Der Lipödem Ratgeber - Dr. med. Florian J. Netzer - E-Book

Der Lipödem Ratgeber E-Book

Dr. med. Florian J. Netzer

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Beschreibung

Der Begriff, den bis vor zehn Jahren kaum jemand kannte, hat es in den letzten Jahren zu einer starken Medienpräsenz gebracht: das Lipödem. Zuvor wurden betroffene Frauen oft mit Ratschlägen zu Diät und „mehr Bewegung“ in den Arztpraxen abgespeist. Seither ist die Zahl der Therapieeinrichtungen so stark gestiegen, dass es für Frauen mit Lipödem schwer ist, sich zurechtzufinden. Dieser Ratgeber schafft Abhilfe und bringt auf den Punkt, was es über die Erkrankung zu wissen gibt. Dr. med. Florian Netzer gibt einen Überblicküber die Erscheinungsformen des Lipödems, erklärt das Diagnoseverfahren sowie die operativen und nicht operativen Behandlungsmöglichkeiten. Er richtet sich an Betroffene und ihre Angehörigen und unterstützt sie dabei, die optimale Therapie für sich zu finden.

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Seitenzahl: 186

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Dieses Buch führt Sie sicher durch den Dschungel der Diagnostik und Therapie:

• Was wissen wir wirklich über die Krankheit Lipödem?

• Wie kann das Lipödem sicher diagnostiziert werden?

• Welche Therapien helfen verlässlich, und welche nicht?

• Wie erkenne ich seriöse und kompetente Therapeuten?

VORWORT

DIE KRANKHEIT LIPÖDEM

Was ist ein Lipödem?

Bedeutung und Funktion von Fettzellen

Die natürliche Zu- und Abnahme von Speicherfett

Das Verhalten von Lipödemfettzellen

Fettzellen als Hormonproduzenten

Erscheinungsbilder und Verlauf des Lipödems

Der weitere Krankheitsverlauf

Die körperlichen Beschwerden

Lipödem und Psyche

Das Lipödem bei Jugendlichen

Nicht durch Lipödem bedingte lokale Fettgewebsvermehrungen

DIE DIAGNOSE DES LIPÖDEMS

Schwierige Diagnostik

Anamnese

Die körperliche Untersuchung

Die Sonografie

Ergänzende Untersuchungen

Besprechung der Ergebnisse und Therapieoptionen

Der Arztbericht

Wenn eine Liposuktion geplant ist

DIE THERAPIE DES LIPÖDEMS

Nichtoperative Therapien

Kompressionstherapie

Lymphdrainage und andere entstauende Verfahren

Medikamentöse Therapie

Diät

Sport und Bewegung

Lipolyse

Alternative Methoden

Die operative Therapie: Liposuktion

Was bei der Liposuktion passiert

Die Tumeszenz-Lokalanästhesie-Lösung (TLA)

Techniken der Fettabsaugung

Ablauf einer Liposuktion

Der Lipotransfer

Nachbehandlung nach der Liposuktion

Die ersten drei Tage

Die ersten zwölf Wochen

Bis zum sechsten Monat

VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser!

Ein Begriff, den bis vor zehn Jahren kaum jemand kannte, hat es in den letzten Jahren zu einer starken Medienpräsenz gebracht: das Lipödem. Obwohl die Erkrankung bereits 1940 beschrieben wurde, ist sie lange Zeit in Vergessenheit geraten. Erst nach der Jahrtausendwende, insbesondere ab 2010, kam die Erkrankung ins Bewusstsein der Öffentlichkeit – auch der Ärzteschaft.

Bis dahin wurden Frauen mit Lipödem in den Arztpraxen meist mit mehr oder weniger gut gemeinten Ratschlägen zu Diät und „mehr Bewegung” abgespeist, was den Leidensdruck der Betroffenen oft noch erhöhte, waren sie doch nach der Ansicht der Mediziner selbst schuld an ihrer Fettstörung. Einen Wendepunkt in Deutschland brachte die Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Lipödems. Leitlinien zu Krankheitsbildern dienen Ärzten und Therapeuten nicht nur als Ratgeber, sondern sind in einem gewissen Rahmen auch verbindliche Handlungsempfehlungen. Die Erstellung der Leitlinie erhob das Lipödem erstmals in den Rang einer echten Krankheit, die Ärzte nicht mehr mit lapidaren Worten in der Sprechstunde abtun konnten.

