Der Rat der Sterne - Patricia Vandenberg - E-Book

Der Rat der Sterne E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Sein Vater hat eine große Aufgabe übernommen: Dr. Daniel Norden leitet ab sofort die Behnisch-Klinik. Das führt natürlich zu entscheidenden Veränderungen in seiner Praxis. Jetzt wird es ernst für Danny, den Mädchenschwarm und allseits bewunderten jungen Mediziner. Er ist nun für die Praxis allein verantwortlich. Privat ist Dr. Danny Norden dabei, sein großes Glück zu finden. Seine Freundin, die sehbehinderte, zauberhafte Tatjana, ist mehr und mehr zu seiner großen Liebe geworden. Die neue Serie Praxis Dr. Norden ist prädestiniert, neben den Stammlesern der Erfolgsserie Dr. Norden auch viele jüngere Leserinnen und Leser hinzuzugewinnen. »Fynn Dodade esst.« Der zweijährige Adoptivsohn von Danny und Tatjana Norden saß mit verschränkten Armen im Hochstuhl und zog einen Schmollmund. Seine Mutter saß neben ihm am Tisch. Irgendwo im Bauch der Wohnung rumorte sein Vater. »Zum Frühstück gibt es keine Schokolade«, erwiderte Tatjana. »Du kannst Schokocroissant haben.« Krümel regneten auf ihren Teller, als sie ein Stück Blätterteiggebäck abbrach und auf den Teller des Kleinen legte. Fynn starrte es an, wie er immer grüne Paprikaschoten anstarrte. »Bäh.« In hohem Bogen flog das Stück durch die Luft und landete auf Dannys beigem Pullover. »O nein. Das kann doch nicht wahr sein. Das ist der letzte saubere Pullover im Schrank!« »Fynn Mamalade will.« Tatjana holte tief Luft. Sie warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr. Eigentlich sollte sie längst in der Bäckerei sein und ihrem Gesellen Titus beim Backen helfen. »Vor dem Trockner steht ein Wäschekorb mit frischer Wäsche«, rief sie Danny über die Schulter zu und nahm einen Toast aus dem Brotkorb.

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Praxis Dr. Norden – 12 –

Der Rat der Sterne

Danny hält sich lieber an die Fakten

Patricia Vandenberg

»Fynn Dodade esst.« Der zweijährige Adoptivsohn von Danny und Tatjana Norden saß mit verschränkten Armen im Hochstuhl und zog einen Schmollmund. Seine Mutter saß neben ihm am Tisch. Irgendwo im Bauch der Wohnung rumorte sein Vater.

»Zum Frühstück gibt es keine Schokolade«, erwiderte Tatjana. »Du kannst Schokocroissant haben.« Krümel regneten auf ihren Teller, als sie ein Stück Blätterteiggebäck abbrach und auf den Teller des Kleinen legte.

Fynn starrte es an, wie er immer grüne Paprikaschoten anstarrte.

»Bäh.« In hohem Bogen flog das Stück durch die Luft und landete auf Dannys beigem Pullover.

»O nein. Das kann doch nicht wahr sein. Das ist der letzte saubere Pullover im Schrank!«

»Fynn Mamalade will.«

Tatjana holte tief Luft. Sie warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr. Eigentlich sollte sie längst in der Bäckerei sein und ihrem Gesellen Titus beim Backen helfen.

»Vor dem Trockner steht ein Wäschekorb mit frischer Wäsche«, rief sie Danny über die Schulter zu und nahm einen Toast aus dem Brotkorb.

Sie halbierte ihn und bestrich eine Hälfte dünn mit selbstgekochter Erdbeermarmelade. Dieser Duft nach Sommer und Sonne! Sie musste noch nicht einmal die Augen schließen, um den Schrebergarten vor sich zu sehen. Die ordentlichen Gemüsereihen zwischen Ringelblumen, Thymian und Rosmarin. Die krummen Apfel- und Pflaumenbäume. Und in einer Ecke das kleine Erdbeerfeld. Rot und verführerisch lockten die reifen Früchte auf ihrem Bett aus Stroh. Tatjana hörte die Bienen summen. Ein Blatt streichelte ihre Hand. Aber nein, das war kein Blatt. Schlagartig landete sie wieder in der Wirklichkeit. Der Toast klebte auf ihrer Hand, und Fynn protestierte.

»Mamalade one Dost.«

Tatjanas Magen klumpte sich zusammen.

»Dadana-Mama Arm!« Fynn weinte bitterlich und streckte die kurzen Arme nach ihr aus.

