schlüsselerzählungen der letzten beiden Jahre: Die zahlreichen Säulen des Narrativs – etwa die PCR-Tests, die Überlastung der Intensivstationen, die Mortalitätsrate, die Masken, das Wohlwollen der Politiker, die Schulen als Treiber der Pandemie, die Impfung –, all diese für wahr geglaubten Wissensbestände brachen zusammen wie ein Kartenhaus, und das vor unser aller Augen.

Nun wird ja, wer die Situation bewusst und kritisch verfolgt hat, nicht verwundert gewesen sein. Die Ergebnisse vieler Studien bestätigen sehr viel von dem, worauf in den letzten beiden Jahren hingewiesen wurde. Doch wie kommt es, dass diese Irrtümer erst so spät als solche erkannt und aufgearbeitet werden – wenn überhaupt?

Ein Grund liegt sicherlich in der »unheiligen Allianz aus Wissenschaftlern, Medien und Politik«, wie es der Journalist Frank Lübberding formuliert hat:

»Einige Wissenschaftler deklarierten, was Wissenschaft ist – nämlich nur ihre jeweilige Position. Medien sorgten für die nötige Reichweite, indem sie Gegenpositionen als unwissenschaftlich und gefährlich abqualifizierten. Das hatten schließlich die von ihnen zitierten Wissenschaftler so gesagt. Die Politik wiederum legitimierte ihre Entscheidungen mit den Einschätzungen jener Wissenschaftler, die das sagten, was die Politik aus unerfindlichen Gründen hören wollte: Dramatisierung anstatt Entdramatisierung. Allerdings geriet diese Allianz mit dem weitgehenden Zusammenbruch ihrer wissenschaftlichen Annahmen selber unter Legitimationsdruck.«1

Über ein Jahr lang hat das frostige Klima der Ideologie eine dicke Eisschicht über unsere Gesellschaft gezogen und sie zur Bewegungslosigkeit verdammt. Die Folgen dieses Zustands waren bald schon absehbar: immense wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Katastrophen, traumatisierte Kinder, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, die schleichende Entwicklung hin zu einem totalitären, biopolitischen Verordnungsstaat ...

Doch das Eis, das uns so sehr zur Bewegungslosigkeit verurteilt hatte, das uns gezwungen hatte, all das reglos mit anzusehen, hat inzwischen längst Risse, die unheilige Allianz aus Wissenschaftlern, Medien und Politik ist aufgeflogen – und die meisten Menschen laufen trotzdem noch immer wie mit Schlittschuhen darauf, getragen allein von der Ignoranz und der Illusion, die ihnen Selbstgefälligkeit und Diskursverweigerung ermöglichen. Wer gedacht hatte, es ginge ihnen um eine freie Gesellschaft und dass ihre Bereitschaft, unhinterfragt Anweisungen zu befolgen, die unter normalen Umständen mehr als nur ein dumpfes Unbehagen in der Magengegend bedingen sollten, einzig und allein aus der selbstlosen Absicht resultiere, größeren Schaden zu verhindern, muss sich angesichts der diese Annahme ad absurdum führenden gewaltigen Kollateralschäden eingestehen, dass er sich wohl geirrt hat.

Wie kann das sein? Die Mehrheit der Menschen folgt einer Seite, deren Aussagen an Gefährlichkeit und totalitärer Rhetorik kaum zu überbieten sind. »Wo die Freiwilligkeit zum Ergebnis führt, da braucht es keine Pflicht«, sagte Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn, der die Impfung auch als »patriotischen Akt« bezeichnete. »Die Maske wird zum Symbol der Freiheit«, postulierte der bayrische Ministerpräsident Markus Söder, und der Journalist Sascha Lobo sprach sich für eine »kalte Impfpflicht«2 aus. Der Fernsehkomödiant Eckart von Hirschhausen meinte: »Wer sich nicht impfen lässt, ist ein asozialer Trittbrettfahrer«, und sein Berufskollege Dieter Nuhr forderte die Menschen auf, ihre »kleine Angst« zu überwinden und sich für die Volkswirtschaft spritzen zu lassen.

