Der profitable Irrsinn - Hermannus Pfeiffer - E-Book

Der profitable Irrsinn E-Book

Hermannus Pfeiffer

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Beschreibung

Finanzkrisen sind ein Dauerbrenner in den Nachrichten. Da wird munter »gehebelt« und von »den Märkten« schwadroniert, die man nicht verärgern dürfe. Es geht um Tausende Milliarden Euro. Aber wo kommen sie her, wo verschwinden sie hin? Wer die »Tagesschau« wirklich verstehen und sich nicht mit Worthülsen abspeisen lassen will, der wird in diesem Buch fündig: Hier geht es um die Macht des Finanzkapitals, das die Politik vor sich hertreibt, um Derivate, Zertifikate, Hedgefonds und »Heuschrecken«-Plagen, um Kredite und die Jagd nach Extraprofiten. Hermannus Pfeiffer zeigt, wer die Krise schürt und dann kräftig absahnt. Und am Ende skizziert er die Alternative zum profitablen Irrsinn: den »demokratischen Markt«.

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Hermannus Pfeiffer

Der profitable Irrsinn

Was auf den Finanzmärkten geschieht und wer dabei gewinnt

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, April 2012 (entspricht der 1. Druck-Auflage von März 2012)

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Umschlaggestaltung: Burkhard Neie, www.blackpen.xix-berlin.de,

unter Verwendung eines Fotos von Pulsar 75/fotolia

eISBN: 978-3-86284-165-3

Inhalt

Vorwort – »Da draußen herrscht Krieg«

I Die Akteure

Zu groß, zu mächtig – Die Banken

Herrscher der Welt: 29 Banken

Vom Wesen einer Bank und vom Bankwesen

Branchenführer in Deutschland: Deutsche Bank & Co.

Unterschiedliche Traditionen: Geschäftsbanken und Investmentbanken

Kooperation statt Konkurrenz: Die Deutschland AG

Die Modernisierung des Machtkartells

Neue Bankenmacht: Finanzmärkte und Investmentbranche

Prioritätenwechsel: Vom Kredit zur Kapitalanlage

25 Prozent plus X: Shareholder-Value

Magisches Dreieck: Rendite, Risiko, Liquidität

Riskante »Risikomessmodelle«

Was bleibt?

Schöpfer des Geldes – Die Zentralbanken

Glückliche Schweizer: Minuszinsen

Woher kriegen Banken eigentlich Geld?

Preisstabilität als Ein und Alles: Die Bundesbank

Die Politik der Europäischen Zentralbank

Alternative Strategie: Die Fed

Die Grenzen der Notenbanken

Was bleibt?

Systemrelevant in der Krise – Die Versicherer

Hauptsache, Allianz versichert

Armut als Markt: Die Mikroversicherungen

Katastrophen-Anleihen gegen das Wetter

Rüsten für die Krise

Wankender Koloss: AIG

Was bleibt?

Risikoliebhaber – Die Fondsgesellschaften

»Sei kein Opfer des Kapitalismus«

Geschlossene und offene Fonds

Die Palette: Vom konservativen Renten- bis zum riskanten Hedgefonds

Verkaufte Rente

Riester-Falle

Junk-Bonds

Was bleibt?

Nervenkitzel und Gier – Kleines Panoptikum der Zocker

Die Jagd nach dem Extraprofit

George Soros und die Leerverkäufe

Nick Leeson und die Derivate

Jérôme Kerviel und die Warentermingeschäfte

Kweku Adoboli und die Delta-One-Kontrakte

Was bleibt?

Vom Gutachter zum Akteur – Die Ratingagenturen

Die großen Drei

Unabhängig im Urteil?

Konkurrenz belebt das Geschäft

Was bleibt?

II Werkzeuge

Orte der geregelten Spekulation – Die Börsen

Markt- und Finanzplätze

Das Auf und Ab der Kurse

Was bleibt?

Die bunte Welt der neuen Finanzprodukte –Die Derivate

Derivate-Boom: 600 Billionen Dollar im Umlauf

Die solide Grundlage: Warentermingeschäfte

Grenzenlose Phantasie: 800 000 Zertifikate an einer Börse

Schreckgespenster: Leerverkäufe, Kreditausfallversicherungen und Carry-Trades

Lernen aus der Krise

Was bleibt?

