Der Präsident - David Baldacci - E-Book
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Der Präsident E-Book

David Baldacci

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Beschreibung

Luther Whitney, ein Einbrecher, plant seinen letzten Coup. Eine leerstehende Villa schient dafür wie geschaffen. Doch als er gerade das Schlafzimmer ausräumen will, fährt ein Wagen vor. Ein distinguierter älterer Herr und eine junge Frau steigen aus und betreten das Haus, offensichtlich bereit für eine heiße Liebesnacht. Aber es kommt zum Streit und zu heftigen Auseinandersetzungen. Von seinem Versteck aus beobachtet Luther, wie zwei Leibwächter die Tür aufstoßen und die Frau erschießen. Alle Spuren werden eilig beseitigt. Luther will die Mörder jedoch nicht so einfach davonkommen lassen. Er ahnt nicht, worauf er sich einläßt ...

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Inhalt

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Widmung

DANKSAGUNG

Zitat

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

EPILOG

David Baldacci, geboren 1960, lebt in der Nähe von Washington, D.C. Er war Strafverteidiger und Wirtschaftsjurist, bevor er mit Der Präsident (verfilmt als Absolute Power) seinen ersten Weltbestseller schrieb. Seine Bücher wurden in über 40 Sprachen übersetzt und in mehr als 80 Länder verkauft, mit einer Gesamtauflage von 65 Millionen Exemplaren. David Baldacci ist Botschafter für die National Multiple Sclerosis Society, engagiert sich für zahlreiche soziale Einrichtungen und hat selbst mit seiner Familie die Wish You Well Foundation, eine Stiftung zur Förderung des Lesens, eingerichtet.

David Baldacci

DERPRÄSIDENT

Aus dem Amerikanischen vonMichael Krug

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Titel der amerikanischen Originalausgabe: ABSOLUTE POWER

© 1996 by Columbus Rose Ltd.

© für die deutschsprachige Ausgabe 1996 by

Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Gisela Kullowatz

Datenkonvertierung E-Book:

Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-1709-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für Michelle, meine beste Freundin,

meine geliebte Frau, meine Komplizin:

Ohne dich wäre dieser Traum

nur ein Funke in einem müden Auge geblieben.

Für meine Mutter und meinen Vater:

Keine Eltern hätten mehr tun können als ihr.

Für meinen Bruder und meine Schwester:

Ihr habt eine Menge von eurem

kleinen Bruder aushalten müssen und wart

doch immer für mich da.

DANKSAGUNG Mein Dank gilt Jennifer Karas für ihre Freundschaft und großartige Unterstützung, die seinerzeit den Ball ins Rollen brachte. Ferner Karen Spiegel, meinem größten Fan an der Westküste; möge es viele große Filme und kleine Oscars in ihrer Zukunft geben. Und Jim und Everne Spiegel für ihre Unterstützung und Ermutigung.

Außerdem Aaron Priest, dem Mann, der mich entdeckte, meinem Agenten und Freund auf Lebenszeit – und ein netter Kerl obendrein –, und seiner Assistentin Lisa Vance, die gewissenhaft all meine Fragen beantwortete, so seltsam sie auch sein mochten. Sowie Francis Jane Miller, Mitarbeiterin der Priest Agency, deren wohlüberlegte Anmerkungen und Kommentare mir Anlass gaben, mich in meine eigenen Figuren zu vertiefen, und den Roman dabei viel besser machten.

Meiner Lektorin Maureen Edge, dass sie meine erste Buchveröffentlichung zu so einer schmerzlosen und erfreulichen Erfahrung werden ließ. Und für Larry Kirschbaum, der sehr spät in der Nacht etwas las und mein Leben dadurch grundlegend veränderte.

Stephen Wilmsen, einem Schriftstellerkollegen, der weiß, wie schwer das Schreiben ist, und der mir die ganze Zeit guten Rat und jede Menge Ermutigung zuteil werden ließ. Danke, mein Freund!

Steve und Mary Jenings für technischen Rat, Recherche und dafür, dass sie die besten Freunde waren, die man sich wünschen kann. Richard Marvin und Joe Barry für technische Hinweise zu Sicherheitssystemen.

Und Art, Lynette, Ronni, Scott und Randy für ihre Liebe und Unterstützung.

»Absolute Macht korrumpiert absolut.«

Lord Acton

KAPITEL 1Locker umfasste er das Lenkrad, als der Wagen mit abgeschalteten Lichtern langsam zum Stehen kam. Ein paar Schotterkörner sprangen noch aus dem Reifenprofil, danach umgab ihn Stille. Er ließ sich einen Augenblick Zeit, um sich an die Umgebung zu gewöhnen, dann holte er ein abgewetztes, aber noch brauchbares Fernglas hervor. Langsam kam das Haus in den Blick. Gelassen, ruhig drehte er sich auf dem Sitz herum. Die Muskeln seiner hageren Gestalt waren so straff wie immer. Auf dem Vordersitz neben ihm lag ein Sportbeutel. Das Innere des Wagens war ausgebleicht, aber sauber.

Der Wagen war außerdem gestohlen. Und seine Herkunft war schwer zurückzuverfolgen.

Vom Rückspiegel hing ein Paar Miniaturpalmen. Er lächelte verkniffen, als sein Blick darauf fiel. Bald schon würde er selbst ins Land der Palmen reisen. Ruhiges, blaues, klares Wasser, lachsfarbene Sonnenuntergänge, langes Ausschlafen. Er musste aufhören. Die Zeit war reif. Das hatte er sich zwar schon oft gesagt, aber diesmal war er sicher.

Luther Whitney war sechsundsechzig Jahre alt und hatte somit offiziell Anspruch auf Rente oder eine staatliche Unterstützung. Die meisten Männer seines Alters hatten bereits eine zweite Berufung als Großväter gefunden, ließen als Teilzeiteltern für die Kinder ihrer Kinder die alten Knochen in vertraute Ruhesessel sinken, während sich die Arterien mit den im Laufe eines Lebens angesammelten Ablagerungen verschlossen.

Luther war sein ganzes Leben lang nur einem Beruf nachgegangen. Dieser bestand darin, in anderer Leute Wohnungen oder Geschäfte einzusteigen – meist bei Nacht, so wie jetzt – und soviel von ihrem Eigentum mitzunehmen, wie er tragen konnte.

Wenngleich er eindeutig auf der falschen Seite des Gesetzes stand, hatte er doch nie in Wut oder Angst eine Pistole abgefeuert oder ein Messer geschleudert, außer in einem ziemlich undurchschaubaren Krieg, der im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südkorea ausgetragen worden war. Selbst Schläge hatte er ausschließlich in Bars ausgeteilt, und dann nur zum Selbstschutz, wenn der Alkohol Männer mutiger machte, als gut für sie war.

Und er stahl nur von jenen, die den Verlust ohne weiteres verschmerzen konnten. Er sah keinen Unterschied zwischen sich und den Heerscharen, deren täglich Brot es war, um die Reichen herumzuscharwenzeln und sie ständig zu überreden, Dinge zu kaufen, die sie gar nicht brauchten.

Einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Lebens hatte er in verschiedenen Besserungsanstalten mittlerer und später hoher Sicherheitsstufe entlang der Ostküste verbracht. Wie Fußfesseln hingen ihm drei Vorstrafen in drei verschiedenen Staaten an. Jahre waren aus seinem Leben gerissen worden -wichtige Jahre. Doch daran konnte er nichts mehr ändern.

Seine Fähigkeiten hatte er soweit verfeinert, dass er hoffen durfte, keine vierte Verurteilung mehr zu erleben. Die Folgen eines weiteren Fehltritts lagen klar auf der Hand: Er würde die vollen zwanzig Jahre bekommen. Und in seinem Alter bedeuteten zwanzig Jahre die Todesstrafe. Ebenso gut konnten sie ihn auf dem elektrischen Stuhl braten, wie es der Staat Virginia mit seinen schwärzesten Schafen zu tun pflegte. Die Bürger dieses überaus geschichtsträchtigen Staates waren durch und durch gottesfürchtige Menschen, und eine Religion, die auf dem Prinzip von Schuld und Sühne beruhte, forderte konsequent die Höchststrafe. Der Staat konnte sich rühmen, mehr Anwärter auf die Todesstrafe zu haben als alle anderen Staaten, mit Ausnahme von zweien. Und diese, nämlich Texas und Florida, teilten die moralischen Ansichten ihres Südstaatennachbarn. Bei schlichtem Einbruch war man da im guten, alten Virginia geradezu noch gnädig.

Doch selbst angesichts aller Risiken konnte er den Blick nicht von diesem Haus abwenden. Von diesem Anwesen, besser gesagt. Schon seit einigen Monaten ließ es ihn nicht mehr aus seinem Bann.

Middleton, Virginia. Fünfundvierzig Autominuten westlich von Washington, D. C. Ein Ort riesiger Landsitze, wo ein Jaguar nichts Besonderes war, ebenso wenig wie Pferde, deren Wert die Bewohner eines Großstadt-Apartmenthauses ein Jahr lang hätte ernähren können. Die Häuser in diesem Gebiet erstreckten sich über so viel Land und waren so prunkvoll, dass sie eigene Namen rechtfertigten. Die Ironie des Namens dieses speziellen Anwesens – The Coppers – war ihm nicht entgangen. ›Coppers‹ hießen im Slang die Polizisten.

