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Papst Franziskus machte im Jahr 2022 aus dem Malteserorden wieder eine Gemeinschaft, die rechtlich fest in das kirchliche Gefüge eingegliedert ist. Eine neue Verfassung und ein neuer Codex standen am Ende einer mehrjährigen Debatte. Von der Entwicklung zur souveränen Macht auf Rhodos und Malta über die Interventionen des Papsttums bis zur aktuellen Neufassung des Ordensrechts im Jahr 2022 analysiert Dr. Andreas Rademachers die rechtlichen Rahmenbedingungen, Konflikte und Reformprozesse einer einzigartigen Gemeinschaft. Dabei wird deutlich, wie der Orden seine Autonomie zu behaupten suchte und wo kirchenrechtliche Normen klare Grenzen setzen. Das Buch analysiert daneben detailliert das neue Recht. Auch stellt der Autor die Frage, wie sich Souveränität im Spannungsfeld zwischen kirchlichem Recht und völkerrechtlicher Anerkennung heute und zukünftig definiert.
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Seitenzahl: 310
Veröffentlichungsjahr: 2025
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E
INLEITUNG
1. Allgemeines
2. Forschungsstand
3. Methodik und Hauptfragen
I. R
ECHTSHISTORISCHE
G
RUNDLAGEN
I.1 Heiliges Land
I.2 Rhodos
I.3 Malta
I.4 Wandlung des Ordens und Sitz in Rom
I.5 Päpstlicher Eingriff und Verfassungsreform
II. K
IRCHENRECHTLICHE UND STRUKTURELLE
F
RAGEN DER NEUEN
V
ERFASSUNG UND DES
C
ODEX
II.1 Ordensrechtliche Einordnung
II.2 Die Mitgliedsstruktur des Ordens
II.2.1 Der Erste Stand
II.2.1.1 Aufnahme in den Ersten Stand
II.2.1.2 Gelübde und Profess
II.2.1.2.1 Die einzelnen Gelübde
II.2.1.2.2 Die Profess
II.2.2 Der Zweite und Dritte Stand
II.2.2.1 Einordnung der Stände
II.2.2.2 Die Mitglieder des Zweiten Standes
II.2.2.3 Die Mitglieder des Dritten Standes
II.2.3 Gemeinsame Disziplinarordnung und Gerichtswesen
II.2.4 Ausschluss und Ausscheiden
II.3 Die Leitungsorgane des Ordens
II.3.1 Das Generalkapitel
II.3.2 Der Großmeister
II.3.3 Die Räte
II.3.3.1 Der Souveräne Rat
II.3.3.2 Die Gremien der Professen
II.3.4 Die Hohen Ämter
II.3.5 Geistliche Leitung und Aufsicht
II.4 Die Gliederung
II.4.1 Territoriale Gliederungen
II.4.2 Konvent
II.5 Vermögensverwaltung
III. V
ÖLKERRECHTLICHE
F
RAGEN
III.1 Souveränität im Völkerrecht
III.2 Völkerrechtssubjekte
III.3 Souveränität des Ordens
III.3.1 Historische Betrachtung
III.3.2 Völkerrechtliche Beziehungen
III.3.2.1 Bilaterale Beziehungen
III.3.2.2 Multilaterale Beziehungen
III.3.3 Innere Souveränität
III.3.4 Funktionale Souveränität
IV. Z
USAMMENFASSUNG
A. A
BKÜRZUNGSVERZEICHNIS
B. Q
UELLEN
-
UND
L
ITERATURVERZEICHNIS
1. Archivalien und Rechtsquellen
2. Quelleneditionen
3. Sekundärliteratur
4. Internetseiten
C. S
CHLUSSBEMERKUNGEN UND
D
ANKSAGUNG
D. A
NHANG
1. Verfassung
2. Codex
3. Akt des Großmagisteriums
Im September 2022 wurde der Souveräne Rat des Malteserordens, der den Großmeister bei der Regierung des Ordens unterstützt, von Papst Franziskus seines Amtes enthoben, nur der Statthalter des Großmeisters blieb im Amt. Gleichzeitig promulgierte der Pontifex eine neue Verfassung und einen neuen Codex des Ordens. Dabei sieht das Eigenrecht eine solche Intervention nicht vor.1 Dies scheint der Abschluss einer Kette von Eingriffen in die internen Angelegenheiten des Ordens seit 2016 zu sein. Damals begann mit der Entlassung des Großkanzlers eine Reihe von Ereignissen, die zum Rücktritt des Großmeisters, der Einsetzung eines päpstlichen Delegaten und zu Debatten um die Rolle und Struktur des Ordens in der heutigen Welt führten. Öffentlich wurden Stimmen laut, die diesen Eingriff mit dem Souveränitätsstatus des Ordens als unvereinbar qualifizierten. Dieser Status war dem Orden nach dem Verlust seiner Herrschaftsgebiete im Jahr 1798 zugesichert worden, jedoch vor allem de facto durch diplomatische Beziehungen mit der Mehrzahl der Staaten der Welt anerkannt. Durch die rezenten Ereignisse kommt die historisch nicht unproblematische Wechselwirkung zwischen Papst und Orden erneut zum Vorschein.
Die Presse fragte „Souverän auf Augenhöhe?“,2 Constantin (Graf von) Magnis sprach von „gefallenen Rittern“3. Wohl selten haben Ereignisse der zeitgenössischen kirchlichen Rechtsgeschichte eine solche mediale Rezeption erfahren.
Für den Orden selbst bedeutet die neue Verfassung nur den Beginn eines Weges, der vordergründig seinen religiösen Kern betrifft; sie atmet das kanonische Recht. Die Mitglieder des Ersten Standes, Religiose mit kirchenamtlichen, feierlichen und ewigen Gelübden, rücken noch stärker ins Zentrum der Leitung der Gemeinschaft. Sie sind zwar Nukleus des Ordens, bilden jedoch im Vergleich zu den zahlreichen Nicht-Religiosen einen verschwindend geringen Teil.
Es ist angebracht, die besondere Wechselwirkung beider Charakteristika der Gemeinschaft zu betrachten: Entität im Völkerrecht und Institut des geweihten Lebens unter dem kanonischen Recht. Dabei sollen die Möglichkeiten und Grenzen des Kirchenrechts aufgezeigt werden und inwieweit der Orden überhaupt tatsächlich souverän handeln kann oder zu agieren bereit ist. Die Intervention des Papstes scheint den Schwerpunkt der Betrachtung auf die Ordensqualität zu legen. Dabei können jedoch beide institutionellen Grundlagen nicht getrennt voneinander betrachtet werden. In der tatsächlichen Arbeit der Gemeinschaft stehen beide Teile nicht nebeneinander, sondern bedingen sich. So ist z. B. der Großmeister einerseits Oberer im Sinne des Kirchenrechts, andererseits Staatsoberhaupt im protokollarischen Gefüge des Völkerrechts.