»Von den Sachen kann ich nichts anziehen. Die sind alle verknittert!« Dannys Stimme aus dem Bad mischte sich mit dem Indianergeheul des Zweijährigen. »O Mann, ich muss in einer ­Viertelstunde in der Praxis sein. Das kann doch wohl nicht wahr sein!«

Tatjana hob Fynn aus dem Hochstuhl. Doch statt sich trösten zu lassen, kreischte und strampelte er. Sie stellte ihn auf den Boden, wo er sich fallen ließ und hin und her wälzte. Danny steckte den Kopf durch die Tür.

»Was soll ich denn jetzt anziehen?«

Tatjana fuhr zu ihrem Mann herum. Der Vulkan brach aus.

»Wenn du nicht in der Lage bist, deine Sachen selbst zu bügeln, musst du eben nackt gehen. Wenn dir das nicht gefällt, könntest du zur Abwechslung ja auch mal Hand im Haushalt anlegen. Oder mir mit dem Kind helfen. Aber nein, der Herr Doktor ist ja viel zu beschäftigt für so profane Dinge wie den Geschirrspüler auszuräumen oder mal den Staubsauger in die Hand zu nehmen.«

Danny ballte die Hände zu Fäusten.

»Darf ich dich daran erinnern, dass ich Fynn gestern von der Krippe abgeholt habe, mit ihm auf dem Spielplatz war und danach das Chaos in der Küche aufgeräumt habe?«

»Ja und? Was erwartest du jetzt? Soll ich dir einen Orden verleihen?«, zeterte Tatjana. »Nur, weil du dich ein einziges Mal nützlich machst?«

»Ein einziges Mal? Das ist ja wohl die Höhe! Außerdem habe ich jetzt keine Zeit mehr für dieses Theater. Ich muss in die Praxis.«

»Soso. Du hast keine Zeit mehr! Und was ist mit mir? Habe ich etwa keine Arbeit?«

Die beiden Erwachsenen standen sich gegenüber wie zwei Boxer im Ring.

Fynn saß zwischen ihnen und sah von einem zum anderen. Über dem Streit hatte er seinen Zorn völlig vergessen.

»Dadana-Mama nimma lieb hat Danny-Papa«, fragte er mit großen Augen, als die beiden Streithähne Luft holten, um zum nächsten Schlag anzusetzen.

Mit einem Schlag war es mucksmäuschenstill in der Wohnung. Unten betrat jemand das Haus. Die Haustür fiel ins Schloss. Der Aufzug rumpelte los. Sonst war es ruhig.

Beim Anblick der Kulleraugen schmolz Tatjanas Herz wie Schokolade im Wasserbad. Sie ging in die Knie und zog den Kleinen auf den Schoß.

»Ach, Fynni, natürlich habe ich Danny noch lieb. Aber weißt du, manchmal ist es ganz schön anstrengend mit einem Zwerg wie dir.« Die Erschöpfung stand nicht nur Tatjana ins Gesicht geschrieben. Auch Danny war müde wie nie zuvor in seinem Leben.

Beide wussten, wie sehr es ihren Sohn manchmal quälte, wenn er einen Zahn bekam. Aber so schlimm wie diesmal war es noch nie gewesen. Seit zwei, drei Nächten schlief Fynn kaum. Er weinte und wimmerte und weinte, bis er so erschöpft war, dass er tags zuvor sogar beim Frühstück im Hochstuhl eingeschlafen war. Keiner der beiden wusste, wie er den Kleinen trösten, ihm helfen sollte. Und dann plötzlich schienen die Schmerzen wie weggeblasen zu sein, war Fynn das fröhlichste, lustigste Kind, das man sich vorstellen konnte. Wie in diesem Augenblick, als er den einen Arm um ihren, den anderen um Dannys Hals legte und sie beide an sich zog. Überwältigt vor Glück schloss Tatjana die Augen.

Immer wieder wunderte sie sich darüber, wie völlig selbstverständlich all diese Gefühle nebeneinander Platz hatten. Das Glück, die Erschöpfung, das Lachen und Quietschen, die Trotzanfälle. Es war ein Wunder. Das musste sie sich manchmal in Erinnerung rufen, wenn die Erschöpfung wieder einmal überhand nahm. Danny schien es ähnlich zu ergehen. Er drückte Fynn einen schmatzenden Kuss auf die Wange, ehe er sich zu Tatjana hinüber beugte.