Nichts, was er je erlebt hatte, kam dem Adrenalinstoß gleich, der einen Einbruch wie diesen begleitete. Er stellte sich vor, dass sich ein Schlagmann beim Baseball so fühlen musste, wenn er lässig über die Male trottet und sich dafür alle Zeit der Welt lässt, nachdem das soeben geschlagene Leder irgendwo draußen auf der Straße gelandet ist. Die Menge ist aufgesprungen, fünfzigtausend Augenpaare sind auf einen einzigen Menschen gerichtet, alle Luft der Welt scheint eingesogen und angehalten zu sein, bis sie schließlich, dem grandiosen Schwung des Schlägers folgend, wieder freigesetzt wird.

Luthers immer noch scharfe Augen suchten die Gegend gründlich ab. Nur ein vereinzeltes Glühwürmchen blinkte ihm zu. Davon abgesehen, war er allein. Einen Augenblick lauschte er dem an- und abschwellenden Zirpen der Grillen, dann jedoch verblasste der Chor ins Unterbewusstsein, so allgegenwärtig war er für jemanden, der längere Zeit in diesem Gebiet gelebt hatte.

Er fuhr ein Stück weiter die geteerte Straße hinab und setzte das Auto dann rückwärts in einen kurzen Feldweg, der in einer kleinen Gruppe dicht gewachsener Bäume endete. Sein stahlgraues Haar war von einer schwarzen Skimütze verdeckt, in das lederne Gesicht hatte er Tarnfarbe geschmiert. Ruhige, grüne Augen blickten über der breiten Kinnlade in die Dunkelheit. Er sah aus wie der Army Ranger, der er einst gewesen war. Luther stieg aus dem Wagen.

Hinter einen Baum geduckt, beobachtete er sein Ziel. Wie viele Landsitze, die über keine echten Farmhäuser und Scheunen verfügten, hatte auch The Coppers ein riesiges, reich verziertes Eisentor zwischen zwei gemauerten Pfeilern. Einen Zaun um das Grundstück gab es jedoch nicht. Es war direkt von der Straße oder den umliegenden Wäldern aus zugänglich. Luther wählte letzteren Weg.

Er brauchte zwei Minuten, um das Maisfeld zu erreichen, das an das Haus grenzte. Offenbar benötigte der Eigentümer kein selbst angebautes Getreide, nahm seine Rolle als Gutsbesitzer aber ernst. Darüber konnte sich Luther nicht beklagen; schließlich verschaffte ihm dieser Umstand praktisch einen verborgenen Weg zur Eingangstür.

Er verharrte einen Augenblick, dann verschwand er im hohen Dickicht der Maisstauden.

Glücklicherweise war der Boden frei von Geröll, und seine Tennisschuhe verursachten kein Geräusch, was hier sehr wichtig war, da man jeden Laut weithin hörte. Die Augen hielt er starr geradeaus gerichtet, während seine Füße sich vorsichtig einen Weg durch die schmalen Reihen suchten. Die Nachtluft war nach der lähmenden Hitze eines weiteren drückenden Sommers kühl, aber nicht annähernd kalt genug, um Atemwölkchen entstehen zu lassen, die aus der Entfernung von aufmerksamen oder schlaflosen Augen hätten wahrgenommen werden können.

Den Zeitplan dieser Operation war Luther während des letzten Monats immer und immer wieder in Gedanken durchgegangen, wobei er stets am Rand des Feldes anhielt, bevor er das Grundstück vor dem Gebäude betrat und das Niemandsland durchquerte. In seinem Kopf war jede Einzelheit Hunderte Male abgelaufen, wie ein Film, bis sich seinem Gedächtnis eine genaue Abfolge aus Gehen, Warten und Weitergehen eingeprägt hatte.

Am Rand des Grundstücks vor der Villa kauerte er sich nieder und ließ einen weiteren langen Blick über das Gelände schweifen. Er hatte keinen Grund zur Eile. Es gab keine Hunde, wegen denen er sich Sorgen machen musste, und das war gut so. Ganz gleich wie jung und flink ein Mensch auch sein mochte, einem Hund entkam keiner. Doch es war vor allem der Lärm, den Hunde machten, der Männern wie Luther einen Strich durch die Rechnung machte. Es gab auch keine automatischen Bewegungsmelder, wahrscheinlich wegen der unzähligen Fehlalarme, die Rotwild, Eichhörnchen und Waschbären verursacht hätten, welche das Gebiet scharenweise durchstreiften. Dennoch würde er sich in Kürze einer höchst raffinierten Alarmanlage gegenübersehen. Nur dreiunddreißig Sekunden hatte er, um sie außer Betrieb zu setzen, ungerechnet der zehn Sekunden, die er allein brauchen würde, um die Schalttafel abzumontieren.

Der private Sicherheitsdienst war vor zwanzig Minuten vorbeigekommen. Diese Pseudo-Polizisten sollten eigentlich die Route ständig wechseln, die Überwachungsbereiche stündlich kontrollieren. Aber nach einem Monat Beobachtung hatte Luther mühelos ein bestimmtes Muster ausmachen können. Drei Stunden blieben ihm mindestens, bevor sie das nächste Mal vorbeikommen würden. Das war weit mehr Zeit, als er brauchte.

Ringsum war es stockfinster, und dichte Sträucher, für Luther und seinesgleichen so wichtig wie die Luft zum Atmen, reihten sich entlang der mit Kopfsteinen gepflasterten Auffahrt wie Raupenkokons am Ast eines Baumes. Er überprüfte jedes Fenster des Hauses. Alle waren dunkel, alles ruhig. Er hatte die Wagenkolonne beobachtet, mit der die Bewohner des Hauses vor zwei Tagen Richtung Süden gefahren waren. Sorgfältig hatte er sowohl die Bewohner als auch das Personal gezählt, um sicherzugehen, dass keiner mehr übrig blieb. Und das nächste Anwesen lag eine gute Meile entfernt.

Tief atmete er ein. Luther hatte alles vorausgeplant, Tatsache aber war, dass man in diesem Beruf niemals mit allem rechnen konnte.

Er lockerte den Griff um seinen Rucksack und erhob sich. In langen, zügigen Schritten überquerte er den Rasen. Zehn Sekunden später stand er vor der robusten Holztür mit verstärktem Stahlrahmen, mit einem Schloss, das auf der Hitliste der einbruchssicheren Schlösser ganz oben stand. Nichts davon bereitete Luther auch nur die geringsten Sorgen.

Er holte eine Nachbildung des Schlüssels der Eingangstür aus der Jackentasche und steckte ihn ins Schlüsselloch, ohne ihn jedoch herumzudrehen.

Abermals lauschte er einige Sekunden. Dann nahm er den Rucksack ab und wechselte die Schuhe, damit er keine Dreckspuren hinterließ. Er zog den batteriebetriebenen Schraubendreher hervor, der ihm den Schaltkreis, den es zu überlisten galt, zehnmal schneller offenlegen konnte, als es von Hand möglich war.

Der nächste Ausrüstungsgegenstand, den er vorsichtig aus dem Rucksack holte, wog genau hundertsiebzig Gramm, war etwas größer als ein Taschenrechner und – neben seiner Tochter – die beste Investition seines Lebens. Das kleine Gerät mit Spitznamen »WIT« hatte Luther bei den letzten drei Einsätzen geholfen, ohne ihn auch nur einmal im Stich zu lassen.

Die fünf Zahlen, aus denen sich der Sicherheitscode dieses Hauses zusammensetzte, waren Luther bereits zugetragen worden und in seinem Computer programmiert. Die richtige Abfolge war ihm noch ein Rätsel, doch dieses Hindernis würde kurzerhand von seinem Kumpel aus Metall, Draht und Mikrochip beseitigt werden müssen, wenn er das ohrenbetäubende Schrillen vermeiden wollte, das sofort an allen vier Ecken dieser knapp tausend Quadratmeter großen Festung aus den Lautsprechern ertönen würde. Danach würde der namenlose Computer, mit dem Luther in wenigen Augenblicken in den Clinch gehen musste, einen Anruf bei der Polizei tätigen. Außerdem verfügte das Haus über druckempfindliche Fenster und Bodenplatten, des Weiteren über manipulationssichere Türmagneten. All das war bedeutungslos, wenn Luther diesen einen Kampf gewann.

Während er auf den Schlüssel in der Tür starrte, hakte er WIT mit einer geübten Bewegung in den Werkzeuggurt, so dass er locker an seiner Seite hing. Dann streifte er sich ein Paar Plastikhandschuhe mit einer zusätzlichen Gummischicht an Fingerspitzen und Handballen über. Beweise zu hinterlassen war nicht sein Stil.

Tief durchatmend wappnete sich Luther gegen das nächste Geräusch, das er hören würde, nämlich den tiefen Ton der Alarmanlage, der den Eindringling vor einem verhängnisvollen Schicksal warnte, sollte die korrekte Antwort nicht innerhalb der vorgesehenen Zeit – und keine Zehntelsekunde später – eingegeben werden.

Der Schlüssel ließ sich widerstandslos im Schloss drehen. Dann stemmte Luther sich gegen die Tür.

Sogleich setzte ein Summton ein. Jetzt ging es um Sekunden. Rasch schlüpfte er in das riesige Foyer und wandte sich nach rechts, dem Schaltkasten zu.

Der automatische Schraubendreher drehte sich geräuschlos, die sechs Schrauben fielen in Luthers Hand und verschwanden in einer Tragetasche am Gürtel. Mondlicht drang durch das Fenster neben der Tür und schien auf dünne Drähte, die von WIT herabbaumelten. Dann fand Luther, nachdem er kurz das Innere des Kastens untersucht hatte wie ein Chirurg die Brusthöhle seines Patienten, die richtige Stelle, steckte dort die Litzen an und schaltete seinen Kumpel ein.

