Der Pionier - Udo Hielscher - E-Book

Der Pionier E-Book

Udo Hielscher

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Beschreibung

»Commodore« Cornelius Vanderbilt stieg zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum reichsten und mächtigsten Mann der USA auf. Mit seinen Ideen und seinem Wirken beeinflusste er maßgeblich die Entwicklung der amerikanische Wirtschaft. Prof. Dr. Udo Hielscher erzählt nicht nur das faszinierende Leben eines großen Finanzgenies, sondern gibt dem Leser gleichzeitig Wirtschaftsgeschichte zum »Anfassen« mit auf seine Lesereise. - Nie gekannte Einblicke in die wirtschaftliche Geschichte der USA - Das Porträt eines außerordentlichen Geschäftsmannes - Das Phänomen Cornelius Vanderbilt mit zahlreichen Illustrationen - Geschichte und Wirtschaft zum Anfassen

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Univ.-Prof. Dr. Udo Hielscher

Der Pionier

• Commodore Cornelius Vanderbilt •

Der Pionier

COMMODORECORNELIUS VANDERBILT

Dampfschifffahrts-Pionier und Eisenbahn-Tycoon

Von

Univ.-Prof. Dr. Udo Hielscher

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

2. Auflage 2013

© 2006 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Gesamtbearbeitung: Julia Jund

Umschlaggestaltung: Münchner Verlagsgruppe GmbH

Lektorat: Dr. Renate Oettinger

Druck: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN Print 978-3-89879-745-0

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-371-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-813-1

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

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eBook by ePubMATIC.com

(Quelle: Abb. 2.49)

 

In seinem eigenhändigen Scheiben vom 3. Juni 1918 antwortet Chauncy M. Depew (1834-1928) auf eine Anfrage: »… I have no autograph of the Commodore & don’t know how to get one, he preferred oral directions and rarely wrote.« Offenbar hatte Vanderbilt, so unglaublich es erscheinen mag, alle Details seiner umfangreichen und oftmals hochkomplexen Transaktionen im Kopf. In diesem Sinne äußert sich auch der Vanderbilt-Biograph Wheaton Lane (Commodore Vanderbilt. An Epic of the Steam Age, 1942, S. 165): »… most of his business was done orally and… he carried his affairs in his head«. Zugleich liefern diese Aussagen eine Begründung für die große Seltenheit von Autographen des Commodore.

Vorwort

Im Folgenden sollen Lebenslauf und Lebenswerk von »Commodore« Cornelius Vanderbilt (1794-1877) skizziert werden. Um mehr als eine Skizze kann es sich angesichts einer Persönlichkeit nicht handeln, deren Ideen und Aktivitäten die Entwicklung der damals noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika maßgeblich beeinflussten und so auch noch bis heute nachwirken. Zeitgenössische Stellungnahmen zum Phänomen Vanderbilt zeugen einerseits von höchstem Respekt, ja von Bewunderung für seine geradezu unerschöpfliche Energie, seine Begabung als Schiffsdesigner, sein Organisationstalent und seine Genialität im Umgang mit Finanzinstrumenten. Andere bezeichneten ihn als den schlimmsten Finanzhai seiner Zeit.

Der heutige zeitliche Abstand erleichtert zweifellos eine ausgewogenere Beurteilung von Vanderbilt. Die folgende chronologische Skizze seines Aufstieges vom mittellosen Farmersohn zum führenden Reeder der Vereinigten Staaten (1. Teil der Ausarbeitung) und seiner anschließenden zweiten Karriere, die ihn zum dominierenden amerikanischen Eisenbahn-Magnaten sowie zum vermögendsten und einflussreichsten Amerikaner seiner Zeit machte (2. Teil), sei daher an geeigneten Stellen durch Einschübe über Persönlichkeit und Erfolgskonzept von Vanderbilt ergänzt (insbesondere Abschnitte 1.4.1 und 2.7.1). Der abschließende 3. Teil befasst sich in komprimierter Form mit Vanderbilts Nachlass, insbesondere damit, wie sein Sohn und Haupterbe William H. Vanderbilt und schließlich seine Enkel mit dem Erbe umgingen.

Um dem Leser Wirtschaftsgeschichte anschaulich, quasi »zum Anfassen«, zu vermitteln, werden die Ausführungen durch zahlreiche historische Finanzdokumente illustriert. Darunter befinden sich bislang unveröffentlichte Dokumente, insbesondere aus dem sog. Nicaragua- und dem Erie-Krieg (Abschnitte 1.5 und 2.5), die eine zutreffendere Darstellung bestimmter Ereignisse ermöglichen als bisher in der Literatur vorhanden. Speziell eigenhändig verfasste und/oder signierte Finanzdokumente von Commodore Vanderbilt sind allerdings Raritäten und deshalb im Original schwer zu beschaffen. So sah sich selbst Chauncey M. Depew, langjähriger Anwalt Vanderbilts und seiner Erben sowie President/Chairman zahlreicher Eisenbahnen des Vanderbilt-Systems, angeblich außerstande, bei der Beschaffung eines Vanderbilt-Autographen behilflich zu sein, wie aus seinem nebenstehend abgebildeten, eigenhändigen Schreiben von 1918 hervorgeht.

Udo Hielscher

Inhaltsübersicht

1. TeilVanderbilts Aufstieg zum Dampfschifffahrts-Magnaten

1.1Zur Entwicklung der Dampfmaschine und zum Beginn der Dampfschifffahrt

1.2Vanderbilts Start als Bootsmann (1810-1818)

1.3Dampfschiffkapitän (1818-1829)

1.4Reeder und Dampfschiff-Magnat

1.4.1Erfolgskonzept und Persönlichkeit von Vanderbilt

1.4.2Flussschifffahrt (1829-1834)

1.4.3Küstenschifffahrt (1835-1862)

1.4.4Die Atlantik-Route (1854-1862) 43

1.5Der Nicaragua-Krieg

1.5.1Vorgeschichte (1848-1852)

1.5.2Der Krieg der Commodores (1853-1855)

1.5.3Ein neuer Feind: William Walker (1855-1857)

1.5.4Reetablierung und Wiederauflösung der Transit Co. (1858-1863)

1.6Abschied von der Dampfschifffahrt

2. TeilCornelius Vanderbilt als Eisenbahn-Magnat

2.1Zur Entstehung der Eisenbahn

2.1.1Vorläuferentwicklungen und die ersten Eisenbahnen in England

2.1.2Frühe Entwicklungen im amerikanischen Eisenbahnwesen

2.2Vanderbilts Einstieg in das Eisenbahngeschäft (1845-1862)

2.3Corner bei der New York & Harlem RR und der Hudson River RR (1863/64)

2.4Die Machtübernahme bei der New York Central RR (1866/67)

2.5Der Erie-Krieg

2.5.1Zur Vorgeschichte

2.5.2Der Erie-Krieg und seine Folgen (1868-1872)

2.5.3Ausblick

2.6Die Bildung der New York Central and Hudson River RR (1869)

2.7Die Erweiterung des Vanderbilt-Systems durch die Lake Shore Ry

2.7.1Vanderbilt – kühner Stratege oder »nur« kühler Taktiker?

