Der Pflegeprozess - Bettina Maria Hojdelewicz - E-Book

Der Pflegeprozess E-Book

Bettina Maria Hojdelewicz

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Beschreibung

Der Pflegeprozess ist die umfassende und systematische Planung, Durchführung und Dokumentation pflegerischer Maßnahmen. Dieses Lehrbuch greift die Hauptaspekte dieses besonderen Beziehungs- und Problemlösungsprozesses auf. Als Ausdruck der professionellen Pflege dient ein sinngefüllter Pflegeprozess dem zu begleitenden Menschen ebenso wie den agierenden Pflegepersonen. Das Buch wendet sich an Studierende, an Lernende und Lehrende, aber auch an alle Personen in der Pflegepraxis, die ihr Wissen über das komplexe Geschehen des Pflegeprozesses vertiefen möchten.

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Bettina Maria HojdelewiczDer PflegeprozessProzesshafte Pflegebeziehung

Mag.a Bettina Maria HojdelewiczDGKP, Standort-Studiengangsleiterin Gesundheits- und Krankenpflege (Bachelor) an der FH Campus Wien, Studium der Pflegewissenschaft an der Universität Wien, Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege, Lektorin an Fachhochschulen, Weiterbildung „Onkologische Pflege“, Lehre und Forschung an der FH Campus Wien.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr, eine Haftung der Autorin oder des Verlages ist ausgeschlossen.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

3. Auflage 2021

Copyright © 2012 Facultas Verlags- und Buchhandels AGfacultas Verlag, 1050 Wien, Österreich

Umschlagfoto: © LionH, istockphoto.com

Satz und Abbildungen: Florian Spielauer, WienDruck: finidr

Printed in the E. U.

ISBN 978-3-7089-2109-9

e-ISBN 978-3-99111-338-6

Vorwort

„… Ausdruck schafft Eindruck …“

Meine jahrelange Berufserfahrung und die damit verbundenen Erlebnisse bestimmen meine Wahrnehmung der professionellen Pflege als komplexes, multidimensionales Geschehen. Eine wertfreie Sprache zu wählen, unterstützt die Wahrnehmung der zu Pflegenden in ihrer Individualität und Gesamtheit.

Dass es eine fundamentale Herausforderung bedeutet, professionelle Pflegebeziehungen einzugehen und die Patient*innen im Rahmen des Problemlösungsprozesses individuell, personenzentriert und ganzheitlich zu begleiten, dessen bin ich mir bewusst. Professionelle Gesundheits- und Krankenpflege ist eben mehr als körperliche Präsenz der professionell Pflegenden.

Die Bedeutung für das Gelingen des Gesamtprozesses sowie die nachvollziehbare Darstellung des Pflegeprozesses für Lernende sind für mich höchstes Ziel und Motivation. Die professionelle Gesundheits- und Krankenpflege hat bzw. hatte eine Schlüsselfunktion bereits vor, während, und bestimmt auch nach der SARS-CoV-2/COVID-19 Pandemie. An dieser Stelle möchte ich Frau Prof.in (FH) Mag.a Dr.in Roswitha Engel (Department& Studiengangsleiterin, FHCW), all unseren Studierenden, den Standort-Studiengangsleitungen, den zahlreichen Pflegepersonen in der Pflegepraxis, den Schul- bzw. Pflegedirektor*innen, Lehrenden, sowie Schüler*innen für die Unterstützung, Herausforderungen und den gemeinsamen Weg danken. Letztlich auch Dank meinem Sohn Fabian Timo, mit Zauberstab und Umhang, meinem Mann Wolfgang, sowie all meinen Lieben für die Unterstützung.