Seither ist die Zahl der Therapieeinrichtungen für Frauen mit Lipödem so stark angestiegen, dass es für die Betroffenen schwer ist, zwischen seriöser Medizin und bloßer Geschäftemacherei zu unterscheiden. Dies vor allem, weil das entscheidende Therapieverfahren, die Liposuktion, meist immer noch nicht von der Krankenversicherung übernommen wird und teilweise astronomisch hohe Summen für die Operation von den Selbstzahlerinnen verlangt werden.

Bei den Recherchen zu diesem Ratgeber bin ich aber auch auf unzählige Angebote für Nahrungsergänzungsmittel, Lipödemdiäten und „alternative Behandlungsverfahren” gestoßen. Für den medizinischen Laien, ja selbst für den Mediziner und die Medizinerinnen, die sich nicht wirklich spezialisiert mit der Erkrankung beschäftigen, mag einiges davon zwar auf den ersten Blick plausibel klingen, doch keines dieser Angebote hält einer wissenschaftlichen Überprüfung stand und kann daher nicht empfohlen werden.

Dieses Buch soll Ihnen und Ihren Angehörigen dabei helfen, sich durch den Dschungel der Diagnostik und Therapie zu bewegen und die richtigen Ansprechpartner und Selbsthilfeorganisationen zu finden. Mit diesem Ratgeber möchte ich Sie bei der Bewältigung der Probleme rund um die Krankheit Lipödem unterstützen und Ihnen das nötige Rüstzeug an die Hand geben.

Ihr

DIE KRANKHEIT LIPÖDEM

Die Krankheit Lipödem hat viele Facetten. Sie erfahren in diesem Kapitel alles zum aktuellen Stand der Wissenschaft und lernen diese Fettgewebsstörung besser verstehen. Verschiedene Erscheinungsbilder, der Verlauf der Krankheit und mögliche Beschwerden werden hier ebenso thematisiert wie ihre Auswirkungen auf die Psyche, die ernst genommen und immer in die Therapieentscheidung miteinbezogen werden müssen.

Was ist ein Lipödem?

Als Lipödem bezeichnet man eine Erkrankung des Unterhautfettgewebes der Frau, die ausschließlich an Beinen und Armen auftritt. Es kommt dabei zu einer überdurchschnittlich starken Zunahme dieser Fettschicht. Oftmals führt die Verdickung der Fettschicht zu einem unproportionierten Erscheinungsbild mit schlankem Körper und unpassend dicken Armen und Beinen.

Die Erscheinungen reichen von leichten Verdickungen an Teilen der Beine oder Arme bis hin zu massiven Auflagerungen, die eine massive Bewegungseinschränkung hervorrufen können. In vielen Fällen sind die betroffenen Areale druckschmerzhaft und neigen zu Blutergüssen ohne adäquates Trauma. Sind die Unterschenkel betroffen (ob isoliert oder gemeinsam mit den Oberschenkeln, spielt dabei keine Rolle), klagen die Betroffenen über schwere und pralle Beine, die sich „wie Beton” anfühlen.

Das Lipödem ist eine chronische Krankheit, die noch in weiten Teilen von der Wissenschaft unverstanden ist.

Das Lipödem ist eine chronische Krankheit, die noch in weiten Teilen von der Wissenschaft unverstanden ist. Eine kausale (die Ursache behebende) Therapie ist zwar nicht bekannt, es gibt jedoch verschiedene therapeutische Ansätze, welche die Symptome und mit ihnen die meisten Beschwerden behandeln.

Die Krankheit tritt ausschließlich bei Frauen auf und scheint eng mit den weiblichen Sexualhormonen verknüpft zu sein. Männer können sehr selten und ausnahmsweise nur dann betroffen sein, wenn sie beispielweise durch ein Leberzellkarzinom einen sogenannten verweiblichten Hormonstatus entwickeln.

