Der Mensch als Holobiont - Mikroben als Schlüssel zu einem neuen Verständnis von Leben und Gesundheit - Thomas C. G. Bosch - E-Book

Der Mensch als Holobiont - Mikroben als Schlüssel zu einem neuen Verständnis von Leben und Gesundheit E-Book

Thomas C. G. Bosch

0,0

Beschreibung

Alle lebendigen Organismen – auch der Mensch – können nicht alleine bestehen, sondern sind Holobionten oder Metaorganismen. Unzählige, gutartige Mikroorganismen besiedeln den gesamten Körper, die äußerst wichtige Funktionen übernehmen und ohne die kein Lebewesen existieren kann. Thomas Bosch zeigt in diesem Buch, wie die Forschung immer tiefer in das komplexe Zusammenwirken von Mikroben und Wirtskörper eindringt. Er zeigt auf, wie diese völlig neue Sicht auf den Menschen als Ökosystem nicht nur unser Verständnis von Lebensprozessen revolutioniert, sondern auch ganz neue Ansätze in der Therapie von chronischen Erkrankungen wie z.B. Darmentzündungen oder Krebs liefert. Eine veränderte Lebensweise, die auch unsere „Mitbewohner“ beachtet, erscheint als der neue Schlüssel zu langfristiger Gesundheit.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 122

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Natur und Wissen

Band 1

Thomas C. G. Bosch

Der Mensch als Holobiont

Mikroben als Schlüssel zu einem neuen Verständnis von Leben und Gesundheit

Mit freundlicher Unterstützung des SFB 1182

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2017 Verlag Ludwig

Holtenauer Straße 141

24118 Kiel

Tel.: 0431–85464

Fax: 0431–8058305

[email protected]

www.verlag-ludwig.de

Lektorat: Dr. Jennifer Lorenzen-Peth

Gestaltung und Satz: Hauke Heyen

Umschlaggestaltung: Selina Schnetger

ISBN 978-3-86935-325-8

ISBN Print-Ausgabe 978-3-86935-324-1

Vorbemerkung

Dieses Buch ist die schriftliche Fassung eines Vortrages, der im November 2016 an der Universität Konstanz als Paul Hemmerich Vorlesung gehalten wurde. Ich danke Axel Meyer für die Einladung nach Konstanz. Das große öffentliche Interesse am Thema hat mich bewogen, die in der Paul Hemmerich Vorlesung und vielen weiteren öffentlichen Vorträgen dargestellten Zusammenhänge in einem Büchlein zusammenzustellen, das für die interessierte deutschsprachige Öffentlichkeit gedacht ist.

Ich habe meine wissenschaftliche Laufbahn als Entwicklungsbiologe begonnen, der an der Evolution von Entwicklungsprozessen und insbesondere an Stammzellen in einfachen Organismen interessiert war. Daneben interessiere ich mich auch für die Herkunft unseres Immunsystems und suche nach dessen uralten Komponenten. Die Funktion des Immunsystems verstand ich dabei zunächst immer als Abwehrfunktion gegenüber möglichen Krankheitserregern. Diese Sicht sollte sich ab 2005 drastisch ändern. Schon während der ersten Versuche entdeckten wir auch in ganz einfachen Tieren eine enorme Komplexität des angeborenen Immunsystems und ungemein vielfältige Abwehrwerkzeuge.