Innenminister Seehofer erwähnte in einem Interview: »Die nicht geimpfte Person muss auch einsehen, dass wir die Gesamtgesellschaft schützen müssen und deshalb nur die Geimpften zu größeren Gemeinschaftsveranstaltungen zulassen können.« Und schließlich schrieb der Journalist Nikolaus Blome: »Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen«, nur noch übertroffen von der Aussage des CDU-Politikers Ruprecht Polenz, Geimpfte und Ungeimpfte seien nicht gleich und hätten deshalb auch keine Gleichbehandlung vor dem Gesetz verdient. Auf dem Düsseldorfer Fernsehturm war prominent und offiziell zu lesen »Impfen gleich Freiheit«, und Landespolitiker der CDU twitterten taktlos und geschichtsverharmlosend den Spruch »Impfen macht frei«.

Sicherlich: Wer hier nicht aufschreit und »Wehret den Anfängen« ruft, kann nicht länger für sich in Anspruch nehmen, er sei gegen die Aufopferung des Individuums für das Gemeinwohl. Gegen Anpassung, Autoritätshörigkeit und Konformismus. Gegen Autokratie und Kontrollstaat, gegen einen Polizeistaat, der bloß nach law and order vorgeht. Gegen Propaganda, Zensur und eine Verengung der Debatte. Gegen Diffamierung, Hetze, Diskriminierung und die Ausgrenzung Andersdenkender.

Und doch scheint das Eis nicht zu brechen.

Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard unterschied zwischen zwei Arten des Irrtums: »Indem man glaubt, was nicht wahr ist. Oder indem man sich weigert zu glauben, was wahr ist.« Diese Weigerung besteht nach wie vor. Doch wieso fällt es uns so schwer, Irrtümer, Inkompetenz, fehlerhafte Annahmen, Unvermögen, Korruption und sogar offensichtlichen Betrug zu erkennen und als solche zu benennen?

Zum Verdrängen des Offensichtlichen gehören hierbei manchmal zwei. Zum einen der, dem der Mut fehlt, seiner Intuition zu folgen und das Offensichtliche auszusprechen. Zum anderen derjenige, der ein Klima erzeugt, in dem Kritik von Vornherein undenkbar ist, und selbst dann, wenn das Augenscheinliche unleugbar vor ihm steht, Realitätsverweigerung betreibt. Über die Natur dieses Klimas, die unsere Gesellschaft noch immer lähmt, soll im Folgenden nachgedacht werden.

Um den anderen großen Dänen, Hans Christian Andersen, zu zitieren:

»›Aber er hat ja nichts an!‹ sagte endlich ein kleines Kind. ›Herr Gott, hört des Unschuldigen Stimme!‹ sagte der Vater; und der Eine zischelte dem Andern zu, was das Kind gesagt hatte. ›Aber er hat ja nichts an!‹ rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn es schien ihm, sie hätten Recht; aber er dachte bei sich: ›Nun muß ich die Prozession aushalten.‹ Und die Kammerherren gingen noch straffer und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.«

Dass der Kaiser nackt ist, hat das Kind jetzt mehrmals gerufen; seine Stimme wird von Mal zu Mal verzweifelter und lauter. Und doch tragen wir noch immer eine Schleppe, die gar nicht da ist, anstatt sie loszulassen und uns selbst zu befreien. Wie kann das sein?

IM LAND DER NASHÖRNER

In seinem Theaterstück Die Nashörner aus dem Jahr 1957 beschreibt der französisch-rumänische Dramatiker Eugène Ionesco, wie sich Menschen nach und nach in Nashörner verwandeln. Die »Rhinozeritis« greift um sich. Es handelt sich um eine imaginäre Epidemie, die alle Bewohner einer Stadt in Furcht und Schrecken versetzt und zu Nashörnern werden lässt. Diejenigen, die sich verwandelt haben, schließen sich wie selbstverständlich der durch die Straßen preschenden Nashornherde an – sei es aufgrund einer Herdenmentalität, aus Opportunismus oder aber aus Angst. Warnungen einzelner Protagonisten vermögen den Verwandelten nicht Einhalt zu gebieten; sie verschlimmern vielmehr die Situation der Warner. Nur wenige sind es, die diese Verwandlung überhaupt wahrnehmen. Und nur ein Einziger widersteht letztlich der Massenpsychose. Während sich auch die Figur des Intellektuellen (genannt der »Logiker«) in ein Tier verwandelt, bleibt am Ende der Protagonist Behringer, der für seine untätige Träumerei zuvor verspottet wurde, der einzige Nicht-Verwandelte, der sagt: »Ein Mann, der zum Nashorn wird, ist zweifellos abnormal.« Zuerst beginnen sich die Menschen allmählich an das zu gewöhnen, was sie zuvor abgestoßen hat, dann, als die Bewegung gigantische Dimensionen annimmt, kommt es zu einer großen Wandlung der Gleichförmigkeit: Die »Masse« hat sich der Neuen Normalität der Nashornifizierung ergeben.

