Der Milliarden-Joker – Scientific Edition - Franz Josef Radermacher - E-Book

Der Milliarden-Joker – Scientific Edition E-Book

Franz Josef Radermacher

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Beschreibung

Franz Josef Radermachers Idee zur Weltrettung in der umfangreichen Scientific Edition! Die Idee ist brilliant einfach und von einem der führenden Umwelt- und Wirtschaftswissenschaftler des Landes durchgerechnet und durchgeplant: Mit einem "Milliarden-Joker" könnte die deutsche Politik dafür sorgen, dass deutsche Unternehmen, Institutionen und Organisationen ab 2025 jährlich mindestens eine Milliarde Tonnen CO2 in finanzielle Entwicklungszuschüsse verwandeln. Das Prinzip: Geht man von einem mittleren Kompensationspreis von 20 Euro pro Tonne aus, wären das zusätzlich 20 Milliarden Euro als deutscher Beitrag zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit, die heute bei 22,3 Milliarden Euro liegt. Vorteil 1: Der Vorschlag würde den Staatshaushalt nicht wesentlich belasten. Er basiert auf einer engen Zusammenarbeit zwischen Regierung, Unternehmen und den Bürgern. Vorteil 2: Deutschland würde so zum ersten klimapositiven Industriestaat der Welt. Der Hauptbeitrag der Politik bestünde in der offensiven öffentlichen Positionierung und Koordinierung dieses neuen Ansatzes in der Klima- und Entwicklungspolitik. Auf europäischer Ebene sollte die deutsche Politik versuchen, dass europäische Akteure ab 2030 jährlich mindestens fünf Milliarden Tonnen CO2 über "verlorene" Finanzbeiträge global kompensieren, damit das Milliarden-Joker-Programm auf Europa ausweiten versuchen und Europa so insgesamt klimapositiv stellen. Europa wäre dann der erste klimapositive Erdteil der Welt. Die CO2-Lücke bis 2020, mit der die neue deutsche Regierung zu kämpfen haben wird, könnte so in ihrer Bedeutung erheblich relativiert werden.

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Franz Josef Radermacher

DER MILLIARDEN-JOKER

WIE DEUTSCHLAND UND EUROPA DEN GLOBALEN KLIMASCHUTZ REVOLUTIONIEREN KÖNNEN

 

 

 

 

 

Eine Kurzfassung dieses Buches ist als Sonderausgabe von Senate, dem Journal des Senat der Wirtschaft, zur COP 23 in Bonn in Deutsch und Englisch publiziert worden [132].

 

Hinweise zum Aufbau des Buches und zu Wiederholungen:

1.In den ersten beiden Kapiteln »Zur Orientierung« und »Hinführung zu Thema« wird in unterschiedlicher Verdichtung das Wesentliche für den schnellen Leser zusammengetragen.

2.Wiederholungen in den Ausführungen resultieren aus der Absicht, dass einzelne Abschnitte gut für sich gelesen werden können und verständlich sind.

3.In den Kapiteln II–V gibt es am Beginn zur Orientierung eine Kurzzusammenfassung in fetter grauer Schrift. Dies ist als Hilfe für eilige Leser gedacht, die sich nur selektiv mit diesen beziehungsweise mit einzelnen vertiefenden Kapiteln beschäftigen wollen.

4.Ein weiterer Hinweis zielt auf Leser, die mehr wissen wollen. Zahlen in eckigen Klammern im Text deuten auf Literaturempfehlungen hin, hochgestellte Ziffern verweisen auf Anmerkungen; beide sind am Ende des Buchs aufgelistet.

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort: Patricia Espinosa

Vorwort: Prof. Klaus Töpfer

Zur Orientierung

Der Milliarden-Joker

Thesenartige Zusammenfassung

Einleitung

I. Hinführung zum Thema

I.1 Management Summary – was nach Paris zu tun ist

I.2 Der US-Präsident, Rechtsfragen und deutsche Befindlichkeiten

I.3 Die UN zur freiwilligen Klimaneutralität

II. Einordnung der Thematik

II.1 Die Welt im Ringen um eine gute Zukunft

II.2 Herausforderungen im Klimabereich

II.3 Von Indira Gandhi über Rio zu den SDGs

II.4 Von Rio über Kyoto nach Paris

II.5 Carl von Carlowitz – Holz als Schlüsselthema

II.6 Welche Zukünfte sind denkbar?

II.7 Müssen wir unseren Wohlstand aufgeben?

II.8 Zeitgewinn ist von zentraler Bedeutung

II.9 Der Privatsektor ist jetzt gefordert

II.10 Kann der Privatsektor all das bezahlen?

III. Klima und Energie

III.1 Energie ist ein zentrales Thema

III.2 Das Ringen um die Kontrolle der Ressourcen der Arktis

III.3 Aufforstung, Humusbildung, Bio-Kohle und Co-Benefits

III.4 Chinas wirtschaftlicher Aufstieg – kein replizierbares Modell

III.5 Forcierte Dekarbonisierung als Strategie im Klimabereich?

III.6 Zu rasches Divestment schießt am Ziel vorbei

III.7 Vorsicht bei Hypes und Versprechen

III.8 Die Debatte wird heftig

III.9 Carbon Accounting

III.10 Das Angebot von Ecuador – eine nicht genutzte Chance

IV. Der FAW/n Ansatz zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels

IV.1 Kopenhagen als Ausgangspunkt

IV.2 Top Emitters und Gerechtigkeitsfragen

IV.3 Ein Marshallplan mit Afrika – Bezug Klima

IV.4 Ordungsrechtliche Fragen (CO2-Steuer, Carbon Leakage, Grenzausgleichsabgaben)

IV.5 Klimaneutralität des Privatsektors – die großen Hebel

IV.6 Freiwillige Klimaneutralität ist kein Freikauf

IV.7 Wer könnte etwas gegen freiwillige Klimaneutralität haben?

IV.8 Was sollen leistungsstarke Akteure jetzt tun?

IV.9 Den Paris-Vertrag »härten«

IV.10 Ein Mosaik aus Ideen aus diversen Quellen

V. Was bedeutet Klimaneutralität genau?

V.1 Framing als Chance, Problem und Strategie

V.2 Zur Präzisierung des Begriffs der Klimaneutralität

V.3 Der Carbon Footprint als Basis

V.4 Der Gold Standard

V.5 Klimaneutralität aus Sicht des Individuums

V.6 Klimaneutralität aus Sicht der Unternehmen

V.7 Markttheorie und Klimaneutralität

V.8 Einfacher oder komplexer Berechnungsansatz?

V.9 Zertifikatstypen und Preise

V.10 Der freiwillige Markt für CO2-Zertifikate

VI. Beispiele und Vorreiter

VI.1 Vorreiter in schwierigen Zeiten

VI.2 Partner- und Aktivitätenumfeld – Vorüberlegungen

VI.3 Plant-for-the-Planet – die Kinderinitiative

VI.4 Nachhaltigkeit und Immobilienwirtschaft – GdW-Studie

VI.5 Verkehr – Aktueller Bericht des Verkehrsbeirats

VI.6 World Forest Foundation (und Klima Allianz)

VI.7 Klimaneutrale Landesverwaltung Hessen

VI.8 Klimaneutralitätsbündnis 2025 (und Netzwerk Lebenswert Wirtschaften)

VI.9 Das BEaZERO-Neutralisierungs-/Kompensationskonzept

VI.10 Weitere Beispiele für Klimaneutralität und Kompensationsprojekte

Schlussbemerkung

Literatur

Danksagung

Anhänge

1. Estelle L. A. HerlynFreiwillige Klimaneutralität

2. Andreas Ziegler Umstrittene CO2-Kompensationen schützen das Klima

3. Klaus Wiegandt et al. Die Waldoption – Ein Korridor für den Klimaschutz vor dem langfristigen Umbau der Energiesysteme – Ein Positionspapier der Bildungsinitiative »Mut zur Nachhaltigkeit«

4. Horst Emse Berliner Appell aus 2012

5. Gemeinsame Pressemitteilung zum Paris-Vertrag des Senat der Wirtschaft in Deutschland und Österreich sowie FAW/n in Ulm

6. Franz Josef RadermacherInput in einen Vertragsentwurf für einen »gehärteten« Paris-Vertrag

7. Das Buch in 12 Thesen

Ansprechpartner zum Thema Klimaneutralität und Kompensation

Liste Info-Boxen

Liste Abbildungen

Index

Personenindex

Über den Autor

In the line of fire –Losing the war against climate change

The Economist, August 4th 2018

Franz Josef Radermacher hat erneut ein großartiges Buch vorgelegt: Eine realistische Einschätzung der Situation des Weltklimas. Seine neuen Ideen zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels sind wegweisend. Wir werden in unserer Politik vieles davon aufgreifen. Die deutsche Entwicklungspolitik ist ein zentraler Akteur im weltweiten Klima- und Umweltschutz. Die Vorschläge von Franz Josef Radermacher sind für diese Arbeit eine wichtige Orientierung.

Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller, Bundesministerium.für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)

Im Senat der Wirtschaft Europa ist uns der internationale Klimaschutz besonders wichtig. Wir arbeiten an neuen Lösungen. Das Buch von Prof. Radermacher macht deutlich, wo die größten Potenziale liegen.

Dr. Benita Ferrero-Waldner, Senat der Wirtschaft Europa, von 2004–2010 EU-Kommissarin

Vorwort: Patricia Espinosa

If this generation is to hand on a healthy, productive and climate safe planet to the next generation, it is imperative to meet the aims and ambitions of the landmark 2015 Paris Agreement. Swiftly and on time.

To do this, we must involve all parts of society. We must pursue every opportunity, large and small, and deploy every creative and positive solution to realize climate neutrality by the second half of this century.

Science advises us that this is the best chance for humanity to stay within the Agreement’s key goal: namely keeping a temperature rise well below 2 degrees C and better no higher than 1.5 degrees C this century.

It practically means reaching a point when the emissions from our economies and our life-styles have been brought down to such a low level, that what remains can be easily and safely absorbed by the Earth’s natural systems such as forests, soils and coastal ecosystems like mangroves, seagrasses and salt marshes.

Climate neutrality—or as some like to term it net zero—may seem like a remote vision. But the reality is that climate neutrality is an opportunity that many cities, companies and organizations have already committed to today. UNFCCC’s Climate Neutral Now initiative already counts a large number of well-known companies and organizations, not least the United Nations itself, among the signatories that have taken the climate neutral commitment.

