Der Milliardär und der Mechaniker - Julian Guthrie - E-Book

Der Milliardär und der Mechaniker E-Book

Julian Guthrie

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Beschreibung

Der America's Cup, erstmals 1851 ausgelobt, ist die älteste internationale Sporttrophäe – und bis heute heiß begehrt. Bis auf einen Schweizer "Ausrutscher" waren es in den letzten Jahrzehnten vor allem die Neuseeländer, die eine Art Daueranspruch auf den Pokal des America's Cup anmeldeten. Bis ... ja, bis Larry Ellison, milliardenschwerer Mitbegründer und Geschäftsführer des Softwareimperiums Oracle, sich im Jahr 2000 entschloss, die Trophäe nach Amerika zurückzuholen – und sich der Hilfe von Norbert Bajurin, eines Automechanikers und Commodore des Golden Gate Yacht Clubs, versicherte. Was die beiden ungleichen Partner auf die Beine stellten, um im Jahr 2010 den America's Cup in die USA zurückzuholen und schließlich im nervenzerfetzenden Finale 2013 unter völlig neuen Regeln zu verteidigen, ist das, was man gemeinhin als "ganz großes Kino" bezeichnet. Julian Guthrie, Journalistin des "San Francisco Chronicle", hat Hintergründe, Rivalitäten, Leidenschaft und Wissen um den Segelsport, also all jene Dinge, die Larry Ellison und Norbert Bajurin antreiben, gekonnt und hochspannend zusammengetragen.

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Julian Guthrie

DERMILLIARDÄRUND DERMECHANIKER

Wie Oracle-Chef Larry Ellison den

AMERICA’S CUP

gewann und warum er den AutomechanikerNorbert Bajurin dazu brauchte

 

 

 

 

 

 

 

Delius Klasing Verlag

Für Larry und Norbert

 

 

 

Copyright © by Julian Guthriewww.julianguthriesf.comDie amerikanische Originalausgabe mit dem Titel»The Billionaire and the Mechanic«wurde 2013 vom Verlag Grove Press, einem Tochterverlag von Gove/Atlantic Inc., New York, herausgegeben.

 

1. AuflageDie Rechte für die deutsche Ausgabe liegen beim VerlagDelius, Klasing & Co. KG, Bielefeld

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:ISBN 978-3-7688-3779-8 (Print)ISBN 978-3-7688-8267-5 (E-Book)ISBN 978-3-7688-8454-9 (E-Pub)

Aus dem Amerikanischen von Tatjana Pokorny und Dieter LoibnerLektorat: Birgit RadeboldSchutzumschlagfotos: vorn: picture alliance/AP Photo/Jeff Chiu;hinten: ACEA/Gilles Martin-RagetSchutzumschlaggestaltung: Buchholz.Graphiker, HamburgSatz: Axel Gerber

Datenkonvertierung E-Book: HGV Hanseatische Gesellschaft fürVerlagsservice, München

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnisdes Verlages darf das Werk, auch Teile daraus,nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

www.delius-klasing.de

Inhalt

Teil I

Südpolarmeer zwischen Australien und Tasmanien – Dezember 1998

Reparaturwerkstatt für Kfz-Kühler und -Klimaanlagen in San Francisco – Herbst 1999

Antigua – Mai 2000

Yachthafen von San Francisco – Frühjahr 2000

Woodside/Kalifornien – Frühlingsbeginn 2000

St. Francis Yacht Club – Sommer 2000

Golden Gate Yacht Club – Januar 2001

Golden Gate Yacht Club – Februar 2001

Teil II

In den Bergen von Santa Barbara – Sommer 2001

Atherton/Kalifornien – September 2001

Von San Francisco nach Neuseeland – Herbst 2001

Oracle Basiscamp Auckland in Neuseeland – Winter 2002

Redwood Shores/Kalifornien – Frühjahr 2002

In der Bucht von San Francisco – September 2003

Newport/Rhode Island – Juni 2004

Valencia/Spanien – Anfang 2006

South of Market/San Francisco – Frühling 2006

Valencia/Spanien – Frühjahr 2007

Teil III

Woodside/Kalifornien – Frühsommer 2007

Woodside/Kalifornien – Sommer 2007

Von Bangkok, Thailand, nach Cagliari, Italien – November 2008 bis Frühjahr 2008

Anacortes/Washington – August 2008

San Diego/Kalifornien – Frühjahr 2009

Valencia/Spanien – Februar 2010

Von Valencia nach San Francisco – Februar 2010

Rancho Mirage/Kalifornien – März 2010

Moscone Center/San Francisco – Herbst 2011

Alouis Radiators/San Francisco – Herbst 2011

Stanford University/Kalifornien – Herbst 2011

Teil IV

In der Bucht von San Francisco – Sommer 2012 bis Sommer 2013

Der 34. America’s Cup – ein mehr als holpriger Start – September 2013

Das Comeback – 19. bis 25. September

Anhang

Die Rennen um den America’s Cup

Nachwort der Autorin

Danksagung

Teil I

»Alle Menschen träumen, nur nicht gleich.«T. E. Lawrence

Südpolarmeer Zwischen Australien und TasmanienDezember 1998

Schnittig, schneeweiß und sensationell schön: So segelte die SAYONARA dem Südpolarmeer entgegen. Sie befand sich in einem Revier, das die Antarktis umfließt und für seine tückischen Wellenberge berühmt-berüchtigt ist. Am Steuer seiner 82 Fuß langen und 25 Tonnen schweren Yacht segelte Larry Ellison mit über 25 Knoten vor dem Wind. Er spürte die nasse Luft auf seinem Gesicht und konnte sehen, wie die Feuchtigkeit gegen das massive Großsegel und den Spinnaker schlug. Larry staunte: »Sogar SAYONARA ist nicht dafür geschaffen, so schnell zu segeln.« Seine Yacht begann abzuheben, ihr Bug hob sich, und ihr Heck schöpfte dem Wasser seine Gischt ab. Für diesen Winkel zum Wind war die Kohlefaser-Rakete nicht konstruiert worden. Und hatte ihn nie zuvor erlebt. Irgendetwas stimmte nicht.

In seinem roten Ölzeug, die graue SAYONARA-Kappe auf dem Kopf, schaute Larry Ellison Brad Butterworth an, einen Neuseeländer mit freundlichem Lächeln, dichtem Haar und einer beeindruckenden Sammlung bedeutender Trophäen. »SAYONARA hebt doch nicht wirklich ab«, sagte Larry ungläubig, »es ist großartig, so schnell zu segeln, aber es ist unwirklich.« Vor zwölf Stunden waren sie in eine der anspruchsvollsten Langstreckenregatten gestartet. So schnell, dass sie bereits an dem Punkt waren, den der amtierende Rekordhalter erst nach 24 Stunden erreicht hatte.

Larry und sein 22-köpfiges Segelteam, ein »Who’s who« der internationalen Profiszene und Ansammlung prominenter Segler inklusive Rupert Murdochs Sohn Lachlan, hatte den Hafen von Sydney am Samstagnachmittag, dem 26. Dezember, mit Kurs auf Hobart verlassen. In Australien herrschte Hochsommer. Glitzernd beschien die Sonne Hunderttausende von Zuschauern, die entlang der australischen Küste dem Start des 55. Sydney–Hobart-Rennens zusahen. Mit ihrem blütenweißen Spinnaker und dem Kennzeichen der roten japanischen Sonne – Larrys Design – eroberte SAYONARA früh die Führung im 624 Seemeilen langen Klassiker durch die Tasmanische See.

Larry, 55-jähriger Mitgründer und CEO der Oracle Corporation und etwa 30-facher Milliardär, hatte das Rennen 1995 gewonnen und SAYONARA seitdem mehr als dreimal hintereinander zum Weltmeisterschaftssieg in der Maxi-Klasse gesteuert. Nun wollte er herausfinden, wie viel besser er als Segler in den vergangenen drei Jahren geworden war. »Es wird ein interessanter Test werden«, hatte er sich selbst mit Blick auf sein zweites Sydney-Hobart-Rennen gesagt. Im Sport war eine Klarheit zu finden, die man in der Geschäftswelt so nicht haben konnte. Mit Oracle wollte er immer noch seine Rivalen IBM und Microsoft schlagen, doch das Geschäftsleben glich einem nie endenden Marathon.

Nach jedem abgelaufenen Quartal kam ein neues. Im Sport dagegen gibt es Signaltöne. Dann läuft die Zeit ab. Quarterback Joe Montana, der noch 58 Sekunden Zeit übrig hat, spielt einen hohen Pass ganz weit nach hinten in die Endzone, und Dwight Clarks Fingerspitzen strecken sich zum Fangen – Touchdown. Sie gewinnen die NFC-Meisterschaft gegen die Dallas Cowboys. Muhammad Ali muss sieben Runden schwere Schläge des jüngeren und stärkeren George Forman einstecken, bevor er ihn in der achten Runde k. o. schlägt und den Weltmeistertitel in der Schwergewichtsklasse zurückgewinnt. Basketball-Legende Michael Jordan gelingt mit dem Schlusspfiff der letzte Sprungwurf gegen Utah Jazz. Er gewinnt damit seine sechste Meisterschaft. Das Spiel ist vorbei. Der Sieger steht fest. Alles eindeutig.

Am frühen Sonntagmorgen des 27. Dezember – es ist der zweite Tag des Rennens – raste SAYONARA mit Kurs auf den südöstlichen Zipfel Australiens dahin. Die Wellen auf der offenen See wurden immer größer und gewaltiger, weil sie hier von keiner Landmasse beeinträchtigt werden können. Auch der Wind hatte kontinuierlich zugenommen. Die Böen erreichten inzwischen eine Stärke von 45 Knoten (etwa 85 km/h), und der Himmel hatte sich verdüstert. Vor dem Rennen hatte der Australische Wetterdienst eine Sturmwarnung herausgegeben. Die Segler wussten, dass es rau werden könnte. Doch Larry und die meisten seiner Männer an Bord hatten 1995 ähnliche Winde abgewettert.

