Der Seelenfänger von Capri - Klaus Witt - E-Book

Der Seelenfänger von Capri E-Book

Klaus Witt

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Beschreibung

Tiere sind für ihn Brüder und Schwestern. Die Liebe zu ihnen, zu den Pflanzen und zu allem, was lebt, schließt immer Menschenliebe mit ein. Schon als Jugendlicher findet er in den Büchern von Axel Munthe seine Gedanken und Gefühle wieder. So entsteht die Sehnsucht nach Capri. Seine Approbation zum Tierarzt und das Todesurteil Krebs für seine Mutter treffen ihn fast zur gleichen Stunde und so ist es augenblicklich sein innigster Wunsch, der Mutter noch seine Lieblingsinsel zu zeigen.Kaum auf Capri angekommen, lernen sie den charismatischen "Dottore", den Tierarzt der Insel kennen. Ein Seelenfänger. Das blaue Meer, die mediterrane Lebensart, fröhliche Feste, Freundschaft, Liebe, Eros - aber auch Krankheit, Abschied und Tod.Ein zutiefst anrührendes Buch über Menschen und Tiere.

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© Verlag KOMPLETT-MEDIA GmbH

2014, München/Grünwald

www.komplett-media.de

ISBN 978-3-8312-5740-9

Satz: Tim Schulz, Mainz

Design Cover: Heike Collip, Pfronten

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

eBook-Auslieferung:

HEROLD Auslieferung Service GmbH

www.herold-va.de

Klaus Witt

Der Seelenfänger von Capri

„Ihre ethisch herausragende Capri-Geschichte las ich sofort, Zeile für Zeile, bis zum Schluss, was ich nur von

vier, fünf zugeschickten größeren Werken unbekannter Autoren

in   Ja h r e n sagen kann. Sie schreiben, erzählen

flüssig, farbig, spannend! Es ist ein frischer, lebendiger Text,

der das Leben voll tiefer Liebe annimmt.“

Karlheinz Deschner, Mai 2013

 

Karlheinz Deschner veröffentlicht provozierende Geschichtswerke zur Religions- und Kirchenkritik.

Ausgezeichnet mit:

Arno-Schmidt-Preis, 1988Alternativen Büchnerpreis, 1993International Humanist Award, 1993Erwin-Fischer-Preis, 2001Ludwig-Feuerbach-Preis, 2001

Bekanntestes Werk: Kriminalgeschichte des Christentums

Mein allererster Fall als frischgebackener Tierarzt war „Nero“, ein wuscheliger, schwarzer Mischlingshund auf Capri.

Sieben Tage nachdem ich die letzte einer schier nicht enden wollenden Reihe von Prüfungen bestanden hatte und somit approbierter Tierarzt war, fuhren meine Mutter und ich für zwei, wie wir hofften, paradiesische Wochen nach Capri.

Es sollte einerseits die wohlverdiente Belohnung für die harte Arbeit sein, die zehn Semester Tiermedizin bedeuten, da hier, anders als in der Humanmedizin, sämtliche Ferien mit Prüfungen und Praktika vollgepackt sind und außerdem der zu bewältigende Stoff etwa doppelt so viel ist, andererseits bestand bei mir der brennende Wunsch, meiner Mutter, die krebskrank war, meine Trauminsel doch noch zeigen zu können.

Mich hatte das Caprivirus schon befallen, als ich mit ungefähr dreizehn Jahren Das Buch von San Michele von dem schwedischen Arzt Axel Munthe las. Der erfüllte sich auf Capri seinen Traum von einer mediterranen Villa, die wie ein griechischer Tempel sein sollte. Die Villa eines Sonnenanbeters. Das Denkmal eines Ästheten, Humanisten und Philosophen.

Wie all meine Verwandtschaft zu berichten weiß, entschied ich zwar schon mit etwa vier Jahren, Tierarzt werden zu wollen, es hätte also der Bekanntschaft mit dem Gedankengut dieses exzentrischen, aber auch selbstlos helfenden Mannes nicht bedurft, um an diesem so stark ausgeprägten Berufswunsch festzuhalten. Mit Sicherheit aber haben seine freidenkerischen Aussagen über das Leben, den Tod und vor allem über die Tiere meinen Entschluss gefestigt. Als ich dann kurze Zeit später den kongenialen Schauspieler O.W. Fischer in der Verfilmung des Buches als Axel Munthe sah, war es gänzlich um mich geschehen.

So wollte ich auch sein! Ein Freigeist, der die Ehrfurcht vor dem Leben über alles stellt und sich nicht von vorgefassten Denkmodellen irgendwelcher Religionen oder Ideologien gängeln lassen möchte. Deshalb spürte ich mein Leben lang eine Sehnsucht nach Capri.