Juni 2021Bettina Maria Hojdelewicz

„Pflege ist ein zwischenmenschlicher Beziehungsprozess,bei dem zwei Personen (…) zueinander in Kontakt treten,um ein gemeinsames Ziel, das Pflegeziel, zu erreichen.“

(Fiechter/Meier 1981)

Inhalt

1Professionalisierung

2Beziehungsprozess

2.1Subjektives Krankheitserleben

2.2Pflegekonzepte

2.3Pflegetheoretischer Hintergrund

3Problemlösungsprozess

3.1Historische Entwicklung

3.2Rechtliche Voraussetzungen in Österreich

3.3Phasenmodell

4Assessment

4.1Methoden der Informationsgewinnung

4.1.1Gesprächsführung

4.1.2Beobachtung

4.1.3Assessmentinstrumente

4.2Beziehungsaufbau

5Problemidentifizierung

5.1Pflegediagnostik

5.2Problemformulierung

5.3Formen von Pflegediagnosen

5.3.1Bedeutung für das Pflegepraxisfeld

5.3.2Nutzen der Pflegediagnostik

5.4Pflegeklassifikation

5.5Diagnostischer Prozess

6Pflegezielformulierung

7Pflegeinterventionsplanung

8Durchführung geplanter Pflegeinterventionen

9Evaluation

10Prinzipien der Pflegedokumentation

10.1Standardisierte Pflegedokumentation

10.2Pflegevisite

10.3Pflegewissenschaftlicher Exkurs

Literaturverzeichnis

Anhang

1Professionalisierung

Professionalität bedeutet, fachliche, soziale und methodische Kompetenz zu besitzen. Diese Kompetenz zeichnet sich aus durch die Fähigkeit zu selbstständiger Planung und Ausführung; sie wird durch Aus-, Fort- und Weiterbildung erzielt (vgl. Wilkinson 2011).

Professionelle Pflege bedeutet, dass die Pflegeausbildung einer gesetzlichen Regelung unterliegt. In Österreich erfolgt diese Regelung im österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegegesetz von 1997 (BGBl I Nr. 108/1997 idgF) sowie in der ihm zugehörigen Gesundheits- und Krankenpflegeausbildungsverordnung; sie ist als Voraussetzung für die Berufsausübung anzusehen. An diese Ausbildung ist die Erwartung gebunden, dass die Absolvent*innen zur stetigen Weiterentwicklung der fachlichen und persönlichen Kompetenzen fähig sind.

Weiteres Kennzeichen der professionellen Pflege ist die Transparenz von Berufsinteressen durch die Organisation in Berufsverbänden (vgl. Thiel 2002; Weiss-Faßbinder/Lust 2017).

Professionalität bedeutet die Fähigkeit zu selbstständiger Planung und Ausführung. Professionelle Pflege bedeutet, eine Pflegeausbildung genossen zu haben, die gesetzlichen Regelungen unterliegt.

Professionelle Pflege bedeutet mehr als lediglich die körperliche Präsenz von Pflegenden. Ihr Kennzeichen ist die Verbindung von wissenschaftlicher Erkenntnis und Erfahrung mit der Kunst, den zu begleitenden Menschen in ihrer Einzigartigkeit zu begegnen und physische, psychosoziale, ethnische und spirituelle Einflüsse wahrzunehmen (vgl. Schaeffer 1999; Mayer 2019; Wilkinson 2011).

Um dem Begriff der Professionalität gerecht werden zu können, müssen Pflegepersonen fähig sein, die durch Theorie und Wissenschaft erworbenen Erkenntnisse mit dem Erfahrungswissen und dem subjektiven Erleben der zu begleitenden Menschen in Verbindung zu bringen. Die Fähigkeit, die Perspektive der Betroffenen zu erfassen und in das eigene Handeln zu integrieren, wird als hermeneutische Kompetenz bezeichnet. Erst wenn hermeneutische Kompetenz und fachliche Kompetenz gemeinsam gelebt werden, kann von einer Professionalisierung der Pflege gesprochen werden.

Der gelebte Pflegeprozess stellt ein Instrument dar, um diesem ganzheitlichen Anspruch gerecht zu werden. Er ist somit Ausdruck professioneller Pflege (vgl. Thiel 2002).

Professionelle Pflege ist nicht allein auf Problemlösung zu reduzieren. Sie beinhaltet die Perspektive der zu begleitenden Menschen, das Krankheitserleben aller Betroffenen, kritische Reflexionsbereitschaft sowie lebenslanges Lernen im Kontext einer fürsorglichen Pflegebeziehung (vgl. Wilkinson 2011).

