Der Schelm von Venedig - Christopher Moore - E-Book

Der Schelm von Venedig E-Book

Christopher Moore

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Beschreibung

Der Hofnarr Pocket trauert um seine geliebte Cordelia, Königin von England, die vor Kurzem einem mysteriösen Fieber erlag. Vor ihrem Tod hatte sie Pocket gebeten, nach Venedig zu reisen, um die Mächtigen der Stadt von einem Krieg abzuhalten. Pocket macht sich auf den Weg, aber als er in Venedig ankommt, muss er nicht nur erfahren, dass Cordelia in Wahrheit Opfer eines Giftanschlags wurde, er wird auch noch bei lebendigem Leib in einen Keller eingemauert. Hinter alldem stecken der Senator Brabantio und der Kaufmann Antonio, die alles tun, um ihre Kriegspläne durchzusetzen. Pocket schwört Rache – wenn er sich nur erst einmal aus seinem Verlies befreien könnte ...

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Seitenzahl: 525

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Buch

Der Hofnarr Pocket ist nach Venedig gereist, um im Auftrag seiner geliebten Cordelia, der Königin von England, die Mächtigen der Stadt davon abzuhalten, einen Krieg anzuzetteln. Überschattet wird die Reise von seiner Trauer, denn Cordelia ist vor Kurzem an einem mysteriösen Fieber verstorben. Kaum in Venedig angekommen, fällt Pocket einer Intrige zum Opfer und wird bei lebendigem Leib in einem Keller eingemauert. Zudem muss er auch noch erfahren, dass Cordelia in Wahrheit ermordet wurde und dass hinter alldem der Senator Brabantio und der Kaufmann Antonio stecken. Pocket schwört Rache – doch erst einmal muss er sich aus seinem Kellergrab befreien, in dem er immer häufiger Besuch von einem unheimlichen Seewesen bekommt …

Weitere Informationen zu Christopher Moore sowie zu lieferbaren Titeln des Autors finden Sie am Ende des Buches.

Christopher Moore

Der Schelm von Venedig

Roman

Deutsch von Jörn Ingwersen

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »The Serpent of Venice« bei William Morrow, an imprint of HarperCollinsPublishers, New York.Die Shakespeare-Zitate wurden der Übersetzung von A. W. Schlegel und D. und L. Tieck entnommen.

1. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 2014 by Christopher Moore

All rights reserved.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur München

Umschlagmotiv: gettyimages / E+ / craftvision; FinePic®, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-13075-6

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Personen

Chorus

ein Erzähler

Antonio

ein venezianischer Kaufmann

Brabantio

ein römischer Senator, Vater von Desdemona und Portia

Jago

ein Soldat

Rodrigo

ein Kavalier und Soldat, Freund von Jago

Pocket

ein Narr

Portia

eine Dame, jüngere Tochter von Brabantio, Schwester von Desdemona

Nerissa

Portias Dienstmagd

Desdemona

eine Dame, ältere Tochter von Brabantio, Schwester von Portia

Emilia

Jagos Frau, Desdemonas Dienstmagd

Othello

ein Mohr, oberster General des venezianischen Militärs

Shylock

ein Jude, venezianischer Geldverleiher, Jessicas Vater

Jessica

Shylocks Tochter

Bassanio

Freund Antonios, Freier der Portia

Lorenzo

Freund Antonios, Freier der Jessica

Gratiano

junger Freund Antonios, ein Kaufmann

Salanio

junger Freund Antonios, ein Kaufmann

Salarino

ebenfalls ein junger Freund Antonios, austauschbar mit Salanio, könnte einem Tippfehler entsprungen sein

Drool

ein Narrenlehrling

Jeff

ein Affe

Cordelia

ein Geist – ohne Geist geht’s nicht.

Die Szenerie

Der Schauplatz ist ein mythisches Italien des späten 13. Jahrhunderts, in dem unabhängige Stadtstaaten miteinander Handel treiben und gegeneinander Kriege führen. Seit fünfzig Jahren ringt Venedig mit Genua um die Kontrolle der Schiffsrouten in den Orient und zum Heiligen Land.