Ich wollte den heiligen Ort, an dem dieser Mann gewohnt, gedacht und gewirkt hat, aus der Nähe sehen, den Geist, der dort noch sein musste, erspüren! So war und ist seitdem Capri für mich eine Art Wallfahrtsort.

Es war schon später Nachmittag, als unser Schiff sich der märchenhaften Kulisse, die jeden Ankömmling beeindruckt, näherte.

Ein junger Mann holte uns mit dem Hotelbus vom Hafen ab und hinauf ging es über die serpentinenreiche Straße in den Ort Anacapri. Der junge Mann sprach sehr gut deutsch. Wie sich herausstellte, war er der Sohn des Hauses. Carmine, so sein Name, hatte jahrelang in verschiedenen Städten Deutschlands gearbeitet und war nun heimgekehrt, um das elterliche Hotel allmählich zu übernehmen.

Nach dem Abendessen kam er an unseren Tisch und fragte mich, ob ich mir einmal seinen Hund ansehen könne, er habe erfahren, dass ich Tierarzt sei. Bereitwillig folgte ich ihm.

Wir gingen in den Keller und gelangten über einige Gänge in eine kleine, bezaubernde Hotelsuite, die dem jungen Mann als Wohnung diente.

An der bergabgewandten Seite des Hauses lag sie sozusagen im Erdgeschoss und verfügte über eine große Terrasse mit herrlichem Blick auf das Meer.

An der Terrassentür lag in einem großen, geflochtenen Korb der kleine Hund. Er machte einen sehr matten Eindruck. Die Augen waren trüb und er fühlte sich heiß an. Ich bat um ein Thermometer.

Natürlich, er hatte hohes Fieber!

Sein Bäuchlein war unnatürlich gespannt und schmerzte ihn bei der Untersuchung. Als er sich dann auch noch aus meinen Händen wand, ein paar Schritte weglief, den Rücken krümmte und einige kleine, blutige Kleckse auf die Marmorfliesen machte, war der Fall für mich leider ziemlich klar.

Ich sagte dem jungen Capresen, dass der Hund sehr wahrscheinlich an einer gefährlichen Virusinfektion erkrankt sei und dringend intensive Behandlung brauche.

„Gibt es hier auf der Insel einen Tierarzt?“

„Ja, unten in Capri, nahe der Bushaltestelle, kurz vor der -Piazza.“

„Wir müssen ihn schleunigst dort hinbringen“, sagte ich, „jede Minute ist kostbar!“

Kurz erklärte ich meiner Mutter den Sachverhalt, während Carmine den Dottore anrief und uns ankündigte.

Sie hatte volles Verständnis dafür, dass ich sie alleine ließ, um mitzufahren. Schließlich war sie eine große Tierfreundin und, gerade was die Pflege kranker Hunde anbelangte, mir schon immer die wertvollste Lehrerin.

Zärtlich streichelte sie zum Abschied das kleine Häufchen Elend und wünschte uns Glück. Kaum hatte sie mir den zitternden Hund durch die Beifahrertür auf den Schoß gesetzt, raste Carmine schon los.

Mittlerweile war es stockfinstere Nacht, aber unzählige Lichter markierten die Umrisse der gesamten Insel und vor allem den Verlauf von Wegen und Straßen.

In der Ferne sah man die Lichterkette von Neapels Küste über die dunkle Wasseroberfläche herüberleuchten. Knapp darüber ein ganzes Lichtermeer, das pulsierendes Leben einer Millionenstadt erahnen ließ.

Gut erinnerte ich mich daran, wie temperamentvoll und hektisch es da drüben zugehen konnte, hatte ich doch in den vergangenen Jahren schon ein paar Mal meinen Freund Wolfram besucht, der an der alten und ehrwürdigen Universität Neapels Medizin studierte. Wir hatten nämlich zunächst in unserer deutschen Heimat keinen Studienplatz bekommen und bereiteten uns auf ein Studium in Italien vor, indem wir an der Volkshochschule Italienischkurse belegten. Während er drei Jahre (!) nach dem Abitur in Neapel einen Studienplatz bekam, durfte ich mich nach ebenfalls drei Jahren Wartezeit an der Ludwig-Maximilian-Universität in München immatrikulieren.

So oft es ging, besuchte ich ihn natürlich, wohnte er doch so nah am ehemaligen Wirkungsort meines Idoles Axel Munthe, und wir erkundeten Stück für Stück den sagenhaften Golf von Neapel. Wir verliebten uns unsterblich in diese Landschaft, ihre Menschen, ihre Kultur, ihr Klima und alles, was eben dazugehört. Oft genug haben mein Freund, seine neapolitanischen Mitstudenten und ich uns in die brodelnde Nacht gestürzt. Wir Nordlichter staunten nur so ob der Mysterien süditalienischer Nächte, in die uns unsere einheimischen Freunde einweihten.

