Der Nomadengott - Gerd Scherm - E-Book

Der Nomadengott E-Book

Gerd Scherm

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Beschreibung

Ägypten im Jahr 1500 v. Chr.: Der Pharao will alle Fremden aus dem Land treiben und selbst die Götter haben Probleme – untereinander und mit den Menschen. Der Krokodilgott Suchos verliert seinen göttlichen Hausschlüssel und Osiris ist seit seiner Ermordung durch Seth ziemlich depressiv. Seshmosis, ein magerer Schreiber und Stubenhocker wird wider Willen zum Anführer seines Stammes und zum Propheten eines unbekannten Gottes. Scherms Roman ist eine spannende, temporeiche Reise durch Ägypten, durch Passagen des Alten Testaments und durch die bizarre Welt der Götter. Auf dem abenteuerlichen Weg hinters Gelobte Land begegnen wir auch dem aus Memphis verbannten Sänger El Vis und dem Seher Nostr'tut-Amus. "Ein fantasievolles Spiel mit einer anderen, vielleicht sogar besseren Variante der altbekannten Geschichte hat Gerd Scherm vorgelegt. Ihm gelang die hierzulande eher seltene Verbindung von Unterhaltung, Scherz und tieferer Bedeutung." Nürnberger Nachrichten "Der Nomadengott ist ein flott geschriebener, überaus witziger Roman, der Lesevergnügen mit erstaunlichen Einsichten verbindet." SPACE VIEW – Das Sci-Fi-Magazin "Gerd Scherms ›Nomadengott‹ ist ein köstlicher Roman, fesselnd bis zur letzten Zeile und dabei so leicht zu lesen, dass die Zeit nicht nur rascher vergeht, sondern einem sogar um die Ohren fliegt!" Woche im Blick

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Gerd Scherm

DER NOMADENGOTT

Fantasy 21

Gerd Scherm

DER NOMADENGOTT

Fantasy 21

Der Nomadengott im Internet:

www.nomadengott.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Gerd Scherm

DER NOMADENGOTT

Prolog:

Götter an und für sich

»Wo keine Götter sind, herrschen die Gespenster.«

Novalis

Wer schon entsprechende persönliche Erfahrungen mit Göttern sammeln konnte oder gar selbst einer ist, mag die folgenden Zeilen getrost überspringen. Allen anderen jedoch lege ich nahe, sich mit einigen Grundzügen vertraut zu machen.

Denn das Wesen und Wirken der Götter ist bei genauerer Betrachtung viel komplizierter, als man gemeinhin glauben mag.

Allein schon dieses »glauben mag« ist eminent wichtig. Wenn man zum Beispiel nicht glauben mag, tun sich Götter ungeheuer schwer, große Verbreitung und Anerkennung zu finden. Andererseits macht es einem Gott nicht viel aus, wenn man nicht an ihn glaubt. Bis man dran glauben muss.

Es ist ja auch der Hochspannungsleitung völlig egal, ob man an sie glaubt oder nicht. Für die Menschen ist es dennoch ratsam, ihre Existenz nicht infrage zu stellen.

Hier nun eine kurze Einführung in das Götterwesen und seine Entwicklung.

Es ist allgemein bekannt, dass Götter einen Wohnsitz haben. Ob nun im Olymp oder in Asgard, auf oder in der Sonne oder in einem hohlen Baum, Götter wohnen.

Und als man im Zuge der Rationalisierung den Monotheismus erfand, siedelte man diesen Ein-Gott im Himmel, im All, irgendwo in einem imaginären Oben an.

Doch von Haus aus sind Götter sehr häuslich und meist an eine geografische, keineswegs imaginäre Position gebunden. Dieser Wohnort steht auch ursächlich mit ihrer Wirkung und ihrem Wirkungsgrad in Zusammenhang. Wenn mehrere Götter an einem Ort leben, erhöht dies ihre Außenwirkung erheblich.

Die ganz natürlichen Konflikte einer Wohngemeinschaft bilden ein starkes Potenzial für Göttersagen, Tragödien und Paradoxa. Weltweit gibt es wohl keinen einzigen Götterhort, an dem nicht geschummelt, betrogen, gestohlen und gemeuchelt wird.