Der Orden hat neben seinen 13.500 Mitgliedern rund 95.000 dauerhafte Ehrenamtliche und 52.000 Beschäftigte. Er ist damit nach dem Roten Kreuz eine der weltweit größten Hilfsorganisationen. Er beansprucht aus seiner Historie und seinem Wesen nach souveräne Rechte, die ihm, wie zu zeigen sein wird, auch häufig gewährt werden.
Der Verfassungskonflikt der letzten Jahre hat ihn, der meist in der Wahrnehmung hinter den angeschlossenen Hilfsdiensten zurücksteht, wieder deutlicher ins Bewusstsein gerückt. Einerseits kann hier ein Beitrag zum kanonischen Recht im Hinblick auf Orden allgemein geleistet werden, als auch die völkerrechtliche Betrachtung von souveränen, nicht territorial-staatlichen Gebilden nachgezeichnet werden. Da er diplomatische Beziehungen zu mehr als 100 Staaten unterhält, ist diese Frage keine Marginalie. Die Malteser stehen nicht erst heute im Dualismus zwischen Kirchen- und Völkerrecht.
Generell ist die kanonistische bzw. juristische Befassung mit dem Orden eher gering. Meist wird dies nur in Verbindung mit (teils detaillierten, häufig historischen) Überblicksdarstellungen verbunden. Aus neuerer Zeit ist hier umfassend u. a. Staehle anzuführen,4 aber auch Erörterungen, die Teilaspekte des Ordens beleuchten.5 Zur Rechtsgeschichte des Ordens ist grundlegend die Studie von Waldstein-Wartenberg zu nennen, zumindest bis zum Erscheinungsjahr 1969.6 Daneben sind rechtshistorische periodenbezogene Überblicksdarstellungen erschienen.7 Hinsichtlich der völkerrechtlichen Reflexion gibt es nur wenige umfassende Veröffentlichungen aus neuester Zeit,8 meist wird auf Hafkemeyer und Prantner referenziert.9 Erste wissenschaftliche Betrachtungen der Malteser als Orden i. S. d. kanonischen Rechts lieferte schon Leisching 1969.10 Grundlegend für das Ordensrecht generell ist u. a. Primetshofer.11
Da die neue Verfassung erst seit Herbst 2022 in Kraft ist, wurden zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Arbeit erst wenige Darstellungen publiziert. Schwetz lieferte bereits während des laufenden Konflikts eine nun ergänzte Einordnung.12 Hinsichtlich der völkerrechtlichen Komponente ist Marti zu nennen;13 als Teil einer umfassenden historischen Darstellung Tomer.14
Die rezente Entwicklung und der Orden selbst sind nur aufgrund der Historie zu verstehen und einzuordnen. Die Geschichte reicht über beinahe 1000 Jahre – von der Gründung eines Spitals in Jerusalem über die Kreuzfahrerzeit, die Herrschaft über Rhodos, dann Malta, später Rom. Dabei war die Gemeinschaft immer Teil des weltpolitischen und religiösen Geschehens. Daher ist mit einer Darstellung derselben einzuleiten, die vorrangig die Rechtsgeschichte in den Blick nimmt. Dabei ist auch der Konflikt, der zum neuen Eigenrecht des Ordens geführt hat, zu skizzieren. Hier ist, wenn möglich, auf Originalquellen zurückzugreifen.
In diesem Konnex soll gleichsam die Frage diskutiert werden, was Souveränität für den Orden im Laufe seiner Historie bedeutete und wo diese an Grenzen stieß bzw. verletzt wurde.
Im Folgenden soll das neue Ordensrecht betrachtet und in den Zusammenhang mit der zuvor geltenden Rechtslage gestellt werden. Hinsichtlich der kanonischen Betrachtung soll untersucht werden, was Orden kirchenrechtlich auszeichnet und wo innerhalb dieses Rechts der Malteserorden zu verorten ist. Er besitzt nämlich nicht nur ordensrechtliche Strukturen, sondern gleichsam vereinsrechtliche. Es wird zu fragen sein, inwieweit die Malteser die vorhandenen Autonomiemöglichkeiten wahrnehmen, aber auch, wo sie an ihre Grenzen stoßen. Dies betrifft sowohl die Aufnahme von Mitgliedern, die Ordenshäuser oder die vermögensrechtlichen Stellungen der verschiedenen Einrichtungen und Organisationen.
Es wird die Frage zu beantworten sein, inwieweit der Orden noch eine Sonderstellung im kanonischen Ordensrecht einnimmt oder aber diesem grundlegend angeglichen ist.
Der Orden unterhält mit mehr als der Hälfte der Staaten diplomatische oder offizielle Beziehungen.15 Bereits in seinem Namen deklariert er sich als souverän.16 Hier wird zu fragen sein, auf welcher Grundlage das Selbstverständnis steht und ob es sich um eine proklamatorische Formel handelt oder eine im Völkerrecht gefestigte Meinung. An dieser Stelle muss ein kurzer völkerrechtlicher Abriss gegeben werden. Die Anerkennung entlang der Geschichte soll hier ebenso beleuchtet werden wie auch das besondere Souveränitätsverhältnis zum Hl. Stuhl. Geht dies so weit, dass der Orden von diesem abhängig ist und in seine Autonomie eingreifen lässt? Dabei soll auch erstmals ein wissenschaftlich einordnender Blick auf die Verleihung des Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen geworfen werden. Hierzu sind Lehrmeinungen des Völkerrechts und Originaltexte sowie Protokolle heranzuziehen.
Dabei muss allerdings eine einschlägige Beachtung der signifikanten karitativen Werke des Ordens außen vor bleiben. Zwar sind diese der Kern des Apostolats der Gemeinschaft, doch stehen sie einerseits im allgemeinen öffentlichen Blick, werden andererseits regelmäßig in den o. g. Überblicksdarstellungen gewürdigt. Nur hinsichtlich rechtlich relevanter Aspekte werden sie genannt. Auch führt die Behandlung eines gerade abgeschlossenen Ereignisses zu beschränkt nutzbaren Informationen, da noch keine archivalischen Quellen herangezogen werden können. Hier ist auf veröffentlichte Dokumente zurückzugreifen. Der Autor hatte jedoch die Möglichkeit, mit Mitgliedern des Ordens, die teilweise eng in die Vorgänge der Jahre 2016 bis 2022 eingebunden waren, vertraulich zu sprechen.