The question is not whether climate neutrality can be achieved or not. We know that it can be achieved, with the right policies, incentives and technologies. Instead, the question that is facing governments and the growing array of cities, states, territories, regions, companies, investors, civil society groups and citizens who are enthusiastically supporting the transformation, is how it can be achieved in an as cost-effective and rapid way as possible Low carbon, resilient policies need to be tuned, harmonized and streamlined across governments nationally and internationally.

Incentives need to be provided to companies and citizens to invest in clean technologies, goods and services, that will make a crucial difference.

The financial architecture of the global banking and investment system must be evolved to reward sustainability and capture a new notion of wealth generation.

But climate neutrality is not only a challenge for what you can do for yourself, your own organization, your city or country. It is also an opportunity for working together with other stakeholders around the globe to achieve emission reductions in other parts of the world, where the local stakeholders may not have the means to realize the emission reductions and associated benefits that come with climate action.

It is an unescapable fact that climate change is a global problem, that affects all of us, regardless of where the greenhouse gas emissions comes from. It is therefore also an unescapable fact that any action you take, regardless of whether it is »at home« or elsewhere, will contribute positively to a low-carbon future for all of us on this planet.

This is also the fundamental idea with climate compensation, or offsetting, which is the premise at the heart of Professor Franz-Josef Radermacher’s new, thought-provoking and practical, forward-looking book.

This book is exploring how offsetting can be used in a positive way that is both safeguarding the environment and contributing to other sustainable development goals at the same time. It highlights the benefits from international cooperation that the offsetting offers and the importance of using offsets as they are intended: Not instead of emission reductions at home, but in addition to emission reductions at home. It highlights the importance of using offsets that are credible, verifiable and additional, and in the context of international offsets, safeguards against double counting. These are all important principles that also the parties to UNFCCC fully agree on.

Until today, more than 1.8 billion tonnes of greenhouse gas emissions have been avoided thanks to offsetting projects under UNFCCC’s Clean Development Mechanism alone. As part of the Paris Agreement, parties are elaborating the rules for the next generation of market-based approaches. At its heart is the idea of international collaboration and harnessing the full power of a world that thrives on economic signals and opportunities. This is not about selling the environment but about enabling emission reductions practically, realistically and in a way that allows scaling up global climate action to the levels needed by the Paris Agreement.

In UNFCCC we are pleased to see an ever-increasing number of companies, organizations, cities and individuals joining the commitment to climate neutrality, ranging from some of the largest airports in the world, sports organizations, and IT companies, to fashion brands, schools, cities and A list celebrities.

I welcome Professor Radermacher’s contribution to this debate and hope it will inspire many more institutions, organizations and individuals to consider offsetting as a contribution to the very urgent climate action needed to build a better future for every man, woman and child.

The journey towards achieving the Paris Agreement requires all solutions to be used and all hands-on deck. Many more people can play their part and in doing so can eventually making offsetting redundant because the aim of climate neutrality and a safer, cleaner and better world for all has been secured.

Patricia Espinosa ist die Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC). Zuvor war die Mexikanerin unter anderem Botschafterin in Deutschland und Außenministerin ihres Landes.

Vorwort: Prof. Klaus Töpfer

Die Menschheit sieht sich zunehmend herausgefordert durch Probleme, die über die Kapazität eines einzelnen Staates hinausreichen. Mehr denn je ist vertrauensvolle Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg erforderlich, um diese Probleme nicht nur zu analysieren, sondern sie auch zu lösen. Und gleichzeitig: Mit großer Sorge müssen wir verfolgen, dass multilaterale Institutionen und Lösungen sich in einer massiven Krise befinden. Von den Handelssystemen der WTO bis zu weltweiten ökologischen Herausforderungen werden globale Lösungsansätze durch nationale Egoismen infrage gestellt.

Dieses Dilemma zeigt sich stärker als an vielen anderen Stellen in der Notwendigkeit, die durch die Konsequenzen menschlichen Handelns verursachten Klimaänderungen so zu bewältigen, dass sie nicht zu einer Gefährdung von Sicherheit und Stabilität in einer Welt mit bald 9 Milliarden Menschen werden können. Ganz im Gegenteil: Die wissenschaftlichen Analysen werden infrage gestellt, fossile Energieträger werden aus nationalem Interesse etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika verstärkt gefördert – die Bemühungen für erfolgreiche Klimapolitik fallen hinter sicherheitspolitische Krisen und ökonomische Instabilitäten vornehmlich in den Entwicklungsländern zurück.

Mit der Klimakonferenz 2015 in Paris wurden sicherlich ambitionierte globale Ziele vereinbart. Deren konzentrierte Umsetzung fällt schwer und wird im Zweifel immer bei der anderen Nation eingefordert. Dabei zeigen technologische Fortschritte vornehmlich bei den erneuerbaren Energien, die durch Forschung und Technik und durch Economies of Scale wettbewerbsfähig geworden sind: Klimapolitik ist durchaus ein technologischer Treiber, ist ein wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilisierung der sogenannten Entwicklungsländer.

Eine Globalisierung der Energiewende muss auch in ihrer geopolitischen Konsequenz sorgfältig beachtet werden. Für viele Länder in der Welt sind Öl und Gas entscheidende Faktoren für wirtschaftliche Entwicklung. Eine Dekarbonisierung der Energieversorgung bewirkt zumindest in der Übergangszeit für diese Länder erhebliche Verluste, kann zu Destabilisierungen ganzer Regionen führen. Um es auf den deutschen Maßstab herunterzubrechen: Ein Ausstieg aus der Braunkohleförderung führt in der Lausitz zur Krise einer ganzen Region, wenn nicht überzeugende alternative Entwicklungskonzepte angeboten werden. Um wie viel stärker sind diese Strategien für einen stabilen Übergang in eine Dekarbonisierung erforderlich in den Ländern der Arabischen Halbinsel, in den ölfördernden Ländern Afrikas und Südamerikas, aber auch in Russland. Aus unserem eigenen Interesse heraus muss die Umsetzung der erneuerbaren Energien auf globaler Ebene verbunden sein mit Übergangsstrategien für die davon besonders betroffenen Länder und Regionen.

Diese hier nur kurz angesprochenen Zusammenhänge müssen den Menschen bei uns im Land, aber auch weiter darüber hinaus sehr bewusst gemacht werden. Erfolgreiche Klimapolitik wird immer massive strukturpolitische Konsequenzen auslösen. Es ist erforderlich, diese Konsequenzen frühzeitig zu analysieren und Ansatzpunkte für ein geschlossenes multilaterales Handlungskonzept zu schaffen. Die aktuelle Krise des Multilateralismus ist dafür Gift – gemeinsames, wechselseitig vertrauensvolles Zusammenarbeiten ist unerlässlich.

Vor diesem Hintergrund ist es höchst erfreulich, dass Franz Josef Radermacher in dem vorliegenden Buch zum Klima- und Energiethema eine Vielfalt dieser Fragen weltpolitischer Dimension in den Bereichen Klima und Energie in integrativer Weise anspricht und ihre handlungsrelevanten Ansatzpunkte konkret herausarbeitet. Ebenso ist es sinnvoll, dass Radermacher die unbedingte Erfordernis der Nutzung massiver Negativemissionen, vor allem durch Aufforstungsprojekte weltweit und insbesondere in den Tropen, aber auch durch verstärkte Humusbildung in landwirtschaftlichen Projekten in den semiariden Zonen der Welt analysiert und klimapolitisch bewertet. In Kenntnis der bereits gegenwärtigen Belastung der Atmosphäre mit klimawirksamen Stoffen wird es zunehmend darum gehen müssen, CO2 wieder aus der Atmosphäre herauszuholen. Dafür verweist Radermacher auf die positive Bedeutung der großen heißen Wüsten, aber auch auf die Potenziale synthetischer Kraftstoffe. Wichtig ist dabei der Verweis auf die vielen Co-Benefits internationaler Kompensationsprojekte im Klimabereich für die Umsetzung der Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Alles dies sind Dimensionen, die weiterer intensiver wissenschaftlich-technischer Forschung bedürfen, um abschließend festlegen zu können, inwieweit diese Dimensionen für die Gestaltung einer wirksamen Klimapolitik in unserem Lande, aber auch weltweit zunehmend Bedeutung gewinnen können.

Ebenso ist es zwingend, dass die Rolle der »Top Emitter« herausgearbeitet wird, also die extrem hohen Klimagasemissionen von Menschen mit hohem Lebensstandard und einem entsprechenden Lebensstil. Diese »Top Emitter« haben direkt und indirekt, faktisch und psychologisch einen großen Anteil am Klimaproblem. Gerade diese Gruppe profitiert aber auch in besonderer Weise von den Ergebnissen einer wirksamen Klimapolitik, die eine Klimakatastrophe vermeidet und weltweite wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität sichert. Es zeigen sich damit auch über die staatlichen Initiativen hinaus Möglichkeiten und Notwendigkeiten privater und privatwirtschaftlicher klimapolitisch begründeter Kompensation.

Dem neuen Buch von Franz Josef Radermacher wünsche ich viel Erfolg. Dieser Erfolg ist auch damit verbunden, dass die Ansätze engagiert und sicherlich auch kritisch diskutiert werden. Nur aus dieser Auseinandersetzung heraus kann ein substanzieller Fortschritt globalen Handelns entstehen.

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Klaus Töpfer, Bundesminister a. D.

Ehem. Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) in Nairobi und Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen (1998–2006)

Zur Orientierung

Der Milliarden-Joker

Als »Milliarden-Joker« sollte die deutsche Politik dafür Sorge tragen, dass deutsche Akteure ab 2025 jährlich mindestens eine Milliarde Tonnen CO2, primär über »verlorene« Finanzbeiträge global kompensieren, dadurch Deutschland mehr als klimaneutral (also klimapositiv) stellen und zugleich aufgrund der zahlreichen Co-Benefits den Umfang deutscher Entwicklungszusammenarbeit in Bezug auf die Umsetzung der SDGs vervielfachen. Deutschland würde so zum ersten klimapositiven Industriestaat der Welt. Der Hauptbeitrag der Politik liegt dabei in der offensiven öffentlichen Positionierung und Koordinierung dieses neuen Ansatzes in der Klima- und Entwicklungspolitik. Auf europäischer Ebene sollte die deutsche Politik versuchen dazu beizutragen, dass europäische Akteure ab 2030 jährlich mindestens 5 Milliarden Tonnen CO2, ebenfalls primär über »verlorene« Finanzbeiträge global kompensieren, damit das Milliarden-Joker-Programm auf Europa auszuweiten versuchen und Europa so insgesamt klimapositiv stellen. Europa wäre dann der erste klimapositive Erdteil der Welt. Die (deutsche) CO2-Lücke bis 2020, die in der interessierten Öffentlichkeit diskutiert wird, kann so in ihrer Bedeutung erheblich relativiert werden. Sie wird im Übrigen ohnehin auf der relevanten, nämlich der europäischen Ebene, durch Ausgleichsmaßnahmen aufgefangen.