Und weil Götter an sich sehr schwer zu meucheln sind, nimmt man dafür ersatzweise am liebsten Menschen. Das sind dann die von den Göttern Auserwählten, die nie eine Chance bekommen, ein normales Leben mit Rentenanspruch zu Ende zu bringen.

Während im Altertum die Götter ihre Konflikte noch weitestgehend unter sich austrugen – man denke nur an Isis, Osiris und Seth – gingen die Götter der Antike mehr und mehr dazu über, menschliche Figuren in die göttliche Komödie einzubeziehen. Wobei die Lacher fast ausschließlich auf der Götterseite saßen. Die anderen empfanden das Spiel wohl mehr als Tragödie und fingen an, das Ganze in einem Akt kreativer Notwehr aufzuschreiben.

Sehr früh erkannten kluge Geister, dass beim ständigen Streit der Götter untereinander immer nur die Menschen den Kürzeren zogen und sie erfanden den Monotheismus.

Dabei unterlagen sie einem gewaltigen Trugschluss, weil sie dachten, dass damit das Problem aus der Welt sei. Zugegeben, der Ansatz war nicht ungeschickt, der Sache den Boden zu entziehen, indem man sagte: Es gibt nur einen von der Sorte, auf den wollen wir uns konzentrieren. Aber es funktionierte nicht!

Der Eine konnte doch nicht für alles verantwortlich sein, für Gut und Böse, Glück und Unglück, Aktienhoch und Börsencrash, Gehaltserhöhung und Mahnbescheid, Impotenz und Viagra, die Liebe und die Lottozahlen.

Auch wenn mancher göttliche Monolith schizophrene bis multiphrene Züge zeigt, einerseits befiehlt, »Du sollst nicht töten«, und andererseits den Totschlag aller Andersgläubigen fordert, oder An-Ihn-Gläubige einem haarsträubenden Testprogramm à la Hiob unterwirft, führt dieses Konzept zu erheblichem Erklärungsnotstand. Es musste ein Gegenspieler gefunden werden. Zwar kein anderer Gott, weil das ja nicht ins Konzept passt, aber doch kein Mensch, weil so ein Würmlein ja keine Chance hätte. Also erfand man den Teufel und der sorgte dafür, dass Gott bei der breiten Masse das Image des Guten bekam.

Dazu wurden verschiedene Spezialaufgaben an diverse Engel und Heilige delegiert, sodass man, ohne es zu merken, eine größere himmlische Wohngemeinschaft denn je aufbaute. Ebenso stattete man den Widerpart mit einer umfangreichen Gefolgschaft aus und das Feld für weitere Tragödien war bereitet. Eine neue Inszenierung mit den gleichen Verlierern.

Wo begegnet ein Mensch einem Gott?

Beim Gottesdienst oder beim Beischlaf.

Letzterer ist ein sehr heikles Kapitel in der Geschichte der Gott-Mensch-Beziehungen. Götter an und für sich sind Entitäten, sprich Daseinsformen, von unbestimmter Gestalt. Manchmal jedoch, um die Menschen zu erschrecken oder um ihren Spaß zu haben, materialisieren sie sich; in einem brennenden Dornbusch zum Beispiel oder in einem Schwan.

Während ein brennender Dornbusch sehr wenig beischlaftauglich ist, haben sich Tierformen in der Antike überaus bewährt. In manchen Fällen sollen Götter sogar menschliche Gestalt angenommen haben, um diese Spielart der Sexualität zu genießen. Egal ob Schwan, Stier oder Mensch, das Ergebnis war immer ein Halbgott. Wobei auffällt, dass es in der Überlieferung erstaunlich wenige Halbgöttinnen gibt.

Beim Monotheismus jedoch entspringt dieser Gott-Mensch-Beziehung kein Halbgott, sondern ein neuer Gott, der jedoch der alte ist. Auf die moraltheologischen Widersprüchlichkeiten einer solchen göttlichen Selbstreproduktion mittels externer Befruchtung möchte ich hier nicht eingehen.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass vor allem der monotheistische Widersacher sich in vielerlei Gestalt und häufig den Beischlaf erschleicht und so die teuflischen Heerscharen permanent durch Inkuben vermehrt. Diese sind dann verantwortlich für kopernikanische Weltbilder, Autobahnbaustellen während der Ferienzeit, den Erlass von Steuergesetzen, die Erfindung des Buchdrucks und die Entwicklung von Betriebssystemen wie Windows.