1 Ausschließlich das Generalkapitel wählt den Souveränen Rat und kann das Eigenrecht ändern (Art. 22 §§ 3 u. 4 Verfassung.
2 https://www.katholisch.de/Art./11955-souveraen-auf-augenhoehe [Abruf: 2.12.2023].
3 Constantin MAGNIS, Gefallene Ritter. Malteserorden und Vatikan - Der Machtkampf zwischen zwei der ältesten Institutionen der Welt, Hamburg2 2023.
4 Ernst STAEHLE, Geschichte der Johanniter und Malteser, 4 Bd., Gnas 2002. Er bietet allerdings meist keine Verweise.
5 Adam WIENAND (u. a.), Der Johanniterorden. Der Malteserorden. Der ritterliche Orden des hl. Johannes vom Spital zu Jerusalem. Seine Geschichte, seine Aufgaben, Köln 1988; Christian STEEB/Birgit STRIMITZER, Der Souveräne Malteser-Ritter-Orden in Österreich, Graz 1999.
6 Berthold WALDSTEIN-WARTENBERG, Rechtsgeschichte des Malteserordens, Wien/München, 1969.
7 So Carl Alexander KRETHLOW, Der Malteserorden. Internationalität und soziale Vernetzung im 19. Jahrhundert (Europäische Hochschulschriften 890, Reihe 3), Bern u. a. 2001 (= KRETHLOW: Malteserorden I); Philipp HOFMEISTER, Die Reorganisation des Malteserritterordens nach 1798, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 137 (1968), S. 463523; Wolf-Dieter BARZ/Paolo PAPANTI PELLETIER DE BERMINY, Das neue Verfassungssystem des Souveränen Malteserordens, in: Peter HÄBERLE (Hg.), Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart 48, Tübingen 2000, S. 325–350.
8 So Frédérique KNOPF-SILVESTRE, L’Ordre Souverain de Malte en Droit International Public, Villeneuve d’Ascq 2020.
9 Georg Bernhard HAFKEMEYER, Der Rechtsstatus des souveränen Malteser-Ritter-Ordens als Völkerrechtssubjekt ohne Gebietshoheit, Schötmar 1955; Robert PRANTNER, Malteserorden und Völkergemeinschaft (Schriften zum Völkerrecht 39), Berlin 1974.
10 Peter LEISCHING, Der souveräne Malteser-Ritterorden als Religio, in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 20 (1969), S. 89-107.
11 Bruno PRIMETSHOFER, Ordensrecht. Auf der Grundlage des Codex Iuris Canonici 1983 unter Berücksichtigung des staatlichen Rechts der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz, Rombach 2003. Daneben in umfassender Darstellung u. a. Winfried AYMANS/Klaus MÖRSDORF, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Bd. 2, Verfassungs- und Vereinigungsrecht, Paderborn u. a. 1997 (= AYMANS/MÖRSDORF II).
12 Florian SCHWETZ, Der Souveräne Malteser-Ritter-Orden. Eine kirchen- und staatsrechtliche Betrachtung nach der Reform 2022, Wien 22023. 2019 erschien die erste Auflage.
13 Frederico MARTI, Short Notes on the International Status of Sovereign Order of Malta under International Law. Functional Limits and Dependence upon the Holy See in the light of the New Constitution of 3 September 2022, in: Stato, Chiese e pluralismo confessionale 1 (2023), S. 73-87.
14 Alberto TOMER, Il nuovo assetto del Sovrano Militare Ordine di Malta. La riforma del 2022 nella fedeltà a una storia millenaria, Bologna 2023.
15 Vgl. https://www.orderofmalta.int/de/diplomatische-aktivitaeten/bilaterale-beziehungen/[Abruf: 1.6.2024]
16 Nach Art. 1 § 1 Verfassung lautet sein Name Souveräne Ritter- und Hospitalorden vom Hl. Johannes zu Jerusalem, genannt von Rhodos, genannt von Malta.
I.1 Heiliges Land
Mit der Bulle „Pie postulatio voluntatis“ wurde im Jahr 1113 die Bruderschaft, die in Jerusalem ein Xenodochium unterhielt, von Papst Paschalis II. kirchlich anerkannt.17 Diese Einrichtungen waren dabei weniger Krankenhäuser im modernen Sinne, sondern vielmehr Unterkünfte für Reisende und Pilger, die sich auch der notwendigen Pflege von Erkrankten widmeten.18 Hier gründeten Kaufleute aus Amalfi ein bruderschaftlich betriebenes Hospital, verbunden mit einer Kirche und einem Kloster – wohl vor allem zur Eigenversorgung – und stellten es unter das Patrozinium des hl. Johannes. Allerdings war bereits nach dem ersten Kreuzzug bzw. der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer der Einfluss der süditalienischen Kaufleute stark zurückgegangen. Nun waren Normannen meinungsbildend und unterstützten das Hospital mit zunehmenden Schenkungen.19
Der dahinterstehende Bruderschaftsgedanke war nicht neu und verband sich mit dem in Frankreich entstandenen Ideal der frommen Armutsbewegung. Laienbruderschaften nahmen sich in den europäischen Ländern der Armen und Kranken an. Diese Frömmigkeit sollte vom Kloster Cluny ausgehend auch innerhalb des Adels gefördert werden; daneben trat das Prinzip der Schwur-Bruderschaften.20 Das Haus in Jerusalem wurde so ein Teil der europaweiten Bewegung von Laienbrüdern, geprägt durch die Augustinusregel.21 Die neuen Herren in den sich bildenden Kreuzfahrerstaaten, häufig französische Adlige, beschenkten die Bruderschaft reichlich.22 Schon im Herbst 1110 hatte König Balduin selbst eigene Besitztümer übertragen und trat als Zeuge anderer Schenkungen im Königreich Jerusalem auf.23
Bereits vor der Ankunft der Kreuzfahrer war das Hospital vom Kloster (Abtei) St. Maria Latina getrennt worden.24 Bruder Gerhard, der Leiter, konnte daher also durchaus in der o. g. Bulle als „institutor ac prepositus“ des Hauses bezeichnet werden. Auf jeden Fall ist festzuhalten, dass die päpstliche Bulle den Status quo legitimiert, aber keinesfalls das Hospital errichtet.25
Diese Urkunde, wohl auf Bitten Gerhards ausgestellt, stellt das Xenodochium unter den Schutz des Papstes, bestätigt seine aktuellen und zukünftigen Besitztümer weltweit, erlässt ihnen den Zehnten und erlaubt der Gemeinschaft, frei ihr Oberhaupt zu wählen. Bemerkenswert ist, dass nicht nur das eine Haus unter der Leitung des Ordens beschrieben wird, sondern auch Besitztümer außerhalb Jerusalems, in Italien und in der Provence. Diese Besitzungen samt Kirchen waren im Regelfall in das in Frankreich, Italien, aber auch Deutschland zu beobachtende Eigenkirchenrecht integriert.26 Sie bildeten die Grundlage für die späteren Gliederungen in Priorate und Kommenden etc.