2.7.2Exkurs: Entstehung und Auswirkungen der ersten transkontinentalen Eisenbahn

2.7.3Die Inbesitznahme der Lake Shore and Michigan Southern Ry (1869/70)

2.8Arrondierung und Modernisierung des Vanderbilt-Systems (1869-1876)

3. TeilVanderbilts Nachlass und Erben

3.1Mehr als 100.000.000 Dollar

3.2Der Haupterbe: William Henry Vanderbilt

3.3Das Erbe der Enkel

Literatur

1. TEIL

(Quelle: Abb. 2.32)

 

Vanderbilts Aufstieg zum Dampfschifffahrts-Magnaten

1.1Zur Entwicklung der Dampfmaschine und zum Beginn der Dampfschifffahrt

Das Wissen um die Dampfkraft ist schon sehr alt. So experimentierte Hero von Alexandria irgendwann zwischen 200 v. Chr. und 60 n. Chr. (die Zeitangaben in der Literatur schwanken sehr stark) mit einer Art Turbine, einem dampfgefüllten Kessel mit Ausströmventilen, der sich durch die Dampfkraft bewegte. Dieses Objekt namens Aeolium, nach dem griechischen Gott der Winde Aelius benannt, wurde allerdings lediglich zu experimentellen bzw. Unterhaltungszwecken eingesetzt und fand keine ökonomische Nutzanwendung. Im Gegenteil, die Entdeckung geriet in den Wirren der weiteren geschichtlichen Entwicklung über einen langen Zeitraum in Vergessenheit. Erst mit Beginn des 17. Jahrhunderts wurden wieder mehr oder weniger systematische Experimente durchgeführt, um das Verhalten von Gasen zu erklären. Insbesondere erkannte man bald das Prinzip der Unterdruckentwicklung in geschlossenen Räumen, in denen Wasserdampf zu Wasser kondensierte.

Um 1690 unternahm der Franzose Denis Papin erste Versuche zur Konstruktion einer Dampfkolbenmaschine, bei der sich ein Kolben, durch atmosphärischen Überdruck angetrieben, in Bewegung setzte. 1698 entwickelte der Brite Thomas Savery eine Wasserpumpe, die in der ersten Arbeitsphase Wasser aus einem geschlossenen Behälter durch Dampfdruck verdrängte. In der darauf folgenden zweiten Arbeitsphase wurde, durch den bei der Kondensation des Dampfes entstehenden Unterdruck, Wasser angesaugt. Nennenswerte ökonomische Anwendungen fanden diese Apparaturen jedoch nicht.

1710/11 entwickelte der englische Ingenieur Thomas Newcomen, aufbauend auf den Erfahrungen Papins, eine Dampfmaschine, die in den Bergwerken Englands beim Betrieb von Wasserpumpstationen von 1725 bis 1775 weit verbreitet war. Um nach dem ökonomischen Prinzip den Brennstoffbedarf möglichst gering zu halten, trennte er den Dampfzylinder vom Heizkessel. Befand sich der Dampfkolben in seiner höchsten Stellung, wurde aus einem darüber liegenden Behälter mit einem Ventil kaltes Wasser auf den heißen Zylinder gesprüht, wodurch der Dampf schlagartig kondensierte und der Kolben durch den äußeren Luftdruck wieder nach unten gedrückt wurde. Die Ventilsteuerung erfolgte mittels Handbetrieb. Durch die Trennung von Zylinder und Kessel wurde bei der erforderlichen künstlichen Kühlung des Dampfes nur der Zylinder samt Inhalt, nicht aber der Dampf im gesamten System abgekühlt – der Brennstoffbedarf sank beträchtlich. Über einen doppelarmigen Hebel (sog. Balancier) wurde die Energie der Dampfkolbenbewegung auf den Kolben einer Wasserpumpe übertragen und so das Problem der Entwässerung von Bergwerken wirksam gelöst. Ein junger Mann namens Humphrey Potter, der eine der Maschinen Newcomens zu bedienen hatte, indem er viermal pro Minute die Ventile von Hand öffnen und schließen musste, war dieser langweiligen Tätigkeit offenbar bald überdrüssig. Er verband den Balancier mit einem System von Stangen, das die Ventile automatisch steuerte. Damit rationalisierte er erfolgreich seinen eigenen Job weg.

Die besondere Leistung des schottischen Ingenieurs James Watt bestand darin, die Steuerung der Dampfmaschine dergestalt »optimiert« zu haben, dass der Brennstoffverbrauch und damit die ökonomische Nutzenschwelle massiv gesenkt werden konnten. 1765 entwickelte Watt eine Dampfmaschine, die sich von Newcomes Maschinen durch einen besonderen Kondensator unterschied. Um ein ständiges Aufheizen und Abkühlen der Wände des Dampfzylinders zu verhindern – dies war der Hauptgrund für den immer noch großen Brennstoffbedarf von Newcomens Maschinen (durch aufwendige Kühlvorrichtungen hatten sie die Größe eines kleinen Hauses) –, brachte Watt den Dampf zur Erzeugung des notwendigen Unterdrucks in dem besonderen Kessel zur Kondensation. 1782 folgte die doppelt wirkende Niederdruckdampfmaschine, bei der der Kolben des Dampfzylinders von beiden Seiten alternativ mit Dampf angetrieben wurde. Diese Maschine hielt ab 1787 als Antrieb Einzug in die englische Textilindustrie und leitete damit die industrielle Revolution ein.