Können Götter träumen? Selbstverständlich, sie haben das Träumen sogar erfunden.

Weil sie alles erfunden haben. Auch den Kühlschrank und das Bungeeseil. Allerdings ist es die Aufgabe der Menschen, die Erfindungen für sich zu entdecken.

Ein wichtiges göttliches Instrument neuerer Zeit ist das Handy.

Es macht seinem Besitzer klar, dass er, wo immer er auch sein mag, von einer höheren Macht erfasst und angesprochen werden kann – beim Mittagessen, im Konzert oder beim Beischlaf (außer er führt ihn mit einem Gott aus, s. o.). Dabei sprechen auch hier die Götter nie selbst, sondern lassen sprechen. Das führt in der Praxis dazu, dass weder der Anrufer, noch der Angerufene weiß, warum das Telefonat stattfindet und welchen Zweck es hat, aber beide wissen, dass es ungeheuer wichtig ist.

Einzelne Götter verwenden neuerdings vermehrt die Handymethode, um ihre Schäflein direkt zu sich zu rufen, zum Beispiel durch einen Anruf bei zweihundert Stundenkilometer auf der Autobahn.

Der im Zusammenhang mit den Göttern wichtigste Begriff für die Menschen ist »Erlösung«. Wobei damit der Zustand gemeint ist, in dem man vor den Göttern endlich seine Ruhe hat. Wie diese erlöste Form des Daseins letztendlich aussieht, hängt von der Vorstellungskraft und den verwendeten Drogen des jeweiligen Propheten ab. Das Spektrum der Visionen reicht von der völligen Auflösung des Probanden in einem namenlosen Nichts bis zur Quartiernahme in einem paradiesischen Luxushotel, in dem leicht bis unbekleidete Damen Milch und Honig reichen. Augenfällig bei all diesen Erlösungen ist die Tatsache, dass sie häufig den Fantasien von Männermagazinen entsprechen. Es fällt auf, dass Frauen in den meisten Weltreligionen erlösungsmäßig kaum Berücksichtigung finden und entweder als himmlisches Servicepersonal gelten oder als Inventar der höllischen Regionen.

Beben in Theben

 

Wir befinden uns im Jahr 1500 vor unserer Zeitrechnung im ägyptischen Theben im dritten Jahr der Regentschaft des Pharao Ahmose, der allenfalls davon träumt, Begründer des Neuen Reiches und der 18. Dynastie zu werden.

Zum Leidwesen aller an dieser Geschichte Beteiligten ist Theben an diesem Tag noch nicht das große Theben, das es schon bald sein wird. Fast alle prachtvollen Tempel und Paläste existieren noch nicht einmal in der Fantasie noch nicht geborener Pharaonen. Schade, aber die Geschichte beginnt trotzdem jetzt im Zentrum des südlichen Oberägyptens, wo in erster Linie der Gott Amun das Sagen hat, gefolgt von weiteren Göttern und dem Pharao Ahmose. Wobei der Letztere sagt, was die zu tun haben, die keine Götter sind.

 

 

Eine dunkle, untersetzte Gestalt huschte durch die engen Gassen der Altstadt.

Trotz der schwülen, drückenden Augustnacht war die Gestalt von den Haarspitzen bis zu den Sandalen in Decken gehüllt. Der keuchende Schemen erreichte eine Tür und klopfte in einem komplizierten Rhythmus. Kurze Zeit darauf wurde von innen im gleichen Rhythmus mit Klopfzeichen geantwortet und danach erschien eine lange Nase im sich öffnenden Türspalt: »Parole?«

»Der Kopf trennt Himmel und Erde«, zischelte der Deckenberg.

»Wie viele Finger hat der Horusfalke?«, fragte die Nase.

»Keine, du Trottel, weil ein Falke keine Hände hat!«, entgegnete schon etwas lauter die dickleibige Mumie.

»Ich meine, wie viele Flügel hat der Horusfalke?«, entschuldigte sich die Nase.