Gemäß der Einschätzung vieler Experten sind in Mitteleuropa bis zu zehn Prozent aller Frauen von der einen oder anderen Form des Lipödems betroffen, es handelt sich also um eine echte Volkskrankheit. Da es sich um eine Erkrankung des Fettgewebes handelt, soll dieses hier zunächst etwas eingehender betrachtet werden.

Bedeutung und Funktion von Fettzellen

Die Erkrankung spielt sich in den Speicherfettzellen und der Zwischenzellsubstanz ab. Die Fettzellen (Adipozyten) des kranken Gewebes sind dabei weitgehend von der Stoffwechselregulation des Gesamtorganismus abgekoppelt.

Im Gegensatz zu Fettzellen, die bestimmte Organe zum Schutz und zur Erfüllung der Organfunktion einbetten (z. B. den Augapfel in der knöchernen Augenhöhle) und die man als „Baufett” oder Fett mit Stoßdämpferfunktion (z. B. um Sehnen) bezeichnet, dient das Speicherfett als Energie- und Materialspeicher.

In Situationen, in denen durch Nahrung mehr Energie zugeführt als gerade verbraucht wird, lagern die Adipozyten Fettsäuremoleküle in Form von Fettsäureverbindungen, den Triglyzeriden, ein. Dabei nehmen die Speicherfettzellen überwiegend die Glukose (Traubenzucker) auf, die nach einer Mahlzeit im Blut zirkuliert.

Beim Erreichen eines bestimmten Gehalts von Glukose im Blut stoßen die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse das Hormon Insulin aus. Das Insulin dockt an spezifischen Rezeptoren der Oberfläche von Körperzellen an, von denen die Speicherfettzellen besonders viele tragen. Durch das Andocken des Insulins kommt es zu einer vermehrten Aufnahme von freier Glukose in die Zellen und der Blutzuckerspiegel sinkt. In den Fettzellen setzt nun eine komplexe biochemische Reaktion ein, in der die Glukose zu Fettsäuren umgewandelt und dann in Form einfach strukturierter Triglyzeride gelagert wird. Dadurch nimmt das Volumen der individuellen Fettzellen stark zu: Sie können sich durch die Triglyzeridspeicherung auf das Hundertfache ihrer geringsten Ausdehnung vergrößern.

Die gespeicherten Triglyzeride stellen einen wertvollen und vielseitig verwendbaren Vorrat für die Funktion des Gesamtorganismus dar: Bei Bedarf können sie als Fettsäuren wieder aus den Lagern herausgelöst und in die Blutbahn abgegeben werden. Auch hier spielt ein Hormon der Bauchspeicheldrüse eine Schlüsselrolle: Die sogenannten Langerhansschen Zellen reagieren auf erniedrigten Blutzucker (also zu wenig Glukose im Umlauf) und scheiden Glukagon aus, das wiederum über Rezeptoren die Entleerung der Speicher triggert.

Mit dem Blut gelangen die Fettsäuren zu allen anderen Körperzellen, wo sie entweder als Grundlage für die Biosynthese lebenswichtiger biochemischer Verbindungen (Eiweiße, Botenstoffe, Hormone etc.) dienen oder in der Leber wieder zu Glukose umgewandelt werden und so erneut als universeller Brennstoff für alle Körperzellen verwendet werden können.

Die Speicherfettzellen sind ein unverzichtbarer Teil des Gesamtorganismus.

Die Speicherfettzellen sind also ein unverzichtbarer Teil des Gesamtorganismus und spielen eine der Hauptrollen in Stoffwechsel und Biosynthese. Dazu werden sie vom Gesamtorganismus präzise gesteuert.

Die natürliche Zu- und Abnahme von Speicherfett

Wie Sie gesehen haben, sind die Speicherfettzellen unmittelbar in die Stoffwechselregulation eingebunden. So sollen sie die bei einem Überangebot an Nahrung aufgenommene Energie und Grundstoffe der Biosynthese speichern, um sie im Bedarfsfall wieder an den Gesamtorganismus abgeben zu können.