Für den deutschen Publizisten Richard Herzinger zeigt Ionescos Stück, wie die »Bedrohung der bürgerlichen Gesellschaft durch eine wie aus dem Nichts auftauchende, alle humanen Grundwerte pulverisierende Kraft [...] zuerst verleugnet, dann verharmlost und schließlich implizit oder explizit gerechtfertigt« wird.

»Je mehr rechtschaffene Bürger sich nach und nach in schnaubende Viecher verwandeln, die rücksichtslos alles niederwalzen, was ihnen im Weg steht, desto größer wird die Bereitschaft der noch nicht Transformierten, in diesen Horden auch die guten Seiten zu sehen – oder zumindest aus der bloßen Tatsache ihres Daseins eine gewisse Legitimität ihres Soseins abzuleiten.«

Unschwer lässt sich Die Nashörner als Metapher für die jederzeit mögliche Selbstaufgabe der liberalen Welt, gar für den Aufstieg des Totalitarismus lesen, der durch einen grassierenden Konformismus und die Unmöglichkeit des Widerstands gegen eine gefährliche Entwicklung, die nach und nach die gesamte Gesellschaft erfasst, überhaupt erst ermöglicht wird. Das Stück zeige, so Herzinger, »dass die eigentliche Gefahr in der Passivität der zivilisierten Gesellschaft und ihrer heimlichen Sehnsucht liegt, sich von einem die Verhältnisse scheinbar radikal vereinfachenden Prinzip überwältigen zu lassen«.3

Es ist keine Übertreibung, wenn man in der gegenwärtigen Situation die Gefahr eines Aufstiegs des kommenden Totalitarismus erkennt. Einige Intellektuelle wie die amerikanische Publizistin Naomi Wolf oder der Dramatiker CJ Hopkins haben das ohne falsche Rücksichtnahme getan. Auch wenn es, da die Anzeichen so überdeutlich sind, kaum noch einer Begründung bedarf, soll in diesem Buch trotzdem der Versuch gemacht werden, zum einen die Gefahren, die in einer Verstetigung der Situation und der Gewöhnung an sie liegen, herauszustellen, und zum anderen die Besonderheit des kommenden Totalitarismus zu formulieren. Dazu später mehr.

Doch von noch größerem Interesse als die Frage nach der Eigenart des heraufziehenden Totalitarismus sind die, die sich auch an Ionescos Stück anschließen: Warum erkennen es einige wenige, die Masse aber nicht? Wie bleibt man ein Nicht-Verwandelter, ein Mensch unter Nashörnern? Liegt darin überhaupt ein Wert (denn man macht es sich ja selbst bloß schwer, ohne das Unheil aufhalten zu können)? Kann man dem Wahn etwas entgegensetzen, und wenn ja, was? Welche Rolle spielen dabei Faktenwissen, Vernunftgründe und Aufklärung?

Wer sich in der Sicherheit wiegt, die Vernunft werde sich am Ende immer irgendwie durchsetzen, ist Opfer einer Illusion geworden. Ionesco war einer der wenigen Autoren, die das Irrationale als eine autonome Macht, die keiner Begründung außerhalb ihrer selbst bedarf, ernst genommen haben. Sein Stück stellt die Frage, unter welchen Bedingungen es möglich ist, in einem Land, in dem sich alle Menschen in Nashörner verwandeln, menschlich zu bleiben.

1 Frank Lübberding, »Der Fall Schrappe«, in: Welt, 29. Juni 2021, https://www.welt.de/kultur/plus232088383/Intensivbetten-Recherche-Der-Fall-Schrappe.html?