Info-Box 1: Der Milliarden-Joker

Mehr zum Joker-Thema

Herr Minister Müller hat auf einem Vortermin für die Klimakonferenz in Bonn am 05.12.2017 die Klimaneutralität seines Hauses, des BMZ, ab 2020 erklärt. Am nächsten Tag, bei der Eröffnung der Weltklimakonferenz hat er zum Ausdruck gebracht, dass er sich dafür einsetzen wird, dass sich die Bundesregierung, die Landesregierungen und auf Dauer der ganze öffentliche Sektor und nahestehende Bereiche klimaneutral stellen. In einer Mitteilung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 1.11.2008 wird der Gesamtumfang der CO2-Emissionen von Bund, Ländern, Kommunen und öffentlichen Unternehmen (der zwischenzeitlich spürbar abgesenkt wurde) auf etwa 43 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr geschätzt. Mehr als die Hälfte davon entsteht durch den Energieverbrauch der öffentlichen Gebäude. Aktuell plant das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Initiierung eines Bündnisses »Entwicklung und Klima« zum Thema. In Übereinstimmung mit der Mission des BMZ geht es darum, möglichst viele Akteure dafür zu gewinnen, freiwillig bilanzielle Klimagasreduktionen durch CO2-Kompensationsprojekte in Nichtindustrieländern zu bewirken. Neben dem Klimaeffekt spielen dabei erzielbare Co-Benefits bezüglich der Umsetzung der SDGs eine zentrale Rolle. Es sind erhebliche positive Effekte zum Thema durch dieses neue Bündnis zu erwarten.

Es wäre mit Blick auf die zukünftige deutsche Politik in Fortführung der geplanten Aktivitäten des BMZ ein großartiges Signal, wenn diese für Deutschland das Ziel formulieren würde, dass Akteure mit Sitz in Deutschland ab 2025 eine Milliarde Tonnen CO2 jährlich, zum Beispiel über »verlorene« Finanzierungszuschüsse in internationalen Kooperationsprojekten kompensieren werden und wenn in einer großen gesellschaftlichen Anstrengung zügig auf dieses Ziel hingearbeitet würde. Das wären dann mehr kompensierte Tonnen als die Gesamtemissionen Deutschlands. Deutschland hätte sich auf diese Weise als erster Industriestaat der Welt als Ganzes mehr als klimaneutral (das heißt klimapositiv) gestellt und würde gleichzeitig in massiver Weise die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) fördern, nämlich durch sogenannte Co-Benefits internationaler Kompensationsprojekte. Geht man von Kompensationspreisen von 10 bis 20 Euro pro Tonne CO2 aus, wären das trotz erheblicher Transaktionskosten zusätzlich deutlich mehr als 20 Milliarden Euro als deutscher Beitrag zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit, die heute bei 22,3 Milliarden Euro liegt. Dies deshalb, weil das Finanzvolumen der Projekte in den sich entwickelnden Ländern, die Zertifikate im CO2-Bereich erzeugen, natürlich um ein Mehrfaches höher liegt als die Kosten der erzeugten CO2-Zertifikate (vgl. hierzu auch Kap. V.10).

Der hier gemachte Vorschlag muss den Staatshaushalt nicht wesentlich belasten. Man kann sich sehr gut eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Unternehmen und den Bürgern in diesem Bereich vorstellen. Worauf es ankommt, ist, in einer konzertierten Aktion zusammenzuwirken, und zwar unter Nutzung der richtigen Art von öffentlicher Kommunikation. Gegen Hindernisse, die aus Unverständnis oder möglicherweise auch verdeckten Eigeninteressen resultieren, zum Beispiel negative und abwertende Formulierungen für internationale Kompensationsprojekte im Klimabereich wie »Ablasshandel«, »Freikauf« und »Greenwashing« muss argumentiert werden. Hier sollte die neue deutsche Regierung einen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten im Klimabereich setzen. Natürlich ist dies auch ein Anliegen des geplanten neuen Bündnisses »Entwicklung und Klima«.

Menschen, die sich freiwillig klimaneutral stellen, sollte gedankt werden. Was die Regierung tun könnte, wäre, für entsprechende Standards in Projekten sorgen. Wer also Teil dieses nationalen Programms sein will, kann nur solche Kompensationsprojekte nutzen, die entsprechende Standards erfüllen. Hierzu sind inhaltliche Vorgaben noch zu erarbeiten. Dies ist ein wichtiges Thema, für das entscheidende Impulse aus dem geplanten neuen Bündnis des BMZ erwartet werden. Die Bundesregierung könnte auf dieser Basis ein Registrierungsumfeld für Maßnahmen zu diesem Thema schaffen und alle bei Privatpersonen, Organisationen, Unternehmen erfolgten Kompensationsmaßnahmen der zugelassenen Art dokumentieren und registrieren. In jedem Fall sollten entsprechende Ausgaben von Unternehmen als Betriebsausgaben anerkannt werden. Die Regierung könnte gegebenenfalls die Bereitschaft signalisieren, die auf diese Weise durch andere Akteure nicht kompensierten (Rest-)Volumen bis zu einer Milliarde Tonnen CO2 pro Jahr aus Steuermitteln zu kompensieren.

Wenn Deutschland sich insgesamt auf diese Weise klimapositiv stellt, müssen wir in der nationalen Politik nicht mehr sklavisch Pläne für rein rechnerisch abgeleitete Reduktionsziele verfolgen. In Bezug auf Kohle, Automobile, energetische Sanierung von Gebäuden können wir mit mehr Augenmaß und vor allem Zeit für Anpassungen und orientiert an Kosten-Nutzen-Überlegungen verfahren. Die im Moment durch eine Art »Klimaplanwirtschaft« (in Abgrenzung zu einem funktionierenden Cap-and-Trade System) erfolgende Geldvernichtung in diesem Bereich kann massiv zurückgefahren werden. Stattdessen können wir mittelfristig die jeweiligen Prozesse systematischer angehen. Dabei spielt der weitere technische Fortschritt eine zentrale Rolle. Er sollte technologieoffen beobachtet und genutzt werden.

Thesenartige Zusammenfassung

Die internationale Klimapolitik braucht einen neuen Denkrahmen (Frame), wenn das Zwei-Grad-Ziel noch eine Chance haben soll. Denn die Weltgemeinschaft droht im Klimabereich zu scheitern.1 Die Zeit läuft davon. Weil wir zu wenig tun und dieses Wenige oftmals auch noch falsch ist. Ein geeigneter Denkrahmen wird in dem vorliegenden Buch entwickelt. Er löst sich insbesondere von der heute dominierenden nationalen Orientierung der verfolgten Aktivitäten. Wesentliche Elemente sind die folgenden:

1.Die Politik hat in Paris geliefert, was sie liefern konnte, auch wenn dies bei weitem nicht zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels reichen wird. Viel mehr kann die Politik nicht leisten. Weiterer Druckaufbau auf die Politik ist eher kontraproduktiv.

2.Bilanziell müssen bis 2050 etwa 500 Milliarden weitere Tonnen CO2 eliminiert werden. Zugleich dürfen insbesondere die erforderlichen Wachstumsprozesse der Nichtindustrieländer und damit (zumindest teilweise) die Umsetzung der Agenda 2030 in diesen Ländern (bilanziell) keine weiteren erheblichen Klimabelastungen zur Folge haben. Dies ist die Schlüsselfrage für eine eventuelle Erreichung des Zwei-Grad-Ziels. Soll dies gelingen, muss unter anderem der Atmosphäre massiv CO2 durch biologische Sequestrierung, also zum Beispiel durch Aufforstungsmaßnahmen und Förderung der Humusbildung im Bereich der Landwirtschaft, entzogen werden. Es geht dabei um mindestens 250 Milliarden Tonnen CO2-Negativemissionen bis 2050. Negative Emissionen besitzen insofern eine zentrale Bedeutung.

3.Die bilanzielle Vermeidung von 500 Milliarden Tonnen CO2 bis 2050 erfordert insbesondere erhebliche »verlorene« Finanzzuschüsse zu globalen Kompensationsprojekten (vgl. Info-Box 40), geschätzt etwa 500 Milliarden Euro pro Jahr bis 2050, was einem Vielfachen der heutigen Mittel für die internationale Entwicklungszusammenarbeit entspricht. Das kann die Politik nicht leisten. Schon die verabredeten 100 Milliarden US-Dollar (»verlorener«) Klimafinanzausgleich pro Jahr ab 2020 sind für die Politik in den Industrieländern fast eine Überforderung.

4.Neben der Politik brauchen wir deshalb einen zweiten starken Akteur in der Klimapolitik, und zwar den wohlhabenden Teil der Weltbevölkerung, etwa 1 bis 2 Prozent der Weltpopulation, die über alle Länder der Welt – reiche, weniger reiche und arme – verteilt sind und zum Teil sehr hohe CO2-Emissionen erzeugen (50, 100, 500 ja sogar 1000 Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr). Die sogenannten »Top Emitters«.

5.Ohne die Emissionen der »Top Emitters« gäbe es das Klimaproblem nicht. Die »Top Emitters« profitieren ökonomisch am meisten davon, wenn eine Klimakatastrophe vermieden wird. Es geht für sie um die Absicherung ihres Lebensstils und ihrer vielen Eigentumstitel. Sie und ihre Partner – weltweit operierende Unternehmen und Organisationen, reiche Gemeinden und Städte, Lieferanten und Dienstleister können, wenn sie wollen, sogar alleine die zweite Hälfte des Klimaproblems lösen, nämlich bis 2050 eine bilanzielle Einsparung von 500 Milliarden Tonnen CO2, und dazu die Aufbringung von 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr, primär als »verlorene« Beiträge für die Finanzierung. Das heißt dass den 500 Milliarden US-Dollar in der Regel keine Eigentumstitel gegenüberstehen, sie keine Zinsen generieren und auch nicht zurückbezahlt werden (vgl. Info-Box 40).