Dass unsere menschlichen Speicherfettzellen diesem Speicherjob sehr effizient nachkommen, kennen wir alle z. B. in Form von „etwas zu enger Kleidung” nach den Weihnachtsfeiertagen. Nehmen wir also hier den „Normalfall” einer ernährungsbedingten Fettgewebszunahme an: Durch ein kontinuierliches Überangebot an Nährstoffen bedingt vergrößern die Fettzellen ihren Speichervorrat. Genauso aber geben sie diesen Vorrat wieder ab und schrumpfen, wenn der Energieverbrauch des Körpers die externe Zufuhr an Energie übersteigt, sei es durch die Einschränkung der Zufuhr (Diät) oder die Erhöhung des Verbrauchs (Sport) oder beides.

Die Fettzellen stellen dabei den Speicherplatz zur Verfügung, wie etwa die Festplatte eines Computers. Bei der Einlagerung von Energie in Form von Fettsäuren wird nicht die Zahl der Speicherplätze vermehrt (das heißt, die Festplatte wird nicht erweitert), sondern die Fettzellen schwellen an. Dies ist eine wichtige Information, um die Funktionsweise der therapeutischen Fettzellentfernung, der sogenannten Liposuktion, zu verstehen (mehr dazu später).

Die Zahl der Speicherfettzellen

Die Zahl der Speicherfettzellen des erwachsenen Menschen bleibt weitgehend konstant. Eine Zu- oder Abnahme der Dicke einer Speicherfettschicht geschieht über die Größenänderung der Fettzellen.

Das Verhalten von Lipödemfettzellen

Lipödemfettzellen scheinen sich von den Regulationsmechanismen des Stoffwechsels teilweise abgekoppelt zu haben und reagieren nicht mehr komplett nach dessen Regeln. Man bezeichnet sie als „stoffwechselautonom”. Das heißt, dass sie zwar ihrer Speicherfunktion nachkommen, die Entleerung der Speicher aber nicht mehr vollständig der Kontrolle der übergeordneten Mechanismen (z. B. der Glukagonausschüttung) unterliegt.

Die Medizin versteht diese Teilautonomie der Lipödemfettzellen noch nicht genau, stellt aber fest, dass sie weitestgehend „diätresistent” sind: Während physiologisch (den Körperfunktionen entsprechend natürlich) funktionierende Speicherfettzellen die Speicher bei Bedarf entleeren und die Person bei Diät und Sport entsprechend merklich abnimmt, reagieren die Lipödemzellen nur unzureichend darauf.

Lipödemfettzellen gelten als weitgehend diätresistent: Sie reagieren kaum auf Diäten und Sport.

In der Konsequenz bedeutet dies, dass betroffene Frauen kaum an den vom Lipödem betroffenen Stellen abnehmen können, während andere Körperareale mit Verschlankung reagieren. Selbst extreme Diäten und extremer Sport haben leider nur begrenzten Einfluss auf die vollen Speicher der Lipödemzellen.

Die Vorgänge, die ich hier in wenigen Sätzen grob umreiße, sind sehr komplex und teilweise wissenschaftlich noch nicht ausreichend geklärt, was für andere Formen von Speicherkrankheiten ebenfalls gilt. Halten wir zunächst fest:

• Fettzellen (Adipozyten) dienen überwiegend als Energiespeicher.

• Fett ist ein lebensnotwendiger Bestandteil des Körpers.

Eine wissenschaftliche Klärung der Fehlfunktion der Lipödemzellen steht noch aus, auch wenn es dazu einige Theorien und erste rudimentäre Erkenntnisse gibt. Über die Fehlfunktion „Speichern, aber nicht mehr abgeben”, weisen die Fettzellen vieler Lipödempatientinnen noch eine Besonderheit auf, die sie von gesunden Adipozyten unterscheidet: Sie nehmen phasenweise „Wasser” (genauer gesagt: die natürliche Gewebsflüssigkeit, die sich überall zwischen den Zellen und in verschiedenster Zusammensetzung in Körperflüssigkeiten befindet) auf und können so kurzzeitig nochmals zusätzlich anschwellen, ohne dabei weitere Triglyzeride einzulagern. Das ist ein Vorgang, der an gesunden Fettzellen in diesem Umfang nicht auftritt und der teilweise zu starkem, spontanen An- und Abschwellen der betroffenen Lipödemregionen führen kann.