Aus der Eingangshalle starrte ein roter Schlitz auf Luther herab. Der Infrarotmelder hatte bereits auf seine Wärmeenergie angesprochen. Während die Sekunden verstrichen, wartete er geduldig darauf, dass ihm das »Gehirn« der Alarmanlage mitteilte, ob es sich bei dem Eindringling um Freund oder Feind handelte.

Schneller, als das Auge folgen konnte, flimmerten die Zahlen neongelb über WITs Anzeige; die verbleibenden Sekunden wurden in einem kleinen Kästchen am rechten oberen Rand heruntergezählt.

Fünf Sekunden verstrichen, dann erschienen die Zahlen 5. 13, 9, 3 und 11 auf WITs kleinem Bildschirm und verharrten.

Unvermittelt brach das Summen ab. An die Stelle des roten Lichts trat ein freundliches Grün; Luther war im Geschäft. Er entfernte die Drähte, schraubte die Schalttafel wieder an, verstaute seine Ausrüstung und schloss die Eingangstür sorgfältig hinter sich ab.

Das Schlafzimmer der Hausbesitzer befand sich im dritten Stock, wohin man vom Erdgeschoss über einen Aufzug gelangen konnte, der sich rechts von der Eingangshalle befand. Luther entschied sich statt dessen für die Treppe. Je weniger er sich von etwas abhängig machte, das er nicht völlig unter Kontrolle hatte, desto besser. Mehrere Wochen lang in einem Aufzug festzusitzen gehörte eindeutig nicht zu seinem Schlachtplan.

Er blickte zum Detektor an der Decke, der mit seinem rechteckigen Mund auf ihn herabgrinste, doch der Überwachungsmechanismus war nun außer Funktion. Dann ging Luther die Treppe hinauf.

Die Schlafzimmertür war nicht verschlossen. Innerhalb weniger Sekunden war die batteriebetriebene Niedervoltlampe einsatzbereit, und Luther sah sich einen Augenblick um. Der grüne Schimmer einer zweiten Schalttafel, die neben der Schlafzimmertür montiert war, durchbrach die Dunkelheit.

Das Haus selbst war innerhalb der letzten fünf Jahre errichtet worden. Luther hatte die Daten im Amtsgericht überprüft; es war ihm sogar gelungen, Zugang zu einem Satz Planpausen aus dem Büro des Bauinspektors zu bekommen. Das Haus war so groß, das es von der örtlichen Verwaltung gesondert hatte genehmigt werden müssen. Als ob die den Reichen je einen Wunsch abgeschlagen hätte!

Die Pläne enthielten keine Überraschungen. Es war ein großes, solides Haus, das den mehrfachen Millionenbetrag allemal wert war, den der Besitzer dafür auf den Tisch gelegt hatte.

Luther war schon einmal in diesem Haus gewesen, am helllichten Tag; überall waren Leute umhergelaufen. Genau in diesem Zimmer hatte er sich aufgehalten und dabei alles gesehen, was er sehen musste. Und deshalb war er heute Nacht hier.

Fünfzehn Zentimeter breite Deckengesimse starrten auf ihn herab, als er sich neben das riesige Himmelbett kniete. Neben dem Bett stand ein Nachttisch, auf dem sich eine kleine silberne Uhr, der neueste Roman von Jackie Collins und ein antiker, versilberter Brieföffner mit dickem Ledergriff befanden.

Alles in dem Raum war groß und teuer. In diesem Zimmer gab es drei begehbare Schränke, jeder so groß wie Luthers Wohnzimmer. Zwei waren vollgestopft mit Damenbekleidung und -schuhen, Handtaschen und allen möglichen anderen Accessoires, für die man – sinnvoll oder auch nicht - Geld ausgeben konnte. Luther erblickte die gerahmten Bilder auf dem Nachttisch und betrachtete belustigt die zierliche Frau in den Zwanzigern neben ihrem Gatten, der hart auf die Achtzig zuging.

Es gab viele Arten von Lotterien auf der Welt, und nicht alle betrieb der Staat.

Einige der Fotos betonten die Proportionen der Hausherrin beinahe bildfüllend, und eine rasche Überprüfung des Schrankes offenbarte ihm, dass auch ihr Geschmack für Kleider nicht sehr zurückhaltend war.

Er sah zu dem Ganzkörperspiegel an der Wand und betrachtete die geschnitzte Leiste an dessen Rändern. Als nächstes untersuchte er die Seiten. Es war eine feine, eine tolle Arbeit, dem äußeren Anschein nach in die Wand eingelassen, doch Luther wusste, dass in den leichten Einbuchtungen, fünfzehn Zentimeter vom oberen und unteren Rand entfernt, versteckte Türangeln montiert waren.

Er wandte sich wieder dem Spiegel zu. Luther verfügte über den klaren Vorteil, ein solches Ganzkörpermodell schon bei einem Einbruch vor einigen Jahren gesehen zu haben, wenngleich er damals nicht vorgehabt hatte, es aufzubrechen. Aber man ließ ein zweites goldenes Ei nicht links liegen, nur weil man schon eines in der Hand hielt, und in jenem Fall war das zweite Ei fünfzigtausend Dollar wert gewesen. Der Preis auf der anderen Seite dieses unauffälligen Spiegels würde vermutlich etwa zehnmal so hoch sein.

Mit brutaler Gewalt und einer Brechstange war der Schließmechanismus in der Zierleiste des Spiegels sicher zu überwinden, doch ein solches Unterfangen würde wertvolle Zeit kosten. Darüber hinaus würden deutliche Zeichen eines Einbruchs zurückbleiben. Zwar dürfte das Haus, soweit er wusste, während der nächsten paar Wochen leer stehen, doch man konnte nie vorsichtig genug sein. Wenn er ging, würde es keinen offensichtlichen Beweis dafür geben, dass er je hier gewesen war. Selbst bei ihrer Rückkehr würde man den Tresor vermutlich erst nach einiger Zeit überprüfen. Wie auch immer, er musste nicht den harten Weg nehmen.

Rasch ging Luther hinüber zu dem Großbildfernseher, der an einer Wand des gewaltigen Zimmers stand. Dieser Bereich war als Wohnzimmer eingerichtet, mit zum Raum passenden brokatbezogenen Stühlen und einem großen Kaffeetisch. Sein Blick fiel auf die drei Fernbedienungen, die dort lagen. Eine war für den Fernseher, eine für den Videorecorder und eine würde seine Arbeit heute Nacht um neunzig Prozent erleichtern. Jede trug einen Markennamen, und eine sah der anderen ziemlich ähnlich, doch ein kurzer Versuch ergab, dass zwei die entsprechenden Geräte steuerten und eine nicht.

Er ging durch das Zimmer zurück, wies mit der Fernbedienung auf den Spiegel und drückte den einzelnen roten Knopf am unteren Ende des Geräts. Normalerweise trat dadurch ein Videorecorder in Bereitschaft, oder ein Bildschirm leuchtete auf. Heute Nacht, in diesem Zimmer, öffnete mit diesem Knopfdruck die Bank ihre Pforten für den einzigen, glücklichen Kunden.

Luther sah zu, wie die Tür auf den nun bloßgelegten wartungsfreien Angeln sanft und leise aufschwang. Aus alter Gewohnheit legte er die Fernbedienung genau dorthin zurück, wo sie gewesen war, holte einen zusammenfaltbaren Sportbeutel aus dem Rucksack und betrat den Tresor.

Als der Schein seiner Lampe durch die Dunkelheit strich, erblickte er zu seiner Überraschung in der Mitte des etwa zwei mal zwei Meter großen Tresorraums einen ledergepolsterten Sessel. Auf der Lehne lag dieselbe Fernbedienung, offenbar als Schutz dagegen, unbeabsichtigt eingesperrt zu werden. Dann ließ er den Blick über die Regale an beiden Seiten schweifen.

Zuerst wanderten seine Augen über das feinsäuberlich gebündelte Bargeld, dann über den Inhalt kleiner Schatullen, der eindeutig kein Modeschmuck war. Luther zählte Anleihen im Wert von etwa zweihunderttausend Dollar sowie andere Wertpapiere, des Weiteren zwei kleine Kassetten mit antiken Münzen und eine dritte mit Briefmarken, darunter ein Fehldruck, bei dessen Anblick Luther kräftig schluckte. Er ließ die Blankoschecks und die Fächer mit Dokumenten außer acht, die für ihn wertlos waren. Die rasche Bestandsaufnahme endete bei fast zwei Millionen Dollar, vielleicht auch mehr.

Noch einmal sah er sich um und vergewisserte sich, dass er keinen Winkel übersehen hatte. Die Wände waren dick. Vermutlich waren sie feuerfest, zumindest so feuerfest, wie Wände überhaupt sein konnten. Der Raum war nicht hermetisch verschlossen, denn die Luft war frisch, nicht abgestanden. Hier konnte man sich tagelang verschanzen.

Zügig fuhr die Limousine, gefolgt von einem Kastenwagen, die Straße entlang. Die beiden Lenker waren erfahren genug, dieses Kunststück ohne Scheinwerferlicht zu vollbringen.