»Es tut mir leid.«

»Nein, nein, mir tut es leid. Ich habe angefangen.«

»Nein, ich. Ich vergesse manchmal, wie anstrengend das alles für dich ist.«

»Für dich ja nicht weniger.«

Danny lachte.

»Bevor wir am Ende noch darüber streiten, wer Schuld hat, bringe ich euch jetzt zur Krippe.«

Dagegen hatte Tatjana nichts einzuwenden, und mit einem weiteren Kuss wurde der Frieden besiegelt.

*

»Das kann doch wohl nicht wahr sein!« Tatjana stand vor der Kinderkrippe und starrte auf den Zettel, den eine Erzieherin von innen an die Glastür geklebt hatte. Wegen eines Wasserrohrbruchs bleibt die Kita für den Rest der Woche leider geschlossen, hatte jemand mit dickem Rotstift auf den Zettel geschrieben. Warum nur hatte sie Danny gleich weiterfahren lassen? »Ich sollte vor dem Aufstehen mein Horoskop lesen. Wenn die Sterne schlecht stehen, bleiben wir in Zukunft einfach im Bett.«

Fynn stand neben ihr und drückte sich die Nase an der Glastür platt. Plötzlich entdeckte er etwas.

»Fynn Haussuhe ansieht.« Er hüpfte wie ein Gummiball auf und ab.

»Tut mir leid, mein Schatz. Heute machen die Hausschuhe Urlaub.«

Der Kleine drehte sich zu seiner Adoptivmutter um, legte den Zeigefinger an die Wange, wie er es bei Danny abgeschaut hatte, und sah Tatjana mit dem ganzen Ernst seiner zwei Jahre an.

»Haussuhe Meer fahd?«

Da war es wieder: Das Glück, das wie ein Diamant zwischen all dem Chaos aufblitzte. Oder war es umgekehrt? Tatjana wusste es nicht. Zeit zum Nachdenken hatte sie auch nicht. Es war schon fast halb acht. Seit einer halben Stunde wartete Titus auf seine Chefin. Es musste eine Lösung her. Und zwar schnell.

Hatte Fee nicht am Abend zuvor erzählt, dass sie heute frei hatte? Ein Hoffnungsschimmer tauchte am Horizont auf. Tatjana nestelte das Mobiltelefon aus der Tasche und drückte die Taste mit Fee Nordens Telefonnummer.

»Jana, das ist ja eine Überraschung.« Dannys Mutter begrüßte ihre Schwiegertochter atemlos. Im Hintergrund klapperte etwas. »Du hast Glück, dass du mich noch erwischt. Ich bin gerade auf dem Sprung zum Friseur.«

An ihrer gepressten Stimme hörte Tatjana, dass Fee sich gerade bückte und den Fuß in einen Schuh verfrachtete.

»Hallo? Jana? Bist du noch da?« Fee schien es geschafft zu haben. Jetzt klang sie entspannter. »Was kann ich für dich tun?«

»Nicht so wichtig. Ich melde mich später wieder.«

»Das ist lieb von dir!«, rief Fee in den Hörer. Im nächsten Atemzug klickte es in der Leitung.

Tatjana stand da und dachte nach. Dannys Vater Daniel musste sie gar nicht erst anrufen. Als Chef der Behnisch-Klinik war er im Dauereinsatz und hatte keine Zeit, den Babysitter zu spielen.

Das Schimpfen und Stöhnen anderer Eltern vermischte sich mit dem Vogelgezwitscher aus dem Garten der Kinderkrippe. Eine Horde Spatzen eroberte das Refugium, in dem normalerweise die Kleinsten im Sand um den roten Bagger stritten und mit Dreirädern die Wege unsicher machten.

»Vögel Bielblatz Drakdor bieln«, stellte Fynn fest.

Seufzend nahm Tatjana ihn an der Hand.

»Ganz genau. Die Vögel dürfen heute auf dem Spielplatz spielen. Und du darfst mit in die Bäckerei. Wie findest du das?« Hand in Hand machten sie sich auf den Weg. »Wir verkaufen zusammen Brezen und Vanilleschnecken. Und wenn du ganz brav bist, darfst du Titus vielleicht beim Backen helfen.«

»Fynn Titus backen helft«, plapperte der Kleine nach. Seine Augen leuchteten mit seinen Wangen um die Wette, als er die Ampel drücken durfte und das Männchen dank seiner Zauberkräfte von Rot auf Grün umsprang. Aus Erfahrung wusste Tatjana, dass es keinen Sinn hatte, ihn zur Eile zu drängen. So spazierten sie in aller Seelenruhe durch die belebten Straßen. Wichen dem Postboten mit seinem gelben Fahrrad aus. Drückten sich die Nasen am Spielwarengeschäft platt. Und warfen dem Straßenmusikanten an der Ecke fünfzig Cent in den Hut. Nur noch ein paar Schritte, und sie hatten endlich ihr Ziel erreicht. Wie immer betrat Tatjana die Bäckerei durch den Hintereingang. Der Duft nach frisch Gebackenem war atemberaubend.