Auch dies ist eine stark vereinfachte Darstellung des unterschiedlichen Spannungszustands des Gewebes der Lipödempartien. Es existieren noch weitere Mechanismen der pathologischen Flüssigkeitseinlagerung, die, primär unabhängig von der Grunderkrankung Lipödem, auch bei anderen Frauen vorkommen, aber eben auch (und zusätzlich komplizierend) bei vom Lipödem betroffenen Frauen auftreten können.

Fettzellen als Hormonproduzenten

Die Adipozyten sind nicht nur Empfänger von Botenstoffen, sondern produzieren selbst Hormone und hormonähnliche Stoffe, die in die Stoffwechselregulation eingebunden sind. Relevant für uns sind: Adipokinektin (auch als GBP-28, apM1, AdipoQ und Acrp30 bezeichnet) wird etwa dann gebildet, wenn die Fettzellen leer sind, und erzeugt ein Hungergefühl. Permanent volle Adipozyten, wie beispielsweise die der Lipödemareale, stellen praktisch kein Adipokinetin her.

Da das Hormon auch entzündungshemmend wirkt und unter anderem eine Schutzfunktion gegen Arteriosklerose und Diabetes hat, erkranken Menschen mit einem chronisch niedrigem Adipokinetin-Blutspiegel signifikant häufiger an diesen Krankheiten. Der entzündungshemmenden Wirkung des Hormons wird auch der „antinflammatorische” (gegen Entzündung wirkende) Effekt des Intervallfastens zugeschrieben.

Ein weiterer Botenstoff, den Fettzellen ausstoßen, ist das Lep-tin, das quasi als Gegenspieler des Adipokinetins fungiert: Es wird bei vollem Fettspeicher von den Adipozyten produziert und hemmt das Hungergefühl. Interessanterweise ist der Leptinspiegel bei Adipositas oft sehr hoch, ohne noch Wirkung zu zeigen: Es tritt eine verminderte Empfindlichkeit der Fettzellen gegen das Hormon auf, wie man es ähnlich von der Insulinresistenz bei bestimmten Diabetesformen kennt.

Inwiefern die beiden Fettgewebshormone eine Rolle bei der Entstehung des Lipödems spielen, ist noch unklar. Es werden jedoch bei Frauen mit Lipödem immer wieder dieselben Veränderungen der Blutspiegel dieser Hormone festgestellt.

Oft normalisiert sich der Hormonspiegel nach hinreichend ausgedehnten Liposuktionen wieder.

Interessant ist die Beobachtung, dass sich die Hormonspiegel nach hinreichend ausgedehnten Liposuktionen oftmals wieder normalisieren. Die Normalisierung dieser Hormone, die die Fettspeicherung fördern, wird auch als theoretische Erklärung für den Langzeiterfolg von volumenreichen Fettabsaugungen angeführt.

Die Erforschung des Lipödems

An dieser Stelle möchte ich noch einmal deutlich darauf hinweisen, dass das wissenschaftliche Verständnis der Erkrankung noch in den Kinderschuhen steckt. Der heutige Erkenntnisstand ist noch sehr niedrig, es gibt weltweit nur sehr wenig Forschung zu dieser weitverbreiteten Störung, und nahezu alles, was wir heute wissen, stammt aus der täglichen Praxis mit Patientinnen, gesammelt von den damit befassten Medizinern. Dabei handelt es sich aber praktisch ausschließlich um Beschreibungen des Krankheitsbilds und der Verläufe von unbehandelten und behandelten Fällen.

Dies hat der Medizin zwar schon wesentlich bei der Diagnostik und der symptomatischen Therapie der Krankheit geholfen, aber es fehlt noch nahezu komplett das Verständnis der ursächlichen molekularen, biochemischen und genetisch determinierten Vorgänge rund um die kranken Fettzellen, ohne die die Medizin keine kausale, also die Ursachen behebende Therapie entwickeln kann.

Das Lipödem teilt sein Schicksal als schlecht erforschte Krankheit dabei mit Hunderten anderer, teilweise tödlicher Erkrankungen: Die medizinische Forschung ist von öffentlicher Seite extrem unterfinanziert. Um aussagekräftige Studien mit ausreichend großer Probandenzahl unter den strengen Auflagen wissenschaftlich verwertbarer Kriterien durchzuführen, und dies auch noch mit wissenschaftlich aufwendigen Verfahren (z. B. bei der Entwicklung neuer Arzneimittel), sind Ärzte stets auf Drittmittel angewiesen, die in der Regel von der Pharmaindustrie kommen. Oder diese Forschungen werden von Anfang an von den wenigen noch aktiv forschenden Pharmaunternehmen durchgeführt.