Um 1800 setzte die Entwicklung von Hochdruckdampfmaschinen ein, deren Kolben durch gegenüber der Atmosphäre unter Überdruck stehenden Dampf (statt durch Unterdruck) bewegt wurden. Pionierarbeit leistete hier insbesondere der in einer Zinngrube in Cornwall arbeitende einfallsreiche Techniker und Amateurringer Richard Trevithick (vgl. auch Abschnitt 2.1.1). Er entwickelte eine Dampfmaschine, deren Kolben durch unter einem Überdruck von ca. fünf Atmosphären stehenden Dampf bewegt wurde. Das soll James Watt zu der Bemerkung verleitet haben, seinem neuen Konkurrenten gehöre eigentlich ein Strick um den Hals. Watt hatte nämlich lange Zeit behauptet, dass dampfgetriebene Fahrzeuge ebensowenig herstellbar seien wie die Hochdruckdampfmaschine selbst, die zu deren Antrieb erforderlich wäre. Trevithicks Maschine war kompakter und leistungsfähiger als ihre Vorgänger und konnte vor allem ohne spezielle Anpassungsmaßnahmen überall eingesetzt werden, so dass sich ihr immer neue Einsatzfelder erschlossen. Die Verkleinerung der ursprünglich voluminösen Dampfmaschinen, die lediglich einen stationären Betrieb erlaubten, und die gleichzeitige Steigerung ihrer spezifischen Leistung ließen um 1800 erstmals sich selbst fortbewegende Maschinen als realistische Möglichkeit erscheinen.

1802 wurde die von James Watt entwickelte doppelt wirkende Kolbendampfmaschine erstmals versuchsweise in einem Schiff auf dem Fluss Clyde eingesetzt. Obwohl der Versuch erfolgreich verlief, wurde der weitere Einsatz von Dampfschiffen in der englischen Binnenschifffahrt von der Regierung untersagt, da eine Zerstörung der Uferbefestigungen der Flüsse und Kanäle befürchtet wurde. Berichte über auch nur eine einzige entsprechende empirische Untersuchung sind allerdings nicht auffindbar. Daher liegt die Vermutung nahe, dass die Kanalgesellschaften und Fuhrleute, die damals allein das Massengütertransportmonopol innehatten, sich durch Manipulationen und Gerüchte von Anfang an neue Konkurrenz vom Halse halten und ihre Investitionen schützen wollten (Hielscher: The Emergence of the Railway, S. 7-12).

Der Ruhm, den ersten kommerziellen Einsatz von Dampfschiffen erfolgreich betrieben zu haben, gebührt daher Nordamerikanern, die freilich über gute Verbindungen nach England und Frankreich verfügten und deshalb mit den dortigen Entwicklungen durchaus vertraut waren. Ausgangs des 18. Jahrhunderts hatten u.a. die Amerikaner John Fitch (1743-1798) und James Rumsey (1743-1792) prinzipiell funktionsfähige dampfgetriebene Schiffe entwickelt. Darunter befanden sich – aus heutiger Sicht – recht unkonventionelle Konstruktionen, wie z. B. ein Boot von Fitch, das durch zwölf dampfbetriebene Paddel bewegt wurde, sechs auf jeder Seite angeordnet, wie bei einem indianischen Kriegskanu. Dieses Dampfboot wurde am 22. August 1787 auf dem Delaware River bei Philadelphia öffentlich erfolgreich vorgeführt. Letztlich kamen die Entwicklungen von Fitch und Rumsey jedoch nicht über das Experimentierstadium hinaus. Ihre Arbeiten erregten allerdings das Interesse von John Stevens.

John Stevens (1749-1838) widmete ab etwa 1788 seine ganze Kraft und sein bedeutendes Vermögen dem dampfgetriebenen Transport, zuerst zu Wasser (vgl. Abb. 1.1) und dann auch zu Lande (vgl. Abschnitt 2.1.2). 1804 war John Stevens so weit, dass sein kleines Boot Little Juliana von zweien seiner Söhne mit Dampfkraft quer über den Hudson River und zurück gefahren werden konnte.

Abb. 1.1: In einem interessanten eigenhändigen Brief vom 26. April 1791 führt John Stevens u.a. aus: »As I am now actually engaged in constructing the different parts of the machinery of a Steam Engine in order to make an experiment of my project for propeling a boat, I am under some solicitude respecting the event of my application for a patent… I would wish also to hear what progress Mess. Fitch and Rumsey have made towards an accommodation.« Im August 1791 erhielt Stevens dann tatsächlich als einer der ersten Amerikaner ein US-Patent. Dass sich Stevens nach seinen Konkurrenten Fitch und Rumsey erkundigte ist naheliegend, seinen – im Nachhinein gesehen – wichtigsten Konkurrenten Fulton hingegen, der sich in Europa aufhielt, hatte er zumindest zeitweise aus den Augen verloren.

Nach diesem Erfolg steckte Stevens seine Ziele höher: Er wollte einen regelmäßigen Dampffährenverkehr zwischen seinem Heimatort Hoboken am Westufer und New York City am Ostufer des Hudson errichten sowie ferner eine regelmäßige Linie auf dem Hudson River von New York nach Albany. 1806 begann Stevens mit der Konstruktion seines 100 Fuß langen Dampfers Phoenix für den Personen- und Frachtverkehr. Bevor Stevens jedoch die Phoenix 1808 fertig stellen konnte, kam ihm der gerade erst im Dezember 1806 aus Europa zurückgekehrte Robert Fulton (1765-1815) zuvor. Fulton gelang mit seiner »Clermont« im August 1807 der allererste erfolgreiche kommerzielle Einsatz von Dampfschiffen.

Fulton hielt sich von 1786 bis 1806 in England und Frankreich auf. Dort beschäftigte er sich u.a. mit dem Kanalbau, den Dampfmaschinen von Boulton & Watt, entwickelte Torpedos sowie ein U-Boot, die Nautilus, die über ein Barometer zur Tiefenmessung, einen Kompass zur Richtungsmessung und Drucklufttanks verfügte. Die Nautilus konnte mit vier Mann Besatzung in einer Tiefe von bis zu acht Metern (25 Fuß) rund viereinhalb Stunden operieren. Der militärische »Wert« dieser Erfindungen wurde jedoch weder von Napoleon (1801) noch von der konservativen britischen Admiralität (1803/05) zutreffend eingeschätzt. Über seine europäischen Aktivitäten hielt Fulton die US-Regierung über offizielle Kanäle stets auf dem Laufenden, was sich letztlich als äußerst nützlich erwies, denn in dem neu ernannten amerikanischen Botschafter in Frankreich, Robert R. Livingston (1746-1813), fand er Ende 1802 einen wichtigen Partner.