Fundament der Problemlösungsfähigkeit ist das kritische Denken. Kritisches Denken ist die Kunst, über das eigene Denken zu reflektieren; es hat klare, präzise, fehlerfreie, relevante und beständige Gedanken zum Ziel (vgl. ebd.).

„Kritisches Denken in der Pflege ist ein wesentliches Merkmal professioneller Verantwortlichkeit und ein Garant für die Qualität der Pflege.“ (Rubenfeld/Scheffer 2000, zit. nach Lunney 2001)

Folgende Aspekte zeichnen kritisches Denken aus:

1.Kritisches Denken befähigt zu verständlichen und begründeten Annahmen. Es erfolgt in einem dynamischen Prozess und gründet sich nicht auf Befangenheit, Präferenzen, Ängste oder Eigeninteresse, sondern nutzt zur Schlussfolgerung Fakten und Beobachtungen.

2.Kritisches Denken beinhaltet Konzeptualisierung. Ein Konzept ist eine abstrakte Beschreibung der Realität, in dem einzelne wahrzunehmende Phänomene dargestellt werden. Von Bedeutung sind dabei nicht nur die einzelnen Phänomene, sondern vor allem deren Zusammenhänge.

3.Kritisches Denken verpflichtet zu Reflexion: Erfahrungen aus bereits erlebten Pflegesituationen sollen in die gegenwärtige aktuelle Situation einfließen und neue, potenzielle Möglichkeiten der Problemlösung schaffen.

4.Kritisches Denken schließt sowohl kognitive Fähigkeiten als auch gefühlsmäßige Einstellungen ein.

5.Kritisches Denken erfordert Kreativität. Der Mut, Kreativität zuzulassen, ermöglicht den Einfluss frischer Ideen und schafft Möglichkeiten für neue Wege.

6.Kritisches Denken erfordert Fachwissen. Es findet nicht im Vakuum statt, denn sämtliche Faktoren nehmen Einfluss. Fachwissen ist eine Voraussetzung für die Fähigkeit, kognitive, interpersonelle und technische Ressourcen sachgerecht und sinnvoll zu nutzen (vgl. Wilkinson 2011).

Wilkinson (2011) unterscheidet fünf Faktoren pflegerischen Fachwissens:

1.Pflegewissenschaft

2.Kunst des Pflegens

3.Pflegeethik

4.persönliches Wissen

5.praktische Erfahrung

Ad 1: Die Pflegewissenschaft hält Fakten, Informationen und Theorien für die Pflegepraxis bereit, die aus eigenen forschungsbezogenen Daten und Einflüssen weiterer wissenschaftlicher Disziplinen stammen. Die Integration der wissenschaftlichen Erkenntnisse wird zusammenfassend als Evidence-based Practice (EBP) bezeichnet. Ziel ist es, die bestmögliche sowie finanzierbare Begleitung zu sichern.

Ad 2: Kunst des Pflegens: Das Forschungswissen, über das Pflegende verfügen, wird durch die Kunst des empathischen und aufmerksamen Pflegens ergänzt. Diese Kunst besteht darin, einen Zugang zu jenen Menschen zu finden, die begleitet werden sollen, und die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit den Einschätzungen und den Bedürfnissen der zu Begleitenden zu verbinden.

Ad 3: Die Pflegeethik findet Ausdruck in professionellen Statements so- wie Prinzipien und ist niedergelegt im Ethikkodex.

„The ICN Code of Ethics for Nurses is a guide for action based on social values and needs. It will have meaning only as a living document if applied to the realities of nursing and health care in a changing society. To achieve its purpose the Code must be understood, internalised and used by nurses in all aspects of their work. It must be available to students and nurses throughout their study and work lives.“ (International Council of Nurses, 2012)

Kurz umrissen beinhaltet der Kodex folgende Aspekte: (1) Die Pflegepersonen sollen fachkundig sein. (2) Das Hauptanliegen der Pflegepersonen sollten die Patient*innen sein. (3) Pflegepersonen sollen einander loyal und verlässlich begegnen. (4) Pflegepersonen sollen ihre Position nicht benutzen, um gegen die Patient*innen vorzugehen.

Ad 4: Das persönliche Wissen inkludiert sowohl das Wissen um die eigene Person als auch die Fähigkeit, Menschen nicht als Objekte wahrzunehmen, sondern als Individuen.