Da es sich hier um Forschung mit dem Ziel von wirtschaftlichem Gewinn für die Unternehmen handelt, bleiben viele Krankheiten mit geringer Patientenzahl (und kleinem Absatzmarkt) ebenso außen vor wie Krankheiten, bei denen eine medikamentöse Behandlung nicht in Sicht ist.

Aus der Sicht der Unternehmen, die ihren Aktionären verpflichtet sind und Gewinn erwirtschaften müssen, ist das völlig legitim. Ich erkläre diesen Zusammenhang hier deshalb etwas ausführlicher, weil gelegentlich die Meinung geäußert wird, dass „die Wissenschaft” kein Interesse an der Erforschung des Lipödems habe, weil es sich „nur um eine Frauenkrankheit” handle.

Erscheinungsbilder und Verlauf des Lipödems

Wir kennen heute weit mehr als nur das „klassische Lipödem” mit scheinbar nur vereinzelten Betroffenen. Ich stelle Ihnen hier die häufigsten Erscheinungsbilder näher vor.

Das familiäre Cluster

Viele, aber keinesfalls alle Frauen mit Lipödem berichten über eine familiäre Häufung der Krankheit. Diese familiäre Häufung zeigt deutlich einen genetischen Zusammenhang, der aber in seiner Art, Ausprägung und dem Vererbungsweg noch nicht entschlüsselt ist. Keineswegs aber ist das Vorhandensein eines „familiären Clusters” eine Voraussetzung für die Diagnosestellung, wie gelegentlich behauptet wurde: Es gibt Familien, in denen sehr viele weibliche Mitglieder betroffen sind, ebenso wie völlig isoliertes Auftreten, das Überspringen von Generationen oder Schwesternpaare mit einer gesunden und einer betroffenen Schwester.

Das Lipödem hat auch eine genetische Komponente.

Die Medizin betrachtet das Vorliegen eines ausgeprägten familiären Clusters heute einerseits als Hinweis auf eine genetische Komponente der Krankheit, andererseits deshalb auch als erhöhtes Risiko für bisher nicht betroffene Frauen, die in direkter Erbreihe stehen (Schwester, Tochter), später noch an Lipödem zu erkranken.

Mutter (53 Jahre) und Tochter (20 Jahre) mit Lipödem. Bei beiden begann sich die Erkrankung in der späten Pubertät zu entwickeln und sah bei der Mutter anfänglich „genauso” aus wie bei der Tochter zum Zeitpunkt der Aufnahme (die durchsichtige girlandenförmige Spur auf den Beinen der Tochter ist Sonografie-Gel).

Der Krankheitsbeginn

Der Krankheitsbeginn fällt oft mit der Pubertät zusammen, ein früherer Beginn der Erkrankung ist selten. Es gibt aber auch mindestens eine Form des Lipödems, die erst im mittleren und höheren Erwachsenenalter auftritt.

Der Beginn der Erkrankung kann teilweise zur Unterscheidung von anderen Formen der Fettgewebsfehlverteilung verwendet werden: Ein Beginn im früheren Kindesalter, sehr deutlich vor dem Eintritt in die Pubertät, weist eher darauf hin, dass es sich dabei nicht um ein Lipödem handelt.

Ein Beginn sehr deutlich vor dem Eintritt in die Pubertät weist eher nicht auf ein Lipödem.

Andererseits muss auch hier wieder gesagt werden, dass man mit Sicherheit noch nicht die ganze Bandbreite der Erscheinungen des Lipödems kennt: Bis vor Kurzem galt das Auftreten der ersten Erscheinungen zeitgleich mit dem Eintritt in die Pubertät noch als „sicheres” Kriterium zur Einordnung des individuellen Falles in das Krankheitsbild. Jetzt wissen wir, dass dies zwar bei den meisten Erkrankten so ist, es aber auch den späteren, ja sogar späten Beginn derselben Krankheit gibt, z. B. in der Menopause. Letztlich gibt es so viele „Ausreißer” vom typischen Verlauf und der Ausprägung, dass man mit zunehmendem Wissen später vielleicht einmal verschiedene Lipödemkrankheiten unterscheiden kann.

