Die Lazariter in Alemannien - Andreas Rademachers - E-Book

Die Lazariter in Alemannien E-Book

Andreas Rademachers

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Beschreibung

In den Kreuzfahrerstaaten wurde aus einem Hospital für Leprakranke ein Ritterorden. Der Orden des hl. Lazarus dehnte sich in ganz Europa aus und verlegte nach der Eroberung Akkons seinen Sitz nach Frankreich. Im deutschsprachigen Raum unterhielt er verschiedene Häuser, die als "Provinz Alemannia" vereint waren. Thüringen und die heutige deutsch/schweizer Grenzregion bildeten die regionalen Zentren des Ordens. Vor allem in Gotha entfalteten die Lazariter, landesherrlich unterstützt und vom römischen Papst privilegiert, umfangreiche und weithin beachtete Tätigkeiten. Das Buch beschreibt die Entwicklung, Organisation und Aufgaben des Ordens.

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Seitenzahl: 82

Veröffentlichungsjahr: 2019

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INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Leitung und Kommenden

3. Präzeptorie Thüringen

3.1. Gotha

3.2. Wackenhausen

3.3. Braunsroda

3.4. Breitenbich

3.5. Sangerhausen

4. Die oberen Häuser

4.1. Seedorf

4.2. Schlatt

4.3. Gfenn

5. Megersheim

6. Schlussbetrachtung

Quellen und Literatur

1. EINLEITUNG

Der Verlust Akkons 1291 und der von den Johannitern regierten Kreuzfahrerstaaten bedeuteten einen tiefen Einschnitt in das Selbstverständnis vor allem der Oberschicht der mittelalterlichen Gesellschaft. Obwohl die europäischen Eroberungen in der Levante seit der Einnahme Jerusalems im Jahr 1099 nie sicher waren, gelang es den muslimischen Heeren in weniger als zwei Jahrhunderten die letzte Feste der Kreuzfahrer langfristig zu beseitigen. Für die Ritterorden, vor allem die Templer und Johanniter, auch Spitaler genannt, bedeute die Niederlage gleichsam den Entzug ihrer Existenzgrundlage und Tätigkeit. Die europäischen Häuser der Orden, als Komtureien oder Kommenden bezeichnet, standen vor einem Umbruch, dienten sie doch bislang einerseits als Rekrutierungszentren „diesseits des Meeres“, andererseits als Orte, die notwendige Finanzmittel beschaffen konnten und mussten.

Der Orden des Hl. Lazarus hatte hinsichtlich der Gewinnung neuer Mitglieder eine Sonderstellung im Heiligen Land, bestand er doch in seinem Kern aus Leprakranken. Nicht nur die Templerregel sah vor, dass lepröse Ritter dem Lazarus-Orden überstellt werden sollten, das Zivilrecht, der sog. Livre au Roi, drängte gleichsam andere Erkrankten zur Mitgliedschaft bei den Lazaritern.1 Damit hatte der Orden ein Aufnahmemonopol der gesamten Oberschicht der Kreuzfahrerstaaten, soweit sie an Lepra erkrankten. Diese bestand dabei nicht nur aus dem Adel bestand, sondern umfasste gleichsam die freien Franken, die sich dort niedergelassen hatten.2

Diese schon beinahe „automatische Rekrutierung“ konnte in gleicher Form nicht auf das Abendland übertragen werden. Hier war die Leprosenversorgung durch Sondersiechenhäuser in den Städten bereits seit längerem gegeben oder wurde zumindest im Hochmittelalter forciert. 3

Zwar legte Clemens IV. 1266 fest, dass alle Leprosen in den Häusern des Lazarus-Ordens versorgt werden sollten,4 doch erwies sich dies, alleine schon aufgrund der wenigen regionalen Schwerpunkte der Kommenden, als nicht umsetzbar. Es ist Jankrift zu folgen, der dieses Privileg in eine Kette von päpstlichen Interventionen stellt, um die scheinbar desolate finanzielle Situation des Ordens zu verbessern.5 Wenn auch die Aufnahme von Leprösen nicht mehr nur der Rekrutierung kampffähiger Personen für das Heilige Land diente – die weite Reise z. B. aus Thüringen nach Akkon wäre wohl lebensgefährlich für einen Kranken gewesen –, so häufte zumindest die Übertragung des Vermögens auf den Orden bei Eintritt finanzielle Ressourcen an. Eine solche Übertragung stellte dabei kein Charakteristikum der Lazariter dar, sondern war ebenso in den kommunalen Versorgungseinrichtungen in verschiedenen Abstufungen, vom gesamten Erbe bis hin zu gewissen Anteilen, üblich.6