»Einen im Westen und einen im Osten«, antwortete leicht ungeduldig der Ankömmling.

»Zu welcher Stunde setzt sich der Falke nieder?«, fragte die Nase ungerührt weiter.

»Zur achten? Zur neunten?«, kam zögernd die fragende Antwort.

»Falsch! Ich lass dich nicht rein«, tönte es triumphierend aus dem Türspalt.

»Zur zehnten? Zur elften? Zur zwölften? Verdammt, ich habe es vergessen! Lass mich jetzt endlich rein, Almak, du weißt genau, dass ich es bin, Raffim«, bettelte der Deckenberg.

»Ich wurde zum obersten Hüter des nilwärtigen Tores ernannt und mir wurde geheißen, nur denen Einlass zu gewähren, die sich den vorgeschriebenen Prüfungen erfolgreich unterzogen haben. Basta, du bleibst draußen, Raffim!«, tönte die Nase.

»Aaalmak! Ich werde dich meinen Krokodilen zum Fraß vorwerfen, wenn du mich nicht augenblicklich einlässt. Ich muss zur Versammlung, das weißt du ganz genau!«, kreischte der vor Zorn bebende Raffim.

In diesem Moment erschien im Haus gegenüber ein Kopf im Fenster und brüllte: »Ruhe, ich will schlafen!«

»Das hier geht dich überhaupt nichts an«, schrie Raffim zurück. »Wir sind eine Geheimgesellschaft!«

»Dann bleibt gefälligst geheim und haltet euer Maul!«, schnauzte der Fensterkopf zurück.

»Ich würde ja, aber Almak, der Trottel, lässt mich nicht zur Versammlung«, entgegnete der immer zorniger werdende Raffim.

»Almak, lass Raffim endlich zur Versammlung, damit ich schlafen kann. Wenn nicht, zeige ich eure ganze Geheimgesellschaft morgen bei der Verwaltung wegen nächtlicher Ruhestörung an!«, polterte der Kopf und zog sich ins Haus zurück.

»Siehst du, das hast du nun davon, Almak. Eines Tages wird er uns wirklich anzeigen. Jede Nacht das gleiche Theater«, brummte Raffim, während er sich durch den nun geöffneten Türspalt zwängte. Der Raum war nur spärlich beleuchtet. Sehr spärlich.

Drei schwindsüchtige Kerzen schienen in Form eines gleichseitigen Dreiecks zu schweben. Erst wenn sich die Augen an die schummrige Beleuchtung gewöhnt hatten, erkannte man, dass die Kerzen auf dünnen Spießen standen.

Rund um die Kerzenspieße kauerten einige Gestalten. Eine davon bewegte sich und sprach: »Na endlich, Raffim, musst du immer zu spät kommen?«

»Zuerst haben die Krokodile nicht weinen wollen und dann hat mich auch noch der Idiot an der Tür aufgehalten«, erwiderte harsch der Neuangekommene.

»Ach so, die Krokodile haben mal wieder nicht so geweint, wie du wolltest. Scheinen doch schlaue Viecher zu sein«, sagte die Gestalt.

»Geschäft ist Geschäft, Seshmosis, aber davon verstehst du Schreiberling ja nichts«, wehrte Raffim ab.

 

Hier muss unbedingt erwähnt werden, welches Geschäft Raffim betrieb: Er war Devotionalienhändler im Dienste des Krokodilgottes Suchos.

Besser gesagt, in eigenen Diensten, auf eigene Rechnung und auf eigenen Profit handelte Raffim mit allem, was im entferntesten mit dem Kult um Suchos zu tun hat.

Und das ist bei einem Mann mit dem Geschäftssinn von Raffim sehr viel.

Angefangen von Amuletten über kleine Statuen und vergilbten Krokodilzähnen bis zu Gürteln, Sandalen und Taschen. Dazu betrieb er einen Imbissstand mit Krokodilwurst, Krokodilmilch, Krokodilschnaps, Krokodilhackbällchen und geraspelten, mit Honig versetzten Krokodillederresten als Süßigkeiten.