Venedig ist seit fünfhundert Jahren unabhängige Republik, regiert von einem gewählten Senat, bestehend aus vierhundertachtzig Männern, die wiederum einen Dogen wählen, welcher mit Hilfe eines Hohen Rates von sechs Senatoren den Senat, das Militär und die Vergabe öffentlicher Posten überwacht. Senatoren entstammen meist den Reihen der mächtigen, venezianischen Kaufleute, die bis vor Kurzem noch vom Volk gewählt werden konnten und aus den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppierungen stammten. Doch das System, das Venedig zur reichsten und mächtigsten Seefahrernation der Welt macht, steht im Begriff, sich zu verändern. Erst kürzlich beschlossen privilegierte Senatoren, ihre Posten vererbbar zu machen, um ihren Reichtum und den Fortbestand ihrer Macht zu sichern.

Zwar sind die meisten Personen Venezianer, doch sprechen merkwürdigerweise eigentlich alle Englisch, noch dazu mit angelsächsischem Tonfall.

Sofern nicht anders beschrieben, ist davon auszugehen, dass feuchte Wetterbedingungen herrschen.

1. Akt Das Schicksal Fortunatos

Aus Höll’ und Nacht sei diese Untat an das Licht gebracht.

Jago, Othello, 1. Akt, 3. Szene

CHORUS:

BESCHWÖRUNG

Erhebe dich, o Muse!

Du Geist aus dunklem Nass

Bring fesselnd Spiel

Ans Licht des Tags.

Erhebe dich, o Muse!

Auf Schwanz und Flosse

Mit Klauen und Zähnen

Zerreiß den Schleier dieser Posse.

Komm, o Muse!

Unterm Schiff im Hafen,

Unterm Fackelschein der Nacht,

Wenn alle Schiffer schlafen.

Gen Venedig, o Muse!

Versprüh dein köstlich Gift,

Treib die Feder dieses Schreiberlings,

Damit die Mär uns trifft.

So künde, o Muse, dein Klagen

Von Trauer, Krieg und Tücke,

Von verlogener Liebesmüh’ und

Liederlichstem Rumgeficke …

1 Die Falle

Sie warteten am Hafen, die drei Venezianer, und harrten der Ankunft des Narren.

»Eine Stunde nach Sonnenuntergang, hatte ich ihm gesagt«, meinte der Senator, ein krummer Graubart in prunkvoll bestickter Brokatrobe, die seinem Amt entsprach. »Ich habe persönlich eine Gondel geschickt, um ihn abzuholen.«

»Aye, er wird schon kommen«, sagte der Soldat, ein breitschultriger Rohling von vierzig Jahren, in Leder und grobes Leinen gekleidet. Er trug Schwert und Dolch am Gürtel, hatte einen schwarzen Bart und eine Narbe durch die rechte Augenbraue, die ihn stets verwundert oder argwöhnisch dreinblicken ließ. »Er hält sich für einen Kenner und kann der Versuchung Eures Weinkellers nicht widerstehen. Wenn es getan ist, haben wir mehr zu feiern als nur den Karneval.«

»Und doch stimmt es mich traurig«, sagte der Kaufmann. Ein feiner Herr mit weichen Händen und heller Haut, der einen hübschen, samtenen Schlapphut trug, dazu einen güldenen Ring von der Größe einer kleinen Maus, mit welchem er Verträge besiegelte. »Fürwahr, ich weiß gar nicht, wieso.«

Über die Lagune von Venedig hinweg hörten sie in der Ferne den Klang von Flöten, Trommeln und Hörnern. Fackeln tanzten am Ufer beim Markusplatz. Hinter den drei Männern ragte das dunkle Anwesen des Senators auf, die Villa Belmont, nur von einer Sturmlaterne in einem der oberen Fenster beleuchtet, ein Licht, das einem Gondoliere helfen mochte, die private Insel anzusteuern. Draußen auf dem Wasser hatten die Fischer Fackeln entzündet, die wie trunkene Sterne auf tintenschwarzen Fluten schwankten. Auch während des Karnevals musste die Stadt essen.

Der Senator legte dem Kaufmann eine Hand auf die Schulter. »Wir erweisen Gott und dem Staat einen Dienst, erleichtern ihm das Herz und das Gewissen – eine Läuterung, die unserem Vorhaben einige Türen öffnet. Denkt nur an das gewaltige Vermögen, das Euch zuteil wird, sobald die Ratte aus dem Kornspeicher vertrieben ist.«

»Aber sein Äffchen mag ich eigentlich ganz gern«, sagte der Kaufmann.

Der Soldat grinste und kratzte sich am Bart, um zu verbergen, dass er sich amüsierte. »Habt Ihr dafür gesorgt, dass er allein kommt?«

»Es war Bedingung für seine Einladung«, sagte der Senator. »Ich habe ihm erklärt, schon aus christlicher Nächstenliebe müsse er seinen Dienern Gelegenheit geben, am Karneval teilzunehmen, ganz wie ich es mit meiner Dienerschaft handhabe.«

»Geschickt eingefädelt«, sagte der Soldat mit Blick auf die unbeleuchtete Villa. »So wird er sich nichts dabei denken, wenn er keine Diener sieht.«

»Äffchen können schrecklich schwer zu fangen sein«, sagte der Kaufmann.

»Vergesst doch endlich mal diesen Affen«, knurrte der Soldat.

»Ich habe ihm gesagt, dass meine Tochter sich vor Affen fürchtet und mit ihnen nicht im selben Raum sein kann.«

»Aber sie ist doch gar nicht da«, sagte der Kaufmann.

»Das weiß der Narr ja nicht«, sagte der Soldat. »Unser tapferer Montressor würde selbst seine jüngere Tochter als Köder auswerfen, obwohl ein Schwarzbarsch ihm die Älteste vom Haken geschnappt hat.«

»Des Senators Verlust schmerzt auch ohne Eure Stichelei schon genug«, sagte der Kaufmann. »Verfolgen wir denn nicht dasselbe Ziel? Euer Witz ist zu böse, um gewitzt zu sein. Er ist nur grob und grausam.«

»Aber holder Antonio«, sagte der Soldat. »Ich bin zugleich listig, grob und grausam, was für Euer Unterfangen durchaus von Vorteil ist. Oder möchtet Ihr Euch lieber mit der mildtätigen Klinge eines vornehmeren Schwertes verbünden?« Er legte eine Hand auf das Heft seines Schwertes.

Der Kaufmann blickte auf die dunklen Fluten hinaus.

»Dachte ich mir«, sagte der Soldat.

»Setzt freundliche Gesichter auf, Ihr zwei!« Der Senator trat zwischen die beiden und blinzelte in die Nacht. »Das Boot des Narren naht. Dort drüben!«

Inmitten der Fischerboote schwankte eine hellere Laterne, die sich langsam aus deren Reihen löste. Bald darauf schon glitt die Gondel an den Kai. Der Gondoliere ging so geschickt mit seinem Ruder um, dass er die Reling des schwarzen Bootes bis auf eine Handbreit an den Steg manövrierte. Die Tür der Felze klappte auf, und ihr entstieg ein kleiner, drahtiger Mann in schwarz-silbernem Narrenrock und der Maske eines Harlekins. Seiner Größe nach zu urteilen hätte man ihn für einen Knaben halten können, doch sein übergroßer Hosenbeutel und der Schatten eines Bartes auf den Wangen verrieten sein wahres Alter.

»Nur eine einzige Laterne?«, fragte der Harlekin und hüpfte auf den Holzsteg. »Hättet Ihr nicht vielleicht noch ein, zwei Fackeln zusätzlich spendieren können, Brabantio? Hier draußen ist es finster wie im Hodensack der Nacht.« Er stolzierte an dem Soldaten und am Kaufmann vorbei. »Arschkriecher«, raunte er ihnen zu, und schon war er auf dem Weg hinauf zur Villa, wobei er im Gehen ein puppenköpfiges Narrenzepter schwang wie ein Tambourmajor. Der Senator trabte hinterher und hielt die Laterne hoch, um ihnen den Weg zu leuchten.

»Dieser Abend lässt Großes hoffen, Fortunato«, sagte der Senator. »Und ich habe die Dienerschaft schon vor Einbruch der Dunkelheit fortgeschickt, also …«

»Nennt mich Pocket«, sagte der Narr. »Nur der Doge nennt mich Fortunato. Und ich frage mich, ob er nicht alle Welt so nennen sollte, wenn man sieht, wie selten blöd er sich beim Kartenspiel anstellt.«

Einmal mehr griff der Soldat auf dem Steg nach dem Heft seines Schwertes und sagte: »Bei allen Heiligen, am liebsten möchte ich ihm meine Klinge gleich hier und jetzt in die Leber bohren und ihn hochheben, um zu sehen, wie er zuckt und ihm das arrogante Grinsen vergeht. Oh, wie ich diesen Narren hasse!«

Lächelnd presste der Kaufmann seine Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während er die Schwerthand des Soldaten niederdrückte und zum Gondoliere hinübernickte, der bei seinem Boot stand und wartete. »Ich doch auch – in diesem Schauspiel, das wir zum Karneval aufführen, in dem er den spöttelnden Clown gibt. Ha! Der Pulchinello in unserer kleinen Komödie – ein großer Spaß, habe ich nicht recht?«

Der Soldat blickte zu dem Bootsführer und zwang sich zu einem Grinsen. »Recht habt Ihr. Ein großer Spaß. Ich spiele meine Rolle einfach zu gut. Einen Moment, Signor. Ich will mich erkundigen, wie Ihr weiter zu verfahren habt.« Er wandte sich um und rief den Weg hinauf: »Montressor! Der Gondoliere?«

»Zahlt ihn aus und sagt ihm, er kann fahren und sich amüsieren. Um Mitternacht soll er wieder hier sein.«

»Ihr habt ihn gehört«, sagte der Soldat. »Geht feiern, aber nicht, dass Ihr nachher Euer Boot nicht mehr lenken könnt. Ich möchte heute Nacht in meinem eigenen Bett schlafen. Zahlt ihn aus, Antonio.« Der Soldat machte kehrt und stapfte den Weg hinauf.

»Ich? Wieso immer ich?« Er griff in seinen Geldbeutel. »Sei’s drum, meinetwegen.« Der Kaufmann warf dem Gondoliere eine Münze zu, der sie aus der Luft fing und sich dankend verneigte. »Dann also um Mitternacht.«

»Um Mitternacht, Signor«, sagte der Gondoliere, der sein Ruder drehte, was die Gondel lautlos und sanft wie ein Messer durch die Nacht gleiten ließ.

Draußen vor dem prunkvollen Eingang des Palazzos blieb der Narr stehen. »Was ist das dort über Eurer Tür, Montressor?« In den Marmor war ein Wappen gehauen, im Dunkeln kaum zu erkennen. Der Senator hob seine Laterne hoch, beleuchtete das Emblem, das einen goldenen Männerfuß zeigte, der auf eine Jade-Schlange trat, während diese ihm die Giftzähne in die Ferse schlug.

»Mein Familienwappen«, sagte der Senator.

»Schätze, da waren den Leuten im Wappenladen wohl die Drachen und Löwen ausgegangen, dass Ihr Euch mit Kleinvieh begnügen musstet, was?«

»Man sollte meinen, Ihr hättet eine bourbonische Lilie einarbeiten lassen«, sagte die Stockpuppe des Narren mit einer Stimme, die etwas höher war als die des Narren. »Montressor ist doch froschfresserisch, oder etwa nicht?«

Der Senator fuhr herum und starrte die Puppe an. »Montressor ist ein Titel, den mir der Doge verliehen hat. Es bedeutet ›mein Schatz‹ und weist darauf hin, dass ich ihm von den sechs Senatoren des Hohen Rates am nächsten stehe. Dies ist das Wappen der Brabantios, welches meine Familie mit Stolz seit vierhundert Jahren trägt. Beachte das Motto, Narr: ›Nemo me impune lacessit.‹« Bei jeder Silbe ließ er die Lampe hüpfen. »Es bedeutet: Niemand reizt mich ungestraft.«

»Na, froschfresserisch ist das aber nicht«, sagte die Puppe und wandte sich dem Narren zu.

»Nein«, sagte der Narr. »Jones, die Puppe, spricht recht fließend Froschfresserisch«, erklärte er dem Senator.

»Aber Montressor ist doch froschfresserisch, oder?«

»Froschig wie ein Sommertag auf der Seine«, antwortete der Narr.

»Dachte ich mir«, sagte die Puppe.

»Hör auf, mit dieser Puppe zu reden!«, bellte der Senator.

»Nun, eben habt Ihr sie noch selbst angeschrien«, sagte der Narr.

»Und jetzt schreie ich dich an! Du bewegst den Mund der Puppe und gibst ihr eine Stimme.«

»Nein!«, sagte die Puppe, und der hölzerne Mund blieb offen stehen. Sie sah den Narren an, dann den Senator, dann wieder den Narren. »Der Blödmann hat das Sagen?«

Der Narr nickte. Die Glöckchen an seiner Kappe bimmelten feierlich.

Die Puppe wandte sich dem Senator zu. »Nun, wenn Ihr es denn unbedingt wissen wollt: Das Motto ist geklaut.«

»Was?«, sagte der Senator.

»Ein Plagiat«, erklärte der Narr und nickte ernst, der Überbringer einer traurigen Nachricht.

Der Kaufmann und der Soldat hatten sie mittlerweile eingeholt und konnten erkennen, dass ihr Gastgeber aufgebracht war, also blieben sie unten an der Treppe stehen und sahen zu. Der Soldat griff nach seinem Schwert.

»Es ist das schottische Motto, oder nicht?«, sagte die Puppe. »Der gottverfluchte Fistelorden.«

»Stimmt«, sagte der Narr. »Nur dass es ›Distel‹ heißt, nicht Fistel, Jones, du alter Reimeschmied.«

»Hab ich doch gesagt«, entgegnete Jones, die Puppe. »Du kannst mich mal.«

Der Narr funkelte die Puppe an, dann wandte er sich wieder dem Senator zu. »Dasselbe Motto steht über dem Eingang der Burg von Edinburgh.«

»Das habt Ihr sicher falsch in Erinnerung. Immerhin ist es lateinisch.«

»In der Tat«, sagte der Narr. »Und ich wurde von Nonnen am Busen der Kirche großgezogen. Sprach Lateinisch und Griechisch, bevor ich über die Tischkante sehen konnte. Nein, Montressor, Euer Motto könnte nicht schottischer sein, wenn es blau bemalt wäre und nach brennendem Torf und Eurer rothaarigen Schwester röche.«

»Gestohlen!«, sagte die Puppe. »Geklaut. Gemopst. Stibitzt, wenn man so sagen darf. Ein missbrauchtes Motto, beschmutzt und besudelt.«

»Besudelt?«, sagte der Narr. »Tatsächlich?«

Die Puppe nickte nachdrücklich am Ende ihres Stocks. Der Narr zuckte mit den Schultern und sah den Senator an. »Ein echt beschissenes Wappen und ein höchst besudeltes Motto, Montressor. Bleibt zu hoffen, dass dieser Amontillado, den Ihr mir versprochen habt, uns über die Enttäuschung hinwegtrösten kann.«

Da trat der Kaufmann heran und legte dem Narren eine Hand auf die Schulter. »Dann lasst uns nicht noch mehr Zeit hier draußen im Nebel verschwenden. Auf in den Keller des Senators, auf zu seinem Fass mit exquisitem Amontillado!«

»Ja«, sagte der Senator. Er trat durch die Tür in eine weitläufige Eingangshalle, nahm Fackeln aus einer Truhe, entzündete sie an seiner Laterne und reichte jedem der Gäste eine Fackel. »Vorsicht, Stufe«, sagte der Senator. »Wir steigen uralte Treppen bis ins unterste Kellergeschoss des Palazzos hinab. Einige Gänge sind sehr niedrig, also – Antonio und Jago – stoßt Euch nicht den Kopf.«

»Hat er eben unsere Größe besudelt?«, fragte die Puppe.

»Kann ich so nicht sagen«, antwortete der Narr. »Ich bin mir nicht gänzlich sicher, was besudeln eigentlich heißt. Ich hab nur mitgespielt, weil ich dachte, du weißt, wovon du redest.«

»Still, du Floh«, knurrte der Soldat.

»Das war jetzt aber eine Besudelung«, sagte die Puppe.

»Ach, nun, na dann …«, sagte der Narr. Er hob seine Fackel in die Höhe und beleuchtete eine dicke Schicht von Schimmel an der niedrigen Decke. »Sagt mal, Montressor, erwartet uns die liebreizende Portia hier unten in der Finsternis?«

»Ich fürchte, meine jüngste Tochter wird sich leider nicht zu uns gesellen. Sie ist zum Schuhkauf in Florenz.«

Bald kamen sie in ein breiteres Gewölbe, mit Fässern in den Wänden auf der einen Seite und Regalen voll staubiger Flaschen auf der anderen. In der Mitte stand ein langer Eichentisch mit hohen Stühlen. Der Senator entzündete überall Laternen, bis der ganze Raum in warmem Lichtschein lag, der über die Feuchtigkeit in diesem Gewölbe hinwegtäuschte.

»Auch gut«, sagte der Narr. »Sie würde sowieso nur quengeln, weil es ihr hier zu dunkel ist und zu feucht und Jago nach Tintenfisch stinkt und es ewig dauert, bis man was zu trinken kriegt.«

»Bitte?«, sagte der Soldat.

Der Narr beugte sich zu Antonio und wackelte mit den Augenbrauen, sodass sie über seiner schwarzen Maske tanzten. »Versteht mich nicht falsch, Portia ist zweifellos eine knackige, kleine Fickmaus, aber stachlig wie ein vergoldeter Igel, so sie nicht ihren Willen bekommt.«

Der Senator blickte auf, ein mörderisches Funkeln in den Augen, dann senkte er eilig den Blick und schüttelte sich, fast – wie es schien – vor Vergnügen.

»Ich rieche nicht nach Tintenfisch«, sagte der Soldat, wie überwältigt von einem seltenen Moment der Verunsicherung. Er schnüffelte an der Schulter seines Umhangs, und als er kein tintenfischiges Aroma witterte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Senator zu.

»Wenn Ihr so freundlich wärt, den Amontillado zu dekantieren, Jago«, sagte der Senator, »könnten wir uns daran machen, diesem namhaften Connaisseur seine Meinung zu entlocken.«

»Ich habe nie gesagt, dass ich ein Connaisseur bin, Montressor. Ich habe nur gesagt, dass ich das Zeug schon mal getrunken habe und es nach Büffelhoden schmeckt.«

»Hundeklüten«, sagte die Puppe, um das klarzustellen.

»Als Ihr König von Spanien wart, richtig?«, sagte der Kaufmann grinsend, warf dem Senator einen Blick zu und verdrehte höhnend die Augen.

»Mich schmückten schon diverse Titel«, sagte Fortunato. »Nur der Narr scheint mir anzuhängen.«

Der Soldat klemmte sich ein schweres Fass unter den Arm, als würgte er einen stiernackigen Feind, und füllte einen zerbrechlichen Krug aus Muranoglas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit.

Der Senator sagte: »Der Weinhändler erwartet noch fünf weitere Fässer aus Spanien. Wenn Ihr ihn für echt erklärt, kaufe ich die anderen und lasse Euch zum Dank dafür eins bringen.«

»Dann wollen wir mal probieren«, sagte der Narr. »Obwohl – sofern er nicht von einer angemessen üppigen, samthäutigen Dienstmagd eingeschenkt wird, ist das Erlebnis kaum authentisch zu nennen. Jago wird uns wohl genügen müssen.«

»Ich schätze, es dürfte kaum das erste Mal sein, dass er in diese Rolle schlüpft«, sagte Jones, die Puppe. »In einsamen Nächten auf dem Schlachtfeld und so.«

Der Soldat grinste, stellte das Fass auf den Tisch und schenkte auf ein Nicken des Senators hin den Sherry in vier schwere Gläser mit Zinnfüßen in Form geflügelter Löwen.

»Auf die Republik!«, sagte der Senator und erhob sein Glas.

»Auf Mariä Himmelfahrt!«, sagte der Kaufmann. »Auf den Karneval!«

»Auf Venedig!«, sagte der Soldat.

»Auf die leckere Desdemona!«, sagte der Narr.

Der Kaufmann verschluckte sich fast, als er zum Senator hinübersah, doch der trank in aller Ruhe und stellte dann sein Glas auf den Tisch, ohne den Narren aus den Augen zu lassen.

»Nun?«

Der Narr ließ den Sherry in seinem Mund schwappen, blickte versonnen zur Decke auf, dann schluckte er ihn hinunter, als müsste er eine ganz besonders ekelhafte Medizin einnehmen. Er schüttelte sich, dann sah er über den Rand seines Glases den Senator an. »Ich bin nicht sicher«, antwortete er.

»Nun, dann trinkt noch einen Schluck davon«, sagte der Kaufmann. »Bisweilen spült einem das erste Glas nur den Staub des Tages vom Gaumen.«

Der Narr setzte sich, wie auch die anderen. Man trank noch einmal. Klirrend stellte man die Gläser auf den Tisch. Die drei starrten den Narren an.

»Also?«, fragte Jago.

»Montressor, man hat Euch hinters Licht geführt«, erklärte der Narr. »Das ist kein Amontillado.«

»Nicht?«, sagte der Senator.

»Mir schmeckt er«, sagte der Kaufmann.

»Nein, das ist kein Amontillado«, wiederholte der Narr. »Und an Eurem Gesicht sehe ich, dass Euch dieser Umstand weder überrascht noch enttäuscht. Während wir nun also dieses üble Imitat süffeln – das im Übrigen, wenn man mich fragt, ein wenig nach Pech schmeckt –, wollen wir uns da nicht Euren dunkleren Absichten zuwenden? Dem wahren Grund unserer Zusammenkunft?« Der Narr leerte sein Glas, beugte sich über den Tisch und lächelte, als machte er dem Senator schöne Augen. »Wie wär’s?«

Der Soldat und der Kaufmann starrten den Senator an, der schmunzelte.

»Unsere dunkleren Absichten?«, fragte der Senator.

»Schmeckt nach Pech?«, fragte der Kaufmann.

»Finde ich nicht«, sagte der Soldat und betrachtete sein Glas.

»Haltet Ihr mich für einen Narren?«, fragte der Narr. »Nein, antwortet nicht. Ich meine: Haltet Ihr mich für närrisch? Auch das eine unglücklich formulierte Frage.« Er betrachtete seine Hand und wirkte überrascht, sie am Ende seines Handgelenkes vorzufinden, dann sah er wieder den Senator an. »Ihr habt mich hierherbestellt, um mich zu überreden, dass ich den Dogen zu einem weiteren heiligen Krieg anstifte.«

»Nein«, sagte der Senator.

»Nein? Ihr wollt keinen Krieg?«

»Na ja, schon«, sagte der Soldat. »Aber das ist nicht der Grund, wieso wir Euch hierhergebracht haben.«

»Dann soll ich meinen Freund Othello anflehen, Euch in einem Kreuzzug zu unterstützen, von dem Ihr alle profitieren würdet. Ich wusste es gleich, als ich die Einladung bekam!«

»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht«, sagte der Senator. »Noch etwas Sherry?«

Der Narr richtete seine Kappe, und als die Glöckchen bimmelten, behielt er eines davon im Auge und fiel dabei fast rückwärts von seinem Stuhl.

Antonio, der Kaufmann, fing den Narren auf und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter.

Der Narr machte sich los und musterte den Kaufmann, sah nicht nur in dessen Augen, sondern auch darum herum, als wären sie Fenster zu einem dunklen Haus und er suchte jemanden, der sich darin versteckte.

»Dann wollt Ihr also nicht, dass ich mit meinem Einfluss Frankreich und England dazu bewege, einen Krieg zu unterstützen?«

Der Kaufmann schüttelte den Kopf und lächelte.

»Potz Blitz, dann geht es einzig und allein um schnöde Rache?«

Antonio und Jago nickten.

Der Narr betrachtete den Senator, und es schien, als könnte er den Graubart nicht recht erkennen. »Alle wissen, dass ich hier bin. Manch einer hat gesehen, wie ich an Bord der Gondel ging, um hierherzufahren.«

»Und sie werden sehen, wie ein Narr zurückkehrt«, sagte der Senator.

»Ich bin der Favorit des Dogen«, lallte der Narr. »Er betet mich an.«

»Genau das ist das Problem«, sagte der Senator.

Mit einer einzigen fließenden Bewegung sprang der Narr mitten auf den Tisch, griff hinter sich und brachte ein beängstigend spitzes Wurfmesser hervor, das ihn kurz blendete, als es in seiner Hand aufblitzte. Er wankte und schüttelte den Kopf, als versuchte er, klar zu sehen.

»Gift?«, sagte er irgendwie wehmütig. »Verfickt und zugenäht, ich wurde vergiftet …«

Seine Augen rollten in den Kopf, die Knie gaben nach, dann kippte er mit dumpfem Schlag vornüber auf den Tisch. Das Messer schlidderte klappernd über den Boden.

Die drei sahen den darniederliegenden Fortunato an, dann einander.

Der Soldat tastete am Hals des Narren nach dem Puls. »Er lebt, aber dagegen lässt sich etwas unternehmen.« Er griff nach seinem Dolch.

»Nein«, sagte der Senator. »Helft mir, ihm die Kleider auszuziehen und ihn tiefer ins Kellergewölbe zu schaffen. Dann solltet Ihr lieber gehen. Dann hat er noch gelebt, als Ihr ihn zuletzt saht, und Ihr könnt bei Eurer Seele schwören, dass Ihr mehr nicht wisst.«

Antonio, der Kaufmann, seufzte. »Es ist traurig, dass wir den kleinen Narren töten müssen, der doch, so entsetzlich nervig er auch sein mag, alleweil Heiterkeit und Frohsinn verbreitet. Doch wo Dukaten zu verdienen sind, soll man sie verdienen. Wenn die Profite blühen, muss ein Kaufmann diese pflücken.«

»Auf die Gottespflicht, den Profit und die Republik!«, sagte der Senator.

»Manch Narr fand sein Ende, als er versuchte, sich dem Wind des Krieges zu widersetzen«, sagte Jago. »So wie auch dieser hier.«

2 Die Finsternis

»Was macht Ihr da?«, fragte ich.

»Ich mauere dich im Kerker ein«, sagte der Senator, im Eingang zu der Kammer kauernd, an deren Wand ich gekettet war.

»Nein, tut Ihr nicht«, sagte ich.

In der Tat sah es ganz so aus, als würde er mich einmauern, aber ich wollte es nicht zugeben müssen, nur weil ich nackt und angekettet war und um meine Füße herum das Wasser unablässig stieg. Auf keinen Fall wollte ich das Selbstvertrauen meines Feindes stärken.

»Doch, das tue ich«, sagte er. »Stein für Stein. Das erste Mauerwerk, das ich errichte, seit ich ein Knabe war. Ich glaube, ich muss so etwa zehn Jahre alt gewesen sein, als ich dem Maurer half, der das Haus meines Vaters baute. Nicht dieses natürlich. Dieses Haus befindet sich schon seit Jahrhunderten im Familienbesitz. Und ich glaube, ich war ihm weniger eine Hilfe als im Weg, aber dennoch habe ich etwas gelernt.«

»Nun, Ihr könnt unmöglich noch lästiger gewesen sein, als Ihr es heute seid, also seht zu, dass Ihr fertig werdet.«

Der Senator stach seine Kelle mit solchem Enthusiasmus in den Mörteleimer, als wollte er meine Leber aufspießen. Dann hielt er seine Lampe durch den Eingang in meine kleine Kammer, die er bereits bis über seine Knie zugemauert hatte. Im Lampenschein sah ich, dass ich mich in einem kaum zwei Meter breiten Gang befand, der hinab ins dunkle Wasser führte, welches bereits meine Knöchel umspülte. An der Mauer entdeckte ich eine Hochwassermarke, etwa auf Höhe meiner Brust.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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