Versuchungen der öffentlichen Hand –Swaps und Cross-Border-Leasing

Auch Bürgermeister zocken

Klamme Kommunen

Der falsche Goldesel: Cross-Border-Leasing

Langzeitbindung durch Öffentlich-Private Partnerschaften

Was bleibt?

Spekulation auf doppeltem Boden –Wetten auf Lebensmittelpreise

Agrarprodukte als Anlageobjekte

Moderner Landraub

Was bleibt?

Die Idee zum Finanzkapitalismus – Die Neoklassik

Das Dogma des Gleichgewichts

Interessierte Wissenschaftler

Vom Star zum Flop

Was bleibt?

III Die Große Krise

Missachtete Warnsignale – Die Vorgeschichte

Bekannte Krisenphänomene

Erstes Opfer: Die Tigerstaaten

Die Liberalisierung und Entgrenzung der Finanzmärkte

Selbstbeschränkungen und wirtschaftspolitische Regulierungen

Als die Blase platzte – Die Immobilien-, Banken- undFinanzkrise

Verzockt: Subprime-Kredite und Kreditverbriefungen

Dubiose Geschäftspraktiken der Hypo Real Estate

Regierungen gierig wie Manager: Das Debakel der Landesbanken

Der Untergang von Lehman Brothers

Unterschiedliche Auswirkungen in Europa

Neues Risiko: Kein Bargeld in der Kasse

Realwirtschaft: Krise droht

Unterschiedliche Reaktionen – Rettungspaketeund Wirtschaftsboom

»Größte Garantie der Weltgeschichte«

Verkehrte Welt: Schwächelnder Norden, aufstrebender Süden

Kein Ende in Sicht – Staatsschuldenkrise und Euro-Krise

Staatsschulden: Besser als ihr Ruf

Sorgenkind Japan

Zocken gegen die Zocker: Europäische Rettungsschirme

Normalität oder Ausnahme? – Kapitalismus in der Krise

Kapitalismus: Rationaler Irrsinn

Kapitalismus: Ungerecht

Kapitalismus: Möglichkeiten

Die Alternative

Der demokratische Markt Europas

Anhang

Abkürzungen

Glossar

Zum Autor

Vorwort – »Da draußen herrscht Krieg«

»Wir verstehen alle nicht, wie diese Krise funktioniert.« Dieser Satz entschlüpfte dem prominenten Gastgeber eines Wirtschaftsforums, und mit »wir« war die versammelte deutsche Prominenz aus Bankbossen, Präsidenten von Unternehmensverbänden und Industrievorständen gemeint. Sollte selbst oder gerade die wirtschaftliche Elite nicht wissen, wie ihr Laden funktioniert? Das wäre wirklich Irrsinn. Dabei folgt dieser Irrsinn doch rationalen Strategien, wirft Profit ab und degradiert Politik und Demokratie zu gefügigen Spielgefährten.

Im Sommer 2007 platzte in den USA eine Spekulationsblase, die aus Krediten für Häuser von Millionen Amerikanern bestand; diese US-Immobilienkrise vertrieb Hunderttausende aus ihren Heimstätten und vernichtete bald Banken in Europa; aus der Bankenkrise wurde eine globale Finanzkrise, und diese mündete in eine Weltwirtschaftskrise. Die Nachbeben der geplatzten Immobilienblase in Amerika spüren wir heute in der Staatsschuldenkrise in Europa (und den USA und Japan …) und morgen vielleicht in der nächsten Rezession. Infolge dieser seit 2007 andauernden Großen Krise stieg die öffentliche Verschuldung in allen 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Vor allem, weil im Verlauf der Krise die EU-Regierungen 4,6 Billionen Euro aufbrachten, um den Finanzsektor zu retten. Bis zur Großen Krise hatte dieser unter anderem von niedrigen Steuersätzen profitiert. Eine Mehrwertsteuer, wie für jedes andere Produkt, gab es für Geldgeschäfte nicht. Irrsinn.