SAYONARA näherte sich der Bass Strait, jenem Gewässer, das Australien und Tasmanien voneinander trennt und dessen flacher Meeresboden hohen Wellengang und Brandung wie an einem Surfstrand verursacht. Plötzlich wurde SAYONARA von einer 50-Knoten-Böe beschleunigt. Larry steuerte einen tieferen Winkel vor dem Wind, um Druck aus den Segeln und vom Rigg zu nehmen. Doch es war zu spät. Der riesige Spinnaker mit der aufgedruckten japanischen Flagge zerriss wie ein Baumwolltuch. Während der Wind weiter zunahm und immer schwieriger vorherzusagen war, kam der Befehl, den stärksten Spinnaker zu setzen, der sich an Bord befand. Sein Spitzname: der Mini. »Das Segel ist unzerstörbar«, sagte Larry zuversichtlich, während SAYONARAS Bug die weißen Gischtberge durchschnitt. Unter Stress agiert der draufgängerische Milliardär hoch konzentriert. Er hatte schon Kunstfliegerei aus Spaß betrieben und in Stürmen vor Hawaii gesegelt. Er hatte sich einmal das Genick gebrochen und wäre beinahe zum Paraplegiker geworden. Und er hatte Oracle mehr als einmal vom Abgrund des Bankrotts zurückgesteuert. Er war der fünftreichste Mann der Welt. Und das nur zwei Jahrzehnte nach der Beinahe-Zwangsversteigerung seines eigenen Hauses, als er die Rechnungen für Wasser und Strom nicht mehr hatte bezahlen können. Seine Hobbys, so hat er es selbst einmal ausgedrückt, waren eine konstante Suche nach alternativer Spannung. An Bord der SAYONARA hatte er jetzt das gleiche Gefühl. Als hätte er gerade seinen italienischen Marchetti-Kampfjet auf der knapp 800 Meter kurzen Landebahn des kleinen Flughafens von San Carlos in der Region der Bucht gelandet: Sein Verstand fokussierte sich, zwang ihn in die Gegenwart. Sein Freund Steve Jobs hatte ihm einmal gesagt, dass die Landung eines Jets auf einer so kurzen Landebahn nicht möglich sei.

SAYONARA segelte an diesem Sonntagmorgen auf direktem südlichen Kurs und wurde gerade wieder heftig von einer massiven Böe angeschoben, als das Unmögliche geschah: Das unzerstörbare Segel versagte. Der Bronzebeschlag des Spinnakerbaums, der mit seinem soliden Gewinde etwa einen halben Meter tief in dem Kohlefaserrohr sitzt, war herausgerissen, und der Mini, der Sturmspinnaker, flatterte wie lose Wäsche im Wind. Mit beiden Händen am Steuer fragte sich Larry: »Was für eine Kraft ist das, die so etwas anrichtet?«

SAYONARA erreichte nun die 300 Kilometer lange und doppelt so breite Meerenge der Bass Strait, ruppig wie der Englische Kanal. Wie das Bermuda Dreieck hat auch die Bass Strait einen mystischen Ruf, trägt den Spitznamen »Schwarzes Loch«. Es ist ein Revier, in dem Schiffe verloren gingen oder sich in Wracks verwandelten. Und wo Boote wie Zweige zerbrachen. Die stürmischen Winde nahmen abrupt ab, und die Windrichtung änderte sich im Uhrzeigersinn von Rückenwind auf Wind direkt von vorn. Der Sturm schien sich zu verflüchtigen, der Wind beruhigte sich auf weniger als zehn Knoten. Butterworth, Larry und SAYONARAS 34-jähriger Projektmanager Bill Erkelens debattierten darüber, ob sie das große, schwere Vorsegel wieder hochziehen sollten. Larry war dafür, aber Butterworth wollte warten und SAYONARA durch die Übergangszone, also jenes Revier, in dem sich die nördlichen Winde in scheinbar milde südliche verwandeln, nur unter Großsegel manövrieren. Sie warteten zehn Minuten, bis Larry sicher war, dass sie den schlimmsten Bereich der Sturmfront passiert hatten. Er ließ das Vorsegel setzen, übergab das Steuer Butterworth und ging zur Navigationsecke im hinteren Teil des Bootes. Er glitt durch die Luke nach unten und nahm auf einer gepolsterten Bank Platz. Er schaute auf die beiden nebeneinander platzierten Laptops und die Instrumentenanzeige, wärmte sich die Hände und erwartete die Anzeige der Satellitenbilder auf den Bildschirmen. Als das erste der Bilder den Bildschirm füllte, weiteten sich seine Augen. »Hast du schon jemals etwas wie das hier gesehen?«, fragte er.

Mark Rüdiger, SAYONARAS Navigator und Gewinner des gerade erst zu Ende gegangenen Whitbread Round the World Race, studierte die milchige Darstellung und schüttelte langsam den Kopf. Während er auf die wirbelnde, schäumende zyklonale Wolke mit einem Pluszeichen in ihrem Zentrum blickte, beantwortete Larry seine eigene Frage: »Nun, ich schon. Das war in den Wetternachrichten. Und sie haben es Orkan genannt. Das Pluszeichen sind wir. Wir sind im Auge eines beschissenen Orkans.«

Oben an Deck hörte Larry Butterworth’ Salve gebrüllter Kommandos. »Es wird hart, Jungs! An alle: Das Vorsegel muss sofort runter! Jetzt!« Der Wind brauchte etwa zwei Minuten, um sich von unter zehn auf über 30 Knoten zu steigern. Fünf Minuten später waren daraus stramme 50 Knoten geworden. Nun befanden sie sich in einer wesentlich schlechteren Situation als zuvor. SAYONARA segelte mit einer Geschwindigkeit von zehn Knoten in den Wind statt mit nahezu 20 Knoten mit dem Wind. Die Geschwindigkeit des scheinbaren Windes über Deck hatte auf 60 Knoten zugenommen, und das Boot neigte sich in einem 40-Grad-Winkel auf die Seite. Plötzlich war es sehr schwer und gefährlich geworden, sich an Deck zu bewegen.

Einer nach dem anderen verschwanden die Männer unter Deck, holten sich ihre Lifebelts, krabbelten durch die Luke zurück an Deck und hakten sich ein, um nicht über Bord geblasen zu werden. Wer sich an Bord bewegen musste, der hatte immer eine der beiden mit dem Gurt am Körper verbundenen Leinen aus- und am nächsten möglichen »Festmacher« wieder einzuhaken. Und so fort. Es war ein langsamer, methodischer Prozess, ähnlich dem der Bergsteiger.

Chris Dickson, damals SAYONARAS Skipper und damit auf See verantwortlich für das Boot und die Crew und einer der weltbesten Segler mit dem Image einer notorisch schwierigen Führungsfigur, schrie die Männer an. Bevor sie Sydney verlassen hatten, hatte der Neuseeländer das Team Riggtests und diverse Mann-über-Bord-Manöver absolvieren lassen. Die Männer hatten gegrummelt und angemerkt, dass es ein schöner Tag in Sydney und der Hafen doch voller Haie sei. Doch Dickson war keiner, der Ausreden gelten ließ. Die Männer gingen über Bord, und jedes Ausrüstungsteil wurde getestet und nochmals getestet. Dickson hatte bereits Stürme erlebt und sogar in Orkanen gesegelt. Aber auf Booten, die dieser Art von Bestrafungen standhalten konnten. Von SAYONARA zu verlangen, einem Orkan standzuhalten, war, als würde man einen Formel-1-Wagen ins Gelände schicken.

Dickson hörte sich die Debatte über eine mögliche Umkehr und die Aufgabe des Rennens an. Auch er wünschte sich, an einem anderen Ort zu sein. Aber sie waren auf sich gestellt. Niemand würde ihnen helfen. Die Rückkehr wäre ebenso tückisch wie das Weitersegeln. Inmitten des Orkans hämmerten die Wellen wie Wände auf SAYONARA ein. Dickson, der das Segeln schon als Kind gelernt und schon im Teenageralter seine erste Match-Race-Weltmeisterschaft gewonnen hatte, erbrach sich. Andere ebenfalls.

Larry war sicher, dass es keine Umkehrmöglichkeit gab und sich die Bedingungen mit dem weiteren Vorstoßen in Richtung Süden verschlechtern würden. Es waren jene Breitengrade, die Seefahrer die »Brüllenden Vierziger« nannten. Die Winde stürmten jetzt mit Böen bis zu 65 Knoten und einem dissonanten bitteren Zischen und Heulen auf sie ein. Sie waren sehr viel gefährlicher als die Warnungen, die von Regatta-Offiziellen zuvor veröffentlicht worden waren.

Der Regen prügelte auf sie ein. Der Himmel, die See, die Geräusche – alles erschien wie aus einer anderen Welt. Um die Laune etwas aufzuheitern, sagte Larry zu Butterworth: »So habe ich entschieden, meine Weihnachtsferien zu verbringen? Es kostet mich eine Menge Geld, hier in der Bass Strait zu sterben. Wie dumm das doch ist!«

Larrys Bootsbauer Mark Turner mit den Spitznamen Tugsy und Tugboat (dt.: Schlepper) hatte die Schule in Neuseeland im Alter von 15 Jahren geschmissen, um das Bootsbauhandwerk zu erlernen. Nun war er unter Deck mit einem roten Filzstift unterwegs.

»Tugsy, was zum Teufel machst du da unten?«, fragte Larry.

