Der Lugano-Report - Susan George - E-Book

Der Lugano-Report E-Book

Susan George

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Beschreibung

Wie kann verhindert werden, dass die globale Wirtschaftsmaschine ins Stocken gerät und an ihrer eigenen Dynamik erstickt? Wie können die transnationalen Konzerne und andere Nutznießer der Globalisierung ihre Gewinne sichern? Was soll aus den Verlierern werden? Mit welchen Mitteln kann die Zahl der Menschen auf der überbevölkerten Welt möglichst schnell und drastisch reduziert werden? Kurz: Wie ist der neoliberale Kapitalismus noch zu retten? Die Antworten auf diese Fragen, die Wirtschaftslenkern und Politikern im «Lugano-Report» unter dem Siegel der Vertraulichkeit von einer hochkarätigen Expertenkommission präsentiert werden, sind schockierend. Zum Beispiel, wenn die Kommission begründet, warum der Hunger in der Welt nicht bekämpft, sondern begünstigt werden sollte. Der Report, dessen kompromisslose Logik schon in Großbritannien, Frankreich und Italien Aufsehen erregte – er ist fiktiv. Susan George selbst hat ihn verfasst. Er könnte allerdings längst auch in Wahrheit so oder ähnlich existieren; alle seine Daten und Fakten entstammen der Wirklichkeit, erfunden ist nichts außer seinem Rahmen. Der Kunstgriff, den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts aus der Sicht seiner eingeschworenen Anhänger zu beschreiben, macht schmerzhaft deutlich: Wenn dies unsere Zukunft ist, wird es Zeit, eine andere zu wählen.

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Seitenzahl: 341

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Susan George

Der Lugano-Report

oder Ist der Kapitalismus noch zu retten?

Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Wie kann verhindert werden, dass die globale Wirtschaftsmaschine ins Stocken gerät und an ihrer eigenen Dynamik erstickt? Wie können die transnationalen Konzerne und andere Nutznießer der Globalisierung ihre Gewinne sichern? Was soll aus den Verlierern werden? Mit welchen Mitteln kann die Zahl der Menschen auf der überbevölkerten Welt möglichst schnell und drastisch reduziert werden? Kurz: Wie ist der neoliberale Kapitalismus noch zu retten?

Die Antworten auf diese Fragen, die Wirtschaftslenkern und Politikern im «Lugano-Report» unter dem Siegel der Vertraulichkeit von einer hochkarätigen Expertenkommission präsentiert werden, sind schockierend. Zum Beispiel, wenn die Kommission begründet, warum der Hunger in der Welt nicht bekämpft, sondern begünstigt werden sollte.

Der Report, dessen kompromisslose Logik schon in Großbritannien, Frankreich und Italien Aufsehen erregte – er ist fiktiv. Susan George selbst hat ihn verfasst. Er könnte allerdings längst auch in Wahrheit so oder ähnlich existieren; alle seine Daten und Fakten entstammen der Wirklichkeit, erfunden ist nichts außer seinem Rahmen. Der Kunstgriff, den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts aus der Sicht seiner eingeschworenen Anhänger zu beschreiben, macht schmerzhaft deutlich: Wenn dies unsere Zukunft ist, wird es Zeit, eine andere zu wählen.

Über Susan George

Susan George, geboren in den USA, lebt in Frankreich und ist Vorstandsvorsitzende des Transnational Institute (TNI) mit Sitz in Amsterdam.

Sie war Beraterin verschiedener UN-Kommissionen und veröffentlicht zu ernährungs-, entwicklungs- und wirtschaftspolitischen Fragen. Ihre Bücher zu diesen Themen wurden zu Klassikern; bei Rowohlt erschienen «Sie sterben an unserem Geld» (1988) und «Der Schuldenbumerang» (1993). Mehr über Susan George: www.tni.org

Inhaltsübersicht

Brief von den Auftraggebern an die ArbeitsgruppeBegleitbrief an die AuftraggeberTeil 11.1 Gefahren1.2 Kontrolle1.3 Belastung1.4 SchlussfolgerungenTeil 22.1 Ziele2.2 Stützpfeiler2.3 Geißeln der Menschheit2.4 Prävention2.5 ProblemfälleZum Abschluss …AnhangSusan GeorgePrämissenDie Kaste der SchnellenAlternativenTransnationale TyranneiNachwort zum Lugano-Report

Von: Den Auftraggebern

 

An: Die Arbeitsgruppe

 

 

15. Oktober 1996

 

Sehr geehrte Herren,

wir danken Ihnen, dass Sie unseren Auftrag angenommen haben. Wie Sie bereits wissen, dürfte diese Arbeit Sie im kommenden Jahr voll und ganz in Anspruch nehmen und Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit erfordern. Wir erwarten die Vorlage Ihres Berichtes bis Ende November 1997.

Da der Bericht ausschließlich für die Augen der Auftraggeber bestimmt ist, sind Sie gehalten, außerhalb der Arbeitsgruppe mit niemandem über seinen Inhalt wie auch über den Auftrag an sich zu sprechen und untereinander die gebotene Sorgfalt in Hinblick auf Vertraulichkeit walten zu lassen.

Ihre Arbeit sollte uns Leitlinien an die Hand geben, wie man die liberale freie Marktwirtschaft und jenen Prozess, der sich am besten unter dem Begriff «Globalisierung» fassen lässt, in ihrer Reichweite behaupten, weiterentwickeln und vertiefen kann. Seien Sie versichert, dass man sich nach Ihren Empfehlungen, die offen und unvoreingenommen sein sollten, richten wird. Ihre Schlussfolgerungen werden wir nach eigenem Ermessen ausgewählten Staatsoberhäuptern und ihren jeweiligen Geheimdiensten sowie führenden Kräften aus Wirtschaft und Finanzwelt mitteilen.

Mr. «Enzian», der bereits mit jedem Einzelnen von Ihnen Kontakt aufgenommen hat, wird auch weiterhin unser Verbindungsmann bleiben. Er kümmert sich um alle praktischen Belange, wird Ihnen genauere Angaben zu Ihren jeweiligen Arbeitsgebieten geben und etwaige Fragen beantworten, soweit sie sich nicht auf unsere Identität beziehen.

Wir sind überzeugt, dass die interdisziplinäre Zusammensetzung Ihrer Arbeitsgruppe sowie die Sachkenntnis und das persönliche Engagement, das jeder Einzelne von Ihnen in diese wichtige Arbeit einbringt, zu einem Ergebnis von herausragender intellektueller und praktischer Relevanz führen wird.

Wir wünschen viel Erfolg.

Begleitbrief

 

 

28. November 1997

 

An: Die Auftraggeber

 

Anbei erhalten Sie den Bericht der Arbeitsgruppe, die in Ihrem Auftrag die Zukunft der Weltwirtschaft und der freien Marktwirtschaft begutachten sollte. Unsere Arbeit wurde innerhalb der vorgesehenen Jahresfrist von November 1996 bis November 1997 abgeschlossen.

Auch wenn es uns vielleicht nicht zustehen mag, möchten wir den Auftraggebern unsere Anerkennung aussprechen. Das Jahr unserer Zusammenarbeit war, um es mit Dickens zu sagen, «die beste und die schlimmste Zeit». Während dieser Zeit gab es eine bemerkenswerte wirtschaftliche Expansion und Euphorie am Markt, aber auch Anzeichen von Krisen und kritischen Situationen. Wohl nie zuvor haben so viele so schnell die Vorzüge der Globalisierung erlebt; und nie zuvor lagen ihre Gefahren so klar auf der Hand.