An jenem Tag, an dem ich begann, dieses Buch zu schreiben, geriet eine eher seriöse Zeitung mit internationalem Renommee über einen Aktienkursrutsch in »Furcht«, und ein Wirtschaftsblatt titelte »Da draußen herrscht Krieg«. Dabei war im Spätsommer 2011 lediglich Alltägliches geschehen: Es hatten einige Aktienkurse und auch sie nur um wenige Prozentpunkte nachgegeben, und selbst für diejenigen, die mit dem Niedergang ihre Geschäfte machen, zeichnete sich kein Allzeithoch ab. Vielmehr hatte sich eine Bewegung fortgesetzt, die man seit 15 Jahren an den Börsen beobachten kann: ein ständiges Auf und Ab, Auf und Ab, Auf und Ab. Davon leben Börsianer, Makler und Banker. Ihnen ist es meistens egal, ob die Kurse hochfliegen oder runterrauschen, Hauptsache, sie bewegen sich. Nicht, dass es aufwärts geht, ist das Lebenselixier der Finanzmarktakteure, sondern Bewegung. Der Weg, nicht ein Ziel, lockt mit extraordinären Gewinnen. Daher haben Finanzakteure kein Interesse an Stabilität und nachhaltigem Wohlstand, sondern schätzen das chaotische Auf und Ab der Kurse.

Bei einem existenziellen Thema wie der Ökonomie macht sich die Fixierung der Medien auf Menschelndes, auf krachend Spektakuläres und auf aktualistische Neuigkeiten schmerzlich bemerkbar. Wissenschaftler, Insider und Bankanalysten werden wahlweise zu »Gurus« und »Popstars« des Abstiegs oder des Aufstiegs aufgeblasen, irgendein Fachmann wird im Fernsehen zum »Gesicht der Krise« gemacht. Gesicht der Krise? Der Mann, der zu diesem Gesicht gehört, betreibt lediglich eine Art von Sportwetten und ist mit üppig ausgestatteter Festanstellung bei einer Mini-Bank in der bayerischen Provinz gesegnet. Er ist nicht arbeitslos, hungert nicht und begeht nicht Selbstmord, weil der Familie das Häuslein genommen wird. Die Berichterstattung über Wirtschaft und Geld – die Grundlagen unseres Lebens – verkommt zu einem schrillen Infotainment; laut und bunt fallen die Ereignisse aus der Welt des Geldes via Bild und »Tagesschau« über uns her. Unterhalb von Furcht und Panik, von Katastrophe und Desaster geht es kaum noch ab, in der Sprache und damit im Denken. Bestenfalls stimmen Fakten. Von Wissen finden sich nur selten Spuren im Treibsand der tagtäglichen Schreckensmeldungen.

Besonderer Beliebtheit in der Öffentlichkeit erfreuen sich Börsen. Die Säulentempel des Kapitalismus hinterlassen nachvollziehbare Spuren im Stadtbild der Metropolen, und das »Parkett«, auch wenn es menschenleer ist und der Handel längst in blitzschnellen Computernetzen entschwunden ist, gibt »echte« Bilder her. Das Geschehen dahinter, »die Finanzmärkte«, entzieht sich der Gier nach Fotos und Filmaufnahmen. Dort geht es zu wie in jedem Büro, in jeder Abteilung, in jeder Führungsetage. Unspektakulärer Irrsinn. Übrigens besitzen von 100 Bundesbürgern weniger als fünf eine Aktie.

Wenn hinter Börsenbildern und dem Hochfrequenzhandel von Wertpapieren die wirkliche Welt verschwindet, mag dies als Irrsinn gelten. Doch Politikern geht es nicht besser als uns Konsumenten: »Kan niks verstaan«, stellte sich ein europäischer Regierungschef auf einem der europäischen Gipfeltreffen selbst bloß. Er hatte sich bei dem Versuch, finanztechnische Details eines der vielen Rettungspakete zu erklären, um Milliarden von Euro verhauen. Irrsinn.