Eine Ordensregel jedoch, wie z. B. schon in der Gründungsbulle des Templerordens niedergelegt, wurde erst unter Raymond de Puy verfasst. Auch wird erst in dieser Regel ein Krankenpflegebetrieb erwähnt und Einkünfte, die diesem Bereich zufließen sollen. In der Zeit Gerhards konnte ein solcher Betrieb weder in päpstlichen noch weltlichen Verfügungen nachwiesen werden.27
Auch wenn die Organisation nur aus verschiedenen Quellen rekonstruierbar ist, so hat doch Waldstein-Wartenberg festgestellt, dass es bereits reguläre Mitglieder, Dienende Brüder (und Schwestern) und Priester gab. Das Haus wurde von einem Meister geleitet. Auch werden Baillis und Priore genannt.
Neben Gebäuden und Land gab es vereinzelt Schenkungen von Waffen, Pferden und Burgen.28 Zu diesem Zeitpunkt kann jedoch wohl noch nicht von einer Militarisierung gesprochen werden. Diese dürfte sukzessive verlaufen sein, einerseits indem sich Ritter der Bruderschaft anschlossen, strukturell aber sicherlich befeuert vom Modell der um 1120 gegründeten Templer, die Ordensleben und Rittertum verbanden. Es wird berichtet, dass der Vorschlag Raymund von Puys, sich am Kampf zu beteiligen, freudig vom Generalkapitel aufgenommen und die Mehrzahl der Ritter, die ihre Waffen abgelegt hatten, um Kranke zu pflegen, „wieder zu Schild und Lanze griffen“.29
In der ersten überlieferten Regel unter Raymund von Puy30 wurde die Dreiteilung der Mitglieder in Ritter, Dienende Brüder und Priester final festgelegt. Gleichsam war mit dieser Regel aus der Bruderschaft ein Orden geworden, dessen Angehörige die Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams auf sich nahmen.31 Die Regel Alfons von Portugal (ca. 1205/1206) fordert u. a., dass jeder den Dienst tun soll, den er bereits vor dem Eintritt geleistet habe,32 was u. a. den Kreuzfahrern zugutekam. Dabei musste die Ritterschaft im Regelfall bereits vor der Aufnahme erlangt worden sein.33 Alle Brüder mussten Dienst im Spital tun, mit Ausnahme der kämpfenden Ritter.34 Der Bruderschaftsgedanke lebte darin fort, dass Confratres (bzw. auch Frauen) als affiliierte Mitglieder aufgenommen werden konnten, die jedoch nicht zur vita communis verpflichtet waren, sondern vor allem durch eine einmalige (hohe) Schenkung oder jährliche Spenden ihren Beitrag leisteten.35 Später wurden diese aufgrund der Schenkung als Donaten bezeichnet.36
Auch hatten sich bereits in der Zeit im hl. Land – 1187 musste der Sitz des Königreichs nach Akkon verlegt werden – die internen Strukturen des Ordens verfestigt. So war die Wahl des Meisters durch ein komplexes Wahlverfahren kodifiziert,37 die Zusammensetzung und Häufigkeit des Generalkapitels umschrieben,38 ein regelmäßig tagender Ordensrat initiiert,39 die höchsten Ordensämter etabliert40 und ein Inkardinationsrecht für Priester erwirkt, sowie die Exemtion aller Niederlassungen von der bischöflichen Jurisdiktion erreicht.41 Daneben begann sich eine allgemeine strukturierte Organisation der europäischen Gliederungen durchzusetzen.
Der Verlust Akkons 1291 stellte eine erste tiefe Zäsur dar. Der letzte König von Jerusalem hatte von seinem Vater u. a. das Königreich Zypern geerbt und verlegte seinen Sitz dorthin. Die Johanniter folgten ihm und konnten in verschiedenen belehnten Liegenschaften auf Zypern zumindest eine vorläufige Residenz errichten.42 Da jedoch die Ordensregierung diese vom zypriotischen König „abhängige Stellung so unerträglich“ fand,43 wurde die Suche nach einem eigenen Territorium forciert.
Die Eroberung der Insel Rhodos 1310 und einiger Nachbarinseln und der Aufbau eines Ordensstaates brachte den Johannitern zum ersten Mal eine souveräne Herrschaft als Landesherr ein. Und doch sind schon zu Beginn umfangreiche päpstliche Eingriffe zu beobachten. War er noch 1317 als Schiedsrichter angerufen worden, wurde ihm zwei Jahre später temporär die Verwaltung des Ordens übertragen, und 1346 bestätigte er zum ersten Mal explizit die Wahl eines Meisters.44 Der örtliche Bischof wiederum dürfte nur geringen Einfluss auf den Orden ausgeübt haben, da er finanziell auf die Unterstützung der Gemeinschaft angewiesen war.45
Der Orden verstärkte seine militärischen Aktivitäten und spielte eine Rolle in verschiedenen maritimen Unternehmungen auch anderer europäischer Mächte. So nahm er u. a. an den Kreuzzügen von Smyrna und Alexandria teil.46 Zweimal (1444 und 1480) wurde die Insel erfolglos von Mamelucken und Osmanen belagert. Erst 1522 gelang es Süleyman I. („der Prächtige") nach einer halbjährigen Belagerung, den Orden zur Kapitulation zu zwingen.
Doch neben seinen militärischen und landesherrlichen Aktivitäten wurden die internen Strukturen weiter verfestigt, die später noch die Herrschaft auf der Insel Malta bestimmen sollten. Bereits im Oktober 1302 hatte das Generalkapitel die Aufteilung des Ordens in sog. Zungen beschlossen, die sich grob an den Sprachgrenzen orientierte: Provence, Frankreich, Spanien (im Sinne von Aragon), Italien, Auvergne, Deutschland, England.47 1462 teilte sich die spanische Zunge in Aragon und Kastilien. Diese Zungen waren wiederum in Priorate aufgeteilt, diese in Balleien und diese schließlich in Kommenden.