Der weitaus häufigste Verlauf sieht folgendermaßen aus: Meist in der Mitte der Pubertät beginnen die unproportional wirkenden, meist noch oberflächlich glatten und ebenmäßigen Vermehrungen der Fettschichten an den Extremitäten. Dabei sind anfangs meist nur die Beine betroffen. Der Beginn kann sowohl an den Oberschenkeln – häufiger – als auch den Unterschenkeln sein und wird als „zunehmend dicke Beine” beschrieben, die zu diesem Zeitpunkt „nur” als ästhetisch störend empfunden werden. Das zeitliche Zusammentreffen der ersten Erscheinungen mit der ohnehin schwierigen Phase der Pubertät, in der die eigene Körperform kritisch wahrgenommen wird, bereitet den Betroffenen hier die ersten und oft schweren Probleme. Noch fehlen in den ersten Jahren der Erkrankung die körperlichen Einschränkungen, Schmerzen und Anschwellungen, sie können aber gelegentlich schon auftreten.

An den Oberschenkeln sind anfangs meist die Außenseiten des hüftnahen Bereichs (es bildet sich der sogenannte „Reithosenspeck”), und/oder die Oberschenkelvorderseiten betroffen. Auch ein Beginn an den Oberschenkelinnenseiten wird gelegentlich beschrieben, scheint aber insgesamt etwas seltener zu sein.

Unabhängig davon, ob die Oberschenkelinnenseiten (bevorzugt am körpernahen Ende der Oberschenkel und innenseitig der Kniegelenksregion) von Anfang an mitbetroffen sind oder sogar den Ausgangspunkt bilden, werden diese im weiteren Verlauf praktisch immer von den Veränderungen erfasst und stellen dann oftmals das erste, körperlich deutlich einschränkende Problem in der Weise dar, dass die „Schenkel wetzen” und die Betroffenen über ein Wundreiben und Entzündungen in diesem Bereich berichten. Hier beginnt oft eine den Verlauf der Krankheit ebenso wie die Psyche der Frauen zusätzlich negativ beeinflussende Einschränkung sportlicher Aktivitäten.

Die Entwicklung des Krankheitsbilds an den Unterschenkeln ist meist weniger „spektakulär” im Erscheinungsbild und scheint relativ uniform zu verlaufen. Die Waden nehmen ebenso an Volumen zu wie in den meisten (aber nicht allen) Fällen die Region um die Fesseln. Die Unterschenkel verlieren in vielen Fällen dabei ihre natürliche konische Form in der unteren Hälfte, mit einer betonten Taillierung den Knöchel- und der Achillessehnenregion, und nehmen das Bild des „Säulenbeins” an.

Varianten

Von diesen häufigsten Krankheitsverläufen, insbesondere aber von den Regionen, die betroffen sind, gibt es zahlreiche Abweichungen und Varianten. Es gibt z. B. durchaus Fälle, in denen sich das Lipödem ausschließlich an den Unterschenkeln und sogar ausschließlich an der unteren Hälfte derselben manifestiert. Selbst Füße und Zehen können von den Veränderungen durch das Lipödem betroffen sein.

Mit zunehmender Krankheitsdauer, und wir sprechen hier leider von einer vermutlich lebenslang chronischen Erkrankung, wachsen die befallenen Unterhautschichten oft (aber nicht zwangsläufig in jedem Fall) immer weiter an. Dieses Wachstum ist meist symmetrisch mit kleineren Seitenunterschieden: Eine extrem einseitig ausgebildete und nur auf eine kleine Region beschränkte Vermehrung von Unterhautfettgewebe der Extremitäten gilt bis heute als völlig atypisch für das Lipödem und kann Ausdruck einer anderen Störung sein (Lipomatose oder Formen anderer Lipohypertrophien, mehr dazu auf Seite 46).

Das Wachstum der Unterhautschichten ist meist symmetrisch mit kleineren Seitenunterschieden.