Ad 5: Praktische Erfahrungen sind oft geprägt von bereits erlebten Pflegesituationen, von Autoritäten, Intuition und Tradition. Die praktische Erfahrung ist jedoch vor allem dann gewinnbringend und zielführend, wenn sie sich nicht in unbedachter Routine verläuft, sondern eine Ressource für das kritische Denken darstellt (vgl. Wilkinson 2011).

Müller-Staub (2006) benennt die Kennzeichen kritischen Denkens von Pflegepersonen. Diese besitzen: „(…) Selbstvertrauen, kontextuelle Sensibilität, Kreativität, Flexibilität, Neugier, intellektuelle Integrität, Intuition, Offenheit, Beharrlichkeit, Reflexionsbereitschaft und Reflexionsvermögen (…)“ (Müller-Staub 2006).

Lunney (2008) ist davon überzeugt, dass einige Pflegepersonen die Fähigkeit zu kritischem Denken erreichen; andere Pflegepersonen hätten jedoch noch Bedarf, diese Fähigkeit zu forcieren (vgl. Lunney 2008).

Sieben kognitive Strategien des kritischen Denkens werden in Bezug auf den Pflegeprozess angewandt:

1.Informationsbeschaffung

2.Analyse

3.Kontrolle

4.Prognose

5.Wissenstransfer

6.logisches Denken

7.Einhaltung von Regeln (vgl. ebd.)

Aktuelle Diskussionen über die österreichische Professionalisierung der Pflege haben zwei Richtungen der beruflichen Entwicklung zum Inhalt. Die beiden Richtungen sind nicht als in Konkurrenz zueinander befindlich zu verstehen, sondern als gleichwertig, gleichberechtigt und gemeinsam von großer Bedeutung. Diese beiden Richtungen sind

1.die Akademisierung des pflegerischen Berufsfeldes und

2.die Entwicklung der professionellen Handlungskompetenz durch Pflegefachwissen (vgl. Bögemann-Großheim 2004; Görres 2004).

Ad 1: Akademisierung gelingt durch die Ausbildung von Pflegefachkräften an Hochschulen. Pflegewissenschaftliche Erkenntnisse, die mithilfe von Forschungsergebnissen entwickelt werden, bieten Erleichterung und Bestätigung im Praxisfeld; gleichzeitig steigern sie die Gesundheitsförderung und das Bewusstsein für das subjektive Krankheitserleben der Betroffenen. Zukünftig wird die Akademisierung die gesellschaftliche Anerkennung stärken und die Eigenständigkeit des Berufsstandes fördern (vgl. ebd.).

Ad 2: Pflegerisches Fachwissen bezieht seine Erkenntnisse aus der Pflegewissenschaft sowie aus unterschiedlichen Fachdisziplinen. Der Pflegeprozess spiegelt das pflegerische Fachwissen als transparentes und begründetes Wissensgerüst wider. Dieses Fachwissen gilt es mit weiteren Gesundheitsberufsgruppen abzustimmen und zu argumentieren.

Aber auch die sich verändernden Bevölkerungsstrukturen nehmen Einfluss auf die Anforderungen von professionell Pflegenden. Somit stellen neue Betreuungsangebote im extramuralen Bereich und die Begleitung chronisch Kranker sowie alter Menschen wachsende Herausforderungen dar. Diese Veränderungen bergen die Notwendigkeit, Handlungskompetenz als Summe von Fach- und Methodenkompetenz, persönlicher Kompetenz und sozio-kommunikativer Kompetenz in Aus-, Fort- und Weiterbildung zu stärken (vgl. ebd.).

Zusammenfassung

Professionalität der Pflege erfordert die Verbindung von theoretischem Wissen mit Erfahrungswissen und dem subjektiven Erleben der Betroffenen. Gerade das subjektive Krankheitserleben der Betroffenen ist (handlungs-)entscheidend. Zusätzlich können fünf Quellen pflegerischen Wissens ausgemacht werden: (1) Pflegewissenschaft, (2) Kunst des Pflegens, (3) Pflegeethik, (4) persönliches Wissen und (5) praktische Erfahrung.