Irrsinnig erscheint es auch, wenn die Weltwirtschaft zu Schanden zu kommen droht, weil eine Handvoll Analysten die größte Volkswirtschaft auf Erden von »Eins plus« auf eine glatte »Eins« minimal abwertet. Irrsinnig, dass zu diesem Ratingurteil Informationen und Bewertungen führten, die seit Monaten jedem halbwegs informierten Zeitgenossen bekannt waren.

Irrsinn, wenn Computersysteme »aus Versehen« die Staatsanleihen eines Landes plötzlich als Ramsch bewerten oder die Aktienkurse zum Fallen bringen.

Irrsinn auch, wenn eines der kleinsten Länder der Europäischen Union scheinbar ein ganzes Währungssystem zum Einsturz bringen könnte, obwohl alle von uns gewählten Politiker steif und fest am Euro festhalten wollen.

Irrsinn, dass die amerikanische Zentralbank Fed und deutsche Großbanken einen US-Zocker-Fonds mit Unsummen retten, wenn diesem die Pleite droht. Irrsinn, wenn derselbe Fonds vorher dank moderner Finanzwerkzeuge mit Milliarden spekulieren konnte, obwohl er selbst nur Millionen besitzt.

Und was ist davon zu halten, wenn einer der weltgrößten Versicherungskonzerne gleichzeitig eine Bilanz mit roten und eine mit schwarzen Zahlen für denselben Stichtag vorlegt? Was ist davon zu halten, wenn eine einst im besten Sinne hanseatische Bank sich über Scheinfirmen in Irland auf dem US-Immobilienmarkt verzockt?

Irrsinn auch, wenn ein Spekulant gegen die altehrwürdige Bank von England Milliarden Pfund gewinnt, sich später als Altruist gebärdet und wohlfeile Ratschläge gegen die Globalisierung hinausposaunt, der er neben Können und Glück seinen Reichtum verdankt.

Irrsinn, wenn in einer der größten Volkswirtschaften und der ältesten Demokratien ein Superreicher ernsthaft Chancen beim Wahlvolk hat, zum Präsidentschaftsanwärter aufzusteigen, obwohl er kaum Steuern für sein üppiges Einkommen zahlt. Welches er zudem der Tätigkeit als Manager eines zumindest umstrittenen Finanzinvestors verdankt.

Kurzum, es erscheint irrsinnig, wenn die Protagonisten auf den wild gewordenen Finanzmärkten seit drei Jahrzehnten den real existierenden Kapitalismus in Fabriken, Handwerksbuden und Büros vor sich herjagen.

Möglich machen dies drei Todsünden im modernen Kapitalismus:

zu viel Reichtum,

zu viele Finanzgeschäfte und

zu hohe und kurzfristige Profitziele.

Anrührend wirkt es angesichts dessen, wenn ein Nobelpreisträger, gefragt nach der Lage der Weltwirtschaft, auf »viel Ungewissheit« verweist und auf »Glück« hofft. Konsequenterweise ist Edmund S. Phelps auch hinsichtlich der zukünftigen Aufgaben der Wirtschaftswissenschaften ratlos: »Das ist schwer zu sagen.« Und als gäbe es nicht seit zwei Jahrhunderten eine Ökonomik, die den Kapitalismus analysiert, fordert er seine Kollegen auf, »eine Menge an Grundlagenarbeit« zu leisten, »um die derzeitigen Probleme besser zu verstehen«.

Doch was auf den ersten Blick als Irrsinn erscheint, muss nicht irrational sein. Neid und Gier und Hass spielen im Billionenspiel eine Rolle, und doch verläuft das Spiel durchaus kalkuliert, und es folgt Regeln, die geldgeile Boni-Banker nutzen, aber nicht geschaffen haben. Diese Zocker in Nadelstreifen mögen die Puppen tanzen lassen, aber sie sind selbst Teil eines größeren Theaterstücks, das in die Jahre gekommen sein mag. Doch sein Name – je nach Sicht – berauscht oder schreckt immer noch: Kapitalismus. In diesem Stück haften andere für eingetretene Risiken, die einige Zocker eingingen; verletzen staatliche Notenbanken die eigenen Regeln und plädieren rechte Politiker für Rettungsfonds, die sie vor kurzem noch für linkes Teufelswerk hielten. Verlass ist eigentlich nur noch auf parteiliches Lagerdenken, interessengebundene Lobbys und eine politische Korrektheit, die jede offene Diskussion im Keime erstickt.