Livingston hatte sich in Amerika schon lange intensiv mit den Entwicklungen im Dampfschifffahrtsbereich befasst, u.a. mit den Ideen von John Fitch, James Rumsey, Samuel Morey (1762-1843), Nicholas J. Roosevelt (1767-1854) und denen seines Schwagers und bald hartnäckigsten Konkurrenten John Stevens. Robert Livingston war zudem einer der einflussreichsten amerikanischen Politiker seiner Zeit. Er war u.a. Mitglied des Continental Congress, Mitglied des »Committee of Five«, das die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 entwarf, Mitglied der Verfassungskommission für den Staat New York (1777), Secretary des Department of Foreign Affairs, das nach dem erfolgreichen Unabhängigkeitskrieg der Vereinigten Staaten gegen Großbritannien für die Friedensverhandlungen von 1781-1783 verantwortlich zeichnete, Mitglied der provisorischen Staatsregierung von New York nach dem britischen Abzug sowie Mitglied der Kommission zur Grenzfestlegung zwischen den Bundesstaaten New York und Massachusetts (1784) bzw. Vermont (1790). Sein Ansehen dokumentiert sich nicht zuletzt darin, dass er 1789 dem ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten, George Washington, den Amtseid abnahm. Seinen größten außenpolitischen Erfolg feierte Livingston schließlich 1803. Napoleon I. plante seinerzeit den Krieg gegen Großbritannien und war sich darüber im Klaren, dass er die in Nordamerika gelegene Kolonie Französisch-Louisiana nicht würde halten können. Daher bot er plötzlich an, das riesige Territorium zu verkaufen. Nach einem kurzen Preispoker mit den Bankhäusern Barings (London) und Hope (Amsterdam) als Alliierten packte Livingston die Gelegenheit beim Schopf. Kurz entschlossen brachte er das Geschäft, den berühmten »Louisiana Purchase« – immerhin ging es um eine Fläche von rund 2,2 Mio. km, also knapp einem Viertel der heutigen USA-, für damalige 60 Millionen Francs (= seinerzeit 15 Millionen Dollar) unter Dach und Fach, ohne die in dieser Sache avisierte Anreise des damaligen amerikanischen Außenministers und späteren Präsidenten der USA, James Monroe, abzuwarten.

Robert Livingstons Weitsicht und sein politischer Einfluss ermöglichten es ihm, sich 1798 vorsorglich eines ausgelaufenen Anspruchs von Fitch auf ein Dampfschifffahrtsmonopol in den Gewässern des Staates New York zu bemächtigen. Das Monopol galt insbesondere im Bereich des heutigen New York City, schon damals das wichtigste Handelszentrum de jungen Vereinigten Staaten, inklusive des Hudson River. Diese Regelung wurde 1803 erneuert und durch ergänzende Gesetze von 1808 und 1811 im Sinne von Livingston und seines nunmehrigen Partners Robert Fulton weiterhin geschützt. Solche Monopolisierungsversuche waren seinerzeit keineswegs die Ausnahme. So hatte sich z.B. auch Rumsey ähnliche Exklusivrechte in Virginia und Maryland gesichert.

Obwohl immer noch mit seinen U-Boot-Experimenten beschäftigt, einigte sich Fulton mit Livingston am 10. Oktober 1802, ein Dampfschiff zur Befahrung des Hudson River zwischen New York City und Albany zu konstruieren. Livingston stellte die Finanzierung (vgl. dazu auch Abb. 1.2), und Fulton investierte seine Ingenieurkunst. Ein erster Test auf der Seine bei Paris endete im Frühjahr 1803 mit einem Desaster: Das Schiff brach in zwei Teile und versank.

Der nächste Versuch am 9. August 1803 war jedoch erfolgreich, und das Schiff arbeitete sich, von Dampfkraft getrieben, mit einer Geschwindigkeit von vier Meilen pro Stunde gegen den Strom vorwärts. Beide Partner wurden dadurch so motiviert, dass Fulton bei Boulton & Watt in England sofort eine Dampfmaschine für das in New York zu bauende Boot bestellte, während Livingston sich die Verlängerung seines New York-Monopols für 20 Jahre beschaffte. In der Folgezeit sammelte Fulton in Frankreich und England vorsorglich alle erreichbaren Informationen über den Dampfschiffbau und reiste schließlich im Oktober 1806 nach New York ab, das er zwei Monate später erreichte.

Rückseite (Ausschnitt):

Abb. 1.2: Den finanziellen Rückhalt, den Robert Fulton von Robert R. Livingston erhielt, dokumentiert die von Fulton eigenhändig ausgeschriebene Promissory Note vom 7. September 1811, in der er sich verpflichtet, 60 Tage nach Sicht 8.000 Dollar an Robert R. Livingston oder dessen Order (zurück)zuzahlen. Rückseitig indossierte Livingston am gleichen Tag das Papier eigenhändig an die Manhattan Bank. Finanzautographen von Robert Fulton sind äußerst selten. Das abgebildete Stück hat wohl nur deshalb überlebt, weil es, gemäß einer französischsprachigen, handgeschriebenen (hier nicht abgebildeten) Notiz auf der Rückseite, bereits frühzeitig in Sammlerhände gelangte: »Cet autographe de Robert Fulton vient de Madame Blight née Fulton. Philadie 20 Mai 1844. Chas Pieot«. In »heutigen (Jahr 2005) Dollar« gerechnet beläuft sich die Wechselsumme auf ein Äquivalent von knapp fünf Millionen Dollar (vgl. Hielscher: How much were America‘s Great Fortunes worth…?, S. 14/15).

Den Auftrag zum Bau des neuen Dampfschiffes »Clermont«, benannt nach dem Landsitz von Livingston am Hudson River, erhielt die seinerzeit renommierte New Yorker Werft von Charles Brown. Am 17. August 1807 begann die 133 Fuß (ca. 40 m) lange Clermont ihre denkwürdige Reise auf dem Hudson River von New York nach Albany und zurück. Die Rundreise dauerte zwar fünf Tage, tatsächlich in Betrieb war die Clermont jedoch nur 62 Stunden, was einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von rund fünf Meilen pro Stunde entsprach.

Eigentlich müsste sich Robert Fulton den Ruhm, den kommerziellen Einsatz von Dampfschiffen begründet zu haben, mit dem Schwager von Livingston, John Stevens, teilen. Nur zwei Jahre nach Fultons erfolgreicher Fahrt mit seiner Clermont auf dem Hudson River erwies sich nämlich Stevens‘ 100 Fuß lange Phoenix auf ihrer Jungfernfahrt im Juni 1809 von New York nach Philadelphia als erstes hochseetüchtiges Dampfschiff der Welt.