Im geräumigen Fond der Limousine befanden sich ein Mann und zwei Frauen. Eine der Frauen war ziemlich beschwipst und gab sich alle Mühe, den Mann und sich selbst an Ort und Stelle zu entkleiden, ungeachtet der sachten, aber nicht ungeschickten Abwehrversuche ihres Opfers.

Die andere Frau saß ihnen schweigend gegenüber und gab vor, diesem lächerlichen Schauspiel, das von mädchenhaftem Kichern und heftigem Gekeuche begleitet wurde, keine Beachtung zu schenken. Doch in Wahrheit entging ihr nicht die kleinste Einzelheit, die sich zwischen dem Paar abspielte. Ihre Aufmerksamkeit wechselte ständig zwischen einem großen Buch voller Termine und Notizen, das aufgeschlagen in ihrem Schoß lag, und dem Mann, der ihr gegenübersaß. Er nutzte gerade die Gelegenheit, sich einen weiteren Drink einzugießen, während seine Gefährtin die hochhackigen Schuhe von den Füßen streifte. Was er an Alkohol vertragen konnte, war enorm. Er konnte die doppelte Menge trinken, die er heute Nacht schon konsumiert hatte, und trotzdem gäbe es keine äußeren Anzeichen – kein undeutliches Artikulieren, keine Beeinträchtigung seiner Bewegungen –, wie sie für einen Mann in seiner Position tödlich sein konnten.

Sie musste ihn einfach bewundern, seine Triebhaftigkeit, seine Schwächen, die ihn doch nicht daran hinderten, der Welt ein Bild vorzugaukeln, das Ehrlichkeit und Stärke, Normalität und zugleich Größe vermittelte. Jede Frau in Amerika war verliebt in ihn, ganz gleich, welcher Altersschicht sie angehörte. Sie alle waren hingerissen von seinem zeitlos guten Aussehen, seinem immensen Selbstbewusstsein und dem, was er für sie alle darstellte. Und er erwiderte diese allgemeine Bewunderung mit einer Leidenschaft, die sie immer wieder in Erstaunen versetzte.

Leider war sie selbst nie Ziel dieser Leidenschaft gewesen, ungeachtet der versteckten Andeutungen, der Berührungen, die ein klein wenig zu lange dauerten; ungeachtet dessen, dass sie es stets so einfädelte, dass sie ihn gleich morgens traf, wenn sie am besten aussah; ungeachtet der sexuellen Anspielungen während ihrer Lagebesprechungen. Sie war lediglich einer seiner Laufburschen. Doch es war noch genug Zeit. Bis ihre Zeit kam – und sie würde kommen, das hielt sie sich ständig vor Augen –, würde sie geduldig sein.

Sie sah aus dem Fenster. Das alles dauerte zu lang. Solche Improvisationen hasste sie, denn sie brachten alles andere durcheinander. Missfällig verzog sie den Mund.

Luther hörte die Autos die Auffahrt heraufkommen. Seine Augen bestätigten ihm, was die Ohren ihm bereits mitgeteilt hatten. Ihm war sofort klar, dass der Rückweg abgeschnitten war und dass er sich etwas einfallen lassen musste.

Er wechselte an ein anderes Fenster, um dem Weg der Wagen um die Ecke zu folgen. Luther zählte vier Personen, die aus der Limousine stiegen; eine weitere stieg aus dem Kastenwagen. Wer waren diese Leute? Die Gruppe war zu klein, als dass es sich um die Bewohner des Hauses handeln konnte, andererseits so groß, dass es kaum jemand sein konnte, der nur im Haus nach dem Rechten sehen wollte. Gesichter auszumachen war unmöglich. Einen Augenblick kam Luther der ironische Gedanke, dass in das Haus zweimal in derselben Nacht eingebrochen werden sollte; dann jedoch schüttelte er den Kopf. Das wäre ein gar zu großer Zufall gewesen. In diesem Geschäft, wie auch in vielen anderen, vermied man Zufälle tunlichst. Außerdem fuhren Einbrecher nicht mit mehreren Fahrzeugen vor und trugen Kleider, die eher für einen Streifzug durch das Nachtleben einer Großstadt geeignet waren.

Seine Gedanken rasten, als Lärm zu ihm drang, offenbar von der Hinterseite des Hauses her.

Luther zwang sich zur Ruhe, ergriff den Sportbeutel, aktivierte, voll stummer Dankbarkeit für die zweite Schalttafel im Schlafzimmer, die Alarmanlage des Hauses, schlich durch das Zimmer in den Tresorraum und zog vorsichtig die Tür hinter sich zu, bis sie einschnappte. Dann kauerte er sich in die hinterste Ecke des kleinen Raumes. Nun musste er abwarten.

Er fluchte auf sein Pech, nachdem alles so glatt gegangen war. Dann schüttelte er den Kopf, um die Gedanken zu ordnen, und zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Es war wie beim Fliegen. Je öfter man flog, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passierte. Luther konnte nur abwarten und hoffen, dass die soeben angekommenen Gäste des Hauses keine Einlage bei der Privatbank vorzunehmen hatten, die er jetzt besetzte.

Ein Schwall Gelächter, gefolgt von Stimmengewirr, drang zu ihm. Gleichzeitig setzte das laute Summen ein, das sich anhörte, als brauste ein Jet unmittelbar über seinen Kopf hinweg. Anscheinend gab es leichte Probleme mit dem Sicherheitscode. Schweißperlen traten auf Luthers Stirn, als er sich vorstellte, was wäre, wenn der Alarm losginge und die Polizei käme, um jeden Winkel des Hauses zu durchsuchen, nur um ganz sicherzugehen. Angefangen bei seiner kleinen Kammer.

Luther fragte sich, wie er wohl reagieren würde, wenn er hörte, wie die verspiegelte Tür sich öffnete und ein Lichtstrahl hereindrang, der ihn unmöglich verfehlen konnte. Fremde Gesichter, die hereinstarrten, gezückte Waffen, das Verlesen seiner Rechte. Es war lachhaft. Er saß in der Falle wie eine gottverdammte Ratte, ohne jeden Ausweg. Fast dreißig Jahre lang hatte er keine Zigarette mehr geraucht, jetzt aber sehnte er sich verzweifelt nach einem Zug. Leise legte er den Beutel auf den Boden und streckte langsam die Beine aus, damit sie nicht einschliefen. Dann wartete er.

Schwere Schritte ertönten auf den Eichenstufen der Treppe. Wer immer auch kam, gab sich keine Mühe, unbemerkt zu bleiben, was gut und schlecht war. Er zählte vier, möglicherweise fünf Personen. Sie wandten sich nach links und bewegten sich in seine Richtung.

Mit leisem Knarren wurde die Schlafzimmertür geöffnet. Luther überlegte fieberhaft. Er hatte alles mitgenommen oder wieder an seinen Platz gelegt. Außer der Fernbedienung hatte er nichts berührt, und die hatte er genau in Übereinstimmung mit dem Staubmuster zurückgelegt. Jetzt vernahm er nur drei Stimmen, einen Mann und zwei Frauen. Eine der Frauen klang betrunken, die andere durch und durch geschäftsmäßig. Dann verschwand Ms. Geschäftsmäßig, die Tür wurde geschlossen, aber nicht abgesperrt, und Ms. Betrunken und der Mann blieben allein zurück. Wo waren die anderen? Wohin war Ms. Geschäftsmäßig verschwunden? Das Kichern ging weiter. Schritte näherten sich dem Spiegel. Luther drückte sich, so tief er konnte, in die Ecke und hoffte, dass der Stuhl ihn verdecken würde, wenngleich er wusste, dass dies unmöglich war.

Dann traf ihn eine Lichtexplosion genau in die Augen. Seine winzige, völlig finstere Welt war so plötzlich von grellem Licht erfüllt, dass es ihm beinahe den Atem verschlug. Hastig blinzelte er, um die Augen der neuen Helligkeit anzupassen; die Pupillen verengten sich in Sekundenschnelle auf Stecknadelgröße. Doch da war nichts außer Licht. Das Licht blieb, aber es gab keine Schreie, keine Gesichter, keine Waffen.

Schließlich, nachdem eine volle Minute verstrichen war, lugte Luther an dem Stuhl vorbei. Ein neuer Schock traf ihn. Die Tresortür war nicht mehr da! Er starrte direkt in das verfluchte Zimmer. Beinahe wäre er nach hinten umgekippt, konnte sich aber noch fangen. Schlagartig begriff Luther, wozu der Sessel diente.

Er erkannte die beiden Leute im Raum. Die Frau hatte er heute Nacht schon auf den Fotos gesehen. Es war die zierliche Frau mit der Vorliebe für gewagte Kleider von zweifelhaftem Geschmack.

Den Mann kannte er aus einem ganz anderen Grund; um den Hausherrn handelte es sich eindeutig nicht. Langsam und verblüfft schüttelte Luther den Kopf und stieß den Atem aus. Seine Hände zitterten, Übelkeit legte sich über ihn. Er kämpfte das Gefühl nieder und schaute in das Zimmer.

Die Tresortür diente auch als Einwegfenster. Da draußen das Licht eingeschaltet und die kleine Kammer dunkel war, wirkte die Spiegeltür wie ein gigantischer Fernsehbildschirm.

Dann erblickte er die Halskette der Frau, und die Luft blieb ihm weg. Sein erfahrener Blick schätzte sie auf zweihunderttausend Dollar, vielleicht auch mehr. Und es war die Sorte Klunker, die man normalerweise im Heimtresor verstaute, bevor man zu Bett ging. Schließlich entspannte er sich, als er sah, wie sie das gute Stück abnahm und achtlos auf den Boden warf.