Während bereits das Generalkapitel 1302 eine feste Zahl von Rittern pro Zunge festgelegt hatte, die sich im Konvent aufhalten mussten, kamen in der Folge den jeweiligen Vorstehern die Aufgabe zu, die wichtigsten Ämter (u. a. Großkomtur als Leiter der Finanzverwaltung oder das des Admirals der Ordensflotte) zu besetzen. Damit bildeten sie auch den Ordensrat, der zwischen den Generalkapiteln, die seit 1420 alle fünf Jahre abgehalten wurden,48 den Meister bzw. Großmeister beriet und dessen Zustimmung bei gewissen Entscheidungen vonnöten war. Auch wurden in dieser Zeit Mindestzeiten der Mitgliedschaft festgelegt, bevor eine Kommende oder gar ein Priorat übertragen werden konnte (5 bzw. 15 Jahre).49
Nach dem Verlust von Rhodos blieb der Orden ohne zentralen Sitz. Damit die Mitglieder des Ordens wieder einen „festen Wohnsitz erhalten und sich dort wieder den Aufgaben widmen können, die ihrer Gemeinschaft zum Wohle der Christenheit obliegen“ belehnte Kaiser Karl V. die Ritter 1530 mit den Inseln Malta und Gozo und der Stadt Tripolis und den auf dem Gebiet befindlichen Orten und Schlössern. Auch überließ er ihnen die Jurisdiktion und hohe Gerichtsbarkeit über alle Einwohner und entband diese vom Untertaneneid gegenüber dem Königreich.
Als symbolische Zahlung und Bestätigung des Lehnsverhältnisses musste jedes Jahr dem Vizekönig von Sizilien ein Falke übergeben werden. Explizit wurde der Orden von Diensten befreit, die im Regelfall von Lehnsnehmern zu leisten gewesen wären,50 doch verpflichtet, Schaden abzuwenden und Angreifer abzuwehren. Aus dem Königreich Sizilien flüchtige Straftäter durften nicht aufgenommen werden, Hochverräter und Ketzer mussten dem Vizekönig übergeben werden. Daneben wurden kleinere Vorgaben zum Admiral, für den Fall eines erneuten Umzugs nach Rhodos, dem Kriegsinventar Tripolis‘ und zu bestehenden Privilegien der Untertanen gemacht.51
Es sollte vermutlich eine Verteidigungsbastion gegen die Osmanen im Mittelmeer aufgebaut werden. Und bereits 1565 belagerte Süleyman erneut eine Insel des Ordens, dieses Mal jedoch erfolglos und zum letzten Mal. Unter Großmeister Jean Parisot de la Valette gelang die Abwehr, kurz bevor ein spanisches Ersatzheer eintraf.52
Die beim Verlust von Rhodos nur noch kleine Flotte wurde auf Malta sukzessive ausgebaut. Der Orden beteiligte sich in den Folgejahren an verschiedenen Expeditionen und Gefechten. Dabei war die Seeschlacht von Lepanto (1571) eine der letzten großen Schlachten, die das Christentum gegen die Osmanen schlug. Dennoch hielt der Orden weiterhin an der seit 1239 bestehenden Karawanen-Pflicht fest.53 Allerdings waren diese nach Lepanto zu einem Relikt ohne tatsächlichen Wert geworden, wenngleich noch 1603 eine Marineverfassung erlassen wurde, obwohl die „Notwendigkeit [entfallen war], Malta stets verteidigungsbereit zu halten".54 Einige Jahre später beteiligte sich der Orden gar an der Kolonisierung karibischer Inseln.55
Generell hatte die fehlende Aufgabe der Ritter eine „Erschlaffung des Ordensgeistes zur Folge“.56 Die wiedereingeführte Pflicht zum Dienst im maltesischen Hospital, neben Ärzten und Chirurgen, die von jeder Zunge schließlich einen Tag in der Woche ausgeübt wurde, dürfte gleichsam nur begrenzte Erfüllung gebracht haben.57 Die Gemeinschaft hatte sich, wie auch der Deutsche Orden, seiner „alten Bestimmung, dem Kampf gegen die Ungläubigen, weitgehend entfremdet“ und sich zu einem „Versorgungsinstitut des Adels“ entwickelt.58 Er bot – zumindest als noch genügend Kommenden vorhanden waren – „alternative standesgemäße Karriere- und Versorgungsmöglichkeiten“ zur Armee, Staatsdienst und Kirche.59
Innerhalb des Ordens konnte die Grundform der Organisation beibehalten werden, allerdings angepasst an die Situation auf Malta. Die Generalkapitel verschärften die Adelserfordernisse und führten sogar 1603 Adelsnachweise für die Dienen Brüder ein.60 Die letzte Aktualisierung und Kodifizierung des Ordensrechts erfolgte 1782 durch Großmeister Emmanuel de Rohan-Polduc.61
Politische und religiöse Entwicklungen führten zu tiefgreifenden Veränderungen. Die englische Zunge hatte bereits unter der Herrschaft Heinrich VIII. aufgehört zu bestehen, das Amt eines Großpriors von Dänemark wurde ebenfalls nur noch ehrenhalber verliehen und in Folge der Reformation verlor der Orden zahlreiche Güter im deutschsprachigen Raum.62 Zwar blieb die bislang schon weitestgehend eigenständige Ballei Brandenburg trotz des Übertritts zum Protestantismus Teil des Ordens, allerdings brachen auch hier Güter nach dem Westfälischen Frieden weg.63 Der Wegfall von Kommenden bedeutete Einnahmeverluste, aber auch fehlende Versorgungsmöglichkeiten der Mitglieder.
Zeitgleich blieb das Verhältnis zwischen Klerus und Orden auf Malta angespannt. Die Kirche war wichtigster Grundeigentümer der Insel und auch das Präsentationsrecht des Vizekönigs von Sizilien für das maltesische Bischofsamt aus einer Dreierliste (Terna) des Ordens blieb unangetastet. Der Bischof musste als Großkreuzritter in den Ordensrat aufgenommen werden, wobei auffällt, dass eine große Zahl der Bischöfe bereits zuvor Mitglied des Ordens war.64
Regelmäßig kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Kirche und den Rittern. Damit stieg auch die Bedeutung des Inquisitors an, der nicht nur als zuletzt dauerhafter päpstlicher Visitator fungierte, sondern zunehmend eine Schiedsfunktion ausübte.65
Die autochthone Bevölkerung und der Orden bildeten Parallelgesellschaften, was sich u. a. in verschiedenen Privilegien der Ritter manifestierte. Aufgrund der Zungen-Struktur blieb die Mitgliedschaft des maltesischen Adels eine Ausnahme.66 Im 18. Jahrhundert erstarkte daneben ein maltesischer Nationalismus, entweder im Schulterschluss mit der Kirche oder beeinflusst von den Gedanken der Französischen Revolution, der sich u. a. in der Pflege der maltesischen Sprache zeigte.67 Der Nationalismus ging sogar so weit, dass ein mehrheitlicher Teil der Bevölkerung beim britischen König Georg III. gegen die Vorvereinbarung des Vertrags von Amiens protestierte, dem Orden die Insel erneut zu übergeben. Zu nennen ist gleichsam die spätere „Erklärung der Rechte“, die die freie Entscheidung der Bevölkerung unterstrich, selbst über ihren Souverän zu entscheiden.68 In Einzelfällen forderten jedoch auch Malteser eine Rückkehr des Ordens und Großmeister Hompeschs.69
Daneben geriet der Orden im „napoleonischen Zeitalter“ in den Strudel der europäischen Großmachtpolitik. Die Französische Revolution hatte den Staat säkularisiert und nicht nur die Ordensgüter eingezogen, sondern auch den alten Adel unterdrückt; Napoleon Bonaparte brachte das etablierte Machtgefüge aus dem Gleichgewicht. Papst Pius VI. wurde aus Rom verbannt, der Kirchenstaat besetzt. In den Koalitionskriegen waren neue politische Bündnisse der Großmächte (u. a. Österreich, Russland, England) notwendig.