2 Zur Erläuterung: »Die kalte Impfpflicht ist eine nicht gesetzlich festgeschriebene, aber faktische Impfpflicht, weil der ungeimpfte Alltag für viele Leute schwierig bis unmöglich wird.«

3 Richard Herzinger, »Er sah die Selbstaufgabe der liberalen Welt voraus«, in: Welt, 25. März 2017, https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article163154674/Er-sah-die-Selbstaufgabe-der-liberalen-Welt-voraus.html

Erst wenn wir die Natur der Misere verstehen, die Eigenart der Knechtschaft, in die uns die Nashornifizierung geführt hat, verstehen wir, was wir verdrängt haben. Es ist eine Krise der Vorstellungskraft, die uns verwehrt, zu sehen, wie Dinge, die wir vor einigen Jahren noch als unerhört abgelehnt haben, auf einmal zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Umwertungen und Umwälzungen gab es in der Menschheitsgeschichte immer wieder, und oft geben wir den Zeiten, in denen wir im Nachhinein den einen oder anderen Paradigmenwechsel im politischen System, im gesellschaftlichen Leben oder in Kultur und Wissenschaft verorten, aussagekräftige Epochennamen, die den Zeitgenossen selbst kaum verständlich gewesen sein dürften, weil sie die Natur und Wirkkraft der stattgefundenen Umwälzung noch nicht abschätzen konnten.

Doch das Besondere an der Großen Umkehrung unserer Epoche ist nicht nur, dass sie in so kurzer Zeit mit so großer Beschleunigung und für alle fühl- und sichtbar stattgefunden hat, sondern auch, dass sie das gesamte Leben umfasst. Es ist ein totaler Paradigmenwechsel, der alle Bereiche der Gesellschaft betrifft und sie teilweise in ihren Grundfesten erschüttert. Die Totalität der Revolution aber erlaubt ihr, ohne nennenswerten Widerstand zu bleiben. Zu unvorstellbar scheint einerseits, dass zu unseren Lebzeiten in einer derart komplexen, ausdifferenzierten und hyperindividualisierten Welt ein solch grundlegender Wandel möglich sein soll. Andererseits ist der Einzelne jeweils in seinem eigenen Bereich derart herausgefordert, sich wie auch immer – ob affirmativ, verdrängend/verharmlosend oder kritisch – zu den Erschütterungen zu verhalten, dass ihm übermenschlich erscheinen muss, was auch dieses Buch nicht leisten kann: eine Gesamtschau der Großen Umkehrung in all ihren Subsystemen, Diskursen und Institutionen und diese zum Anlass zu nehmen, sich der Frage auszusetzen, ob man die Neue Normalität, von der sie jetzt alle sprechen, für sich als wünschens- und lebenswert betrachten kann.

So wichtig es ist, diese Erschütterungen und Umwälzungen im Einzelnen aufzuzeigen, so nötig ist es aber auch, im Versuch einer Meta-Analyse aufzuzeigen, was das Wesen der Großen Umkehrung ausmacht und welche Risiken und Nebenwirkungen sie mit sich bringt. Dies ist sicherlich das von allen gewagteste Unterfangen, weil es sich vollends auf den Boden der Spekulation begibt und es zugleich vorziehen würde, im Unrecht geblieben zu sein. Was uns passiert ist, wie es uns geschehen konnte und was auf dem Spiel steht – dies zu bedenken kann der Beginn des Erwachens aus einem Schlaf sein, in den wir halb durch die einlullende Rhetorik des »Verblendungszusammenhanges« gewiegt wurden und halb durch eigenes Verschulden gefallen sind.

WAS STIMMT DENN NICHT MIT MIR?

Warum bleiben einige unverwandelt? Warum wird eine Gesellschaft nicht in Gänze von einem Massenwahn ergriffen? Und liegt in der Antwort auf diese Frage die Möglichkeit, die Widerstandsfähigkeit offener Gesellschaften gegenüber totalitären Tendenzen zu stärken? Denn dann müsste man »einfach nur« die Bedingungen für das mögliche Entstehen solcher autonomer und widerstandsfähiger Persönlichkeiten verändern. Oder müssen wir der Erkenntnis ins Auge sehen, dass immer nur einige wenige immun bleiben, die Entwicklungen dokumentieren, frühzeitig vor dem Schlimmsten warnen und auf ihre je eigene Art Widerstand leisten, dafür mit Ausschluss, Missachtung, Haft oder Tod bestraft und ein paar Generationen später zu Helden erklärt werden, denen man Denkmäler baut, um ihr Andenken, im nächsten Totalitarismus, getrost wieder zu vergessen?