Während dem Orden im Königreich Jerusalem die alleinige institutionelle Versorgung von Aussätzigen zukam, so sind alleine für das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland rund 350 kommunale und kirchliche Leprosorien nachgewiesen.7 Da die wenigen, nur neun Häuser des Ordens im deutschen Sprachraum, wie unten zu zeigen sind wird, meist nicht einmal pflegerisch tätig waren,8 kam der Rekrutierung Erkrankter nur eine marginale Rolle zu. Darüber hinaus gab es, aufgrund der geringen Anzahl von Häusern und nur wenigen Erkrankten, im Abendland keine Überstellung von „Siechen“ anderer Ritterorden, wie das Leprosorium der Kommende Elbling des Deutschen Ordens und die Berichte über einen aussätzigen Templer bei der Verhaftung in Paris, im neuen Stammland der Lazariter zeigen.9

Die 1253 erteilte Erlaubnis, einen gesunden Meister zu wählen, 1256 als Großmeister bezeichnet, öffnete final den Weg zur Mitgliedschaft von Gesunden als vollwertige Mitglieder.10 Dies verbunden mit dem geringen pflegerischen Engagement führte dazu, dass die abendländischen Häuser meist mildtägige Stiftungen waren und aus dem Heiligen Land zurückgekehrten Rittern eine Wohnstätte boten; die Rekrutierung neuer Kämpfer war nur noch formal eine Aufgabe. Den Mitgliedern wurde bei der Aufnahme der Auftrag gegeben, ins Hl. Land zu ziehen, wenn dies zum Schutz des Ordens notwendig sei und im Statutenbuch das Programm formuliert, „das Banner der Christenheit […] gegen die Feinde des heiligen Kreuzes Jesus Christi, das sind die Heiden“ zu führen.11

Das Statutenbuch enthält in den neuen Gesetzen eine interessante Modifikation der Aufnahmemodalitäten. Der Kandidat wurde gefragt, ob er irgendwelche verborgenen Gebrechen habe.12 Diese für andere Orden ebenfalls überlieferte Frage steht bei den Lazaritern jedoch vor einem besonderen Hintergrund, wäre sie doch eigentlich aufgrund der besonderen Ordensstruktur obsolet gewesen. Offenbar war man mittlerweile dazu übergegangen, Gesunde und nicht mehr Kranke aufzunehmen, was eine Umkehrung der ursprünglichen Strukturen in der Levante bedeutete und vielleicht zumindest aus der Hoffnung gespeist wurde, irgendwann eine militärische Stellung in der Levante wiederzuerlangen.

1 Kap. 42, Livre au Roi, in: Greilsammer, Myriam (Hg.): Le livre au Roi, introduction, notes et édition critique, Paris 1995, S. 256f.

2 Vgl. Morel, Galll: Die ältesten Statuten für die Lazaritenklöster Seedorf, im Gfenn, und in Slatte, in: Der Geschichtsfreund 4 (1847), S. 119-158, S. 144, nachfolgend: Statutenbuch.

3 Vgl. Belker, Jürgen: Aussätzige. „Tückischer“ Feind und „Armer Lazarus“, in: Hergemöller, Bernd-Ulrich: Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft, Warendorf 1990, S. 200-231, v.a. S. 222.

4 Bulle vom 95.08.1266, in: Potthast, August: Regesta pontificum romanorum 2, Berlin 1875, Nr. 19790, S. 1596.

5 Vgl. Jankrift, Kay Peter: Leprose als Streiter Gottes. Institutionalisierung und Organisation des Ordens des heiligen Lazarus zu Jerusalem von seinen Anfängen bis zum Jahr 1350 (Vita regularis 4), Münster 1996, S. 98ff.

6 Vgl. Schelberg, Antje: Leprosen in der mittelalterlichen Gesellschaft. Physische Idoneität und sozialer Status von Kranken im Spannungsfeld säkularer und christlicher Wirklichkeitsdeutungen, Univ.-Diss., Göttingen 2000, S. 432-434.

7 Vgl. Karte „Mittelalterliche Leprosorien im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland“, in: Leistikow, Dankwart: Bauformen der Leproserie im Abendland, in: Wolf, Jörn Henning: Aussatz, Lepra, Hansenkrankheit. Ein Menschheitsproblem im Wandel, S. 103-149, hier S. 117.

8 Vgl. u.a. Ebd., S. 103 und 110.

9 Zum Deutschen Orden vgl. Probst, Christian: Der Deutsche Orden und sein Medizinalwesen in Preußen. Hospital, Formarie und Arzt bis 1525 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 29), Bad Godesberg 1969, S. 146f., zum Templerorden vgl. Barber, Malcolm: The New Knighthood. A History of the Order of the Temple, Cambridge 1994, S. 372.

10 Die Bulle des päpstlichen Legaten, welche die pontifikale Erlaubnis übermittelt, ist in Berger, Elie (Hg.): Les Registres d’Innovent IV, Bd. 3, Paris 1897, Nr. 6204, S. 153.