Kritisches Denken in der Pflege ist ein Merkmal professioneller Verantwortlichkeit und ein Garant für die Qualität der Pflege. Die Qualität professioneller Pflege ist durch die Fähigkeit zum kritischen Denken der agierenden Pflegepersonen geprägt. Sechs Faktoren zeichnen kritisches Denken aus: (1) prozesshaftes Geschehen, welches zu verständlichen und begründeten Annahmen befähigt, (2) Konzeptualisierung, (3) Reflexion, (4) Verbindung von kognitiven Fähigkeiten und gefühlsmäßigen Einstellungen, (5) Kreativität und (6) Fachwissen. Die Fähigkeit zu kritischem Denken bestimmt das Handeln im Rahmen des Pflegeprozesses und ist Instrument sowie Ausdruck professioneller Pflege.

Fragen zur Festigung des Wissens

➔Wie definiert sich die Fähigkeit zu kritischem Denken?

➔Wodurch zeichnet sich die Professionalität der Pflege aus?

➔Lässt sich Professionalität mit Beziehungsgestaltung in Verbindung bringen?

➔Definieren Sie den Begriff hermeneutische Kompetenz!

➔Erläutern Sie die Wissensquelle „praktische Erfahrung“ und nennen Sie Vor- und Nachteile bzw. mögliche Gefahrenquellen.

2Beziehungsprozess

Menschen stehen in Beziehung zu sich selbst, zu ihren eigenen Fähigkeiten, zu ihren eigenen Mängeln, Werten und Normen. Beziehung wird meist mit Begriffen beschrieben, die auf die Benennung emotionaler Zustände, Stimmungen oder Dynamiken abzielen. Die Beziehung zwischen Betroffenen und Pflegenden kann zum Wohlbefinden beitragen und einen positiven Einfluss auf den Genesungsprozess nehmen; sie unterliegt jedoch auch ihrerseits vielen Einflussfaktoren.

Eine Schlüsselfunktion nimmt die erste Begegnung zwischen Pflegeperson und zu begleitendem Menschen ein. Sie prägt die weitere Entwicklung der Beziehung zwischen beiden entscheidend.

Pflegebeziehungen sind etwas Besonderes. Es handelt sich bei ihnen um einen Kontakt, der aufgrund äußerer Bedingungen notwendig ist. In dieser von den Patienten oft nicht freiwillig gewählten Situation kann es einerseits zu körperlicher Nähe, andererseits – durch das gemeinsame Erleben von Ausnahme- und Krisensituationen – zu nahen zwischenmenschlichen Beziehungen kommen. Die Beziehungsgestaltung wird umso wichtiger, je langwieriger die Pflege ist, je abhängiger die Pflegebedürftigkeit macht und je gehemmter sich das Verhältnis zur Umwelt gestaltet.

Oft wird die Beziehung zwischen Pflegebedürftigen und Pflegenden durch das Gefühl der Scham beeinflusst. Scham wird im Krankenhausalltag erlebt, aber nicht immer gezeigt. Ein Erröten der zu begleitenden Personen, verschränkte Arme vor der Brust oder das Ansprechen des Sich-Schämens sind eher selten. Auslöser der Scham sind zumeist Unzufriedenheit mit sich selbst, die Nichterfüllung von Erwartungen oder das Gefühl des Ausgeliefertseins.

Neben individuellen und körperbezogenen Faktoren ist auch die Abhängigkeit von Pflegepersonen ein Faktor, der Scham auslösen kann. Der Unterstützungsbedarf bei der Mobilisation, bei der Nahrungsaufnahme usw. wird als „beschämend“ bezeichnet (vgl. Sieger/Ertl-Schmuck/Harking, 2010).

Das Erleben der zu begleitenden Menschen wird durch das Auftreten der Pflegepersonen beeinflusst. Eine aufmerksame, empathische und freundliche Pflegeperson wird als „menschlich“ und sympathisch wahrgenommen, und durch die entstandene vertrauensvolle Beziehung gelingt es der Pflegeperson, Gefühle von Scham zu lindern. Gefühlen der Scham kann auch durch zeitgerechte und ausreichende Information vorgebeugt werden (vgl. ebd.).

