Der letzte Caffè - Carsten Sebastian Henn - E-Book

Der letzte Caffè E-Book

Carsten Sebastian Henn

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  • Herausgeber: Piper ebooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Ein Fall heißer als frisch gebrühter Kaffee Triest – Stadt der Winde und des Kaffees. Hier soll es den besten Espresso von ganz Italien geben, der Capo Triestino ist eine stadteigene Spezialität. Eines Morgens wird auf der berühmten Piazza grande eine verkohlte Leiche gefunden. Der Tote war einer der besten Baristas der norditalienischen Hafenstadt, vier andere sind spurlos verschwunden. Doch wer hätte ein Motiv, den gefeierten Künstlern der Espressomaschinen Leid zuzufügen? Sofort wird Professor Adalbert Bietigheim zu Hilfe gerufen. Pikanterweise ist einer der verschwundenen Baristas der Mann seiner großen Jugendliebe – für den sie ihn damals verlassen hat. Dennoch bezieht er bei ihrer Familie in Schloss Duino mit Foxterrier Benno Quartier, um ein im wahrsten Sinne des Wortes dunkles Verbrechen aufzuklären ...

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Für meinen großen Bruder, der auch ein großer Freund ist und die Leidenschaft für das schwarze Gebräu mit mir teilt.

© Piper Verlag GmbH, München 2018 Covergestaltung: U1 berlin / Patrizia Di Stefano Covermotiv: Oliver Wetter Datenkonvertierung: CPI GmbH, Leck

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Inhalt

Cover & Impressum

Motto

Prolog

Kapitel 1 – Der Professor trifft Kaiserin Sissi

Kapitel 2 – Der Professor benötigt keine Anstandsdame

Kapitel 3 – Adalberto (Barista)

Kapitel 4 – Jagd auf den Professor

Kapitel 5 – Ein Barbiersalon für Bohnen

Kapitel 6 – Der Professor trinkt Kaffee auf die richtige Art

Kapitel 7 – Der Professor stiftet zu einem Verbrechen an

Kapitel 8 – Der Professor hat die Kontrolle über sein Leben nicht verloren

Kapitel 9 – Briška jama empfängt den Professor

Kapitel 10 – Der Professor sitzt nicht in der Mitte

Epilog

Rezepte

Kürbis-Kaffee-Suppe

Risotto caffea mit Jakobsmuscheln

Kaffeelachs an Graupenrisotto

Pasta mit Champignons und Kaffee-Essenz

Brasilianische Kaffeesteaks

Affogato al Caffè

Grießknödel mit Kaffeefeigen

Quellenverzeichnis

Danksagung

Guide

 

 

 

Herbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.

Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,

und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein

gib ihnen noch zwei südlichere Tage,

dränge sie zur Vollendung hin und jage

die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben

wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben

und wird in den Alleen hin und her

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke

PROLOG

 

Die pechschwarze kleine Katze rieb sich am Bein von James Joyce. Auf ihrer nächtlichen Runde markierte sie stets den metallenen Schriftsteller, der auf der Brücke Ponterosso errichtet worden war. Das Wasser im Canale Grande Triests, der nur dem Namen nach groß war, schwappte gewaltig, die festgemachten Boote tanzten wild auf den Wellen, schienen sich losreißen zu wollen, um hinaus aufs Meer zu fliehen. Der starke Wind wehte unablässig, auch durch das Fell der pechschwarzen Katze, die elegant die Via Roma Richtung Piazza dell Unità d’Italia lief, den die Triester nur Piazza Grande nannten. Um den Hals des Tieres hing ein Band mit einem kleinen vergoldeten Glöckchen. Arabica gehörte einer alten Dame, die nur bei offenem Fenster schlafen konnte und nie bemerkte, wenn ihre samtpfotige Mitbewohnerin zur Jagd aufbrach. Die kleine Katze hoffte auf eine unvorsichtige Maus, noch besser eine träge Ratte. Sie fanden sich im Hafen und an den Mülleimern des Meeresboulevards.

Arabica schrak auf, denn sie hörte die Schreie zweier kämpfender Artgenossen, die nur für Menschenohren wie die von Kindern klangen. Es war kurz nach vier in der Früh, und die Stadt am Meer gehörte Jägerinnen wie ihr und anderen Geschöpfen der Nacht, die mit den Schatten verschmolzen und deren Augen das fahle Mondlicht vervielfachten wie Spiegel.

Um die Cafés der Stadt machte Arabica einen Bogen, da sie die Röstnoten nicht mochte, die sie umwaberten. Das Dunkle, Bittere, in dem immer noch die Hitze der Trommelröster lag, jagte ihr Angst ein. Am schlimmsten war die kleine Kaffeerösterei La Triestina in der Piazza Cavana, mitten in der Altstadt von Triest. Dort war der Duft so intensiv, als wären die Mauersteine aus Kaffeebohnen gebrannt. Lieber hielt sie sich in der Nähe der Macellerias auf, wo die Metzger stets Köstlichkeiten in den Müll warfen, oder der traditionellen Buffets, deren Düfte ihr das Wasser im Maul zusammenlaufen ließen.

Die Piazza Grande öffnete sich vor ihr, der Herbstwind griff vom Meer mit langen Armen hinein, rüttelte an den hellen Markisen des Cafe degli Specchi, schubste die Blumenkübel vor Harrys Grill um und rieb sich heftig an den Säulen des Palazzo del Municipio. Es klang, als pfeife ein alter, zahnloser Mann mit aller Kraft einer jungen Frau hinterher.

Drück dich an den Seiten entlang, dachte sich Arabica, ganz nah, dass der Wind dich nicht erwischt und dich die verrückten Kater nicht sehen. Sie verfluchte ihr Glöckchen, das sie schon von Weitem verriet. Doch diese Nacht war so laut, dass sie es selber kaum vernahm.

Plötzlich zerschnitt ein Röhren das Gebrüll des Meereswindes, mit immer länger werdender Klinge, bis es alles um Arabica erfüllte. Ein dunkelbraun glänzender Wagen mit Ladefläche hielt quietschend auf dem Platz, aus der Fahrerkabine kletterte hektisch ein Mann nach hinten, öffnete die Klappe, trat mit den Füßen gegen etwas, das auf die Piazza fiel, klopfte gegen die hintere Scheibe, und mit aufheulendem Motor raste der Wagen wieder davon.

Arabica verharrte. Es war nie klug, sich direkt zu bewegen, wenn man meinte, eine Gefahr sei gebannt. Man musste sichergehen.

Und dann fliehen.

Noch zwei Atemzüge.

Arabica huschte los, ihr Weg führte am Palazzo del Municipio entlang, flink setzte sie die schwarzen Pfoten.

Dann hielt sie inne.

So abrupt, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen.

Eine Wand aus Angst.

Und aus Gestank. Röstnoten, extrem dunkel, als habe ein Kaffeeproduzent vergessen, die Bohnen rechtzeitig wieder aus der Hitze zu holen. Verwoben waren sie mit dem Duft von Fleisch, viel davon, doch verbrannt, fast schon Kohle. Vielleicht nur im Inneren noch essbar.