Absoluter Verkaufsschlager waren jedoch seit Jahren Krokodilstränen, die Raffim unter nicht näher bekannten Umständen den Reptilien höchstpersönlich abtrotzte, trocknete und dann in Silber oder Gold fassen ließ und zu horrenden Preisen im Vorhof des Tempels verkaufte.

Wenn man den stiernackigen, pockennarbigen, untersetzten Dreizentnermann Raffim mit seinen Geieraugen sah, mochte man nicht mit den Krokodilen tauschen.

Man ahnte zumindest, wie er an die Tränen kam.

 

»Schon gut, lasst uns endlich anfangen. Wir sind vollzählig«, konstatierte der als Seshmosis Angesprochene und fuhr fort: »Ich habe eine Botschaft bekommen, die nichts Gutes verheißt. Hört mir zu: Ägypten den Ägyptern! Die Hyksos und ihre Abkömmlinge beherrschen unseren Handel.«

Eine Stimme aus dem Dunkel fragte: »Wer sind die Hyksos?«

»Wir!«, sagte Seshmosis und las weiter vor. »Sie essen nicht nur unser Brot, sie verkaufen es sogar an uns. Sie dienen fremden Göttern, und sie beten auch zu unseren Göttern, sodass diese keine Zeit mehr haben, unsere Gebete zu erhören. Sie treiben Handel mit den heiligen Gegenständen, hörst du, Raffim, das gilt dir!«, unterbrach Seshmosis.

»Die sollen erst mal versuchen, ein Krokodil zum Weinen zu bringen, bevor sie mitreden!«, empörte sich Raffim.

»Gut, weiter. Hier steht noch mehr: Die Hyksos haben schnellere Webstühle, sie umwerben unsere Frauen und bringen unseren Kindern Lesen und Schreiben bei. Schluss damit! Denn in Bälde werden sie sich nicht mehr scheuen, unsere Pyramiden und Gräber zu plündern, unsere Frauen zu schwängern und ihren eigenen Kindern Lesen und Schreiben beizubringen. Kauft nicht bei Hyksos! Leiht euch kein Geld von Hyksos. Und wenn, dann zahlt es nicht zurück.«

»Das ist heftig. Ich meine, dass sie das Geld nicht zurückzahlen wollen«, schnaufte Raffim. »Wer hat das verfasst? Steht ein Name darunter?«

Nun näherte sich auch Elimas, der Ziegenhirte, mit einer der Schwebekerzen, um besser sehen zu können.

»Ja, da steht eine Hieroglyphe drunter: Sonne – Korb – Löwenkopf – zweimal Brot – Auge – Wedel – Krakel-S.«

»Zweimal Brot nach Löwenkopf?«, fragte eine Stimme aus dem Dunkel.

»Ja, zweimal«, sprach Elimas in die Finsternis.

»Und am Schluss Krakel-S?«

»Ja, am Schluss Krakel-S!«

»Dann ist es Ahmose persönlich, der Pharao. Ich habe sein Siegel oft genug im Bäderamt gesehen.«

»Ich weiß, dass es vom Pharao ist und deshalb ist es ernst, sehr ernst«, sagte Seshmosis mit leicht zitternder Stimme. »Wir müssen etwas unternehmen. Unter Ahmoses Vorgänger Kamose ging es uns schon fast an den Kragen und ich befürchte, jetzt wird es schlimmer kommen.«

»Aber warum sollten uns die Ägypter denn an den Kragen? Sie brauchen uns doch. Wir mahlen das Getreide, wir weben Stoffe, wir sorgen für Erfrischungen in den Bädern, wir schaffen den Müll weg, wir verkaufen ihnen heilige Gegenstände«, wandte Almak ein.

»So wird es auch bleiben. Bis auf das Verkaufen. Alles andere werden wir auch weiterhin tun dürfen – als Sklaven«, erwiderte Seshmosis sarkastisch.

»Geglaubt wird immer! In solchen Zeiten mehr denn je, ich habe keine Angst um mein Gewerbe!«, tönte Raffim in unerschütterlicher Überzeugung.