11 Statutenbuch, S. 137.

12 Statutenbuch, S. 144.

2. LEITUNG UND KOMMENDEN

Über die Organisation des Ordens im Mittelalter ist recht wenig bekannt. Das Wissen darüber lässt sich einerseits aus dem Statutenbuch von Seedorf ablesen, das u.a. die Regeln des Jerusalemer Mutterhauses überliefert, anderseits aus Urkunden, die zumindest die Namen von Amtsträgern enthalten und in Einzelfällen durch Berichte und normative Texte, wie dem Livre au Roi oder der Templerregel.

An der Spitze der Gemeinschaft stand ein Großmeister, der vom Generalkapitel gewählt wurde, und in den ersten 100 Jahren des Bestehens an Lepra erkrankt sein musste. Die Genehmigung des Papstes, von diesem Charakteristikum abzuweichen, stellte für die gesamte Gemeinschaft, vor allem diesseits des Meeres (also in Europa) eine entscheidende Wendung dar.

Daneben kam dem Generalkapitel im Laufe des 12. Jahrhunderts eine immer wichtigere Bedeutung zu, die zeitlich mit der Entwicklung von einer rein pflegerischen Gemeinschaft in einen Ritterorden korrespondiert.13 Die anfängliche fast souveräne Macht des Großmeisters schränken die weiterentwickelten Jerusalemer Teile der Statuten dahingehend ein, dass ein Bruder, der die Gemeinschaft verlassen hatte, nicht mehr – wie zu Beginn – den Meister um Verzeihung und Wiederaufnahme bitten soll, sondern das Kapitel, das gleichsam die Buße für Vergehen festlegt.14 Nur in der Vermögens -und Finanzverwaltung kam dem Meister weitgehende Unabhängigkeit zu. Das Gut, das Kandidaten bei der Aufnahme einbringen mussten, sollte er nach seinem Willen verwenden;15 eine Regel, die offiziell nie außer Kraft gesetzt wurde.

Da keinerlei Protokolle des Jerusalemer Kapitels vorliegen, ist der Grund für diese Entwicklung nicht identifizierbar.16 Die Verlegung des Sitzes nach Boigny und der Verlagerung der Ordensaktivitäten auf Europa änderte zwangsläufig ebenfalls die Struktur des Generalkapitels. Tagte es in Jerusalem noch jeden Sonntag, so kam es in Boigny17 jährlich am Pfingstsonntag zusammen und hatte neben generellen Beratungen wohl vor allem Gerichtsfunktionen. Ob nur Komture und Ritter oder alle Mitglieder des Ordens („Brüder und Komture“) stimmberechtigt waren, lässt sich aufgrund widersprüchlicher Quellen nicht eindeutig beantworten.18

Das Statutenbuch enthält dabei zwei Vorschriften, die für die Niederlassungen in Europa von Bedeutung sind. Das Generalkapitel bestimmte in Absprache mit dem Provinzkomtur/Landmeister die Komture der einzelnen Häuser und die

Präzeptoren der regionalen Zusammenschlüsse der Kommenden. Die Einsetzung der Landmeister wiederum lag beim Großmeister.19 Da die Bezeichnung der Ämter teilweise differiert wird folgend für den Landkomtur (für Alemannien) der Begriff Provinzial, für die Vorsteher mehrerer Kommenden der Terminus Präzeptor verwendet.

Während des Hauptsitzes in Outremer folgte der Orden einer Tradition, die ebenfalls bei den Templern anzutreffen ist, nämlich der eines Statthalters, der den Großmeister diesseits des Meeres vertrat. Als „commendator seu praceptor domuum citramarinarum generalis“ ist zwar namentlich nur der alemannische Provinzial Heinrich von Graba bekannt,20 doch dürfte der Orden auch hier den Usus der Templer übernommen haben.21

Dem Provinzial kam eine wichtige Funktion als Visitator des Großmeisters zu, wobei nicht dokumentiert ist, wie diese Visitation und Beaufsichtigung ablief und wie ein Berichtswesen aussah.

Auch über die Aufgaben der Präzeptoren ist wenig überliefert, doch geht Jankrift aufgrund der Autorenschaft des Statutenbuchs durch den Präzeptor der Schweizer Provinz davon aus, dass ihnen vor allem disziplinarische Kompetenzen zukamen.22 Bei größeren finanziellen Obliegenheiten wie Tauschgeschäfte oder Schenkungen nennen die Urkunden ebenfalls die Präzeptoren, ebenso regelmäßig bei Veräußerungen, sodass Degler-Spengler die Schlussfolgerung zieht, dass sie bei Verkäufen beteiligt werden mussten.23 Es ist davon auszugehen, dass das Amt des Präzeptors durch einen der Komture ausgeübt wurde.24