Was aber macht einige zu »Sehenden«? Laut dem deutschisraelischen Psychoanalytiker Erich Neumann, einem Schüler C. G. Jungs, sind es vor allem »die Sensiblen, seelisch Kranken und schöpferischen Menschen«, die aufgrund ihrer »gesteigerten Durchlässigkeit für die Inhalte des kollektiven Unbewussten« fähig sind, Entwicklungen zu erkennen, die der Mehrheit der Gesellschaft verborgen bleiben:

»Nicht selten erkrankt ein Sensibler an der Unfähigkeit, mit einem Problem fertig zu werden, das als Problem von der Welt nicht erkannt wird, in der er lebt, das aber ein Zukunftsproblem der Menschheit ist, das in ihm sich stellt und ihn zur Auseinandersetzung zwingt.«

Dieses prophetische Vorläufertum der Unzeitgemäßen und Empfindsamen sei, so Neumann, für das Kollektiv von entscheidender Bedeutung. Auch der Rolle des Bauchgefühls und der Intuition dürfte in dieser Frage eine weitaus größere Bedeutung zukommen als der des Verstandes. Denn dumm sind die Menschen nicht, die sich zu Nashörnern machen lassen. Aber diejenigen, die der Verwandlung widerstehen, werden durch ein Gefühl geleitet, das in ihnen eine Wiedererinnerung auslöst.

Wenn uns eine solche Wiedererinnerung überkommt, so ist sie manchmal von dem Gefühl begleitet, plötzlich wieder das Kind einer überbehütenden, kontrollsüchtigen Mutter zu sein. »Vielleicht meint Mutter es nur gut mit mir«, so unsere Vermutung, »aber aus irgendeinem Grund kann sie nicht loslassen und erdrückt mich mit ihren Regeln.« Zugleich merken wir, dass wir nie gut genug, nie brav genug sind. Wir sind einfach nicht liebenswert, dabei haben wir doch alle Regeln befolgt. »Ich kann tun, was ich will«, denken wir, »sie liebt mich einfach nicht. Ganz im Gegenteil, je braver ich bin, desto mehr scheint sie mich zu demütigen.«

Wir fühlen uns von der Mutter völlig in Beschlag genommen – und dieses Gefühl missfällt uns. Wir fühlen uns eingeschlossen wie Rapunzel im »Turm der Verbote« (Eugen Drewermann). Und dann beginnt die Mutter wieder damit, uns Regeln aufzubürden, die wir kaum befolgen können, spricht Verbote aus, sie gängelt uns, mutet uns Unmenschliches zu, dabei beobachtet und kontrolliert sie uns permanent. Die Mutter will alles wissen, was wir tun und lassen, sagen und denken.

Wir haben auch versucht, nicht brav zu sein, weil wir wissen, dass das ein Teil des Erwachsenwerdens ist. Wir haben versucht, uns aufzulehnen. Wir haben versucht, ihrem Blick und ihrem Arm zu entkommen. Es gelingt uns nicht. Die Mutter unterdrückt all unsere Bestrebungen, uns ihrem Willen zu widersetzen. Sie droht uns sogar, will uns weismachen, wir würden sterben und am Tod anderer schuldig sein, wenn wir wir selbst sein und einfach nur unser Leben leben wollen.

Dann haben wir versucht, mit unserem Vater darüber zu sprechen, mit Freunden und Verwandten, mit den Lehrern, mit Behörden. »Sie sind dafür da, mich zu schützen, wenn ich von der allmächtigen und allgegenwärtigen Mutter schlecht behandelt werde«, dachten wir. »Das ist ihre Aufgabe – zuzuhören, aufzupassen, ihre Stimme zu erheben, sich schützend vor mich zu stellen. Mir zu helfen.« Doch sie haben versagt.

Und nur einige wenige unter diesen einigen wenigen kommen – spät, oft zu spät – zu der Erkenntnis, dass die ersten Schritte auf dem Weg, erwachsen zu werden, darin bestehen, die zugleich überbehütenden wie vernachlässigenden Eltern nicht länger verteidigen zu müssen. Sie bestehen in der Einsicht, dass uns niemand geholfen hat und dass die, die dafür verantwortlich gewesen wären, ihrer Aufgabe und Pflicht nicht nachgekommen sind, weil sie feige waren und ängstlich. Sie haben weggesehen, haben verharmlost, haben Gaslighting betrieben. Sie haben gesagt, wir seien verrückt, das würden wir uns nur einbilden, niemand wolle uns etwas Schlechtes, schon gar nicht die eigene Mutter. Oder, am schlimmsten: Sie haben von der Situation profitiert. Sie haben nicht nur zugesehen, sondern sogar mitgemacht.