6.Freiwillige Klimaneutralität der »Top Emitters«, insbesondere durch globale Kompensationsprojekte, zum Beispiel solche vom Typ »No Use« (zum Beispiel das Stilllegen von Zertifikaten des europäischen Zertifikatssystems oder das Zahlen von Entschädigungen für die Stilllegung von Kohlekraftwerken und ebenso für die Nichtexplorierung neuer Ölfelder in bestimmten Lokationen) und durch Finanzierung von Negativemissionen, insbesondere durch biologische Sequestrierung (vor allem Aufforstung und forcierte Humusbildung/Einsatz von Bio-Kohle auf potenziell einer Milliarde Hektar degradierter Böden) ist ein wesentlicher Schlüssel zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels.

7.Der beschriebene Ansatz eröffnet gewaltige Potenziale in Richtung der Umsetzung der SDGs, der Nachhaltigkeitsziele der Weltgemeinschaft, der sogenannten Agenda 2030, und zwar über die großen Co-Benefits der beschriebenen Maßnahmen. Denn auch die Erreichung der »Sustainable Development Goals« erfordert erheblichen Mittelzufluss aus wohlhabenden Ländern in sich entwickelnde Länder. Auch dies kann die Politik nicht leisten. Das jahrzehntelange Lavieren bezüglich des 0,7-Prozent-Ziels für ODA-Mittel spricht eine deutliche Sprache. Der wohlhabende Privatsektor aber kann diese Mittel im Rahmen freiwilliger Klimaneutralitätsmaßnahmen (über Stilllegung entsprechender Zertifikate oder als Projekt-Owner) aufbringen. Das ist auch ein besonders kluger Weg, um mehr Suffizienz zu erreichen.

8.Die Politik sollte den wohlhabenden Teil der Weltbevölkerung und seine Partner motivieren, in diesem Sinne aktiv zu werden und zugleich die Rahmenbedingungen für individuelle Klimaneutralitätsaktivitäten verbessern. Die NGOs sollten dieser Gruppe ebenfalls viel mehr Aufmerksamkeit als bisher widmen, statt von der Politik Lösungen zu fordern, die sie ohnehin nicht »liefern« kann. Vor allem sollte die von vielen NGOs praktizierte völlig verfehlte Diffamierung internationaler Kompensation als »Freikauf, Ablasshandel oder Greenwashing« beendet werden.

9.Die deutsche Politik sollte sich, wie das aktuell auch zwischen den Koalitionspartnern Konsens zu sein scheint, mit überzogenen, teils planwirtschaftlich anmutenden Vorschlägen zur forcierten Stilllegung von Kohlekraftwerken, zur energetischen Rundumsanierung von Gebäuden und zum weitgehenden, das heißt flächendeckenden Umstieg auf Elektroautos zurückhalten und stattdessen technologieoffener und mit weniger Zeitdruck operieren. Parallel dazu sollte sie die Idee freiwilliger Klimaneutralität von Unternehmen, Organisationen und Individuen breit propagieren und koordinieren.

10.Als »Milliarden-Joker« sollte die deutsche Politik perspektivisch darauf hinwirken, dass deutsche Akteure ab 2025 jährlich mindestens eine Milliarde Tonnen CO2 global kompensieren, dadurch Deutschland als ersten Industriestaat der Welt mehr als klimaneutral (genauer: klimapositiv) stellen und zugleich aufgrund der zahlreichen Co-Benefits den Umfang deutscher Entwicklungszusammenarbeit in Bezug auf die Umsetzung der SDGs vervielfachen. Der Hauptbeitrag der Politik liegt dabei in der offensiven öffentlichen Vertretung und Koordinierung dieses neuen Ansatzes in der Klima- und Entwicklungspolitik. Auf europäischer Ebene sollte die deutsche Politik versuchen, dazu beizutragen, dass europäische Akteure ab 2030 jährlich mindestens 5 Milliarden Tonnen CO2 global kompensieren, damit das Milliarden-Joker-Programm auf Europa auszuweiten versuchen. Europa wäre dann der erste klimapositive Kontinent. Die vor kurzem gestartete Trillion Tree Campaign der von Kindern initiierten Plant-for-the-Planet Initiative in Zusammenarbeit mit weiteren, vor allem britischen Partnern (WCS, WWF und BirdLife International) (vgl. Abb. 23) weist in die richtige Richtung. Solche Zielsetzungen sind mit individuellem Engagement, konsequentem Einsatz und mit »langem Atem« umsetzbar. Sie können den Menschen Mut machen und bieten eine motivierende Alternative zu den permanenten Weltuntergangsbotschaften und fast schon planwirtschaftlichen Lösungsansätzen, die uns täglich erreichen.

Einleitung

Das vorliegende Buch thematisiert die Handlungsoptionen im Klimabereich nach Paris und nach der erfolgten Mitteilung der USA, aus dem Paris-Vertrag auszusteigen. Der Text versucht eine Aussage darüber zu machen, ob das Klimaproblem im Sinne des (verschärften) Zwei-Grad-Ziels, das heißt maximale Temperaturerhöhung im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit deutlich unter 2 Grad, noch lösbar ist oder nicht und wenn ja, was erforderlich ist, um dieses Ziel zu erreichen.

Der Text identifiziert den aktuellen Denkrahmen (Frame) zum Klimaproblem als eine der Hauptursachen dafür, dass die Weltgemeinschaft in diesem Themenbereich nicht schnell genug weiterkommt und schlägt einige neue Framing-Elemente vor, die zielführend sind (vgl. hierzu auch die 12 Thesen am Ende des Buches).

1.Thematisierung von Negativemissionen, das heißt Entzug von CO2 aus der Atmosphäre. Hierbei spielt die biologische Sequestrierung (Aufforstung, Humusbildung/Bio-Kohle) eine zentrale Rolle. Der Umfang an erforderlichen Negativemissionen bis 2050 wird auf etwa 250 Milliarden Tonnen geschätzt (vgl. Abb. 3).

2.Aktivierung einer weiteren Akteursgruppe, die vieles tun kann, was die Politik nicht tun kann, nämlich der Privatsektor. Der Privatsektor kann entscheidend dazu beitragen, dass die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen umgesetzt werden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Trillion Tree Campaign der Plant-for-the-Planet Initiative (vgl. Abb. 23).

3.Aktivierung des Privatsektors bedeutet vor allem Aktivierung seines wohlhabendenTeils zur Lösung des Klimaproblems. Dies betrifft vor allem die Gruppe der Top Emitters. Dies ist keinNord-Süd-Thema. Es ist vielmehr das Thema eines hohen Lebensstandards relativ zu einem deutlich niedrigeren Lebensstandard.

Der Text knüpft an die Situation nach der Weltklimakonferenz in Kopenhagen in 2009 an, deren Ergebnisse in direkter Linie zu dem Weltklima-Vertrag von Paris geführt haben. Der enge Link zwischen Kopenhagen und Paris, der eine wichtige Basis für die Arbeiten an diesem Buch über die letzten Jahre war, wird erläutert, auch die sogenannte Paris-Lücke, das heißt die völlig unzureichenden Zusagen der Staaten in Bezug auf die formulierten Zielsetzungen. Die hier vertretene Position ist die, dass die Politik diese Lücke nicht schließen kann, wohl aber der Privatsektor, insbesondere der wohlhabende Teil. Und dass diese Personengruppe gute Gründe hat, sich angemessen zu engagieren. Die Politik kann dies fördern, vor allem durch bessere Kommunikation im Rahmen eines neuen Frames. Dies führt zu dem Milliarden-Joker, dem Titel des Buches.

Warum ist die Lösung des Klimaproblems so schwierig? Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Klimathematik nicht primär als Umweltproblem verstanden werden darf. Vielmehr sind die das Klimaproblem verursachenden Klimagasemissionen aufs engste mit dem Energiesektor, mit industriellen Aktivitäten und zum Beispiel einer Hochleistungslandwirtschaft verknüpft, also mit ökonomischen, finanziellen, sozialen und damit weiteren, politisch höchst brisanten Themen. Es geht um Wohlstand, Reichtum, Ressourcenzugriff und -verfügbarkeit, Innovationen, um Macht und Stärke, um Fragen der Geopolitik, vielleicht auch um Krieg und Frieden. In jedem Fall geht es um viel Geld und um dessen Allokation. Wer ist Gewinner, wer ist Verlierer in diesem Prozess? Für die Ärmsten auf der Erde geht es vor allem um Wasser und Nahrung und das nackte Leben und Überleben in einem Umfeld, in dem die Weltbevölkerung weiter rasant wächst.

Das vorliegende Buch diskutiert die daraus resultierenden Herausforderungen und gibt Hinweise auf neuartige Lösungsansätze, vor allem auf das große Potenzial des wohlhabenden Privatsektors und seiner Partner, Dienstleister und Wohngemeinden, zur Lösung des Weltklimaproblems beizutragen, und zwar insbesondere durch freiwillige, individuelle Klimaneutralität durch Nutzung des Instruments internationaler Kompensationsprojekte, meist unter Einsatz »verlorener« Finanzierungsbeiträge (vgl. Info-Box 40). Dabei geht es um eine zweite Gerechtigkeitsdimension der Klimafrage, nämlich diejenige zwischen sehr reichen Konsumenten mit aufwendigem Lebensstil überall auf der Erde (sogenannte »Top Emitters«) und der »Normalbevölkerung«. Die hohen Einzelemissionen der Top Emitters sind in einer bestimmten Interpretation der Hauptverursacher des Klimaproblems. Das hier behandelte Problem (vgl. Abb. 12), wird in den einschlägigen Debatten kaum adressiert, obwohl es für etwa die Hälfte der Klimaproblematik ausschlaggebend ist. Man merkt, dass der Denkrahmen (Frame) der öffentlichen Debatte die Situation nur ungenügend erfasst.

Das vorliegende Buch beschreibt, was mit Klimaneutralität, insbesondere des Privatsektors gemeint ist, wie das geht und dass dies machbar ist. Außerdem wird gezeigt, dass damit zugleich und in großem Umfang zahlreiche sogenannte Co-Benefits bewirkt werden können, die positiv in Richtung der Sustainable Development Goals 2015 bis 2030 (der Agenda 2030) der Vereinten Nationen wirken, die ohne derartige Beiträge keine realistische Chance auf Umsetzung besitzen, denn die Finanzierungsdefizite bezüglich »verlorener« Finanzierungsbeiträge sind auch im Bereich der Agenda 2030 gigantisch. Entsprechende Aktivitäten wären auch hilfreich im Kontext eines Marshallplan mit Afrika, der für die Zukunft des afrikanischen Kontinents und wegen der Migrationsfragen auch für Europa eine Schlüsselbedeutung besitzt.