Seine Angst legte sich soweit, dass er es wagte aufzustehen, zu dem Sessel vorzuschleichen und sich hineinzusetzen. Hier also pflegte der alte Mann zu sitzen und zu beobachten, wie seine zierliche Frau sich mit strammen jungen Burschen, die noch von der großen Freiheit träumten, die Seele aus dem Leib vögelte.

Luther sah sich um, entspannte sich ein wenig, ließ die Ohren aber gespitzt für jedes Geräusch der anderen Personen im Haus. Aber was konnte er schon machen? In den über dreißig Jahren seiner Laufbahn als Dieb war ihm noch nie etwas Derartiges widerfahren; also beschloss er, das einzig Mögliche zu tun. Obwohl ihn nur zwei Zentimeter Glas vom völligen Untergang trennten, machte er es sich in dem ledergepolsterten Stuhl bequem und wartete.

KAPITEL 2Drei Blocks vom strahlend weißen Gebäudekomplex des Kapitals der Vereinigten Staaten entfernt, öffnete Jack Graham die Tür zu seiner Wohnung, warf den Mantel auf den Boden und ging schnurstracks zum Kühlschrank. Mit einem Bier in der Hand ließ er sich auf die abgewetzte Couch im Wohnzimmer fallen. Prüfend wanderte sein Blick durch das kleine Zimmer, während er die Flasche ansetzte.

Es bestand ein ziemlicher Unterschied zu dem Ort, an dem er gerade gewesen war. Er behielt das Bier einen Augenblick im Mund und schluckte es dann hinunter. Die Kiefermuskulatur spannte und lockerte sich. Langsam verflogen die nagenden Zweifel, aber sie würden wiederkommen; das taten sie immer.

Jack Graham kam von einer weiteren bedeutenden Dinnerparty bei seiner zukünftigen Frau, deren Familie und dem Kreis ihrer gesellschaftlichen und geschäftlichen Bekannten. Menschen auf diesem Niveau hatten anscheinend keine einfachen Freunde, mit denen sie nur herumhingen. Jeder erfüllte eine bestimmte Funktion, wobei das Ganze mehr ergab als die Summe der einzelnen Teile. Zumindest war es so gedacht, wenngleich Jack seine eigene Meinung zu dem Thema hatte.

Die Industrie- und Finanzwelt war ausgiebig vertreten und warf mit Namen um sich, die Jack im Wall Street Journal las, bevor er auf die Sportseiten umblätterte, um zu sehen, wie es bei den Skins oder Bullets lief. Politiker waren eifrig unterwegs, um Stimmen für die Zukunft und Dollars für die Gegenwart abzustauben. Die Gruppe wurde abgerundet durch die allgegenwärtigen Anwälte, zu denen auch Jack gehörte, einen Arzt, der etwas konservatives Flair einbringen sollte, und ein paar Vertreter öffentlicher Einrichtungen, was zum Ausdruck bringen sollte, dass die Mächtigen auch Mitgefühl für die Nöte der Durchschnittsbürger besaßen.

Nachdem Jack das Bier ausgetrunken hatte, stellte er den Fernseher an. Er streifte die Schuhe ab und warf die gemusterten Vierzig-Dollar-Socken, die ihm seine Verlobte gekauft hatte, achtlos über den Lampenschirm. Mit der Zeit würde sie ihm vermutlich Zweihundert-Dollar-Hosenträger und dazu passende handbemalte Krawatten umhängen. Scheiße!

Während er sich die Zehen rieb, zog er ernsthaft ein zweites Bier in Erwägung. Dem Fernseher gelang es nicht, seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Jack strich sich das dichte, dunkle Haar aus den Augen und machte sich zum tausendsten Mal Gedanken darüber, in welche Richtung sich sein Leben neuerdings bewegte – und zwar mit der Geschwindigkeit eines Space-Shuttles.

Die Firmenlimousine hatte ihn und Jennifer Baldwin in ihre Stadtwohnung im Nordwesten von Washington gebracht, wohin Jack nach der Hochzeit wahrscheinlich ziehen würde; denn Jennifer hasste seine Wohnung. Irgendwie hatte er sich herausgeredet, um nicht über Nacht bleiben zu müssen, weil er sie einfach keine Minute länger hatte ertragen können. Die Hochzeit lag nur noch sechs Monate in der Zukunft, was für ein Brautpaar überhaupt keine Zeit zu sein schien, und er saß hier und fragte sich, ob das wirklich alles so richtig war.

Jennifer Ryce Baldwin war so wunderschön, dass sich Frauen ebenso oft nach ihr umdrehten wie Männer. Darüber hinaus war sie klug und ehrgeizig, stammte von altem Geldadel ab und hatte die Absicht, Jack zu heiraten. Jennifers Vater leitete eine der größten Baufirmen des ganzen Landes. Einkaufszentren, Bürogebäude, Radiostationen, ganze Parzellenareale – es gab nichts, in dem er nicht die Finger hatte. Ihr Urgroßvater väterlicherseits war einer der echten Industriemagnaten des Mittelwestens gewesen, und der Familie ihrer Mutter hatte einst ein beträchtlicher Teil der Bostoner Innenstadt gehört. Die Götter meinten es schon in jungen Jahren überaus gut mit Jennifer Baldwin. Jack kannte keinen aus seiner Altersklasse, der ihn nicht zutiefst beneidete.

Er rutschte auf dem Sofa hin und her und massierte sich die steife Schulter. Seit einer Woche hatte er nicht mehr trainiert. Die Muskeln seines einsfünfundachtzig großen Körpers waren auch mit zweiunddreißig Jahren noch genauso klar definiert wie während der High-School-Zeit, wo er den anderen in praktisch jeder Sportart überlegen gewesen war, und der Zeit am College, wo die Konkurrenz dann um einiges härter wurde, er aber als Schwergewichtsringer noch gut genug für das zweite All-American- und das erste All-Academic-Team war. Diese Kombination hatte Jack an die Juristische Fakultät der Universität von Virginia gebracht. Dort schloss er als einer der besten seiner Klasse ab und wurde gleich darauf Pflichtverteidiger für Strafrecht im Gerichtsbezirk District of Columbia.

All seine Studienkollegen hatten sich nach der Uni für große Firmen entschieden. Mehr als einer von ihnen hatte ihn angerufen und ihm einen guten Psychiater empfohlen, der ihn von seiner geistigen Verwirrung heilen sollte. Jack lächelte. Fünf Jahre als Pflichtverteidiger. Er holte sich noch ein Bier. Nun war der Kühlschrank leer.

Die meisten Menschen waren sich der Tatsache nicht bewusst, dass die Pflichtverteidigerschaft aus höchst fähigen Anwälten bestand. Jack hatte Glück gehabt, gleich nach der Ausbildung in ihre Reihen aufgenommen zu werden. Wenn also ein erfahrener Pflichtverteidiger im Gerichtssaal gegen einen Anklagevertreter der Vereinigten Staaten antrat, standen sich meist zwei nahezu ebenbürtige Gegner gegenüber.

Jacks erstes Jahr, in dem er lernte, wie alles ablief, war hart gewesen. Er verlor mehr Fälle, als er gewann. Mit der Zeit ging er zu schwereren Delikten über. Und da er all seine jugendliche Energie, seine natürliche Befähigung und sein gesundes Urteilsvermögen in jeden dieser Fälle einbrachte, begann das Blatt sich zu wenden.

Und dann fing er an, einigen Leuten im Gericht heftig auf die Zehen zu steigen.

Bald entdeckte Jack, dass er ein Naturtalent für diese Rolle war, dass er für Kreuzverhöre genauso viel Begabung mitbrachte wie damals, als er viel größere Männer über eine fünf Zentimeter dicke Matte wirbelte. Er fühlte sich in die High-School-Zeit zurückversetzt, war wieder allen überlegen, sogar den erfahrensten Staatsanwälten. Die Richter wurden auf ihn aufmerksam. Sie brachten ihm, einem Anwalt, Respekt und Sympathie entgegen, das musste man sich mal vorstellen!

Dann hatte er bei einem Empfang der Anwaltskammer Jennifer getroffen. Sie war Stellvertretende Leiterin für Entwicklung und Marketing bei Baldwin Enterprises. Unschwer war zu erkennen, dass sie ihre Sache hervorragend machte. Neben ihrer dynamischen Erscheinung besaß sie die Gabe, jedem, mit dem sie sprach, das Gefühl zu vermitteln, dass seine Meinung wichtig sei, auch wenn sie sich ihr nicht unbedingt anschloss. Kurz, sie war eine Schönheit, die sich nicht ausschließlich auf dieses Attribut verlassen musste.