Abb. 1.3: Aktie Nr. 51 über ein 12/100 Share der Trenton and New Brunswick Turnpike vom 10. März 1809. Die Zollstraße führte, als Teilstück des seinerzeit kürzesten und schnellsten Weges zwischen den damaligen Zentren New York City und Philadelphia, mit Hilfe von Pferdegespannen 25 Meilen über Land von Trenton nach New Brunswick (weitere Erläuterungen siehe Abb. 1.4).

Diese Pionierleistung erfolgte jedoch nicht ganz freiwillig, denn unter Geltendmachung ihres Monopol-Privilegs zwangen Fulton und Livingston John Stevens im Jahre 1809, seine Phoenix von der geplanten Strecke New Brunswick – New York abzuziehen und auf dem Delaware River bei Philadelphia einzusetzen. So kam es, dass John Stevens, aus der Not eine Tugend machend, mit seiner Phoenix die weltweit erste erfolgreiche Reise eines Dampfschiffes über das offene Meer, und zwar von New York nach Philadelphia, absolvierte (vgl. auch die Kartenskizze in Abb. 2.18).

Abb. 1.4: Den Ruhm, den kommerziellen Einsatz von Dampfschiffen begründet zu haben, müsste sich Robert Fulton eigentlich mit John Stevens aus Hoboken teilen. Zwei Jahre nach der erfolgreichen Fahrt Fultons mit seiner Clermont auf dem Hudson River erwies sich Stevens‘ 100 Fuß lange Phoenix auf ihrer Jungfernfahrt im Juni 1809 von New York nach Philadelphia am Delaware River als erstes hochseetüchtiges Dampfschiff der Welt. Nachdem John Stevens die Route auf dem Delaware River mit der Phoenix begonnen hatte, gelang es ihm, nach und nach eine ganze Flotte von Dampfern aufzubauen, die unter dem Namen »Union Line« zunächst auf dem Wasserweg Philadelphia mit dem nördlich gelegenen Trenton verband. Von Trenton aus führte die Reise mit Pferdekutschen über die »Trenton und New Brunswick Turnpike Road« (Abb. 1.3) weiter nach Norden bis New Brunswick und South Amboy. Beide Gesellschaften zusammen bildeten später die »Union Line Stage & Steam Boat Company«. Die oben abgebildete Aktie Nr. 11 der Gesellschaft vom 30. Juli 1829 ist von John Stevens‘ Söhnen Robert L(ivingston) Stevens als President und E(dwin) A. Stevens als Treasurer signiert. Um von New Brunswick aus über den Raritan River dann das restliche kurze Teilstück wiederum auf dem Wasserweg durch die Upper Bay nach New York City (vgl. die Kartenskizzen in Abb. 1.10 und 2.18/2.19) bedienen zu können, verbündete sich Stevens mit dem reichen Pflanzer, Juristen und Reeder Thomas Gibbons aus Elisabeth Town, denn der Abschnitt von New Brunswick nach New York war von mehreren Gruppen heftig umkämpft. Insbesondere beanspruchten Robert Fulton und Robert Livingston und als deren Rechtsnachfolger Aaron Ogden das Transportmonopol in den Gewässern von New York, einschließlich des Hudson River. Thomas Gibbons seinerseits nahm deshalb 1818 Cornelius Vanderbilt unter Vertrag, der dann das nördliche Ende der Union Line bis 1829 höchst erfolgreich managte (vgl. auch Abschnitt 1.3).

Die Verdrängung von John Stevens aus dem Hafenbereich von New York durch das Fulton/Livingston-Monopol erwies sich letztlich jedoch als Bumerang. Zwischen den beiden wichtigsten Zentren an der amerikanischen Ostküste, New York City und Philadelphia, wurde das mit Abstand größte Transportvolumen des ganzen Landes abgewickelt. Nachdem Stevens die Route auf dem Delaware River mit der Phoenix erst einmal begonnen hatte, gelang es ihm, nach und nach eine ganze Flotte von Dampfern aufzubauen, die unter dem Namen »Union Line« zunächst auf dem Wasserweg Philadelphia mit dem nördlich gelegenen Trenton verband (vgl. die Kartenskizzen in Abb. 1.10 und 2.18). Von Trenton aus führte die Reise dann mit Pferdekutschen über die »Trenton and New Brunswick Turnpike Road« (vgl. Abb. 1.3) weiter nach Norden bis New Brunswick und South Amboy. Daraus entwickelte sich dann die »Union Line Stage & Steam Boat Company« (Abb. 1.4). Nach dem Tod von Fulton hatte 1815 Aaron Ogden (1756-1839), der 1812 zum Gouverneur des Staates New Jersey aufgestiegen war, dem Fulton/Livingston-Monopol dessen Schifffahrtsrechte für zehn Jahre abgekauft. Daraus entwickelte sich eine dramatische Auseinandersetzung um die Verkehrsrechte zwischen Gouverneur Ogden und dem Plantagenbesitzer und Reeder Thomas Gibbons aus Elisabeth, der sich inzwischen mit John Stevens verbündet hatte. In diese Auseinandersetzung wurde auch der junge Cornelius Vanderbilt hineingezogen, der dabei schließlich sogar eine zentrale Rolle spielte (vgl. Abb. 1.4 und Abschnitt 1.3).

 

1.2Vanderbilts Start als Bootsmann (1810-1818)

Cornelius Vanderbilt wurde am 27. Mai 1794 als viertes Kind von Cornelius und Phebe Van Derbilt bei Port Richmond auf Staten Island geboren. Seine Vorfahren väterlicherseits stammten aus dem holländischen Ort Bildt in der Nähe von Utrecht. Davon leitete sich der ursprüngliche Name van der Bilt (oder Bildt) ab, der nichts mit einem Adelsprädikat zu tun hatte. Im Laufe der Zeit wurde der Name über Van Derbilt zu Vanderbilt zusammengefasst (vgl. Abb. 1.5).