Tatsächlich reicht das Potenzial freiwilliger Klimaneutralität noch viel weiter. Sie kann über die induzierten Geldflüsse zum Schlüssel dafür werden, den zu »weichen« Paris-Vertrag zu härten und in eine leistungsfähigere Struktur zu transformieren. Dies wird in Kap. IV.9 beschrieben.

Ausgangsthese des Buches

Die Politik hat in Paris geleistet, was sie leisten konnte. Sie hat ein Fass ohne Boden in eine klar definierte Aufgabe verwandelt, nämlich bis 2050 noch etwa 500 Milliarden zusätzliche Tonnen CO2-Emissionen entweder zu verhindern oder aber der Atmosphäre wieder zu entziehen. Das wird massive »verlorene« Finanzierungsbeiträge erfordern. Die Politik kann dies nicht leisten, wohl aber der Privatsektor. Und dieser hat gute Gründe, dies zu tun.

Info-Box 2: Ausgangsthese des Buches

Natürlich muss die Reduktion der Klimagas-Belastungen nach 2050 weitergehen. Freiwillige Klimaneutralität erlaubt es vor allem, Zeit zu gewinnen. In der 2. Hälfte dieses Jahrhunderts müssen die bis dahin hoffentlich verfügbaren, leistungsfähigen technischen Lösungen im Energiebereich weltweit umgesetzt werden. Wir brauchen Energiewohlstand überall auf der Welt, nicht verwaltete Energiearmut. Die Technik muss die Voraussetzungen dafür schaffen. Dies betrifft vor allem den breiten Rollout dieser Lösungen und dessen Finanzierung. Für Maßnahmen in Richtung freiwilliger Klimaneutralität wird deshalb nach 2050 noch ebenso viel zu tun bleiben wie bis zu diesem Zeitpunkt. Es hilft, wenn dieses Instrument dann bereits breit erprobt ist.

Das Buch ist wie folgt gegliedert. In einer Hinführung zum Thema wird in Teil I alles Wichtige für den eiligen Leser zusammengefasst. Dies insbesondere in Form einer Management Summary. Es schließen sich Ausführungen zu weltweiten Entwicklungen im Bereich fossiler Energieträger an, in die auch das Handeln von US-Präsident Trump eingeordnet wird. Dieser Präsident erschwert die Situation bezüglich der Umsetzung der Paris-Ziele, muss aber kein unüberwindbares Hindernis für Zielerreichung darstellen. Der Privatsektor kann die Paris-Lücke schließen, mit und ohne Präsident Trump. Und die USA haben in den letzten Jahren schon viel zur Lösung des Klimaproblems beigetragen, wenn auch stärker aus geopolitischen Motiven heraus, denn mit Blick auf Beiträge zur Lösung des Klimaproblems. Abgerundet wird der Hinführungsteil durch Hinweise auf vielfache UN-Aktivitäten zum Thema »Klimaneutralität«.

Das Buch vertieft in Teil II »Einordnung der Thematik« die angesprochenen Themen. Dazu gehört eine Einordnung der Weltkonferenzen von Stockholm (1972) und Rio (1992) in dem hier betrachteten Rahmen und aus 2015 die Entscheidungen der Weltgemeinschaft zu den SDGs (Agenda 2030), der Klimavertrag von Paris und die Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung von Addis Abeba. Die erforderliche große Transformation des Energiesektors wird besprochen und sehr allgemein die Frage gestellt, ob wir unseren Wohlstand aufgeben müssen, um das Klimaproblem zu lösen, und was das praktisch bedeuten würde. Schließlich wird der wohlhabende Privatsektor als ein wichtiger neuer Akteur identifiziert, der die Paris-Lücke schließen und die Erreichung des Zwei-Grad-Ziels ermöglichen kann.

In Teil III, »Klima und Energie«, wird die Energieseite des Themas besprochen, die Shell-Gas und Shell-Öl »Revolution« in den USA, massive Schwierigkeiten für eine Dekarbonisierung der Weltökonomie und der Aufstieg Chinas, sowie den dadurch induzierten Ressourcenverbrauch als auch die korrespondierenden, hohen Klimagasemissionen. Ganz offensichtlich ist das Beispiel China, bei allem Respekt vor der großen Leistung des Landes in der Reduzierung der Armut, kein replizierbares Modell für weitere sich entwickelnde Länder und Erdteile, da andernfalls die Atmosphäre mit CO2 noch stärker überlastet wird. Was ist dann aber zu tun, zum Beispiel in Indien oder in Afrika als sehr heterogenem Kontinent? Am Beispiel Ecuador wird schließlich deutlich gemacht, wie wenig die reichen Länder verstanden haben, was jetzt erforderlich wäre. Deutschland hat dabei eine unrühmliche Rolle gespielt.

In Teil IV wird der konzeptionelle Zugang des Autors und des von ihm geleiteten Instituts, FAW/n in Ulm, zu einer eventuellen Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels diskutiert. Der Vorschlag war eine Reaktion auf die Ergebnisse der Klimakonferenz in Kopenhagen in 2009. Wichtig war die Identifikation einer 2. Gerechtigkeitsdimension der Klimafrage, die von der Größenordnung her gleich neben der üblicherweise thematisierten Gerechtigkeitsfrage zwischen Industrieländern und Nichtindustrieländern steht. Freiwillige Klimaneutralität leistungsstarker, privater Akteure unter Einschluss internationaler Kooperationsprojekte auf Basis »verlorener« Finanzierungsbeiträge wurde in Reaktion auf diese 2. Gerechtigkeitsdimension als Schlüssel zur Lösung der offenen Fragen im Klimabereich und zur Schließung der Paris-Lücke gesehen.

Teil V, »Was bedeutet Klimaneutralität genau?«, führt in Details der Begriffsbildungen zur Klimaneutralität ein, vom Klimafußabdruck zu verschiedenen Scope-Bereichen des Greenhouse Gas Protocols bis zu verschiedenen Formen der Kompensation. Framing-Fragen spielen eine große Rolle und werden ausführlich behandelt. In V.10 wird der freiwillige Carbon Markt in seinen vielfältigen Facetten beschrieben. (Hinweis: Zu den Kapiteln in den Teilen II–V gibt es jeweils am Anfang in kursiver Schrift eine Kurzzusammenfassung für den eiligen Leser.)

Teil VI, »Beispiele und Vorreiter«, berichtet über den Umfang entsprechender Aktivitäten, bringt Beispiele aus der Praxis zum Thema, insbesondere auch solche von Partnern, die in diesem Bereich mit dem Autor zusammenarbeiten. Es wird deutlich, dass viele Akteure bereits im Bereich der freiwilligen Klimaneutralität aktiv sind. Die wichtige Kinder- und Jugendlichen-Initiative Plant-for-the-Planet wird ausführlich diskutiert. Interessant ist aus jüngerer Zeit, dass die Firma Avia im Bereich Mineralölhandel auf eigene Kosten ihr Heizöl klimaneutral stellt. Ebenfalls, dass ein Weltmarktführer im IT-Bereich wie SAP seine Klimaneutralitätspolitik mit Zieldatum 2025 öffentlich gemacht hat.

Ein Abschlussteil mit Schlussbemerkung, Anhängen, Literatur, Danksagung, insbesondere Hinweise auf Studien und Hinweise auf Kompensationspartner sowie eine Zusammenstellung wesentlicher Überlegungen und Positionen des Buches in Form von 12 Thesen (Anhang 7) schließt das Buch ab.

Anmerkung

1 »In the line of fire – Losing the war against climate change.« Story: The Economist, August 4th, 2018.

I. Hinführung zum Thema

I.1 Management Summary – was nach Paris zu tun ist

Die Klimafrage ist eine der zentralen Herausforderungen für die Menschheit. Mit dem Weltklimavertrag von Paris wurde ein wichtiger Schritt in Richtung »Bewältigung« getan, insofern als die Staaten der Welt gemeinsam das Problem benannt und eine Zielsetzung formuliert haben, nämlich den Anstieg der globalen mittleren Temperatur unter 2 Grad, möglichst unter 1,5 Grad im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit zu halten (verschärftes Zwei-Grad-Ziel).

Seit der Weltklimakonferenz von Kopenhagen war klar, dass viel mehr wohl kaum zu erreichen ist. Die vorliegenden Zusagen reichen, selbst wenn sie umgesetzt werden sollten, bei weitem nicht aus für die Erfüllung der Zielsetzung, und von weiteren Runden der »Verschärfung« ist das auch nicht zu erwarten. Die Umsetzung des Versprochenen, das auch noch längst nicht sicher ist (siehe Trump), kann den Temperaturanstieg vielleicht bei 3 bis 4 Grad im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit begrenzen, aber nicht bei 2 Grad und weniger. In Bezug auf die Frage, wie man zu 1,5 bis 2 Grad kommt, besteht also eine erhebliche Ambitionslücke – die Lücke von Paris. Dies gilt sowohl für das, was die Staaten individuell oder in ausgewählten Partnerschaften zu tun bereit sind, als auch in Bezug auf die Frage, wofür internationale Finanzierung etwa im Sinne eines Klimafinanzausgleichs bereitgestellt werden wird.

Dieses Buch argumentiert, dass viel mehr als das, was mit Paris erreicht wurde, von der Politik auch nicht erwartet werden kann. Aus guten Gründen muss nun eine leistungsstarke andere Akteursgruppe aktiviert werden, nämlich der Privatsektor, vor allem der reiche Teil mit seinen zum Teil extrem hohen Klimagasemissionen (Top Emitters).

Der vorliegende Text argumentiert, dass der Privatsektor die Lücke von Paris, die etwa 500 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen bis 2050 umfasst (graues und grünes Feld in Abb. 3 in Kap. II.2) schließen kann und das die Politik in Paris die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass der Privatsektor jetzt diese Herausforderung entschlossen angehen kann. Dies ist aus Sicht dieses Textes der entscheidende Beitrag des Paris-Vertrags. Der Privatsektor kann dabei, jenseits aller gesetzlichen Vorgaben und unter Beachtung des Verursacherprinzips, den Gedanken einer freiwilligen Klimaneutralität seiner Aktivitäten unter Einschluss internationaler Kompensationsprojekte auf Basis »verlorener« Finanzierungsbeiträge verfolgen und damit die Lücke individualisieren. Und es gibt für ihn gute Gründe, dies zu tun. Denn das Klimaproblem ist, wenn man es so interpretieren will, im Kern verursacht von individuellen »Großemittenten«. Und diese sind zugleich die größten Verlierer, wenn es zu einer Klimakatastrophe kommen sollte.