»Schön, dass du dir auch mal die Ehre gibst«, rief Titus aus der Backstube. Er hatte die Tür gehört.

»Ich kann nichts dafür. Wasserrohrbruch in der Krippe. Auf die Schnelle habe ich keinen Babysitter gefunden. Deshalb musste ich Fynn mitbringen.«

Titus tauchte in der Tür auf. Das Licht aus der Backstube umstrahlte ihn wie eine Aureole. Noch immer konnte Tatjana nicht glauben, dass dieser gutaussehende Mann mit Vollbart und Piratenkappe der Junge war, der vor über drei Jahren seine Lehre in der Bäckerei ›Schöne Aussichten‹ begonnen hatte. Niemals hätte sie gedacht, dass er eines Tages der wichtigste Mann in ihrem – beruflichen – Leben sein würde.

»Hey, Sportsfreund!« Titus ging in die Knie und breitete die Arme aus. »Das ist ja eine schöne Überraschung. Woher hast du gewusst, dass ich ausgerechnet heute Unterstützung gebrauchen kann?«

Mit einem Juchzer stürzte sich Fynn in die Umarmung. Wenig später thronte er auf der Arbeitsplatte, eine Piratenkappe auf dem Kopf und ein Stück Teig in den Patschehänden.

Wo war nur die Zeit geblieben? Tatjana erinnerte sich gut an die Zeit, als er im Stubenwagen von einer Backstubenecke in die andere gewandert war. Damals war er noch Marlas Kind gewesen. Und nun war Fynn das Kind von Tatjana und Danny Norden. Trug den Nachnamen seines Adoptivvaters, der für ihn genauso neu war wie für Tatjana. War seitdem wirklich schon ein Vierteljahr vergangen?

»Was denn? Du wirst doch wohl nicht weinen? Deine Augen wissen doch gar nicht, wie das geht.«

Titus’ Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

»Gut, dass du sie daran erinnerst.« Tatjana blinzelte ihm zu und gleichzeitig die Tränen weg. Ein Klopfen erinnert sie daran, dass sie vergessen hatte, die Tür zur Bäckerei aufzusperren. Höchste Zeit, den Arbeitstag zu beginnen. Trotzdem zögerte sie, sah sich um.

Früher war ihr das nie so aufgefallen. Doch plötzlich entdeckte sie an jeder Ecke eine andere Gefahr. Eine Backstube war wirklich kein Kinderspielplatz. War es richtig gewesen, Fynn mit hierher zu bringen?

»Passt du auf, dass er der Knetmaschine nicht zu nahe kommt?« Die kleinen Finger im Rührwerk … nein, daran durfte sie gar nicht erst denken!

Titus rollte mit den Augen.

Tatjana musste nicht gut sehen, um Titus’ vernichtenden Blick zu erkennen.

»Schon gut, schon gut, ich habe verstanden. Frauenfreie Zone!« Lachend und mit hoch erhobenen Händen zog sie sich in den vorderen Teil der Bäckerei zurück. Das Kichern und Glucksen der beiden Männer folgte ihr, als sie das Geschäft für die Kunden aufsperrte, die sich schon vor der Tür drängelten.

*

»Warum mussten wir uns ausgerechnet hier treffen?« Erika Heise sah sich in dem kleinen Café um, das sich schnell füllte. Geschäftsleute stürzten vor dem ersten Termin einen Kaffee hinunter. Mütter mit Kinderwagen gönnten sich eine wohlverdiente Ruhepause nach der ersten Hektik des Tages, nachdem der größere Nachwuchs in Kinderkrippe und Kindergarten abgegeben war. Das Murmeln und Raunen, der Duft, ein Gefühl wie ein Sonntagnachmittag bei der Großmutter.

Erikas Nichte Teresa ignorierte die Blicke, die ihr vor allen Dingen von den männlichen Besuchern zugeworfen wurden. Sie war daran gewöhnt, Aufmerksamkeit zu erregen, verstand nicht, was an ihrem Äußeren so besonders war. Sie griff nach der Zeitung, die in einem Halter neben ihr an einem Haken hing.