»Ich markiere die Stellen, an denen das Kohlefasergelege delaminiert«, antwortete Tugsy ruhig. Seine blauen Augen blitzten, seine Wangen glänzten rot von den Strapazen an Deck in Wind und Regen. »Die verschiedenen Lagen brechen und reißen auseinander. Das Boot ist in einem ziemlich schlechten Zustand.«

»Was?«, antwortete Larry ungläubig, »der Bug bricht ab? Das ist ja verdammt großartig!«

Tugsy hatte auf Überführungen für Larry und andere schon schlimme Stürme erlebt. Aber nie zuvor hatte er sich mitten in einem Orkan befunden. Segler trainierten nicht für Orkane, weil es einfach nicht vorgesehen war, sich in einem Orkan aufzuhalten. SAYONARA wurde umhergeworfen, ihre Einzelteile ächzten und stöhnten unter den Lasten. Der wachsame und nur wenige Worte sprechende Tugsy – zutiefst loyal gegenüber Larry und dem Boot – tat, was er konnte, um SAYONARA in einem Stück zu halten. Seit frühester Kindheit liebte er Boote, ob es nun Bilder von Holzflößen oder kleine Einbaum-Boote aus umgestürzten Bäumen waren, die Menschen für ihre ersten Entdeckungsfahrten nutzten, oder dieses schlanke weiße Vollblut, für dessen Schutz er nun verantwortlich war.

Die Sekunden, Minuten und Stunden vergingen wie in Zeitlupe. Sogar ein Augenblinzeln fühlte sich wie ein kleiner Luxus an. Es gab keinen Weg, das Boot zu verlassen. Mit Angst war nichts zu erreichen. Der Regen attackierte die Haut wie mit Nadelstichen. Larry war normalerweise immun gegen Seekrankheit. Er fühlte sich immer wohl, wenn er seinen Kampfjet in Schleifen und Loopings steuerte. Aber auch er musste sich nun erbrechen. Er übergab sich mehrere Male, während er SAYONARA durch den Sturm steuerte, und hörte dabei jemanden sagen: »Bist du okay, Kumpel?«

»Nicht wirklich«, dachte Larry bei sich.

Der Funkkontakt war abgerissen, die Kommunikation abgeschnitten. Ein Wasserleck zu Beginn des Rennens hatte dazu beigetragen. Larry dachte darüber nach, was passieren würde, wenn das Boot kenterte. Segler könnten unter dem Boot eingeschlossen werden; Wasser könnte über das Boot einbrechen. Das Ruder oder den Bug zu verlieren würde der Sache ein Ende setzen. Würden sie sinken, hätten sie in der kalten See eine Überlebenschance von kaum mehr als 30 Minuten.

Normalerweise lebte Larry in einer Welt, in der jedes Detail perfekt arrangiert war, in der die Schuhe vor dem Betreten eines Hauses ausgezogen wurden, um die feinen Holzböden zu schützen und Dreck zu vermeiden, in der Autos in wohltemperierten Garagen gehegt und frische Blumensträuße kunstvoll arrangiert wurden. Hier und jetzt konnte kein Geld der Welt Sicherheit kaufen. Er starrte in die schwarze Leere. Kein einziger Stern war zu sehen. Sogar der Bug war kaum mehr auszumachen. Er schimpfte mit sich selbst: »Was für ein Idiot kommt hierher, um sich den Fischen als Fraß vorzuwerfen?«

Der Sturm wütete die ganze Nacht, während sich Larry, Butterworth, Erkelens, Robbie Naismith, Joey Allen und Tony Rae am Steuer abwechselten und sich Klick für Klick an Deck bewegten. Mike »Moose« Howard, SAYONARAS 113 Kilogramm schwerer Grinder, im American Football ein Linebacker im Team der Universität von Südkalifornien und ehemaliger Marinesoldat, hatte ihr Handeln zum Krieg mit der See erklärt.

Larry wusste: Je länger der Sturm andauerte, je höher würden die Wellen anschwellen. Auf den Gipfeln der zwölf Meter hohen Wellenberge wurde SAYONARA von 70 Knoten Wind angegriffen. Wie von einer Peitsche wurde SAYONARA dann in den freien Fall gefegt. Bange Bruchteile von Sekunden dauerte es bis zur Crash-Landung, die sich wie ein Aufprall auf hartem, aber willkommenem Asphalt anfühlte. Dort nahm der Wind in vergleichsweise ruhigen Bedingungen für kurze Zeit auf 40 Knoten ab, bis die nächste Welle in der Höhe eines vierstöckigen Gebäudes anrollte und das Boot wie ein Flugzeug in die Höhe katapultierte, bevor es in den nächsten magenumdrehenden freien Fall ging. Beeindruckt beobachtete Larry, wie Allen und Naismith eine Aluminiumplatte zurechtbohrten und damit den Bug ausbesserten, der sich längst wie ein Strohhalm im Sturm bog. Ihre Unternehmung entsprach dem Versuch, ein Auto während einer Achterbahnfahrt zu reparieren.

Nach 36 Stunden Sturm hatte Larry mit Ermüdung und Dehydrierung zu kämpfen. Der Versuch zu schlafen machte alles nur noch schlimmer. Wenn das Boot im freien Fall war, übertrug sich das auf die Männer in den schmalen Kohlefaserkojen. Man konnte die Kojen zwar mithilfe eines Flaschenzugs v-förmig zusammenziehen, um das Herausfallen zu vermeiden. Doch das half unter diesen Umständen kaum. Larry hatte bei seinen Segelregatten immer ein paar Snickers und Sardinenbüchsen dabei, doch auf dieser Reise gab es keine Hoffnung auf Nahrungsaufnahme. Sogar jeder Schluck Wasser kam wieder hoch. In einem kurzen Moment der Erleichterung sprach Larry über die Gefahren eines WC-Besuchs im Orkan. Es war pechschwarz unter Deck. Jedes Mal, wenn sie in den freien Fall gingen, wurde er durch die Luft und gegen die Kabinendecke geschleudert. »Ich hätte mir ganz leicht das Genick brechen können«, sagte er, »doch das wäre irgendwie ein entwürdigender Tod gewesen.«

Wieder zurück an Deck, warf Larry einen Blick auf die rollende See und hatte eine Idee. SAYONARA segelte auf Steuerbordbug. Die Wellen brachen über die rechte Seite herein. Larry sagte Rüdiger, dass er auf Backbordbug wechseln wolle.

»Dadurch hätten wir einen besseren Winkel zu den Wellen. Ich möchte in Lee von Flinders Island kommen«, sagte Larry in der Gewissheit, dass es die Wellen sind und nicht der Wind, die Segler töten. »Je dichter wir der Insel kommen, je mehr werden die Wellen durch sie blockiert.«

»Ich bin nicht ganz sicher, ob es für die Regatta das Beste ist«, sagte Rüdiger, »ich werde mit Chris darüber sprechen müssen.«

»Mark«, schoss Larry zurück, »lass es mich ganz klar formulieren: Ich möchte, dass das Boot wendet. Oder glaubst du, dass es im Sinne der Regatta ist, wenn wir sinken?«

Erkelens stimmte zu, dass die Wende nicht optimal für das Rennen sei, weil der Kurs sie von der Ziellinie abbrächte. Es sei aber das Beste, um Boot und Leben zu retten.

Mit der Wende veränderte sich der Kurs um 60 Grad. Die Wellen wurden nicht kleiner, doch SAYONARA empfing die Wellen nun direkt mit dem Bug und nicht mehr seitlich. Das Stampfen und der Ritt nahmen an Gewalttätigkeit ab. Während sie sich Flinders Island vor Tasmaniens nordöstlichstem Zipfel näherten, zog Larry eine erste Zwischenbilanz: Zwei Männer hatten gebrochene Knochen. Ein Feuer hatte die Navigationsecke lahmgelegt, als die Kabel nass geworden waren und es zu einem Kurzschluss mit anschließendem Kabelbrand kam. Sein Boot war übel zugerichtet und zerschlagen. Aber alle waren an Bord – und am Leben. Die Wende hatte für den entscheidenden Unterschied gesorgt.

Am Morgen des dritten Tages ging die Sonne gerade auf, als SAYONARA in den Derwent River einsegelte, jene Flussmündung, die in die Hauptstadt Tasmaniens führte. Ein lachspinkfarbenes Licht bahnte sich den Weg durch den mauvefarbenen Morgenhimmel. Die Crew der SAYONARA, die Derwent als erste erreichte, wurde von einem kleinen Powerboot und einem Mann an Bord begrüßt, der die Sieger traditionell mit Klängen aus einem schottischen Dudelsack empfing. An diesem Tag waren es Trauermelodien: »When the Battle is Over«, »O for a Closer Walk with God«, »Amazing Grace«. Der Wind war nur noch ein Flüstern, wehte mit weniger als acht Knoten. Larry und seine Crew liefen in das Flusstal ein. Wildblumen, Farne und turmhohe Bäume zierten die Felsschluchten mit ihren roten Uferkanten. Die Wildblumen in ihren blauen, weißen, lila, kaminroten und heidefarbenen Schattierungen waren in ein weiches pinkfarbenes Licht getaucht. Larry schloss seine Augen für einen Moment, lauschte den düsteren Tönen des Dudelsacks und der Wellen, die leise gegen die Bordwand schlugen. Der Wind war zur Ruhe gekommen, die Wellen klangen wie ein beruhigender Herzschlag. Sie hatten die Herrlichkeit des Seins zurück.

Doch es war kein glücklicher Sieg. Larry drehte sich zu Butterworth um und sagte: »Das war, als hätte Disney versucht, das Ende eines Horrorfilms neu zu schreiben.« Während die Crew in den Hafen segelte, hatten sie erfahren, dass sechs Segler gestorben, fünf Boote gesunken und etwa 55 Menschen per Helikopter in wahrhaft heldenhaften Aktionen abgeborgen worden waren. Es sah so aus, als würde nur ein Drittel der ursprünglich ins Rennen gestarteten 115 Yachten die Regatta beenden können. Schon zu diesem Zeitpunkt war es das größte Unglück in der australischen Seefahrtsgeschichte. SAYONARA hatte die Ziellinie am Donnerstag um acht Uhr morgens gekreuzt. Drei Stunden früher als das nächste Boot. BRINDABELLA hatte das Rennen im Jahr zuvor gewonnen und kam ihrerseits einige Stunden vor RAGAMUFFIN ins Ziel, die vom damals erst 18 Jahre alten Jimmy Spithill gesteuert worden war.