Der Irrsinn auf den Finanzmärkten stieß schon viele Menschen in den Abgrund, kapitale Pleitiers, aber auch Rentnerinnen und solide Familienväter. Und die Auswirkungen, wenn es schiefgeht, können verheerend sein. Man denke nur an den Schwarzen Freitag, nach dem die amerikanische Börse an der Wall Street im Oktober 1929 zusammenbrach. Er vernichtete Banken und Beschäftigungsverhältnisse zunächst in den USA – bald waren fast 25 Prozent aller Arbeitskräfte ohne Job –, und er löste die Weltwirtschaftskrise aus, schaffte den Nährboden für den Hitler-Faschismus, in dessen Gefolge die Menschheit 1939 in den Zweiten Weltkrieg taumelte. Vor dem Crash hatte US-Präsident Herbert Hoover noch triumphiert: »Wir sind dem endgültigen Sieg über die Armut heute näher als je zuvor in unserer Geschichte.« Irrsinn.

Trotz allen Irrsinns: Die Finanzmärkte sind rational organisiert. Es gibt Gewinner und Verlierer, Täter und Opfer. Dabei sind – das sei gleich hier festgehalten – längst nicht alle Manager und Banker, Fondsinvestoren und Versicherungsvertreter schuldig zu sprechen.

Doch bevor wir uns den Akteuren und ihren Werkzeugen zuwenden, werfen wir einen Blick auf das Terrain, auf dem sich der alltägliche Irrsinn abspielt, die Bühne für die Dramen und die Trauerspiele, kurzum: Werfen wir einen Blick auf die Finanzmärkte oder griffiger: »die Märkte«. Seit geraumer Zeit sind sie in den Nachrichten allgegenwärtig, fast immer im Plural treten sie wie ein Mann auf, versetzen nationale Regierungen in Angst und Schrecken wie sonst nur die Globalisierung und bleiben wie diese stets anonym. »Die Märkte«, eine irgendwie launische Bestie, dürfe man, so heißt es, auf keinen Fall verärgern, schon gar nicht die Politiker. Dabei hat sich die anonyme Allmacht, die »den Märkten« in den Medien wie selbstverständlich attestiert wird, in kaum einem Menschenalter herausgebildet.

Am Anfang der Entgrenzung, Entfesselung und Verselbständigung des Finanzkapitals und seiner Märkte stand ein Ende, der Abschied von »Bretton Woods« Anfang der 1970er Jahre. Durch die endgültige Entkoppelung vom Gold wurde Geld unzweideutig zu einer fiktiven Ware, und durch die Abkehr vom 1944 von den Vereinten Nationen in Bretton Woods beschlossenen System fester, aber durchaus anpassungsfähiger Wechselkurse wurde der Finanzspekulation der Boden bereitet. Das Spiel konnte beginnen. Damit es existenzielle Dimensionen annehmen konnte, fehlte allerdings noch zweierlei.

Zum einen mussten Regeln gelockert, Beschränkungen aufgehoben werden. Dafür sorgte die Politik ab Anfang der 1980er Jahre unter der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und dem US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan mit der Liberalisierung der Finanzmärkte. Die exzessive Spekulation wurde gesellschaftsfähig.

Zum zweiten bedurfte es der Erhöhung des Einsatzes, sprich: Es musste Geld her, viel Geld. Betrachtet man das Verhältnis von weltweiter Realwirtschaft und Finanzwirtschaft, das um 1980 noch 2 : 1 betrug, so hat es sich drei Jahrzehnte später mit 1 : 3,5 mehr als umgekehrt, das heißt, die monetären Vermögenswerte weltweit sind dreieinhalb Mal so hoch wie die wirklichen, handfesten Werte auf der ganzen Welt.