Dennoch entschieden sich unsere Sponsoren, den Blick sowohl über die günstigen Zeichen als auch über die Alarmsignale hinaus zu richten. Sie baten uns, unvoreingenommen an diese Aufgabe heranzugehen, geltende Meinungen zu verwerfen und unsere Ergebnisse ohne Rücksicht auf etwaige Gefühle unparteiisch darzulegen. Eine solche Freiheit ist selten, zugleich aber auch eine Belastung. Wir hoffen, diese Bürde mit Anstand getragen zu haben.

Wie aus den Einzelheiten der Aufgabenstellung hervorgeht, soll dieser Bericht vertraulich bleiben, eine Zusicherung, die es uns ermöglicht hat, mit äußerster Offenheit vorzugehen. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe sind persönlich verpflichtet und entschlossen, diese Vertraulichkeit zu wahren. Sollte der Inhalt dieses Berichts oder die Identität seiner Autoren ganz oder teilweise an die Öffentlichkeit dringen, werden wir einzeln und gemeinsam jegliche Verbindung dazu abstreiten und seine Echtheit in Abrede stellen.

Damit wollen wir unsere eigene Arbeit keineswegs desavouieren; im Gegenteil: Bei aller Bescheidenheit sind wir überzeugt, dass keine andere Gruppe, unter welcher Zusammensetzung auch immer, einer nüchternen Feststellung der Realitäten, wie wir uns ihnen heute gegenübersehen, jemals so nahe gekommen ist. Allerdings bezweifeln wir, dass andere Leser als jene, für die dieser Bericht eigens gedacht ist, seinen Inhalt mit der gebotenen Distanz aufnehmen würden, ohne dass ihre Sicht durch stark emotionale Reaktionen gefärbt würde. Wir halten den Inhalt für zu wichtig, um ein solches Risiko einzugehen.

Die Vorlage dieses Berichts erfolgt einstimmig. Diese Einstimmigkeit kam jedoch nicht ohne Schwierigkeiten zustande. Vor allem in den fortgeschrittenen Stadien unserer Arbeit brachten einige Mitglieder der Gruppe Vorbehalte gegen die hier dargelegten Argumentationen und Empfehlungen vor. In dem Maße, wie wir von der Diagnose des gegenwärtigen Weltzustands dazu übergingen, über praktikable Alternativstrategien und Lösungen nachzudenken, kamen wir jedoch zu der Überzeugung, dass unsere Empfehlungen das einzig mögliche Vorgehen darstellen. Sie leiten sich aus Prinzipien und Moralvorstellungen her, an die sich künftige Generationen, wenn schon nicht die unsere, nur halten können.

Was die oben erwähnten Leser angeht, «für die dieser Bericht eigens gedacht ist», so müssen wir einige Bedenken einräumen; wir hätten es vorgezogen, mehr über unsere Auftraggeber und den genauen Status dieses Papiers zu erfahren, auch wenn man uns versichert hat, dass unser Bericht von Menschen ernst genommen wird, die in der Position sind, einige oder sämtliche unserer Empfehlungen umzusetzen. Durch diese Zusicherung ermutigt, haben wir ihn ohne Rücksicht auf die Empfänger nach besten Kräften und zu unserer eigenen Zufriedenheit erstellt.

Unser Bericht ist so kurz und bündig, wie das umfassende Thema es nur zulässt, allerdings haben wir auf die übliche «Zusammenfassung» verzichtet, da wir sie als Beleidigung für eine Leserschaft empfunden hätten, die erhebliche Mittel in die Erarbeitung dieses Papiers investiert hat. Wir gehen davon aus, dass sie sich die Zeit nehmen wird, den Bericht in voller Länge zu lesen.

Mr. «Enzian», unserem Verbindungsmann, der uns während unserer Arbeit im Laufe des vergangenen Jahres mit allen Annehmlichkeiten und jedem Komfort versah, möchten wir für seine bewundernswerte Effizienz danken. Unsere Plenarsitzungen fanden in der angenehmen Umgebung von Lugano in der Schweiz statt; aus diesem Grund trägt dieser Bericht für uns den Namen Der Lugano-Report. Der förmlichere Titel lautet: Über die Erhaltung des Kapitalismus im 21. Jahrhundert.

Gemäß den Vorsichtsmaßnahmen, die wir während der Arbeit an diesem Bericht eingehalten haben, unterzeichnen wir auch diesen Begleitbrief mit unseren Arbeits-Pseudonymen, die uns offen gestanden recht lieb geworden sind:

 

Gezeichnet: Narzisse, Klette, Fingerkraut, Dill, Edelweiß, Fingerhut, Habichtskraut, Ackertäschelkraut, Schneeglöckchen

Teil 1

1.1 Gefahren

Unseres Wissens war noch keine Arbeitsgruppe mit einer derart umfassenden und zugleich erschreckenden Aufgabenstellung konfrontiert. Wir wurden gebeten:

die Bedrohungen für das kapitalistische System der freien Marktwirtschaft und die Hindernisse für seine allgemeine Verbreitung und Erhaltung zu Beginn des neuen Millenniums zu kennzeichnen;

den gegenwärtigen Kurs der Weltwirtschaft im Licht dieser Bedrohungen und Hindernisse zu untersuchen;

Strategien, konkrete Maßnahmen und Kursänderungen zu empfehlen, um die Wahrscheinlichkeit zu maximieren, dass das globalisierte kapitalistische System der freien Marktwirtschaft erhalten bleibt.[1]

Im ersten Teil dieses Berichts befassen wir uns mit den Bedrohungen und Gefahren, im zweiten mit Vorschlägen und Empfehlungen.

Die Arbeitsgruppe teilt uneingeschränkt die von den Auftraggebern aufgestellte Prämisse: dass ein liberales, marktorientiertes, globalisiertes Weltsystem im 21. Jahrhundert nicht nur die Norm bleiben, sondern auch den Sieg davontragen sollte. Wir sehen ein Wirtschaftssystem, das auf individueller Freiheit und Risikobereitschaft aufbaut, als Garant anderer Freiheiten und Werte.

Darüber hinaus nehmen wir die Herausforderung unserer Auftraggeber an, in der Erarbeitung dieses Berichts soweit wie möglich von Gefühlen, Vorurteilen und vorgefassten Ansichten abzusehen. Wir hoffen und vertrauen darauf, dass unser akademischer und kultureller Hintergrund uns dabei zugute kommt.

Bedrohungen und Hindernisse

Die liberale Vision sieht sich von allen Seiten Bedrohungen und Hindernissen ausgesetzt; das System ist wesentlich stärker gefährdet, als gemeinhin angenommen wird. Es im kommenden Jahrhundert und darüber hinaus zu bewahren ist wesentlich leichter gesagt als getan!

Um Missverständnissen vorzubeugen, sei gesagt, dass wir keineswegs die Renaissance eines wie auch immer gearteten neosowjetischen Imperiums vorhersehen; wir bezweifeln ernstlich, dass es ein alternatives politisch-ökonomisches Weltsystem in den nächsten Jahrzehnten theoretisch oder praktisch mit der globalen Marktwirtschaft aufzunehmen vermag. Mit einem wiederauferstehenden glaubwürdigen Marxismus oder sonst einem Alternativsystem ist nicht zu rechnen. Wir glauben auch nicht, dass ein religiöses Dogma signifikante politische oder wirtschaftliche Bedeutung erlangen wird, sosehr es auch zu peripheren Störungen führen mag.

Das System wird durch subtilere Bedrohungen gefährdet, als von Politik, Ideologie oder Religion ausgehen; seine erheblichen praktischen Vorteile und seine genuine theoretische Kohärenz genügen nicht. Niemand kann bestreiten, dass derzeit Millionen davon profitieren, sei es in seinen traditionellen Hochburgen Nordamerikas oder Europas oder in den weiten Teilen der Welt, die sich erst in jüngerer Zeit gegenüber den Vorzügen dieses Systems geöffnet haben.

Millionen Menschen glauben fest daran, dass auch sie ihr Los verbessern können; denn der Kapitalismus ist nicht bloß eine Wirtschaftsdoktrin und eine intellektuelle Errungenschaft, sondern auch eine revolutionäre Jahrtausendkraft und Quelle der Hoffnung, wie es der Kommunismus früher einmal war. Dies ist auch der tiefer liegende Grund, weshalb sie tödliche Rivalen waren.

Das Streben nach materiellem Wohlstand im Hier und Jetzt hat sich als wesentlich mächtiger (und ehrlicher) erwiesen als die Verheißungen des Kommunismus oder der Religion, die den Lohn auf eine strahlende, unbestimmte Zukunft oder das Jenseits verschieben. In einem solchen Wettbewerb werden Lärm und Getöse des Marktes immer den Sieg über die irdischen oder himmlischen Chöre eines künftigen Paradieses davontragen. Wieso sollte also die Marktwirtschaft gefährdet sein? Wir sehen dafür mehrere Gründe.

Ein potenziell katastrophaler ökologischer Zusammenbruch

Um uns herum mehren sich die Warnzeichen, in den ökonomischen Standardmodellen finden sie jedoch kaum einen Niederschlag. Die Natur ist das größte Hindernis für die Zukunft der freien Marktwirtschaft, lässt sich aber nicht als Gegner behandeln. Die Botschaft muss lauten: wahre sie oder verdirb.

Ob die Wirtschaftswissenschaftler nun wirklich blind für ökologische Gefahren sind oder nicht, sie verhalten sich nach dem Motto: Je weniger darüber geredet wird, umso besser. Vielleicht fürchten sie, wenn sie diesen wichtigen Widerspruch unseres Wirtschaftssystems aufdecken oder analysieren würden, könnte es seiner Erhaltung schaden und den wissenschaftlichen Anspruch ihres Fachgebiets und das Ansehen ihres Berufsstandes untergraben.

In ihren Hauptströmungen mag die Wirtschaftswissenschaft zwar an ihre Grenzen stoßen und massiv die Realität leugnen, aber die bahnbrechenden Arbeiten von Nicholas Georgescu-Roegen[1] Anfang der siebziger Jahre (die anschließend von Professor Herman Daly und anderen populär gemacht wurden) haben deutlich gezeigt, dass die Wirtschaft letztlich unter dem Aspekt der tatsächlichen und potenziellen Energieflüsse und der «Entropie» oder der «verbrauchten», nicht verfügbaren Energie zu analysieren ist. Anders ausgedrückt: Die Wirtschaft muss wie andere physikalische Systeme (einschließlich des menschlichen Körpers) nach den Gesetzen des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik verstanden werden.[2]

Dieser Hauptsatz gilt aus dem einfachen Grund auch für unser Wirtschaftssystem, weil es ein Subsystem der natürlichen Welt darstellt und diese Welt nicht enthält. Die Wirtschaft als das übergeordnete System und die Natur lediglich als Subsystem zu sehen und Wirtschaftsphänomene dann anhand einer «mechanistischen Epistemologie» (wie Georgescu-Roegen es nennt) zu untersuchen, ist ein bloßes Hilfskonstrukt – und unserer Ansicht nach ein sicherer Weg in die Katastrophe.

In der Mechanik sind alle Phänomene reversibel. Von dieser Umkehrbarkeit gehen auch fast alle neoklassischen, keynesschen und marxistischen Wirtschaftswissenschaftler aus. Kein Ereignis hinterlässt sozusagen bleibende Spuren; mit der Zeit kann alles wieder in seinen «Ausgangszustand» zurückkehren. Wie Georgescu-Roegen zeigt, ist dies Unsinn:

Der Wirtschaftsprozess ist kein isolierter, sich selbst tragender; er kann nicht ohne einen ständigen Austausch vonstatten gehen, der die Umgebung kumulativ verändert und seinerseits von diesen Veränderungen beeinflusst wird.

 

Diese grundlegende Wahrheit anzuerkennen würde bedeuten, einen Großteil des akademischen Kanons, wie er derzeit von einer Generation an die nächste weitergegeben wird, zu revidieren, eine Aufgabe, die theoretisch wie praktisch auf äußerst begrenzte Begeisterung stößt.

Es ist jedoch unsere Pflicht, die Welt so zu beschreiben, wie sie ist, und nicht einen Berufsstand zu schützen. Die enorme Gewalt leugnen zu wollen, die der Natur von der kapitalistischen Wirtschaft (und mehr noch der ehemals sozialistischen) angetan wird, wäre dumm. Wirtschaftliche Standardkalkulationen behandeln den Verbrauch erneuerbarer und nicht erneuerbarer Ressourcen («natürliches Kapital») als Einkommen und Wachstumsbeitrag. Und Wachstum gilt wiederum als Synonym für wirtschaftlichen Wohlstand.

In einem solchen System wird ein Wald, der abgeholzt und in Form von Baumstämmen, Brettern, Holzkohle, Möbeln und Ähnlichem verkauft wird, nur auf der Habenseite der Bilanz verbucht. Die Zerstörung des natürlichen Kapitals, das dieser Wald mit seinen «Dienstleistungen» darstellte, also mit seiner Fähigkeit, CO2 zu absorbieren, den Boden zu stabilisieren und die Artenvielfalt zu erhalten, taucht nirgendwo auf.

Luft, Wasser und Boden gelten als freie oder nahezu freie Güter; ihre Knappheit wird nicht anerkannt oder kalkuliert. Die Erschöpfung und Verringerung von Fischbeständen, Bodenkrume, Mineralvorkommen, Ozonschicht, wild lebenden Tierarten, seltenen Pflanzen und so weiter gilt entweder als Einkommen oder wird mit Subventionen an eben jene Produzenten unterstützt, die sie erschöpfend verbrauchen (wie die Agrarwirtschaft und Unternehmen, die natürliche Ressourcen nutzen).

Auf den langfristigen Erfolg des Liberalismus wirkt sich eine solche Einstellung selbstmörderisch aus. Die Wirtschaft ist Bestandteil der endlichen physikalischen Welt, nicht umgekehrt. Die Realität der Biosphäre ist eine «Gegebenheit»; ihre Ressourcen lassen sich nicht vermehren; ihre Aufnahmefähigkeit ist durch menschliche Erfindungen nicht zu steigern; einmal geschädigt, kehrt sie nicht wieder in ihren «Ausgangszustand» zurück, allenfalls, um es mit Keynes zu sagen, «langfristig, wenn wir alle tot sind».

Die Wirtschaft wandelt vielmehr einen Input an Energie und Stoffen in einen Output an Gütern und Dienstleistungen um und gibt die bei diesem Prozess entstehenden Abfallprodukte, wie Umweltverschmutzung und Wärme (Entropie), an die Biosphäre ab. Mit anderen Worten, die Wirtschaft ist ein offenes System, das innerhalb eines geschlossenen Systems arbeitet.

Die heutigen Beschreibungs-, Berechnungs- und Bilanzierungsverfahren sagen uns nicht, was wir wissen müssen. Sie sind ungeeignete Instrumentarien, da betriebs- und volkswirtschaftliche Bilanzen «mathematisch-mechanische» Konstrukte darstellen und von einer Wirtschaft ausgehen, die unabhängig von der Natur operiert.

Güter und Dienstleistungen, die aus der Biosphäre bezogen werden, sind somit unterbewertet oder gar nicht als Wert erfasst; Umweltverschmutzung, Abfall und Wärme, die wieder an die Biosphäre abgegeben werden, gelten nicht als Kosten. Reale ökologische Kosten werden «externalisiert» und müssen als solche von der Gesellschaft und dem Planeten als Ganzem getragen werden.

Dies wirft unmittelbar Fragen nach den Größenverhältnissen auf. Bleibt die Größe der Wirtschaft im Verhältnis zur Biosphäre klein, wie es bis zum 20. Jahrhundert der Fall war, sind Fragen der Umwelt nicht relevant und schon gar nicht von ausschlaggebender Bedeutung, oder nur gelegentlich und örtlich begrenzt. In dem Maße, wie die Wirtschaft wächst, wird das Größenverhältnis jedoch entscheidend.

Die Welt produziert heute in weniger als zwei Wochen das Äquivalent des gesamten physikalischen Outputs des Jahres 1900. Der wirtschaftliche Ausstoß (oder «Durchsatz», was den Prozess, Ressourcen zu gewinnen, umzuwandeln und zu entsorgen, dynamischer vermittelt) verdoppelt sich etwa alle 25 bis 30 Jahre. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird das Ausmaß wirtschaftlicher Aktivität an die Grenzen der Biosphäre und sogar der Kapazität unseres Planeten stoßen, Leben zu erhalten.

Technologische Verbesserungen können diesen Prozess verlangsamen, jedoch nicht völlig aufhalten. Verschiedene Zeichen deuten darauf hin, dass die wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft die Menschen schon jetzt dazu antreibt, gewisse natürliche Schwellen zu überschreiten, darunter auch manche, die zuständige politische Stellen erst anerkennen werden, wenn es zu spät ist. Einige dieser Schwellen sind durchaus bekannt: das Schwinden der Ozonschicht, die vom Menschen bewirkte Klimaveränderung, der Einbruch von Fischgründen und Ähnliches.

Zu den direkt bezifferbaren wirtschaftlichen Kosten menschlichen Eingreifens in natürliche Systeme gehört das häufigere Auftreten schwerer tropischer Stürme, das viele Wissenschaftler mit der Erderwärmung in Zusammenhang bringen. Die teuersten Naturkatastrophen in Amerika sind Hurricanes, deren Folgekosten nach Ansicht der Meteorologen neue Schwindel erregende Höhen erreichen könnten.

Die größten Versicherungsgesellschaften der Welt haben die stark gestiegene Häufigkeit solcher «Naturkatastrophen» als erhebliche und potenziell untragbare finanzielle Belastung ihrer Branche erkannt und neue Finanzierungswege vorgeschlagen; sie hoffen die zukünftigen Kosten für solche Ansprüche allgemein auf Investoren abwälzen zu können, die bereitwillig darauf setzen, dass es nicht zu katastrophalen Stürmen kommen wird.

Ökologische Spannungen werden außerdem zu größerer politischer Instabilität und mehr bewaffneten Konflikten führen. Etwa siebzig Prozent der Weltbevölkerung leben schon jetzt in Gebieten mit «angespannter Wassersituation». Zunächst wird es im Nahen Osten, in der Sahelzone und in Asien zu «Öko-Konflikten» kommen, die anschließend auf besser ausgestattete Regionen übergreifen und unvorhersehbare wirtschaftliche Folgen mit sich bringen.

Riesenkonzerne, Wohlstandsgesellschaften und reiche Einzelpersonen können den Konsequenzen der verschlechterten ökologischen Lage nicht entrinnen, was immer sie auch an Reichtum aufzubieten haben. Und selbst sie scheinen machtlos zu sein, diesen Prozess aufzuhalten. Sie illustrieren das Paradox von Nutznießern eines Systems, die dieses nicht auch zu bewahren vermögen, ein Paradox, dem wir in diesem Bericht noch häufig begegnen werden.

Im Kern liegt ihm das Problem des «Nassauerns» zugrunde. Nur wenige sind bereit, die Kosten für eine Umkehrung dieser destruktiven Tendenzen zu tragen, von der alle profitieren würden. Wenn ein Unternehmen die Schleppnetzfischerei einstellen würde, damit sich die Fischbestände erholen könnten, würden weniger skrupulöse Wettbewerber nachrücken, die restlichen Fänge abfischen und die ökologisch verantwortungsbewusstere Firma damit ruinieren. Kurzfristige Interessen tragen den Sieg davon.

Da niemand den ersten Schritt tun will, hinken letztlich alle hinterher. Unternehmer wollen keine machtvollen Staaten, die ihren Geschäften strenge Regeln aufzwingen können, und noch weniger wollen sie eine Weltregierung, und so reguliert niemand ihr Tun. Niemand kann es sich leisten, innezuhalten und umzukehren, und daher geht die Zerstörung weiter. Doch auf einem toten Planeten kann niemand leben.

Schädliches Wachstum

Zu sagen, Wachstum bedrohe die freie Marktwirtschaft, klingt verrückt oder ketzerisch. «Jeder» weiß, dass Wachstum der Motor unserer Wirtschaft ist und fehlendes Wachstum Stagnation und Niedergang bedeutet. Um einen Vergleich zu wagen: Wie der Wanderer in der rauen Umgebung der Sahara oder Arktis ständig in Bewegung bleiben muss, wenn er nicht zugrunde gehen will, so können auch die Mitreisenden auf großer Fahrt des Marktes nicht stehen bleiben.

Stillstand bedeutet, früher oder später verdrängt und eliminiert zu werden, im Abseits zu sterben. So ist Wachstum zum nie endenden Bestreben des Systems geworden, doch vieles von dem, was als Wachstum gilt, spiegelt inzwischen kontraproduktive und sogar schädliche und destruktive Tendenzen wider. Das Konzept ist zu überprüfen und zu überarbeiten. Es bedarf einer klareren Unterscheidung von «Wachstum» und «Wohlstand». Mehr und größer bedeutet nicht zwangsläufig besser.

Nehmen wir ein banales Beispiel aus der amerikanischen Presse: Nach Angaben der amerikanischen Versicherungsindustrie beliefen sich die Kosten für Autodiebstahl 1995 auf acht Milliarden US-Dollar; im selben Jahr statteten Autobesitzer ihre Fahrzeuge mit elektronischen Diebstahlsicherungen im Wert von 675 Millionen Dollar aus. Bis zum Jahr 2000 rechnete man auf diesem Markt mit einem Umsatz von 1,3 Milliarden Dollar. Es wäre recht kurzsichtig, erfreut auszurufen: «Aber das ist doch gut, wenn die Industrie für Autozubehör expandiert!»

In das Bruttosozialprodukt fließen solche Wirtschaftsaktivitäten jedoch ebenso ein wie Posten aus dem Bereich Krebsbehandlungen, Haftanstalten, Reha-Zentren für Drogenabhängige, Behebung von Folgeschäden terroristischer Anschläge, und so weiter. Krieg zu führen wäre demnach der effektivste Weg, das Bruttosozialprodukt schnell zu steigern.

Früher stand das Wirtschaftswachstum in engem Zusammenhang mit der Steigerung des allgemeinen Wohlstands, das ist heute nicht mehr der Fall. Immer mehr Wirtschaftswachstum beruht auf sozialen Phänomenen, auf die die meisten Menschen lieber verzichten würden. Eine präzise Erfassung desjenigen Wachstums, das auf Korrekturen oder Nachbesserungen vergangener Fehler basiert, ist zwar unmöglich, doch wir möchten das dringende Erfordernis betonen, dieses wirtschaftliche Paradox in einem neuen, härteren Licht zu untersuchen.

Statt Wachstum um seiner selbst willen zu begrüßen, sollten wir seine Gesamtkosten berechnen, und zwar inklusive der ökologischen und sozialen Kosten, die derzeit von jenen externalisiert werden, die finanziell von schädlichem Wirtschaftswachstum profitieren.

Soziale Extreme und Extremismus

Die Zukunft der freien Marktwirtschaft hängt zudem davon ab, wer von ihrem Wachstum profitiert. Wenn die Gewinne der unteren Hälfte der Bevölkerung zufallen, werden diese relativ armen Menschen ihr Geld überwiegend für den Konsum ausgeben und die Nachfrage in Schwung halten. Fließen die Gewinne stattdessen an die Spitze der sozialen Stufenleiter, werden die Empfänger noch größere Summen als bisher in Finanzmärkte statt in Güter und Dienstleistungen investieren. In der Folge wird die Nachfrage sinken, was die Gefahr von steigenden Lagerbeständen, Überproduktion und Stagnation nach sich zieht. Die Einkommensverteilung ist also für das langfristige Funktionieren des Systems von entscheidender Bedeutung.

Eben darin liegt die Gefahr: Eine deregulierte, wettbewerbsorientierte Wirtschaft nutzt zwar vielen, am meisten aber jenen an der Spitze. In dieser Hinsicht gibt es schlagende Beweise aus den verschiedensten Ländern: Nach einer Liberalisierung und Deregulierung verbessert sich die Lage der oberen zwanzig Prozent. Je näher sie der Einkommensspitze sind, umso mehr gewinnen sie. Dieselbe Gesetzmäßigkeit gilt umgekehrt für die restlichen achtzig Prozent der Bevölkerung: Alle verlieren ein bisschen; und am meisten verlieren jene, die schon vorher am wenigsten hatten.

Krasse soziale Unterschiede und «Klassenkampf», wie Marxisten es vielleicht noch immer nennen, stellen eine echte Bedrohung dar. Jenseits einer gewissen Schwelle sind Ungleichheiten für das System gefährlich und müssen genau im Auge behalten werden. Dass große Unterschiede in Bezug auf Wohlstand und Lebensbedingungen Wut, Destruktivität und Gewalt provozieren können, ist wohl kaum etwas Neues, aber das ausgehende 20. Jahrhundert hat dieser uralten Wahrheit eine neue Facette hinzugefügt: die Tendenz, dass die Wohlinformierten Wut und Gewalt bei den Geringinformierten hervorrufen. Die «Informationsarmen» bilden eine weltweite Kategorie, die mit den materiell Armen deckungsgleich sein kann, aber nicht muss.

Eben weil sie Informationen nicht in ausreichender Menge oder mit ausreichender Geschwindigkeit produzieren, aufnehmen oder verarbeiten können, sind diese Informationsarmen funktionsunfähig geworden, wenn sie nicht sozial ausgegrenzt wurden. Ihre Arbeitswilligkeit, ihre Muskelkraft verlieren im Computerzeitalter zunehmend an Bedeutung.

Manche Wohlstandsgesellschaften wie die Vereinigten Staaten sind anscheinend trotz krasser Einkommensunterschiede zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten immer noch imstande, gesellschaftliche Reibungen abzufangen, obwohl die Existenz Tausender hinter Mauern und Toren abgeschotteter privater Wohnsiedlungen auf tiefgreifende Spannungen hindeutet. Wie lange diese relative Ruhe noch währt, ist nicht abzusehen, zumal wenn die Mittelschicht nicht mehr mit sozialen Leistungen rechnen kann, die ihr früher ohne unmittelbare Auslagen zur Verfügung standen, etwa zufrieden stellende staatliche Schulen oder eine sichere Wohngegend.

In der Europäischen Union sind soziale Extreme zwar weniger eklatant, aber chronische Arbeitslosigkeit, stagnierende Löhne in den unteren Einkommensgruppen und die immer größere Beliebtheit befristeter Beschäftigungsverhältnisse (auf dem europäischen Kontinent) oder die drastische Zunahme von «Armut unter Arbeitern» (Großbritannien) schüren Unmut und Angst.

Europäische Regierungen stehen und fallen mit der Frage der Arbeitslosigkeit, und ihre Bürger bemühen sich vergebens um die Quadratur des Kreises. Die Europäer möchten Arbeitsplätze, sind aber nicht bereit, für flexiblere Arbeitsmärkte auf ihre Sozialleistungsansprüche zu verzichten. Viele sprechen von der «schwindenden Mitte» und der Angst der Mittelschicht, ihre eigene Sicherheit und die ihrer Kinder zu verlieren. Zunehmend gibt man der «Globalisierung» die Schuld an diesem Stand der Dinge.

In vielen Dritte-Welt-Ländern, vor allem in Lateinamerika, wo die Kluft zwischen Arm und Reich immer schon an der Tagesordnung war, werden die Vorteile des Reichtums bereits durch seine Nachteile aufgewogen. Private Sicherheitsdienste sind unverzichtbar, Kinder wohlhabender Eltern können nicht ohne Begleitung zur Schule gehen, da man Entführungen fürchten muss, Firmen müssen Schutzgeld zahlen, Frauen können auf der Straße keinen Schmuck tragen, Joggen oder Radfahren sind ausgeschlossen, mit dem eigenen Wagen oder einem Taxi zu fahren wirkt riskant, doch öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen ist undenkbar, und so weiter.

Überall schürt eine fernsehvermittelte Fantasiewelt opulenter Lebensstile (meist verbunden mit eklatant «unmoralischem» Verhalten) den Zorn der Armen noch weiter. Millionen nehmen diese Soap Operas ernst und glauben, Reichtum sei endlich; die wenigen in Saus und Braus Lebenden hätten ihn sich zu Unrecht angeeignet und somit den vielen «gestohlen», die ihn eigentlich verdienten, einschließlich sie selbst.

Andere Ungleichheiten mögen für die Dialektik von Zorn und Gewalt völlig irrelevant sein. Ein von Moralisten häufig angeführtes Beispiel sind die etwa 450 Dollar-Milliardäre, die angeblich so viel besitzen wie zweieinhalb Milliarden Menschen in der Dritten Welt zusammen (gemessen an ihrem durchschnittlichen Pro-Kopf-Anteil am Bruttosozialprodukt dieser Länder).