Als sie das schlicht wirkende Constitution Dock erreichten, suchte SAYONARAS Crew die Zuschauerreihen ab. Eine Gruppe von Frauen, darunter auch Larrys Freundin, die Autorin Melanie Craft, hatte am Abend zuvor gemeinsam gefeiert, Margaritas getrunken und Austern genossen. Obwohl es Berichte über orkanartige Stürme entlang des Regattakurses gegeben hatte, hatten Freunde und Familien keine Ahnung, wie schlimm es ihren Lieben tatsächlich ergangen war. Sie nahmen an, es würde der Weltklasse-Crew an Bord von SAYONARA bestens gehen. Ihre Mienen veränderten sich schnell, als sie die Blicke der Segler empfingen. Nahezu drei Tage ohne Wasser und Nahrung. Immer wieder Erbrechen. Eine See, die provokant zwischen schön und grausam hin und her flackerte. Als diese härtesten Segler der Welt vom Boot stiegen, viele von ihnen an harte Arbeit gewöhnte Malocher, da fielen sie ihrer Frau oder Freundin für einen sehr langen Moment in die Arme; den meisten stiegen die Tränen in die Augen, einige weinten.

Dickson kam an Land und umarmte seine Frau Sue. Als Skipper war Dickson erfahren genug, die Last der Verantwortung erst abzuwerfen, nachdem das Boot sicher im Hafen festgemacht hatte und der Shore-Crew übergeben worden war. Als Dickson dort mit seinen 37 Jahren stand, erinnerte er sich an seine Zeit als Teenager. Er hatte am selben Platz auf seinen Vater Roy Dickson gewartet, der als sehr erfahrener Segler von einer Regatta zurückkehrte. Andere Boote waren mit Applaus und Fanfaren empfangen worden. Doch als sein Vater mit der INCA in den Hafen einlief, einem 45-Füßer aus der Feder von Olin Stephens, war es ganz still gewesen. Einer der Segler an Bord war zur Halbzeit der Regatta infolge eines Herzanfalls verstorben. Die Emotionen an jenem Tag glichen denen an diesem Tag – ein Gemisch aus Erleichterung und Trauer. Sie hatten es geschafft, doch andere hatten weniger Glück gehabt.

Auf dem Steg umarmten sich Larry und Melanie. Melanie machte einen Schritt zurück und schaute ihrem dünnen Freund ins Gesicht. Er sah schlimm aus.

»Ich wusste es nicht«, sagte sie, »wir wussten es einfach nicht. Wir dachten, es geht euch gut.«

Larry, dehydriert und knapp acht Kilo leichter als beim Start, wurde von einem Lokalsender interviewt.

»Haben wir alles richtig gemacht?«, fragte Larry, »nicht alles, aber wir haben uns eine Chance gegeben, Glück zu haben. Mutter Natur hat nicht alles gegeben. Hätte sie es getan, dann hätte sie uns getötet. Wir hatten ein großartiges Boot, eine großartige Crew und sind sehr glücklich, heute noch am Leben zu sein. Unsere Männer wurden wieder und wieder umgeworfen. Aber sie sind immer wieder aufgestanden und an die Arbeit zurückgekehrt, um zu tun, was getan werden musste, um das Boot in einem Stück und uns am Leben zu halten. Ich habe da draußen Helden gesehen.«

Danach gefragt, ob er jemals wieder an diesem Rennen teilnehmen würde, sagte Larry, der wütend auf die Offiziellen war, weil ihre wenig akkuraten Wetterprognosen die Grausamkeit des Sturms nicht hatten erahnen lassen: »Und wenn ich noch 1000 Jahre leben würde, ich werde nie wieder an diesem Rennen teilnehmen.« Als er danach seinen Sinn für Humor wiederfand, bot er den Umstehenden ein schwaches Lächeln und sagte: »Nein, wenn ich heute in 1000 Jahren noch da bin, also im Jahre 2998, dann werde ich zurückkommen und es noch einmal machen.«

Zurück im Hotelzimmer von Melanie Craft, zerrte sich Larry das übel riechende Ölzeug vom Leib. Craft wollte alles wegwerfen oder verbrennen, was er trug. Doch bevor er unter die Dusche sprang und später noch ein heißes Bad nahm, bestand Larry darauf, dass sie seine SAYONARA-Jacke aufbewahren sollte. Sie war etwas, das er behalten wollte.

Angekleidet und mit dem Gefühl, wieder ein halber Mensch zu sein, ging Larry mit Melanie lauter einzelne Kugeln Vanilleeis essen. Danach bestiegen sie Larrys Gulfstream-Jet mit Ziel Antigua, wo seine Familie auf ihn wartete. Larry schlief 18 Stunden am Stück und wachte nicht einmal beim Betanken der Maschine in Hawaii auf.

In Antigua entspannte sich Larry im Kreis seiner Familie an Bord der Megayacht KATANA, die nach einem Samuraischwert benannt worden war, und dachte über seinen Pyrrhussieg nach. Larry erzählte seinem Neffen Jimmy Linn, seiner Tochter Megan und seinem Sohn David, dass er das Sydney-to-Hobart-Rennen nicht als Sieg betrachtete. »Da war nicht der geringste Funke des Triumphes, zumindest nicht für mich«, sagte Larry und erinnerte daran, dass Ted Turner nach einem schlimmen Sturm im Fastnet Race vor der englischen Küste einmal gescherzt habe: »Was für ein Sturm?«. Das war nicht Larrys Art der Reaktion. »Wirklich großartige Segler sind da draußen gestorben. Schöne Boote, gute Boote sind gesunken. Ich habe mit angesehen, wie Menschen sich in Situationen auf Leben oder Tod verhalten haben. Und ich habe gesehen, wie wahrhaft heldenmütig manche Menschen sein können.«

Linn, der Sohn von Larrys Halbschwester Doris, hob seine Hand und bemerkte, dass ein so gefährliches Rennen doch eine verrückte Art sei, seine Ferien zu verbringen. »Was hast du gedacht?« Larrys Gesicht war ohne jeden Ausdruck: »Was meinst du? Es ist eine höllische Art, Gewicht zu verlieren. George Mallory hat einmal auf die Frage, warum er den Mount Everest besteigen wolle, geantwortet: ›Weil er da ist.‹ Wir machen es, weil es diese Herausforderungen gibt und wir uns fragen, ob wir es schaffen können.«

Reparaturwerkstatt für Kfz-Kühler und -Klimaanlagen in San FranciscoHerbst 1999

Norbert Bajurin strich durch die Werkstatt für Kfz-Klimaanlagen mit ihrem wohlbekannten Geruch nach Motoröl und Kühlflüssigkeit. Andere mochten diesen Geruch abstoßend finden. Ihn beruhigte er. Er fertigte eine Bestandsliste von etwa einem halben Dutzend Autos an, von Chevy-Pick-ups bis hin zu den neuen Jaguars, und hörte im Radio Totos »Love Isn’t Always on Time«. Der Klang erinnerte ihn an sorgenfreiere Zeiten, als er noch Single und beim Militär war. Damals genoss er drei große Mahlzeiten pro Tag. Er war für niemanden verantwortlich außer sich selbst.

20 Mechaniker waren in der Werkstatt tätig, reparierten Klimaanlagen oder nahmen sie an und registrierten sie. Sie erneuerten alte Verlötungen und gaben ihnen ein neues Kupfer- und Bronze-Innenleben, falls das Drumherum noch in Ordnung war. Immer öfter installierten Norberts Jungs Kühler mit Kunststofftanks, in Übersee für einen Bruchteil der ursprünglichen Preise hergestellt.

Norbert klopfte einem seiner Mechaniker auf die Schulter und fragte ihn nach seiner Familie, bevor das Gespräch in Richtung Football abdriftete. Norbert war ein eingefleischter Fan der San Francisco 49ers, aber er war auch beeindruckt von der Wiederauferstehung der St. Louis Rams, einem Team, das fast ein Jahrzehnt lang zu den Verlierern zählte und plötzlich Großes leistete. Die Mechaniker unterhielten sich über die Chancen der Rams, es zum Super Bowl zu bringen.

Ein anderer Mechaniker, der von seiner Arbeit unter einer Motorhaube hervorschaute, fragte »Norbini«, ob er am Wochenende beim Fischen Erfolg gehabt hätte. Norbert war bekannt dafür, dass er gern angeln ging, obwohl er das Segeln hasste. Er sagte, dass er in den kommenden Wochen in der Bucht angeln gehen wollte. In den frühen Sommermonaten konnte man in der Nähe der Golden Gate Bridge und vor der Küste von Marin südlich von Bolinas Lachse angeln. Von Mai bis Oktober ging es auf Heilbutt in den Gewässern von Crissy Fields und auf der Südseite von Angel Island. Blaumaul und Lengdorsch wurden von Anfang Juni bis Dezember geangelt und waren sowohl in Küstennähe als auch auf See zu finden.

Auf dem Weg in sein Büro machte er sich im Geiste Notizen zum Zustand verschiedener Autos und Lkw. Er konnte inzwischen anhand von Korrosion gut ermessen, wie nah jemand am Meer lebte. »Sie wohnen draußen am Sunset, richtig?«, würde er einen Kunden fragen. Oder feststellen: »Sie wohnen in Richmond«, wissend, dass der eine Stadtteil dichter am Wasser lag als der andere. Norbert wusste, dass er ein echter Experte für Klimaanlagen geworden war, während er den Geschmack der salzigen Luft genoss. Sie war das Brot und die Butter seines Gewerbes.