Die enorme Ausweitung der Finanzwirtschaft liegt auch daran, dass drei Jahrzehnte lang in vielen Ländern Steuersätze und Bemessungsgrundlagen für Reiche und Unternehmen nach unten gedrückt wurden. Es fand sich immer ein Land mit noch niedrigeren Sätzen, auf das von interessierten Kreisen mit dem Satz »Es sind Arbeitsplätze in Gefahr!« verwiesen wurde. Die Politik sonnte sich bei ihren Senkungsorgien in der wirtschaftsliberalen und doch vergeblichen Hoffnung, das steuerlich befreite Kapital würde dann mehr Kapital außerhalb der Finanzmärkte investieren. Dies dürfte der grundlegende Irrtum, im Wortsinne also Irrsinn, gutmeinender Politiker gewesen sein.

Geldkapital ist also im Überfluss vorhanden. Woher stammt aber diese monetäre Flut? Werden die Reichen immer reicher? Ja. Diese Lieblingsthese der Sozialisten seit dem 19. Jahrhundert stützt auch die amerikanische Investmentbank Merrill Lynch mit ihren Zahlen: Vor einem Jahrzehnt teilten sich noch rund sieben Millionen Menschen einen Großteil des globalen Kuchens aus Geld, Aktien und Finanzgewinnen. Diesen »HNWI« (High Net Worth Individuals) gehörte ein Gesamtvermögen von umgerechnet 26,2 Billionen US-Dollar – was etwa dem Zehnfachen des bundesdeutschen Bruttosozialproduktes entsprach, also der Summe aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Jahr in Deutschland erarbeitet wurden. Wer ein HNWI sein will, muss wenigstens eine Million Dollar an liquiden Finanzmitteln besitzen – »unflüssige« Immobilien, langfristige Geldanlagen oder Firmeneigentum zählen nicht. Dem »World Wealth Report« zufolge, den Merrill Lynch zusammen mit den Unternehmensberatern von Capgemini herausgibt, ist die Population der Millionäre inzwischen von sieben auf fast elf Millionen angewachsen, und deren gesamtes Finanzvermögen beträgt bereits 42,7 Billionen Dollar. Die globale »HNWI-Population« (O-Ton Merrill Lynch) bleibt »hochkonzentriert« in den Vereinigten Staaten, Japan und Deutschland. Jeder zweite Millionär stammt aus diesen drei Industriestaaten.

Wichtiger als die elf Millionen Millionäre und Milliardäre wie Bill Gates, Nicky Oppenheimer oder die Familienstämme Flick und Quandt, deren Vermögen teilweise in Stiftungen ruht oder das als Stiftungen Großkonzerne wie Thyssen-Krupp dominiert, sind für die Finanzakteure »die Unternehmen«. Angesichts grundsätzlich gesättigter Märkte investieren sie nur einen Teil ihrer Gewinne neu. Der andere Teil wird auf den Finanzmärkten angelegt. Die zur Verfügung stehenden Beträge sind gewaltig: Der Netzwerkausrüster Cisco zählte 2011, laut amerikanischen Medien, liquide Mittel von 43 Milliarden Dollar; der von Gates mitgegründete Softwarespezialist Microsoft bilanzierte Geldvorräte von 53 Milliarden Dollar. Die Computerfirma Apple, deren überwiegend in China hergestellte Handys und Tablet-Computer »iPhone« oder »iPad« einen Zeitgeschmack treffen, meldete am Ende ihres Geschäftsquartals Barmittel von 76 Milliarden Dollar. Nach einer Studie der Ratingagentur Moody’s hatten US-amerikanische Konzerne, die nicht dem Finanzsektor angehören, Ende 2010 liquide Mittel von 1,24 Billionen Dollar angehäuft. Ein Journalist rechnete mit spitzem Bleistift nach: Die Kohle allein dieser Cash-Könige entspräche dem Bruttoinlandsprodukt von 126 (wirtschaftlich schwächeren) Staaten, darunter Bulgarien, Ecuador, Sri Lanka und Costa Rica.