Auf was wir allerdings nur sehr selten gestoßen sind, waren etwaige Krankheitserreger. Warum investieren die Zellen dann tagtäglich so viel in ein ausgeklügeltes Abwehrsystem, wenn die Gefahr doch eher selten, wenn überhaupt auftritt? Die Antwort zu dieser Frage gelang mit Hilfe einer modernen und sehr effektiven Methode, die es erlaubt, die Erbinformation eines jeden Organismus rasch und relativ kostengünstig zu entschlüsseln. Mit Hilfe dieser sogenannten »Sequenziertechnologie« entdeckten wir 2005 völlig überraschend in unserem vermeintlich gut bekannten Modellorganismus Hydra – wie in jedem anderen Organismus auch – neben den Tausenden von eigenen Zellen eine mindestens ebenso große Zahl an völlig harmlosen Mikroben. Jeder Organismus, einschließlich des Menschen, ist offenkundig multi-organismisch. Das war nicht nur eine Überraschung, sondern warf sofort die Vermutung auf, dass das Immunsystem zuallererst dazu dient, die vielfältigen Lebensgemeinschaften und zwischenartlichen Interaktionen in diesem »Meta-Organismus« aufrechtzuerhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt assoziierte ich Bakterien nur negativ mit Krankheit. Und auch in der medizinischen Mikrobiologie galt die Aufmerksamkeit für lange Zeit ganz den krankheitserregenden Bakterien und Infektionskrankheiten. Die Bedeutung der mit dem Wirt ständig assoziierten gutartigen Bakterien blieb weitgehend unerkannt. Heute wissen wir, dass sich alle vielzelligen Organismen von einfach gebauten Vielzellern bis zum Menschen aus einer Vielzahl von mikrobiellen und eukaryotischen Arten zusammensetzen, die sich während der Stammesgeschichte sehr wahrscheinlich auch zusammen entwickelt haben. Ein Entfernen der Bakteriengemeinschaft, eine Reduktion der Vielfalt der Bakterien und auch jede Störung der Kommunikation zwischen dem Wirtsorganismus und den Bakterien wird für das rapide Ansteigen von einer Fülle von komplexen, meist chronisch entzündlichen Erkrankungen verantwortlich gemacht. Auch Gesundheit und Krankheit müssen daher multi-organismisch betrachtet werden.

Zum Verstehen dieser Zusammenhänge haben viele beigetragen. Jens Schröder hat mich auf die Rolle der antibakteriellen Peptide aufmerksam gemacht und den Blick auf die Abwehrkräfte des Epithels geschärft. Sebastian Fraune kam als mikrobiologisch interessierter Doktorand ins entwicklungsbiologische Labor und entdeckte als Erster, dass unterschiedliche Tierarten mit einer stabilen Gemeinschaft von Mikroben kolonisiert sind. Rene Augustin, Sören Franzenburg und Katja Schröder waren an der Aufklärung der epithelialen Abwehr und der Analyse der Mikroben maßgeblich beteiligt. Anna Marei Böhm deckte den Zusammenhang zwischen FoxO und dem Mikrobiom auf. Meine Kollegin an der Universität in Hawaii, Margaret McFall-Ngai und ein von ihr organisiertes Treffen am National Evolutionary Synthesis Center in Durham trugen entscheidend dazu bei, den größeren Zusammenhang zu sehen. Mit David Miller entstand im vergangenen Jahr eine erste Synopse der neuen Erkenntnisse in einfachen Wirbellosen mit dem Buch »The Holobiont Imperative«.

Ich danke ferner meinen Kieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Friederike Anton-Erxleben, Peter Deines, Maria Frank, Eva Herbst, Alexander Klimovich, Tim Lachnit, Doris Willoweit-Ohl und Jörg Wittlieb für die langjährige Unterstützung. Ich bin der Deutschen Forschungsgemeinschaft dankbar für eine immer verlässliche Finanzierung meiner Arbeiten. Der besonderen Bedeutung des Themas wird an der Universität Kiel seit Beginn dieses Jahres in einem eigenen Sonderforschungsbereich Rechnung getragen: Der SFB 1182 (»Origin and Functions of Metaorganisms«) widmet sich dem Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen und hat diese Arbeit maßgeblich unterstützt. Ich danke Peter-Hansen Volkmann für die Einführung in eine ganzheitliche Betrachtung von Gesundheit und Krankheit. Ich danke Volker Rusch und der Old Herborn University Foundation für die Zusammenkünfte mit John Bienenstock, Peter Heidt, Dennis Lang, Tore Midtvedt, Pearay Ogra, Helena Tlaskalova-Hogenova, James Versalovic, Richard Walker und Michael Zasloff. Besonders schätze ich die Unterstützung durch das Canadian Institute for Adanced Research (CIFAR), das mir als Fellow die Möglichkeit gibt, in einem höchst anregendem interdisziplinären Denkraum mit den Mitgliedern des Human Microbiome Programmes ungestört den komplexen Problemen auf den Grund gehen zu können. Ich danke dabei insbesondere Martin Blaser, Maria Gloria Dominguez-Bello, Brett Finlay, Tamara Giles-Vernick, Margaret Lock, Sven Pettersson, Hendrik Poinar, Tobias Rees, Janette Rossant, Philippe Sansonetti und Eric Wieschaus für die vielen anregenden Begegnungen.