»Wenn etwas mit der Klimaanlage schiefgeht, dann kann es zu Problemen im gesamten Kühl- und Heizungssystem kommen«, erklärte Norbert seinen Kunden, die sich mit dem Verständnis für die Abläufe im Inneren ihres Autos schwertaten. »Die Klimaanlage eines Autos ist wie ein menschlicher Körper«, sagte er gern, »der Kompressor ist das Herz, der Sammler-Trockner ist als Ausgleichsund Vorratsbehälter die Leber, die Kondensatoren mit ihren Filtern sind die Nieren, die Schläuche und die Ausdehnungsventile sind die Venen.« Norbert war von freundlicher Natur und bei seinen Kunden sehr beliebt. Er hatte die Angewohnheit, sich seinen Kunden zuzuwenden, und eine liebenswerte Art, sie anzulächeln. Norbert war von Natur aus redselig, konnte bewundernd über das Innenleben eines Automotors berichten, Fußballstatistiken auswendig auf sagen, mit den Jungs scherzen oder auch für einen Moment ganz still werden, wenn eine schöne Frau vorbeiging.

Die Wände entlang der Wege durch die Werkstatt waren mit Leitungen, Heizungsschläuchen, Keilriemen, Kompressoren, Ausgleichsventilen, Relais, Schaltern und automatischen Schaltungen für nahezu jedes Baujahr, jede Marke und jedes Modell von Auto behängt, das in diese Werkstatt rollen könnte. Zwei massive Magnum-Hebebühnen befanden sich in der Nähe der Annahmestelle. Die Kisten waren gefüllt mit Kfz-Klimaanlagen und die Regale gut bestückt mit Motorölen, Allwetter-Klarsichtmitteln und Frostschutzmittel. Norbert, der Klimaanlagen für Autos verkaufte, reparierte und mit ihnen handelte, hatte die Zusammenarbeit mit einem Hersteller in Thailand aufgenommen, der Kühler mit Plastiktanks herstellte. Es war das jüngste Erdbeben, das sein Business ereilt hatte. Er hatte zwei Container-Ladungen gekauft. Jeder Container war drei mal zwölf Meter groß und beherbergte 1300 Klimaanlagen. Er hatte seinem Vater Jozo erklärt, dass sie einen für einen Toyota gebauten Kühler nehmen könnten, der im Händlernetz etwa 200 Dollar kosten würde, oder aber einen aus Thailand, der den Anforderungen an das originale Ausrüstungsteil entsprach oder sie noch übertraf. Und das für ein Viertel des Preises. Den könnten sie nach San Francisco bringen und ihn dort zu einem Preis mit 110 Prozent Handelsspanne verkaufen. Das Ganze immer noch 89, 90 Dollar günstiger als der Händler.

Jozo war an diesem Morgen um die übliche Zeit angekommen: Um 9.30 Uhr hatte er sich in sein Büro im Obergeschoss begeben, das nur mit einem Marlin und einem Pin-up-Kalender dekoriert war. Er saß an seinem Schreibtisch, las die Zeitung und prüfte die bereits ausgedruckten Konten. Zum ersten Mal wurden die Bilanzen automatisch erstellt und nicht mehr handschriftlich in schweren schmutzigen Büchern aufgelistet. Das Thema der elektronischen Buchhaltung war Thema einer der vielen Kämpfe zwischen Vater und Sohn gewesen. Norbert hatte darauf bestanden, dass sie in Computer investierten. Jozo hatte argumentiert, dass Computer viel zu teuer seien. Schlussendlich hatte Norbert gewonnen und seinen Vater zu einem 20 000-Dollar-Investment überredet. Am ersten Tag hatte Norbert alle verfügbaren Bilanzen ausgedruckt. Sein Vater sah auf einer Seite, was noch offen war. Papa gefiel, was er sah.

Der vorangegangene Sommer war aufgrund einer andauernden Hitzewelle in der Region der Bucht sehr lukrativ für Norbert und Jozo Bajurin gewesen. Ihre Mannschaft hatte in Zwölf- bis 14-Stunden-Schichten gearbeitet. Jeder Platz in der Werkstatt war besetzt. Norbert sagte – und meinte das nur halb im Scherz –, dass er seinen Vater reich machen würde.

Norbert war nur widerstrebend in das Geschäft Alouis Auto Radiator eingestiegen. Indem er es tat, hatte er einen Job aufgeben müssen, den er als Polizist in einer kleinen Gemeinde namens Rohnert Park, etwa eine Stunde nördlich von San Francisco, sehr geschätzt hatte. Der Hauptinhalt der Arbeit eines Polizisten hatte dort in der Aufklärung von Einbrüchen bei Tageslicht und der Ahndung von Verkehrssünden bestanden. Er hatte 1978 um Mitternacht dort die Arbeit aufgenommen, nur sechs Stunden, nachdem er aus dem Militär ausgeschieden war. Er war der zwölfte Mann, der für die Truppe verpflichtet worden war. Der Polizeichef von Rohnert Park hieß Bob Dennett, war sein Mentor und ein souveräner Mann. Norbert tauschte sich mit ihm über die Probleme mit seinem Vater aus. Dennett sagte ihm immer, er solle daran arbeiten: »Er ist der einzige Vater, den du hast.«

Norbert stand unter dem Schild der Werkstatt mit dem Alouis-Schriftzug. Das »A« war vor Jahrzehnten ergänzt worden, um in den Gelben Seiten ganz vorn zu stehen. Norbert schaute auf seinen Kalender. Sein Vater war nun unten in der Werkstatt und sprach mit einem Kunden. Es war einer der Stammkunden, die es mochten, wenn der Geschichtenerzähler Jozo anwesend war. Er und der Alte sprachen dann über Boote und die besten Plätze zum Angeln. Mehr als über Autos oder Klimaanlagen. Jozo galt in Bootskreisen als eine Art Legende, weil er 1973 mit einer 50-Fuß-Stahlyacht unter der Golden Gate Bridge hindurch nach Tahiti und zurück gesegelt war.

Jozo, dessen offizielle Schulzeit in der achten Klasse geendet hatte, weil er danach in eine technische Schule gewechselt war, hatte 1959 in San Francisco mit der Reparatur von Kühlern begonnen. Frank Glogoshki, ein Kroate, der sein Geschäft aus seiner Garage im Wohnviertel Castro District heraus betrieb, hatte Jozo das Handwerk gelehrt. Jozo arbeitete in einem anderen Laden an der Golden Gate Avenue und Fillmore Street. Dort hatte er 1963 angefangen. Er lernte das Handwerk zu einer Zeit, als Klimaanlagen gerade in den ersten Chevrolets und Cadillacs auftauchten. Zu der Zeit waren sie noch simpel. Fünf Automodelle teilten sich denselben Typ Klimaanlage. Heutzutage dagegen gibt es fünf verschiedene passende Klimaanlagen für ein einziges Auto. 1967 wurde Jozo Partner in der Werkstatt. 1985 zogen er und sein Kompagnon an den heutigen Standort in der Divisadero Street, wo im Erdgeschoss 12 500 und im ersten Stock 1450 Quadratmeter in einem Gebäude von 1898 zur Verfügung stehen. Alouis nahm etwa einen halben Wohnblock in einer nüchternen Gegend an der Grenze zum Gebiet der »Western Addition« im Zentrum von San Francisco unweit der Bucht ein.

Während seiner Karriere hatte Jozo immer Geld an seine Zwillingsbrüder Niksa und Zwonke sowie seine Schwestern Franica und Katica nach Kroatien geschickt. Ante, ein weiterer Bruder, war im Alter von sieben Jahren gestorben, weil er auf einem Feld gespielt und eine italienische Granate für einen Ball gehalten hatte. Sie war in seinen Händen detoniert. Jozos Brüder lebten in Hodilje, einem kleinen Fischerdorf, von umgerechnet etwa 80 Dollar, die sie jeden Monat vom Staat erhielten. Um klarzukommen, erwirtschafteten sie sich als Fischer und Farmer etwas dazu, bauten Oliven, Tomaten und Kartoffeln an, verkauften Austern und Muscheln, mit denen sie ein bisschen Extrageld in der einheimischen Währung Dinar oder Kuna verdienten.

Zum ersten Mal in ihrem Leben kamen Norbert, der gerade 44 Jahre alt geworden war, und sein 22 Jahre älterer Vater miteinander aus. Der Tod von Norberts Mutter Gertrude hatte sie drei Jahre zuvor enger zusammenrücken lassen. Gertrude war 59 Jahre alt gewesen, als sie zum Auftakt einer Europareise einen Asthmaanfall erlitt. Nach 35 Arbeitsjahren bei der Banc of America in San Francisco, wo sie als Kassiererin angefangen und als Vizepräsidentin aufgehört hatte, war sie in Rente gegangen und hatte einen Teilzeitjob in Marin County angenommen, um auch weiterhin eine Beschäftigung zu haben. Dort hatte sie eine 220-Dollar-Rundreise nach Deutschland für sich entdeckt. Sie war in Amsterdam und auf dem Weg nach Hamburg, als sie von einer schweren Asthmaattacke heimgesucht wurde. Sie hielt lange genug durch, sodass Jozo und Norbert an ihrer Seite sein konnten, als sie in einem holländischen Hotel starb.

Eine der Gemeinsamkeiten von Norbert und seinem Vater war das Angeln. Und sie liebten es, im Golden Gate Yacht Club einen Drink zu nehmen. Der befand sich in einer stillen ungepflegten Ecke im Hafen von San Francisco nahe der Stelle, wo Jozos Boot vor Anker lag.