Jan Aertensen van der Bilt soll sich in der berühmt-berüchtigten holländischen Tulpenzwiebel-Manie von 1636/37 verspekuliert haben, als er sein Vermögen in Tulpenzwiebeln investierte, die die damals besonders begehrten schwarzen Tulpenblüten hervorbringen sollten. Anschließend soll er sich dann mit seiner Familie auf einem Schiff der Holländisch-Westindischen Compagnie nach Neu Amsterdam (Manhattan) abgesetzt haben, um in der damals noch niederländischen Kolonie ein neues Glück zu versuchen. Nachdem der damalige niederländische Statthalter Peter Stuyvesant Neu-Holland inkl. Neu Amsterdam 1664 den Briten übergeben musste, die die Ansiedlung fortan New York nannten, zog sich Jan Aertensen auf die Insel Long Island zurück. Sein Sohn Aris van der Bilt (1653-1715) war der erste in der neuen Welt geborene Vanderbilt. Dessen Enkel Jacob Van Der Bilt Jr. (1723-1766) wiederum begründete dann nach einigen Landkäufen den Staten-Island-Zweig der Familie (vgl. auch die Kartenskizzen in Abb. 1.10, 2.18 und 2.19). Ein Enkel von Jacob Jr. war der später legendäre »Commodore« Cornelius Vanderbilt.

Cornelius‘ Vater betätigte sich abwechselnd als Farmer, Fischer und Fährmann, der u.a. landwirtschaftliche Erzeugnisse seiner Nachbarn mit einem kleinen Segelboot von der Insel Staten Island zum Markt nach Manhattan transportierte. Der junge Cornelius hatte eine rasche Auffassungsgabe, jedoch galt sein Interesse von Anfang an weniger der Schule als den Segelschiffen, die den Hafen von New York frequentierten. Im Alter von nur elf Jahren verließ er endgültig die Schule und begann, schon damals vergleichsweise groß gewachsen und von kräftiger Statur, seinem Vater zu helfen. Mit 13 übernahm er mit dem Boot selbstständig Transporte, wenn der Vater anderweitig beschäftigt war. An seinem 16. Geburtstag kaufte er mit einem Darlehen von seinen Eltern ein kleines Segelboot und eröffnete seinen eigenen Fährdienst für Fracht und Passagiere zwischen Staten Island und New York City.

Abb. 1.5: Die wichtigsten Vor- und Nachfahren von »Commodore« Cornelius Vanderbilt

Vanderbilts Ausdauer, Geschicklichkeit und Pünktlichkeit waren bald im ganzen Hafen bekannt. Wenn es galt, sei es bei Tag oder Nacht, schwierige Unternehmungen durchzuführen, wandte man sich an Cornelius, den Bootsmann – kein Unwetter konnte ihn von der Erfüllung seiner Vereinbarungen abhalten, pünktlich war er stets mit seinem Boot zur Stelle.

Der Krieg zwischen den USA und Großbritannien von 1812 bis 1814 eröffnete Cornelius neue Chancen. Sein guter Ruf brachte ihm zahlreiche lukrative, z.T. aber auch höchst riskante Aufträge ein. So hatte er u.a. während der Blockade des New Yorker Hafens durch englische Kriegsschiffe einen Vertrag mit der amerikanischen Regierung, die Forts innerhalb und in der Umgebung des Hafens mit Nachschub zu versorgen. Teilweise umrundete er dabei die englischen Kriegsschiffe nachts in nächster Nähe mit zur Geräuschdämpfung umwickelten Rudern. Bei Kriegsende besaß der junge Vanderbilt bereits mehrere eigene Boote. Ab 1814 baute er mehrere größere Schoner, die Fracht, Händler und sonstige Passagiere sowohl im Hafenbereich von New York als auch auf dem Hudson River und entlang der Küste bis nach Charleston im Süden transportierten. Jeweils den größten Segler kommandierte er persönlich. Innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt hatte es der junge Vanderbilt zu einem angesehenen und nach damaligen Maßstäben durchaus wohlhabenden Eigner einer kleinen Flotte von Segelschiffen gebracht, als er 1818, zur Überraschung aller seiner Bekannten, plötzlich sämtliche Segelschiffe verkaufte, um als Dampfschiffkapitän für Thomas Gibbons zu arbeiten. Mit dem ihm eigenen Gespür hatte Vanderbilt frühzeitig erkannt, dass die Zukunft dem Dampfschiff gehören würde.

 

1.3Dampfschiffkapitän (1818-1829)

Bereits 1818 hatte sich der junge Cornelius Vanderbilt einen Namen als einer der fähigsten Kapitäne weit und breit gemacht. Kein Wunder also, »daß sich die Schiffahrtsgesellschaften, die damals mit dem Aufkommen der ersten Dampfboote sich zu entwickeln begannen, um den kühnen und geschickten Kapitän rissen. … Cornelius nahm (das Angebot von Thomas Gibbons, d. Verf.) an, umso williger vielleicht, als dadurch sein Wunsch, den Dampferdienst kennen zu lernen, in schnelle Erfüllung ging. Doch sein genialer Kopf ließ es bei der mechanischen Tätigkeit der Schiffsleitung nicht bewenden« (Dewitz, S. 87). Vanderbilt erwies sich nämlich bald nicht nur als brillanter Dampfschiffkapitän, sondern genauso auch als kaufmännisch befähigter Organisator und als technisch begabter Konstrukteur neuer Schiffe.

Unmittelbar nachdem Vanderbilt in den Dienst von Gibbons getreten war, zog er mit seiner Familie nach New Brunswick um (vgl. auch die Karte in Abb. 2.18). Dort übernahm seine Frau, die er am 19. Dezember 1813 geheiratet hatte, die Leitung einer Taverne, die »Bellona Hall«, die durch guten Service und erstklassige Verpflegung rasch bekannt wurde. Die Bellona Hall avancierte zum bevorzugten Rastplatz für die Reisenden zwischen New York und Philadelphia und entwickelte sich zu einer kleinen Goldgrube.

Um das New Yorker Dampfschiffmonopol (vormals Fulton/Livingston und jetzt Ogden, vgl. Abschnitt 1.1) zu bekämpfen, veranlasste Vanderbilt noch 1818 den Bau eines größeren und verbesserten Dampfers, der Bellona, deren Kommando er selbst übernahm. Die Abbildungen 1.6 bis 1.8 zeigen aufschlussreiche, von Vanderbilt als Kommandant der Bellona eigenhändig geschriebene und/oder unterzeichnete Dokumente aus den Jahren 1823/24, die belegen, dass Vanderbilt sein Rechnungswesen im Griff hatte. Ähnlich wie später John D. Rockefeller, der als penibler Buchhalter und »Pfennigfuchser« gefürchtet war, überprüfte auch Vanderbilt persönlich alle Ausgaben, so auch die Rechnung in Abbildung 1.9, die er eigenhändig um 1,87 Dollar kürzte. Kostenkontrolle war ein wichtiger Baustein der Erfolgsstrategie sowohl von Vanderbilt auch von Rockefeller.