Arabica sah sich mit ihren tellergroßen Nachtaugen um, und roch, von wo der Duft kam, den selbst die starke Bora nicht zerfleddern konnte, der tückische Fallwind von den julischen Alpen, der Richtung Adria zog. Sie hatte so etwas noch nie gerochen, dabei kannte sie die Gassen der Triester Altstadt von Geburt an.

Arabicas Augen fixierten etwas Großes gute vier Meter entfernt. Schwärzer als die Nacht lag es auf den Pflastersteinen. Dampf sammelte sich an seiner Oberfläche und wurde fortgerissen vom Wind. Ein in sich verkrümmtes Ding, viel größer als ein Hund.

Die kleine Katze hob unsicher eine Pfote in die Luft, setzte sie dann sachte auf, duckte sich und schlich näher, jederzeit bereit, davonzujagen ins Dunkel der Nacht.

Ihre Nase zuckte wegen des intensiven Gestanks, doch sie musste noch eine Pfotenlänge näher, und noch eine, sie hatte die Ohren gespitzt, Arabicas ganzer Körper war in Anspannung. Nun konnte sie Gliedmaßen an der Form ausmachen. Was war das nur?

Die allen Katzen innewohnende Neugier und das Versprechen auf Fleisch ließen sie immer näher schleichen. Arabica hatte einst einen Apfel in einem abgebrannten Lagerfeuer am Strand gefunden. So zerrissen und gesprungen wie dessen Haut war auch die des Dings vor ihr, das an einen zerfurchten, schwarzen Baumstamm erinnerte. Sie umrundete das Etwas.

Und blickte mit einem Mal in zwei leere Ausbuchtungen.

Darunter lag eine weitere, längliche und noch etwas tiefer ein Loch, in dem Zähne zu sehen waren. Das Etwas bleckte die Zähne!

Arabica machte einen Buckel, legte die Ohren an und fauchte. Langsam wich sie rückwärts von der Schwärze zurück, ließ sie nicht aus dem Blick.

Hinter ihr gellte ein Schrei durch die Nacht.

Kurze Zeit später war die Piazza Grande von flackerndem Blaulicht erleuchtet.

Doch zu diesem Zeitpunkt war Arabica längst in Sicherheit und hatte eine unvorsichtige Maus am weit ins Meer hinausreichenden Prachtkai Triests, dem Molo Audace, gefangen.

KAPITEL 1

Der Professor trifft Kaiserin Sissi

»Geht das nicht in eure Mäusehirne hinein?«, bellte Professor Dr. Dr. Dr. h. c. Adalbert Bietigheim, Deutschlands einziger Inhaber eines Lehrstuhls für Kulinaristik, in den alten Hörsaal der Universität Hamburg. »Méthode rurale, auch bekannt als Méthode dioise ancestrale oder Pétillant Naturel.« Er meißelte es mit der Kreide in die Tafel ein.

Die Vorlesung hatte das Thema »Höchst interessante Entwicklungen in der Herstellung von Champagner – ohne Exkursionen zum Thema Mord!«. Er hatte sich genötigt gefühlt, den Zusatz in den Titel zu nehmen, und sogar zum Äußersten gegriffen, der Benutzung eines Ausrufezeichens.

Doch es hatte nichts geholfen.

Hätte er doch der Gala bloß nicht dieses Interview gegeben. Der Name des Magazins hatte Seriosität suggeriert, doch dann hatte er sich neben hüllenlos badenden TV-Sternchen und in fremden Betten herumhopsenden englischen Adeligen wiedergefunden. Zudem hatten andere Magazine angefangen, über ihn zu schreiben, oftmals ohne die Richtigkeit ihrer Informationen zu überprüfen. Als Ergebnis war er nun nicht nur eine Berühmtheit in der von ihm so hoch geschätzten kulinarischen Welt, sondern auch unter Studenten. Seit allgemein bekannt war, dass er mehrere Mordserien gelöst hatte, setzten sich immer mehr Studenten anderer Fakultäten in seine Vorlesungen. Schaulustige, die einen Blick auf ihn werfen wollten! So als wäre dies keine ehrwürdige Universität, sondern ein Zoo und er der prachtvolle Königstiger. Sie saßen sogar auf den Treppenstufen des alten Hörsaals in Form eines Amphitheaters, da die hölzernen Bänke alle überfüllt waren. Und ständig zog jemand eines dieser modernen tragbaren Telefone hervor, um ein Foto von ihm zu machen, obwohl er das doch strikt verboten hatte.

Natürlich war der Ruhm völlig gerechtfertigt, immerhin hatten die Mordserien im Burgund, in Cambridge, Brügge, auf der Insel Islay und zuletzt in der Champagne nur dank seines Genies aufgeklärt werden können. Doch waren die einzigen Ehren, nach denen er trachtete, akademische.

Und vielleicht das Bundesverdienstkreuz.

Aber das war ohnehin überfällig.

Noch schlimmer als diese ständige Fotografiererei war, dass alle seinen treuen Benno von Saber betatschen wollten. Er hätte das Porträt in der Jagd & Hund nicht genehmigen sollen. Ebenso wenig das in Ein Herz für Tiere, jenes in der Terrier Total oder das großformatige im Kalender Berühmte Puschelhunde. Für Letzteres hatten sie Benno auf einem Bärenfell vor einem lodernden Kamin drapiert.

Aktuell lag Benno, wie stets bei den Vorlesungen, in seinem Körbchen neben dem Pult und schlief. Wobei er, das musste Adalbert zugeben, tatsächlich ausgesprochen puschelig aussah.

Wie auch immer, er hatte beschlossen, den Studenten die Zeit so schwer wie möglich zu machen und Wissen en gros in ihre kulinarisch unterentwickelten Hirne zu pressen – egal, aus welchem Grund sie anwesend waren.

»Auch in Deutschland gibt es diese alte Spielart des Schaumweins. Ich habe etwas davon mitgebracht und benötige nun ein Testobjekt aus der Studentenschaft. Jeder nor einen wönzigen Schlock.«

Bei einem Beatles-Konzert konnte der Andrang nicht größer gewesen sein. Die jungen Leute lachten und johlten. Bietigheim zeigte auf einen besonders vorlauten Studenten. Ein bebrillter älteren Semesters, der sich trotzdem jugendlich kleidete.

»Pfeiffer, kommen Sie nach vorn. Und trinken Sie.«

Doch in diesem Moment klopfte es an der Tür, und Rena Balingen, seine wissenschaftliche Mitarbeiterin, trat ein.

»Herr Professor?« Sie hielt einen weißen Umschlag in der Hand.

Sie wusste doch, dass er nicht gestört werden wollte, während er Hohlräume mit Wissen füllte!

»Jetzt nicht.«

»Es ist wichtig.«

»Nichts kann wichtiger sein als die Lehre. Pfeiffer, trinken. Das beherrschen Sie sicherlich besser, als sich während einer Vorlesung ordnungsgemäß zu benehmen.«

»Es ist ein Brief«, sagte Rena und kam näher. Pfeiffer goss sich das Glas voll.

»Nie bis zum Rand, Pfeiffer! Himmelherrgott noch mal, das hatten wir doch schon im ersten Semester.« Er riss ihm das Glas aus der Hand.

Pfeiffer kicherte und blickte feixend zu einer Kommilitonin namens Eva Knauer in der dritten Reihe, die in ihren blonden Haaren gerne eine neckische Schleife trug.

Rena stand nun ganz nah neben Adalbert. »Es ist ein Eilbrief, er kam mit Kurier. Der Umschlag ist handgeschrieben. Er duftet nach Lavendel und kommt aus Triest.«

Der Professor ließ das Glas fallen.

Pfeiffer schnappte es und verneigte sich wie ein Zirkusartist vor der frenetisch applaudierenden Menge.

»Geben Sie schon her!«, herrschte der Professor seine Assistentin an. »Warum sagen Sie das denn nicht gleich?«

Es war ein Brief von Giulia Tergeste, geborene Montezumolo. Ihr Foto lag immer noch in seinem Nachttisch – auf dem ein Bild von Hildegard zu Trömmsen stand, der Venus von Blankenese, der Frau mit dem Lachen, das Wolkenkratzer zum Einstürzen bringen konnte. Lavendel hatte Giulia immer geliebt, Adalbert dachte sofort an sie, wenn er Lavendel roch. Was Hildegard nicht wissen durfte, sie war so fürchterlich eifersüchtig. Obwohl sie sich ihre Liebe immer noch nicht gestanden hatten.

Der Professor stellte sich etwas abseits und öffnete den Umschlag so sanft mit dem Brieföffner seines Schweizer Offiziersmessers, als sei er eine papierne Kostbarkeit. Wie schön, einen echten Brief zu erhalten, handgeschrieben von der Adresse bis zum Inhalt. Nicht auf einer Plastiktastatur getippt, ohne Autokorrektur, sondern mit einem Füller und dunkelblauer Tinte, die vor den Augen trocknete, ein Einzelstück auf Büttenpapier.

Der Schwung von Giulias Hand war elegant und raumgreifend. Mit all den Schnörkeln wirkten die Buchstaben wie von Efeu umrankt. Adalberts Herz pochte, als er ihn las.

Lieber Adalbertus,

ich weiß, es ist Jahre her, dass wir miteinander gesprochen haben, und ich weiß auch, dass wir damals nicht im Reinen auseinandergegangen sind, was ich bis heute sehr bedaure. Es ist deshalb geradezu unverschämt, dich jetzt mit einer Bitte zu belästigen. Aber ich brauche deine Hilfe! Ich weiß nicht, wer mir sonst helfen könnte. Es ist ein Verbrechen passiert. Mein Ehemann ist entführt worden. Und die Polizia ist völlig unnütz. Komm bitte sofort!

Deine Butterblume

Nur Giulia benutzte diesen närrischen Kosenamen für ihn. Und nur er hatte sie Butterblume nennen dürfen. Adalbert hatte den Klang des Wortes, das Kulinarisches und Florales vereinte, so geliebt.

Er schnappte sich kurz entschlossen Benno samt Körbchen, bevor er sich an seine Studenten wandte.

»Ergötzen Sie sich an der Flasche. Fallen Sie darüber her wie eine Meute wilder Hunde, die Sie sind. Ich reise nach Triest. Ab nächster Woche übernimmt Frau Balingen die undankbare Aufgabe, Ihnen die Grandezza der Champagne näherzubringen, die weit über den Rausch hinausgeht.« Nach kurzer Überlegung setzte er ein Arrivederci! hinzu. Es konnte nicht schaden, sofort mit der Auffrischung seiner Italienischkenntnisse zu beginnen. Wobei er selbst im Schlaf die Heuschreckenkrebse Canoce, die berühmte Jota-Suppe mit viel Sauerkraut, Bohnen und Kümmel oder ein einfaches Panino di Porcina bestellen konnte, wenn er ein Sandwich mit Schweinefleisch, Senf und Meerrettich wünschte. Doch das würde nur reichen, um seinen Magen zu füllen, nicht aber, um ein Verbrechen aufzuklären.

Fliegen war keine Form der menschlichen Fortbewegung. Die Schwerkraft sprach eindeutig dagegen. Sie hielt die Spezies aus gutem Grund auf dem Boden. Nur ein paar Millimeter Stahl zwischen sich und Tausenden Metern Tiefe zu wissen behagte dem Professor überhaupt nicht. Er reiste lieber mit dem Zug, auch wenn er dadurch länger unterwegs war und die üblichen Verspätungen zu unvermeidlichen Beschimpfungen des Personals führten. Er genoss diese Reisen. In der ersten Klasse, im Handyverbotsbereich. Stets buchte er zwei Plätze nebeneinander, damit er nicht in ein Gespräch verwickelt würde. Am liebsten hätte er ein ganzes Abteil für sich allein gehabt, doch trotz eindringlicher Appelle an den Kanzler der Universität Hamburg sparte dieser weiterhin am falschen Ende.

Die Direktverbindung ab Wien war leider vor einigen Jahren eingestellt worden, doch es gab einen Zug über Villach nach Udine, von wo Regionalzüge im Stundentakt fuhren.

Den Triester Bahnhof verließ er an diesem Herbsttag schnell, denn Benno musste ein erstes Geschäft in Italien erledigen. Die Transaktion führte er auf der Piazza della Libertà durch, wo eine bronzene Statue der Kaiserin Elisabeth von Österreich an die Herrschaft der Habsburger erinnerte. Sissi, dachte der Professor und lüftete vor ihr seinen weißen Borsalino, wie schön, Sie hier zu treffen, strahlende Herrscherin der Region, die früher als Österreichisches Küstenland bekannt war.

Nachdem er seine Pfeife gestopft und entzündet hatte, schlug der Professor den Weg zum Molo Audace ein, denn er war vor Kurzem zu der Ansicht gekommen, es sei höflich, sich einer Stadt vorzustellen, wenn man sie als Gast besuchte.

Als symbolischen Klingelknopf hatte er die große Windrose auserkoren, die sich am Ende des breiten Molo Audace befand, der weit ins Meer reichte. Mit jedem Meter vom Ufer fort schob sich das Gebirge hinter der Stadt ins Sichtfeld, der Karst, wo ganz nah die Grenze zu Slowenien verlief. Die Stadt war wie eine Auster in die Ausläufer der steinigen, kalkhaltigen Hochlandschaft gewachsen, bis sie zur einen Seite nur noch vom Meer und zur anderen von steilen Felsen umgeben war. Triest war eine Stadt, die ihre Würde behalten hatte, die nicht dem Wahn des ständigen Wachstums verfallen war, eine Stadt, die trotz ihrer Größe mit den über zweihunderttausend Einwohnern und ihrer prachtvollen Geschichte Bescheidenheit ausstrahlte. An Geld mangelte es ihr nicht, das war unverkennbar, doch sie protzte nicht damit.

Langsam wich das Röhren der Motoren dem Meeresrauschen, und das Schwappen der Wellen am großen Pier drang an die Ohren des Professors, in denen der Wind pfiff.

An der Windrose angekommen, drehte er sich um und verbeugte sich vor Triest. »Gestatten, Prof. Dr. Dr. Dr. Adalbert Bietigheim und sein treuer Gefährte Benno von Saber. Einst verließ ich dich als junger Student, nun kehre ich als Mann zurück.«

Eine umstehende, japanische Touristengruppe beklatschte die Aktion und fotografierte eifrig. Was der Professor mit einem entschiedenen »Shashin wa arimasen!« bedachte. Dann wandte er sich der Windrose zu, die alle Winde Triests zeigte: Bora, Libeccio, Scirocco oder Maestrale. Für jede Jahreszeit hatte Triest Winde, sie trieben einen durch die Stadt wie einen tumbleweed in einem Wildwestfilm.

Adalbert hatte sich darauf gefreut, Giulia auf Schloss Duino zu treffen, doch er musste in die Gerichtsmedizin. Eine Leiche war aufgetaucht, und Giulia befürchtete, dass es ihr vermisster Ehemann sei. Sie hatte Adalbert gebeten, ihr zur Seite zu stehen bei der Leichenschau, ihr eine Schulter zu sein, ein Halt.

Adalbert sog die frische Meeresbrise tief in seine Lungen. Er würde für Giulia Maria Tergeste so da sein, wie ihn alle Welt kannte: einfühlsam und verständnisvoll.

»Betatschen Sie nicht mit Ihren ungewaschenen Pfoten meinen Rassehund!«, herrschte er eine junge Mutter an, die sich mitsamt ihrer Tochter zu Benno gekniet hatte. »Er beißt und hat die Tollwut und die Pocken und heute auch Lepra. Ist das deutlich genug?«

»Warum hat ein so unhöflicher Mensch wie Sie nur solch einen süßen Hund?«

»Weil dieser Hund einen überlegenen Intellekt hat!«

Benno rollte sich auf den Rücken und präsentierte sein für Streicheleinheiten aller Art empfangsbereites Bäuchlein, doch die Mutter erhob sich empört und nahm ihre Tochter an der Hand. Noch während das Mädchen mitgezogen wurde, blickte es traurig in Richtung Benno, der traurig Richtung Tochter blickte.

Der Professor beugte sich zu ihm. »Sie wird sicherlich klebrige Finger gehabt haben. Von Popcorn oder Lollis. Unschön für dein Fell. Kleinkinder sind absolut nicht reinlich. Nachher holst du dir irgendeine Krankheit, mein Freund.«

Als der Professor den beiden nachblickte, fiel ihm ein Schwarzafrikaner in farbenfroher, traditioneller Tracht auf. Er stand gut zweihundert Meter entfernt mitten auf dem Molo Audace. Zuerst hielt der Professor ihn für eine Statue, denn unbeweglich wie Stein stand er dort. Aber auf dem Pier gab es keine Statuen. Fixierte der Mann ihn etwa? Der Professor drehte sich um, doch hinter ihm stand niemand, den er sonst anschauen konnte.

Adalbert hatte keinerlei Lust, sich anstarren zu lassen. Das würde er sofort klären. Da Benno an seiner Seite war, konnte ihm nichts passieren! Tief in seinem Inneren wusste der Professor zwar, dass sein Foxterrier für eine kleine Bestechung in Form eines Wurstzipfels jede Verteidigung seines Herrchens umgehend einstellen würde, doch er schob den Gedanken fort. Schnellen Schrittes machte er sich auf zu dem Schwarzafrikaner.

Dieser bewegte sich nicht, starrte einfach weiter. Nun war sich der Professor sicher, dass er das beobachtete Objekt war. Kurz entschlossen ließ er Benno von der Leine.

»Fass, du Stolz deines Stammbaums!«

Benno lief wie der Wind los in Richtung des Mannes, bog dann jedoch kurz vorher zu dem kleinen Mädchen mit seiner Mutter ab, die sich beide wahnsinnig freuten. Der Professor meinte zu sehen, wie die Rotzgöre ihm die Zunge herausstreckte. Als er zurück zum Schwarzafrikaner blickte, war dieser in der Menschenmasse verschwunden, die sich beständig auf dem Molo bewegte.

Er hatte es wohl mit der Angst zu tun bekommen!

Zufrieden zog er die Taschenuhr an der Silberkette aus seiner Westentasche und blickte auf das Ziffernblatt mit römischen Zahlen. Leider blieb keine Zeit mehr für einen ersten Caffè, auf den er sich doch so gefreut hatte. Einen, der aromatisch das Röstige eines herben Kakaos mit der dunklen Fruchtigkeit der Brombeere vereinte, der zupackend und gleichzeitig geschmeidig über den Gaumen glitt und dabei das Feuer seiner Röstung noch in sich trug. Einen Caffè hier in der Stadt, wo es den besten Kaffee Italiens und damit den besten Kaffee der Welt gab. Hier, wo der Kaffeeverbrauch höher als sonst irgendwo in Italien war. Doch nun stand etwas viel Dunkleres an, ein Rendezvous mit einer Leiche.

Gerichtsmedizinische Gebäude mussten nicht schön sein, doch dieses war selbst für den Tod eine Beleidigung. Es gab Müllverbrennungsanlagen, die mehr Würde ausstrahlten als dieser graue, heruntergekommene, fast völlig fensterlose Klotz, der nicht wirkte, als habe ihn ein Architekt erbaut, sondern als sei er der feuchte Traum einer Betonmischmaschine.

Nicht der richtige Ort, um der zauberhaften Giulia Maria Tergeste wieder in die rehbraunen Augen zu blicken. Er hatte immer davon geträumt, ihr bei einem Wiedersehen einen Strauß Lavendel zu überreichen, denn sie liebte dessen Duft. Doch Blumen schienen ihm in der Gerichtsmedizin deplatziert, deshalb hatte er ein Lavendelparfüm aufgelegt. Ein männliches. Soweit das bei Lavendel möglich war.

Sein Atem wurde kurz, er brauchte wirklich dringend einen Kaffee. Aber einen richtigen. Keinen aus der Gerichtsmedizin. Er würde nichts trinken, was hier aufgebrüht wurde. Es war schon schlimm genug, dass er die Luft einatmen musste. In der Gerichtsmedizin roch es stets nach frisch gereinigter Leiche.

Der Professor hatte mittlerweile Übung darin, Benno ins Gebäude hineinzuschleusen. Foxterrier hatten dafür eine praktische Größe. Bei einem Irischen Wolfshund würde es keine Möglichkeit geben, ihn unauffällig unter dem Mantel zu verstecken, ohne dass es aussah, als würde man bald Drillinge gebären.

Die Leiche befand sich im Keller, und wie die Dame am Empfang sagte, sei Signora Tergeste bereits da und erwarte ihn. Nachdem Adalbert die Treppe hinuntergegangen war, setzte er Benno auf den Boden. »Nicht bellen, wenn ich bitten darf.«

Benno bellte freudig und wedelte mit dem Schwanz. Für ihn musste es so nah bei etlichen Knochen natürlich toll sein. Aber er würde keinen bekommen. Da waren Gerichtsmediziner strikt. Bietigheim hatte es mehrfach versucht.

Wenn die Zimmernummern fortlaufend waren, würde Giulia um die nächste Ecke warten. Seine Butterblume.

Adalbert erinnerte sich noch sehr gut an diese wundervoll proppere junge Frau, deren Haut stets wie eine Speckschwarte glänzte. Ihr wallendes blond gelocktes Haar floss weit über ihre Schultern.

Er hielt den Atem an und bog um die Ecke.

Da stand sie.

Irgendwie.

Giulia war kaum wiederzuerkennen. Schlanke Fesseln, schmale Hüfte, es fehlte die komplette Auspolsterung. Jetzt hatte sie eine dieser Figuren, denen junge Männer nachpfiffen. Männer, die noch nichts vom Leben und der weiblichen Schönheit wussten, denen windschnittige Aerodynamik und Parkett schonende Leichtigkeit wichtiger waren als lebensfrohe Opulenz. Giulias Haare waren auf einen Pagenschnitt gestutzt, sie sah damit aus wie eines dieser Models in den Modekatalogen. Wie hatte das nur passieren können?

Als sie Adalbert sah, lief sie zu ihm und fiel ihm schluchzend in die Arme. Der Ärger über ihr Aussehen war sofort verflogen. Adalbert strich ihr über den Rücken, den Kopf und sprach in ihr Ohr: »Er wird es sicher nicht sein. Wir finden deinen Mann lebend. Verlier die Hoffnung nicht, ich bin ab jetzt für dich da.«

Sie nahm sein Gesicht in die Hände und gab ihm einen zärtlichen Kuss. Er schmeckte salzig von ihren Tränen, Giulias Lippen waren sanft und zärtlich, genau wie damals.

Eine wichtige Sache hatte sich also nicht geändert.

Sie schmeckte auch ein wenig nach einem sehr guten, bitterschokoladigen Caffè. Doch es wäre unverschämt, sie in Ermangelung eines Caffès mit vergleichbarer Geschmacksvielfalt um einen zweiten Kuss zu bitten.

»Lass uns direkt reingehen, ich will es hinter mich bringen. Wenn ich noch länger hier draußen warten muss, werde ich verrückt.« Sie hakte sich bei ihm unter, und Adalbert streckte automatisch die Brust heraus.

Religionen sahen zum Teil verlockende Himmel für die Menschen vor, doch in der Gerichtsmedizin Triest gab es weder zweiundsiebzig Jungfrauen noch einen lächelnden Petrus. Stattdessen eine nicht lächelnde Dottoressa Claudia Gerini. Die Wangen der aschfahlen Frau waren eingefallen wie die Wände einer Kirchenruine. Die grauen Augen saßen tief in den Höhlen, ihre Hände schienen nur aus Sehnen, Knochen und nachlässig darüber gespannter Haut zu bestehen. Sie hatte sicherlich manchmal Mühe festzustellen, wo die Leichen aufhörten und sie selber anfing. Der Professor hatte schon gehört, dass Hundehalter ihren Vierbeinern immer ähnlicher sehen – falls es bei Gerichtsmedizinern ein ähnliches Phänomen gab, würde es mit den Nachwuchskräften sicher schwierig werden.

Der Professor streckte ihr die Hand entgegen. »Professor Dr. Dr. Dr. Adalbert Bietigheim, sehr erfreut.«

Dottoressa Gerini hob die linke Augenbraue und musterte den Professor, als wäre er für ihren Geschmack nicht tot genug. Seine Hand ließ sie ungeschüttelt.

Der Professor zog sie zurück. »Höflichkeit kostet nichts, doch sie ist so viel wert. Aber wer ständig unter Toten ist, vergisst vielleicht das menschliche Einmaleins.«

Dottoressa Gerini wies auf die Leiche vor sich, über der ein blütenweißes Laken lag. »Ich möchte Sie vorwarnen, Signora Tergeste. Es ist ein ungewöhnlicher Anblick. Sie werden sich Zeit nehmen müssen mit der Identifizierung. Vermutlich ist sie überhaupt nicht möglich. Ich hatte Ihnen das ja schon am Telefon gesagt, aber Sie haben ja darauf bestanden, die Leiche zu sehen.«

Giulia ergriff Adalberts Hand und drückte ganz fest zu, als die Dottoressa das Laken zurückschlug.

Auf den ersten Blick sah das Gebilde nicht menschlich aus, eine verkrümmte Form, in sich selbst Schutz suchend.

Giulia straffte ihren Körper. »Hat er noch …?«

»Davon gehe ich aus«, antwortete die Dottoressa, »ansonsten wäre die Leiche nicht in dieser angespannten Form aufgefunden worden.«

»Wie lange …?«

»Bei den angenommenen Temperaturen, denen der Tote ausgesetzt war, ist von nur wenigen Minuten auszugehen. Die Bewusstlosigkeit trat vermutlich recht schnell ein.«

Recht schnell, dachte der Professor, wie wundervoll ungenau Sprache doch sein konnte. Recht schnell, in einer Situation, in der jede Sekunde pure Pein und fassungslose Angst bedeutet hatte.

»Der Kopf befindet sich hier.« Die Dottoressa deutete auf einen leicht hervorstehenden Teil. »Es hat einige Zeit gedauert, bis wir das herausfanden. Wir werden versuchen, über die Zähne eine eindeutige Identifikation zu erreichen.«

Giulia ging die Schritte hin zum Kopf so zögerlich, als könne der Boden unter ihr bei jedem Schritt einbrechen. Adalbert spürte mehrmals, wie sie die Kraft verließ, sie zu fallen drohte, doch immer stützte er sie.

Der Kopf war nur rudimentär menschlich. Als habe ein Kleinkind ihn aus grobem, schwarzem Ton geformt. Die Zähne prangten vor wie bei einer grotesken Maske.

Giulia schaffte es nicht, einen Blick auf das breite Grinsen des Toten zu werfen, doch der Professor ging ganz nah heran, nahm sogar seine Lupe zu Hilfe. Manche Menschen meinten viel über einen anderen zu wissen aufgrund von dessen Händedruck, oder behaupteten, der Glanz eines Schuhs sage ihnen alles über die Reinlichkeit des Gegenübers. Doch beides oblag der Kontrolle des Menschen, es war Teil ihrer sozialen Verkleidung, Teil dessen, was sie sein wollten. Das Essen jedoch erfolgte unbewusst, essen war immer zu einem Teil animalisch, egal, wie herausgeputzt das Silberbesteck, wie gestärkt die weißen Tischdecken. Beim Essen gab sich der Mensch preis. Einige wurden zu Schweinen am Trog, andere zu scheu knabbernden Raubtieren. An Zähnen ließ sich enorm viel über einen Menschen und seine Eigenarten ablesen. Ob er sanft oder hart zubiss, ob er rauchte oder Kaffee trank oder wie er es mit der Zahnhygiene hielt. Manche Gebisse verrieten auch etwas über Unfälle ihres Besitzers oder Prügeleien.

Die Zähne des Toten waren fast befremdlich makellos, es waren die Zähne eines Pedanten. Die Färbungen durch Kaffee waren fortgebleicht, das zeugte von Eitelkeit. Und es schien sich um einen Zahnknirscher zu handeln, was auf große Nervosität hinwies.

Der Professor lehnte sich zu der Dottoressa und flüsterte: »War es eine Selbstentzündung?«

»Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen«, antwortete sie.

»Plato zu zitieren ist nicht immer die passende Antwort«, erwiderte der Professor.

Die Gerichtsmedizinerin hob beide Augenbrauen. Anerkennend.

Dem Professor stieg ein Geruch in die Nase, den er nicht genau zuordnen konnte. Er war ihm bekannt, gut sogar, doch es erging ihm wie manchmal bei Filmen, wenn er partout nicht darauf kam, aus welchem Film er einen Schauspieler kannte. Es machte ihn rasend. Genau wie jetzt.

Die Hand von Giulia Maria Tergeste wies zitternd auf etwas an der Brust des Toten. Zuerst erkannte der Professor nichts, doch als er den Kopf senkte, um es besser sehen zu können, blitzte an der Stelle etwas auf.

Dottoressa Gerini sah es auch und brach es mit einer Pinzette aus der verkohlten Masse. Das geschmolzene Stück Metall ließ Tränen aus Giulia fließen.

Der Professor erkannte die Umrisse einer Kaffeebohne, mit der typischen Längsfurche in der Mitte, der sogenannten Naht.

»Das ist von Niccolò«, sagte Giulia zitternd. »Es ist das Metallemblem seiner Barista-Gilde. Eine Kaffeebohne, hinter der Dampf aufsteigt. Er trug es immer an der rechten Brust.«

Dann konnte der Professor sie nicht mehr halten, ihre Trauer zog sie zu Boden.

Es war keine Option, Giulia allein zu lassen. Zwar verlangte der Körper des Professors nach Koffein wie ein Vogeljunges nach dem Gewürge der Eltern, doch sein Geist besiegte das Fleisch. Adalbert redete sich ein, dass er die Ruhe selbst sei. Dieses Verlangen nach Kaffee tangierte ihn gar nicht. Da stand er drüber.

Das Taxi, in dem er mit Giulia saß, hielt an einer roten Ampel. Der Professor blickte aus dem Seitenfenster.

»Halten Sie gefälligst nicht vor jedem Café!«, herrschte er den alten Taxifahrer an, der einen Backenbart trug, als sei er ein Fossil des Österreichischen Kaiserreichs. »Und kurbeln Sie Ihr Fenster hoch, der Geruch ist ja unerträglich. Sie unsensibler Mensch!«

Er lächelte zu Giulia, die an seiner Schulter lehnte. Ihr Blick war leer, sie schien nichts mitbekommen zu haben.

»Wie lange benötigen Sie denn noch bis Schloss Duino?«

»Nur viermal halten vor Cafés, und wir sind da.« Er prustete in seinen Bart.

»Finden Sie es nicht auch erstaunlich«, erwiderte der Professor, »dass sich Trinkgeld manchmal genauso schnell verflüchtigt wie der Dampf eines Caffès?«

»Ich glaube, mir fällt gerade eine kürzere Route ein.«

»Das glaube ich auch.«

Giulia drückte seinen Oberarm sanft. »Danke, dass du mich schnell nach Hause bringst.«

Er legte seine Hand auf ihre. »Gern, Butterblume.«

An ihre andere Seite hatte sich Benno gekuschelt und sein Kinn auf den Oberschenkel gelegt. Ihr Atem beruhigte sich, und irgendwann sprach sie wieder.

»Unser Schloss hat sich kaum verändert, seit du dort gelebt hast.« Sie hob den Kopf und blickte ihn an. »Erinnerst du dich noch?«

Der Professor erinnerte sich an das in die Jahre gekommene Schloss und sein Zimmer, einen spartanisch eingerichteten, zugigen Raum, dessen einziger Luxus in einem Fenster zum Meer bestand. Allerdings samt atemberaubendem Ausblick auf den Golf von Triest. Mehr Luxus brauchte kein Mensch.

Der Taxifahrer schmatzte.

»Wer schmatzet, der furzet auch«, bemerkte der Professor.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass er damit den Taxifahrer ermutigte, dem einen das andere folgen zu lassen. »Kaffeebohnen mit Schokoladenüberzug«, sagte er, noch lauter schmatzend. »Gibt nichts Besseres. Außer einem Kaffee aus frisch gemahlenen Bohnen.«

»Her damit«, verlangte der Professor.

»Nur für den Fahrer«, erwiderte der Backenbart genüsslich.

Er musste an diese Leckerei kommen! Benno hatte Apportieren leider noch nicht gelernt. Das heißt, manchmal apportierte er versehentlich etwas, am liebsten geschmierte Frühstücksstullen. Er apportierte sie allerdings nicht zum Professor, sondern vom Professor fort. Es lag also noch einiges an Hundetraining vor ihnen. Deshalb musste der Professor es mit einer dreisten Lüge versuchen.

»Meine Begleitung benötigt etwas Aufputschendes.«

Der Taxifahrer reichte die Tüte nach hinten. »Nehmen Sie ruhig.«

Jetzt würde er den herrlich bitteren Geschmack einer Kaffeebohne an seinem Gaumen wahrnehmen!

»Danke«, sagte Giulia, steckte sich eine Schokobohne in den Mund und die anderen in ihre lederne Handtasche. Dann blickte sie hinaus, und ihre Züge entspannten sich etwas. »Wir sind endlich da.«

Schloss Duino hockte auf steilen Felsen, ein Adler in seinem Horst. Doch das stolze Tier hatte an Glanz verloren, sein Gefieder war alt und grau, an manchen Stellen gar kahl. Doch seine Eleganz würde es nie einbüßen. Auf einem anderen Felsen erhob sich sein Vorgänger, heute nur noch eine Ruine, die Mauern ragten wie Zahnstümpfe in die Höhe. Der kleine Weg dorthin war mit rot-weißem Absperrband überspannt, Metallgitter verhinderten zudem, dass jemand das einsturzgefährdete Mauerwerk betrat.

Wind blies ihnen von der Adriaküste entgegen, doch Giulia hielt dagegen, als wolle sie so rasch wie möglich hinter die schützenden Mauern.

Auch die Schritte des Professors wurden zügiger, führten ihn vorbei an dem Weg hinab in die Katakomben des Schlosses und den rechteckig angelegten Garten mit Springbrunnen. Er erinnerte sich daran, wie erwartungsfroh er während seines Auslandssemesters dorthin gegangen war, weil drinnen Giulia sein konnte.

Warum Benno allerdings so schnell lief, blieb dessen Geheimnis – bis der Professor sah, dass jemand die Tonne mit den Küchenabfällen unverantwortlicherweise nicht mit einem Vorhängeschloss gesichert hatte. Für einen Terrier war alles darunter keine echte Herausforderung.

»Ich will zu ihm«, sagte Giulia, ihre Stimme wie eine zerbrochene Porzellantasse, die sie mit den Händen zusammenhielt.

»Deinem Vater? Wie geht es ihm?«

»Ich will zu meinem Niccolò.« Giulia zeigte ihm ihr Gesicht nicht mehr. Seit dem Ende der Taxifahrt sah er nur noch ihren Hinterkopf mit dem leicht zitternden blonden Haar, wenn ein Weinkrampf sie wieder durchschüttelte. Adalbert folgte ihr durch die verwinkelten Gänge des Schlosses und wusste, dass er den Weg allein nicht zurückfinden würde.

Sie endeten vor einer dunklen, hölzernen Doppeltür, deren Schnitzereien einen Barista bei der Arbeit zeigten. Er wirkte wie ein Alchemist in seinem Büro, umringt von allerlei dampfenden Espressomaschinen und Säcken mit Kaffeebohnen, die fremdländische Aufschriften zierten. Giulia strich zärtlich über das Gesicht des Mannes, der im Zentrum stand.