Pflegetheoretiker*innen weisen darauf hin, dass die Grundhaltung der Pflegeperson entscheidend ist. So verstehen Benner und Wrubel (1988) Pflegepersonen nicht als distanziert agierende Personen, sondern erkennen die wahre Pflegequalität in der Bereitschaft sich auf das Gegenüber einzulassen.

Dieses gefühlsmäßige Einlassen auf das Gegenüber wird als Caring (Fürsorge) beschrieben und versteht sich in Form eines wertschätzenden und respektvollen In-Beziehung-Tretens (vgl. Benner & Wrubel 1988, Swanson 1993, Stemmer 2003).

Ausgehend von Watson (2008), Benner und Wrubel (1988), Swanson (1993) und weiteren Theoretiker*innen, welche die Fürsorge und eine gelebte Beziehung als Grundhaltung definiert haben, versteht sich Relationship-based Care bereits im übergeordneten Sinne, nicht auf die professionelle Pflege reduziert, sondern als eine beziehungsbasierende Begleitung innerhalb des gesamten Gesundheitsversorgungssystems (vgl. Campbell 2009).

„Relationship-based care (RBC) is a nursing model for transforming practice, focusing on the value of relationship – the healthcare provider´s relationship with patients, families, and community; with self; and with colleagues and interdisciplinary team members. (…) RBC and servant leadership ground the professional practice environment of care into one in which care providers are central and able to focus all their knowledge, skills, and abilities on patients and families.“ (Koloroutis 2004)

Abbildung 1 stellt sechs Kerninhalte für die Implementierung Beziehungsbasierter Pflege dar. Sie dienen als Bezugsrahmen. „Die Beziehungsbasierte Pflege ermöglichet eine pflegerisch-heilende Umgebung, in der Pflegende die Würde jedes einzelnen Menschen achten und alle Ressourcen wirksam für die Bedürfnisse des ganzen Menschen einsetzen.“ (vgl. ebd.)

Abb. 1: Beziehungsbasierte Pflege (vgl. Koloroutis 2011)

(1) Führungspersönlichkeiten in der Pflege nehmen ebenso Einfluss wie (2) funktionierende Teambeziehungen und (3) das privilegierte Vertrauensverhältnis zwischen Betroffenen und Pflegepersonen der professionellen Pflegepraxis. Im Fokus steht eine professionelle therapeutische Pflegebeziehung im Rahmen eines patient*innenorientierten (4) Versorgungssystems. Verfügbare (5) Ressourcen wie Pflegepersonen, Ausstattung, System und Budget erfordern kritisches Reflektieren und einen kritischen Einsatz. Weiters hat RBC einen positiven Einfluss auf (6) Outcome-Ergebnisse (vgl. ebd.).

Die Beziehungskompetenz beschreibt die Fähigkeit, Beziehungen eingehen und gestalten zu können sowie Beziehungsprobleme zu benennen und zu bewältigen. Pflegende treffen in ihrer Berufsausübung auf unterschiedliche Pflegesituationen an verschiedenen Orten (in Hospizen, Pflegeheimen, Schulen …). Die Rolle der Pflegeperson in der direkten Pflegesituation und damit ihr Verständnis von Beziehung wird geprägt von ihrem jeweiligen Verständnis von Gesundheit und Krankheit.

Aufbauend auf einer Analyse empirischer Untersuchungen zur Beziehungsgestaltung nennt Hulskers (2001) folgende einander übergreifende soziale Kompetenzen (siehe Abb. 2):

Abb. 2: Das Konzept Caring (vgl. Hulskers 2001)

Ad Autonomie fördern: Autonomie umfasst die Dimensionen der Selbstbestimmung, Zielorientierung, Wahlmöglichkeit, Freiwilligkeit und Individualität. Zentrale Aufgabe in der direkten Pflege ist es, Pflegebedürftige in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Entscheidungen über die täglichen Aktivitäten sind durch Pflegende zu unterstützen. Grundlage hierfür sind adäquate Informationen (siehe auch 4.: Fürsprechen). „Respekt vor der Privatsphäre und der Würde des Menschen sind unerlässliche Faktoren zur Förderung der Autonomie“ (Hulskers 2001).

Ad Vertrauen aufbauen: