Der Rebell und die Lady - Meagan McKinney - E-Book
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Der Rebell und die Lady E-Book

Meagan McKinney

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Beschreibung

Er hatte nie geplant, ihr zu verfallen … Der historische Liebesroman „Der Rebell und die Lady“ von Meagan McKinney als eBook bei dotbooks. „Als ihre Augen sich trafen, war es wie Blitz und Donner …“ Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Alana van Alen ist das Kronjuwel der New Yorker Gesellschaft, Trevor Sheridan wird wegen seiner irischen Abstammung verachtet und gemieden. Um die schlechte Behandlung seiner Familie zu rächen, setzt Trevor alles daran, die Oberklasse Manhattans in den Ruin zu treiben – und vernichtet so auch Alanas Vermögen. Mittellos und auf sich allein gestellt, ist die schöne Lady plötzlich ausgerechnet von dem Mann abhängig, der ihr Leben zerstört hat. Denn um sich und ein dunkle Geheimnis ihrer Familie zu schützen, muss sie das unmoralische Angebot des leidenschaftlichen Iren annehmen … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das Romance-Highlight „Der Rebell und die Lady“ von Meagan McKinney. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 631

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Über dieses Buch:

»Als ihre Augen sich trafen, war es wie Blitz und Donner …«

Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Alana van Alen ist das Kronjuwel der New Yorker Gesellschaft, Trevor Sheridan wird wegen seiner irischen Abstammung verachtet und gemieden. Um die schlechte Behandlung seiner Familie zu rächen, setzt Trevor alles daran, die Oberklasse Manhattans in den Ruin zu treiben – und vernichtet so auch Alanas Vermögen. Mittellos und auf sich allein gestellt, ist die schöne Lady plötzlich ausgerechnet von dem Mann abhängig, der ihr Leben zerstört hat. Denn um sich und ein dunkle Geheimnis ihrer Familie zu schützen, muss sie das unmoralische Angebot des leidenschaftlichen Iren annehmen …

Über die Autorin:

Meagan McKinney, geboren 1961, ist studierte Biologin. Diese Karriere ließ sie jedoch schon früh hinter sich, um sich voll und ganz dem Schreiben von historischen Liebesromanen zu widmen. Heute lebt sie mit ihren zwei Kindern in New Orleans.

Die Autorin veröffentlicht bei dotbooks die folgenden Titel:

»Die Leidenschaft des Piraten«

»Der Outlaw und die Lady«

»Der Lord und die Schöne«

***

Aktualisierte eBook-Neuausgabe November 2020

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1992 unter dem Originaltitel »Lions and Lace« bei Dell Publishing, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1994 unter dem Titel »Der Gigant und die Lady« bei Lübbe.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1992 Ruth Goodman

Published by Arrangement with Meagan McKinney

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1994 Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © Adobe Stock / VJ Dunraven; © shutterstock / Everett Collection / Olesya Kuznetsova / RODINA OLENA / ivgroznii

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-549-4

***

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Meagan McKinney

Der Rebell und die Lady

Roman

Aus dem Amerikanischen von Kerstin Winter

dotbooks.

Lace / Spitze

Die Gesellschaft basierte auf einer Art rechtlich nicht verankerten, doch lange bestehenden sozialen Hierarchie, aus der alle Randelemente rigoros ausgeschlossen wurden. Viele ihrer Mitglieder waren attraktiv, gutaussehend und liebenswürdig – gutgekleidete Männer und Frauen. Doch als Gesellschaft war sie flach und öde, wie eine Wüste ohne Löwen …

Mrs. Winthrop Chanler.Memoirs on New York Society

Kapitel 1

Natürlich regnete es.

Alice Diana van Alen blickte durch das dünne Spitzengewebe an ihrem Schlafzimmerfenster hinab auf den Washington Square, den die hereinbrechende Nacht und der Sturm in Dunkelheit tauchten. Dort unten prasselte der Regen auf die Straße und strömte über das Fischgrätmuster des Kopfsteinpflasters. In der Höhe zerrte der Wind an den dürren, kahlen Ästen der Bäume, so daß das Licht der Gaslaternen durch die sich wiegenden Wipfel hindurchflackerte. Keine Menschenseele war zu sehen. Selbst der Droschkenstand war leer. Jede Kutsche war unterwegs, um vom Unwetter überraschten Fußgänger zu befördern.

Sie starrte durch die nassen Fensterscheiben und hatte die Arme fest um sich gelegt, als ob sie frieren würde. Der Sturm war ein Zeichen. Aber obwohl sie davon überzeugt war, konnte sie ihren Entschluß nicht ändern. Sie würde heute abend zu dem Ball gehen.

Ein kleines, bitteres Lächeln huschte über ihre Lippen. Auch der Traum der letzten Nacht war ein Zeichen. Sie hatte diesen Traum so lange nicht mehr geträumt, daß sie ihn fast vergessen hatte. Doch ihre Ängste und Sorgen um den heutigen Abend schienen ihn wieder aus ihrem tiefsten Unterbewußtsein heraufbeschworen zu haben. Der Traum war immer gleich, und selbst jetzt fiel es ihr schwer, seinen Eindrücken zu widerstehen.

Als sie sich schließlich seinen Bildern ergab, bekamen ihre grünen Augen einen warmen Glanz, und sie schien sich plötzlich in weiter Ferne zu befinden.

Eine heftige Bö ließ den Regen an ihr Fenster klatschen und holte sie in die Wirklichkeit zurück. Verärgert, daß sie zu so einer wichtigen Stunde in Träumereien schwelgte, wandte sie sich vom Fenster ab und ging zu ihrem Ankleidetisch, der mit einem kostbaren Spitzentuch bedeckt war. Wieder dachte sie an ihren Traum, und der Luxus der Raumeinrichtung stieß sie fast ab. Das Schlafzimmer war wunderschön und ausgestattet mit allen Dingen, die eine vermögende junge Frau sich nur wünschen konnte. Ein Blick auf den Frisiertisch zeigte dies deutlich. Er war nierenförmig und derart verschwenderisch mit teurer französischer Spitze dekoriert, daß er fast schon gepolstert wirkte. Sein weicher, mit rosa Samt bezogener Hocker wartete auf sie wie ein Thron, aber plötzlich mochte sie sich nicht mehr setzen. Ihre Umgebung war ein schockierender Gegensatz zu dem einfachen, bezaubernden Ambiente aus ihrem Traum.

Das weiße, schindelgedeckte Haus war das, wovon sie immer geträumt hatte. Wie letzte Nacht. Es war so einfach und so bescheiden, daß sich die meisten in ihrer gesellschaftlichen Schicht sogar geschämt hätten, davon zu träumen. Ganz zu schweigen von dem Wunsch, in so einer Behausung zu wohnen.

Aber sie wünschte es sich. Leidenschaftlich. Sie liebte dieses kleine weiße Haus, das sich auf dem grünen Hügel unter dem strahlenden blauen Himmel duckte. Sie hatte niemals so ein Haus gesehen, aber doch so oft daran gedacht, daß sie glaubte, den Duft der Apfelblüten wahrzunehmen, der vom Vorgarten herübergeweht kam und das Knattern der weißen Laken im Wind zu hören, die sie hinter dem Haus auf der Leine vermutete. Sie liebte dieses Haus weniger dafür, was es war, sondern vielmehr dafür, was es enthielt.

Sie schloß ihre Augen und versuchte, ihre Gedanken anzuhalten. Was hatte sie davon, sich in Träumereien zu ergeben? Sie würden nicht wahr werden. Wenn sie sich danach sehnte, würde sie nur unglücklich sein. Sie öffnete die Augen und machte einen weiteren Versuch, sich an den Tisch zu setzen. Doch wieder schien der Luxus ihres Schlafzimmers sie zu überwältigen.

Angewidert betrachtete sie die erdrückend großen Rosen auf der Tapete, die protzigen Chintzstoffe auf den Möbeln, die schweren rosa Samt- und Seidendecken, die ihr Himmelbett einhüllten. Es war alles falsch! Sicher, sie war in diesem Raum aufgewachsen. Doch sie wußte, daß es für sie nicht mehr richtig war. Nun wollte sie etwas anderes. So etwas wie die grünen Hügel, den blauen Himmel, das weiße Häuschen. Ihn.

Ihre Augen verdunkelten sich. Er war stets da, in ihren Träumen – finster, übermächtig, unerreichbar. Er hatte die Gestalt eines attraktiven Mannes, der mit verschränkten Armen lässig an einem der weißgekalkten Zaunpfähle lehnte und die Landschaft hinter ihr betrachtete. In ihren Träumen beobachtete sie ihn immer vom Fuße des Hügels, ohne zu wissen, wer er war, und begierig darauf, mehr Einzelheiten seines Gesichts zu erkennen, das durch die Entfernung nicht zu erkennen war.

Wie schon oft zuvor wurde ihre Sehnsucht, seine Gesichtszüge zu sehen, übermächtig, und sie begann, den Hügel hinaufzusteigen. Doch die grasbewachsene Böschung bereitete ihr wegen ihres Kleides Schwierigkeiten. Sie packte ihre Röcke, um sie hochzuzerren, doch sofort floß der schwere Atlas wie Wasser durch ihre Finger. Sie konnte den Stoff nicht halten. Mit jedem Schritt schien das Kleid länger zu werden, als wollte es sie absichtlich festhalten, und sein Gewicht wuchs ins Unermeßliche, als wäre es mit Steinen und nicht mit Spitze gesäumt.

Die Tournüre an ihrem Rücken schien plötzlich zu Blei zu werden, das sie mit aller Kraft zu Boden drückte und sie von dem fernhielt, was sie sich am sehnlichsten wünschte. Die Perlen um ihren Hals zogen sie hinunter, bis sie schließlich in diesem Meer aus Atlas und Schmuck unterzugehen drohte. So stand sie da mit ausgestreckten Armen, unfähig, sich zu bewegen, und flehte den Mann auf dem Hügel stumm an, sie aus den Fängen ihres Reichtums zu befreien. Aber er kam nicht. Sie schrie angstvoll auf, als er sich abwandte.

»Geh nicht«, weinte sie leise und verzweifelt.

Doch er hörte sie niemals.

Mit einem geflüsterten »Ich brauche dich« mußte sie zusehen, wie der Mann in dem kleinen, weißen Haus verschwand. In diesem Moment schreckte sie aus ihrem Traum auf. Zurück blieb nur das bittere Bedauern über den Verlust von einem Traum, der sich niemals erfüllen würde.

Ihre Gesichtszüge waren angespannt, als sie an das alptraumhafte Ende dachte. Wie sehr sie es haßte, sich daran zu erinnern. Automatisch wanderten ihre Hände zu der Perlenkette und hoben sie an, als wäre sie ihr zu schwer.

»Miss Alana?«

Alana zuckte zusammen und wandte sich vom Fenster ab. Mitten im Raum stand die Person, die sie bei ihrem Kosenamen gerufen hatte. Margaret, ihre Zofe, hielt ihr ihr Abendcape und ihre langen Satinhandschuhe entgegen.

»Miss Alana? Sind Sie fertig?«

Alana trat heran und ließ sich das Cape umlegen. »Ist die Kutsche bestellt?«

»Ja, Miss. Ich hab’s Kevin aufgetragen. Dacht’ mir, er hält besser sein’ Mund als wie Ihr Butler, Pumphrey. Der Bursche is’ zu fix dabei, Ihr’m Onkel zu antworten.«

Alana nickte. Der Dialekt ihrer Zofe war noch stärker als sonst und zeigte ihr, wie sehr Margaret sich um sie sorgte. »Gut. Onkel Baldwin darf auf keinen Fall davon erfahren, daß ich zum Sheridan Ball gehe.«

»Ich werd’s ihm bestimmt nich’ sagen.«

Alana lächelte und sah Margaret an. »Ich habe das Unwetter schon als böses Omen gesehen und geglaubt, daß dieser Abend zum Scheitern verurteilt ist. Aber jetzt bin ich viel zuversichtlicher. Wenn alles gut geht, gibt es nur einen Weg, wie Onkel Baldwin erfahren könnte, daß ich an dem Sheridan Debüt teilnehme: Aus der morgigen Ausgabe des New York Chronicle!«

»Wir haben alles getan, damit’s niemand rauskriegt!«

»Dafür bin ich euch wirklich dankbar. Bitte sag das auch Kevin.« Alana drückte die Hand des Mädchens und nahm ihr die Handschuhe ab. Sie wollte sie gerade anziehen, als Margarets Miene sie innehalten ließ. Sofort schlug ihr Herz schneller. »Stimmt etwas nicht?«

»Eigentlich nich’, Miss …« Sie warf ihrer Herrin einen scheuen Blick zu.

»Was ist?«

»Ich hab’ ihnen versprochen, daß ich’s Ihnen sage«, platzte Margaret heraus. »Ich mein’, was ich sagen will, ist, daß … also … wir …«

»Ja?«

»Ich und Kevin und Katie und McDougal – also wir woll’n Ihnen nämlich danken, Miss.«

»Danken? Mir?« Alana blickte sie verwirrt an. »Aber wofür denn nur?«

Plötzlich schienen die Worte aus der Zofe hervorzusprudeln, bevor sie sie aufhalten konnte. »Wir wissen, daß Sie heute abend nich’ gehen dürfen, Miss Alana. Und zwar deshalb, weil das Sheridan Mädchen ’ne Irin ist. Sie machen sich für sie stark, und deswegen woll’n wir Ihnen danken. Ich und mein Mann, Kevin, sind doch erst vor zwei Jahren rübergekommen. Es bedeutet uns viel, daß Sie heute abend zu dem Ball gehen!«

Sprachlos starrte Alana ihre Zofe an, während sie verzweifelt nach der richtigen Antwort suchte. Es gab mehrere Möglichkeiten, angefangen damit, das Zimmermädchen zu strafen und auf ihren Platz verweisen, bis hin zu dem, was sie am liebsten getan hätte – die junge Frau in den Arm zu nehmen und sie um ein Gebet für diese Nacht bitten.

Statt dessen flüsterte sie: »Es ist mir ein Vergnügen, Margaret«, und zog sich die Handschuhe verlegen und hastig über.

Margaret knickste ebenso verlegen und eilte aus dem Zimmer.

Als Alana sich entschlossen hatte, am Sheridan Ball teilzunehmen, hatte sie nicht einmal über die Tatsache nachgedacht, daß Mara Sheridan Irin war. Sie hatte die Sechzehnjährige an einem Abend im vergangenen Herbst im Central Park kennengelernt und auf Anhieb sympathisch gefunden. Sie war ihr aufgefallen, weil das Mädchen in ihrem schicken Zweispänner am Rande des Parks angehalten und öffentlich den Kutscher einer Mietdroschke beschimpft hatte, weil er sein Pferd mißhandelte.

Dann kam die Einladung zu ihrem Debüt, und Alana sah darin nichts weiter als eine weitere gesellschaftliche Verpflichtung. Sie wußte nur wenig über Miss Sheridan, aber auf dem kurzen Stück, das sie gemeinsam auf der Promenade entlangspaziert waren, hatte sie sie als herzerfrischend unschuldig und liebenswert kennengelernt. Was im krassen Gegensatz zu dem stand, was Alana über Maras Bruder gehört hatte.

Trevor Sheridan war das Gesprächsthema in New York. Man erzählte sich, daß er einer von diesen reichen, vulgären Emporkömmlingen war, die in ihrer Hast und ihrer Gier nach immer mehr Geld jeden niedertrampelten, der sich ihnen in den Weg stellte. In Alanas Umfeld war niemals ein gutes Wort über Mara Sheridans Bruder gefallen, aber Alana wußte nur zu gut, daß die Knickerbocker-Kreise1 alles andere als ein Wohltätigkeitsverein waren.

Alana verzog spöttisch den Mund. O nein, es war sicher nicht Wohltätigkeit, die den Vierhundert2 am meisten am Herzen lag. Vielmehr war es Exklusivität. Und Alana wußte es besser als jede andere. Mrs. Astor trug eben diese wie einen Schild vor sich her, der sie vor dem schützen sollte, was »untragbar« war. Es war die Ironie des Schicksals, aber wüßte New Yorks despotische große Dame der Gesellschaft von dem Geheimnis der ruhmreichen van Alens, würde sie entsetzt feststellen müssen, daß sie genau das an ihrem Busen genährt hatte, was sie am meisten fürchtete – einen Skandal. Einen vulgären, schmierigen Skandal!

Aber um sich und vor allem die zu schützen, die sie liebte, spielte Alana das Spiel mit. Und in vieler Hinsicht fiel es ihr nicht schwer. Mit ihrem Knickerbocker-Erbe, das sich bis auf Petrus Stuyvesant persönlich zurückverfolgen ließ, war Alice Diana van Alen das Juwel in der Krone des besseren New York. Aber Alana wußte, daß sie nur ein Kind war, das verzweifelt Theater spielte, bis die Fassade des edlen Stammbaumes heruntergerissen wurde.

Unwillkürlich glitt ihr Blick auf das mit rotem Samt gerahmte Bild ihrer Schwester, das sie neben ihrem Bett aufgestellt hatte. Während sie es anstarrte, überkam sie eine unerklärliche Angst. Sie haßte dieses Spiel der Gesellschaft, haßte es so sehr, daß sie am liebsten schreiend davongelaufen wäre. Ihr Leben war eine Lüge. Sie verkehrte mit denen, die sie als erstes verstoßen würden, wüßten sie die Wahrheit über sie und ihre Familie.

Wieder verharrte Alanas Blick auf dem Bild ihrer Schwester. Sie spielte dieses Spiel, um sie zu schützen. Aber selbst, wenn sie das Opfer auf sich genommen hatte, gab es schließlich irgendwo eine Grenze.

Alanas Gedanken kehrten zu dem bevorstehenden Ball zurück. Sie war sich darüber im klaren, daß Mrs. Astor und die anderen Mitglieder der feinen Gesellschaft das heutige Ereignis nicht einfach deswegen boykottierten, weil sie Mara Sheridans Bruder nicht mochten. Wahrscheinlich hatte keiner von ihnen Trevor Sheridan je kennengelernt. Alana zumindest war ihm nie begegnet. Der wahre Grund lag vielmehr in dem verabscheuungswürdigen Makel, den Margaret eben erwähnt hatte. Sie waren irischer Herkunft. Gut genug vielleicht, die Nachttöpfe zu schrubben oder ihrem Herrn die Zügel zu überlassen, wollte er seine Kutsche selbst über die Harlem Lane führen. Aber sicher nicht gut genug, um mit ihnen auf gleicher Ebene zu verkehren.

Alana betrachtete ihr Spiegelbild. Das gelbe Atlaskleid war genau richtig für das Debüt eines jungen Mädchens. Die Perlenketten um ihren Hals waren kostbar, aber dezent. Mrs. Astor wäre stolz auf ihr Aussehen gewesen. Und entsetzt! Der Matrone war das Gerücht zu Ohren gekommen, daß Alana an dem Ball teilnehmen wollte, und beim letzten Zusammentreffen hatte sie ihr sehr deutlich gemacht, daß sie erwartete, Alana würde heute abend zu Hause bleiben. Nun hielt die Gesellschaft den Atem an und wartete, ob Alana sich Mrs. Astor widersetzen würde. Alana warf noch einen letzten Blick in den Spiegel und glättete die Atlasbordüre um ihre Hüften. Nun, sie würde es tun.

Ihr kaffeefarbenes Abendcape war von ihren Schultern geglitten und bauschte sich nun zu ihren Füßen. Sie hob es auf und verrenkte sich fast wegen ihrer engen Ärmel bei dem Versuch, es sich wieder überzulegen, doch sie wollte Margaret nicht extra deswegen bemühen. Mrs. Astor hätte sich darüber bestimmt keine Gedanken gemacht. Alana aber dachte daran, wieviel Überwindung es ihre Zofe gekostet hatte, sich das Geständnis abzuringen und mochte sie nicht noch einmal in Verlegenheit bringen.

In diesem Moment klopfte es laut an der Tür. Bevor Alana noch irgend etwas unternehmen konnte, erklang bereits die Stimme ihres Onkels: »Alana! Mach sofort auf! Ich weiß, was du vorhast, und ich gestatte das nicht!«

Angsterfüllt erstarrte Alana. Erneut rutschte das voluminöse Cape von ihren Schultern. Das Hämmern an der Tür schien das heftige Pochen ihres Herzens widerzugeben. Wie eine Verurteilte auf dem Weg zum Galgen wappnete sie sich für das, was kommen würde. Didier hatte irgendwie Wind von ihrer Rebellion bekommen, und nun glaubte er, sie zunichte machen zu können.

Aber das sollte er nicht schaffen. Würdevoll schritt sie zur Tür und öffnete.

Dahinter stand ihr Onkel, Baldwin Didier. Und er war zornig. Forsch trat er in ihr Zimmer und fixierte mit seinen strahlenden blauen Augen ihr Ballkleid. »Was soll das bedeuten?« polterte er. »Wie kannst du es wagen, meine Anweisungen zu mißachten?«

Mit einer Nonchalance, nach der ihr gar nicht zumute war, ging sie an ihm vorbei und setzte sich an ihren Ankleidetisch, nur um nervös sein Abbild im Spiegel zu beobachten. Onkel Baldwin war noch gut in Form. Selbst jetzt, da er die Blüte seines Lebens hinter sich hatte, hatte er sich für seine über fünfzig Jahre ausgesprochen gut gehalten. Mit seinem gepflegten grauen Van-Dyke-Bart und seinen lebhaften, erstaunlich blauen Augen war er eine faszinierende Erscheinung, die Alana stets aufs neue überraschte. »Eindrucksvoll« war das Attribut, das ihre Tante für ihn fand, als sie ihn vor so vielen Jahren kennenlernte. Doch ebenso treffend hatte ihn eine Magd beschrieben, die damals im Haushalt ihrer Tante angestellt war. »Er gehört zu der Art Mann, den sich eine Lady als Bräutigam wünscht«, hatte die alte Dienerin bemerkt, »und vor dem sie dann schreiend in der Hochzeitsnacht davonläuft.«

Didier kam zu ihr. Alana beobachtete ihn wie eine Füchsin den Jagdhund auf der Pirsch. Als er schließlich seine Hände auf ihre Schultern legte, konnte sie vor Angst kaum atmen.

»Du wirst heute abend nirgendwo hingehen.«

»O doch.« Alana versuchte verzweifelt, die Angst in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Ich weiß, was du sagen willst, Onkel, aber das ändert nichts. Du kannst ebensogut ins Hotel zurückkehren, denn ich werde dieses Mädchen nicht enttäuschen. Ich gehe zu dem Ball, komme, was da wolle.«

»Mrs. Astor heißt das nicht gut. Du gehst nicht!«

Zorn stieg in ihr auf und schien sogar das enge Korsett unter ihrem Kleid sprengen zu wollen. »Ich denke nicht daran, nach Mrs. Astors Pfeife zu tanzen.«

»So? Tust du das nicht? Das solltest du aber.«

Sie erstarrte. Er zog sie auf die Füße.

»Muß ich dich daran erinnern, daß meine Stellung in dieser Gemeinde mein Leben bedeutet? Was glaubst du, wovon ich meinen Unterhalt verdiene?!«

Sie reagierte nicht einmal darauf. Sie hörte diese Worte nicht zum ersten Mal, und während sie sie einerseits anwiderten, stärkten sie sie auch. Die Tatsache, daß er sie ausnutzte, brachte plötzlich eine Entschlossenheit zutage, die sie sich nicht zugetraut hatte. Während sie sich von ihm loszumachen versuchte, gab sie zurück: »Mutter und Vater wollten, daß ich glücklich bin, nicht, daß ich an die Brieftasche eines Anwalts gekettet werde, an deine!«

»Meine Gebühren als Rechtsberater bringen mir nicht annähernd das ein, was ich bekomme, seit ich als dein Vormund eingesetzt wurde, und das wirst du mir nicht nehmen!«

»Ich kann tun, was ich will. Ich habe mein eigenes Geld, und …«

»Und wie du sehr gut weißt, hat man es mir zur treuhänderischen Verwaltung gegeben. Also halte mich bei Laune, Alana. Ich möchte dich und deine Schwester schließlich nicht als eine weitere Fehlinvestition meinerseits abhandeln müssen.« Er schob sie zur Seite und setzte sich auf die Bank unter dem Fenster.

Sie haßte ihn dafür, daß er ihrer Schwester drohte. »Fehlinvestition«, murmelte sie frostig. »Ist das die Bezeichnung für diese angemalte Frau, die du dir im St. Nicholas Hotel hältst? Oder hat schon wieder eine andere ihren Platz eingenommen? Es sind ja bereits so viele gewesen!«

»Paß auf, Liebes, dein Knickerbocker-Dünkel kommt durch«, erwiderte er mit einem bösen Grinsen.

»Nun, wenigstens einer in dieser Familie sollte Niveau beweisen.«

Mit einem Satz stand er auf. »Und ich will verdammt sein, wenn du das alles verdirbst, indem du zu irgendwelchen Kartoffelbauer-Iren gehst!«

»Du kennst diese Leute doch nicht einmal. Wie kannst du nur so über sie reden?«

»Trevor Sheridan ist ein dreckiger Gossenire, und das kann ich wahrhaftig beurteilen. Ich habe genug Geld an ihn und seine verdammte Northwest Railroads verloren.«

»Es ist mir egal, wieviel du an ihn verloren hast«, sagte Alana ruhig. »Es ist mir auch egal, daß die Sheridans Iren sind. Mara ist erst sechzehn. Hat denn keiner Mitleid mit ihr? Du mußt doch wissen, wie vernichtend es für ein junges Mädchen sein kann, wenn niemand zu ihrem Debüt erscheint!«

»Mitleid kann jemand anderes empfinden. Du hast eine andere Aufgabe!«

»Ach. Und welche?«

»Du wirst brav deine kostbare, behütete Tugend zur Schau stellen und mir dadurch weiterhin den Umgang mit Deinesgleichen ermöglichen!« Er packte wieder ihre Arme, diesmal jedoch schmerzhaft fest. »Du wirst nach Mrs. Astors Pfeife tanzen. Und du wirst tun, was ich sage. Oder ich werde mit deiner Schwester weniger gnädig umgehen.«

»O Gott, wie heftig muß sich meine Tante im Grab umdrehen, daß sie dich in unsere Familie gelassen hat«, preßte sie hervor, während sein fester Griff ihr die Tränen in die Augen trieben.

»Im Gegenteil. Sie wäre glücklich, daß noch jemand da ist, der sich um dich kümmert. Ich bin alles, was dir von deiner Familie geblieben ist, Alana!« Ein grausames Funkeln erschien in seinen Augen. Sein Blick wanderte zu dem Bild auf ihrem Nachttisch. Er ließ ihre Arme los und schlenderte hinüber. »Aber ich habe ja Christabel ganz vergessen.« Er strich über das Portrait, während sich sein einst so schöner Mund spöttisch verzog. »Wie geht es deiner Schwester denn? Hast du sie in letzter Zeit besucht? Aber natürlich hast du das. Das ist dir ja heilig, nicht wahr?«

Alana schwieg. Er wußte, daß sie nie über ihre Schwester sprach. Zu starke Gefühle waren damit verbunden. Für ihre Familie hielt sie die grandiose Lüge aufrecht, nach der alle Mitglieder der besseren Gesellschaft glaubten, ihre Angehörigen wären vor drei Jahren bei einem Hausbrand umgekommen. Niemand kannte die Wahrheit – weder ihre Verehrer, noch ihre »Freunde«, nicht einmal Mrs. Astor. Nur Didier wußte, was Christabel wirklich zugestoßen war. Und diese schreckliche Tatsache machte sie einerseits erpreßbar und gab ihr andererseits Schutz.

Didier betrachtete wieder das Bild. »Sie sieht richtig glücklich darauf aus, findest du nicht? Wie lange nach dieser Aufnahme hat man sie ins Irrenhaus gesteckt? Ist das wirklich schon drei lange Jahre her?«

Alana wollte sich von ihm abwenden. Aber er ließ sie nicht.

»Antworte mir«, verlangte er scharf. »Sie scheint dort wirklich glücklich zu sein. Was glaubst du, wie glücklich sie in einer staatlichen Irrenanstalt wäre, anstatt in diesem netten, kleinen privaten Heim, das sie so wunderbar versorgt?«

»Sie wird niemals in eine öffentliche Anstalt eingewiesen werden«, fauchte Alana.

»So? Und wie willst du für ihren Unterhalt aufkommen, wenn ich es dir nicht länger erlaube?«

»Dann nehme ich mir einen Anwalt und gehe gegen dich vor!«

Er schüttelte den Kopf. »Womit denn? Die Verwaltung deines Vermögens obliegt mir. Glaubst du, ich gebe dir Geld, damit du gegen mich vorgehst? Denk mal darüber nach!«

»Ich lasse mich nicht länger von dir erpressen. Ich werde zu Sheridans Ball gehen, und du wirst mir nicht mehr mit meiner Schwester drohen!«

»Der Unterhalt für deine Schwester ist erschreckend kostspielig. Wie willst du das bezahlen, wenn ich dir den Hahn abdrehe? Deine Eltern, Gott sei ihren Seelen gnädig, waren sich bei ihrem Tod nicht klar darüber, daß sie dir so eine Last aufbürdeten!«

»Du bist eine Last, nicht Christabel!« Sie versuchte, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Didier ließ das Bild los, um ihre beiden Schultern zu packen, und es zerschellte am Boden. Zornig betrachtete Alana das zerbrochene Portrait.

»Du bleibst heute abend zu Hause«, befahl Didier. »Und da niemand sonst auf der Party auftauchen wird, ist es wohl auch nicht nötig, dein Bedauern schriftlich zu übermitteln.«

Seine Worte entsetzten sie. Obwohl er wahrscheinlich damit recht hatte, daß niemand kommen würde, mochte sie einfach nicht glauben, daß die Leute so grausam waren. Doch es war offenbar eine Tatsache. Und die junge Mara Sheridan würde durch diesen harten Schlag vernichtet werden.

Alana war nicht so grausam. Sie wollte nicht zu dieser ungerechten, gesellschaftlichen Ächtung beitragen. So sagte sie nur: »Ich werde gehen!«

»Nein!«

»Doch!« Sie hob ihr Kinn und warf ihm einen herausfordernden Blick zu. »Ich gehe wegen Mara Sheridan, aber ich tue es vor allem für mich! Um mich dir und Mrs. Astor zu widersetzen.«

»Ich verstehe.« Ruhig trat Didier ’einen Schritt zurück. Ohne eine Warnung holte er aus und schlug ihr fest ins Gesicht.

Alana stöhnte auf und berührte ihre Wangen. Niemand zuvor hatte sie je geschlagen. Der Schock war beinahe größer als der Schmerz.

»Wage es nicht, dich mir zu widersetzen«, flüsterte Didier, als sie auf den Hocker vor ihrem Ankleidetisch sank und sich ihre klopfende Wange rieb. Er hatte so fest zugeschlagen, daß ihr übel wurde. Sie wußte nicht, ob sie ohnmächtig werden oder zu ihrem Waschtisch laufen sollte.

»Ich komme morgen vorbei, um zu sehen, wie es dir geht.« Didier sprach ruhig und normal, als würde sie nicht geschlagen und gekrümmt auf dem Hocker sitzen. »Wir fahren nach dem Tee mit dem Zweispänner aus.«

»Ich werde heute abend auf diesen Ball gehen«, sagte sie in einem letzten Versuch, sich aufzulehnen.

»Das wirst du nicht«, erwiderte er. Seine Augen sahen auf ihren gekrümmten Rücken herab, und ihre ins Korsett geschnürten Kurven schienen ihn unter dem glänzenden gelben Stoff zu locken. »Oh, was für ein Preis, den Anstand zu wahren«, flüsterte er, während seine Hand zu ihrer schmalen, festen Taille glitt. Sie stieß ihn angeekelt fort, und er ging widerwillig, wobei er die Tür hinter sich abschloß.

Alana brauchte einige Zeit, bis sie sich einigermaßen erholt hatte. Ihr Kopf schmerzte abscheulich, und ihre Sehfähigkeit war noch immer eingeschränkt. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Beim Anblick all dieser erdrückenden Pracht wuchs ihre Sehnsucht nach dem kleinen, weißen Haus aus ihren Träumen. Sie würde diesen Mann suchen, und wenn sie sein Gesicht sah, würde sie ihn augenblicklich erkennen. Er würde der Mann sein, mit dem sie ihre Sorgen und ihre Triumphe teilen konnte. Er würde sie lieben, und gemeinsam konnten sie sich ein Leben aufbauen. Ja, eines Tages würde all das eintreten, schwor sie sich, und ihr Traum spendete ihr ein wenig Trost. Eines Tages würde sie ihr Glück finden – trotz Baldwin Didier!

Doch sosehr ihr Geist auch rebellierte, die verschlossene Tür machte ihre Pläne schließlich zunichte.

Besiegt und verstört hob Alana das zersprungene Bild ihrer Schwester auf. Kurz darauf klopfte Margaret an die Tür, fragte flüsternd nach ihrem Befinden und flehte, sie einzulassen. Hilflos und wütend lehnte Alana an ihrem Ankleidetisch, doch sie war unfähig zu weinen. Nur das Bild ihrer Schwester machte ihr ein wenig Mut, als sie es an ihre Brust drückte, ohne darauf zu achten, daß sich die Glassplitter in dem Stoff ihres Kleides verfingen.

Irgendwie, irgendwo mußte es einen Ausweg aus der Hölle geben, zu der ihr Leben geworden war. Aber so sehr sie auch nachgrübelte, es fiel ihr keiner ein. Sie hatte offenbar wirklich keine Wahl, außer das zu tun, was ihr Onkel wollte. Die Pflege ihrer Schwester kostete zuviel, mehr als sie jemals verdienen konnte. Und der Gedanke, daß ihre Schwester in einer dieser furchtbaren öffentlichen Anstalten untergebracht werden konnte, war ihr unerträglich.

Traurig lehnte sie ihre heiße Stirn an den Rahmen ihres Ankleidespiegels. Der Tod ihrer Eltern hatte ihre Schwester aus der Bahn geworfen. Alana war so dankbar für das Heim in Brooklyn gewesen, in dem Christabel die beste Pflege bekam. Selbst ihr Onkel hatte eingesehen, daß dies der beste Ort für ihre Schwester war. Nun konnte Christabel wenigstens in einer ruhigen Umgebung ihre Jugend erleben, dort in diesem Heim, behütet und sicher vor dem Wahnsinn, den ihr Onkel um Alana herum aufgebaut hatte.

Alana betrachtete im Spiegel die reich verzierten Vorhänge an ihrem Fenster. Dann strich sie gedankenverloren über das rote Mal, das Didiers Schlag auf ihrer Wange hinterlassen hatte. Es war schon fast Zynismus, aber zum ersten Mal in ihrem Leben überlegte Alana, ob Christabel nicht die Glücklichere von ihnen beiden war.

Lions / Löwen

Wäre er nicht ein ausgefuchster Schurke, dann wäre er ein großer Mann.

– George Templeton Strong(über Boss Tweed)

Kapitel 2

Die Wall Street nannte ihn den »Raubvogel«. Niemand wußte, ob er mehr wegen seines Reichtums gehaßt wurde, der sich so schnell zu vergrößern schien wie die irische Siedlung, die im Norden von Manhattan aus dem Boden schoß, oder ob es die Tatsache war, daß er ein Sohn Irlands war, der wie ein Phönix aus der Asche des verarmten Geburtslandes in der Neuen Welt aufstieg. Wie auch immer, die New Yorker Elite mied ihn in der Öffentlichkeit. Doch genauso wie die Knickerbocker den Raubvogel mit einer Hand wegscheuchten, so streckten sie doch die andere bettelnd aus, in der Hoffnung, im Kielwasser von Trevor Sheridans Erfolgskurs nur noch reicher zu werden.

An diesem Abend dachten sie viel an Trevor Sheridan.

Und der Raubvogel dachte viel an sie.

»Glaubst du, sie werden kommen?« fragte Eagan Sheridan seinen Bruder, als die beiden im Speisesaal des Hauses in der Fifth Avenue standen. Maras Debütball sollte in weniger als einer Stunde beginnen, und die Tische waren für fünfzig Gäste gedeckt. Kobaltfarbene Stiegel-Glaskelche und Limoges-Porzellan mit 18-Karat-Goldgeschichtung schmückte den Tisch. Der zehn Fuß hohe Tafelaufsatz in der Mitte war bestückt mit dreihundertsiebzig blaßrosa Rosen, aufgelockert durch Lilienbouquets und gekrönt von einer majestätischen Eisskulptur, die verschlungene Schwäne darstellte. In den Ecken des Zimmers standen – wie eine Herausforderung – Zierbäume, die in Form von Kleeblättern3 zurechtgeschnitten waren. Der protzende Luxus war atemberaubend, genau wie der Raum selbst, denn der Speisesaal war die exakte Nachbildung des Saales in Blindheim4, nur mit dem Unterschied, daß hier die schweren Skulpturen und der kostbare afrikanische, rosafarbene Marmor echt und kein Trompe-l’Oeil waren.

Der Herrscher über all diese Pracht schwieg, während er um den Tisch herumwanderte und die Dekoration einer letzten kritischen Prüfung unterzog. Sein Schritt war so steif und formell wie der unvermeidliche goldverzierte Ebenholz-Spazierstock mit dem Löwenkopfgriff, den er stets bei sich hatte.

Eagan beobachtete seinen älteren Bruder, und sein schönes, jungenhaftes Gesicht wirkte besorgt.

»Ich vermute, ich sollte wohl eher fragen, was geschieht, wenn sie nicht kommen«, versuchte Eagan noch einmal, seinem Bruder irgendeine Antwort zu entlocken.

»Ist Mara angezogen?« fragte Sheridan schließlich, nachdem er mit der Begutachtung des Tisches offenbar fertig war.

»Mara? Sie ist schon seit einem Monat angezogen.

Ich habe sie noch nie so aufgeregt erlebt!« Eagan starrte auf den edlen Brandy in seinem Glas herab, das er in der Hand hielt. »Ich frage mich, ob dieser Ball vielleicht ein bißchen … voreilig organisiert wurde.«

»Andere Mädchen werden ebenfalls eingeführt. Sieh dir nur die Varicks, die Biddles, die De Witts an.«

»Ja, aber –«

»Ja, aber diese jungen Damen haben keinerlei Verwandtschaft mit den irischen Shanties aus der einundneunzigsten Straße«, beendete Sheridan bitter den Satz. Dann, als würde er seine Offenheit bereits bedauern, warf er seinem lässig gekleideten Bruder einen schnellen Blick zu und fragte: »Bleibst du in diesem Aufzug?«

Eagan schüttelte langsam den Kopf. Er konnte mit seinen Sorgen jedoch nicht zurückhalten und fragte leise erneut: »Was geschieht, wenn sie nicht kommen, Trevor?«

Sheridan stieß einen angewiderten Seufzer aus. Er starrte einen langen Augenblick auf die Zierbäumchen in der Ecke, als ob er die richtigen Worte suchen mußte. Wenn sie nicht kommen würden … Er fluchte.

»Ich gebe keinen Penny auf Caroline Astor!« verkündete er, wobei er den Stock in seiner Hand drehte.

Eagan nickte nur, um seinen Bruder zu ermutigen. Aber Trevor brauchte nun keine Aufforderung mehr, um fortzufahren. »Sie und ihre edle Gefolgschaft! Für was halten die sich eigentlich?« Er wirbelte herum und sah seinen Bruder an. »Aber Gott sei mir gnädig, Eagan, was hätte ich denn tun sollen? Was kann Mara denn mehr verletzen? Wenn niemand auftaucht oder wenn ihr sogar die Möglichkeit eines Debüts versagt geblieben wäre?«

»Ich weiß es. nicht, Trevor. Im Moment weiß ich es wirklich nicht«, flüsterte Eagan.

Sheridan sah seinen Bruder an und kämpfte deutlich mit seinem Zorn. Die beiden Männer starrten sich einen kurzen, qualvollen Moment an, dann wandte sich Trevor ab, als wollte er die Diskussion beenden. Eagan zog gottergeben die Schultern hoch und wandte sich wieder seinem Brandy zu, während Trevor erneut den Raum inspizierte.

Einem oberflächlichen Beobachter mochten die beiden Brüder sehr ähnlich vorkommen. Und obwohl sie acht Jahre auseinander waren, gab es tatsächlich viele Gemeinsamkeiten. Sie waren beide groß, breitschultrig und ungewöhnlich gutaussehend. Doch trotz aller äußerlichen Übereinstimmungen, waren sie charakterlich grundverschieden. Während Eagan elegant und sehr charmant war, gab sich Trevor finster und zurückhaltend, ein Mann, von dem man sagte, er bewahre sein Lächeln so eifersüchtig wie sein Gold. Eagan hatte braunes Haar, Trevors war schwarz. Eagans Augen, waren grün und wild wie irische Weiden, Trevors von einem ungewöhnlich dunklen Nußbraun, aus denen das zornige Funkeln fast niemals verschwand. Obwohl beide in Ballinlough, County Roscommon, geboren waren, lebte Eagan in New York, seit er seine ersten Gehversuche unternommen hatte. Er legte eine Lässigkeit und Begeisterung an den Tag, die typisch amerikanisch war, während Trevor stets mit Rigorosität und Berechnung handelte. Selbst seinen Akzent hatte er absichtlich kultiviert; als selbstbewußte, fast quälerische Zurschaustellung seiner ärmlichen Vergangenheit.

»Ich muß mich jetzt anziehen«, sagte Sheridan, und seine Worte zerschnitten das Schweigen zwischen den beiden Männern wie ein Schwert. »Wann wirst du fertig sein?«

Eagan hob nur sein leeres Glas und lächelte. »Schenk mir nach, und laß die Vierhundert herein.«

Sheridan hob eine Augenbraue. »Ich nehme an, das ist unser bester Brandy, den du da in dich hineinkippst?«

Eagan lachte. »Der ist auf jeden Fall besser als der Fusel, der in deinem Zimmer steht. Sieh dich um, Trevor, sieh doch nur, was dein Geld dir verschafft hat. Ich denke, mittlerweile kannst du dir etwas besseres leisten als billigen irischen Whisky.«

»Brandy oder Poitin, ich sehe da keinen Unterschied.« Sheridan wollte gehen, dann fiel ihm jedoch etwas ein, und er wandte sich noch einmal um. »Übrigens, es war doch ein Chateau Margaux, den du für heute abend bestellt hast, nicht wahr?«

»Richtig.«

Ein Hauch von Erleichterung huschte über Sheridans Gesicht – er hätte niemals zugelassen, daß es ein anderer als Eagan sehen würde. »Gut. Es muß genau das Richtige sein. Alles heute abend muß absolut stimmen.«

»Ein anderer hätte es auch getan, Trevor.«

Sheridan schenkte Eagan ein kleines, verschmitztes Lächeln. »Ja, aber warum habe ich deine teure Erziehung bezahlt, wenn du mich nicht in der Wahl unserer Weine beraten kannst?«

Eagans Verhalten seinem Bruder gegenüber wurde augenblicklich milder. »Obwohl ich in Columbia gewesen war, Trevor, weiß ich wirklich längst nicht soviel wie du.«

Wären sie zehn Jahre jünger gewesen, hätte Trevor nun vielleicht zärtlich das Haar seines Bruders zerzaust. So aber sagte er: »Aber natürlich weißt du mehr als ich. Wozu hast du sonst studiert?«

»Es gibt Dinge, die einen nur das Leben lehren kann«, bemerkte Eagan.

»Aber diese Dinge will niemand lernen«, entgegnete Trevor finster. Dann hellte sich sein Gesicht auf. »Aber ich glaube, deine Ausbildung wird sich als sehr nützlich erweisen. Mit dem Abschluß, den du hast, wird es deine Tochter sicher einmal einfacher haben als Mara.« Er wandte sich zum Gehen. »Ich seh’ dich in einer Stunde, Eagan. Sei pünktlich.«

Eagan sah ihm mit glühendem Gesicht und voller Stolz nach. Wenn jemals ein Junge zu seinem Bruder aufgeschaut hatte, dann war es Eagan. »Trevor!« rief er. »Wenn heute abend niemand kommt, dann schlage ich vor, wir Sheridans ziehen morgen aus und lynchen einen nach dem anderen. Wie unsere Vorfahren damals in Galway!«

Sheridan drehte sich um und sah seinen Bruder an. Und der Raubvogel nickte.

Eine Stunde später klopfte Sheridan sanft an die weißen Zimmertüren seiner Schwester. In Sekundenschnelle flogen die beiden Flügel auf, und ein sechzehnjähriges Mädchen zog Trevor lachend in ihre Suite.

»Wie sehe ich aus?« fragte sie und drehte sich vor ihm.

Mara war wunderschön. Sie hatte die Schönheit der Sheridans und außerdem die unglaubliche Farbe der schwarzhaarigen Linie geerbt. Massen von schimmerndem, rabenschwarzem Haar rahmten ihr Gesicht, und das Saphirblau ihrer warmen, funkelnden Augen erschien durch das kostbare Kleid nur noch intensiver. Ihr Kleid war aus eisblauem Atlasstoff, an dessen Saum aufflatternde Schwalben gestickt waren, die gen Himmel zu fliegen schienen. Die Puffärmel waren im Renaissancestil geschlitzt und ließen leuchtende dunkelrosa Unterärmel durchblitzen. Sie hatte ihr Haar, das ihr wie Kaskaden über die Schulter fiel, noch nicht gebunden und wirkte wie eine Madonna Raphaels. Sie sah genauso aus wie jene Damen aus früheren Zeiten, für die die Ritter damals gerne ihr Leben gegeben hätten. Niemand konnte heute abend stolzer auf sie sein als ihr ältester Bruder.

»Trevor! Trevor! Komm und hilf mir. Soll ich die Perlen im Haar tragen oder nur diesen langweiligen Blumenkranz, wie Peg es will?«

Trevor sah die grollende ältere Kammerzofe hinter Mara an und mußte sich das Grinsen verkneifen. »Du hattest also alle Hände voll zu tun«, wandte er sich in keltischem Dialekt an die Dienerin. Peg antwortete ihm in breitem Gälisch. »Aye, Sir. Man sollte sie besser mit der Peitsche zähmen.«

Trevor warf die Kopf zurück und lachte laut auf – sehr zu Maras Mißvergnügen. »Worüber tuschelt ihr zwei denn?« sagte sie und tapste undamenhaft zum Frisiertisch hinüber. »Es ist ziemlich unhöflich, wenn zwei sich in einer Sprache verständigen, die der dritte nicht versteht!«

»Und wo hast du das gelernt?« fragte Trevor auf englisch.

»Bei Mrs. Mellenthorps Lektionen für die jungeLady.« Sie nahm das kleine, rote Buch vom Tisch auf, als wäre es ihre Bibel. »Hier steht es, Trevor, auf Seite vierzehn. ›Unhöflichkeit ist nur bei anderen, niemals bei sich selbst zu tolerieren‹.«

Plötzlich riß Mara die Augen auf. »Oje, wahrscheinlich war es jetzt von mir schrecklich unhöflich, daß ich euch beschuldigt habe, ihr hättet keine Manieren!« Sie begann, hastig das Buch durchzublättern, als ob sie eine Stelle finden wollte, die das bestätigte.

»Genug von Mrs. Mellenthorp!« Trevor nahm ihr das Buch aus der Hand und betrachtete sie in ihrer fraulichen Aufmachung. Ein trauriges Lächeln erschien auf seinen Lippen.

»Keine kurzen Kleider mehr, nicht wahr, Mara? Nach dem heutigen Abend bist du eine Lady und trägst nur noch die Kleider einer Lady.«

Mara erwiderte sein Lächeln, umarmte ihn dann plötzlich stürmisch. »Vielen Dank für das wundervolle Kleid, Trevor. Ich liebe es wirklich genauso sehr, wie du mir vorher gesagt hast.«

»Also bin ich doch nicht das Ungeheuer, als das du mich letzten Winter noch bezeichnet hast.«

Mara grinste ihn schelmisch an. »O doch, das bist du doch.« Sie wandte sich an ihre Zofe und erklärte: »Du hättest ihn sehen sollen, Peg, als er da vor Monsieur Worth saß. Es war in seinem Pariser Geschäft in der Rue de la Paix. Monsieur Worth zeigte Trevor all seine fantastischen Kleider.« Nun begann Mara den rundlichen Couturier zu imitieren. Sie nahm ihre Alpakadecke von der Chaiselongue und wedelte sie vor Pegs Nase zur Begutachtung hin und her.

»Wäre dies etwas für Ihren Geschmack, Mr. Sheridan?« fragte Mara mit verstellter Stimme, die die von Monsieur Worth perfekt traf.

»Zu tief ausgeschnitten«, ahmte sie nun mit tieferer Stimme ihren Bruder nach.

»Und was halten Sie von diesem hier, wenn Sie mir die Frage gestatten?«

»Zu protzig.«

Maras Miene wurde so hochnäsig, wie die des Monsieurs Worth nur sein konnte. »Und dieses, Monsieur Sheridan, könnte das Ihrem geschätzten Geschmack entsprechen?«

»Doch nicht ROT!« stieß sie die Antwort ihres Bruders hervor, wobei sie an ihrem unterdrückten Kichern fast erstickte.

Peg wandte sich ab, doch ihre bebenden Schultern verrieten ihr Vergnügen an Maras Vorstellung.

Trevor dagegen runzelte die Stirn und nahm Mara die kleine Decke aus der Hand. »So dankst du mir also für dieses wertvolle Kleid?«

Mara drehte sich erneut zu Peg um. »Oh, ja, ich hätte ja fast noch etwas vergessen. Als Trevor sich endlich für ein Kleid entschieden hatte, versicherte Monsieur Worth ihm immer und immer wieder, daß er seine ganze Seele in die Fertigstellung des Prachtstückes einfließen lassen würde. Und als Trevor dann die Rechnung bekam, weißt du, was er da sagte?«

Peg schüttelte den Kopf.

»Er sagte: ›Mr. Worth, offenbar schätzen Sie Ihre Seele preislich zu hoch ein.‹«

Mara ließ sich laut glucksend auf den Diwan zurückplumpsen, während Peg ihr Grinsen diskret hinter der vorgehaltenen Hand verbarg.

»Sehr gut«, sagte Trevor trocken.

»Miss, Sie zerknittern Ihr Kleid«, mahnte Peg, als sie die Miene ihres Hausherrn bemerkte. Mara setzte sich sofort auf und eilte zu ihrem Frisiertisch zurück, wobei sie fast auf ihren Rocksaum trat.

»Wann wird sie fertig sein?« wandte sich Trevor auf Gälisch an die Zofe.

»Sobald ich ihr Haar gebändigt habe«, antwortete Peg in der gleichen Sprache.

»Liebster Bruder?«

Trevors Augen wanderten zu Mara zurück. »Was ist, kleines Biest?«

»Soll ich nun die Perlen im Haar tragen oder dieses armselige Liliengebinde … oder die Brillanten, die du unten im Safe für meine Hochzeit aufbewahrst?« Ihr Blick im Spiegel zeigte deutlich, welchem Haarschmuck sie den Vorzug gab.

»Die Blumen, denke ich.« Trevor nahm ihr den Lilienkranz ab und reichte ihn Peg.

»Nicht mal die Perlen?«

»Die Perlen kannst du nach deinem Debüt tragen.« Trevor grinste. »Und die Diamanten werden erst das Licht des Tages sehen, wenn du eine verheiratete Frau bist. Also« – und er hob die Hand, um ihr Flehen abzuwehren, was ganz sicher einsetzen würde – »laß uns nicht mehr von ihnen reden, einverstanden?«

Mara stieß gekonnt einen dramatischen Seufzer aus, aber dann sprang sie plötzlich auf und drückte ihren Bruder zärtlich. »Ich verzeihe dir, daß du so ein Scheusal bist, Trevor, aber nur, wenn du mir meine Eitelkeit verzeihst. Ich möchte doch bloß, daß heute abend alles perfekt ist.« Sie legte ihren schwarzen Schopf an seine Brust, und eine Falte erschien auf ihrer zarten, jugendlichen Stirn. »Ich bin so kindisch, aber ich habe doch solche Angst, daß ich etwas Falsches mache. Und ich könnte es nicht ertragen, wenn mich kein einziger der jungen Herren heute abend zum Tanzen auffordert.«

Trevor versteifte sich und blickte auf das hübsche junge Mädchen, auf seine geliebte, kleine Schwester herunter. Ein schmerzvolles Funkeln erschien in seinen nußbraunen Augen. Er streichelte ihre wilden schwarzen Locken und drückte sie plötzlich fest an sich.

»Nanu, Trevor. Was ist denn los?« fragte Mara, als er sie schließlich losließ.

»Mara, du darfst niemals daran zweifeln, daß ich alles für dich tun würde. Ich will, daß dieser Ball so wundervoll wird, wie du ihn dir erträumst. Ich habe alles, was in meiner Macht stand, getan, damit es so kommt.«

»Das weiß ich. Aber warum dieser feierliche Ernst?«

Er lächelte, aber die Melancholie in seinen Augen blieb – wie immer. »Bin ich feierlich ernst?«

»Ja, und zwar schrecklich.«

»Nun, du kennst mich ja. Ich bin eben niemals so lustig aufgelegt wie Eagan.«

»Deswegen habe ich dich trotzdem genauso lieb.«

Trevor starrte sie einen Moment an und spürte, wie sich in ihm das Wesen ihrer Mutter oder etwas, das tief in seinem Herzen verborgen war, regte. Doch schnell faßte er sich wieder und nahm seine übliche steife Haltung an. Er küßte Maras Hand und bedeutete Peg, fortzufahren. Er gab ihr ausdrückliche Anweisungen, beim Frisieren von Maras Haar auf ihren gesunden, irischen Menschenverstand zu hören und nicht auf die Vorlieben seiner Schwester, und ging dann gestützt auf seinen Stock zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um, nur um Mara und Peg bereits in heftiger Diskussion über die Frisur zu finden. Er lächelte und merkte, daß er das Zimmer nur widerwillig verließ. Denn noch war Mara so glücklich, noch strahlten ihre Augen vor Freude auf den kommenden Ball.

Die Louis XIV.-Uhr im Salon der Sheridans schlug achtmal, und mit jedem Läuten schien der Ton endlos durch den gewaltigen Besitz widerzuhallen, bis der letzte Schlag wie ein fernes Stöhnen der Verzweiflung verklang. In diesem Moment kam Eagan pünktlich und mit fröhlichem Gesicht die Treppe herunter. Er führte Mara an seinem Arm, die ihr Haar in einem bescheidenen Knoten, der im Nacken mit dem Lilienkranz zusammengewunden war, trug. Sie sah bezaubernd aus, aber Trevor sah sie nicht an. Er wies den Butler an, Mara zu dieser außergewöhnlichen Gelegenheit Sherry einzuschenken, und als dieser kam und Eagans Glas wieder mit Brandy aufgefüllt war, überließ er seinem Bruder die Unterhaltung.

Der schlimmste Moment kam, als die große goldverzierte Uhr die halbe Stunde schlug. Mara wartete immer noch auf ihre Gäste, noch lag brennende, nur leicht gedämpfte Hoffnung in ihrem Augen. Trevor starrte ins Feuer oder in sein Glas und wandte sich nur ein-, zweimal an seine Geschwister.

Um neun Uhr erkannte selbst Mara, daß etwas nicht stimmte, doch sie zwang sich, ihre Sorgen nicht auszusprechen. Die Unterhaltung mit Eagan erstarb, und alle drei warteten. Sie waren sich nicht sicher, auf was.

Als die Uhr zehn schlug, herrschte im Salon Grabesstimmung. Keiner sprach. Eagan stürzte den Brandy hinunter, und sein attraktives Gesicht war ungewöhnlich finster. Trevor stand immer noch am Kamin, und seine Züge waren zu einer ausdruckslosen Maske erstarrt. Mara betrachtete ihre Hände. Doch als der letzte Ton erklang, ertrug sie es nicht länger. Sie stand auf und nahm langsam die Blumen aus ihrem Haar. Niedergeschlagen ging sie auf die Tür zu, ihre Schritte waren schwer und müde.

»Mara«, flüsterte Trevor schließlich. Sie blieb stehen. »Ich werde es ihnen heimzahlen, und wenn es das letzte ist, was ich tue.« In seiner Stimme lag sowohl heißer Zorn als auch eiskalter Haß.

Mara drehte sich um, und ihr schönes, junges Gesicht war nun weitaus weniger unschuldig als noch zwei Stunden zuvor. »Nein, Trevor«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Denk daran, was Mrs. Mellenthorp gesagt hat: ›Unhöflichkeit ist nur bei anderen, niemals bei sich selbst zu tolerieren‹!« Er fing ihren Blick auf, und plötzlich brach sie in Tränen aus. Dann rannte sie aus dem Salon und hinterließ eine Spur von zerdrückten Blumen auf dem Boden.

Das einzige, was nun noch zu hören war, war der Laut von Trevors Stock auf den Fliesen, als er durch das Foyer schritt. Eagan blieb im Salon und fand kalten Trost in einem weiteren Brandy. Doch Sheridan war nicht auf diese Art zu besänftigen. Er trat ins Speisezimmer, das immer noch in Erwartung des großen Dinners, das hätte stattfinden sollen, dekoriert war. Er ließ seine Augen umherwandern, bis sein Blick an den Kleeblatt-Zierbäumen hängenblieb, die ihn nun zu verhöhnen schienen, und ihre Formen nahmen in dem riesigen, verlassenen Raum fast mythische Proportionen an. Ein tropfendes Geräusch lenkte seine Aufmerksamkeit auf die gedeckte Tafel. Die Eisskulptur auf dem Tischaufsatz – einst ein Meisterwerk – war nun eine geschmolzene, groteske Karikatur ihrer vorherigen Gestalt. Die Rosen und Lilien darunter welkten fast unmerklich, aber Trevor sah es dennoch, und sein Ausdruck wurde noch härter.

Er trat an den Tisch und berührte den Rand eines der kobaltblauen Kelche. Aber als er gedankenverloren darauf blickte, zerbrach etwas in ihm. Vielleicht dachte er daran, daß dieser Kelch mit einem Trinkspruch auf seine Schwester gehoben werden und nicht leer und unbenutzt auf der Tafel stehen sollte. Jedenfalls überfiel ihn der Wutanfall ohne Warnung. Plötzlich riß er den Ebenholzstock hoch und schlug ihn mit voller Wucht auf den Tisch. Glas und Porzellan zerbrachen in tausend Stücke, zerschellten auf dem Boden, Rosen und Lilien wurden mitgerissen und flogen umher. Dann ging er mit beängstigend ruhigem und überlegtem Gesichtsausdruck um den Tisch herum und zertrümmerte jedes einzelne Weinglas bedächtig und gezielt.

Als der letzte Kelch zerstört war, der letzte Teller in Scherben lag und die letzte Rose kraftlos auf dem Marmorboden lag, richtete Trevor sich auf und blickte auf seine Hand herab, die den Stock umklammerte. Blut tropfte aus unzähligen kleinen Schnitten, die seine Wut und herumfliegende Scherben ihm beigebracht hatten. Er betrachtete die roten Tropfen auf der schneeweißen Tischdecke. Sie kamen ihm vor wie das Blut einer Jungfrau auf dem Laken ihrer Hochzeitsnacht – wie das endgültige Symbol für Maras verlorene Unschuld. Nichts konnte seine Qual lindern, nichts seinen brennenden Haß ersticken, nichts seinen Rachedurst löschen. Er rief nach dem Butler.

Whittaker kam, und sein professioneller Gleichmut ließ sich weder durch den Anblick der Vernichtung noch durch das Knirschen von dem zerstörten, sündhaft teurem Porzellan unter seinen Füßen ins Wanken bringen. Schließlich war er ein englischer Butler und darauf trainiert, über den Anfällen seines Herrn zu stehen.

»Was kann ich für Sie tun, Sir?« fragte Whittaker mit einer Verbeugung.

»Bring mir die Gästeliste!« Sheridan sah ihn nicht einmal an, sondern starrte rachsüchtig auf die Zierbäume.

»Sehr wohl, Sir. Vielen Dank, Sir.« Whittaker verbeugte sich erneut und ging dann, um den Auftrag des Hausherrn auszuführen, Wobei das Lächeln auf seinem gealterten Gesicht der einzige Hinweis darauf war, daß er nicht so unbeteiligt war, wie er sich gab. Natürlich war Whittaker mit seiner britischen Erziehung ein Verfechter der Mellenthorp’schen Etikette. Doch er wußte auch, was an seinem Arbeitsplatz vor sich ging. Wie auch der Rest des gesamten Haushaltes hatte er durchaus mitbekommen, daß Miss Mara sich oben in ihrer Suite die Augen ausweinte. Und so führte er den Auftrag seines Herrn mit noch größerer Gewissenhaftigkeit als sonst aus, denn trotz seiner Effizienz in Wohlerzogenheit und Dienstbarkeit war Whittaker der Ansicht, daß es eine Zeit für Rache gab. Und die war nun schließlich gekommen.

Kapitel 3

Der Commodore Club war ziemlich voll. Es war Mittag und die alten reichen Männer saßen in den dunkelroten Ledersesseln und lasen die neueste Ausgabe des Banker’s Magazine. Hoffnungsvolle Investoren scharten sich um den Fernschreiber neben dem Empfang und beteten still, daß der Silberpreis oder die Erieanteile steigen würden, auf daß ihr Einkommen aufgestockt wurde.

Der Commodore Club war die Wasserstelle der Wall Street, einer jener seltenen Orte, wo altes Geld dem neuem Reichtum die Hand reichte. Obwohl die Frauen der Knickerbocker-Gesellschaft sich nicht einmal träumen lassen würden, ihren Tee mit suspekten Personen unter ihrem Stand einzunehmen – selbst wenn diese Personen fünfmal so reich waren wie sie – machten sich ihre Männer wenig daraus – solange sie sich im Commodore Club aufhielten. Dort mischten sie sich eifrig unter die Nouveaux Riches, wenn auch in erster Linie, um ihr Vermögen zu vergrößern. Denn schließlich waren ihre Frauen mit all ihren steifen Regeln und ihrer Überheblichkeit eine recht bornierte Schar, und der Unterhalt einer Mätresse wurde immer teurer. Selbst der alte William B. Astor verkehrte bedenkenlos mit den jungen Mächtigen der Wall Street. Im Commodore Club ließ er sich sogar mit seinem Zweitnamen Backhouse anreden, vor allem, weil Mrs. Astor ihm untersagt hatte, ihn jemals wieder zu gebrauchen. Laut ihrer Aussage erinnerte der Name sie an »alle Arten von Vulgaritäten«.

So konsumierten also Alteingesessene und Aufsteiger in trauter Gemeinsamkeit ihren Brandy und ihre Zigarren im Commodore Club, fachsimpelten über Bullen und Bären5, aber am liebsten sprachen sie über den Raubvogel. Sie analysierten bis ins letzte Detail, wie es ihm mit dem Comstock Lode ergangen war, und ob sich seine Investitionen bei der Marine Bank rentieren würden. Natürlich hätten die meisten dieser Männer ihn nicht zu einer Abendgesellschaft eingeladen oder auch nur ihren Frauen erlaubt, mit den weiblichen Sheridans zu verkehren. Aber um einen wertvollen Tip in Börsengeschäften zu bekommen, hätten sie nur zu gerne ihre Mätressen mit ihm geteilt oder sich sogar herabgelassen, über einen seiner primitiven, irischen Witze zu lachen.

Heute waren die Knickerbocker noch bereit zu lachen. Morgen würden sie es nicht mehr sein.

Scheinbar unbeteiligt saß Trevor Sheridan in einer Ecke des Speisezimmers und aß mit seinem Bruder ausgerechnet Corned Beef und Kohl. Gelegentlich sah einer der Gentlemen von seinem Tisch auf und blickte zu den Sheridans herüber, doch da sich keine lohnende Aktivität bemerkbar zu machen schien, wandte er sich, bald wieder seinem Mahl zu. Dies setzte sich fort, bis Sheridan ein Glas des besten Brandys – Eagan hatte darauf bestanden – genoß und sich danach eine Tasse starken Kaffees genehmigte.

Die Atmosphäre im Speisezimmer war gespannt. Selbstverständlich wußte jeder von dem mißlungenen Debüt von Sheridans kleiner Schwester. Aber das wurde überschattet von der Tatsache, daß heute Dienstag war. Und Dienstag war der Tag, an dem Sheridan kaufte.

James Fitzsimmons betrat den Raum, und sofort schauten alle zu ihm. Fitzsimmons war Sheridans rechte Hand. Man konnte seine Uhr nach ihm stellen, denn jeden Dienstag um Punkt zwei Uhr mittags kam er in den Club und ging direkt zu Sheridans Tisch. Dort schrieb der Raubvogel seine Anweisungen auf eine Serviette und entließ James Fitzsimmons, der sich mit dem Tuch in der Hand sofort auf den Weg machte, die Käufe zu tätigen.

So auch diesmal. Der Raubvogel schrieb, und alle Augen folgten seiner Hand, als könnten sie aus den Bewegungen die Buchstaben entziffern und die geheiligten Wörter lesen: Silberbarren, Western Union, Chesapeak Railroad. Was immer es war, der Raubvogel fehlte praktisch nie, und diejenigen, die das Glück hatten, in seinem Kielwasser mitschwimmen zu können, würden einen unfaßbaren Gewinn einstreichen.

Sheridan beendete seine Auftragserteilung mit einem schwungvollen Strich und gab sie Fitzsimmons. Fitzsimmons verbeugte sich und machte auf dem Absatz kehrt.

Dann geschah das Unfaßbare.

Einigen Knickerbockern mußte es vorkommen, als würde das Glück persönlich in ihrem Schoß landen, als sie sahen, wie die Serviette aus Fitzsimmons Hand glitt. Das Leinen flatterte zu Boden und die Schrift war für alle lesbar, die in Sichtweite saßen. Das Geräusch von einem kollektiven Luftholen ging durch den Raum, als sie versuchten, alles zu entziffern. Dann hob Fitzsimmons das Tuch wieder auf und steckte es in die Tasche, als wäre nichts geschehen. Sheridan, in der Ecke des Speisezimmers, hob nur leicht den Kopf. Offenbar hatte er Fitzsimmons Ungeschicklichkeit nicht einmal bemerkt. Die Männer rieben sich plötzlich die Hände.

Einer nach dem anderen verließ den Speisesaal, jeder mit einer anderen Entschuldigung, jeder mit demselben Ziel und demselben Namen in seinem Kopf: Jubilee Patent Laces.

Eagan allerdings hatte die Serviette fallen sehen. Er erbleichte und wäre fast aufgesprungen, hätte sein Bruder ihm nicht heimlich die Hand auf den Arm gelegt. Eagan sah ihn an und sagte: »Trevor. Sie haben es alle gesehen. Wir müssen Fitzsimmons warnen, den Kauf nicht zu tätigen!«

»Warte«, war alles, was Sheridan dazu sagte.

Immer mehr Männer verließen das Zimmer. Schließlich waren nur noch der chinesische Hilfskellner und der alte Cyrus Field anwesend, der zu blind und taub war, um noch etwas anderes zu sehen als das Stück Fleisch auf seinem Teller, das sein Diener ihm in mundgerechte Häppchen schnitt.

»Himmel, Trevor, was hast du vor? Die Aktien sind doch wertlos, wenn du und der Rest des Clubs sie kaufen«, flüsterte Eagan.

»Es sind Jubilee Patent Laces!«

Eagan machte ein Gesicht, als hätte man ihn gerade geohrfeigt.

»Die sind doch noch nicht mal das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurden! Das weiß doch jeder. Jubilee kann jeden Tag in Konkurs gehen! Bist du verrückt geworden?«

Sheridan stand auf, als hätte Eagan nichts gesagt. »Was meinst du, Eagan, sollen wir Fitzsimmons morgen freigeben? Er hat heute gute Arbeit geleistet, findest du nicht?«

Eagan sah zu seinem Bruder hoch und kniff die Augen leicht zusammen. »Was hast du da eben getan? Du … du hast einfach … ?«

»Fitzsimmons bietet heute nicht für mich«, erklärte Sheridan. »Ich glaube allerdings nicht, daß einer unserer Herren aus diesem Raum dies bemerken wird. Sie werden zu gierig sein, Jubilee aufzukaufen!«

Endlich dämmerte Eagan, was Trevor vorhatte. Doch gleichzeitig kamen ihm auch die Zweifel. »Aber nicht alle Männer, die eben rausgelaufen sind, waren gestern bei uns eingeladen, Trevor. Du hast Menschen ruiniert, die nichts mit uns zu schaffen haben.«

Sheridan schoß herum und flüsterte bitter: »Weißt du, wie sie Mara heute nach dieser Enttäuschung nennen? Die irische Hure! Man hat mir erzählt, daß einige Männer hier im Club Wetten darauf abgeschlossen haben, wer sie zu seiner Mätresse machen kann. Wenn ich jemals ihre Namen bekomme, dann – das schwöre ich! – erleben sie’ keinen weiteren Tag an der Börse!«

Zorn und Unglaube drückte sich in Eagans Miene aus. Wie betäubt stand er auf und blickte aus dem Fenster über die Broad Street zur Börse hinüber. »Wenn das so ist, warst du noch zu gnädig«, sagte er endlich.

»Ich bin noch nicht fertig!«

Sheridan wandte sich um und ging. Er schlenderte aus dem Speiseraum, und die einzigen Laute, die man hörte, war das hartnäckige Mahlen von Cyrus Fields Gebiß und das ferne Klicken des Spazierstocks auf dem Marmorboden.

»Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt!«

Der Priester, der seit sechs Stunden die gleichen Worte hörte, setzte sich plötzlich kerzengerade auf. Seine tränenden Augen starrten angestrengt auf das kleine, vergitterte Fenster des engen Beichtstuhls, das die Sünder von dem Priester trennte. Natürlich konnte er nichts erkennen, doch das brauchte er auch nicht. Er wußte, wessen Stimme da gesprochen hatte. Er kannte sie so gut wie die Perlen seines Rosenkranzes. Es war Trevor Byrne Sheridan, der Trevor Byrne Sheridan von der Wall Street, der die Sheridan Bank und mehr Eisenbahnen und Silberminen besaß, als er aufzählen konnte. Aber wichtiger noch – es war der Sheridan, dessen Geld letzten Winter der Kapelle ein neues Dach beschert hatte und der als einziger Mittel für das Waisenhaus in Five Points bereitstellte. Es war der Mann, von dem der Bischof einmal gesagt hatte, ihm gehörte fast ein Viertel von Manhattan, den kostbaren Schmutz unter St. Brendan eingeschlossen.

Der alte Vater Donegal rückte nervös seine Brille zurecht und begann zu lauschen, als würde ihm der Bischof persönlich im Nacken sitzen.

»Es ist ein Jahr her, seit ich zum letzten Mal gebeichtet habe.« Sheridans Schatten bewegte sich, als würde er den Kopf senken. »Ich behandele andere Menschen unfair, Vater. Ich nehme ihnen ihr Geld ab. Dafür und für all meine anderen Sünden bitte ich um Vergebung.«

»Hast du es ihnen gestohlen?« Der Priester wischte sich den Schweiß von der Stirn. Das letzte, was er sich zu hören wünschte, war das Geständnis, daß das Waisenhaus in Five Points durch Mittel aus Diebstählen unterhalten wurde.

»Nein, Vater. Ich bestehle sie nicht. Ich sorge einfach nur dafür, daß sie ihr Geld verlieren. Und weil ich weiß, daß dies eine Sünde ist, ich es aber dennoch tun muß, bitte ich um Vergebung!«

»Erzähle mir, wie du das machst«, fragte der Priester, dessen Neugier nun überwog.

»Das ist eine lange Geschichte!«

»Fang an, und du wirst Vergebung finden!«

»Vor drei Tagen habe ich im Commodore Club zu Mittag gegessen. Es war viel los an der Börse an diesem Tag, und ich habe dafür gesorgt, daß noch mehr los war …« Und so fuhr Sheridan mit seiner Beichte fort, bis er, der Sünder, meinte, genug gebeichtet zu haben.

»Was sagt Ihr dazu, Vater?« fragte Sheridan schließlich, als er geendet hatte. »Was legt Ihr mir als Buße auf?«

Der Priester hatte schon viel im Leben erfahren, aber er hatte noch nie von solchen Geschäften gehört. Er hatte nicht gewußt, daß so viel Geld an nur einem Tag den Besitzer wechseln konnte. In seiner Verblüffung murmelte er nur: »Als Buße sollst du hundert Rosenkränze beten!«

»Hundert Rosenkränze?« platzte die entsetzte Stimme hinter dem Fensterchen heraus? »Gibt es keine andere Möglichkeit?«

Vater Donegal rutschte fast von seinem harten Eichenstuhl herunter.

»Wieviel … wieviel Geld genau willst du diesen Männern denn abnehmen?«

»Na ja, zusammengerechnet so um die drei Millionen Dollar, denke ich.«

Der Priester war so schockiert, daß ihm der Mund offenstehen blieb.

»Sagen wir drei Rosenkränze. Einen für jede Million. Wird das reichen?«

Der Priester nickte lahm, fing sich schließlich aber wieder. Mit dem größtmöglichen Selbstvertrauen krächzte er: »Du kannst nicht um deine Seele handeln, Sohn. Du mußt auch deinen guten Willen zur Versöhnung zeigen. Du wirst den Männern das Geld zurückgeben!«

»Das ist unmöglich, Vater!«

»Du mußt Wiedergutmachung leisten!«