Jozo hatte Norbert über Jahre hinweg bearbeitet, mit in sein Klimaanlagen-Geschäft einzusteigen, in dem Norbert immer wieder einmal phasenweise gejobbt hatte. In den frühen 1970er-Jahren hatte Norbert dort für fünf Dollar die Stunde ausgeholfen und genügend Geld verdient, um sich sein erstes Auto zu kaufen: einen braunen Ford Pinto Baujahr 1973.

Norbert stieg 1982 in das Geschäft mit den Klimaanlagen ein. Zu dem Zeitpunkt beliefen sich die jährlichen Umsätze der Werkstatt auf etwa eine Million Dollar. 17 Jahre später hatten sich die Umsätze mit jährlich bis zu 2,4 Millionen Dollar mehr als verdoppelt. In einem durchschnittlichen Geschäftsjahr betrug der Umsatz etwa 1,4 Millionen Dollar. Während er sich in der mit Autos vollgestellten Werkstatt umsah, wurde Norbert von Stolz auf die geleistete Arbeit ergriffen. Aber es fühlte sich immer noch wie der Traum seines Vaters an. Nicht wie sein eigener.

AntiguaMai 2000

Bekleidet mit kakifarbenen Shorts und einem SAYONARA-T-Shirt, saß der braun gebrannte Larry Ellison mit Freunden und Segelkameraden am Lagerfeuer, als die Sonne hinter dem puderig weißen Sandstrand und dem klaren blauen Meer vor English Harbour auf Antigua hinter den Westindischen Inseln unterging.

Larry und seine SAYONARA-Crew hatten gerade die Antigua Sailing Week zum zweiten Mal in Folge gewonnen. Die prestigereichste Regatta der Karibik war 1967 zum ersten Mal ausgetragen worden und bekannt für ihre umwerfend schöne Kulisse und ihre Après-Sail-Partys, auf denen der Rum nur so floss. SAYONARA hatte die gesamte Flotte von 300 Booten übertroffen, darunter die MORNING GLORY von SAP-Gründer und -Boss Hasso Plattner und die BOOMERANG des Schifffahrtsmagnaten George Coumantaros. Binnen fünf Jahren hatte sich SAYONARA in 25 von 27 Regatten erste Plätze gesichert. Sie hatte außerdem im Sydney-to-Hobart-Rennen heldenhaft dem todbringenden Sturm getrotzt. Der Sieg in dieser Antigua Sailing Week bescherte dem Oracle-Boss seinen vierten Weltmeistertitel in der Maxi-Klasse und die Tatsache, nun Eigner einer der erfolgreichsten Rennyachten in der Segelsportgeschichte zu sein.

Rund um das Lagerfeuer trank Larry Wasser aus einer Plastikflasche, während eine karibische Steelband spielte und eine leichte Brise durch die umstehenden Palmen strich. Er hatte mit Anfang 20 dem Trinken von Alkohol komplett abgeschworen. Dem Entschluss war ein peinlicher Vorfall vorausgegangen, als er bei einer Party eine außer gewöhnlich verführerische junge Frau geküsst hatte, die ein transparentes pinkfarbenes Kleid trug. Die Frau war die Verlobte eines Freundes von ihm gewesen …

Die Segler saßen rund um das Lagerfeuer und tauschten sich über die jüngsten Gerüchte aus der Welt des Regattasports aus. Russell Coutts, ein Mann mit Mopp-Frisur auf dem Kopf und bis vor Kurzem Skipper von Team New Zealand, hatte gerade den America’s Cup und damit die wichtigste internationale Segelsporttrophäe gewonnen. Dieser Russell Coutts sei nun für einen jungen europäischen Milliardär namens Ernesto Bertarelli im Einsatz, um ein Schweizer Herausforderer-Team für den nächsten Cup im Jahre 2003 aufzubauen. Das Überlaufen von Coutts und vier weiteren neuseeländischen Teammitgliedern – Murray Jones, Simon Daubney, Dean Phipps und Warwick Fleury – hatte die Neuseeländer sehr aufgebracht und Schockwellen durch die Reihen der Sportfans geschickt. Bertarelli hatte gesagt, er hätte es sich selbst nicht verziehen, wenn er eine solche Chance auf ein Team und die Cupteilnahme ungenutzt gelassen hätte. Während es im Cup schon lange sogenannte freie Agenten oder auch Segelsöldner gegeben hatte, war der Wechsel des erfolgreichen Coutts und seiner Gefolgsleute auf ein anderes Schiff für ein anderes Land doch in etwa vergleichbar mit der Vorstellung, dass die besten amerikanischen Tennisspieler im Davis Cup plötzlich für Frankreich antreten würden.

Über mehr als eineinhalb Jahrhunderte war um den America’s Cup in einer sehr nationalistischen Weise gekämpft worden. Niemals zuvor hatte es Abwerbungen und Überläufer auf diesem Niveau gegeben. Gerade in den Jahren zuvor hatten sich die Neuseeländer einen Ruf als »New York Yankees des Segelsports« erworben, die »Mr. America’s Cup« Dennis Conner die Kanne 1995 vor San Diego gestohlen und 2000 vor Auckland in Neuseeland erfolgreich verteidigt hatten. Unter Coutts, der sich aufgrund seiner aggressiven Taktik schon früh den Spitznamen »Crash Coutts« erworben hatte, hatte Team New Zealand nicht ein einziges Cup-Rennen verloren.

Die Nachrichten stimmten Larry nachdenklich. Er hatte den Cup seit Jahrzehnten verfolgt und im Alter von 26 Jahren die aufsehenerregende Geschichte von Bill Ficker gelesen, der den America’s Cup für den New York Yacht Club gewonnen hatte. »Ficker is quicker – Ficker ist schneller« lautete damals eine Schlagzeile. Larry gefiel die Vorstellung, dass das erste Cup-Duell ein halbes Jahrhundert vor dem ersten Finale der US-amerikanischen Baseball-Profiligen und fast zwei Jahrzehnte vor der Geburt des modernen College-Footballs an der Ostküste begonnen hatte. Die erste Cup-Regatta wurde im Rahmen der Weltausstellung in London ausgetragen, die am 1. Mai 1851 eröffnet worden war und neueste Erfindungen aus Industrie, Kunst und Wissenschaft gefeiert hatte – vom Telegrafen bis zur Nähmaschine. Unter den Besuchern der Messe im Hyde Park waren Charles Dickens, Samuel Colt, Alfred Lord Tennyson und Mitglieder der königlichen Familie. Bezahlt von den industriellen Ausstellern, machte die Messe mit ihrem berühmten Kristallpalast aus Glas und Stahl von sich reden. Die Vision zu dieser internationalen Ausstellung hatte Königin Victorias Ehemann Prinz Albert. Doch die Idee zu einem Segelrennen zwischen Nationen hatte eine Handvoll Männer des New York Yacht Clubs, der 1844 gegründet worden war.

Die AMERICA repräsentierte das innovative Können der Vereinigten Staaten auf dem Wasser. Sie war ein 29 Meter langer, schwarzer Gaffelriggschoner mit einem konkaven Bug, tiefem Freibord und Baumwollsegeln. Man sagte ihr nach, dass ihre Segel besser die Form hielten als die Flachssegel der Briten. Sie hatte die Form von Lotsenbooten. Im Juni hatte sie ihre Segel im East River von New York City gesetzt und war auf ihrer Atlantiküberquerung von Kapitän W. H. Brown, der eine Werft am Fuße der östlichen 12. Straße in New York betrieb, und zwölf Männern bemannt worden. Brown hatte die AMERICA für 20 000 Dollar in bar bauen lassen. Der Marquis von Anglesey, ein Mitglied der 1815 gegründeten Royal Yacht Squadron als erstem Segelclub mit königlicher Bestimmung, warf einen Blick auf die AMERICA und sagte: »Wenn sie richtig ist, dann liegen wir alle falsch.« Ein weiterer Brite bemerkte, dass die AMERICA wie ein »Falke unter Tauben« aussehe.

Das Segelteam an Bord der AMERICA wurde von John Cox Stevens geführt, dem Sohn eines revolutionären Kriegsoffiziers, dem ersten Kommodore des New York Yacht Clubs. Er war ein Mann, der wusste, wie man die eine oder andere Wette bei Sportveranstaltungen zu platzieren hatte. Der Crew gehörte auch James Hamilton an, Sohn des Gründungsvaters Alexander Hamilton, der einst erster Sekretär im Finanzministerium der Vereinigten Staaten gewesen war. Das Rennen – 53 Meilen rund um die Isle of Wight, wo Königin Victoria mit dem Osborne House ihr Sommerhaus hatte – begann am Freitag, dem 10. August, um zehn Uhr morgens in einer Brise um elf Knoten Wind. Beteiligte waren ein amerikanisches und 15 britische Boote.

AMERICA übernahm früh die Führung und verteidigte sie bis ins Ziel, schlug die britische Yacht AURORA mit acht Minuten Vorsprung im Ziel. Man erzählt sich, dass Königin Victoria gegen Ende des Rennens ihren Diener gefragt habe, wer denn bitte Zweiter geworden wäre. »Ma’am, es gibt keinen Zweiten«, war die Antwort. Dieses Statement verkörpert den America’s Cup bis heute.

Dem siegreichen amerikanischen Team wurde ein bodenloser silberner Krug überreicht, der drei Kilogramm und 798,84 Gramm wog und 68,58 Zentimeter in die Höhe ragte. Erworben Mitte des 19. Jahrhunderts für 100 Souvereigns beim königlichen Juwelier Robert Garrard und der Royal Yacht Squadron übergeben. Die Silberkanne wurde von den Amerikanern fälschlicherweise – und blieb es bis heute – als »100 Guinea Cup« betitelt – ein Umrechnungsfehler in den Währungen war Schuld. In ihren frühen Jahren wurde die Trophäe irrtümlicherweise auch »Queen’s Cup« genannt. Als der Cup nach dem Sieg 1851 nach New York kam, wurde darüber diskutiert, ihn einzuschmelzen und aus dem Silber Medaillen für alle Crew-Mitglieder zu fertigen, die sie sich um den Hals hängen könnten. Dieses Schicksal aber blieb ihm erspart. Stattdessen wurde er dem New York Yacht Club als ewige Herausforderer-Trophäe übergeben.