Die Auseinandersetzungen um das New Yorker Fulton/Livingston/Ogden-Monopol weiteten sich dramatisch aus. Die besten amerikanischen Anwälte der Zeit, wie Daniel Webster u.a., waren darin involviert. Eine zentrale Rolle spielte auch Cornelius Vanderbilt.

Abb. 1.6: Beispiel einer der von Kapitän Vanderbilt monatlich erstellten Einnahme/Ausgabe-Überschussrechnungen für das Dampfschiff Bellona. Die auf einem Doppelblatt geschriebene Abrechnung für August 1822 wurde rechts unten mit dem Vermerk »Approved and Settled« von William Gibbons, dem Sohn von Thomas Gibbons, und von Cornelius Vanderbilt unterzeichnet.

Abb. 1.7: Beispiel für eine einzelne Betriebsausgabe von Kapitän Vanderbilt. Der von Cornelius Vanderbilt eigenhändig geschriebene Text der Empfangsquittung lautet: »Received New Brunswick 6 January 1824 from C. Vanderbilt Two 25/100 Dollar in full for taking Pair of whippe team from the 29 December to Date«. »Whip teams« waren Pferdegespanne, die Schiffe auf Flüssen und Kanälen vom Uferrand aus zogen (vgl. auch Abb. 2.7 bzw. 2.13). Die damalige wichtige Rolle der Zugpferde dokumentiert auch der eigenhändige Bericht von Vanderbilt an Thomas Gibbons (Abb. 1.8).

Abb. 1.8: Eigenhändiger Bericht von Kapitän Cornelius Vanderbilt an seinen Arbeitgeber Thomas Gibbons vom 17. Dezember (?) 1823. Erschließt: »Mit der Bellona läuft alles gut. Ich mache jetzt 90 $ pro Tag. Die Pferde sind in gutem Zustand, mit Ausnahme des Leittieres, das sich – allerdings keineswegs besorgniserregend – am Bein verletzt hat.«

Abb. 1.9: Rechnung von A. Brown an »Cornelius Vanderbilt – Agent for Gibbons« (eingerahmter oberer Kasten) vom 24. Juli 1828 über 40 Dollar für sieben Tage Personalkosten betreffend einen Transport von Elizabeth Town Point (Anlegeplatz der Stevens/Gibbons-Gruppe im Norden von New Jersey) zum Hafen von Washington. Vanderbilt überprüfte die Rechnung persönlich und stellte fest, dass der Preis um 1,87 Dollar zu hoch war und fügte der Rechnung deshalb eine eigenhändige Notiz hinzu (eingerahmter unterer Kasten): »the above is correct at $ 38,12. Capt. Bliß will pay the above. C V(anderbilt)«. Den reduzierten Betrag akzeptierte Brown mit seiner Unterschrift am 11. August 1828.

Vanderbilts geschicktes Taktieren aufgrund intimer Kenntnisse des New Yorker Hafens ermöglichte es ihm, in den jahrelangen Auseinandersetzungen mit heftigen Ratenkriegen, Beschlagnahmungen von Schiffen, Verhaftungen, schmutzig geführten Prozessen u.v.m. die Schiffsverbindung zwischen New Jersey und New York für seinen Arbeitgeber Thomas Gibbons rentabel aufrecht zu erhalten. Um sich Verhaftungen auf New Yorker Hoheitsgebiet zu entziehen, ließ Vanderbilt in seine Schiffe z.B. geheime Verstecke einbauen, die dann tatsächlich von der New Yorker Polizei nicht entdeckt wurden. Schließlich gelang es Gibbons, seinen Streit mit Ogden vor das Oberste Bundesgericht zu bringen. Der Fall Gibbons vs. Ogden gab Chief Justice John Marshall 1824 »the opportunity to write what many have considered his most statesmanlike opinion, one that has served to expand federal powers and to bind the American people into a nation« (Lane, S. 43). Marshall entschied, dass das Fulton-Dampfschiffmonopol den freien zwischenstaatlichen Handel behindere und daher verfassungswidrig sei. New York wurde so zu einem freien Hafen, und die amerikanische Dampfschifffahrt erfuhr einen enormen Aufschwung. Als Vanderbilt das nächste Mal New Brunswick anlief, wurde er von der Bevölkerung triumphal mit Kanonensalut empfangen.

Während seiner elfjährigen Kapitänstätigkeit im Dienst der Gibbons-Familie (1818-1829) hatte Vanderbilt für seinen »Arbeitgeber«, neben der Bellona, sechs weitere moderne Fährschiffe und hochseefähige Dampfer nach eigenen Entwürfen bauen lassen und z.T. selbst kommandiert, darunter die Mouse, die Thistle, die Emerald und die Swan. Die Schiffe wurden immer größer und komfortabler. Die Mouse z.B. brachte es gerade einmal auf 15 Tonnen, die letzten beiden Dampfer auf rund 200 Tonnen Wasserverdrängung und auf eine Geschwindigkeit vom 15 Meilen pro Stunde. Die Gibbons verdienten dadurch schließlich jährlich rund 40.000 Dollar (Lane, S. 49), was einem monetären Äquivalent von jährlich ca. 20 Millionen in »heutigen (Jahr 2005) Dollar« entsprechen dürfte (vgl. Hielscher: How much were America‘s Great Fortuns worth…?). Dennoch zeigte William Gibbons, der von seinem 1826 verstorbenen Vater Thomas den Transportsektor geerbt hatte, wenig Interesse an der Weiterführung des Geschäfts. 1828 versuchte er, seine sämtlichen Dampfschiffe und Überlandkutschen zu verkaufen, fand jedoch zu seinen Preisvorstellungen keinen Käufer. Vanderbilt, der zweifellos interessiert gewesen wäre, konnte den Preis auch (noch) nicht aufbringen, erkannte jedoch zweifellos die Zeichen der Zeit. Er kündigte, schlug ein nachgeschobenes Partnerschaftsangebot von William Gibbons aus und machte sich als Reeder selbstständig.