Im Rahmen seines Ägyptenfeldzugs nahm Napoleon aufgrund der Kapitulation des Ordens im Juni 1798 Malta ein. Eine Abwehr des bevorstehenden Angriffs wurde auch dadurch erschwert, dass nicht wenige Mitglieder Franzosen waren. Damit wäre die Verteidigung der maltesischen Inseln „hauptsächlichen diesen Rittern […], deren Heimatländer zu dieser Zeit mit Frankreich verbunden“ waren zugekommen.70 Die aus Courtoisie als Konvention bezeichnete Kapitulation übergab die Hoheits- und Eigentumsrechte an Frankreich. Allerdings versprach die Republik, sich für ein neues Territorium und die Unantastbarkeit der Kommenden einzusetzen, sowie dem Großmeister Hompesch und den Rittern in der Zwischenzeit jährliche Renten und Entschädigungen zu zahlen.71
Die Ereignisse in den kommenden Monaten überschlugen sich. Hompesch siedelte nach Triest, später Laibach über. In Russland wurde im November 1798 Zar Paul I. von einem Teil der Ritter zum neuen Großmeister gewählt, ohne Zustimmung des Papstes. Nachdem die meisten Zungen die Wahl akzeptiert hatten und auch der Kaiser aufgrund der Allianz mit St. Petersburg die Abdankung gefordert hatte, verzichtete Hompesch schließlich im Juli 1799 auf sein Amt.72 Im März 1801 wurde der Zar ermordet, doch sein Sohn lehnte die Großmeisterwürde ab. Auch sah der Frieden von Amiens im folgenden Jahr wieder die erneute Übernahme Maltas und die Souveränität des Ordens vor, allerdings mit strukturellen Vorbedingungen. So sollten die englische und französische Zunge abgeschafft und eine maltesische geschaffen werden, öffentliche Ämter mit Nicht-Mitgliedern besetzt werden können, die Häfen geöffnet und ein neuer Großmeister gewählt werden.73 Der Vertrag wurde niemals in die Praxis umgesetzt.
Obwohl jahrzehntelang der Anspruch auf Malta nicht aufgegeben wurde, begann eine noch stärkere Hinwendung zum Pontifex. Der Papst ernannte aus Vorschlägen der Priorate Anfang 1803 einen neuen Großmeister.74 Der Ordenssitz wurde nach Stationen in Catania und Ferrara 1834 nach Rom verlegt. Nachdem mehrfach die Wahlordnungen durch den Orden selbst, aber auch den Papst geändert wurden,75 durfte zeitweise auf päpstliche Anordnung nur ein Statthalter gewählt werden, erst ab 1879 wieder ein Großmeister.76 Zwischenzeitlich waren auch einige territoriale Gliederungen durch den Papst oder die Landesherrn wiederhergestellt worden, so bereits 1816 das Großpriorat Rom, später die Großpriorate Neapel sowie das der Lombardei und Venedigs.77
Aufgrund der fehlenden militärischen Verwendung sollten die Ritter mit Gelübde seit 1834 in der Päpstlichen Nobelgarde dienen und während des Noviziats Krankendienst in den römischen Krankenhäusern leisten.78 Doch blieb der Spitaldienst eine Randerscheinung, was sich erst ab Mitte der 1850er-Jahre langsam ändern sollte, vorwiegend aufgrund der Initiative von Ehrenmitgliedern.79 Diese Mitglieder ohne Gelübde bildeten längst die Mehrheit, was den Orden zu einer „gesellschaftlichen Angelegenheit“ werden ließ.80
1859 wurde mit der Gründung der primär aus diesen bestehenden „Rheinisch-Westfälische Malteser Genossenschaft“ und 1867 des „Verein der Schlesischen Malteser Ritter“ einerseits der Weg zu nationalen Assoziationen und damit einer Organisationsform jenseits von Rittern mit Profess innerhalb des Ordens geebnet, anderseits aber auch der Schwerpunkt wieder auf die Caritas verschoben. Wenngleich dies aufgrund des Selbstverständnisses erst spät erfolgte und zwischenzeitlich die „Marktlücke des militärischen Sanitätsdienstes“ das Rote Kreuz ab 1863 füllte,81 wurde dieses Engagement in den Folgejahren verstärkt. Dies umfasste u. a. die Vermittlung von Ordensschwestern in die Kriegskrankenpflege im Deutsch-Dänischen Krieg, Aktivitäten als Teil der Freiwilligen Krankenpflege im Preußisch-Österreichischen Krieg, die Errichtung von Krankenhäusern oder die gesetzliche Heranziehung der Ritterorden zur Krankenpflege im Kriegsdienst in Preußen.82
Wie oben gezeigt, war und ist ein päpstlicher Eingriff in den Orden keine historische Singularität. Solche Interventionen wurden sogar häufig von der Gemeinschaft selbst gesucht, um Krisensituationen zu überwinden, und erfolgten autoritär nur in Ausnahmefällen. Zuletzt wurde die Diskussion in den 1950er-Jahren geführt, u. a. mit Einsetzung eines Kardinaltribunals zur Klärung der Natur des Ordens.83 Am Ende des Prozesses stand sowohl eine neue Verfassung mit enger Bindung an den Hl. Stuhl84 als auch ein zehnjähriges Interregnum eines Statthalters.85
Und doch haben die Ereignisse ab dem Winter 2016 zu einer ungeahnten öffentlichen Rezeption geführt. Obwohl den wenigsten Rezipienten der Orden bekannt gewesen sein dürfte, bestimmte der sog. „Machtkampf“ sowohl katholische als auch profane Medien bis hin zur Diffamierung des Papstes.86
Anfang Dezember 2016 wurde der Großkanzler, Albrecht Freiherr von Boeselager, von Großmeister Matthew Festing in Anwesenheit des Kardinalpatrons Raymond Burke aufgefordert, zurückzutreten. Nach seiner Ablehnung wurde er schließlich suspendiert und appellierte an den Vatikan, der eine Untersuchungskommission einsetzte. Obwohl der Orden diese Invention zurückwies, legte die Kommission dem Pontifex nach wenigen Wochen einen abgeschlossenen Bericht vor. Der Großmeister selbst trat nun auf Bitten des Papstes zurück. Auch stellte der Hl. Stuhl fest, dass er alle Akte seit dem 6. Dezember als nichtig ansehe. Der Souveräne Rat beendete das Verfahren gegen Boeselager und setzte ihn erneut in sein Amt ein.87
Mit Erzbischof Giovanni Angelo Becciu ernannte der Papst einen Delegaten, der mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet war, u. a. „alle Fragen zu entscheiden, die sich bei der Ausführung des Ihnen anvertrauten Mandats ergeben können". Dabei lag der Fokus auf einer geistigen Erneuerung des Ordens und der Einberufung eines Generalkapitels zur Änderung der Verfassung.88 Anstatt der Bitte zu entsprechen, das strenge Adelsprinzip motu proprio aufzuheben, setzte der Papst einstweilen die Aufnahme in das Noviziat und die Ablegung neuer Professen aus.89 Damit ging der Vatikan nicht so weit, wie im Konflikt der 1950er-Jahre,90 entmachtete allerdings de facto den Kardinalpatron als seinen originären Vertreter beim Orden.
Ende April 2017 wurde Giacomo Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto zum Statthalter des Großmeisters gewählt. Dabei verkündete auch der Orden, dass die wichtigste Aufgabe die Verfassungsreform sei, da sich vor allem hinsichtlich der Gewaltenteilung innerhalb des Ordens Probleme gezeigt hätten. Auch die Stärkung des spirituellen Lebens sei ein Fokus.91 Dieser Prozess wurde Anfang Mai vom Souveränen Rat selbst eingeleitet,92 dem verschiedene größere Diskussionsformate folgten, u. a. das Generalkapitel 2019.
Nachdem der Großmeister im April 2020 verstorben war, wurde im November erneut ein Statthalter gewählt. Ende Oktober 2021 konkretisierte der Papst seinem Delegaten gegenüber die Befugnisse dahin gehend, dass dieser die Möglichkeit habe, Bereiche der ordentlichen Leitung des Ordens zu übernehmen, auch wenn diese von der Verfassung abweichen, und Konflikte „ex auctoritate Summi Pontificis" zu lösen. Er wurde zusätzlich ermächtigt, ein außerordentliches Generalkapitel einzuberufen und mitzuleiten, Regelungen für die Zusammensetzung und Durchführung festzulegen, die Verfassung und den Codex zu genehmigen, den Souveränen Rat aufgrund der neuen Bestimmungen zu besetzen und den Staatsrat zur Wahl eines Großmeisters einzuberufen. Franziskus schloss damit, er sei sicher, dass der gesamte Orden mit dem Delegaten „im Geiste des echten Gehorsams und Respekt zusammenarbeiten" werde. Gleichzeitig verlängerte er das Mandat des Statthalters bis zum Generalkapitel.93
Ein weiterer Eingriff erfolgte ein halbes Jahr später mit der Ernennung von John Dunlop zum neuen Statthalter.94
Die Klimax wurde im September 2022 erreicht, als der Papst nicht nur per Dekret eine neue Verfassung sowie einen neuen Codex promulgierte und in Kraft setzte, sondern den gesamten Souveränen Rat und die Hohen Ämter aus ihren Funktionen entließ und neu besetzte. Auch berief er selbst für Januar 2023 ein Generalkapitel ein. Dabei verwies er darauf, dass dies mit den „gesetzlichen Vorschriften oder Bestimmungen sowie aller Privilegien oder Gewohnheiten […] im Widerspruch“ stehe. Gleichsam rekurrierte er auf das frühere Urteil des Kardinaltribunals. Um das Ordenswerk aufrechtzuerhalten und „den Bestand und die Entwicklung des Hospitalordens, einschließlich seiner souveränen Vorrechte im internationalen Bereich, zu gewährleisten“ sei es notwendig, die Krise zu überwinden. Nun bestünde die Erfordernis, „tiefgreifende geistliche, moralische und institutionelle Erneuerung des gesamten Ordens einzuleiten, insbesondere und nicht nur der Mitglieder des Ersten Standes, sondern auch derjenigen des Zweiten Standes“.95
Der Orden selbst begrüßte dies als ersten Schritt „eines klaren Plans für eine effizientere und straffere Leitung“ verbunden mit der Überzeugung, neue Mitglieder würden „die Tür für neues Blut und frisches Denken öffnen“.96 Wobei unklar ist, weshalb diese Schritte nicht zuvor selbst gesetzt worden waren.
Am 3. Mai 2023 schließlich kam der Große Staatsrat zusammen und wählte den bisherigen Statthalter zum Großmeister.97 Im Juni wurde Gianfranco Ghirlanda, der in die Verfassungsreform zuvor bereits eng eingebunden war, zum neuen Kardinalpatron des Ordens ernannt.98 Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Ereignisse eine sinnvolle Klärung offener Fragen und neuen Elan bringen.99
17 Eine umfangreiche Edition aller Urkunden aus dem Hl. Land in: Joseph DELAVILLE LE ROULX, Cartulaire général de l'Ordre des Hospitaliers, Paris 1894-1904 (4 Bd=Cartulaire I-IV). Hier Cartulaire I, Nr. 30.
18 Kristian BOSSELMANN-CYRAN, Xenodochium, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin/New York 2005, S. 1509.
19 Vgl. WALDSTEIN-WARTENBERG, Rechtsgeschichte, S. 13-19.
20 Ebd., S. 16.
21 Vgl. Timothy MILLER, The Knights of Saint John and the Hospitals of the Latin West, in: Speculum 53, S. 709-733, v. a. S. 713-717.
22 Vgl. Cartulaire I-IV.
23 Cartulaire I, Nr. 20.
24 Rudolf HIESTAND, Papsturkunden für Kirchen im Heiligen Lande, Göttingen 1985, S. 112116.
25 Vgl. Giuseppe PERTA, A Crusader without a Sword. The Sources relating to the Blessed Gerard, in: Flocel SABATÉ, Life and Religion in the Middle Ages, Cambridge 2015, S. 125-139.
26 So u. a. WALDSTEIN-WARTENBERG, Rechtsgeschichte, S. 21, der auf Studien von Hans Feine verweist.
27 Vgl. MILLER, Knights, S. 718.
28 WALDSTEIN-WARTENBERG, Rechtsgeschichte, S. 20-26.
29 STAEHLE, Geschichte I, S. 62.
30 Die Regel wurde um 1153 von Papst Eugen III. bestätigt, wurde aber wohl bereits früher beschlossen, und basiert zeittypisch auf der Augustinusregel.
31 Cartulaire I, Nr. 70..
32 Cartulaire II, Nr. 1193.
33 Vgl. Beschluss des Generalkapitels 1262, Cartulaire III, Nr. 3039.
34 Cartulaire I. Nr. 627.
35 Contrater wird zuerst bei der Aufnahme von Fürst Bohemund III. 1193 genutzt, Cartulaire I, Nr. 948.
36 WALDSTEIN-WARTENBERG, Rechtsgeschichte, S. 50, setzt die Grenze für die Bezeichnung bei 1234 an.
37 Cartulaire II, Nr. 1193. Erst Jean de Lastic (im Amt 1437-1454) nutze wohl als erster selbst den Titel Großmeister.
38 Ebd., zur Entwicklung WALDSTEIN-WARTENBERG, Rechtsgeschichte, S. 57-60.
39 U. a. Cartulaire III, Nr. 3678 Art. 1 und 2.
40 Vgl. WALDSTEIN-WARTENBERG, Rechtsgeschichte, S. 69-76.
41 Cartulaire I, Nr. 226.
42 Vgl. Peter Edbury, The Kingdom of Cyprus and the Crusades. 1191-1374, Cambridge 1991, S. 77f.
43 WALDSTEIN-WARTENBERG, Rechtsgeschichte, S. 86.
44 Ebd., S. 131f.
45 Vgl. Mathis MAGER, Krisenerfahrung und Bewältigungsstrategien des Johanniterordens nach der Eroberung von Rhodos 1522, Münster 2014, S. 80-82.
46 Kenneth MEYER SETTON, The Papacy and the Levant I. 1204-1571. The thirteenth and fourteenth century, Philadelphia 1976, S. 163-223.
47 Cartulaire IV, Nr. 4574, Art. 14.
48 Nach WALDSTEIN-WARTENBERG, S. 283, Fn. 25, trat es seit 1420 alle fünf, ab 1445 alle sieben Jahre zusammen.
49 Mario BARBARO DI SAN GIORGIO, Storia della costituzione del Sovrano miliatare Ordine di Malta, Rom 1927, S. 221.
50 Ohne eine Definition in der Urkunde selbst, ist hier wohl vor allem an Kriegsdienst, Güterverwaltung im Auftrag des Lehnsherrn oder die Ablieferung eines Teil des Einkünfte (z.B. Zehnt) zu denken.
51 Die englische Übersetzung der lateinischen Urkunde findet sich in: Whitworth PORTER, A History of the Knights of Malta Or The Order of the Hospital of St John of Jerusalem, Cambridge 2013, S. 469-478. STAEHLE, Geschichte II, S. 234-237, liefert eine deutsche Teilübersetzung.
52 Ernle BRADFORD, Der Schild Europas. Der Kampf der Malteserritter gegen die Türken 1565, Frankfurt 1995.
53 Darunter waren maritime Erkundungs- und Verteidigungsfahrten zu verstehen, vgl. Wolf-Dieter BARZ, Die letzte Karawane des Johanniterordens von 1784. Betrachtet im Zusammenhang mit seinem Niedergang auf Malta, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 44, Heft 2 (2014), S. 41-49
54 Ebd., S. 41.
55 Vgl. u. a. David ALLEN, The Social and Religious World of a Knight of Malta in the Caribbean. 1632-1660, in: Stanley FIORINI/Victor MALLIA-MILANES (Hg.), Malta. A Case Study in International Cross-Currents, Malta 1991, S. 147-157.
56 WALDSTEIN-WARTENBERG, Rechtsgeschichte, S. 141.
57 Cartulaire IV, 23.
58 William GODSEY, Adelsversorgung in der Neuzeit. Die Wiederbelebung des Deutschen Ritterordens in der österreichischen Restauration, in Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 90, Heft 1 (2003), S. 25-43, hier S. 26.
59 Carl Alexander KRETHLOW, Der Malteserorden. Chancen und Herausforderungen transnationaler Strukturen im 19. Jahrhundert, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 34 (2015), S. 99-110, hier S. 100 (KRETHLOW, Malteserorden II).
60 Generalkapitel 1603, Cartulaire II, Nr. 36.
61 Die Regel ist als Code Rohan bekannt. Zu den Inhalten (kommentiert): Antonio MICALLEF (Hg.), Lectures on the Statues of the Sacred Order of St. John of Jerusalem at the University (of Studies) of Malta 1792, Karlsruhe 2012, S. 37-167. Noch im Eigenrecht aus den 1990er-Jahren wurde der Code Rohan als subsidiäres Eigenrecht genannt.
62 WALDSTEIN-WARTENBERG, Rechtsgeschichte, S. 184f. Vgl. auch die Übersicht von STAEHLE, Geschichte III, S. 32-38.
63 Vgl. Ernst OPGENOORTH, Die Ballei Brandenburg des Johanniterordens im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation (Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg, Preußen. Beiheft 24), Würzburg 1963.
64 Bischofsliste bei Pius GAMS, Series episcoporum ecclesiae catholicae I, Regensburg 1873, S. 947f.
65 Eine Übersicht über ausgewählte Konflikte bietet u. a. Dennis CASTILLO, The Knights Can.not Be Admitted. Maltese Nationalism, the Knights of St John, and the French Occupation of 1798-1800, in: The Catholic Herald Review 79 (1993), S. 434-453.
66 Vgl. Salv LASPINA, Outlines of Maltese History, Malta 1971, S. 81f. Eine Maltesische Zunge wurde erst mit Art. X Nr. 3 des Vertrags vom Amiens geschaffen, obwohl weder Orden noch Papst Vertragsparteien waren, vgl. Official Papers, Relative to the Preliminaries of London and the Treaty of Amiens II, London 1803 (o.V.), S. 56-63.
67 Thomas FRELLER, Großmeister - Fürst - Exilant. Ferdinand vom Hompesch - eine politische Biographie, St. Ottilien 2019, v.a. S. 218-224.
68 CASTILLO, Knights, S. 451-253.
69 FRELLER, Großmeister, S. 408ff.
70 Joseph EBE/Michael GALEA