Das Büchlein entstand schließlich im Wesentlichen über den Wolken; ein besonderer Dank daher an LH492 und Alexandre Tharaud. Außerdem gilt mein Dank Christian Urban, der sich um die Fertigstellung kümmerte, dem interessierten Entgegenkommen des Verlegers Dr. Steve Ludwig sowie Dr. Jennifer Lorenzen-Peth für das sorgfältige Lektorat. Das Büchlein wäre nicht möglich gewesen ohne die stete und unentbehrliche Unterstützung meiner Frau Judith Ittner-Bosch.

Worum es geht:Der Körper als Lebensgemeinschaft

Dieses Büchlein soll zum Um- und Andersdenken anregen. Seit es Louis Pasteur Ende des 19. Jahrhunderts gelang, mit einer neuen Methode einzelne Bakterienstämme gezielt mit Krankheiten in Verbindung zu bringen, standen stets die krankheitserregenden Bakterien und die molekularen Wechselwirkungen zwischen dem Infektionserreger und dem Wirt im Fokus der mikrobiologischen Forschung. Und auch die Immunologen suchten nach Einblicken in das Abwehrsystem von Pflanze, Tier und Mensch immer mit dem Ziel, die Abwehrkräfte gegen Krankheitserreger einmal steigern zu können. Heute wissen wir, dass

alle unsere Körperoberflächen von Bakterien besiedelt sind; dass es zwischen unseren Organen wie der Haut, der Mundhöhle, dem Darm und auch dem Gehirn eine enge zelluläre und molekulare Verbindung zu den besiedelnden Mikroben gibt;die allermeisten der uns besiedelnden Mikroben keine Krankheitserreger sind, sondern dass wir sie für unsere Entwicklung und auch zum Schutz vor möglichen infektiösen Erregern brauchen;Organismen immer multi-organismisch sind und es im engeren Sinn keine Individuen gibt, die für sich alleine bestehen können;wir nur als Ökosystem existieren in einer evolutionären Partnerschaft mit Mikroben – undwir uns daher besser als Metaorganismus oder Holobiont betrachten müssen.

In diesem Buch schildere ich unseren Ansatz der Metaorganismus-Forschung an der Universität zu Kiel und das Bemühen, herauszufinden, wie sich Organismen gemeinsam mit ihren besiedelnden Kleinstlebewesen im Laufe der Evolution zu multiorganismischen Einheiten, die wir als Metaorganismen bezeichnen, entwickelt haben.

Auf den ersten Blick mag diese Thematik ziemlich wissenschafts-theoretisch und »akademisch« anmuten. Bei näherer und grundsätzlicher Betrachtung entfaltet sich jedoch die ganze Bri­sanz, die große Praxisrelevanz und Aktualität der Beobachtungen. Die durchaus revolutionäre Betrachtung von Lebewesen und Mikroben als funktionelle Einheit wird in Zukunft die Grenzen von Biologie und Medizin verschieben. Dank neuer Technologien und Zugriffe auf Gewebe und Körper ergeben sich Erkenntnisse, die auch unsere althergebrachten Gedankengebäude zur Evolutionstheorie ins Wanken bringen könnten. Und wenn in der Therapie diese Erkenntnisse bisher auch noch nicht wirklich angekommen sind, so ist doch klar, dass sie das Potenzial haben, fundamentale Fortschritte in der Behandlung schwerwiegender chronisch entzündlicher »Zivilisations«-Krankheiten zu ermöglichen.

Bakterien besiedeln in großer Zahl und Vielfalt ungefähr vier Milliarden Jahre länger die Erde als der Mensch. 37 Prozent der menschlichen Erbsubstanz können auf bakterielle Vorfahren zurückgeführt werden; sie sind uralter Teil unseres Selbstseins. Weniger als 200 Bakterienarten gelten dabei gemeinhin als ausschließlich krankheitserregend. Das heißt, die überwältigende Mehrheit, die Abermillionen von verschiedenen Bakterienarten waren lange vor unserer Zeit da und sind überwiegend gutartig. Dennoch hat sich die Wissenschaft seit 150 Jahren vor allem auf Bakterien als Krankheitskeime fokussiert. Ohne den Verdienst von Bakteriologie, Mikrobiologie, Immunologie und Pathologie schmälern zu wollen, scheint es heute an der Zeit, sich auch mit der Regel, also den gutartigen Mikroben, zu beschäftigen.