Es ist wichtig, dass die erforderlichen Aktivitäten des Privatsektors sehr viele Co-Benefits zu erzielen erlauben, also positive Effekte an anderer Stelle, etwa bei der Umsetzung der SDGs, den 17 Nachhaltigkeitszielen der Weltgemeinschaft bis 2030. Es sind dies Non-regret-Aktivitäten, die sogar Sinn ergeben würden, wenn es kein Klimaproblem gäbe beziehungsweise wenn der Mensch für das Klimaproblem in keiner Weise verantwortlich wäre.

In diesem Kontext sind, wie bei einem Puzzle, viele Fragen gleichzeitig zu adressieren:

■Sicherung eines erheblichen Wohlstandszuwachses für Milliarden Menschen, um so auch das nach wie vor viel zu hohe Bevölkerungswachstum, vor allem in Afrika und Indien, möglichst bei 10 Milliarden Menschen zu begrenzen. Dies auch mit Blick auf die Migrationsfrage, die die Politik in den reichen Ländern völlig überfordern kann.

■Verwirklichung eines erheblichen Wohlstandsaufbaus in Afrika, unter anderem durch Nutzung der großen Potenziale für erneuerbare Energien in der Sahara und an vielen anderen Stellen.

■Umsetzen der SDGs, also der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, das heißt überall die Kombination von mehr Wohlstand bei gleichzeitigem Umweltschutz und Schutz des Klimasystems.

■Massive Nutzung biologischer Sequestrierung, insbesondere durch Aufforstung auf degradierten Böden in den Tropen und großflächige Humusgenerierung/Einsatz von Bio-Kohle, insbesondere auch auf semiariden Flächen, zur Bindung von CO2. Dieses Thema bildet einen Schwerpunkt des Buches. Aufforstung dient unter anderem der Bereitstellung großer Volumina von Holz als erneuerbare Ressource für den breiten Wohlstandsaufbau. An dieser Stelle sei erneut auf die Trillion Tree Campaign der Plant-for-the-Planet Initiative (vgl. Info-Box 57) verwiesen. Die Ausweitung der Nahrungsmittelproduktion vor Ort ist für die Ernährung der Menschen in den ärmeren Ländern eine Existenzfrage.

■Produktion synthetischer Kraftstoffe und anderer Energieträger für Fahrzeuge, Häuser, Schwerindustrie, Chemie auf Basis von geeigneten, potenziell klimaneutralen Basismaterialien wie Methanol, bevorzugt hergestellt am Rande von oder in heißen Wüstengebieten.

Der beschriebene Weg zielt auf Kooperation zwischen Nord und Süd, exemplarisch auf eine deutlich verstärkte Kooperation zwischen Europa und Afrika. Die Europäer können gigantische Kosten vor Ort bei ihren eigenen Beiträgen zur Lösung des Klimaproblems einsparen, wenn sie mit Afrika klug zusammenarbeiten. Sie können damit zugleich die Umsetzung der SDGs in Afrika wesentlich voranbringen, ohne Umwelt und Klima zusätzlich zu belasten. Das Bevölkerungswachstum könnte in der Folge um 2050 zum Stillstand kommen. Unter Umständen kann massive Migration verhindert werden. Durch großflächige biologische Sequestrierung werden große materielle und finanzielle Werte geschaffen, während gleichzeitig die weltweite Klimasituation verbessert wird.

Der Text beschreibt in der beschriebenen Argumentationslinie, welche enormen Chancen im Bereich der freiwilligen Klimaneutralität liegen, die deshalb aus guten Gründen von der Bundesregierung genutzt und von Seiten des UN-Klimasekretariats stark propagiert wird (vgl. I.3). Die hier gewählte Argumentationslinie findet sich mittlerweile auch an anderer Stelle. Der Beitrag [91] gibt hierzu wichtige Informationen. Er verweist auf die Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD), die Empfehlungen darüber formuliert, wie und was Firmen gegenüber Investoren bezüglich der Risiken berichten sollen, mit denen sie im Klimabereich konfrontiert sind. Er zitiert Simon Henry, den Programmdirektor der International Carbon Reduction and Offset Alliance (ICROA), der die Bedeutung freiwilliger Offsets beschreibt und deutlich macht, dass der Markt für Offsets funktioniert, transparent ist, wächst und einen entscheidenden Beitrag leisten kann und muss, wenn das Zwei-Grad-Ziel noch erreicht werden soll. Interessant ist auch die Position des World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) zum Thema. Maria Mendiluce, die Direktorin dieser wichtigen Business Organisation zum Thema Nachhaltigkeit für die Bereiche Klima und Energie beschreibt die große Bedeutung von Offsets und tritt Kritikern entgegen, nicht anders als Frau Christina Figueres, die frühere Executive Secretary des UN Climate Change Sekretariats (vgl. hierzu auch die Hinweise in Kap. I.3 in diesem Buch). Der WBCSD entwickelt aktuell sein Natural Climate Solutions Project zum Thema, das über den freiwilligen Carbon-Markt Finanzierung in Projekte der Bodennutzung leiten soll, die Kohlenstoff in Böden speichern. Dies ist auch ein zentrales Anliegen des vorliegenden Buches (vgl. hierzu insbesondere Kap. III.3).

Das vorliegende Buch beschreibt des Weiteren auch mit Beispielen, dass viele Akteure bereits im Themenbereich entschieden unterwegs sind und als Vorbilder agieren. Dies könnte der Schlüssel zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels sein. Der Milliarden-Joker (vgl. Info-Box 1) ist in diesem Kontext der politische Vorschlag an die Politik, insbesondere auch an die neue deutsche Regierung, auf diese Weise die bestehenden Probleme um die Klimaschutzziele 2020 zielgerichtet zu relativieren: Deutschland würde weltweit zum ersten klimapositiven Industriestaat.

I.2 Der US-Präsident, Rechtsfragen und deutsche Befindlichkeiten2

Internationale Politik wird in Zeiten von US-Präsident Trump, Brexit und Renationalisierungs- und Protektionismus-Tendenzen in vielen Staaten immer schwieriger. Der sich aufbauende Migrationsdruck stellt eine besondere Herausforderung dar, vor allem, wenn man an die Möglichkeit von Millionen Klimaflüchtlingen in der Zukunft denkt. Parallel zu den internationalen Themen erzeugen die Verlierer der Globalisierungsprozesse der letzten Jahrzehnte politische Verwerfungen innerhalb der Staaten. Ihre Situation wurde in der öffentlichen Debatte und im politischen Prozess viel zu lange nicht fair zur Kenntnis genommen. Auf nationaler Ebene finden sich nun fast überall Akteure, die jetzt einfache Lösungen versprechen, während die schwierigen, aber erfolgversprechenden Ansätze echter internationaler Kooperation von fast allen Seiten eher ausgeblendet werden.

Die aktuellen Probleme werden beim Klimaschutz besonders deutlich. Der Pariser Klimavertrag ist in der internationalen Abstimmung zum Thema ein Schritt nach vorne, aber er bedeutet, wie dargestellt, nicht die Lösung des Klimaproblems, auch wenn viele Akteure, die sich im Bereich Nachhaltigkeit und Klimaschutz engagieren, so tun, als hätte die Weltgemeinschaft in Paris einen vollumfänglichen Lösungsweg zur Eindämmung des Klimawandels beschlossen. Das ist nicht der Fall. Der Pariser Klimavertrag hat zwei Dimensionen. Formuliert wurden auf einer abstrakten Ebene Ziele, die aus Sicht des Klimaschutzes erforderlich sind. Dies allerdings nur in rechtlich unverbindlicher Weise bei nicht geklärter Zuständigkeit. Konkreter sind auf der Umsetzungsebene des Vertrages die freiwilligen CO2-Reduktionszusagen (Nationally Determined Contributions (NDCs)) der einzelnen Staaten. Diese sind allerdings ungenügend und reichen, selbst wenn sie umgesetzt werden, in der Summe bestenfalls aus, die Erderwärmung auf vielleicht 30 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Das so wichtige Zwei-Grad-Ziel ist auf Basis dieser Zusagen nicht erreichbar. Zudem ist die Umsetzung unsicher. Denn selbst die freiwillig gemachten Zusagen sind nicht mit Sanktionen bei Nicht-Einhaltung verknüpft. Zudem ist mit drei Jahren Vorlauf sogar ein Ausstieg aus diesem sehr »weichen« Vertrag möglich.

Nun haben die USA unter Präsident Trump den Austritt aus diesem gerade geschlossenen Vertrag erklärt. Dieser Austritt wird 2020 wirksam. Der stärkste Akteur verweigert sich. Wahrscheinlich will er sich nicht völkerrechtlich verbindlich an das Zwei-Grad-Ziel binden, was in der Sache nicht bedeuten muss, dass er das Zwei-Grad-Ziel aufgeben will. Eher geht es um ein starkes politisches Signal, des Weiteren um die Vermeidung eventueller Rechtsfolgen. Dies betrifft vor allem rechtliche Auseinandersetzungen vor US-Gerichten, bei denen Betroffene des Klimawandels (unter Umständen auch Ausländer) versuchen könnten, aus dem gemeinsamen Ziel der Weltgemeinschaft im Klimabereich Handlungspflichten für die US-Politik zu erzwingen oder Haftungsansprüche gegen US-Unternehmen abzuleiten. Hier ist folgendes Beispiel interessant: Die Stadt New York hat jüngst die Ölkonzerne BP, Chevron, Conoco Philips, Exxon Mobil und Royal Dutch Shell vor Gericht verklagt. Die Stadt will Milliarden US-Dollar zurückbekommen, die sie zur Abfederung der Folgen des Klimawandels ausgegeben hat. Andere Städte in den USA versuchen Ähnliches. Den Ölkonzernen wird vorgeworfen, dass sei um die Auswirkungen der Nutzung fossiler Brennstoffe auf das Klimasystem Bescheid wussten, aber die Öffentlichkeit zu diesem Thema absichtlich in die Irre geführt hätten. Die Argumentation erinnert an erfolgreiche Kampagnen gegen die Zigarettenindustrie.