 

1.4Reeder und Dampfschiff-Magnat

1.4.1 Erfolgskonzept und Persönlichkeit von Vanderbilt

Vanderbilts Erfolge nach seinem Absprung in die Selbstständigkeit beruhten letztlich auf scheinbar recht einfachen Grundkonzepten, die allerdings je nach konkreter Lage der Dinge modifiziert und angepasst wurden. Typischerweise beobachtete Vanderbilt zunächst, wo andere rentierlichere Dampferlinien errichteten, um dann in bis dahin unerreichter Meisterschaft Druck auszuüben. Dazu beteiligte er sich an Schiffen oder Gesellschaften und brach dann, gut vorbereitet, in das Revier seiner überraschten Konkurrenten ein. Obwohl Vanderbilt sich oft mit Minderheitsbeteiligungen begnügte, übernahm er aufgrund seiner Persönlichkeit in aller Regel die Führungsrolle. Mit Preiskriegen, die die zuvor monopolistischen hoch gehaltenen Raten vorübergehend teilweise bis auf (nahezu) null abstürzen ließen, trieb Vanderbilt seine Konkurrenten in die Enge, bis sie schließlich entweder an ihn verkauften oder aber ihm hohe Stillhaltezahlungen dafür leisteten, dass er den Wettbewerb mit ihnen einstellte. Im ersteren Falle hielt sich Vanderbilt für seine Preisunterbietungen anschließend mit Preis-»Normalisierungen«, m.a.W. teilweise saftigen Preiserhöhungen, schadlos. Im zweiten Fall kassierte er für sein Stillhalten hohe Summen allein dafür, dass er seine Schiffe entweder – ohne sie Risiken auszusetzen – im Hafen liegen oder aber auf anderen Routen zusätzliche Erträge einfahren ließ.

Eine dritte Strategievariante Vanderbilts bestand darin, mit potenten Konkurrenten heimlich Kartellverträge zu schließen, insbesondere Gewinnverteilungsabsprachen mit gegenseitigen Rückvergütungen (sog. »blackmailings«), während man nach außen hin einen unerbittlichen Wettbewerb vortäuschte. Zum Konzept von Vanderbilt gehörte es ferner, gebrauchte bzw. seinen Ansprüchen nicht mehr genügende Dampfer möglichst schnell zu verkaufen und sie durch neue Schiffe zu ersetzen. Seine am technischen Fortschritt orientierten Kriterien waren dabei Geschwindigkeit, Größe und Qualität. Damit verfügte er i.d.R. über die modernsten, schnellsten und größten Dampfschiffe der Zeit. Nicht zuletzt durch das konsequente Durchhalten dieser Grundsätze avancierte Vanderbilt innerhalb von 20 Jahren (1830-1850) zum einflussreichsten Reeder der USA.

Natürlich suchten Vanderbilts Konkurrenten den Erfolg mit den gleichen oder mit vergleichbaren Mitteln. Vanderbilt übertraf sie letztlich jedoch alle. Zugute kam ihm dabei insbesondere, dass er in seiner Person sowohl einen erstklassigen Schiffsdesigner als auch einen hervorragenden Kaufmann vereinigte. Die meisten seiner Schiffe ließ er nach eigenen Spezifikationen bauen, und als Kaufmann hatte er sein Rechnungswesen stets voll im Griff. Diese seltene Kombination von technischer und kaufmännischer Kompetenz erlaubte es ihm, notfalls bis an die äußersten Grenzen seiner finanziellen Möglichkeiten zu gehen, ohne diese jedoch zu überschreiten. Dies bewies er später auch als Eisenbahn-Magnat (u.a. im Erie-Krieg, vgl. Abschnitt 2.5).

Darüber hinaus besaß Vanderbilt eine ungewöhnlich kräftige körperliche Konstitution und erfreute sich bis kurz vor seinem Tod allerbester Gesundheit, m.a.W. er verfügte über eine geradezu unerschöpfliche Energie. Dies ließ ihn die damaligen großen Strapazen, anfänglich als Bootsmann, danach als Kapitän oder später bei Erkundungsexpeditionen im Urwald von Nicaragua (vgl. Abschnitt 1.5), sowie auch schwere Unfälle überstehen. Dazu exemplarisch einige Episoden: Bereits als Jugendlicher betrieb Vanderbilt in eigener Regie u.a. eine Austernfischerei – damals ein beinharter Job, bei dem er keiner körperlichen Auseinandersetzung mit Konkurrenten um die besten Fundstellen und den günstigsten Liegeplatz zum Verkauf im New Yorker Hafen aus dem Weg ging. 1844 hatte Vanderbilt als Anhänger der konservativen »Whig-Partei« zur deren Wahlkampfunterstützung in New York City eine 500-köpfige Reitertruppe aus Staten Island zusammengestellt. »Yankee« Sullivan, prominentes Mitglied der Gegenpartei der Demokraten und seinerzeit ein berühmter Preisboxer, hatte daraufhin vollmundig angekündigt, er werde die Parade sprengen und jeden Whig, der sich sehen lasse, verprügeln. Als der Boxchampion, begleitet von einem ganzen Schlägertrupp, sich bei der Parade die Zügel von Vanderbilts Pferd schnappte, um ihn vom Pferd zu holen, sprang Vanderbilt von sich aus ab. Während sein Reitertrupp die anderen Schläger abdrängte, verprügelte der damals 50-jährige Commodore den Berufs-Preisboxer eigenhändig nach allen Regeln der Kunst fast bis zur Bewusstlosigkeit (Lane, S. 83). Noch im hohen Alter machte sich Vanderbilt ein Vergnügen daraus, seine Kutsche, die von zwei der schnellsten Traber der Stadt gezogen wurde, persönlich mit Höchstgeschwindigkeit durch New York City zu jagen. Im Unterschied etwa zu dem späteren John D. Rockefeller (1839-1937), der die Fäden lieber verdeckt im Hintergrund zog, war der Commodore also eher der Typ, der, ohne sich und andere zu schonen, mit dem Kommando »Mir nach!« als Erster in kaltes Wasser sprang, wenn es etwas zu erledigen galt.

Bei seinen Unternehmungen zeichnete sich Vanderbilt nicht unbedingt durch penible Gesetzestreue, herausragende Tugend- und Ehrenhaftigkeit sowie einsame Weitsicht aus, wodurch er den Reichtum seines Landes erschloss und dafür mit einem großen Vermögen belohnt wurde – wie manche Biographen Glauben machen möchten, zuerst etwa William A. Croffut mit seiner 1886 erschienenen Publikation »The Vanderbilts and The Story of Their Fortune«. Umgekehrt kann man den Commodore auch nicht ohne weiteres als kommerziellen Freibeuter oder gar als Finanzhai bezeichnen, denn seine Maßnahmen waren nicht expressis verbis ungesetzlich, z.B. trat der Sherman (Anti-Trust) Act erst ein halbes Jahrhundert später in Kraft. Vanderbilt befolgte »nur« die damaligen Spielregeln und benutzte die gleichen Schlupflöcher wie zahllose seiner Zeitgenossen auch, nur eben geschickter, effizienter und weit erfolgreicher.