»Er hat sich die Tür von mir zu unserer Hochzeit für sein Zimmer gewünscht.«

»Ein prachtvolles Präsent. Was hat er dir geschenkt?«

Jetzt drehte Giulia sich endlich wieder zu ihm. »Einen vollendeten Espresso.« Sie fuhr sich mit der Zungenspitze langsam über die Lippen. »Er hat tagelang an dem richtigen Mahlgrad, dem Härtegrad des Wassers und dessen optimaler Menge gearbeitet. Ich habe ihn die ganze Zeit kaum gesehen. Das war unsere Hochzeitsreise.« Giulia lächelte. »Er ist nicht wie andere Männer.«

Nein, wirklich nicht, dachte der Professor.

Dann öffnete sich die Tür oder besser das Tor. Es gab den Blick auf genau die Welt frei, die er zuvor auf den Schnitzereien gesehen hatte, nur größer, moderner – und chaotischer. Insgesamt sieben chromglänzende Espressomaschinen, die von fünf elektrischen Kaffeemühlen erdrückt zu werden schienen, die ihrerseits von zwei großen Wasserfiltrationsanlagen bedrängt wurden. Der Raum war groß, fast ein Saal, und doch zu klein für seinen Inhalt.

Giulia zögerte einzutreten. »Ich durfte hier nie rein, als er noch …«

Adalbert nahm sachte ihre Hand. »Er würde es verstehen, und mehr noch, es würde ihn freuen, dass du ihm auf diese Art nah sein willst. Komm!«

Benno war längst hineingeflitzt und sprang auf den Schreibtisch, der vor nicht allzu langer Zeit Essbares beherbergt haben musste. Ein paar Krümel gab es für ihn noch aufzuschlabbern.

Sie betraten den Raum, so still wie eine Kapelle. Licht strömte von drei Seiten herein, das Meer war in der Tiefe zu hören, wie es sich am harten Fels brach.

An der Wand hingen Infotafeln zum Thema Kaffee, Brühkurven, eine Landkarte mit Diagrammen der Kaffee produzierenden Länder, Bilder von ungewöhnlichen Kaffeezubereitungsarten wie Karlsberger Kanne oder Aeropress.

Und etliche Fotos des Bewohners dieses Labors.

Ein kleines zeigte einen Jungen auf einem Fischerboot. Adalbert erinnerte sich, dass Niccolòs Stiefvater damals als Gärtner hier gearbeitet hatte, ein ungemein verlässlicher Angestellter. Niccolò selbst war dagegen ein Lausebengel gewesen, dem der alte Marchese den Aufenthalt im Schloss untersagt hatte – was es für ihn nur noch reizvoller machte, sich hineinzuschleichen. Die Fotos daneben zeigten chronologisch den reifer werdenden Niccolò; auf einem mit befreitem, offenem Lachen, weil er gerade einen kleinen, gebrauchten Röster erstanden hatte.

Etwas an dem Foto zog den Professor in den Bann, und er besah es sich genauer.

Und fuhr zusammen.

»Ein schöner Mann, nicht wahr?« Giulia wandte sich ab, als Tränen in ihr aufstiegen, doch diesmal tröstete der Professor sie nicht, denn ein Detail faszinierte ihn über alle Maßen.

»Hast du noch mehr Fotos von ihm?«

»Natürlich, wieso?«

»Es müssen aktuelle sein!«

Sie blickte sich im Raum um, doch dieser bildete in Fotos und Bildern nur die Vergangenheit ab.

»Auf deinem tragbaren Telefon vielleicht?«

»Vom letzten Urlaub, den wir zusammen … wir waren in Wien.« Sie zog ihr Smartphone aus der Tasche. »Warum willst du Fotos von Niccolò sehen?«

»Nahaufnahmen, Porträts. Lächelnd oder lachend.«

Giulia zeigte ihm einige, die sie im Prater aufgenommen hatten, zwei aus Sissis Appartements, als Niccolò Späße gemacht hatte, und eines im Wiener Café Central, wo er mit dem Besitzer wegen eines Streits über Geisha-Bohnen aneinandergeraten war.

»Größer«, forderte Adalbert. »Den Mund.«

Dann konnte er es glasklar erkennen. Adalbert packte Giulia an den Schultern. »Du musst mir jetzt genau zuhören, auch wenn es dir am Anfang merkwürdig vorkommt, ja?«

Sie nickte.

»Gut. Man vermutet, dass Amalgam seit der Tang-Dynastie zur Füllung von Zähnen verwendet wird. Heute ist eine Legierung aus vierzig Prozent Silber, nicht mehr als zweiunddreißig Prozent Zinn, dreißig Prozent Kupfer, fünf Prozent Indium, drei Prozent Quecksilber und maximal zwei Prozent Zink üblich. Einige Bestandteile davon haben einen niedrigen Schmelzpunkt. Wie wir auf diesem Foto von Niccolò sehr klar erkennen können, hatte er rechts oben die Nummern vierzehn und fünfzehn befüllt. Ich habe mir das Gebiss des Gerösteten genau angesehen. Nummer vierzehn und fünfzehn wiesen bei ihm keinerlei Löcher auf. Der Mann in der Gerichtsmedizin ist fraglos tot. Und genauso fraglos ist er nicht dein Mann.«

Giulia küsste ihn, diesmal stürmisch, fast leidenschaftlich. Doch Adalbert wusste, dass dieser Kuss nicht ihm galt. Er war nur das Lichtdouble für Niccolò, der sich zurzeit im Schatten befand.

Ein wundervoller Kuss war es trotzdem.

»Ich muss es Vater sagen!«

Marchese, zu Deutsch Markgraf, war die dritthöchste Stufe in Italiens Adel. An erster Stelle stand der Principe, der Fürst, danach kam der Herzog, genannt Duca. Giulias Vater war die Manifestation eines wehrhaften Adeligen, ein Mann, bei dem man sich tatsächlich vorstellen konnte, das in seinen Adern fließende Blut musste eine andere Farbe haben. Hochgewachsen, hagere Wangenknochen wie aus Marmor gemeißelt, eine Stimme, die tief und selbstsicher keine Widerworte zuließ.

So hatte der Professor den Marchese Giacomo Montezumolo in Erinnerung.

Als er nun hinter Giulia durch die Tür in den Grünen Salon eilte, fand er einen Greis vor, der in einem Krankenbett lag. Das metallene Ungetüm war ein Störenfried zwischen all den Antiquitäten und Ölmalereien, eine Verhöhnung des warmen, schmeichelnden Lichts der Adriasonne.

Viele Stunden hatte Adalbert hier früher verbracht, da es als Studierzimmer der Schlossbewohner genutzt worden war. Der Marchese hatte hier gelesen, niemals Romane, die galten für ihn als Zeitverschwendung, nein, er las Sachbücher, am liebsten über die vergangener Epochen, er las in Latein und Altgriechisch, er las, um zu verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhielt.

»Niccolò ist nicht tot!«, rief Giulia. »Adalbertus hat es herausgefunden. Wegen der Zähne, also der Plomben, sie sind nicht da. Er ist ein Genie! Du hattest völlig recht, dass ich ihn um Hilfe bitten sollte.«

Es war also gar nicht Giulias Idee gewesen.