Unter dem aufsehenerregenden Äußeren lag noch mehr verborgen. Zumindest schien es so. Jack wäre kein Mann gewesen, hätte er sich nicht von ihr angezogen gefühlt. Und sie hatte bereits sehr bald deutlich zu erkennen gegeben, dass diese Anziehung auf Gegenseitigkeit beruhte. Dabei zeigte sie sich zunächst beeindruckt von dem Idealismus, den er für die Benachteiligten der Gesellschaft aufbrachte, die in der Bundeshauptstadt eines Verbrechens angeklagt wurden; doch Schritt für Schritt hatte sie ihn davon überzeugt, dass er seinen Teil für die Armen, die Dummen und die Pechvögel geleistet hatte und vielleicht anfangen sollte, sich um sich selbst und die eigene Zukunft zu kümmern, und dass sie vielleicht Teil dieser Zukunft sein könnte. Als Jack schließlich als Pflichtverteidiger zurücktrat, gab das Büro der Staatsanwaltschaft ihm zu Ehren eine Abschiedsfeier mit allem Drum und Dran, ein deutliches Zeichen dafür, dass man froh war, ihn loszuwerden. Das allein hätte ihm damals zeigen müssen, dass es noch eine Menge Armer, Dummer und Pechvögel gab, die seine Hilfe benötigten. Er erwartete nicht, dass sich das erregende Gefühl, das er als Pflichtverteidiger empfunden hatte, noch steigern ließ; solche Abschnitte gab es wohl nur einmal im Leben, danach nie wieder. Aber man konnte nicht immer auf der Stelle treten. Sogar kleine Jungs wie Jack Graham mussten eines Tages erwachsen werden. Vielleicht war die Zeit wirklich reif.

Er schaltete den Fernseher aus, griff sich eine Tüte Chips und trottete ins Schlafzimmer. Dabei musste er über einen Haufen schmutziger Wäsche hinwegsteigen, der vor der Tür lag. Dass sie seine Wohnung nicht mochte, konnte er Jennifer nicht verübeln. Er war nun mal ein Chaot. Was ihn aber störte, war die Gewissheit, dass Jennifer auch dann nicht hier wohnen würde, wenn alles blitzsauber wäre. Ein Grund dafür war die Gegend. Natürlich lag die Wohnung in Capitol Hill, aber nicht im kultivierten Teil davon, weit gefehlt.

Dann war da noch die Größe. Ihre Wohnung musste knapp fünfhundert Quadratmeter groß sein, ohne dabei die Dienstunterkünfte für die Hausmädchen und die Doppelgarage zu berücksichtigen, in der ihr Jaguar und ihr brandneuer Range Rover untergebracht waren. Als ob man in den verkehrsüberlasteten Straßen von Washington, D. C, ein Auto brauchte, das in gerader Linie einen Sechstausender erklimmen konnte!

Jacks Wohnung verfügte über vier Zimmer, wenn man das Badezimmer mitzählte. Er betrat das Schlafzimmer, zog sich aus und ließ sich ins Bett fallen. An der gegenüberliegenden Wand hing eine kleine Plakette, die seinen Eintritt bei Patton, Shaw & Lord verkündete. Sie hatte zuvor in seinem Büro gehangen, bis es ihm zu beschämend geworden war, sie anzusehen. PS&L war in der Bundeshauptstadt die Nummer eins unter den Anwaltskanzleien für Körperschaftsrecht. Die Gesellschaft betreute Hunderte von Firmen besten Rufes, einschließlich der seines künftigen Schwiegervaters, die für das Unternehmen ein Honorarvolumen von mehreren Millionen bedeutete. Es war Jack zu verdanken, dass der Baldwin-Konzern nun bei PS&L war, und als Gegenleistung winkte ihm bei der nächsten Gehaltsüberprüfung die Teilhaberschaft. Die Teilhaberschaft bei Patton, Shaw & Lord war durchschnittlich mindestens eine halbe Million Dollar pro Jahr wert. Für die Baldwins war das ein Trinkgeld, aber schließlich war er kein Baldwin. Zumindest noch nicht.

Er zog die Decke hoch – die Wärmedämmung des Gebäudes ließ ziemlich zu wünschen übrig -, steckte ein paar Aspirin in den Mund und spülte sie mit dem Rest einer Cola hinunter, der noch auf dem Nachttisch stand. Dann sah er sich im Durcheinander des kleinen Schlafzimmers um. Es erinnerte ihn an das Zimmer, in dem er aufgewachsen war; eine warme, angenehme Erinnerung. Ein Zuhause sollte das Gefühl vermitteln, dass darin gelebt wurde; es sollte immer an die Rufe von Kindern erinnern, mit denen sie von Raum zu Raum stürmten, auf der Suche nach neuen Abenteuern und neuen Dingen, die sie kaputtmachen konnten.

Auch das war so eine Sache mit Jennifer: Sie hatte unmissverständlich klargestellt, dass das Tapsen von Kinderfüßchen fürs erste nicht geplant und überhaupt ungewiss sei. An erster Stelle stand für sie die Karriere in der Firma ihres Vaters, und Jack hatte das Gefühl, dass er selber auf ihrer Werteskala noch ein gutes Stück weiter hinten rangierte. Aber er wollte die Baseball-Spiele seiner Kinder nicht erst vom Rollstuhl aus miterleben.

Als er sich zur Seite drehte und gerade die Augen schließen wollte, blies der Wind gegen das Fenster. Jack schaute in diese Richtung. Sofort versuchte er, den Blick wieder abzuwenden, doch dann ließ er die Augen resignierend zurück zu der Schachtel wandern.

Darin befand sich ein Teil der Sammlung von Trophäen und Auszeichnungen aus der High-School und dem College. Doch es war etwas anderes, das seine Aufmerksamkeit gefangen hielt. Im Halbdunkel streckte er einen Arm danach aus, entschied sich dagegen, und überlegte es sich dann wieder anders.

Nicht zum ersten Mal zog er das gerahmte Foto heraus. Es war fast schon ein Ritual geworden, insbesondere seit er mit Jennifer Baldwin verlobt war. Er musste sich keine Sorgen darüber machen, dass seine Verlobte je über diesen besonderen Besitz stolperte, denn sie weigerte sich standhaft, mehr als eine Minute in seinem Schlafzimmer zuzubringen. Wenn sie gemeinsam unter die Laken schlüpften, dann entweder in ihrer Wohnung, wo Jack immer auf dem Bett lag und an die über drei Meter hohe Decke starrte, die Gemälde mit mittelalterlichen Reitern und jungen Mädchen zierten. Unterdessen vergnügte sich Jennifer auf ihm, bis sie nicht mehr konnte und rollte sich dann nach unten, damit er es auf ihr zu Ende brachte. Oder sie taten es im Landhaus ihrer Eltern, wo die Decken noch höher und die Gemälde aus einer römischen Kirche des dreizehnten Jahrhunderts kopiert waren. Dies alles vermittelte Jack das Gefühl, dass Gott dabei zusah, wie die wunderschöne und splitternackte Jennifer Ryce Baldwin auf ihm ritt, und dass er für diese wenigen Augenblicke fleischlichen Genusses auf ewig in der Hölle schmoren würde.

Die Frau auf dem Foto hatte seidiges braunes Haar, das sich an den Spitzen leicht wellte. Ihr Bild lächelte ihn an, und Jack erinnerte sich an den Tag, an dem er es aufgenommen hatte.

Es war auf einer Fahrradtour in die ländliche Umgebung des wunderschönen Albemarle County gewesen. Er hatte gerade mit dem Studium begonnen; sie war im zweiten College-Jahr an der Jefferson-Universität. Es war erst ihre dritte Verabredung, doch schien es, als hätten sie schon ihr ganzes Leben miteinander verbracht.

Kate Whitney.

Fast andächtig sprach er den Namen aus, fuhr dabei mit der Hand unbewusst die Kurve ihres Lächelns nach, bis hin zu dem einzelnen Grübchen gleich über der linken Wange, das ihr Gesicht ein wenig schief wirken ließ. Die mandelförmigen Wangenknochen grenzten an eine zierliche Nase über einem Paar sinnlicher Lippen. Das scharfe Kinn ließ unmissverständlich erkennen, dass sie stur sein konnte. Jack fuhr das Gesicht wieder hinauf und hielt an den tropfenförmigen Augen inne, die stets ein kleines bisschen schelmisch blickten.

Jack drehte sich wieder auf den Rücken und stellte das Foto auf die Brust, so dass sie ihn direkt ansah. Er konnte nicht an Kate denken, ohne gleichzeitig das Bild ihres Vaters vor Augen zu haben, mit seinem lebhaften Charme und dem schiefen Lächeln.

Jack hatte Luther Whitney oft in dem kleinen Reihenhaus besucht, in einer Gegend von Arlington, die bessere Tage erlebt hatte. Stundenlang tranken sie Bier und erzählten Geschichten, wobei Luther meist erzählte und Jack zuhörte.

Kate besuchte ihren Vater nie, und er versuchte nicht, mit ihr in Kontakt zu treten. Eher zufällig hatte Jack von ihm erfahren und hatte trotz Kates heftiger Einwände den Mann kennenlernen wollen. Selten sah man auf ihrem Gesicht etwas anderes als ein Lächeln, doch darüber lächelte sie nie.

Nachdem Jack seinen Abschluss gemacht hatte, zogen sie nach Washington, wo Kate sich an der Juristischen Fakultät von Georgetown einschrieb. Das Leben war eine Idylle. Sie kam zu seinen ersten paar Prozessen, bei denen er noch mit den Schmetterlingen im Bauch kämpfte und dem Piepsen, das aus seiner Kehle drang; bei denen er stets krampfhaft versuchte, sich zu erinnern, an welchen Anwaltstisch er sich zu setzen hatte. Doch mit der Schwere der Vergehen, deren man seine Klienten beschuldigte, schwand ihre Begeisterung.

Noch in seinem ersten Jahr als Anwalt hatten sie sich getrennt.

Die Gründe lagen auf der Hand: Kate konnte nicht begreifen, warum er sich der Aufgabe verschrieben hatte, Menschen zu vertreten, die das Gesetz brachen. Außerdem kam sie nicht darüber hinweg, dass er ihren Vater gut leiden konnte.