Die erste Verteidigung fand im August 1870 statt. Es war das Jahr, in dem die Trophäe nach dem Namen der siegreichen Yacht in America’s Cup umbenannt worden war. Mehr als ein Dutzend amerikanischer Yachten, die alle für den New York Yacht Club ins Rennen gingen, traten in der Bucht von New York gegen die britische CAMBRIA an. CAMBRIA wurde Zehnte, der Schoner MAGIC gewann, und die von der US-Navy modifizierte AMERICA erreichte Platz vier.

Von Beginn an faszinierte diese Regatta mit ihren Booten, den Rennen und dem ganzen Drumherum die Öffentlichkeit. Es ging ebenso sehr um die Innovationen wie um den Segelsport.

1895 verfolgten etwa 65 000 Menschen den zehnten America’s Cup vor New York City von Booten aus. Es waren mehr Zuschauer als beim sogenannten Temple Cup. So wurde damals die Meisterschaft der Baseball-Nationalliga in der Nachsaison genannt. Der Wettbewerb hatte sich zur größten Sportveranstaltung weltweit entwickelt. In den Tagen vor Beginn der Rennen in New York kamen Dampfschiffe aus Europa, voll beladen mit Zuschauern. Züge brachten die Enthusiasten aus ganz Amerika zum Ort der Veranstaltung. An Regattatagen strömten Zehntausende Menschen durch die Straßen rund um die Fleet Street und warteten auf die druckfrischen Zeitungen mit den neuesten Nachrichten vom Cup.

Die Begeisterung wurde auch nicht durch die Tatsache gemindert, dass die meisten Menschen außerstande waren, diese Rennen zu sehen oder auch nur zu verstehen, was da draußen auf dem Kurs geschah. Allein das Betrachten dieser spektakulären Boote und ihrer massiven, prallen Segel reichte, um Beifall hervorzurufen.

Zur Jahrhundertwende erwischte den irischen Tee- und Lebensmittelhändler Sir Thomas Lipton das »Cup-Fieber«. Er formierte zwischen 1899 und 1930 über drei Jahrzehnte fünf Herausforderungen für den Kampf um den Cup, gewann ihn aber nie. Der kampflustige Selfmade-Millionär, ein hochgewachsener eleganter und überzeugter Selfmademan, stieg im Heckwasser sympathischer und begeisterter Regattasegler wie J. P. Morgan, der 1899 und 1901 sein Rivale war, in das Cup-Geschehen ein. Liptons erste Cup-Yacht namens SHAMROCK war imposant. Ihr Rumpf war grün lackiert. Als Lipton zu seiner ersten Herausforderung in New York eintraf, wurde er als »Sir Tea« und »Jubilar Lipton« begrüßt. Die Presse feierte ihn als armen Jungen, der es zu etwas gebracht hatte. Es war die Zeit, in der die ersten Automobile auf der Bildfläche erschienen und die Vereinigten Staaten vor Optimismus überschäumten. Die Bevölkerungsdichte näherte sich 78 Millionen, und das Land war nahe daran, Großbritannien als führende Industrienation zu überholen. Als Lipton in New York ankam, ließ er die versammelten Massen wissen: »Ich bin hier, um zu gewinnen, wenn möglich.« Bei seinem Tod im Alter von 81 Jahren träumte Lipton, dessen Popularität mit jeder Cup-Herausforderung wuchs, noch immer davon, einmal die »Auld Mug«, wie er sie nannte, in Händen zu halten.

Einst als vornehmer Wettbewerb zwischen Nationen gestartet, entwickelte sich der Cup schnell zu einer Schaubühne für Talent und Technologie, um die an Land schon lange gefochten wurde. Lipton zählte zu den Ersten, die erkannten, dass die Amerikaner einen riesigen Vorteil aufgrund der Tatsache hatten, dass sie ihre Boote nur für die küstennahen Rennen bauen mussten. Die Herausforderer dagegen benötigten Boote, die stark genug für eine Atlantiküberquerung waren, bevor auch sie in die Rennen starten konnten.

Im ausgehenden 20. Jahrhundert war diese Eliteschau zur See schwerer zu gewinnen als die Olympischen Spiele. Die Geschichten über die Jäger des Heiligen Grals boten Stoff für Legenden. In einem bis zum letzten Rennen dramatisch spannenden Siegeszug entriss der australische Skipper John Bertrand dem New York Yacht Club 1983 den Cup, der ihn in den vergangenen 132 Jahren nicht aus den Händen gegeben hatte. Damit endete die längste Erfolgsserie der internationalen Sportgeschichte. Bertrand beschrieb seine Aufgabe als »Schicksalsentscheidung, ein aufwühlendes Ereignis, etwa so alt wie die Menschheit«. Bill Koch, Milliardär und Unternehmer, hat fast 70 Millionen US-Dollar investiert, um den Cup 1992 mit seiner AMERICA3 zurückzuholen, die auch »America Cube« genannt wurde. Koch nannte den America’s Cup den »skrupellosesten Wettbewerb, den ich je erlebt habe«. Als Koch gewonnen hatte, sprang er vom Bug der AMERICA3, kletterte auf den Steg des San Diego Yacht Clubs und hob die Trophäe vor den jubelnden Massen in die Höhe. »Dies ist ein Triumph für amerikanische Technologie und amerikanisches Teamwork«, erklärte er. Der Australier Frank Packer schrieb seine Besessenheit für den Cup »Alkohol und Größenwahn« zu. Andere hatten es »ein Spiel der Reichen und einen Grand Prix für Mord« genannt. Oder einen »Gentleman’s Sport, in dem gerade deshalb jedes Detail zu beachten sei«.

Larry hatte Yachtdesigns studiert. Er bewunderte und besaß Gemälde von Clippern des Marinemalers Montague Dawson. Er war erstaunt darüber, dass sich ein Rennen, das einmal mit riesigen 170 Tonnen schweren Schonern begonnen hatte, so hatte entwickeln können: Aerodynamische und hydrodynamische Designs wurden nun von NASA-Ingenieuren getestet. Telemetrie und 24-Stunden-Meteorologie bestimmten nun das Bild, dazu modernste hoch komprimierte Kohlefasern. Die unaufhaltsame Entwicklung in der Materialwissenschaft hatte die Yachten von Holz über Aluminium und Glasfaser bis hin zu Kohlefaser geführt. Einer noch moderneren Kohlefaser als jener, die für den Bau von Boeings Jetlinern verwendet wurde. Auch die Bootsklassen hatten sich dramatisch verändert. In den 1930er-Jahren waren es die J-Class-Yachten, die in Größen zwischen 119 Fuß über alles und 87 Fuß Wasserlinienlänge (36,18 m bzw. 26,5 m) bis zu 136 Fuß über alles und 75 Fuß Wasserlinienlänge gebaut wurden (41,45 m bzw. 22,8 m). Sie wurden von einigen der reichsten Männer der Erde gesegelt, darunter Lipton, Morgan und Harold »Mike« Vanderbilt. Entworfen wurden sie von dem legendären Yachtkonstrukteur Nathanael Greene Herreshoff. Während der Weltwirtschaftskrise entwickelte sich der America’s Cup zur weltweit führenden Sportveranstaltung und hob die gedrückte Stimmung.

Sogar die Boote erhielten Namen, die inspirieren sollten: ENTERPRISE (dt.: Unternehmen, Unternehmungsgeist) 1930 und RAINBOW (dt.: Regenbogen) 1934. 24 Jahre wurde der Cup dann vom Krieg unterbrochen. Erst 1958 wurden die Rennen fortgesetzt. Das Geld war nach dem Zweiten Weltkrieg knapp und der America’s Cup eine Extravaganz. Als die Regatta 1958 wieder aufgenommen wurde, trug man sie in der 12-Meter-Klasse mit den sogenannten Zwölfern aus. (Die »12 Meter« waren einer Vermessungsformel zuzuschreiben, nicht der Länge der Yachten.) Diese internationale Klasse mit den Slups und ihren 26 Meter langen Masten eignete sich auch hervorragend für Match-Race-Duelle. Etwas später, nach dem umstrittenen, aber legalen Duell zwischen Neuseeland und Dennis Conner im Jahre 1988, wurde eine neue Bootsklasse eingeführt: die Internationale America’s Cup Class (IACC). Eine Formel gab das Design der Boote vor. So sollte das Spielfeld etwas ausgeglichen werden. Diese Boote segelten erstmals 1992 vor San Diego. Dort besiegte Koch das Boot von Il Moro di Venezia, das von Paul Cayard aus San Francisco gesteuert wurde. Mit der gleichen Bootsklasse wurden die Cup-Auflagen 1995 und 2000 ausgetragen.

Mit den Veränderungen der Boote ergaben sich auch Veränderungen der Crews. Die roten Hosen und die Strohhüte der Wettbewerber von einst verschwanden. Muskelbepackte Weltklasse-Athleten, die in ihrer Schutzbekleidung und den engen Shirts wie Superhelden aussahen und Messgeräte am Körper trugen, um ihre aeroben und anaeroben Leistungsdaten zu messen, traten auf den Plan. Sie nutzten kleine elektronische Anzeigen, die Auskunft über Windgeschwindigkeit, Seegang und optimale Segelwinkel gaben. Ein Wettbewerb, der einst Wochenendsegler – oftmals waren es College-Absolventen von der Ostküste – und ihre reichen Mäzene lockte, wurde nun von Regelbüchern, Sportpsychologen, Videoanalysen der gegnerischen Verhaltensmuster auf dem Wasser, Software mit virtuellen Kämpfen zwischen verschiedenen Teams und Liveanalysen der technischen Daten der Yachten während der Rennen geprägt. Die Segler, einst mit Kost und Logis bezahlt, konnten nun Tausende Dollar im Monat verdienen. Oder noch mehr. Auch sie hatten sich weiterentwickelt. Kannten sie früher einfach das Boot und konnten die Segelbedingungen lesen, so beschäftigten sie sich nun auch mit der Konstruktion und dem Bau der Yachten, mit der Physik hinter der Verdrängung eines Bootes und seinem Vortrieb.