Die (über-)flüssigen Finanzmittel sind aber tatsächlich noch üppiger. Dazu zählen dann auch Geldäquivalente wie Reserven ausländischer Währungen, kurzfristige Spareinlagen, Staatsanleihen oder Aktien, die keinem unternehmerischen Zweck, sondern lediglich als Geldanlage dienen. Dieses Cash-Phänomen taucht im Kapitalismus ständig auf: Der von Arbeitern und Angestellten über ihren Lohn hinaus produzierte Mehrwert – also die Gewinne – wird vom Kapitaleigentümer nicht in vollem Umfange reinvestiert, oder er wird in Bereichen angelegt, in denen massenhaft Konkurrenten ihr Heil suchen. Überproduktionskrisen sind daher im Kapitalismus vorprogrammiert. Und eine solche in Form von zu vielen zu teuren Häusern löste dann auch im Sommer 2007 die Immobilien-Banken-Finanz-Wirtschafts-Staatsschuldenkrise aus. Aber dazu später mehr.

Im ersten Teil des Buches schauen wir uns die Hauptakteure des Finanzkapitalismus an. Auf den globalen Märkten sind dies Banken, die auf eigene und fremde Rechnung spekulieren, mit den Banken vernetzte Versicherungen sowie große Fonds, die mit Hilfe von Bankkrediten täglich billionenschwere Geldgeschäfte kreuz und quer über den Globus tätigen. Ratingagenturen werden dagegen vor allem von Politikern gern überbewertet. Moderne Finanzinstrumente, »Derivate« und »Hebel«, helfen den Akteuren dabei, die Welt aus den Angeln zu heben. Von diesen Werkzeugen wird im zweiten Teil die Rede sein, bevor wir uns dann der Analyse des jüngsten Ergebnisses des Finanzkapitals zuwenden: der Großen Krise.

In der folgenden Zusammenschau soll also verständlich werden, was auf den Finanzmärkten weltweit geschieht, was zur Großen Krise geführt hat, wer davon profitierte und profitiert. Dabei geht es nicht um eilfertige Schuldzuweisungen, sondern um das Aufzeigen der Rationalität hinter dem profitablen Irrsinn. Zu diesem »finanzakteursgetriebenen Kapitalismus« wird am Ende dieses Buches schließlich die Alternative formuliert: der »demokratische Markt«.

I Die Akteure

Zu groß, zu mächtig – Die Banken

Herrscher der Welt: 29 Banken

Mit den Banken haben wir die entscheidenden Akteure im großen Finanzspiel vor uns. Kapitalsammelstelle, wichtigster Vertriebsweg für Finanzprodukte, Geldgeber der meisten Akteure – die Banken haben viele Stücke in ihrem Repertoire. Das gilt in gewissem Umfang für alle Banken, und das sind Tausende und Abertausende. Doch hinter dieser bunten Fassade dominiert ein kleiner Kreis die globalen Geldgeschäfte.

In Deutschland managen neben der Deutschen Bank nur 38 weitere Institute aus aller Herren Länder die gesamte Staatsschuld der Bundesregierung. Es sind, von einigen nationalen Platzhirschen abgesehen, dieselben, die diese Rolle auch in anderen Ländern spielen. In den USA nahm die Notenbank Fed Anfang 2012 nur die 31 größten der 1669 US-Banken unter die Lupe. Alle anderen seien zu unbedeutend für das Große und Ganze. Einen besonders strengen Test mussten allein die sechs größten Institute der Vereinigten Staaten absolvieren, weil nur sie als relevant für das gesamte Finanzsystem gelten: Bank of America, Citigroup, Goldman Sachs, JP Morgan Chase, Morgan Stanley und Wells Fargo. Stefano Battiston und sein Forscherteam an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich filterten in der ersten globalen Netzwerkanalyse aus 30 Millionen Unternehmen 43 060 Transnationale Konzerne (TNC) heraus, also die Akteure der Weltwirtschaft, und kommen zu dem Schluss, dass eine kleine Gruppe von 147 Firmen den Großteil der übrigen Weltwirtschaft beherrscht. Spannend dabei: Die Top 50 sind fast ausschließlich Banken, Banken, Banken und einige Versicherungen und Fonds. Vorneweg marschiert der britische Finanzmulti Barclays. Die Schweizer Großbanken UBS und Credit Suisse folgen übrigens auf den Plätzen 9 und 14, dazwischen liegt die Deutsche Bank auf Rang 12 (Allianz 28).

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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