Der erste Schritt auf dem Weg, autark und erwachsen zu werden, besteht darin, die schlechte Mutter nicht mehr zu verteidigen. Der zweite, zu verstehen, dass es nicht unsere Schuld war. Denn kein noch so invasives Elternregime kann uns den Zugang zur eigenen Stimme gänzlich verschütten, und wir können, wenn wir uns gegen den Gehorsam entscheiden, beginnen, tief in uns zu ahnen: Wir müssen dem Turm der Verbote entfliehen, koste es, was es wolle.

EINE SELTSAME KNECHTSCHAFT

Es beginnt also mit dem vagen Gefühl, dass man selbst in Ordnung ist, auch wenn die Autoritäten (»die Politiker«, »die Wissenschaftler«, »die Medien«, »die Gesellschaft«) einem einreden wollen, man sei so gefährlich, dass man eingesperrt gehöre. Es beginnt mit dem oft nur halb eingestandenen Bewusstsein, dass man ein Recht darauf hat, eine eigene Sicht auf die Dinge zu haben und sein Leben auf seine Weise führen zu wollen. Was als Ahnung beginnt, wird zu dem immer tiefer verankerten Wunsch, hier herauszuwollen.

Bloß wie? Um die Frage nach den Möglichkeiten einer Flucht aus dem Gefängnis (oder gar seiner Zerstörung) zu beantworten, muss zuerst ergründet werden, wie es um die Natur der Gefangenschaft bestellt ist. Was ist dieses »Hier« eigentlich, das einem das Gefühl gibt, unbedingt verschwinden zu müssen?

Es ist eine eigenartige Gefangenschaft, in die wir geraten sind. Ihre Eigenart besteht, wie bereits gesagt, unter anderem darin, dass einige sie von erster Minute an beklagten, doch viele sie gar nicht groß zu bemerken scheinen. Und wenn, dann halten sie sie für ein notwendiges Übel, weil sie den zwar stets wechselnden, aber schließlich mit der Autorität der Wissenschaft untermauerten Begründungen der Regierungen Glauben schenken.

Wie ist es eigentlich möglich, fragte im 18. Jahrhundert der schottische Philosoph David Hume, dass die wenigen mit solcher Leichtigkeit über die vielen herrschen? Wie gelingt es einigen wenigen, so viele Menschen in Geiselhaft zu halten und sie mit dem Versprechen von mehr »Freiheiten« dazu zu verführen, sogar einen genbasierten Stoff an sich ausprobieren zu lassen, was kaum einer aus gesundheitlichen oder altruistischen Gründen tut, sondern allein aus dem verständlichen Wunsch heraus, wieder frei zu sein? Die Vermutung liegt nahe, dass es sich keinesfalls um eine einseitige Überwältigung durch Mächtigere handelt, sondern vielmehr um eine verhängnisvolle Kollaboration – wir haben unserer Freiheitsberaubung nicht nur zugesehen, wir haben ihr zumindest implizit zugestimmt. Wir haben uns aufgrund eines stillschweigenden Einvernehmens auf den Weg in eine freiwillige Knechtschaft begeben. Diese freiwillige Knechtschaft ist geprägt von vielen Freiheiten. Was widersprüchlich klingen mag, wird in den Worten des österreichischen Sozialphilosophen Friedrich August von Hayek verständlich: Eine Gesellschaft der Freiheiten ist keine Gesellschaft der Freiheit. Sie ist vielmehr eine Gesellschaft, in der einzelne Privilegien zugestanden werden und die Menschen einzelne Freiheiten im Austausch gegen Angebote erwerben, die sie nicht ablehnen können. Außerdem ist es eine schleichend sich verfestigende Einschränkung im Kleinen, was es besonders bedenklich macht. Wenn der Zweck partieller Freiheit die Erhaltung genereller Unfreiheit ist, ist sie nichts wert. Der französische Politiker und Historiker Alexis de Tocqueville fragt zu Recht: »Welchen Wert hat politische Freiheit, wenn sie nicht Mittel ist für moralische Freiheit? Ist es die Freiheit, Sklave zu sein, oder die Freiheit, frei zu sein, auf die wir stolz sind?«