Die vergleichende Gegenüberstellung von Milliardären und Milliarden Menschen ist für den dauerhaften Erfolg der freien Marktwirtschaft irrelevant, weil Reichtum nicht endlich, sondern elastisch ist und, zumindest bislang, ständig wächst. Das Vermögen der Milliardäre wird nicht als den Armen entzogen wahrgenommen, da beide Gruppen nicht derselben räumlichen Sphäre angehören. Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass die zweieinhalb Milliarden Armen mit den 450 Milliardären zusammentreffen oder Ansprüche auf ihren Besitz erheben, und selbst wenn sie es versuchen sollten, könnten sie ihren Anspruch nicht durchsetzen.

Eine räumliche Nähe von Gewinnern und Verlierern macht den Gewinnern das Leben wesentlich weniger angenehm, als es zu Recht sein sollte. Doch aus paradoxen Gründen treten Gewinner selbst in Zeiten ernsthafter Gefährdung nur selten für eine Umverteilung des Reichtums an die Verlierer ein, obwohl sie damit die Risiken für sich erheblich verringern könnten. Das Motto der Gewinner bleibt wie eh und je: Nach uns die Sintflut.

Unterdessen beschwören westliche Politiker «Familienwerte» herauf in der irrigen Annahme, damit den Zusammenhalt von Gesellschaften stärken zu können, die zunehmend unter Druck geraten. Allerdings erklären sie nicht, wie sich die Masse der Menschen auf Anhieb auf Arbeitslosigkeit, schlechte oder unsichere Arbeitsbedingungen, Standortverlagerungen und längere Arbeitszeiten einstellen und gleichzeitig ihrer Familie die notwendige Zeit und Aufmerksamkeit widmen soll. In den meisten nordamerikanischen und europäischen Familien arbeiten mittlerweile beide Elternteile, um den Lebensunterhalt zu sichern. Somit nimmt auch der Beitrag der Familie zur sozialen Stabilität ab.

In einem Klima der Privatisierung und des Abbaus öffentlicher Dienstleistungen wird von den Menschen erwartet, mehr Verantwortung für ihre Gemeinden und ihre ärmeren Mitbürger zu übernehmen. Doch auch hier ist nicht klar, wie Menschen, die in ihrem Berufsleben gezwungen sind, konkurrenzfähig zu bleiben und ihr Eigeninteresse an die erste Stelle zu setzen, in ihrer «Freizeit» ihre Einstellung radikal ändern und sich den Benachteiligten und Unterdrückten widmen sollen.

Unerbittliche wirtschaftliche Zwänge in Kombination mit einem dünner werdenden sozialen Netz deuten darauf hin, dass uns ein Zeitalter bevorsteht, in dem es nicht nur – wie während der Weltwirtschaftskrise – die «Betuchten» und die «Habenichtse» gibt, sondern Insider und Outsider. Optimisten behaupten beharrlich, es werde mehr Gewinner als Verlierer geben, mehr Insider als Outsider. Unserer Ansicht nach stellt die soziale Integration, die Outsider in großer Zahl zu Insidern macht, eine gewaltige Herausforderung an die Überlebensfähigkeit des Systems dar.

Nicht nur die Bürger eines Landes verteilen sich auf einem Kontinuum von Reichtum–Armut und Sicherheit–Unsicherheit, sondern auch ganze geographische Regionen, die den von Liberalisierung und globalem Wettbewerb erzeugten Ungleichheiten unterworfen sind. Diese Regionen lassen sich ebenfalls als «Gewinner» oder «Verlierer» einstufen.

Südostengland und einige Stadtteile von London boomen, während der Norden des Landes brach liegt und andere Viertel der Hauptstadt verfallen. In den Vereinigten Staaten steht die Entwicklung im «Rostgürtel» in krassem Gegensatz zu den dynamischeren Gebieten im Süden und Westen. Der «Tiger» oder «Drachen» Asien galt typischerweise als «Gewinner»-Region. Doch während wir diesen Bericht erstellen, könnte die sich verschärfende Finanzkrise diese Länder auf eine niedrigere Rangstufe verdrängen. Afrika ist der typische Verlierer.

Ob «Verlierer» nun psychologisch so reagieren, dass sie sich und ihren Führern die Schuld geben, oder ob sie die Schuld bei anderen suchen und sich weigern, die Verantwortung für ihr Verlierertum zu übernehmen, früher oder später versuchen sie, ihre Mängel zu kompensieren. Die Mittel, für die sie sich entscheiden, rangieren von individuellem Selbstmord bis zur Massenemigration; von politischem Protest und friedlichen Demonstrationen bis zur Gründung von Privatmilizen und Terrorismus.

Doch ganz gleich, wie die individuellen oder kollektiven Strategien auch aussehen mögen, Verlierer wirken auf das vorherrschende oder dominante System immer destabilisierend. Organisierter oder diffuser Protest gegen Ungleichheiten muss daher ernst genommen und in die ökonomische, kulturelle und gegebenenfalls militärische Planung einbezogen werden.

Das 21. Jahrhundert wird eine schwierige Gratwanderung bestehen müssen, um einerseits die erforderliche Marktfreiheit zu erhalten und andererseits die sozialen Nebenwirkungen auszuschließen oder einzudämmen, die diese Freiheit zwangsläufig mit sich bringt. Andernfalls werden die Kosten sehr bald den Nutzen selbst für jene übersteigen, die geographisch und finanziell an der Spitze der Stufenleiter stehen.

Gangster-Kapitalismus

Kriminalität großen Stils kann die Fundamente legalen Wirtschaftens untergraben. Vor allem seit sich das Sowjet-Imperium aufgelöst und China einige Aspekte der Marktwirtschaft aufgenommen hat, hat der «Gangster-Kapitalismus» (wie eine Wirtschaftszeitschrift es nannte) weite Teile des Globus übernommen und bedroht viele weitere. Parallele Wirtschaftszweige, die auf Drogenhandel, Waffenschmuggel, Geldwäsche und Korruption aller Art basieren, werden in ihrem Umsatz mittlerweile auf Billionen Dollar geschätzt und locken stündlich neue Rekruten an.

Weite Bereiche der Welt entziehen sich schon heute der Jurisdiktion eines Staates. Die zuständigen Behörden kennen nicht unbedingt die Standorte privater Flugplätze und Kokain produzierender Fabriken oder den Hauptsitz eines entsprechenden Kartells, von einer wirkungsvollen Kontrolle darüber ganz zu schweigen. Solche Kartelle haben nicht nur finanzielle, sondern auch strategische Macht erlangt: Es kursieren weithin Gerüchte, dass ein mächtiger lateinamerikanischer Drogenbaron einmal eine rechtmäßige Regierung mit der Drohung erpresst hat, die Flugzeuge ihrer Fluggesellschaft von seinem Privatstützpunkt aus mit Raketen vom illegalen Waffenmarkt abzuschießen.

In dem Maße, wie Banden und mafia-ähnliche Organisationen ihren Einflussbereich ausdehnen, folgen ihnen Geld und Politik. Sie ziehen legale Unternehmen in ihren Sog und können es sich leisten, die Politiker und Beamten in nationalen Regierungen und Verwaltungen zu kaufen, die sie brauchen.