Mit Blick auf die rechtliche Situation geht es vor allem um die Qualität der Verpflichtung auf das (verschärfte) Zwei-Grad-Ziel. Die Staaten der Welt waren sich einig, dass man sich auf dieses Ziel verständigt, aber sie waren sich auch einig, sich gegenseitig nicht die Maßnahmen abzuverlangen, die zur Erreichung des Zieles nötig wären. Und wäre das die Intension gewesen, hätte man das Abkommen nicht unterzeichnet. Warum ist das so? Weil alle Vertragspartner seit Kopenhagen wussten, dass es keinen Konsens über einen derart weitreichenden Vertrag geben würde. Deshalb müssen gemäß Logik des Paris-Vertrags die Staaten nur freiwillige Versprechen abgeben, die sie außerdem nicht einhalten müssen und das vor dem Hintergrund, dass selbst die Einhaltung der Versprechen nicht zum Zwei-Grad-Ziel führen würde. Für den Vertrag von Paris war also Voraussetzung, sich nur unter der Bedingung auf ein Zwei-Grad-Ziel zu verpflichten, dass daraus keine materiellen Konsequenzen für die Umsetzung des Zieles folgen. Völkerrechtlich gibt es auch keine Instanz, bei der entsprechende Umsetzungsleistungen eingefordert werden könnten. Manche versuchen das jetzt ersatzweise auf der nationalen Ebene nachzuholen. Das widerspricht aber der Entstehungsgeschichte und den Existenzvoraussetzungen des Paris-Vertrags. Außerdem stehen dann die Richter vor dem Problem, weltweite Ziele nach irgendeiner Logik auf national erforderliche Maßnahmen herunterzubrechen. Dafür gibt es keine logisch zwingende Argumentationskette. Jede Entscheidung dieses Typs ist deshalb in der Sache willkürlich.

Diese rechtlichen Auseinandersetzungen sind in einem größeren Kontext zu sehen, insbesondere jetzt nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA. Es läuft eine (teilweise hässliche) Auseinandersetzung der Zivilgesellschaft und vieler ökonomischer Verlierer gegen die Interessen der Wirtschafts- und Finanzeliten. Ferner gibt es an dieser Stelle auch einen Nord-Süd-Konflikt. Dabei geht es einerseits um billige Arbeitskräfte und niedrige Umweltstandards als Wettbewerbsvorteil sich entwickelnder Staaten, andererseits um einen beispiellosen Wettlauf um Ressourcen: Regierungen wie nationale und transnationale Unternehmen begehren wie nie zuvor Wasser, Land, fossile und mineralische Rohstoffe, genetische Ressourcen aller Art. Noch intakte Ökosysteme werden diesem Ressourcenhunger geopfert, Abertausende Menschen verlieren ihre Lebensgrundlagen, ihre Mitsprache- und Beteiligungsrechte werden beschnitten oder verwehrt.

Dagegen wehren sich weltweit Bürger/innen, die organisierte Zivilgesellschaft, soziale Bewegungen und die betroffenen Gemeinschaften, wobei sich Akteure aus reichen Ländern gerne in Nichtindustrieländern und in Entwicklungsländern engagieren. Nicht überraschend geraten sie dabei zunehmend unter Druck. Fragen, Kritik und Proteste werden zunehmend mit Repression, Einschüchterung und Diffamierung beantwortet. Dabei wird die staatliche Macht gegen entsprechende Nichtregierungsorganisationen und Bürgerbündnisse aktiviert. Die Handlungsspielräume für zivilgesellschaftliche Akteur/innen, die gegen Großprojekte aktiv sind, gegen soziale Missstände, Landraub und Umweltzerstörung protestieren und demokratische Teilhabe und Menschenrechte einfordern, werden dadurch weltweit immer kleiner.

Das ist auch in Indien zu beobachten, der größten Demokratie der Welt. Unter Premierminister Narendra Modi haben sich die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft verschlechtert. Tausende von Nichtregierungsorganisationen verloren in den vergangenen Jahren ihre Lizenz. Gegen die Umweltschutzorganisation Greenpeace wird vorgebracht, ihre Aktivitäten verletzten nationale indische Interessen. Das alles geschieht im Rahmen des Foreign Contribution Regulation Act, der das Ziel postuliert, rechtswidrige ausländische Einflussnahmen zu verhindern. Betroffen sind auch ausländische Journalisten. Denn auf Medienkritik aus dem Ausland reagiert man vor Ort empfindlich. Unliebsamen Journalisten werden dann gerne Visa verweigert. Auf dem Index der Pressefreiheit von »Reporter ohne Grenzen« belegt Indien den 136. Platz unter 180 aufgeführten Staaten. Erwähnt sei allerdings auch, dass Indien nach wie vor deutlich bessere Bedingungen für die Zivilgesellschaft bietet als zum Beispiel China, Pakistan oder das zunehmend autokratische Bangladesch (Neue Zürcher Zeitung, Freitag 16. Februar 2018).

Aufbauend auf Recherchen in Indien, Mexiko, Südafrika und den Philippinen zeigt bezüglich der angesprochenen Thematik die gemeinsame Studie des ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) und der Heinrich-Böll-Stiftung Stiftung »Tricky Business: Space for Civil Society in Natural Resource Struggles«, wie die Mechanismen der Einschränkung zivilgesellschaftlichen Engagements funktionieren.

Wie schon immer in den letzten 25 Jahren geht es des Weiteren um die Lastenverteilung. Die Anpassungskosten, die eine klimaverträglichere Politik erfordert, sollen aus Sicht von Präsident Trump primär andere übernehmen, weniger die USA. Ferner will der US-Präsident nicht in Erklärungsnöte kommen, wenn er die Produktion fossiler Energieträger in seinem Land weiter ankurbeln wird, womit in den Bereichen Shell-Gas und Shell-Öl zu rechnen ist. Ausdehnung der Produktion fossiler Energieträger ist sicher kein Beitrag zur Dekarbonisierung.

Die Konsequenzen des mittlerweile erklärten Ausstiegs der USA aus dem Paris-Vertrag sind im Moment daher noch nicht voll absehbar. Auf der Ebene der politischen Beziehungen und des Strebens nach internationalem Konsens ist der Austritt der USA ein schwerer Schlag, möglicherweise auch für die Finanzierung des erforderlichen Klimafinanzausgleichs. Insbesondere ist im Moment nicht daran zu denken, den US-Präsidenten für eine Politik der Dekarbonisierung, im Besonderen für eine Begrenzung der Förderung fossiler Energieträger in den USA zu gewinnen. Ganz im Gegenteil. Für ihn sind fossile Energieträger eine strategische Waffe. Er will die Produktion in den USA weiter ankurbeln.

Nun mag man hoffen, dass die angekündigte Abkehr der USA eine Gegenreaktion in den anderen Staaten hervorruft und bewirken wird, dass diese umso enger zusammenarbeiten. Das ist möglich, vgl. zum Beispiel die aktuell in der Diskussion befindlichen neuen (verschärften) Klimaziele der EU.3 Positiv zu vermerken ist zum Beispiel auch der One Planet Summit vom 12. Dezember 2017, als auf Einladung von Präsident Macron, zwei Jahre nach dem Abschluss der Klimakonferenz von Paris in 2015, 50 »World-Leaders« aus der Politik nach Paris kamen und ihren Entschluss bekräftigten, die Paris-Ziele zu erreichen. Möglich ist aber auch, dass weitere Staaten aus dem Paris-Vertrag aussteigen werden, wenn sie merken, dass Klimaschutz teuer ist, massive Veränderung vor Ort erfordert oder wenn den sich entwickelnden Ländern im Rahmen des thematisierten Klimafinanzausgleichs nicht die Finanzunterstützung zufließt, die sie erwarten. An dem letzten Thema reibt sich jetzt schon die Türkei als potenzielles Empfängerland für internationale Hilfe im Klimabereich und hat sich entsprechend auf dem G20-Gipfel in Hamburg Mitte 2017 geäußert.

Bezüglich der freiwilligen Zusagen kann Präsident Trump die Zusagen der USA revidieren. Das wird aber vielleicht gar nicht erfolgen. Und da, wo der Präsident bremst, trifft er zumindest auf Widerstand. Umweltschützer gehen vor Gericht, aber ebenso die US-Umweltbehörde EPA. Viele US-Bundesstaaten verfolgen eine eigene Klimaschutzpolitik, und ebenso viele Unternehmen – und zwar als Teil ihrer Ausrichtung auf die Zukunft. Hinzu kommt, dass die USA ihre Zusagen über Reduktionen von CO2-Emissionen bis zum Jahr 2025 schon jetzt mehr als zur Hälfte umgesetzt haben. Vieles spricht dafür, dass diese Entwicklung sich fortsetzen wird, selbst bei einem Ausstieg aus dem Paris-Vertrag. Schwieriger wird die Situation sicher bei der Finanzierung des »Klimafinanzausgleichs« zugunsten ärmerer Staaten werden. Hier sind international ab 2020 mindestens 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr zugesagt. Die Finanzierung ist bisher noch nicht gesichert. Fallen die USA ganz oder teilweise aus, wird das die Situation weiter verschärfen.

Die Pro-Kopf-Emissionen in den USA wurden bemerkenswerterweise in den letzten Jahren von etwa 20 Tonnen pro Kopf auf jetzt etwa 16 Tonnen reduziert, und zwar vor allem durch den Ersatz von Kohle durch Gas. Für 2025 werden etwa 12,6 Tonnen (CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr) anvisiert. Was erreicht wurde, ist erheblich, es ist etwa die »halbe Miete«.

Deutschland kann keine entsprechenden Fortschritte vorweisen. Dies ist unter anderem eine Folge des – zumindest aus Klimasicht – zu raschen Ausstiegs aus der Kernenergie. Offensichtlich ist den Deutschen der Ausstieg aus der Kernenergie mindestens so wichtig wie der Klimaschutz. Und Schiefergas-Produktion lehnen viele ebenfalls ab – das ist »Teufelszeug«. Das aktuelle Vorgehen der deutschen Politik lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Der Ausstieg aus der Atomenergie und die Ablehnung der Schiefergasproduktion sind den Deutschen so wichtig, dass sie ggf. auch mit mehr Klimagasemissionen einverstanden sind. Es wundert dann auch nicht, dass das Interesse an Grünstrom offenbar abnimmt.