Die Freiwilligkeit und Leichtfertigkeit, mit der wir unsere Freiheit abgegeben haben, haben jedoch ihren Grund. Sie sind vorbereitet worden durch einen Propagandafeldzug, der uns innerhalb nur weniger Monate die Werte einer offenen Gesellschaft hat vergessen lassen und ehemalige Selbstverständlichkeiten beiseite gefegt hat. Er ist begleitet von einer »Verwaltung der Angst«, wie der französische Philosoph Paul Virilio es genannt hat. Die Angst, die unsere Gesellschaft nicht erst seit der Situation, aber seitdem in augenfälliger Dimension, beherrscht, ist der Nährboden für eine Entwicklung auf politischer, medialer, gesellschaftlicher und psychosozialer Ebene, deren Ausmaße noch gar nicht abzusehen sind. Sie wird aufrechterhalten durch ein Konglomerat von Interessen und Desinteressen: auf der einen Seite das Machtstreben, der Lobbyismus und die Korrumpierbarkeit in der Politik, die Profitinteressen der Wirtschaft, vor allem der Big-Tech- und Big-Pharma-Unternehmen, und die Gesellschaftsklempnerei und Planwirtschaftsspiele der Utopisten sowie auf der anderen Seite die Unbedarftheit und Naivität der Bevölkerung, begleitet von einer generellen Furcht vor der Freiheit und einer sinnentleerten, hypermoralistischen Solidaritätsrhetorik sowie der intellektuellen Feigheit und Impotenz ehemals renommierter Philosophen, Publizisten, Schriftsteller und Wissenschaftler.

Dies ist die Eigenart der Knechtschaft, die die Menschen »im Kleinen versklavt« (Alexis de Tocqueville). Doch die Frage, warum nur einige dies frühzeitig erkannt und die meisten eine solche Beschreibung der Situation entweder verständnislos oder entrüstet ablehnen würden, wurde damit noch nicht berührt. Warum bezeichnen so viele diejenigen, die vor der Nashornifizerung nicht nur des Abendlandes warnen, als Hysteriker und Panikmacher? Warum wird das Offensichtliche von so vielen geleugnet?

WIR VERDRÄNGUNGSKÜNSTLER: WIE DIE SITUATION UNS VERÄNDERT

Leugnen, bis es nicht mehr geht: Der Mensch überspielt die ernsten Gefahren nach Möglichkeit.1 Und er hat Mühe zu akzeptieren, dass eine kleine Ausgangssperre so viel stärker ist als er selbst. Über unsere Reaktionen auf die Situation können wir vielleicht von der schweizerischen Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross etwas lernen. Sie schildert in Über den Tod und das Leben danach, wie wir auf die Mitteilung reagieren, dass wir an einer tödlichen Krankheit leiden. Kübler-Ross zufolge besteht die Reaktion aus fünf Stadien. Erstens: Verleugnung (man weigert sich einfach, die Tatsache anzuerkennen: »Das kann mir nicht passieren, mir doch nicht«). Zweitens: Wut (sie bricht aus, wenn wir die Tatsache nicht länger leugnen können: »Wie kann das mir geschehen?«). Drittens: Verhandeln (die Hoffnung, wir könnten die Tatsache irgendwie hinausschieben oder herunterspielen: »Wenigstens so lange, dass ich den Schulabschluss meiner Kinder erlebe«). Sodann: Depression (»Ich werde bald sterben, warum also sollte mich noch irgendetwas kümmern?«). Schließlich: Akzeptieren (»Ich kann nicht dagegen ankämpfen, also kann ich mich ebenso gut darauf vorbereiten«).

Diese fünf Stadien kann man auch dann erkennen, wenn eine Gesellschaft mit einem traumatischen Einschnitt konfrontiert ist. Nehmen wir beispielsweise die Gefahr einer wirtschaftlichen Katastrophe: Zunächst neigen wir dazu, sie zu leugnen (nichts als Paranoia, in Wirklichkeit sind das nur die üblichen Schwankungen der Aktienkurse). Dann kommt die Wut (auf die großen Unternehmen, auf die Regierung, die durch fehlerhafte Politik Wohlstand vernichtet hat), der das Verhandeln folgt (wenn wir nur noch dieses eine Staatsprogramm beschließen, das uns aus der Krise rausholt, wenn wir nur noch eine Milliarde mehr Schulden machen ...). Als Nächstes die Depression (es ist zu spät, wir sind verloren …), und schließlich bricht sich die Akzeptanz Bahn – wir haben es mit einer ernsten Bedrohung zu tun, wir werden unseren Lebensstil grundlegend und nachhaltig ändern müssen!