Allerdings scheint es vereinzelte Fälle zu geben, in denen deutliche Seitenunterschiede bestehen und die dennoch klar einem Lipödem zuzuordnen sind. Es handelt sich zwar um seltene Ausnahmen, aber sie dürfen nicht dazu führen, dass bei den betroffenen Frauen automatisch ein Lipödem ausgeschlossen wird. Werfen Sie einen Blick auf das folgende Ultraschallbild einer 19-jährigen Betroffenen mit allen Zeichen und der dazu passenden Krankengeschichte: Auf der Streckseite (umgangssprachlich Rückseite oder bei erhobenem Arm Unterseite) des rechten Arms befindet sich eine Unterhautfettschicht, die 18 Millimeter stärker als die der linken Seite ist.

Unsymmetrisches Auftreten der Lipödemerscheinungen. Das linke Bild zeigt den linken, das rechte den rechten Oberarm im Ultraschall. Die Messdaten zeigen die Dicke der Schicht von der Hautoberfläche bis zur Muskulatur: „D1 44,3 mm” bezeichnet die Schichtdicke links, „D2 26.1 mm” die Schichtdicke rechts. Bei eindeutig gestellter Lipödem-diagnose liegt hier also eine solche seltene Ausnahme von der Regel des symmetrischen Auftretens der Lipödemerscheinungen vor. (Beachten Sie: Im linken Bild sind nur 3,5 cm Gewebe dargestellt, im rechten 5,5 cm (dies ist abhängig von der Einstellung am Sonografiegerät). So erscheinen die Schichten bei bloßer Bildbetrachtung nahezu gleich und man muss die gemessenen Distanzen (Schichtdicken D1 und D2) vergleichen.)

Allgemein verläuft die Volumenzunahme der kranken Fettschicht nicht langsam und kontinuierlich linear, sondern in Phasen: Auf eine statische Phase ohne wesentliche Vermehrung der Fettschichten folgen (meist) kürzere oder (seltener) längere Phasen der geradezu sprunghaften Verdickung der Areale. Diese Phasen stehen oft, aber keineswegs zwingend in zeitlichem Zusammenhang mit hormonellen Veränderungen, z. B. der erstmaligen Einnahme der „Pille” oder der ersten Schwangerschaft.

Der Beginn der Erkrankung an den Armen ist selten. Meist kommt die Veränderung der Arme erst mit einigen Jahren Verspätung dazu. In der Regel beginnt sie mit einer Verdickung der Oberarmstreckseite (also „unten” am erhobenen Arm). In seltenen Fällen beginnt sich das Lipödem auch erst an den Unterarmen zu zeigen, wobei hier eine meist gleichmäßige Verdickung auftritt.

Wie beim Lipödem der unteren Extremität müssen nicht die ganzen Gliedmaßen (also Oberschenkel und Unterschenkel) betroffen sein, sondern es können auch nur die Oberarme oder die Unterarme sein, die sogenannte Erscheinungen aufweisen. Wie beim Lipödem der Beine (und der Hüftregion) verläuft die Erkrankung meist in sprunghaften Phasen.

Im Gegensatz zur unteren Extremität kommt es durch die Verdickung der Arme nur selten zu ernsthaften Bewegungseinschränkungen oder Entzündungen und Scheuerstellen. Sportliche Aktivitäten sind durch die starke Zunahme der Unterhautfettschicht an den Extremitäten oftmals nur noch sehr eingeschränkt möglich. Dies wiederum fördert das Auftreten einer begleitenden Adipositas und kann zu einer Art Teufelskreis führen.

An der unteren Extremität können auch die Zehen, an der oberen auch Hände und Finger befallen sein, wenngleich diese Fälle zahlenmäßig gering sind.

Entsprechend der Lokalisation der krankhaften Fettschichtvermehrung unterscheidet man heute folgende Typen:

1. Untere Extremität

• Oberschenkel-Typ

• Waden-Typ

• Ganzbein-Typ

• Bein-Fuß-Typ

2. Obere Extremität

• Oberarm-Typ

• Ganzarm-Typ

• Arm-Hand-Typ

Ein Lipödembefall des Rumpfes ist, mit Ausnahme des Beckenbereichs, nicht bekannt.

Der weitere Krankheitsverlauf