Wie sich herausgestellt hat, bestechen hochrangige mexikanische Beamte aus dem Bereich der Drogenbekämpfung Drogenbarone und beschäftigen auch ehemalige US Green Berets, deren Erfahrungen im Kampf gegen Aufständische nun gegen Polizei und FBI zum Einsatz kommen. Offiziere aus den ehemaligen Sowjetrepubliken bessern ihr armseliges Einkommen mit dem Verkauf gestohlener Waffen (vermutlich auch nuklearer Waffen) auf. In Bolivien sind aus den Zinngruben vertriebene Bergarbeiter nur allzu gern bereit, Kokain anzubauen und zu verarbeiten, ein Trend, der von der grassierenden Arbeitslosigkeit noch unterstützt wird: Geheimorganisationen können sämtliche Arbeitskräfte anheuern, die sie brauchen, bis hin zu Privatarmeen.

Hoch verschuldete Länder verdienen mit dem Export von Drogen, Kleinwaffen und Migranten weitaus mehr als mit dem Export legaler Rohstoffe. Manche Analysten halten den Tschetschenienkrieg für einen Konflikt zwischen rivalisierenden Banden, bei dem es um die Kontrolle über strategische Ressourcen geht. Große gesetzlose Volkswirtschaften wie die Russlands können jede Richtung einschlagen; so wäre es durchaus denkbar, dass ehemalige Sowjetrepubliken oder ethnische Gruppen unvorhersehbare Allianzen mit radikalen islamischen Staaten eingehen und einen beträchtlichen Teil der Erdölvorräte der Welt unter ihre Kontrolle bringen.

Die an sich wünschenswerte Deregulierung könnte sich so ins Gegenteil verkehren und gegen ihren ursprünglichen Zweck richten. Ein lukrativer, paralleler «Gangster-Kapitalismus» würde sich zu einem brisanten Problem entwickeln, zu einer eindeutigen, realen Gefahr für die legale Marktwirtschaft. Wenn es ihm gelänge, den legalen Handel zu verdrängen, wären die traditionellen Wettbewerbsregeln außer Kraft gesetzt und der organisierte Terrorismus an der Tagesordnung. Anstelle des heute relativ berechenbaren Geschäftsklimas träten anhaltende Anarchie und ein hobbesscher Krieg von jedem gegen jeden unter Einzelnen, Firmen und Nationen.

Zusammenbruch der Finanzmärkte

Die Risiken eines größeren Zwischenfalls an den Finanzmärkten wachsen; es überrascht uns sogar, dass es bislang noch nicht dazu gekommen ist.[1] Wir möchten hier ausdrücklich darauf hinweisen, dass die den Finanzmärkten innewohnende Unbeständigkeit eine ernste Bedrohung der Marktwirtschaft darstellt.

Internationale Aktienindizes wie der Dow-Jones, FTSE, CAC-40 oder Nikkei stehen auf einer schmalen Basis. Was die Bedeutung ihrer jeweiligen Kapitalausstattung angeht, beruhen diese Indizes auf den Geschicken einer äußerst begrenzten Anzahl riesiger transnationaler Unternehmen, die sich insgesamt auf etwa fünfzig bis sechzig Firmen beläuft. Der Wert des Derivathandels geht mittlerweile in die zig Billionen Dollar, zumindest der Notierung nach, und übersteigt damit bei weitem das Bruttosozialprodukt der Vereinigten Staaten, der größten Volkswirtschaft der Welt.

Auch wenn der Markt die meiste Zeit und an den meisten Orten eine inhärente Klugheit an den Tag legt, ist es in der Geschichte schon zu periodischen Anfällen von Verrücktheit und mentalem Zusammenbruch gekommen, was das gesamte System, das unser Bericht auftragsgemäß verteidigen soll, gefährdet hat. Da diese Gefahr heute größer ist denn je, bietet sie erheblichen Anlass zur Sorge und soll im folgenden Kapitel eingehender behandelt werden.

Hervorhebung der Widersprüche

Unsere Auftraggeber haben uns, schlicht gesagt, die Frage gestellt, ob das Weltwirtschaftssystem vor größerem Schaden sicher ist, ob es sich in die richtige Richtung entwickelt, um Gefahren abzuwenden, und wie es sich andernfalls schützen ließe. Alle oben aufgezeigten Bedrohungen für dieses System enthalten paradoxe Aspekte. Die ihnen innewohnenden Widersprüche lassen für die anhaltende Sicherheit des Systems nichts Gutes ahnen:

Der Markt ist der beste Richter über den Wert und die Klugheit menschlichen Wirtschaftens, aber der Markt kann uns erst, wenn es zu spät ist, sagen, wann wir ökologische Schwellen überschreiten.

Wachstum ist der Lebenssaft der Wirtschaft, aber der allgemeine Wohlstand steht nicht mehr unbedingt in direkter Korrelation zum Wachstum, was in vielen Fällen zunehmend kontraproduktiv wirkt und zur Verarmung statt zur Bereicherung führt.

Die Wirtschaft bildet den Kern der Gesellschaft, aber unerwünschte soziale Nebenwirkungen könnten sich als stark genug erweisen, wirtschaftliche Vorteile zu untergraben. Unternehmen müssen weiterhin die Freiheit haben, zu investieren und zu gedeihen, wo die günstigsten Bedingungen herrschen, aber Menschen, die auf der Strecke bleiben, werden in ihrem Verhalten unberechenbar und destabilisierend sein. Überregulation muss zwar vermieden werden, aber ein völlig ungeregelter (oder «selbstregulierter») Markt birgt die Gefahr der Selbstzerstörung, da er, sich selbst überlassen, zu wenige Gewinner und zu viele Verlierer hervorbringt, mehr Outsider als Insider.

Parallele «illegale» Wirtschaftszweige gewinnen finanziell wie politisch an Einfluss; Allianzen zwischen Banden und verbrecherischen Staaten könnten zu geopolitischen Aufständen führen, die das übliche Handelsklima zunichte machen.

Ende des 19. Jahrhunderts befand Walter Bagshot: Menschen sind am leichtgläubigsten, wenn sie am glücklichsten sind. Ende des 20. Jahrhunderts befindet John Kenneth Galbraith: Das Finanzgenie steht immer vor dem Fall. Finanzmärkten ist eine gewisse Instabilität eigen, man kann sich nicht darauf verlassen, dass sie sich völlig rational verhalten: Auch sie können Verlierer in einem Maßstab hervorbringen, gegen den sich die dreißiger Jahre wie ein schlechter Tag auf der Rennbahn ausnehmen.

Die Gefahren, denen sich die freie Marktwirtschaft gegenübersieht, verlangen dringende Beachtung. Im Folgenden befassen wir uns mit den bislang eingerichteten Kontroll- und Schutzmechanismen.

1.2 Kontrolle

Das Weltwirtschaftssystem ist von allen Seiten bedroht. Einzeln betrachtet mag jede dieser Gefahren weit weg erscheinen, doch damit würde man die allgegenwärtige Gefahr positiver Rückkoppelungseffekte vernachlässigen. Sollten mehrere dieser Bedrohungen gleichzeitig zum Tragen kommen und konzentriert wie ein Laserstrahl auf besonders sensible Knotenpunkte einwirken, so könnte das System als Ganzes einen kritischen Zustand erreichen und einen erdrutschartigen Einbruch erleiden, der möglicherweise in einem globalen Kollaps gipfelt.

Wir müssen begreifen, dass solche Vorstellungen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Schutz der freien Marktwirtschaft im kommenden Jahrhundert stehen. Das lässt sich anhand eines Vergleichs verdeutlichen: In der Natur kann das Aussterben verschiedener lokaler Spezies ohne Vorwarnung ein massenhaftes Aussterben von Arten auslösen. In der freien Marktwirtschaft können spezifische, isolierte Fehlschläge der Reihe nach synergistisch zu einer Katastrophe führen.