Im Mittelalter reagierte die Bevölkerung einer von der Pest heimgesuchten Stadt auf die Anzeichen der Krankheit ähnlich. Zunächst Verleugnung, dann Wut (auf unser sündiges Leben, für das wir bestraft werden, oder gar auf den grausamen Gott, der die Seuche zugelassen hat), dann Verhandeln (es ist nicht so schlimm, meiden wir doch einfach die Kranken), dann Depression (unser Leben ist vorbei …) und anschließend interessanterweise Orgien (weil das Leben vorbei ist, wollen wir alle Freuden auskosten, die noch möglich sind – Trinken, Sex …) und am Ende die Akzeptanz: Da sind wir nun, wir sollten uns einfach so verhalten, als ginge das normale Leben weiter. Gehen wir nicht auch mit den beinahe weltweiten staatlichen Einschränkungen unserer Freiheiten und Grundrechte auf diese geradezu exemplarische Art und Weise um?

Zunächst Verleugnung (nichts Ernstes, das ist nur vorübergehend, außerdem absolut notwendig). In dieser ersten Phase befinden sich nach wie vor der Großteil unserer Gesellschaft, Politiker, Medien und Intellektuelle – mit wenigen Ausnahmen – eingeschlossen. Die Leugnung besteht darin, die wenigen Ausnahmen – diejenigen, die vor der Einschränkung unserer Rechte warnen, die Maßnahmen kritisieren und ihre Angemessenheit hinterfragen – als Panikmacher, Totalitarismushysteriker und Verschwörungstheoretiker zu verleumden. Sie besteht darin, wegzusehen, wenn Experten, die der offiziellen Version gegenüber skeptisch sind, diffamiert, ignoriert oder mundtot gemacht und ihre Äußerungen in sozialen Netzwerken gelöscht werden. Sie besteht darin, es zu verharmlosen, wenn die Regierungen in einer nie dagewesenen Einhelligkeit Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen beschließen, die man vor ein paar Jahren noch als Freifahrtschein Richtung 1984 vehement abgelehnt hätte. Die Leugnung ist, in der Ortung von Gesundheitsdaten per App und deren Übermittlung an die Behörden keine Gefahr zu sehen oder nicht aufzuhorchen, wenn das Demonstrations- und Versammlungsrecht für unbefristete Zeit ausgesetzt wird und Menschen festgenommen werden, die zur friedlichen Demonstration aufrufen oder an ihr teilnehmen. Leugnung ist es, sich nichts dabei zu denken, wenn plötzlich viele unserer Nachbarn zu Blockwarten und Spitzeln mutieren und eine Mentalität an den Tag legen, die die Jüngeren unter uns nur aus den Geschichtsbüchern kennen.

All dies ist die Leugnung der Totalitarismusgefahr, und es ist nicht abzusehen, wann wir diese Phase beendet haben werden. Wahrscheinlich erst dann, wenn es zu spät ist. Es folgt die Phase Wut (gewöhnlich gegen die gerichtet, die aus der Reihe tanzen, die Warner und Skeptiker, das Virus, das Schicksal). Dann das Verhandeln (okay, seine Grundrechte aufgeben ist nicht ungefährlich, aber wenn wir das für einige Zeit tun, dann werden wir bestimmt viele Leben retten können, und vielleicht wird das auch unser Weg sein müssen, wenn wir uns um andere derartige Dinge wie den Klimawandel kümmern – Freiheit aufgeben, um Leben und Sicherheit zu gewinnen). Wenn das nicht funktioniert, bricht sich die Depression Bahn (wir sollten uns nichts vormachen, wir sind alle dem Untergang geweiht). Aber wie sähe ein Akzeptieren aus?

Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass Maßnahmen wie Kontaktverbote, Ausgangssperren und gesellschaftlicher Ausschluss von Ungeimpften nicht für eine bestimmte Dauer ergriffen werden und dann wieder verschwinden. Vielmehr bleiben sie und gehen immer weiter; sie bringen dauernde Einschränkung, Kontrolle und Überwachung in unser Leben.