Die Welt berichtet dazu am 11.03.2018, dass die Deutschen die Lust an Ökostrom verlieren (Beitrag von Daniel Wetzel). Basis sind Daten des Vergleichsportals Verivox. Nur noch 36 Prozent der Verbraucher, die in 2017 über Verivox ihren Stromanbieter gewechselt haben, entschieden sich für einen Ökostromtarif. Am Geld kann es nicht liegen, denn die Ökostromtarife sind meist sogar deutlich billiger als die standardmäßig angebotenen Grundtarife des jeweiligen Basisversorgers. Dass Deutschland mit der Energiewende Probleme hat, hatte bereits das Weltwirtschaftsforum (WEF) festgestellt. Auf einer Tagung im brasilianischen Sao Paulo stellte das Forum den ersten globalen Energiewende-Index vor. Für diesen Vergleichsindex hatte die Unternehmensberatung McKinsey Company zusammen mit dem WEF den Status der Energiewende in 114 Ländern anhand von 40 Indikatoren ermittelt. Das Ergebnis ist nicht erfreulich für Deutschland. Denn auf der Weltliste der besten Energiewende-Länder kommt Deutschland gerade einmal auf Platz 16. Selbst innerhalb Europas kommt die deutsche Energiewende noch nicht einmal unter die Top Ten.

Heute haben gemäß der Logik dieses Index elf Länder allein in Europa ein ökologisch besser funktionierendes Energiesystem als Deutschland, zum Beispiel Schweden, Norwegen, die Schweiz, Finnland, Dänemark, Österreich sowie Großbritannien und Frankreich. Wenn Deutschland hier abgeschlagen auf Platz 12 kommt, liegt das vor allem an der schlechten Bewertung in der Kategorie »Struktur des Energiesystems«: Hier belegt Deutschland Platz 110 von 114 Staaten. »Das liegt vor allem an Deutschlands Abhängigkeit vom Kohlestrom: Dessen Anteil beträgt immer noch 42 Prozent – auch weil er seit der Entscheidung zum Kernenergieausstieg einen hohen Beitrag zur Grundlastversorgung leistet«, heißt es in der WEF-McKinsey-Studie: »In der Kategorie ›Umwelt- und Klimaschutz‹ kommt Deutschland weltweit nur auf Platz 61 – hauptsächlich wegen seines hohen CO2-Ausstoßes.« Denn die Emissionen in Deutschland betrugen zuletzt 906 Millionen Tonnen: »Damit stagniert der Wert seit 2014 auf unverändert hohem Niveau.«

Teile der deutschen Politik und Öffentlichkeit schmücken sich dennoch gerne mit Einschätzungen wie Deutschland ist »weltweiter Vorreiter« oder »Beispiel für andere Länder«. Glücklicherweise ist der frühere Umweltminister und heutige Wirtschaftminister Peter Altmaier an dieser Stelle deutlich realistischer und ehrlicher, was ihm in der Szene allerdings wenig »Sympathie« einbringt. Vor kurzem hat er dazu beim Berlin Energy Transition Dialogue am 17. und 18. April 2018 vor großem Publikum frühere kritische Aussagen zum Thema wiederholt.4 Klima ist in dieser Wende für beide Minister also nicht das entscheidende Thema, eher sind es Kostenfragen.

So geht also Deutschland seinen Weg – was immer in »Sonntagsreden« dazu erklärt wird. Das ist übrigens bei der aktuellen Diskussion zum Thema »Diesel« wieder genauso. Die (vermeintlichen) Gesundheitsfragen sind offenbar wichtiger als die Klimafrage. Für manche ist das auch alles irgendwie dasselbe – irgendwie alles grün und vegan und irgendwie richtig und wichtig. Legitim ist es natürlich, aus Sicherheitsgründen aus der Kernenergie auszusteigen. Jedoch sollte man dann die Konsequenzen für die Klimasituation ehrlich beim Namen nennen.

Deutschland wird sein Klimaziel 2020 verfehlen. Das betrifft ausschließlich den Non-ETS-Bereich. Präziser ausgedrückt wird Deutschland die innerhalb Europas abgestimmten Emissionswerte im Non-ETS-Bereich, also zum Beispiel für Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und den Abfallbereich auf eigenem Territorium nicht erreichen. Aus Sicht des vorliegenden Textes ist das allerdings nicht problematisch. In diesem Bereich soll Deutschland bis 2020 14 Prozent Minderung im Vergleich zu 2005 erreichen [15]. 2016 waren jedoch erst 6 Prozent Minderung erreicht. Insgesamt will die EU bis 2020 im Vergleich zu 2005 10 Prozent Emissionen im Non-ETS-Bereich einsparen. Dieser EU-Wert ist die entscheidende Messgröße, denn die EU ist ein gemeinsamer Markt und die EU verhandelt in Klimafragen, schon lange nicht mehr die Mitgliedsstaaten. Die innerhalb der EU intern vereinbarten Ziele pro Mitgliedsstaat differenzieren zwischen plus 20 Prozent und minus 20 Prozent. Mit dem Plus soll wirtschaftlich zurückliegenden Staaten, wie zum Beispiel Bulgarien und Rumänien, das Aufholen im Bereich Wohlstand erleichtert werden. Derartige Differenzierungen in den Verpflichtungen waren innerhalb der EU Voraussetzung dafür, überhaupt zu der erreichten Einigung bei den EU-Klimazielen zu kommen. Ökonomisch vernünftig und in der EU aus gutem Grund zulässig ist auch der Handel solcher Rechte zwischen Staaten. Deutschland wird Überschüsse an Rechten in diesen Ländern aufkaufen und so seine Ziele für 2020 doch erfüllen. Das macht Sinn. Denn mit den zufließenden Geldern können Staaten wie Bulgarien und Rumänien durch den Ausbau von erneuerbaren Energien vor Ort ihre Zusagen im Klimabereich besser erfüllen als ohne diese Gelder. Hier klar Position für den Handel von Emissionsrechten zu beziehen ist wichtig, auch wenn teilweise massiv dagegen argumentiert wird (vgl. »Deutschland lässt sich gehen«, Handelsblatt Online, 24.01.2018, von Silke Kersting).

Positiv hervorzuheben ist an dieser Stelle die Haltung der neuen Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung heißt es hierzu »Christdemokraten und Freie Demokraten begrüßen das Klimaschutzabkommen von Paris und bekennen sich zu dem Ziel, dass die Welt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weitgehend treibhausgasneutral wirtschaften soll. Den Klimaschutz werden wir technologieoffen vorantreiben. Wir stehen für erfolgreichen Klimaschutz im Rahmen des EU-Zertifikatehandels und gegen klimapolitisch unwirksame und bürokratische Bevormundung in einzelnen Bundesländern. Deshalb werden wir das Landes-Klimaschutzgesetz von Regelungen, die über die Ziel und Maßnahmen der Europäischen Union hinausgehen, befreien. Wir werden eine innovationsgetriebene Modernisierungsstrategie für Nordrhein-Westfalen entwerfen und den bestehenden Klimaschutzplan zu einem ›Klimaschutzaudit‹ fortentwickeln, mit dem Maßnehmen auf Effizienz und ihre Wirksamkeit überprüft werden.«

Das Land NRW verfolgt in seinem Klimaschutzplan des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (alte Bezeichnung) aus Dezember 2015 (1. Auflage) das Ziel einer klimaneutralen Landesverwaltung NRW. Dies betrifft die Landesverwaltung und die Hochschulen NRW. Dort arbeiten etwa 300 000 Mitarbeiter/innen. Nach ersten Schätzungen (2015) werden in diesem Bereich etwa 1,168 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr freigesetzt. Bilanziert wird nach dem international anerkannten Standard DIN EN ISO 14064-1. Die Emissionsbereiche und -quellen werden in 3 Sektoren unterschieden: Gebäude, Mobilität und Veranstaltungen. Klimaneutralität soll im Dreiklang Vermeidung, Minderung und Kompensation erfolgen. Von der Priorität her steht Vermeidung vor Minderung vor Kompensation. Sofern möglich, soll Kompensation in NRW stattfinden. 90 Prozent der Emissionen fallen im Bereich der Gebäude an. Bei der Fahrzeugflotte sollen auch die CO2-Emissionen, die bei Herstellung und Entsorgung der Fahrzeuge entstehen, im Sinne eines »energetischen Rucksacks« mit berücksichtigt werden. Der energetische Rucksack ist eine Unterkategorie des sogenannten ökologischen Rucksacks [129], so wie der Klimagasfußabdruck eine Unterkategorie des ökologischen Fußabdrucks ist. Die Zielsetzung Klimaneutralität ist im Klimaschutzgesetz NRW in § 7 niedergelegt: »Das Land setzt sich zum Ziel, bis zum Jahr 2030 eine insgesamt klimaneutrale Landesverwaltung zu erreichen. Dafür legt die Landesregierung die Behörden, Einrichtungen, Sondervermögen und Hochschulen des Landes sowie die Landesbetriebe ein verbindliches Konzept als Teil des Klimaschutzplans vor.«

Die erheblichen amerikanischen CO2-Reduktionen haben wenig mit US-Klimapolitik zu tun. Auslöser ist die enorme US-Shell-Gas-Produktion, durch die Kohle und Öl vielfach als Energieträger ersetzt wurden. Das gilt übrigens teilweise auch für Mexiko. Die US-Exporte an Shell-Gas nach Mexiko haben massiv zugenommen. Gas verursacht deutlich niedrigere CO2-Emissionen als Öl und erst recht als Kohle. Die Politik der USA in diesem Bereich hat massive Auswirkungen. Kanada sieht sich vor die große Herausforderung gestellt, sein Öl nicht mehr in den USA, die auf Energie-Autarkie zustreben, zu verkaufen, sondern an andere Partner weltweit. Dies setzt neue Rohrleitungen an einen Meereshafen voraus, ein in jeder Hinsicht schwieriges Thema für die kanadische Politik. Betroffen ist vor allem die Provinz Alberta, wo die kanadische Erdölindustrie schwerpunktmäßig zu Hause ist. Für Kanada geht es um hohe Exporteinnahmen.

Die Schiefergasrevolution in den USA und der massive Ausbau der kohlebasierten Basis-Chemie in China setzen aber zum Beispiel auch die arabischen Chemieproduzenten strategisch unter Druck. Den Kostenvorteil, den sie durch den direkten Zugang zu den arabischen Ölquellen lange genossen, haben sie größtenteils verloren. Umso wichtiger wird es für sie, ihre Wertschöpfungsketten in Richtung höher veredelter Spezialchemieprodukte auszubauen. Der jüngst erfolgte Einstieg des großen saudischen Chemieriesen Sabic (Nummer vier der Branche weltweit) bei Clariant ist vor diesem Hintergrund zu sehen.