Jack erinnerte sich an die allerletzten Augenblicke ihres gemeinsamen Lebens, als sie genau in diesem Zimmer saßen und er sie gebeten, ja, angefleht hatte, ihn nicht zu verlassen. Doch sie war gegangen. Das war vor vier Jahren gewesen; seither hatte er sie weder gesehen noch etwas von ihr gehört.

Er wusste, dass sie einen Job im Büro der Staatsanwaltschaft in Alexandria, Virginia, angenommen hatte, wo sie zweifelsohne rastlos seine früheren Klienten hinter Gitter brachte, weil sie das Gesetz ihrer Wahlheimat mit Füßen traten. Abgesehen davon war Kate Whitney eine Fremde für ihn.

Aber während er so dalag, und ihr Lächeln ihm Millionen Dinge erzählte, die er von der Frau, die er in sechs Monaten heiraten sollte, nicht wusste, fragte sich Jack, ob er sich damit abfinden musste, wo sein Leben nun doch viel komplizierter zu werden drohte, als er es je gedacht hatte. Ergriff zum Telefon und wählte.

Nach viermaligem Läuten hörte er die Stimme. Eine Schärfe lag darin, an die er sich nicht erinnern konnte; vielleicht war sie auch neu. Der Piepton erklang, und er wollte eine Nachricht hinterlassen, etwas Witziges, einfach so aus dem Stegreif, doch dann, ganz unvermittelt, wurde er nervös und legte auf. Seine Hände zitterten, sein Atem ging heftig. Jack schüttelte den Kopf. Verdammt! Fünf Mordfälle hatte er hinter sich gebracht, und nun zitterte er wie ein dummer Sechzehnjähriger, der allen Mut zusammennimmt, um seinen Schwärm zur ersten Verabredung einzuladen.

Jack legte das Bild beiseite und stellte sich vor, was Kate wohl gerade machte. Wahrscheinlich war sie noch im Büro und brütete darüber, wie viele Jahre sie aus irgendjemandes Leben reißen sollte.

Dann dachte Jack an Luther. Befand er sich im Augenblick auf der falschen Seite einer Hausschwelle? Oder verließ er gerade eine Wohnung mit einem Bündel hübscher Dinge im Gepäck?

Was für eine Familie, Luther und Kate Whitney! Beide so unterschiedlich und doch so gleich. Beider Leben so zielgerichtet, wie man es selten fand; aber zwischen ihren jeweiligen Zielen lagen Welten. An jenem letzten Abend, als Kate aus seinem Leben trat, war er zu Luther gegangen, um ihm Lebewohl zu sagen und ein letztes Bier mit ihm zu trinken. Sie hatten in seinem gepflegten Garten gesessen und die Klematis und den Efeu betrachtet, die an der Ziegelmauer emporrankten. Der Duft von Flieder und Rosen hing wie eine schwere Wolke über der Terrasse.

Der alte Mann hatte es ruhig aufgenommen, wenig Fragen gestellt und Jack alles Gute gewünscht. Manche Dinge sollten einfach nicht sein. Luther verstand das so gut wie jeder andere. Aber als Jack an jenem Abend ging, hatte er einen feuchten Schimmer in den Augen des Alten bemerkt, und dann war die Tür hinter diesem Teil seines Lebens zugefallen.

Schließlich schaltete Jack das Licht aus und schloss die Augen, in der Gewissheit, dass ihn bald ein neuer Morgen erwartete. Sein goldener Topf, die einmalige Chance seines Lebens, war der Wirklichkeit wieder einen Tag näher gekommen. Nur war auch das noch keine Garantie für einen ruhigen Schlaf.

KAPITEL 3Während Luther durch das Glas starrte, kam ihm plötzlich der Gedanke, dass die beiden ein äußerst attraktives Paar abgaben. Unter den gegebenen Umständen war dies eine absurde Überlegung; nichtsdestoweniger empfand er es so. Der Mann war groß, gut aussehend, ein sehr gepflegter Mittvierziger. Die Frau konnte nicht viel älter als zwanzig sein; sie hatte volles, goldenes Haar, ein rundes, liebliches Gesicht und unglaublich tiefblaue Augen, die nun verzückt zu dem eleganten Antlitz des Mannes emporblickten. Er berührte ihre glatte Wange, sie schmiegte die Lippen an seine Hand.

Der Mann hielt zwei Gläser, die er aus einer Flasche vollschenkte, welche er mitgebracht hatte. Ein Glas reichte er der Frau. Nachdem sie angestoßen hatten, sahen sie einander tief in die Augen. Er leerte das Glas in einem Zug, sie brachte nur einen kleinen Schluck hinunter. Sie stellten die Gläser ab und umarmten sich inmitten des Zimmers. Seine Hände glitten über ihren Rücken, dann wieder hinauf zu den nackten Schultern. Ihre Arme und Schultern waren gleichmäßig sonnengebräunt. Bewundernd streichelte er über ihre Arme, als er sich hinabbeugte, um ihren Hals zu küssen.

Luther wandte die Augen ab. Es war ihm peinlich, diese sehr persönliche Begegnung mit anzusehen. Ein seltsames Gefühl angesichts der Tatsache, dass er immer noch in Gefahr schwebte, entdeckt zu werden. Doch er war noch nicht so alt, dass ihn die Zärtlichkeit und Leidenschaft, die sich vor ihm entfalteten, nicht bewegt hätten.

Als er die Augen aufschlug, musste er lächeln. Das Pärchen tanzte mittlerweile eng umschlungen durch den Raum. Offenbar hatte der Mann einige Übung darin; seine Partnerin wirkte eher unbeholfen, doch er führte sie sanft durch die einfachen Schritte, bis die beiden schließlich neben dem Bett landeten.

Der Mann hielt inne, um sein Glas nachzufüllen, und trank es dann zügig aus. Die Flasche war nun leer. Als er die Arme erneut um sie schlang, schmiegte sie sich an ihn, zerrte an seiner Jacke und begann, seine Krawatte zu lösen. Die Hände des Mannes wanderten zum Reißverschluss ihres Kleides und dann langsam Richtung Süden. Das schwarze Kleid glitt zu Boden; genüsslich stieg sie heraus, wodurch sie einen schwarzen Slip und hohe Seidenstrümpfe entblößte, jedoch keinen BH.

Sie besaß einen jener Körper, der weniger gut gebaute Frauen vor Neid erblassen ließ. Jede Kurve saß, wo sie hingehörte. Luther hätte ihre Taille mit den Händen umfassen können. Als sie sich zur Seite wandte, um aus den Strümpfen zu schlüpfen, bemerkte Luther, dass ihre Brüste groß, rund und voll waren. Die Beine waren schlank und durch zahlreiche Tennis- und Aerobicstunden wohlgeformt.

Rasch entkleidete der Mann sich bis auf die Boxershorts. Am Bettrand sitzend sah er der Frau zu, wie sie langsam die Unterwäsche abstreifte. Ihr Hinterteil war rund und fest und hob sich cremighell gegen den dunklen Hintergrund der zwanzigtausend Dollar teuren Hawaii-Sonnenbräune ab. Nachdem sie das letzte Kleidungsstück abgelegt hatte, huschte ein Lächeln über das Gesicht des Mannes. Die weißen Zähne waren gerade und gesund. Trotz des Alkohols wirkten seine Augen klar und aufmerksam.

Sie lächelte über den bewundernden Blick und bewegte sich anmutig auf ihn zu. Als sie vor ihm stand, packte er sie mit den langen Armen und zog sie an sich. Sie streichelte seine Brust.

Abermals wollte Luther den Blick abwenden. Mehr als alles andere wünschte er, das Schauspiel möge bald vorbei sein und die Leute würden gehen. In ein paar Minuten könnte er beim Wagen sein, und diese Nacht würde als absolut einmalige, wenngleich um ein Haar verhängnisvolle Erfahrung in seine Erinnerung eingehen.

In diesem Augenblick sah er, wie der Mann kraftvoll den Hintern der Frau umfasste. Dann schlug er zu, wieder und wieder. Luther zuckte angesichts der wiederholten Schläge mitfühlend zusammen. Die weiße Haut leuchtete nun rot. Entweder war die Frau zu betrunken, um den Schmerz zu fühlen, oder sie genoss eine solche Behandlung; denn ihr Lächeln verschwand nicht. Luther fühlte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte, als der Mann die Finger in das weiche Fleisch bohrte.

Die Zunge des Mannes glitt über ihre Brüste; mit den Fingern fuhr sie durch sein dichtes Haar, als sie sich zwischen seine Beine schob. Sie warf den Kopf zurück und schloss die Augen; ihre Lippen formten ein wollüstiges Lächeln. Dann schlug sie die Augen wieder auf und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund.

Die kräftigen Finger ließen von ihrem misshandelten Hinterteil ab und begannen, sanft ihren Rücken zu massieren. Dann gruben sie sich tiefer hinein, bis sie schließlich zusammenzuckte und von ihm zurückwich. Halb lächelte sie, und er hielt inne, als sie seine Finger mit den ihren berührte. Wieder wandte er die Aufmerksamkeit ihren Brüsten zu und begann, daran zu saugen. Abermals schloss sie die Augen, ihr Atem wurde zu einem tiefen Stöhnen. Erneut beugte der Mann sich über ihren Nacken; sein Blick stierte in Luthers Richtung, ohne etwas von dessen Anwesenheit zu ahnen.

