Der Mann, der aus dem Schatten kommt - Rainer Schanz - E-Book

Der Mann, der aus dem Schatten kommt E-Book

Rainer Schanz

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Beschreibung

Rainer Schanz schützte Menschen im Rampenlicht – Spitzenpolitiker, Wirtschaftsleute und deren Familien. Im Ernstfall riskierte er sein eigenes Leben. Über Bodyguards ist eher wenig bekannt, besonders verschwiegen sind die Personenschützer der Polizei. Hier gewährt Rainer Schanz spannende Einblicke in seine Arbeit als Leibwächter von Angela Merkel, Gerhard Schröder und Willy Brandt. In Afghanistan verlor er einen guten Freund bei einem Bombenanschlag der Taliban, in Grönland stieß er mit Whisky und Dreimillionen Jahre altem Eis auf ihn an. Er sah die Tränen Willy Brandts bei seiner Rede zum Mauerfall und er begleitete die Kanzlerin und den Kanzler auf ihren Geschäftsreisen quer über den Kontinent. Die Biografie gewährt Einblick in ein Leben, dem er sich mit Herz und Leidenschaft gewidmet hat.

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Seitenzahl: 323

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Rainer Schanz

mit Alexandra Huß

Der Mann, der aus dem Schatten kommt

Leibwächter mit Leidenschaft, Herz und Verstand

 

über die Autoren

Rainer Schanz begann seine Karriere bei der Polizei, bevor er zeitnah in den Bereich des Staatsschutzes wechselte. Er stand weltweit als Leibwächter an der Seite zahlreicher Politiker und Prominenter. Heute genießt er seinen Ruhestand auf Mallorca.
Alexandra Huß studierte Creative Writing und absolvierte verschiedene Praktika in der Buchbranche.
Sie lebt mit ihrer Familie im Ruhrgebiet und verfasst unter anderem Texte für Touristikportale.
Auf Mallorca, ihrer zweiten Heimat, tankt sie Energie für neue Projekte.

 

IMPRESSUM

1. Auflage 2021

© 2021 by hansanord Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages nicht zulässig und daher strafbar. Das gilt vor allem für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 

ISBN E-Book: 978-3-947145-53-9

ISBN Buch: 978-3-941745-52-2

Cover | Umschlag: Marc-Torben Fischer

Coverfoto: Fotostudio Urbschal Berlin

Lektorat: Ute Wielandt

Für Fragen und Anregungen: [email protected]

Fordern Sie unser Verlagsprogramm an: [email protected]

hansanord Verlag 

Johann-Biersack-Strasse 9
D 82340 Feldafing  
Tel.   +49 (0) 8157 9266 280 
FAX: +49 (0) 8157 9266 282 
www.hansanord-verlag.de

 

Widmung an meinen Vater

Ich widme dieses Buch dem wunderbarsten und großartigsten Menschen,

den ich kennenlernen und lieben durfte, meinem Vater.

Danke für alles,

dein Sohn.

mein Vater Werner Schanz

 

Inhaltsverzeichnis

Widmung an meinen Vater
Vorwort Walter Momper
Vorwort
Erinnerungen
Tag der Deutschen Einheit/Managua 1990
Der Anschlag in Kabul 2007
Mein beruflicher Werdegang oder wie alles begann
Operation Afghanistan
Beim Papst
Werner Sonne
Bilderberg-Konferenz
Agentenaustausch
Willy Brandt
Die Akte meines Großvaters
Israel
Christian
Mit Angela Merkel in Grönland
Oktober 2006 – Merkel feat. Erdoğan
Bier und Wodka für die Chinesen
Mein VFL Bochum 1848
Meine Zeit mit Gerhard Schröder
Otto Schily
Dustin – Vater und Sohn, ein persönlicher Brief
Nachwort
Danksagung
Bilder

 

Vorwort Walter Momper

»Herr Schanz war in all den Jahren, die er mich als Personenschützer begleitet hat, ein angenehmer und unterhaltsamer Weggefährte. Natürlich passte er hauptsächlich auf mich auf, damit mir nichts geschah und keiner mir zu nahe kam. Da hat es schon ein paar Gelegenheiten in den Jahren gegeben. Darüber hinaus war er stets humorvoll und witzig, konnte sich auch selbstkritisch sehen. Er hat stets mehr geleistet, als es seine Dienstpflichtvon ihm verlangte. Gerade das Menschliche, Witzige und Angenehme hat ihn zu einem netten Begleiter in all den Jahren gemacht.

Walter Momper.«

Vorwort

Dieses Buch ist der Spiegel meiner Seele. Es ist eine Reise in die Vergangenheit, der ich mich mit Herz, Verstand und Leidenschaft verschrieben habe.
Willkommen auf der Bühne, die wesentliche Bereiche und Kapitel aus meinem Leben darstellt.
Vorhang auf!
Rainer Schanz

Erinnerungen

Ein spanischer Morgen von vielen.
Vor dem Fenster zeigte sich der Herbst von seiner schönsten Seite, nach dem langen, trockenen Sommer blühte die Insel Mallorca auf. Der Wind wehte mild über die Ebene, auf der ein paar Olivenbäume standen, und die Wolken, die aus Nordosten heranzogen, kündigten die ersehnten Regenfälle an.
In der Küche lief die zweite Ladung Kaffee durch die Maschine, meine Frau duschte, am Tisch saß meine Tochter Viktoria über den Hausaufgaben,die sie schon gestern fertigstellen sollte.
»Ich hab keinen Bock mehr auf Schule«, schimpfte sie und kaute auf einem Bleistift herum, »die Aufgabe ist doof. Wir haben in Politik Fragen ausgelost. Aber du müsstest sie eigentlich beantworten können.« 
Viktoria besuchte die internationale Waldorfschule, und eigentlich ging sie sehr gerne dorthin.
Sie sah mich auffordernd an.
»Es sind deine Hausaufgaben«, sagte ich matt, warf aber dennoch einen Blick in das Schulheft.
Was bedeutet Staatsschutz im Zusammenhang mit Polizeiarbeit?
Ich runzelte die Stirn, zog den Stuhl hervor und setzte mich zu ihr. Fast mein ganzes Leben hatte ich mich dem Wort mit zwölf Buchstaben(Staatsschutz) gewidmet, erst als Polizeibeamter im Dienst der Einsatzbereitschaft, dann beim polizeilichen Staatsschutz in Berlin. Es folgte der Personenschutz für die Botschafter der deutschen Vertretungen in Nicaragua und der Türkei. Nach den Auslandseinsätzen wechselte ich zeitnah vom mittleren in den gehobenen Polizeidienst und zu guter Letzt verschlug es mich zum Bundesnachrichtendienst. Ich nahm meiner Tochter den Stift aus dem Mund und drückte ihn ihr in die Hand.
»Dann schreib mit und höre genau zu. Die Hauptfunktion der Behörden, die dem Staatsschutz dienen, besteht darin, Bestand, Institutionen, Symbole und Werte der Bundesrepublik Deutschland vor zerstörerischen Einwirkungen, also beispielsweise vor bestimmten Delikten des Strafrechts, zu schützen. Verstehst du, was ich meine?« Viktoria nickte halbherzig und ich stupste sie an.
»Dabei gilt es, Bedrohungen, die von innen oder außen auf den Staatskörper einwirken, frühzeitig zu erkennen und effektiv zu bekämpfen.« Der Stift krakelte über das Schreibheft, ihre Zunge schaute ein Stück weit aus dem Mund. Ich trank einen Schluck Kaffee und fuhr fort.
»In Deutschland ist der Staatsschutz in einem Vier-Säulen-System aufgebaut, das folgende Elemente in sich vereint. Säule eins ist der Verfassungsschutz.
Die zuständige Behörde zur Kontrolle dieses Bereiches ist das Bundesamt für Verfassungsschutz, das mit den Landesämtern für Verfassungsschutz zusammenarbeitet. Auf Grundlage des Bundesverfassungsschutzgesetzes werden Informationen über links- oder rechtsextreme sowie islamistische oder terroristische Bestrebungen, welche die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Souveränität von Bund und Ländern unterlaufen, gesammelt.«
»Du plapperst ihr jetzt nicht die Hausaufgaben vor, die sie gestern erledigen sollte?« Meine Frau stand im Türrahmen, ihre nassen Haare versteckten sich unter einem roten Frotteehandtuch. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Sie muss gleich los«, sagte ich und zeigte auf die Uhr an der Wand, »ist fast halb acht.« Wir ernteten ein Kopfschütteln und machten weiter.
Ebenso wird diese Institution unter der Schirmherrschaft vom Staatsschutz tätig, wenn auswärtige Angelegenheiten durch Gewalthandlungen gefährdet sind oder das friedliche Zusammenleben der Völker gestört werden soll. Zudem wirkt sie im Rahmen der Spionagebekämpfung mit und unterstützt den Geheim- und Sabotageschutz.
Die Informationen werden dabei mehrheitlich aus öffentlich zugänglichen Quellen gewonnen, wie etwa Zeitungsartikeln, Programmen, Flugblättern und Ähnlichem.
Säule zwei ist der Bundesnachrichtendienst, kurz BND.
Hierbei handelt es sich um den deutschen Geheimdienst, der als Instrument des Staatsschutzes belastbare Informationen bereitstellt. Insbesondere stehen dabei geplante staatlich relevante Straftaten, militärische Aspekte sowie wirtschaftlich oder technische Errungenschaften im Mittelpunkt.
Die dritte Säule ist der militärische Abschirmdienst.
Dieser deutsche Nachrichtendienst auf Bundesebene unterstützt das Bundesministerium für Verteidigung bei Belangen, die den Staatsschutz betreffen. Der MAD wird in diesem Rahmen als Verfassungsschutzbehörde tätig und dient dem Erhalt der militärischen Sicherheitsfunktion sowie der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. 
Und zuletzt Säule vier, der polizeiliche Staatsschutz.
Während die ersten drei Säulen von Nachrichtendiensten besetzt werden, die vornehmlich Informationen einholen und überprüfen, um politisch motivierte Kriminalität im Voraus zu verhindern, ist sogenannter polizeilicher Staatsschutz immer dann gefragt, wenn derartige Delikte aktiv bekämpft werden sollen«, sagte ich zum Abschluss, denn damit müsste die für ein Kind schwierige Frage beantwortet sein. Sie klappte das Heft erleichtert zu, schnappte sich ihren Ranzen und verschwand im Hausflur.
»Danke, Papa«, rief sie und während Max und Lucy ihr hinterher bellten, ging ich ins Wohnzimmer.

Tag der Deutschen Einheit/Managua 1990

Alte Geschichten tauchten in meinem Kopf auf, nicht alle sind gut verlaufen.
Und während meine Frau sich fürs Büro fertig machte, legte ich
mich auf die Couch und kramte in Erinnerungen.
Es war der dritte Oktober neunzehnhundertneunzig.
Anlässlich dieses historischen Datums und der Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung
beider deutscher Staaten veranstaltete die Botschaft Managua
in Nicaragua einen Empfang der Extraklasse.
Nicaragua ist ein Staat in Zentralamerika. Er grenzt im Norden an
Honduras und im Süden an Costa Rica sowie im Westen an den Pazifik
und im Osten an die Karibik. Dort war ich als Sicherheitsbeamter zum
Auslandseinsatz an der deutschen Botschaft in Managua abgeordnet.
Der deutsche Botschafter Georg Boomgaarden lud wie gesagt zum Festakt
in das Centro Augusto Silva ein.
Vor zweitausend geladenen Gästen, wie dem gesamten diplomatischen
Corps verschiedenster Nationen, Regierungsmitgliedern, Personen des öffentlichen
Lebens und vor allem der Präsidentin Nicaraguas, Violetta Chamorro,
sollte es eine Veranstaltung werden, wie es der deutschen Geschichte
angemessen und würdig erschien.
Leider ist es anders verlaufen, als es Programm und Protokoll vorsahen.
Tage zuvor waren alle Mitarbeiter innerhalb der Botschaft mit den Vorbereitungen
zum Festakt beschäftigt, auch die, die für die Sicherheit der
deutschen Vertretung und deren Leiters verantwortlich waren.
Die Probeläufe liefen insgesamt gut und wir erhielten von verschiedensten
Quellen und Behörden alle sicherheitsrelevanten Erkenntnisse für die
Veranstaltung. Wir recherchierten auch selbst, um auf diesen Tag so professionell
wie möglich vorbereitet zu sein.
Bei einer gemeinsamen Sicherheitsbesprechung entschlossen wir uns,
dass alle Beamten des BKA und der Bundespolizei Dienst zu versehen hatten.
Genau diese Entscheidung sollte sich später als richtig erweisen.
Der Kanzler erster Klasse, der Leiter der Verwaltung, Herr Rainer Appelrath,
wurde über unser dienstliches Vorhaben in Kenntnis gesetzt.
Ich stand auf und öffnete die Schublade meines Sekretärs, in ihm befanden
sich Unterlagen aus der damaligen Zeit.
»Da habe ich dich«, sagte ich und musste lachen, denn in letzter Zeit
sprach ich öfter mit Dingen, die nicht antworten konnten.
Es war ein abgewetzter Brief, der nach dem Angriff von mir verfasst und
vom Botschafter Georg Boomgaarden unterzeichnet worden war. Ich bekam
Gänsehaut, denn die Sache hätte richtig schiefgehen können. Zudem
schnappte ich mir die dazugehörigen Zeitungsausschnitte und warf mich
wieder auf das Sofa.
Brief
Managua, 10.10.1990
Botschaft
der Bundesrepublik Deutschland
Managua
Betr.: Störung des Festaktes und des Empfanges zum Tag der Deutschen
Einheit am 03.10.1990 in Managua
Zu Beginn der Veranstaltung am 05.10.1990 gegen 19.30 Uhr konnte
bereits festgestellt werden, dass sich zwölf Personen vor dem Eingangsbereich
des Veranstaltungsortes Centro Augusto Silva aufhielten.
Die Personen konnten der linken Szene zugerechnet werden.
Da die Deutsche Botschaft mit Protestaktionen rechnen konnte, wurde
zuvor die örtl. Polizei benachrichtigt, um durch ihre Präsenz mögliche Aktionen
zu verhindern.
Es musste allerdings festgestellt werden, dass zu diesem Zeitpunkt keine
Polizei anwesend war.
Als dann ab 19.50 Uhr der Besucherandrang zunahm, wurden vor dem
Eingangsbereich Transparente ausgerollt. Diese hatten folgende Aufschrift:
Vereintes Deutschland-doppelte Ausbeutung der Dritten Welt und das Dritte
Reich eroberte mit Waffen, das vereinte Deutschland mit der Hungerwaffe.
Ferner war auch das Hakenkreuz deutlich zu erkennen.
Anzumerken sei außerdem, dass sich unter den zwölf Personen am Eingangsbereich
auch vier Nicaraguaner befanden.
Da, wie bereits erwähnt, solche Vorfälle für die Botschaft nicht ganz
unerwartet kamen, bat uns der Botschafter zuvor, gelassen zu reagieren
und nicht-gewaltsame Aktionen zu ignorieren. Während dieser Aktionen
konnte zur gleichen Zeit festgestellt werden, dass die Zufahrt zum Veranstaltungsort (2–3 km)durch eine Unzahl von brennenden Autoreifen sehr
erschwert wurde. Das stellte natürlich eine erhebliche Gefahr für die anfahrenden
Gäste da, unter anderem auch für die Präsidentin Chamorro
und weitere Regierungsmitglieder.
Gegen 21:15 Uhr waren dann ohne größere Zwischenfälle etwa 2000
Gäste im Festsaal anwesend. Unter ihnen konnten von uns vierzig weitere
Personen beobachtet werden, die ebenfalls dem oberen Personenkreis zuzurechnen
waren. Sie standen als Gruppe im vorderen Bereich zum Podium
hin.
Als dann das Abspielen unserer Nationalhymne erfolgte, störten die genannten
Personen durch das Absingen sandinistischer Lieder.
Im Anschluss daran zogen sie ihre Jacken aus und es kamen T-Shirts mit
folgender Aufschrift zur Geltung:
Deutschland muss sterben, damit wir überleben können.
Als gegen 21.20 Uhr Botschafter Boomgaarden am Rednerpult stand
und seine Rede hielt, stürmte eine Frau (Dorothea S.) auf das Podium. Sie
versuchte, den Botschafter tätlich anzugreifen und ihn vom Rednerpult zu
drängen. Daraufhin überwältigte der BKA-Beamte R. Schanz die weibliche
Person und verbrachte sie in einen Nebenraum.
Als die weibliche Person von Regierungshauptsekretär Schanz überwältigt
wurde, versuchte eine männliche Person auf das Podium zu gelangen,
dieser wurde jedoch vom HOD-Beamten (Hausordnungsdienst) Günter
B. daran gehindert und abgedrängt. Der Botschafter blieb unverletzt und
seine Ansprache sowie die Rede der Präsidentin Chamorro konnten fortgesetzt
werden. Der Zwischenfall dauerte nur wenige Sekunden und ein
weiterer reibungsloser Verlauf konnte gewährleistet werden.
Während des Zwischenfalls waren folgende Personen auf dem Podium
anwesend:
• Präsidentin Chamorro
• Botschafter Boomgaarden und Ehefrau
• StV. Heinrich Haupt
• Nic. stellvertretender Außenminister
Im Anschluss an diese Aktion verständigte der anwesende Innenminister
persönlich die Polizei und ließ einige Personen außerhalb des Veranstaltungsraumes
festnehmen.
Wie zu erfahren war, hat die Regierung aufgrund eines Kabinettsbeschlusses
(auf Drängen der Präsidentin) die Festnahme bzw. Ausweisung
der Personen erwirkt. Die Begründung lautete: Störung der öffentlichen
Ordnung. Ferner wertete die Regierung das Verhalten als Affront gegen
das Staatsoberhaupt des Gastlandes. Frau Dorothea S. und Frau Marietta
Vervest wurden am 07.10.1990 nach Panama ausgewiesen. Die Herren
Schongart und Jung sind dagegen noch in Nicaragua, da sie beide eine
Nicaragua-Residenzerlaubnis besitzen und über ihren Verbleib noch entschieden
wird. Anzumerken sei ferner, dass die Personen nach Überwältigung
der Frau Dorothea S. lautstark Folgendes äußerten:
Dafür werden wir uns rächen, ihr werdet schon sehen wie.
Die wenig zuverlässige Presse bezeichnete diese Leute als der Anarcho-Szene zugehörig. Anschließend sollte erwähnt werden, dass es bekannt
sein dürfte, dass es in Nicaragua immer noch deutsche Extremisten bis hin
zu RAF- Sympathisanten gibt, deren Gefährlichkeit nicht zu unterschätzen
ist. Bitte um Überprüfung, inwieweit die genannten Personen der Szene
in der Bundesrepublik, vor allem in Berlin, zuzurechnen sind.
Pressemitteilung taz 1990
Turbulente Einheitsfeierlichkeiten
Dorothea Schulze war bei der großen Wiedervereinigungsfeier in der deutschen
Botschaft am 3. Oktober nach der Ansprache des Botschafters auf das
Podest gesprungen und hatte versucht, eine Protestbotschaft ins Mikrophon
zu brüllen. Die Niederländerin, die im Pressezentrum der Regierung in aller
Form akkreditiert ist, hatte die turbulenten Szenen fotografiert, Otmar Jung
hatte im Saal Flugblätter verteilt, Harald Schöngart hatte sich lediglich im
Umkreis einer Gruppe von Demonstranten aufgehalten, die vor dem Eingang
mit Transparenten Aufstellung genommen hatte. Beide waren bereits
auf dem Heimweg, als sich der nicht verabredete Zwischenfall ereignete. Sie
wurden zusammen mit der 25-jährigen Nicaraguanerin Enriqueta Jiron
von der Polizei aufgegriffen. Innenminister Hurtado ließ die polizeiliche
Untersuchung der Vorgänge abbrechen und erklärte die Ruhestörung zur
Staatsangelegenheit.
Ich legte den Brief zur Seite und fand mich an diesem Veranstaltungsort
wieder. Es waren keine Waffen im Spiel, doch die Sache hätte auch anders
ausgehen können.
Als die besagten Personen auf die Bühne stürmten und eine Aktivistin
versuchte, den Botschafter, der sich zu dieser Zeit am Rednerpult befand,
anzugreifen, erkannte ich die Lage sofort. Ich nahm die angreifende Person
in den Würgegriff, um die Sauerstoffzufuhr zu unterbinden, damit jede
anderweitige Aktion von ihr unterblieb.
Um die Situation im Überblick zu behalten, versuchte ich sie vom Podium
zu bringen, um so dem Fokus der Presse sowie der geladenen Gäste
zu entkommen. An der Rückseite der Bühne befand sich eine Tür, ich
öffnete sie und erschrak. Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass
der Raum bei dieser Veranstaltung als Umkleidekabine für die Tanzgruppe
des Abends diente. Da standen sie nun alle vor mir, ich mit der Person im
Würgegriff, die natürlich weiterhin versuchte zu schreien und sich zu wehren,
die halb nackten Mädels, die ebenfalls schrien, weil ich sie nun beim
Umkleiden störte. Nun, ich wollte die Situation bereinigen und übergab
die Störerin kurze Zeit später der eintreffenden örtlichen Polizei. Im Anschluss
daran begab ich mich auf direktem Weg zum Botschafter, um mir
einen erneuten Überblick über die Sachlage zu verschaffen. Ich war voller
Adrenalin, es hätte passieren können, was wolle, ich wäre vorbereitet gewesen.
Originalwidmung Georg Boomgaarden
»Lieber Herr Schanz,
es waren unruhige Zeiten, als ich im November 1989 – kurz nach
dem Mauerfall – in Managua eintraf. In Nicaragua standen Wahlen
bevor. Ob es wirklich freie Wahlen wurden, war noch nicht ganz klar.
In dieser unsicheren Lage war ein guter Personenschutz viel wert –
und ich hatte sofort Vertrauen in Rainer Schanz gefasst, der meine
Familie und mich gemeinsam mit dem ständigen Vertreter mit einem
gepanzerten Mercedes am Flughafen abholte. Wir hatten in der folgenden
Zeit täglich miteinander zu tun. Keiner meiner Schritte blieb
unbewacht. Allerdings kam es schon vor, dass ich mich einfach mal
aus dem Staub machte und spontan ohne Personenschutz an die
schöne Pazifikküste fuhr. Doch am Tag der Deutschen Einheit am
3. Oktober 1990 zeigte sich, dass es gute Gründe für den Schutz gab.
Aber darüber wird Rainer Schanz selbst berichten.«
Beste Grüße,
Ihr Georg Boomgaarden
PS:
Dazu aus meiner Sicht interessant: Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro
war für unsere Feier extra vorzeitig von der Vollversammlung der
Vereinten Nationen aus New York zurückgekehrt. Vier Extremisten (offenbar aus dem weiteren Sympathisanten-Umfeld der RAF) hatten sich
vor der Feier in der Küche des Centro Augusto Silva eingeschlichen. Eine
Frau (Niederländerin) stürzte auf die Bühne. Ich sah, wie meine Tochter
im Publikum unten blass wurde. Auf der Bühne saßen außer meiner Frau
und mir auch die Präsidentin, der Präsidialminister Lacayo und der Innenminister
(evtl. auch Vizepräsident Godoy?). Rainer Schanz bereinigte die
Lage. Die Frau in seinem festen Griff fing an zu kreischen. Kardinal Obando
y Bravo wandte sich an die junge Blaskapelle, die daraufhin einen Tusch
spielte. Hinter der Bühne machten sich junge Mädchen für ein Lambada-
Ballett fertig. Als Rainer Schanz die Tür öffnete, gab es dort ein erschrecktes
Kreischen. Die »Policía Sandinista« (wie sie immer noch hieß) war abwesend,
weil sie zur Trauerfeier des gerade verstorbenen Comandante
Núñez abkommandiert war. Als sie später kam, richtete sie nicht viel aus.
Dengue-Fieber
Dieser versuchte Angriff auf den Botschafter hatte zur Folge, dass unser Verhältnis
noch freundschaftlicher wurde. So kam es dazu, dass ich eine für
europäische Verhältnisse ziemlich ungewöhnliche Behandlungsmethode einer
ernsthaften Erkrankung kennenlernen durfte … aber der Reihe nach.
Im Januar 1991 befand sich der deutsche Botschafter mit seiner Familie
für einen längeren Zeitraum nicht in Nicaragua. Er bat mich, dass ich
während seiner Abwesenheit in der Residenz einzog, um sicherzustellen,
dass sich die Liegenschaft in guten Händen befand. Es war für mich eine
Selbstverständlichkeit und ich hätte niemals gewagt es abzulehnen. So zog
ich also im Januar 91 vorübergehend in die Residenz des Botschafters. Das
Haus war natürlich dem Titel und der Position des deutschen Vertreters
angemessen und repräsentativ sowie für viele Empfänge und Besuche bestens
geeignet. Ich fühlte mich sichtlich wohl und genoss es auch den ganzen Tag, dass zwei Hausdamen alles in Ordnung hielten und mich zudem
kulinarisch verwöhnten.
Es war Mitte Januar, als der zweite Golfkrieg ausbrach, und genau an
diesem Tag bekam ich sehr hohes Fieber. Ich sah noch die ersten Live-Bilder
auf CNN, aber es wurde immer schlimmer, sodass ich noch in derselben
Nacht nach den Hausdamen rief. Die Symptome, die ich zeigte, deuteten
die Frauen sofort als Dengue-Fieber. Das Dengue-Fieber ist eine
hochfieberhafte Viruserkrankung. Die Viren werden durch Stechmücken
auf den Menschen übertragen. Hauptverbreitungsgebiete sind die Tropen
und Subtropen, die Erkrankung kommt jedoch auch in anderen Regionen
vor und betraf jährlich rund 50 Millionen Menschen.
Da lag er nun, der große starke Rainer, ein wenig wimmernd und ich
hatte den Eindruck, dass sich die Hausdamen überhaupt keine Gedanken
machten, es war für sie wohl das Normalste auf der Welt. Sie versorgten
mich mit kühlen Wickeln für den Kopf und die Unterarme, es gab Wadenwickel
und sie sagten beiläufig, entweder überlebst du das oder nicht.
Wunderbar, dachte ich. Super. Ich konnte mich nicht mehr bewegen und
bekam es nun mit der Angst zu tun. Die Therapie der Damen war recht
simpel, ich musste drei Mal am Tag eine anderthalb Liter große Glaskaraffe
mit purem Limettensaft austrinken. Einige Tage später ging es mir
durchaus besser und ich kam wieder zu Kräften. Meine heutige Abneigung
gegenüber Zitronen und Limetten ist somit erklärbar und nicht zu hinterfragen.
Ich danke noch heute dem Ehepaar Boomgaarden, dass ich diese Ȋrztliche
Therapie« der einheimischen Hausdamen in ihrem Ehebett erfahren
durfte und wieder ganz gesund wurde.
Das blieb aber nicht das einzige Mal in Nicaragua, dass ich für ein paar
Momente um mein Überleben fürchten musste …
Skorpi
Vor meiner Ausreise nach Nicaragua und innerhalb der gesamten Vorbereitung
für diesen Auslandsaufenthalt hatte ich mich selbstverständlich
auch über die Tierwelt Mittelamerikas informiert. Mir war bewusst, dass
es dort Schlangen, Spinnen aller Art, Skorpione und weitere giftige Tiere
gab. Während des Aufenthaltes konnte ich mit einer Vielzahl der unterschiedlichsten
Lebewesen Bekanntschaft machen, da ich ihnen hin und
wieder bei mir im Haus, auf dem Grundstück oder unterwegs bei Ausflügen
begegnete. Meistens jedoch sorgte die gute Hausfee Orphelia dafür,
dass sich die ungebetenen Gäste nicht allzu lang in meinen vier Wänden
aufhielten. Ich war eigentlich ganz gut vorbereitet, denn ich hatte mir angewöhnt,
vorm Schlafengehen noch mal unters Bett zu schauen und morgens
nach dem Aufstehen in meine Schuhe zu sehen, bevor ich hineinschlüpfte.
Nachdem ein Gärtner in der Residenz des deutschen Botschafters
eine sehr schmerzhafte Begegnung mit einer giftigen Korallenotter gemacht
hatte, man nannte sie hier nur kurz Coral, war ich sehr sensibilisiert
und achtsam. Und doch, denn den 19. April 1991 sollte ich nicht so
schnell vergessen.
Ich übernachtete nach einem sehr schönen Abend im Haus einer
Freundin. Es war früh am Morgen, als ich das gemeinsame Bett schlaftrunken
verließ und in meine Schuhe schlüpfte, die nahe am Bett standen.
Ich bemerkte, dass beim Reinschlüpfen in den rechten Schuh irgendetwas
hinderlich war, und dachte zuerst an ein Steinchen oder ein
kleines Holzteil. Aber dann, in diesem Augenblick, stand ich wie versteinert
da, es schossen mir tausend Gedanken durch den Kopf, ich wurde
kreidebleich und zog in Sekundenschnelle den Fuß heraus. Ich hob
die Schuhe hoch, schüttelte sie und schlug mit den Absätzen gegen den
Boden, und es fiel ein zusammengerollter brauner Skorpion aus dem
rechten Schuh. Er stach mich zum Glück nicht, ich hielt inne, holte tief
Luft und bekam wieder etwas Farbe im Gesicht. Um einen erneuten Besuch auszuschließen, ging es ihm mit Insektenspray an den Kragen.
Skorpi, wie ich ihn taufte, tat mir natürlich trotzdem leid und ich versuchte,
sein Andenken zu wahren. Ich ließ ihn mit einer Injektion Formalin
präparieren. Diesen kleinen Kerl habe ich auch nach dreißig Jahren
immer noch bei mir.

Der Anschlag in Kabul 2007

Bei dem Gedanken an Managua blieb ich eine Weile, bis Monja mich aus
der Erinnerung riss. Wir besprachen das Abendessen, sie verabschiedete
sich und fuhr in unser Immobilienbüro. Meine seltenen freien Tage wollte
ich zu Hause verbringen, einfach nur ausruhen, vielleicht etwas im Garten
machen. Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer warf ich einen Blick auf
den Fernseher, der Sender gefiel mir nicht und so zappte ich weiter auf
einen Musik-Kanal. Bei schöner Mucke machte die sturmfreie Bude doppelt
so viel Spaß, doch als auf dem dritten Programm der erste Ton von
Karel Gotts »Biene Maja -Lied« erklang, breitete sich eine Gänsehaut auf
meinem ganzen Körper aus. Dieses Lied erinnert mich immer an meinen
Kumpel Jörg, der einem Anschlag der Taliban zum Opfer fiel. Ich musste
kurz durchatmen, denn die entsetzliche Geschichte hatte ich immer noch
nicht verdaut.
Er war ebenfalls seit vielen Jahren Sicherheitsbeamter für Frau Merkel
und Beamter des BKA. Eine bayerische Frohnatur mit kräftiger Figur und
jugendlichem Aussehen. Er stammte aus einem kleinen Ort in der Nähe
von Nürnberg.
Jörg war ein toller, immer gut gelaunter Mensch, den man gerne um
sich hatte. Und diesen Titelsong, der eben zu Ende ging, konnte er besser
als jeder andere imitieren. Er sorgte stets für Heiterkeit, das war wichtig,
wenn die Stimmung in der Truppe angespannt war. Solch einen lustigen
Vogel brauchte man einfach im Kommando.
Zur damaligen Zeit wurden natürlich alle Beamten, die für einen Auslandseinsatz
vorgesehen waren, durch verschiedene Lehrgänge ordnungsgemäß
und so gut wie nur irgend möglich seitens des BKA vorbereitet.
Ich entsinne mich noch an einen Tag, an dem wir uns im BKA-Gebäude
trafen. Ein Konferenz- oder Tagungsraum, spartanisch eingerichtet und
für meine Verhältnisse einfach zu hell.
Alle Lehrgangsteilnehmer, unter anderem Jörg, die für den bevorstehenden
Auslandseinsatz anwesend waren, sollten vom Erfahrungsschatz der
Kollegen, die schon im Einsatz an den Botschaften weltweit gewesen waren,
profitieren.
Die Erkenntnisse der jeweiligen Beamten, die aus verschiedenen Ländern
angereist waren, wurden an diesem Morgen den Lehrgangsteilnehmern
unterbreitet. Auch ich konnte einen Beitrag dazu leisten.
Jörg und meine Wenigkeit sahen uns vielleicht noch zwei- bis dreimal bei
diversen dienstlichen Einsätzen oder wir begegneten uns im BKA-Gebäude.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherungsgruppe begleiten
nicht nur zu schützende Personen, es umfasst viel mehr. Die Gefährdungsbewertung:
anlassbezogene oder wiederkehrende Analyse von Informationen.
Gefährdungsermittlungen: kriminalpolizeiliche Ermittlungen bei Bedrohung
von Schutzpersonen.
Unmittelbarer Personenschutz: z.B. Begleitung der Bundeskanzlerin,
auch ins Ausland.
Innenschutz: Schutz des Dienst- und Wohnsitzes des Bundespräsidenten.
Objektberatung: sicherheitstechnische Begutachtung der Wohn- und
Dienstgebäude der Schutzperson.
Schutz von Staatsgästen: in Zusammenarbeit mit den ausländischen
Personenschutzkräften.
Aus- und Fortbildung: Kontinuierliches Training, Selbstverteidigung,
Schießen, Teamübungen und Übungen mit anderen Behörden. Es gab immer
eine Menge zu tun, was nach außen hin niemand mitbekam.
Die Zeit verstrich, wir gingen wie gewöhnlich unseren Diensten nach,
die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Eine Monotonie im BKA
war so gut wie ausgeschlossen. Jeder Tag, jede Dienstreise oder Lehrgang
war immer anders. Ganz im Gegensatz zu den Beamten oder Angestellten,
die im Büro ihrem beruflichen Alltag nachgingen.
Und dann kam der Tag, mit dem alle Sicherheitsbeamten rechnen
mussten. Dass es an jenem Tage einen von uns treffen würde, war fast
nicht zu begreifen. Die Nachricht über das feige Attentat in Kabul schlug
beim BKA und bundesweit ein wie ein Blitzschlag. Auch mir lief es eiskalt
den Rücken herunter, denn an dem Tag, als ich von Jörgs Tod erfuhr, befand
ich mich auf Grönland, um den Arbeitsbesuch der Bundeskanzlerin
und des damaligen Umweltministers Sigmar Gabriel am nächsten Tag vorzubereiten.
Darauf werde ich in einem späteren Kapitel noch eingehen. Im
Rahmen ihrer Klimapolitik wollte Angela Merkel nach Grönland reisen,
dort wollte sie sich ein Bild von den Folgen der Erderwärmung machen.
Die gesamte Delegation, bestehend aus Bundeskanzleramt, Auswärtigem
Amt, Bundeskriminalamt sowie Bundespresseamt, waren zutiefst schockiert
und konnten es nicht fassen. Wie versteinert standen wir da, die
Uhr an der Wand hatte für uns aufgehört zu ticken.
Anlässlich der folgenden Sicherheitsbesprechung bat ich alle Teilnehmer,
auch die Mitarbeiter der deutschen Vertretung Kopenhagen, die
ebenfalls für die Durchführung des Kanzlerbesuchs verantwortlich waren,
sich von ihren Plätzen zu erheben. Eine Schweigeminute sollte folgen.
Es geschah auf dem Weg zum Sicherheitstraining in der Nähe des deutschen
Camps Warehouse im Osten Kabuls. Es lag rund zehn Kilometer
östlich vom Zentrum der afghanischen Hauptstadt. In dem früheren Industrielager
waren mehr als 1.500 Soldaten stationiert, die meisten von
ihnen kamen aus Kanada. Als »das beste Krankenhaus von Kabul« galt das
Feldlazarett des Camps unter Einheimischen. Häufiger schon seien Kranke
einfach vor den Toren abgelegt worden, um sie behandeln zu lassen,
hieß es bei der Bundeswehr. 20 Soldatinnen und Soldaten kochten in der
Feldküche der »Service-Stabskompanie« täglich 5.000 Portionen für die
Armeeangehörigen der verschiedenen Nationen. In Kabul waren insgesamt
6000 Soldaten der internationalen Schutztruppe ISAF stationiert.
Die Bundeswehr war mit 1.700 Soldaten präsent. Die International Security
Assistance Force (ISAF) war mit einem UN-Mandat ausgestattet und
sollte der afghanischen Übergangsregierung bei der Befriedung des zerrütteten
Landes helfen. Im Dezember 2002 beschloss der Bundestag, das
Mandat für die Schutztruppe in Kabul zu verlängern und das deutsche
Kontingent auf bis zu 2.500 Soldaten zu verstärken. Die ISAF sollte inzwischen
auch den Aufbau im Land begleiten. So sicherte sie die regionalen
Wiederaufbauteams (PRT), von denen eines im nördlichen Kundus
unter deutscher Federführung arbeitete. Bis zu 450 deutsche Soldaten sollten
in der nordafghanischen Provinz den wirtschaftlichen, politischen und
sozialen Wiederaufbauprozess unterstützen.
Die Beamten gerieten in einen Hinterhalt der Taliban.
Als ihr Wagen gegen 9.15 Uhr Ortszeit, an diesem Mittwoch den
15.08.2007, eine unsichtbare Sprengfalle passierte, zündeten Terroristen einen
Sprengsatz. Die ferngezündete Bombe explodierte unter dem Dienstwagen,
in dem Jörg und drei weitere Kollegen saßen. Sie waren abkommandiert
worden, um den Botschafter Hans-Ulrich Seidt zu bewachen.
Ich erinnerte mich, wie wir kurze Zeit vor seiner Abreise zum Auslandseinsatz
ein intensives Gespräch in Paris führten. Bei einer Dienstreise mit
der Bundeskanzlerin hatten wir die Möglichkeit, uns in einem typischen
französischen Café zu unterhalten. Da Jörg viel über meine dienstliche
Vergangenheit wusste, vor allem, dass ich bereits zwei Auslandseinsätze
über einen längeren Zeitraum hinter mir hatte, stellte er mir eine Menge
Fragen. Ich sah sein junges, interessiertes Gesicht vor mir und wie er zuhörte,
wenn ich ihm meine Erfahrungen schilderte.
In Afghanistan herrschte nicht erst seit dem Kampf gegen das Taliban-
Regime 2001 Krieg. In den vergangenen 40 Jahren wurde die halbe Bevölkerung vertrieben, ein Drittel floh ins Ausland, und mehr als eine
Million Menschen wurden bei Kämpfen getötet. In dieser Zeit gründeten
sich die radikalislamischen Taliban unter Mullah Omar im Süden
des Landes, in der Nähe Kandahars. Ihre Gründung wurde von Pakistan
und den USA finanziell und materiell unterstützt. Unter strenger Auslegung
der Scharia sorgten sie für Ordnung, wo es schon lange keine
mehr gab. Sie nahmen auch Jihadisten aus aller Welt in Afghanistan auf.
Zunächst wurden die Taliban vom Großteil der Bevölkerung Afghanistans
willkommen geheißen. Schnell marschierten sie voran und nahmen
bereits 1996 die Hauptstadt Kabul ein. Aber mit der Machtübernahme
der Taliban in Afghanistan begann für die Bevölkerung ein Schreckensregime,
das sie nahezu ins Mittelalter zurückwarf. Das Land geriet international
ins Abseits, Handel und Wirtschaft kamen zum Erliegen, und
die Bevölkerung litt unter Hunger und Krankheit. Zusätzlich hatten der
international gesuchte Top-Terrorist Osama Bin Laden und seine Terrororganisation
Al Qaida Unterschlupf in Afghanistan gefunden. Nach den
Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 wurde
das Land aufgefordert, Osama Bin Laden auszuliefern. Dem verweigerte
sich die Taliban-Regierung jedoch, und so wurde Afghanistan erneut
zum Kriegsschauplatz. Die USA erklärten Al Qaida und den Taliban den
Krieg und schickten ihre Armee nach Afghanistan. Den US-Soldaten
folgte kurze Zeit später auch die NATO, um den internationalen Terrorismus
zu bekämpfen und Afghanistan von der Herrschaft der Taliban zu
befreien.
In Kabul, so berichteten Augenzeugen, sei der Konvoi aus zwei deutschen
Geländewagen auf der Schotterstraße nach Dschalalabad im Osten
der Stadt unterwegs gewesen, als die Bombe explodierte. Die Einheimischen
nannten sie die Straße des Todes, denn da lauerten Taliban und Al-
Qaida-Terroristen. Wir nannten sie Dschalalabad Road. Genau dort lag
auch das deutsche Camp Warehouse. Jörg und zwei seiner Kollegen waren
auf der Stelle tot, der vierte Insasse wurde schwer verletzt. Heiko, der mit
einem weiteren Beamten in einem zweiten Wagen folgte, verließ zuvor die
Lehmpiste, um Unebenheiten auszuweichen. Ihr Glück.
Beide überlebten den Anschlag leicht verletzt, Heiko wurde mit einem
Knalltrauma in ein Lazarett gebracht.
Die drei Leichen brachte man mit Hubschraubern ins Bundeswehr-Camp. Trotz seines jungen Alters war Jörg erfahren. Jahrelang arbeitete er
schon als Personenschützer von Angela Merkel, auch zu einer Zeit, wo sie
noch Fraktionsvorsitzende der Union war. Im Dezember hätte er wieder in
das Kommando der Kanzlerin zurückkehren sollen. Da wurde nichts draus
und es macht mich heute noch traurig und fassungslos. Die Panzerung des
Mercedes hätte Handgranaten und Kalaschnikow-Dauerfeuer standgehalten,
doch nicht dieser tödlichen Wucht. Die gewaltige Detonation der
ferngezündeten Bombe warf den tonnenschweren Wagen wie einen Spielball
in die Luft, die Explosion zerfetzte die Front des Mercedes und drei
der Insassen. Offenkundig, so legten erste Ermittlungen nahe, hatten die
Täter einen besonders massiven Sprengsatz in der Mitte der Lehmpiste,
exakt zwischen den tiefen Fahrspuren, deponiert und sich in der Nähe auf
die Lauer gelegt. Dass ausgerechnet die deutschen Fahrzeuge kommen
würden, dürften die Attentäter nicht gewusst haben. Sie warteten mutmaßlich
auf militärische Besatzer und lösten die Bombe per Fernzündung
aus, als der mit deutschen Hoheitszeichen markierte Polizeikonvoi kam.
Nur zehn Minuten später passierten amerikanische Fahrzeuge den Ort
des Anschlags, besetzt mit Soldaten, die von dem Schießplatz nach absolviertem
Training zurück in ihre Unterkünfte fuhren. Sie wären mutmaßlich
Opfer des Attentats geworden, hätten die deutschen Polizisten, die
allesamt zum Bewachungspersonal der deutschen Botschaft in Kabul gehörten,
den Tatort nicht vor ihnen erreicht.
Ich rieb mir über das Gesicht und ging in die Küche, um auf andere Gedanken
zu kommen. Es gelang mir nicht und so zogen meine Erinnerungen an
Jörgs Tod weiter bis zum militärischen Teil des Flughafens Berlin Tegel.
Die sterblichen Überreste der Getöteten wurden mit einem Airbus der
Luftwaffe dorthin überführt.
Unser Kommando erhielt die Nachricht, wann mit dem Eintreffen des
Bundeswehr-Airbus zu rechnen war, und wurde im Zuge dessen darüber
informiert, dass wir Teil der militärischen Zeremonie sein sollten. Für die
Verstorbenen würden je sechs Beamte des Landes Baden-Württemberg,
der Bundespolizei und des Bundeskriminalamts die Särge mit ihren Kollegen
tragen und auf diesem Weg für das letzte Geleit sorgen.
Da wir als BKA-Bedienstete zivile Kleidung trugen, wollte ich an dem
Tag, zum Gedenken an Jörg, eine einheitliche Garderobe wählen. Wir entschieden
uns für schwarze Anzüge, denn die besaßen wir alle sechs, für passende
Krawatten sorgte ich, mir war wichtig, dass auch die stimmig waren.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit unterrichtete uns die Bundeswehr
in einem naheliegenden Hangar des Flughafens über den Ablauf der Zeremonie.
Die Durchführung und Umsetzung des einen Teils der Trauerfeier
oblag dann mir. Einerseits der Erfahrung wegen, auf der anderen Seite sah
ich es als ehrenvolle Verpflichtung Jörg gegenüber, mich dieser ungewohnten
Aufgabe zu stellen.
Wir begannen mit dem Probetragen dreier leerer Särge, die wir mit
Sandsäcken beschwerten, damit wir ein Gefühl dafür bekamen, wie schwer
das später sein würde. Achtzehn Mann staunten nicht schlecht, was das für
ein Gewicht war. Da die gesamte Feierlichkeit live von Presse, Funk und
Fernsehen übertragen wurde, übten wir in Formation zu gehen, mit
Gleichschritten und konstanten Bewegungsabläufen, ohne dass unsere
Stimmen laut wurden. Mit leisen, kurzen Zischlauten verständigten wir
uns, eine Art Code, den nur wir Männer an den Särgen verstanden und
hören konnten. Wir waren angespannt, mein Magen zog sich zusammen,
denn da war es: das Geräusch des ankommenden Airbus aus Kabul. Die
Luft vibrierte, ich legte meinen Kopf in den Nacken und sah hinauf in den
leicht bewölkten Himmel. So sinnlos, dachte ich und die einzige Träne, die
ich heute weinen durfte, gestattete ich mir jetzt.
Die weiße Maschine der Bundesrepublik Deutschland setzte zum Landeanflug
an, sie stoppte vor dem Hangar, die sterblichen Überreste unserer
Kollegen trafen ein. Mein Mund wurde staubtrocken und ich sah, dass es
den anderen Männern ähnlich erging. Die Frachtluke öffnete sich und irgendwie
schien ich plötzlich aus der Zeit gefallen zu sein. Die drei Särge
wurden vor dem Flugzeug aufgestellt und mit der bundesdeutschen Fahne
umhüllt.
Kurze Zeit später nahmen wir, unter Ausschluss der Öffentlichkeit,
Aufstellung zum Ehren-Spalier.
Der damalige Innenminister Schäuble sowie hochrangige Personen aus
Politik und anderen Instanzen waren zugegen, sie standen seitlich flankierend
am Flugfeld. Für einen Augenblick war es still, die Erde hörte auf,
sich zu drehen. Ich wusste ja, was nun kam, und ich wusste auch, dass ich
das niemals vergessen würde.
Die VIP-Busse mit den Familienangehörigen rollten wie in Zeitlupe auf
die Flugbahn. Sie hielten vor den Särgen, die Türen öffneten sich und die
Angehörigen gingen geschlossen auf den jeweiligen Sarg zu. Meine Gedanken
kreisten, denn da lagen nicht nur unsere Jungs drin, es waren Ehemänner,
Väter, Brüder und Onkel und sie hinterließen eine verdammt
große Lücke in vielen Leben. Es war für uns alle eine psychische Höchstleistung,
selber nicht zu weinen, sich die Tränen verdrücken zu müssen,
keinerlei Regung zu zeigen.
Wenn man sah, wie Kleinkinder weinend ihre Teddybären auf die Särge
setzten, ganz langsam, fast sanft. Die Frauen gestützt, fast zusammenbrechend,
legten ihre Blumen ab, zum Abschied, für immer. Das war für mich
eine der größten mentalen Herausforderungen, der ich mich zu diesem
Zeitpunkt stellen musste.
Presse-und Medienvertreter machten ihre Bilder und nachdem die Familien
sich verabschiedet hatten, wurden die Särge von uns im langsamen
Gleichschritt zu den Bestattungsfahrzeugen getragen. Ich sehe noch die
geöffnete Heckklappe, und eine Leere breitete sich in mir aus. Unser Code,
die Zischlaute, halfen uns dabei, die Särge in die Autos zu verfrachten. Sie
fuhren zu einem Aufbewahrungsort, um von dort den weiteren Transport
in die unterschiedlichen Heimatorte anzutreten.
Die VIP-Busse der Angehörigen wurden mit einer Eskorte zur Trauerfeier
in den Berliner Dom geleitet. Alle anderen Teilnehmer, wir eingeschlossen,
folgten dem Konvoi mit unseren Dienstfahrzeugen.
Die Bundeskanzlerin drückte in einem persönlichen Brief an Jörgs Eltern
ihr Mitgefühl aus, auf der Bestattungsfeier saß sie mit Wolfgang
Schäuble neben ihnen auf einer Bank. Zur Zeremonie erschienen über
eintausendfünfhundert Menschen, darunter viele ehemalige Kollegen der
Opfer. Es lag eine ruhige Anspannung in der Luft, als erst Schäuble und
dann der deutsche Botschafter in Kabul, Hans-Ulrich Seidt, die Abschiedsrede
hielten. Die Kanzlerin senkte bei den Worten den Kopf: Verehrte Frau
Bundeskanzlerin, ich weiß, dass er sehr gerne für Sie gearbeitet hat.
Meine Augen richteten sich auf die drei aufgestellten Bilder der Jungs,
ich nickte langsam und nahm so auf meine eigene Weise Abschied. Als
Berliner sagt man, er war ein dufter Typ; und immer, wenn ich an ihn
denke, bin ich sehr traurig, andererseits wütend über diesen erbärmlichen
Anschlag, der ihm das Leben genommen hatte. Unseren Mitarbeitern
war der Tod der drei Kollegen, insbesondere der von Jörg, spürbar
anzusehen. Es herrschte große Trauer und Anteilnahme auf allen Gängen
der Dienststelle, ich sah das Entfachen von Kerzenlichtern in einzelnen
Büros und ich schlug jedes Mal die Augen nieder, wenn ich ihr unstetes
Flackern sah.
Die eigentliche Beisetzung, bei der ausschließlich Familienangehörige,
Kollegen und Freunde zugegen waren, erfolgte eine Woche später, am
dreiundzwanzigsten August, in seinem Heimatort Leinburg im Landkreis
Nürnberg.
Weit mehr als eintausend Personen wohnten der Zeremonie bei, Anwohner
des Ortes säumten die Straßen, sie standen da, mit gesenkten
Schultern, viele weinten. Um die kleine Sankt-Leonhard-Kirche herum
versammelten sie sich, um ihre Anteilnahme zum Ausdruck zu bringen.
Unser Kommando traf hier im Vorfeld weitere Vorbereitungen, um
Jörg, seinen Eltern, dem Bruder und anderen Angehörigen an diesem Tag
den größtmöglichen Respekt zu zollen.
Wir besorgten uns das gerahmte Bild von Jörg, welches eine Woche
zuvor im Berliner Dom aufgestellt war.
Ich nutzte während meiner Anreise nach Leinburg Kontakte aus zurückliegenden
Einsätzen und zu Freunden und Kollegen des SEK Nord-Bayern. Wir benötigten Hilfe und ich bat sie, drei paar weiße Handschuhe
für uns zu besorgen. Manchmal sind es die Kleinigkeiten, die für mich
eine große Bedeutung haben, meiner Bitte wurde umgehend Folge geleistet,
mein Dank hierfür geht an Markus P.
Wir ließen uns die deutsche Fahne aushändigen, die Jörgs Sarg bei der
Ankunft auf dem Flugfeld Berlin Tegel geschmückt hatte. Nach amerikanischem
Muster wurde sie zu einem Dreieck zusammengefaltet, wir hatten
später vor, sie bei der Einlassung am Grab dem Vater zu übergeben.
Somit war nun sichergestellt, dass wir das Porträt von unserem Kollegen
sowie die deutsche Fahne ehrenvoll präsentieren konnten. Die Anteilnahme
war riesengroß und das Fassungsvermögen der beschaulichen Kirche
schnell ausgeschöpft. Nach der Andacht und den Reden folgte die Trauergemeinde
dem Sarg zur Beisetzung auf dem örtlichen Friedhof. Unmittelbar
hinter dem Sarg liefen wir, wir sein Kommando, mit dem Bild und der
Fahne, ehrenvoll präsentiert mit weißen Handschuhen, so wie er es verdient
hatte.
Nachdem die engsten Familienmitglieder nach der Einlassung seinen
Eltern kondoliert hatten, waren wir an der Reihe und mir war die Reihenfolge
sehr wichtig, denn ich wollte dem Vater mit einigen persönlichen
Worten meine Anteilnahme, ein wenig Trost aussprechen und ihm dann
die deutsche Flagge überreichen. Es war auch hier wieder einer dieser Momente,
die einem unter die Haut gingen. Ich schritt auf den gebrochenen