Seshmosis schüttelte nachdenklich den Kopf. »Geglaubt schon, Raffim, aber du wirst das Geschäft nicht mehr machen. Sie werden dich sicher nicht töten, weil sie dich brauchen. Keiner kann die heiligen Krokodile so gut zum Weinen bringen wie du, das wissen sie. Aber du wirst diesen Job als Sklave machen und für nichts, außer, dass sie dich am Leben lassen.«

»Ich könnte ihnen eine neue Statue des Suchos stiften, eine aus purem Gold! Sie werden mir dankbar sein.«

Doch Raffim schien nicht sehr überzeugt, als er diesen Vorschlag machte. Er wusste, dass sie, wenn sie wollten, auch anders an sein Gold kämen. »Was also sollen wir tun?«, fragte er.

»Wir werden abhauen. Und das möglichst unauffällig. Lasst uns morgen Abend um die gleiche Zeit darüber reden, ich muss noch nachdenken«, entschied Seshmosis.

 

Als sich fast alle durch die kleine Pforte in die nicht nur wegen der Schwüle drückende Augustnacht davonmachten, hielt Seshmosis Raffim an einer der Decken zurück.

»Sag mal, Raffim, wie schaffst du es eigentlich, heilige Krokodile zu Hack zu verarbeiten und andere Scheußlichkeiten an ihnen zu begehen, ohne dass dir die Priester an den Kragen gehen?«

»Alles eine Frage der Theologie«, antwortete Raffim und seine Geieraugen blitzten in der Dunkelheit, »alles eine Frage der Theologie.«

»Und wie drehst du es wirklich?« Seshmosis ließ nicht locker.

»Nun ja, es ist eine Frage der Auslegung. Der Krokodilgott Suchos manifestiert sich in einem Krokodil, das haben die Priester bewiesen. Dieses auserwählte Krokodil befindet sich immer im Zentrum des Tempels unter der Obhut der Priester. Ich habe mir nun gesagt, wenn Suchos in diesem Krokodil ist, kann er nicht gleichzeitig in all den anderen sein, die ohne priesterlichen Beistand im Nil plätschern. Ich hatte darüber einen längeren Disput mit dem Grünschillernden Großkophta und dem Goldgezähnten Hierophanten. Es war ein sehr konstruktives Gespräch. Sie wollten mir zuerst über die Bilokalisation an den Kragen, über die Potenz Suchos', gleichzeitig an mehreren Orten sein zu können. Das gab ich unumwunden zu und führte aus, dass Suchos ja wirklich in der Gestalt eines Krokodils sowohl in Theben, als auch in Karnak, in Memphis, als auch in Qurna wie auch in jedem anderen Suchos-Tempel Ägyptens gleichzeitig präsent ist. All diese erhöhten Krokodile sind Suchos, zugegeben. Aber wie sieht es mit den anderen aus? Mit denen, die gerade ohne priesterliche Gegenwart in der Sonne dösen, sich vermehren oder einen Fischer fressen? Wenn in ihnen Suchos wäre, müsste dann nicht bei jedem Krokodil von den unermesslichen Quellen des Nils bis zur Mündung ein Priester stehen? Und wenn nicht, was ist dann die Besonderheit der Krokodile in den Tempeln? Wenn in allen Krokodilen Suchos ist, was macht dann die Tempelkrokodile zu etwas Besonderem? Wenn aber nur die Tempelkrokodile etwas Besonderes sind, was spricht dann dagegen, die anderen Krokodile gottgefällig zu Hack und anderem zu verarbeiten?«, schloss Raffim mit einem Augenaufschlag, den man bei anderen Menschen als unschuldig bezeichnet hätte. Bei ihm sah es allerdings so aus, als würden sich zwei Falltüren im oberen Drittel seines Gesichtes öffnen.

»Und dieser Argumentation sind der Grünschillernde Großkophta und der Goldgezähnte Hierophant gefolgt?«, staunte Seshmosis.

»Ja, und meinen anderen Argumenten auch«, nickte Raffim.

»Welche anderen Argumente?«

»Kleine rechteckige und runde. Goldfarben. Durch und durch goldfarben«, grinste Raffim.

»Ich verstehe. Du warst theologisch absolut überzeugend.«

»Absolut!«, bekräftigte der Devotionalienhändler.

»Lass uns nach Hause gehen. Wir haben eine schwere Zeit vor uns«, sagte Seshmosis mit leiser Stimme und ging durch die Pforte.