Luther sah den Mann an, sah in diese Augen, und ihm gefiel nicht, was er dort sah. Er blickte in rotgeränderte Tiefen, in denen ein Schatten lauerte, einem finsteren Planeten gleich, den man durch ein Teleskop erspäht. Plötzlich überkam ihn das Gefühl, dass sich die nackte Frau in Händen befand, die nicht so liebevoll und zärtlich waren, wie sie sich das wahrscheinlich vorstellte.

Schließlich wurde die Frau ungeduldig und drückte ihren Liebhaber aufs Bett. Rittlings kletterte sie auf ihn und offenbarte Luther dadurch einen Anblick, der eigentlich ihrem Gynäkologen und ihrem Mann vorbehalten sein sollte. Sie richtete sich auf, aber in einem plötzlichen Energieausbruch stieß er sie grob zur Seite und bestieg sie, ergriff ihre Beine und hievte sie nach oben, bis sie senkrecht zum Bett standen.

Luther stockte der Atem, als er sah, was der Mann des Weiteren tat. Er packte die Frau am Hals, zerrte sie hoch und zog ihren Kopf zwischen seine Beine. Die Plötzlichkeit der Geschehnisse ließ sie nach Luft schnappen; ihr Mund war kaum zwei Zentimeter von seinen Genitalien entfernt. Dann lachte er und stieß sie wieder aufs Bett. Einen Augenblick lang war sie völlig verwirrt, doch schließlich gelang ihr ein unsicheres Lächeln. Sie stützte sich auf die Ellbogen, während er über ihr aufragte. Mit einer Hand umfasste er sein steifes Glied, mit der anderen spreizte er ihre Beine. Als sie sich entspannt zurücklehnte und sich für ihn bereit machte, starrte er wirr auf sie hinab.

Doch anstatt sich zwischen ihre Beine zu stürzen, umfasste er ihre Brüste und drückte sie, offenbar zu fest, denn Luther vernahm einen Schmerzensschrei, und die Frau versuchte, den Mann abzuwehren. Erließ sie los und schlug brutal zurück, und Luther sah, wie Blut aus ihrem Mundwinkel tropfte und über die vollen, mit Lippenstift geschminkten Lippen rann.

»Du mieser Scheißkerl!« Sie glitt vom Bett und blieb am Boden sitzen, rieb sich den Mund und schmeckte das Blut. Ihr alkoholumnebelter Verstand war einen Augenblick klar. Die ersten deutlich ausgesprochenen Worte, die Luther in dieser Nacht hörte, trafen ihn wie ein Schmiedehammer. Er stand auf und trat ein Stück auf den Spiegel zu.

Der Mann grinste. Luther erstarrte, als er dieses Grinsen sah. Es glich mehr der Fratze eines wilden Tieres, das zu töten bereit ist.

»Mieser Scheißkerl«, wiederholte sie, diesmal etwas leiser und undeutlicher.

Als sie aufstand, ergriff er ihren Arm und drehte ihn herum, dass sie hart zu Boden fiel. Der Mann saß auf dem Bett und schaute triumphierend auf sie hinab.

Luther, auf der anderen Seite des Spiegels, atmete heftig, wobei er unwillkürlich die Fäuste ballte. Während er weiter zusah, fragte er sich, wohin die anderen gegangen waren. Er hoffte, dass sie zurückkämen. Er spähte zur Fernbedienung auf dem Stuhl, dann wandte er die Augen wieder dem Schlafzimmer zu.

Die Frau kam allmählich wieder zu Atem und raffte sich halb auf. Jedwede Romantik, die sie empfunden hatte, war verflogen, das erkannte Luther an ihren vorsichtigen und kontrollierten Bewegungen. Ihr Gefährte bemerkte die Veränderung und das wütende Blitzen ihrer Augen offenbar nicht, andernfalls hätte er sich nicht erhoben und ihr die Hand hingestreckt, die sie auch ergriff.

Das Lächeln des Mannes löste sich abrupt auf, als ihr Knie ihn genau zwischen die Beine traf. Er krümmte sich, die Erektion erschlaffte. Außer dem angestrengten Atmen drang kein Laut über seine Lippen, als er sich auf dem Boden wand. Sie hob ihre Unterwäsche auf und begann, sich anzuziehen.

Als sie das Höschen halb hochgezogen hatte, packte er ihren Knöchel und zog sie zu Boden.

»Du kleine Fotze«, stieß er mühevoll hervor, während er versuchte, wieder zu Atem zu kommen, dabei ihren Knöchel festhielt und sie näher zu sich zog.

Sie trat nach ihm, traf seine Rippen, doch er ließ nicht los. »Du billige, kleine Hure«, zischte er.

Der drohende Unterton, der die Worte begleitete, trieb Luther dazu, noch näher auf den Spiegel zuzugehen. Seine Hand legte sich auf die glatte Fläche, als könnte er hindurchgreifen, den Mann packen und ihn zwingen aufzuhören.

Mühsam kam der Mann auf die Beine. Bei seinem Anblick lief Luther ein kalter Schauer über den Rücken.

Die Hände des Mannes schlössen sich um die Kehle der Frau.

Ihr vom Alkohol umnebelter Verstand arbeitete plötzlich wieder auf Hochtouren. Die nun völlig von Angst erfüllten Augen rasten suchend nach links und rechts, während der Druck um ihre Kehle stärker wurde und ihr die Luft abschnürte. Ihre Finger kratzten über seinen Arm, zogen tiefe Furchen.

Luther sah, wie das Blut in den Kratzern aufwellte, doch der Mann ließ nicht locker.

Sie trat um sich, krümmte und wand sich, aber ihr Peiniger war beinahe doppelt so schwer wie sie und rührte sich nicht von der Stelle.

Abermals blickte Luther auf die Fernbedienung. Er konnte die Tür öffnen. Er konnte all dem ein Ende bereiten. Doch seine Beine wollten sich nicht bewegen. Hilflos starrte er durch die Scheibe, Schweiß stand ihm auf der Stirn, schien aus jeder Pore seines Körpers zu dringen; sein Atem kam in kurzen Stößen. Er legte beide Hände auf das Glas.

Luther hielt den Atem an, als die Augen der Frau kurz an dem Nachttisch verharrten. Dann ergriff sie mit einer verzweifelten Bewegung den Brieföffner und traf mit einem blinden Hieb den Arm des Mannes.

Der stöhnte auf, ließ sie los und fasste sich an den blutigen Arm. Einen schauerlichen Augenblick lang starrte er ungläubig auf die Wunde; er konnte nicht fassen, dass diese Frau ihn derart verletzt hatte.

Als der Mann wieder hochblickte, fühlte Luther das mordlüsterne Knurren beinahe, bevor es von den Lippen des Mannes drang.

Dann schlug er zu, härter, als Luther je einen Mann eine Frau hatte schlagen sehen. Die geballte Faust prallte auf das weiche Fleisch; Blut spritzte aus Nase und Mund.

Luther wusste nicht, ob es an all dem Alkohol lag, den sie getrunken hatte, aber der Schlag, der einen Menschen normalerweise außer Gefecht gesetzt hätte, machte sie nur noch rasender. Mit der Kraft der Verzweiflung gelang es ihr aufzustehen. Als sie sich dem Spiegel zuwandte, erkannte Luther in ihrem Gesicht das plötzliche Entsetzen über den Verlust ihrer Schönheit. Ungläubig betastete sie die geschwollene Nase, dann fuhr sie mit einem Finger in den Mund und befühlte ihre Zähne. Von einer perfekten Ikone war sie plötzlich zu einem verschmierten Porträt geworden.

Als sie sich wieder zu dem Mann hindrehte, sah Luther die Muskeln in ihrem Rücken so deutlich hervortreten, als wären sie aus Holz geschnitzt. Sie rammte den Fuß in den Unterleib des Mannes. Sofort knickte er wieder zusammen. Die Beine versagten ihm den Dienst; Übelkeit übermannte ihn. Er ging zu Boden, rollte sich mit angezogenen Knien auf den Rücken, die Hände schützend über den Genitalien, und wimmerte.

Mit blutüberströmtem Gesicht, aus dessen Augen plötzlich nicht mehr schiere Angst, sondern Mordlust sprach, ließ sich die Frau neben ihm auf die Knie sinken und hob den Brieföffner hoch über den Kopf.

Luther ergriff die Fernbedienung und machte, mit dem Finger auf dem Knopf, einen Schritt auf die Tür zu.

Als der Mann den Brieföffner erblickte, der auf seine Brust niederstieß, um seinem Leben ein Ende zu bereiten, schrie er mit aller noch verbleibender Kraft. Der Schrei blieb nicht ungehört.

Luthers Blick fuhr zu der Schlafzimmertür, die urplötzlich aufgerissen wurde.

Zwei Männer mit kurzem Haar und saloppen Anzügen, die den stattlichen Körperbau nicht verbargen, stürmten mit gezückten Waffen in das Zimmer. Bevor Luther noch einen Schritt tun konnte, hatten sie die Lage erkannt und eine Entscheidung getroffen.

Beide Waffen feuerten fast gleichzeitig.

Kate Whitney saß in ihrem Büro und ging die Akte noch einmal durch.

Der Kerl hatte vier Vorstrafen und war bei sechs anderen Gelegenheiten verhaftet, aber nicht verurteilt worden, weil die Zeugen zu verängstigt gewesen waren, um auszusagen, oder in Müllcontainern geendet hatten. Dieses Ekel war eine wandelnde Zeitbombe, die jederzeit ein weiteres Opfer in Stücke reißen konnte. Alle Opfer waren Frauen gewesen.