Larrys Interesse für den Segelsport war in seinen Teenagerzeiten entzündet worden, als er im Süden Chicagos mit seinen Adoptiveltern Lillian und Louis Ellison in der unteren Mittelschicht aufwuchs. Es war eine Titelgeschichte in »National Geographic«, die ihn packte. Sie berichtete von einem Jungen namens Robin Lee Graham, der als jüngster Mensch die Welt allein umsegeln wollte. Die erste Folge der Geschichte erschien mit einem Bild des schlanken und sonnengebräunten Graham ohne T-Shirt an Bord seiner 24-Fuß-Sloop DOVE. Der Titel lautete »Ein Teenager segelt allein um die Welt«. Larry las jedes Wort über die Abenteuer dieses Teenagers in seinem kleinen Boot, seine Reisen in exotische Reviere, seine beiden Katzenjungen an Bord und seinen Kurzwellenempfänger zur Gesellschaft. Er beneidete Graham um die Unterstützung seiner Eltern bei diesem Abenteuer. Er repräsentierte das Gegenteil seines eigenen Lebens. Larrys Stiefvater, ein russischer Jude, der 1905 mit einem Dampfschiff nach Amerika gekommen war und seinen komplizierten russischen Namen auf Höhe von Ellis Island in Ellison geändert hatte, schien viel Zeit damit zu verbringen, dem jungen Larry zu sagen, dass er ohnehin niemals einen bedeutenden Beitrag zu irgendetwas leisten würde. Die beiden hatten mehr Streitpunkte als Gemeinsamkeiten. Lou Ellison verehrte autoritäre Figuren. Er war auf ewig dankbar, ein Amerikaner zu sein. Larry aber hielt die Mächtigen für weitgehend uninspiriert oder falsch in ihren Ansichten. Wenn die beiden über die Tugenden von Präsident Eisenhower und seine Politik sprachen, erklärte Lou Larry: »Er ist der Präsident. Er weiß Dinge, von denen wir keine Ahnung haben. Diese Informationen ermöglichen es ihm, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Auch, wenn wir sie nicht verstehen können.« Larry antwortete: »Er sieht für mich aus wie ein Mensch. Ich bin sicher, dass er Fehler macht wie alle anderen Menschen auch.« Larry glaubte nie an die Unfehlbarkeit von Obrigkeiten. Liebend gern zitierte er Mark Twain: »Was ist ein Experte? Nur ein Typ von außerhalb.«

Larry vergaß die »Experten«-Tipps nie, die er während seiner Kindheit von Autoritäten erhalten hatte. Als Schüler an der South Shore High School hatte man ihm gesagt, dass ein verpatzter Latein-Abschluss ihm das Leben »ruinieren« würde. Er schaute seinen Lehrer an und sagte: »Wenn ich aufgrund eines Verkehrsunfalls querschnittgelähmt wäre, würde das vielleicht mein Leben ruinieren. Aber eine Note ist doch nur ein Zeichen in einem Rechteck.« Der Lehrer fand das wenig witzig. Doch Larry lernte gut genug für eine befriedigende Note. Als Junge hatte Larry einmal fast den Biologie-Abschluss vermasselt, weil er nie ins Labor und stattdessen lieber zum Basketball-Training ging. Seine Biologielehrerin, die zufällig die Mutter eines seiner besten Freunde war, sagte ihm bei einem Familienessen, dass sie ihn durchfallen lassen könnte, weil er die Laborstunden hatte ausfallen lassen, und er dann seine Zulassung zu den Sportstunden verlieren würde. Larry konterte: »Was wäre, wenn ich in der Abschlussprüfung die beste Note schreibe und beweise, dass ich mehr über Biologie weiß als alle anderen in der Klasse? Würden Sie mich dann immer noch durchfallen lassen?« Sie sagte: »Ja.« Und Larry dachte: »Cool, da wird also die Person, die mehr über Biologie weiß als alle anderen in der Klasse, die einzige sein, die durchfällt. So funktioniert die Welt also.« Untypisch für Larry war, dass er sich tatsächlich intensiv auf die Prüfung vorbereitete und alle damit überraschte, als er in der schwierigen Schlussprüfung die beste Note schrieb. Die Biologielehrerin gab nach und ihm im Zeugnis eine Drei. Im Physikunterricht war Larry bei seinem Lehrer ähnlich unpopulär. Er hatte die anstrengende Angewohnheit, seinen Ausbilder beim Schreiben von Problemlösungen an der Tafel zu korrigieren. Larry war, was Lehrer heute »verhaltensauffällig« nennen. Grahams Geschichte trug den Jungen von dieser Art Reglementierung und dem Katechismus der Schule zu Abenteuer und Freiheit auf See. Hier war ein Junge über Wochen allein auf See unterwegs. Er musste mit Stürmen, kreisenden Haien und gebrochenen Masten klarkommen. Er besuchte exotische Orte wie Pago Pago und Guadalcanal. Und bei alledem war er sein eigener Steuermann.

Larry starrte in das Lagerfeuer von Antigua und lächelte über die Gerüchte der Segler. Irgendjemand sagte, es sei an der Zeit, sich für die nächtliche Siegerehrung umzuziehen. Kurze Zeit später erschien Larry in seinen Kaki-Shorts, einem schwarzen Gürtel und einem kurzärmeligen schwarzen SAYONARA-Seidenhemd im Lokal.

Eine der Eigenschaften Antiguas, die Larry besonders mochte, war ein bestimmter Teil der Inselgeschichte. Hier lag das Revier, in dem sein Held Admiral Horatio Nelson trainiert hatte, bevor er als junger Leutnant auf der Insel sein Basiscamp einrichtete und die Verfolgung von Rumschmugglern aufgenommen hatte. Larry war überzeugt davon, dass er – hätte er im frühen 19. Jahrhundert gelebt – zur Royal Navy gegangen wäre. In der Armee trugen reiche Aristokraten selbst Sorge für ihre Ausstaffierung und waren verantwortlich für ein Regiment. Aber zu einem gewissen Prozentsatz war die Armee auch eine Leistungsgesellschaft, in der das Emporklettern auf der Karriereleiter vom mathematischen Navigationskönnen jedes Einzelnen abhängig war. Gleichzeitig musste man Glück haben, auf dem Schlachtfeld nicht getötet zu werden. Horatio Nelson hatte in der Armee als »Puderaffe« begonnen, war einer jener Jungs, die klein genug waren, das Schießpulver aus dem Pulverturm aus dem Herzen des Kriegsschiffes zu holen. Dazu mussten sie durch die schmalen hölzernen Tunnel kriechen, um die Kanonen auf den Schießdecks zu erreichen. Jahre später kommandierte Nelson die britische Flotte mit 27 Schiffen, die 1805 während der Napoleonischen Kriege in der berühmten Schlacht von Trafalgar 33 französische und spanische Schiffe besiegte. Es war der entscheidende britische Sieg zu See in diesem Krieg. Nelson war der Sieger, obwohl er im Kampf angeschossen wurde und starb. Seine unorthodoxen taktischen Schachzüge hatten den Ausschlag gegeben. Statt seine Flotte dem Feind in einer geschlossenen Linie gegenüberzustellen, was zur damaligen Zeit der üblichen Strategie entsprach, teilte er seine zahlenmäßig unterlegene Flotte in zwei hintereinander formierte Linien auf, die er im rechten Winkel zur formidablen gegnerischen Streitmacht positionierte. Diese Aufstellung verwirrte die Franzosen derart, dass sie die Schlacht verloren.

Larry setzte sich im Lokal an einen Tisch. Er dachte immer noch über die Abtrünnigkeit von Superstar Coutts und seinen Kiwis nach, als SAYONARAS höchst geselliger Trimmer Tony Rae dazukam und fragte, ob er darüber nachgedacht habe, sein Team auf ein neues Niveau zu heben. Er wies darauf hin, dass Larry mit Dickson, Butterworth, Joey Allen, Robbie Naismith und sich selbst bereits über eine eindrucksvolle Crew verfüge. Dazu über ein von Bruce Farr angeführtes Design-Team und das von einem weiteren Kiwi namens Mark »Tugsy« Turner geführte Bootsbauteam.

»Ist jemals irgendjemand im America’s Cup zu Tode gekommen?«, fragte Ellison mit einem Augenzwinkern. Nach der Sydney-to-Hobart-Regatta hatte Larry dem Hochseesegelsport zugunsten von küstennahen Tagesrennen abgeschworen. Rae, der von allen nur »Trae« genannt wurde, war seit 1987 Mitglied im Team New Zealand und Teil der Crew, die den Cup 1995 gewonnen und im Jahre 2000, also erst zwei Monate zuvor, erfolgreich verteidigt hatte. Er lachte Larrys Frage einfach weg (die Antwort lautete ja; ein spanischer Segler war während eines Trainings an Bord einer America’s-Cup-Yacht ums Leben gekommen).

Trae fuhr fort zu erklären, wie eine solche Kampagne zu formieren sei und was dafür nötig wäre. Ein Syndikat oder ein Team für den America’s Cup aufzubauen sei wie der Startschuss zu einer politischen Kampagne. Der Kandidat – Team, Skipper und Crew – müssten vorbereitet sein und die Eröffnung gewinnen. In diesem Fall also die Qualifikation zum America’s Cup namens Louis Vuitton Cup. Erst dann ginge es in den entscheidenden Tanz.