Adalbert verspürte den Wunsch, den Salon zu verlassen. Doch der Marchese streckte die Arme aus, um ihn zu begrüßen. »Lass dich ansehen. Ein paar Tage älter siehst du aus und Jahrzehnte weiser. Schön, dich hierzuhaben.«

Der Professor reichte ihm die Hände und küsste ihn auf die Wange. »Schön, Sie zu sehen, Marchese. Wenn nur die Umstände angenehmer wären.«

Der alte Mann winkte ab. »Je älter man wird, desto größer die Chance, gute Freunde nur unter unangenehmen Umständen wiederzusehen. Komm, setz dich zu mir auf die Bettkante.«

Benno hatte wohl gedacht, die Einladung gelte ihm, und sprang hinauf, drehte drei Runden um die eigene Achse und ließ sich dann ins weiche Plumeau sinken.

»Du hast ja einen echten Wachhund mitgebracht!« Der Marchese lächelte und strich dem Foxterrier über das Köpfchen.

»Eher ein Schlafhund«, sagte der Professor. Er hörte, wie Giulia im Hintergrund telefonierte und die frohe Botschaft an Niccolòs Stiefvater weitergab.

»Weißt du, wir können der Polizei in dieser Angelegenheit nicht trauen. Ein durch und durch korrupter Haufen von Bürokraten, die alle nur eigene Interessen verfolgen. Wir brauchen jemanden von außen, der nicht Teil dieses fest verwobenen Filzes ist. Ich wusste, du bist der Einzige, der uns bei Niccolòs Verschwinden helfen kann.«

»Das hätten Sie nicht immer gedacht.«

Der Marchese schmunzelte. »Nein, aber du hast dich verändert. Du bist nicht mehr der linkische Junge von einst, mit dem Kopf tief versunken in Büchern, als bestünde die Welt nur aus Papier, als fändest du alles Wichtige in Form von Tinte statt in den Augen einer Frau.«

Wie gut, dass keiner seiner Studenten in diesem Augenblick anwesend war, dachte Adalbert. Sie wären aus dem Lachen nicht mehr herausgekommen. Die Vergangenheit war für ihn ein Kapitel, dessen Druckertinte längst getrocknet war. Den linkischen jungen Mann gab es schon lange nicht mehr, und seine Welt bestand neben literarischen auch aus ganz handfesten Genüssen. Wie einem Caffè, fiel ihm ein. Oder bildete er sich ein, dass es solch einen Genuss gab? Es fühlte sich an, als habe er schon so lange keinen mehr getrunken, dass ein heißer Caffè durchaus dem Reich der Legenden angehören mochte.

»Andere Dinge ändern sich leider nie«, sagte der Marchese und wies auf die lindgrün gestrichene Wand gegenüber. Bild an Bild hing dort eng beieinander, wie man es aus alten Museen kannte, bei denen jeder Quadratzentimeter genutzt wurde, um die Schätze zu präsentieren. Doch in der Mitte der Wand stach ein zugezogener samtroter Vorhang ins Auge, so groß wie zwei DIN-A4-Blätter.

Und erinnerte den Professor an ein Verbrechen, das er niemals hatte aufklären können.

»Die Elfte ist nie wieder aufgetaucht?«, fragte Adalbert.

»Nein«, antwortete der Marchese matt, trat zu dem Vorhang und zog ihn auf. Dahinter befand sich nur leere Wand, sie klaffte wie eine offene Wunde inmitten der Farben- und Formenpracht. »Aber ich hoffe noch. Weil ich ein dummer, alter Mann bin, der die Leerstelle nicht ertragen kann. Wir haben eine Pflicht gegenüber Rilke, seine Worte zu bewahren.«

Der Dichter hatte einst hier gelebt und die erste seiner berühmten Duineser Elegien verfasst – zehn waren es offiziell geworden. Die unbekannte elfte hatte einst hier an dieser Wand gehangen, sein Text über die Magie des Kaffeegenusses. Sie zu lesen hatte kaum länger gedauert, als einen Espresso zu trinken, doch sie war genauso konzentriert, ebenso voller Bitterkeit und Tiefe. Für diese Elegie war der Dichter 1926, in seinem letzten Lebensjahr, nach Schloss Duino zurückgekehrt, nur für eine Nacht, doch dem Text nach zu urteilen, musste sie magisch gewesen sein. Wie alle seine Elegien konnte der Geist manche Zeile nicht erfassen, sondern nur das Herz.

»Es ist ein Trauerspiel, dass es keine Abschriften davon gibt«, sagte der Professor.

»Wer hätte damit rechnen können, dass hier etwas gestohlen wird? Wir waren Narren, unwissende Narren!« Der Marchese fasste sich schmunzelnd an die Stirn. »Und ich bin immer noch ein Narr, dich ohne einen Kaffee zu begrüßen.« Er klatschte in die Hände, dreimal schnell, dann nach kurzer Pause noch zweimal. Wenig später erschien ein junges Dienstmädchen in weißer Schürze, ein Silbertablett mit einer Espressotasse balancierend.

»Marchese, ich verehre Sie zutiefst!« Der Professor setzte den porzellanen Tassenrand an die Lippen. Als heißer Kaffee endlich seine Geschmackspapillen berührte, war es wie eine Erlösung. Sein Verlangen wurde hitzig befriedigt, der Espresso mundete nach gerösteten Walnussschalen, nach Pflaumen und exotischen Gewürzen. Ein Schluck reichte, und der Atem des Professors wurde tief und zufrieden. Er fühlte sich wundervoll willkommen.

Giulia trat neben ihn, in der Hand einen Fotoapparat. »Schau, Adalbertus, Niccolòs Stiefvater hat mir noch ein Bild von seinem Sohn geschickt, auf dem fast das gesamte Gebiss zu sehen ist.« Sie zeigte es Adalbert, der es nur flüchtig betrachtete. Niccolò hatte den Mund tatsächlich so weit aufgerissen, dass es für eine zahnärztliche Ferndiagnose gereicht hätte.

Doch dann wurde er auf etwas aufmerksam.

Das Foto zeigte fünf Personen, drei Männer und zwei Frauen, alle in dunklen Anzügen, mit weißem Hemd und schwarzer Fliege. Allen gleich war auch ein metallenes Emblem auf der linken Brust, am Herzen, das eine Arabica-Bohne vor Dampf darstellte.

»Was hat es damit auf sich?«, fragte Adalbert und deutete darauf.

»Das ist doch der Metallanstecker, den wir auch in der Gerichtsmedizin gesehen haben. Das Zeichen der besten Barista von Triest. Eigentlich nur ein Spaß, den sich Niccolò und die vier anderen geleistet haben. Aber sie sind wirklich die legendärsten Barista der Stadt.«

»Sonst trägt keiner dieses Emblem?«

»Nein, sie haben es sich eigens anfertigen lassen.«

»Ich brauche die Namen der anderen vier.«

»Warum?«, fragte Giulia, die immer noch strahlte, weil Niccolò nicht tot war und sie die ganze Welt umarmen wollte.

»Weil einer davon der Name unseres Toten ist.«