Bedeutende Wissenschaftler erklären, dass «große, interaktive Systeme sich immer wieder zu einem kritischen Zustand organisieren, in dem ein geringfügiges Ereignis eine Kettenreaktion auslöst, die zu einer Katastrophe führen kann.» Diese «selbstorganisierte Krisenhaftigkeit» gibt es sowohl in der Natur als auch in der Wirtschaft, da der Weltmarkt den Prototyp eines «großen interaktiven Systems» darstellt. Der Zeitpunkt eines solchen «geringfügigen», aber kritischen Auslösers lässt sich nicht vorhersagen; dennoch befinden wir uns im Bereich des «früher oder später».[1]

Solchen «kritischen Zustand» können wir darüber hinaus in den umfassenderen Kontext dessen einordnen, was der Philosoph Paul Virilio den «globalen Unfall» genannt hat. Demnach enthält selbst die brillanteste, vorteilhafteste und nützlichste Erfindung der Welt, ganz gleich, was es sein mag, immer auch ihren eigenen spezifischen, inhärenten, faktischen Unfall.

So impliziert die Erfindung des Flugzeugs zugleich die seines Absturzes; die Atomkraft beinhaltet das Risiko der Kernschmelze; der Computer birgt die Gefahr eines katastrophalen Datenverlustes oder Betrugs; Börsenmärkte und andere Handels- oder Spekulationsforen führen möglicherweise zum Platzen finanzieller Seifenblasen und so weiter.

Der Kapitalismus, um hier den wissenschaftlichen Begriff zu verwenden, stellt keineswegs den Naturzustand der Menschheit dar. Er ist vielmehr das Produkt kumulativer menschlicher Findigkeit, ein gesellschaftliches Konstrukt und als solches vielleicht die brillanteste kollektive Erfindung der Geschichte.

Zum ersten Mal sieht sich die Welt (und unsere Arbeitsgruppe) vor eine entscheidende Frage gestellt: Bedeutet der Erfolg dieser globalen Erfindung, dass in der Zukunft der globale Unglücksfall lauert, von dem das System und die Weltwirtschaft sich möglicherweise nicht wieder erholen werden?

Diese Frage können wir zwar nicht beantworten, doch sie führt uns zu anderen Fragestellungen, die zu beantworten unsere Aufgabe ist:

Ist das globale System zurzeit geschützt?

Genügen unsere heutigen Institutionen dieser Aufgabe?

Beide Fragen müssen wir verneinen. Die bisher entwickelten Mittel, den freien Markt und die globalisierte Wirtschaft zu überwachen, zu schützen und ihren Fortbestand zu gewährleisten, sind völlig unzureichend.

Unzureichende Institutionen

Schon eine knappe Übersicht über die bestehenden weltweiten Institutionen zeigt, dass die meisten von ihnen wertlos sind, wenn es darum geht, den drohenden Gefahren zu entgehen. Insofern sie ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln, mögen sie sogar schlimmer als wertlos sein. Wir leben derzeit in einer Welt, die in Hinblick auf ihr Management tragisch unterversorgt ist.

Die Vorläufer

Einige internationale Organisationen aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wie die International Labour Organisation (ILO, Internationale Arbeitsorganisation) haben sich bis heute gehalten, erfüllen aber bestenfalls koordinatorische, nicht regulatorische Aufgaben. Einige wenige (wie die International Postal Union) tragen zur Regulierung streng umrissener praktischer Bereiche von geringer wirtschaftlicher Bedeutung bei.

Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich

Die 1930 in Basel gegründete Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ, engl: Bank for International Settlement, BIS) wird häufig als Zentralbank der Zentralbanken bezeichnet. Sie fungiert als internationale Verrechnungsstelle, bietet ein Forum für internationale Kooperation im monetären Bereich, erfasst Daten zentral und gibt Leitlinien heraus. Somit verringert sie die Angst und die Wahrscheinlichkeit, dass der Zusammenbruch größerer Banken Wellen schlägt (Bankhaus Herstatt 1974, Drexel Burnham 1990, BCCI1991, Barings 1995).

Die BIZ wäre möglicherweise am ehesten geeignet, die Finanzmärkte zu regulieren, tut dies bislang jedoch nicht. Es fehlen ihr jegliche Befugnisse, Zwangsmaßnahmen zu verhängen, und die Marktoperatoren entwickeln schneller neue Finanzinstrumente, als diese Bank sich darauf einstellen kann.

Man sollte meinen, allein schon die Masse an Transaktionen müsste Besorgnis erregen, doch nach Angaben der BIZ herrscht «nach wie vor die offizielle Ansicht, dass die bestehenden Regulierungen – ergänzt um weitere Bemühungen, die internen Kontrollen, die externe Transparenz sowie das Funktionieren des Marktes zu verbessern – ausreichen dürften, die Systemrisiken in Grenzen zu halten».[1] Wir sind in dieser Hinsicht wesentlich weniger gelassen.

Die Bretton-Woods-Institutionen

Die «Zwillingsorganisationen» Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) wurden 1944 bei der berühmten Konferenz von Bretton Woods (New Hampshire) gegründet. Sie haben sich als von unschätzbarem Wert erwiesen, als es darum ging, in der südlichen Hemisphäre und in geringerem Maße auch in den Republiken der ehemaligen Sowjetunion und ihren Satelliten wirtschaftliche Disziplin einzuführen und durchzusetzen. Seit Ende 1997 übernehmen sie diese Funktion auch in bislang finanziell unabhängigen Staaten Südostasiens wie Thailand, Korea und Indonesien.

Hoch verschuldeten Ländern blieb kaum etwas anderes übrig, als die von Weltbank und Währungsfonds aufgestellten Strukturanpassungsprogramme umzusetzen. Ob es ihnen gefiel oder nicht, Dutzende dieser Länder liberalisierten ihre Wirtschaft, privatisierten ihre Staatsbetriebe, schafften Devisenbewirtschaftung ab, bauten ihren Anteil am Weltmarkt aus und kamen in den meisten Fällen ihrem Schuldendienst nach.

Das sind bemerkenswerte Leistungen, die man den Bretton-Woods-Institutionen als Verdienst anrechnen muss: Sie waren entscheidend daran beteiligt, den Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung zu beschleunigen und zu vertiefen.

Dennoch hat sich die Welt seit Gründung dieser beiden Organisationen am Ende des Zweiten Weltkriegs drastisch verändert. Weltbank und Internationaler Währungsfonds stecken in einer «Midlife-Krise». Ursprünglich geschaffen, um Gelder für die Finanzierung von Entwicklungshilfeprojekten oder zur Überbrückung vorübergehender Zahlungsbilanzschwierigkeiten zu verteilen, sehen sie sich zunehmend der Konkurrenz der Finanzmärkte und privater Investoren ausgesetzt.

Meist entscheiden Unternehmen und Banken, wo ihre Investitionen am besten gedeihen und welche südlichen oder östlichen Staaten kreditwürdig sind. Weltbank und Währungsfonds sind in diesem Sinne Opfer ihres eigenen Erfolgs: In den Ländern ihrer Klientel haben sie Liberalisierung und Marktwirtschaft so energisch gefördert, dass sie sich möglicherweise selbst arbeitslos gemacht haben.