Ich werde hier deutlich machen, dass immer genauere Kenntnisse über die komplexen Interaktionen von Organismen und Mikroben eine Neudefinition der Biologie und ihrer Disziplingrenzen erfordern. In einem Spektrum vom Zusammenleben in gemeinsamen Ökosystemen bis hin zu engen Kooperationen in Symbiosen kann tierisches und menschliches Leben demzufolge nicht mehr in den Grenzen einzelner Arten betrachtet werden. Jeder Organismus erzählt damit nicht nur von sich selbst, sondern auch von dem Milieu, mit dem er ursprünglich verbunden war und möglicherweise noch ist; und von anderen Organismen, mit denen er vielleicht schon seit Millionen von Jahren eng zusammenlebt. Jedes Gewebe spricht von vielfältigen Interaktionen und Kommunikationswegen mit der Nachbarschaft. Jede Zelle erzählt nicht nur von den Zufällen ihrer Bestimmung, sondern auch von ihrem Standort und den Wegweisern, die sie bereits passiert hat. Und jedes Gen weist auf die komplexen Netzwerke hin, in die es eingebunden ist.

Die Metaorganismus-Perspektive erlaubt es den Forschenden, komplexe Gemeinschaften von Lebewesen, Umwelt und Mikroorganismen als funktionelle Einheiten zu betrachten. Am Beispiel ursprünglicher Lebewesen wie Süßwasserpolypen oder Korallen lernen wir, wie sich im Zuge gegenseitiger Anpassung über Millionen von Jahren die Beziehungen von Organismen und Bakterien herausgebildet haben. Diese Interaktionen von Geweben und Organen und den sie besiedelnden Bakterien stehen im Mittelpunkt eines neuen Verständnisses, wie alle Lebewesen mit ihrer Umwelt in Kontakt stehen und wie sie ihre Lebensfunktionen regulieren.

Insgesamt gibt es im menschlichen Körper etwas mehr Bakterien und deutlich mehr Viren als körpereigene Zellen. Alle Oberflächen unseres Körpers, die Haut, der Darm, die Atemwege, die Lunge, sind von einem stabilen Mikrobiom besiedelt. Wir können diese Mikroben mit bloßem Auge nicht sehen. Erst neue Technologien zur Analyse der Erbinformation, Sequenzierapparate als moderne Teleskope, das Anzüchten von Bakterien auf Spezialnährmedien und innovative Visualisierungsmethoden, aber auch eine erhöhte Interdisziplinarität in der Forschung haben das Unsichtbare kenntlich gemacht und dazu geführt, dass die in und auf unseren Geweben wachsenden Mikroben erkannt und identifiziert werden können. Heute lässt sich jedes Bakterium auf der Oberfläche des menschlichen Körpers beschreiben und damit hinterlässt jeder Mensch auch einen mikrobiellen Fingerprint, der nachverfolgbar macht, wo er sich befunden hat – diese Erkenntnis lässt sich heute nicht zuletzt auch kriminalistisch nutzen. Das Mikrobiom oder mindestens wichtige Teile davon scheinen nach neuesten Erkenntnissen sogar vererbbar zu sein. Hier wird deutlich, dass sich Organismen nicht auseinanderdividieren und unterschiedlichen Wissenschaften zuordnen lassen. Wir sehen den Menschen daher als Ökosystem und Lebensgemeinschaft. Wird diese höchst komplex aufgebaute und nach strengen Regeln funktionierende Gemeinschaft gestört, so kommt es zu komplexen und chronischen Erkrankungen.

In 15 Kapiteln erläutere ich eine Reihe von multi-organismischen Aspekten des Lebens und biete Einblicke in die Grundlagen dieser neuen Biologie; von den evolutionären Ursprüngen mikrobiellen und vielzelligen Lebens über die Prozesse der Artbildung bis hin zur Rolle der Symbionten darin. Im Kern der Betrachtung steht immer das Zusammenspiel von Wirts-Organismus und Mikroben als bestimmende Kraft in der Entwicklung und Funktion aller Lebewesen. In kompakter Form stellt diese Abhandlung so die Grundzüge eines neuartigen Forschungsfeldes von wachsender Bedeutung unter anderem für die Immunbiologie, Mikrobiologie, Ökologie, Evolutionsbiologie und evolutionäre Medizin dar. Es soll den interessierten Leser erreichen und ihn zum Nachdenken anregen. Ein Glossar, das die unvermeidlichen Fachbegriffe verständlich erklärt, sowie ein ausführliches Literaturverzeichnis finden sich am Ende des Buches.

1 Was ist Leben?Zellen sind mehr als nur kleine Turing-Maschinen

»Was ist Leben?«, fragte der Physiker Erwin Schrödinger in einer populärwissenschaftlichen Abhandlung, die 1948 veröffentlicht wurde. Er legt darin dar, dass Regeln und Konzepte der Physik und Chemie ausreichen, um komplexe räumliche und zeitliche Ereignisse, die innerhalb eines lebenden Organismus und auch in einer einzigen Zelle stattfinden, zu erklären. Er lenkte in dieser wichtigen Arbeit die Aufmerksamkeit auf ein sehr allgemeines Prinzip, welches unserer naturwissenschaftlichen Denkweise zugrunde liegt: das Prinzip der Verständlichkeit der Natur. Die Natur und damit das Leben kann verstanden werden. In dem Buch führte Schrödinger die Idee eines »aperiodischen Kristalls« ein, in dem die genetische Information in der Konfiguration der kovalenten Bindungen enthalten ist. In den 1950er Jahren stimulierte diese Idee die Begeisterung der Forscher für die Suche nach der chemischen Natur der Erbinformation.

Was also ist Leben? Peter Hemmerich charakterisiert »Leben« und den Begriff des »Lebendigen« in seiner Antrittsvorlesung »Anorganische Aspekte des Lebens« 1968 an der Universität Konstanz mit zwei Merkmalen: Selbsterhaltung und Selbstvermehrung. Die Natur des Lebendigen kann damit nach Hemmerich verstanden werden, wenn wir die Regeln und Prinzipien verstehen, die für Selbsterhaltung und Selbstvermehrung verantwortlich sind.

Natürlich reicht das für eine befriedigende Annäherung an das Phänomen »Was ist Leben« nicht aus und wird der Komplexität der Frage auch nicht gerecht. Alles Lebendige besteht aus Zellen (Abbildung 1). »Rücken wir bis an die letzten Grenzen vor, an denen es noch Elemente mit dem Charakter der Totalität oder wenn man will, der Einheit gibt, so bleiben wir bei den Zellen stehen. ... Ich kann nicht anders sagen, als dass sie die vitalen Elemente sind, aus denen sich die Gewebe, die Organe, die Systeme, das ganze Individuum zusammensetzen.« Mit diesen Worten wies Rudolf Virchow bereits 1855 in seinem berühmten Artikel über »Cellular-Pathologie« auf die zentrale Rolle der Zellen in gesundem Gewebe wie bei Krankheitsprozessen hin. Die »Cellular Pathologie« war Virchows erste Publikation über ein Thema, das die folgenden 50 Jahre nicht nur sein Denken beherrschte, sondern auch theoretischer Mittelpunkt der naturwissenschaftlichen Medizin wurde.

Abbildung 1 Alle Lebewesen sind aus Zellen aufgebaut. A) Vereinfachtes Schema einer eukaryotischen Zelle B) Tierisches Gewebe mit proliferierenden Zellen. Auf der rechten Seite des Bildes mittig ist eine Zelle mit einsetzender Zellteilung dargestellt.

Die Zelle ist der Grundbaustein sämtlicher Organismen und damit Ausgangspunkt jedes Lebewesens auf dem Planeten Erde. Diese kleinste, selbstständig lebende Einheit bewältigt tagtäglich Aufgaben von immenser Komplexität. Der ausgewachsene menschliche Körper setzt sich aus rund 75 Billionen Zellen zusammen. Eine durchschnittliche menschliche Zelle hat einen Durchmesser von in etwa 25 Mikrometern und ist damit für das bloße menschliche Auge nicht sichtbar. Insgesamt unterscheidet man zwischen mehr als 200 verschiedenen Zelltypen im menschlichen Körper, die alle denselben Grundbauplan haben, die sich aber – je nach Aufgabe – wesentlich voneinander unterscheiden. So gibt es beispielsweise Nervenzellen, Blutzellen, Muskelzellen, Gehirnzellen, Drüsenzellen und so weiter.