Das alles aber lag lange zurück. Als ich jetzt über das nachtschwarze Wasser blickte, erinnerte ich mich sehr gerührt daran, dass ich in diesen nervösen Zeiten nicht im Traum daran gedacht hätte, jemals an der Behandlung eines kranken Hundes auf Capri beteiligt zu sein. Meinen Traumberuf auf meiner Trauminsel ausüben zu können, das hätte ich nicht zu hoffen gewagt, zumal wir damals noch zitterten, ob wir überhaupt je unsere Berufswünsche würden verwirklichen können. Dazu wäre uns jeder Ort auf der Welt mehr als recht gewesen. Hatten wir damals Capri besucht, handelte es sich fast immer nur um Tagesausflüge. Wenn ich über meinen wilden Klettereien die Zeit vergaß, konnte es passieren, dass wir das letzte Schiff versäumten und in einer billigen Pension oder unter freiem Himmel übernachten mussten.

Nun, mit meiner Mutter, durfte ich erstmalig mehrere Tage hintereinander auf der Insel bleiben, was ein völlig anderes, ein viel tieferes Gefühl für diese heilige Erde, diese terra sancta, vermittelte. Diesmal wollten wir uns ganz auf uns und auf die schönste Perle des Mittelmeeres konzentrieren.

Neben Carmine auf dem Beifahrersitz, den Hund auf dem Schoß, ging es die unzähligen, halsbrecherischen Serpentinen hinunter nach Capri, vorbei am Krankenhaus, der Käserei und den Bushaltestellen. Kurz vor dem eigentlichen Ort einen Parkplatz gefunden, den Hund auf den Arm genommen, liefen wir auch schon die Gassen entlang durch Schwärme von flanierenden Touristen. Ein paar Treppen hinunter, Richtung Hafen, einen Haken nach links und noch einen Haken nach rechts geschlagen und wir waren am Ziel. Ein kleiner Anbau, fast wie ein Schuppen, angeschmiegt an ein größeres Haus, das wiederum an anderen lehnte. Alle zusammen waren so an den steilen Berg hingeklebt wie Schwalbennester.

Carmine klopfte an die Tür, an der das Praxisschild angebracht war. Ein mittelgroßer Mann, braungebrannt, mit schon leicht grauen Haaren, etwa um die fünfzig Jahre, öffnete. Carmine erzählte ihm kurz die Vorgeschichte des kleinen Hundes. Der Arzt, um diesen handelte es sich offensichtlich, hörte geduldig zu, nickte hier und da oder zog das Gesicht in Falten. Er machte einen sehr sympathischen Eindruck.

Dann stellte Carmine mich dem Dottore vor, der mich überaus herzlich begrüßte, als wenn wir schon lange Zeit befreundet wären. Besonders lustig fand er es offenbar, dass ich ein frischgebackener Tierarzt war, gerade acht Tage alt, sozusagen.

Wenige Minuten unterhielten wir uns über das Studium der Tiermedizin in Deutschland im Vergleich zu dem in Italien, über seinen Werdegang als Dottore, über einige Freunde, die er in Deutschland hat und ähnliches mehr. Dann fragte er, wann ich angekommen, mit wem ich hier sei, wo wir wohnten, wie lange wir wohl bleiben würden und wie es uns bis jetzt gefalle. Carmine spielte dabei den Dolmetscher. Ich verstand zwar das meiste, aber, um selbst zu sprechen, waren meine Italienischkenntnisse einfach zu gering.

Leider konnte der Dottore weder Deutsch noch Englisch. Französisch, das er wie ich in der Schule gelernt hatte, war sein Steckenpferd. Als er dahinterkam, dass ich ein bisschen Französisch sprach, wollte er immer alles auf Französisch sagen. Das war aber mir nicht so sehr recht, denn erstens wollte ich das Italienische besser lernen und zweitens sprach er das Französische mit einem derart starken italienischen Akzent, dass ich ihn oft auf Italienisch besser verstanden hätte. Viele Jahre sollte das unser Problem sein. Ich hätte gerne von ihm mehr Italienisch gelernt und er wollte am Liebsten immer damit glänzen, dass er so gut Französisch konnte.

Dann begann er den Hund gründlich zu untersuchen. Es kam mir vor wie noch ein paar Tage vorher zu Hause an der Universität.

Nach wenigen Minuten gab er seine Diagnose bekannt: Parvovirose!

Diese gefürchtete Krankheit war damals gerade von Amerika nach Europa herüber gekommen. Wir Studenten waren die letzten Monate auf die Erkennung dieser neuen Seuche geradezu gedrillt worden.

Sie verbreitete sich sehr schnell, und was ganz fatal war: es gab damals noch keinen Impfstoff dagegen.

Man behalf sich vorerst damit, dass man die Hunde mit einem Katzenimpfstoff zu immunisieren versuchte. Das Virus, das bei Katzen die sogenannte Katzenseuche oder Panleukopenie hervorruft, ist nämlich eng verwandt mit dem Virus, das man als den Erreger jener Parvovirose bei Hunden in Amerika erkannt hat. Die Impfung der Hunde mit dieser Katzenvakzine ergab zumindest einen gewissen Schutz und war besser als nichts. Der richtige Parvoviroseimpfstoff kam erst später auf den Markt.

Bei bereits erkrankten Hunden, wie diesem, kam jede Impfung zu spät. Man konnte diese Patienten nur symptomatisch behandeln und hoffen, dass der eine oder andere bei aufopfernder Pflege wieder gesund würde.

„Hat er auch schon eine Myokarditis?“, fragte ich. Der Dottore reichte mir nur das Stethoskop, damit ich das Herz abhöre.

„Nein“, sagte ich nach einer Weile, „ich glaube, eine Herzmuskelentzündung hat er, Gott sei Dank, noch nicht.“

Dabei sah ich den Dottore fragend an. Er lächelte ob meiner Unsicherheit und bestätigte es.

Allerdings war die blutige Magen-Darmschleimhautentzündung, die diese aggressiven Viren verursachen, schlimm genug, und das erklärte der Dottore auch dem jungen Capresen mit sehr ernster Miene.

Dann schrieb er einige wichtige Arzneimittel auf ein Rezept und schickte Carmine damit zur Apotheke.

Ich wunderte mich, denn in Deutschland haben die Tierärzte im Gegensatz zu den Humanärzten das Apothekenrecht oder auch Dispensierrecht, das heißt, dass sie Arzneimittel selber vorrätig halten und nach Bedarf abgeben, also verkaufen dürfen, wie ein Apotheker. Die Menschenärzte oder Humanmediziner dürfen das nicht. Ja, sogar herstellen darf ein approbierter Tierarzt die Medikamente für seine Patienten selbst. Auch das darf ein Arzt in der Regel nicht. Dieses Dispensierrecht der Tierärzte ist schon alt und soll mithelfen, die Kosten der Behandlung kranker Tiere, dadurch, dass der Tierarzt als Arzt und Apotheker in einer Person fungiert, möglichst niedrig zu halten, was besonders in früheren Zeiten bei den landwirtschaftlich genutzten Tieren wichtig und volkswirtschaftlich willkommen war.

In Italien musste der Tierbesitzer mit dem Rezept, das er von seinem Tierarzt bekam, zur Apotheke gehen und dort die Arznei mehr oder weniger teuer einkaufen. Dann ging er mit dem Medikament zu seinem Tierarzt zurück und ließ sein Tier damit behandeln. Ein Besuch bei einem italienischen Tierarzt, also lediglich das Vorstelligwerden in der Sprechstunde, wohlgemerkt zunächst einmal ohne jede Behandlung, ohne jede Arznei und ohne sonstiges Material, war ziemlich teuer, etwa so wie in Amerika, jedenfalls viel teurer als bei uns in Deutschland.

Aus diesem Grunde war ich angenehm überrascht, wie viele Tierbesitzer doch mit ihren Schützlingen zum Tierarzt gingen, wenn es wirklich nötig war, da man ja den Südländern im Allgemeinen eine nicht allzu innige Verbindung zu ihren Haustieren nachsagt.

Als Carmine zurückkam, legten wir dem Hund eine intravenöse Infusion und nutzten die Zeit, in der die Infusion lief, um einen Schlachtplan zu entwerfen, nach welchem in den nächsten Tagen vorgegangen werden sollte.

Zum Abschluss gab der Dottore noch ein paar Injektionen, alle tadellos nach neuesten Erkenntnissen, verabschiedete uns und versprach, im Laufe des nächsten Tages nach dem Patienten zu sehen.

Wir machten uns auf unseren kurvenreichen Heimweg. Das Touristenvolk wimmelte um uns herum. Kein Mensch bemerkte das schwerkranke Tier und unsere traurigen Gesichter.

Oben angekommen, betteten wir erst einmal das Hündchen zur Ruhe. Dann baten uns Carmines Eltern, zusammen mit etlichen Familienmitgliedern und einigen Hotelangestellten, zu einem kleinen Nachtessen auf die Terrasse. Es wurde trotz der etwas geknickten Stimmung doch noch ein ganz lustiger Abend, an dem man sich gegenseitig viele Geschichten erzählte und sich so besser kennenlernte.

Ein riesiger Tisch mit kräftigen, geschwungenen Metallbeinen und einer fast zehn Zentimeter dicken Steinplatte, deren Oberfläche mit einer herrlichen Mosaikeinlegearbeit verziert war, bot eine reichliche Auswahl an eingelegten Gemüsen, Käse, Brot, Oliven, Obst und Kuchen. Auch Wein gab es im Überfluss.

Zufrieden lehnte ich mich zurück und hörte, wie von sehr fern, das Stimmengewirr unserer Tischgesellschaft. Mein Blick schweifte in die tiefblaue Nacht, über die steilen Felswände, über die vielen Oliven- und Weingärten hinunter nach Capri, noch weiter hinunter zum Hafen, dessen Einfassungen von vielen Lichtern markiert waren, dann hinaus auf das Meer, das nur als schwarze Fläche zu erahnen war, auf der sich hier und da kleine Lichter tummelten.

Tief sog ich die würzige Luft in meine Lungen und genoss das, in diesem Augenblick aufkommende, schon so oft von so vielen Menschen beschriebene und eigentlich trotzdem so unbeschreibliche Inselgefühl.

Man fühlt sich auf eine geheimnisvolle Art und Weise heimisch und geborgen, weil man entfernt und entrückt ist von der eigentlichen Welt da drüben auf dem Festland, gleichsam wie auf einem eigenen, kleinen Planeten, der einen sicher verborgen hält vor etwaigen Feinden, vor allem Bedrohlichen und Bösen.

Da drüben war irgendwo die Welt mit ihrem Alltag, ihrem Lärm und ihrer Hektik und all ihren Gefahren; hier aber war das Eiland der Ruhe, der Geborgenheit, wohin man sich zurückziehen, wohin man flüchten kann, um auszuruhen, neue Kräfte zu schöpfen, und Wunden ausheilen zu lassen.

Endlich wieder hier!

Endlich wieder zu Hause!

In dem Moment, als ich ein paar Jahre vorher zum allerersten Male meinen Fuß auf die heilige Erde, die terra sancta, von Capri setzte, signalisierte irgend etwas in mir: Heimat! Es ist bis heute so und es ist mir bis heute ein Rätsel.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, sprang ich neu gestärkt aus dem Bett und trat auf den Balkon. Es war ein unfassbar schöner Anblick!

Der weite, blaue Golf von Neapel lag zu meinen Füßen. Die Sicht war klar und reichte links von der Silhouette Ischias und Procidas nach rechts über die lange Küste des Festlandes mit Pozzuoli, der Mergellina, Santa Lucia, dem Vesuv, Ercolano und Pompeji bis ganz hinüber zur Halbinsel von Sorrent. Ja, weiter noch konnte man Teile der Amalfiküste erkennen und bis in den Golf von Salerno schauen.

Draußen auf dem Meer herrschte geschäftiges Treiben. Große Schiffe zogen langsam und majestätisch ihre Bahn, dazwischen kratzten die pfeilschnellen Tragflügelboote hektisch weiße Linien in das tiefe Blau, und hier und da eingestreut dümpelten die unzähligen kleinen, bunten Fischer- und Ausflugsboote von Capri gemütlich auf den Wellen.

Unmittelbar unter mir und um mich herum die blumenübersäte Insel! Isola dei fiori! Das Blütenmeer wird unterbrochen von Flächen sattgrüner Weingärten, silbrig schimmernder Olivenhaine und von größeren oder kleineren Ansammlungen blendendweißer, manchmal auch knallbunter oder zart pastellfarbener Häuser.

Am Hafen unten sah man großes Getümmel. Schiffe herein und hinaus. Ameisenlaufen. Die Straße herauf zu uns, nach Anacapri, hupten sich zahlreiche Busse, Taxis, Privatautos und viele, viele kleine Motorroller, manche in Eigenbau überdacht oder mit hilfreichen, irgendwie selbst angeschraubten Ladeflächen versehen, selbstbewusst ihren Weg.

Ausrufe und Satzfetzen dieser einmaligen, melodischen Sprache drangen an mein Ohr und erfüllten mit ihren musikalischen Klängen fröhlich und lebensbejahend den Luftraum um meinen Balkon herum. Überhaupt schien alles zusammen aus einer anderen, paradiesischen Welt zu sein, wie göttliche Malerei und Musik zusammen mit himmlischen Düften und einem Lebensgefühl, dass man hätte bersten können vor Glück!

Da durchzuckte mich der Gedanke an unseren Patienten und riss mich jäh aus der Idylle. Es war zweifellos ein Schmerz. Es war eine bestimmte Art von Schmerz.

Dieses Gefühl kennen alle Ärzte. Genau genommen kennen es alle Menschen, die Sorge für andere tragen, nur im Leben von Ärzten ist es eben vervielfältigt. Sie lernen mehr oder weniger gut, damit zu leben. Man muss lernen, von Zeit zu Zeit abzuschalten und aufzuhören, an das Schicksal der Patienten zu denken. Nur so kann man auch noch seinem eigenen Leben einigermaßen gerecht werden. Einigen ist so ein dickes Fell gewachsen, dass sie kaum mehr mitleiden, anderen wächst auch nach noch so vielen Jahren nichts dergleichen. Sie leiden einfach zu viel. Ich spürte damals schon, dass ich wahrscheinlich zu letzteren gehören würde.

Als ich zum Frühstück in den Speisesaal kam, saß meine Mutter schon an unserem Tisch. Da sie fröhlich strahlte, nahm ich an, dass es unserem Patienten zumindest nicht schlechter ging. Tatsächlich, sie hatte ihn schon besucht, er war deutlich munterer als gestern Abend. Er hatte sogar ein wenig mit ihr gespielt.

Carmine brachte uns den Kaffee an den Tisch. Auch er strahlte. Soeben, sagte er, hätte der Hund ein wenig Huhn mit Reis gegessen.

Na also, dann stand einem herrlichen Urlaubstag nichts mehr im Wege!

Gut gelaunt schmiedeten wir Pläne, wie wir den Tag verbringen wollten. Allerdings war der Aktionsradius meiner Mutter wegen ihrer Krankheit sehr begrenzt, und wir mussten deshalb möglichst kräftesparend planen. Capri ist zwar sehr klein, aber auch sehr hoch, und man muss doch einige Muskelkraft aufzubringen in der Lage sein, um alle Sehenswürdigkeiten besuchen zu können. Sie konnte nicht stundenlang Treppen hinauf- und hinuntersteigen. Wir waren also gezwungen, gut zu planen, uns die Etappen einzuteilen und, soweit es ging, Hilfsmittel wie Sessellift, Zahnrad- bahn, Bus, Taxi, Elektrowägelchen oder Kutsche in Anspruch zu nehmen.

Die bedeutendste Hilfe aber, wie sich im Laufe der Tage noch herausstellen sollte, erschien soeben in der Person des Dottore auf der weiten Terrasse des Hotels. Er zog wie immer auf eine geheimnisvolle Art alle Aufmerksamkeit auf sich, ohne laut zu sein oder sich sonst irgendwie auffällig zu geben. Es war und ist unerklärlich. Er verfügte einfach über eine erstaunliche Präsenz. Es gibt wenige Menschen mit dieser Gabe. Schauspieler zum Beispiel, die allein durch dieses Naturgeschenk schon einen großen Vorteil gegenüber anderen haben. Sie fokussieren einzig und allein durch ihr Erscheinen auf der Bühne oder in ihrem privaten Leben alles auf sich. Diese Menschen bewegen sich in einem eigenen Spannungsfeld. Die Luft um sie herum scheint zu knistern, ja manchmal sogar zu brennen.

Der Dottore begrüßte einige Leute und wurde von einigen gegrüßt. Wie üblich, wurde dabei ein kleiner Plausch gehalten. Dann wandte er sich in Richtung Speisesaal, trat durch eine der weit geöffneten Glastüren ein und steuerte schnurstracks auf unseren Tisch zu.

Ja, er hatte die guten Nachrichten über unseren Patienten schon vernommen, doch er mahnte zur Vorsicht, nicht selten könnten, nach einem Moment der Besserung, schwere Rückschläge auf-treten.

Da hatte er leider Recht. Wie oft schon hatte ich sehen müssen, dass ein solcher Patient, der schon auf dem besten Wege der Genesung schien, innerhalb von ein, zwei Tagen oder gar innerhalb weniger Stunden doch noch zu Tode gekommen ist!

Wie oft haben wir, ein paar mitleidige Studenten, nächtelang bei diesen armen Geschöpfen im Keller der Universitätsklinik gesessen, ihnen ein wenig Gesellschaft geleistet und ihnen Streicheleinheiten gegeben, die sie allerdings noch lieber von ihren Besitzern bekommen hätten. Diese aber zogen es vor, sie in der Klinik zurückzulassen, damit sie mit ihrem blutigen Durchfall und Erbrechen nur ja zu Hause nichts schmutzig machten.

Da hockten sie dann vor Angst schlotternd in ihren kahlen, gefliesten Zwingern hinter dicken, kalten Eisengittern, von denen die Farbe abblätterte und die irgendwie keine guten Assoziationen aufkommen ließen.

Natürlich spielt das seelische Umfeld im Kampf gegen eine Krankheit bei Tieren eine ähnlich entscheidende Rolle wie bei Menschen. Und unter diesen sind sie am besten mit den Kindern vergleichbar. Deshalb haben wir auch an der Ersten Medizinischen Tierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München in vielen Punkten und Fragen der Psychophysik und der Psychosomatik mit den Lehrstühlen der Kinderheilkunde verschiedener Universitäten zusammengearbeitet. Es gibt viele Gemeinsamkeiten.

Unter anderem sind Kinder wie Tiere von einem Vormund abhängig, der für sie entscheidet. Dieser ist auch der Erfüllungsgehilfe des Arztes. Diesen muss man auf seine Seite bringen, um das Beste für den Patienten zu erreichen. Von ihm hängt es in erster Linie ab, wie genau die ärztlichen Anordnungen eingehalten werden. Wird die verordnete Medizin zum Beispiel regelmäßig zur richtigen Zeit gegeben? Wird sie überhaupt gegeben? Werden weitere pflegerische Maßnahmen ausgeführt oder aus Faulheit, Unvermögen oder auch manchmal Ekel unterlassen?

Um die Selbstheilungskräfte der Seele optimal mit in die Waagschale werfen zu können, sollten stationäre Aufenthalte in Kliniken wirklich nur ganz schlimmen Fällen vorbehalten sein, in denen es aus apparatemedizinischen Gründen gar nicht möglich ist, eine derartige Versorgung zu Hause durchzuführen.

Ansonsten aber, wenn medizinisch eigentlich nicht mehr getan werden kann, als täglich Spritzen und Infusionen zu geben, sollte man die Patienten daheim in ihrer gewohnten Umgebung belassen. Sie brauchen dort intensive, liebevolle, nichtmedizinische Pflege, die ihnen in der Klinik so und so keiner geben kann, schon gar nicht in der Tiermedizin, wo die gesamte Infrastruktur nicht so gut ist wie in der Humanmedizin, die ganz einfach über viel mehr Geld verfügt.

Die Ärzte und Pfleger bei uns waren hoffnungslos überlastet. Sie hatten keine Zeit, die armen Kerle irgendwie noch zu trösten. Sie hatten genug damit zu tun, das Nötigste für jeden Einzelnen zu leisten. Sie behandelten und operierten in erster Linie Notfälle. Alles Weitere mussten sie an Studenten und andere Hilfspersonen abgeben. Es können ja nicht einmal die Hunde ein oder zweimal am Tag auf eine Wiese ausgeführt werden, damit sie ihr Geschäft erledigen können, nein, sie müssen immer und immer in ihren viel zu engen Käfigen auf Lattenrosten liegen und sind gezwungen, ihren engsten Lebensraum mit Kot und Harn zu verunreinigen.

Natürlich werden die Käfige von Zeit zu Zeit ausgespritzt und desinfiziert, aber an diesem Beispiel sieht man, wie wenig heilungsfördernd solche Umstände für so reinliche Tiere wie Hunde sind, von Katzen ganz zu schweigen.

Vielleicht wird auch dies neben vielen anderen ethischen Fragen und Problemen eines Tages besser. Dann nämlich, wenn der Mensch sich hoffentlich wieder darauf besinnt, dass er Verantwortung für seine Mitgeschöpfe, für seine tierlichen Brüder und Schwestern hat.

Kain, wo ist Dein Bruder Abel?

A priori ist jedes Leben gleichwertig. Da gibt es keine Unterschiede zwischen zweibeinigen und vierbeinigen Brüdern!

Wie schon der Religionen-Zertrümmerer Kant feststellte, taugen sämtliche religiöse oder auf andere Art vorgekaute Patentrezepte nicht zur Lösung des ethischen Problems, das eben nicht alleine durch abenteuerliche Argumente, der Mensch sei von Gott nach dessen Bilde geschaffen worden und habe – im Gegensatz zum Tier – göttlichen Odem eingehaucht bekommen, zu erklären ist. Deshalb besitze er eine Seele, die dem Tier ebenso hartnäckig wie dumm abgesprochen wird. Keinesfalls sind die Menschen des 21. Jahrhunderts das Ziel, keinesfalls sind sie der oberste Gipfel aller ethischen Denkarbeit, als das sie sich immer ausgeben. Allenfalls sind sie Meilensteine entlang der langen und mühsam bergauf führenden Straße der Menschheitsentwicklung bezüglich ihrer moralischen und ethischen Qualität. Es geht nicht an, dass man jahrhundertelang auf der Mittelstation herumsitzt und in die Welt hinausplärrt, dies sei schon die Gipfelstation, wie es alle Religionen und religionsähnlichen Denkmodelle tun!

Im Laufe der Evolution fiel dem Menschen der erkennende Verstand zu. Schon allein deshalb unterliegt er der ethischen Pflicht den Tieren gegenüber. Wenn er diese wieder annimmt, werden ihm auch wieder viele andere Werte zuwachsen, die für seinen Seelenfrieden weit besser geeignet sind als der Tanz um das Goldene Kalb. Immer mehr materielle Wünsche haben zur Folge, dass die Tiere und mit Ihnen die ganze Natur in immer stärkerem Maße missbraucht, misshandelt und ausgebeutet werden!

Sodann wird er erkennen, dass er gerade die Mitgeschöpfe, die nicht über eine erkennende Ethik verfügen wie er, ganz besonders schützen muss. Quasi als der „Gescheitere“ hat er die phylogenetische Verantwortung für sie. Ähnlich wie in einer Familie ein mündiges Geschwister für ein unmündiges Geschwister Verantwortung verspüren sollte.

Was hat das mit der Tiermedizin zu tun?

Insofern sehr viel, als sich die Tiermedizin in unserer „Kultur“ heute mehr und mehr zum Helfershelfer von Instanzen macht. Diese wollen uns mit Hilfe einer krankhaft anthropozentrischen Weltanschauung einreden, dass wir die Krone der Schöpfung seien, und es uns deswegen völlig selbstverständlich erlaubt sei, die gesamte Erde, also auch unsere tierlichen Geschwister, möglichst gewinnbringend auszunützen.

Eine Ethik, die aber nicht nur auf den Menschen angewandt wird, sondern auf alle Nächsten, die Leid empfinden können, muss die Tiere mit einschließen. Schon die alten indischen Heilslehren haben das getan. Zur Ehrenrettung des so christlichen Abendlandes, nach jahrhundertelanger Unterdrückung des freien Denkens, formulierte Schopenhauer diesen Gedanken neu. Er umfasst die verantwortungsvolle Grundhaltung jedem Nächsten gegenüber, der uns gleich oder ähnlich ist in seinem Hineingestelltseins in die Welt, sei es auf Grund seiner Leidens- und Freudensfähigkeit oder seiner geschöpflichen Gestalt und Ausgestaltung. Tatwam asi! Siehe, das bist Du!

Wo ist nun Dein Bruder Abel, Kain?

Allein schon um unsere eigene ethische Lebensbilanz nicht gänzlich ins Negative abrutschen zu lassen und damit innerlich immer mehr zu verarmen und zu verrohen, sollten wir alle Schutzbefohlenen und Hilflosen, also Kinder, Alte, Behinderte, Tiere und so weiter nicht einfach immer nur in fremde Hände abschieben, sondern wir sollten uns, verdammt nochmal, soweit es nur irgendwie geht, persönlich und aufopfernd um sie kümmern!

Nur was im Kleinen eingehalten wird, kann auch langsam zu einer größeren und allgemeingültigen Haltung heranwachsen. Nur was der Einzelne zunächst für sich selbst, dann in kleinen Gruppen, wie etwa den Familien, an Verantwortungsbewusstsein und Gesinnung pflegt und in die Tat umsetzt, kann auch irgendwann zur ethischen Maxime ganzer Völker und der Erde selbst werden.

Im Falle unseres kleinen Urlaubspatienten hier schienen zumindest diese Voraussetzungen bezüglich häuslicher und liebevoller Pflege für eine Gesundung bestens geschaffen. Die Angehörigen Carmines waren entschlossen, alles für den kleinen Kerl zu tun. Sie wollten sich gegenseitig abwechseln, damit die Pflege Tag und Nacht gewährleistet wäre. Bis zu zwanzig Prozent der Patienten konnten bei guter medizinischer und pflegerischer Betreuung überleben. Der Dottore, der unweit des Hotels in Anacapri wohnte, versprach, mehrmals am Tag vorbeizuschauen.

Und dann waren auch wir noch da. Meine Mutter wollte nötigenfalls den ganzen Urlaub für das kleine Kerlchen hergeben. Sie war so glücklich, meinen ersten Fall, wenn man so will, mit mir zusammen zu erleben. Unnötig zu erwähnen, dass ich auch so empfand!

Aus all diesen Gründen wollte ich den Pessimismus des Dottore nicht noch vertiefen und zog es daher vor, zu schweigen.

Nach dem Frühstück gingen wir alle zusammen noch einmal zu unserem Patienten. Der Dottore verabreichte ihm eine Art Grundtherapie, die zweimal am Tag angewandt werden musste, alle zwölf Stunden. Sie bestand aus Antibiotika, den Darm ruhig stellenden Mitteln, Spasmolytika, sowie Entzündungshemmern, Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen, allen voran hochdosiertes Vitamin C. Manches wurde als Injektion gegeben, manches als Infusion, da der kleine Körper durch Erbrechen und Durchfall sehr viel Flüssigkeit und mit ihr lebenswichtige Salze, Elektrolyte, verloren hatte.

Ich durfte mehr und mehr zur Arbeit des Inseltierarztes beisteuern, was mich sehr stolz machte. Ich durfte die eine oder andere Spritze geben, die Nadel zur intravenösen Infusion in die gestaute Vene einführen, den Tropf anlegen und seine Geschwindigkeit bestimmen und überwachen. Der Dottore zog sich mehr und mehr zurück, beobachtete mich aus ein paar Schritten Abstand, während er, ständig Zigaretten rauchend, mit Carmine und dessen Familie sprach. Meine Mutter sagte mir später, dass er immer lächelte, wenn er mich bei der Arbeit beobachtete. Ihrer Meinung nach, schob er mir auf diese behutsame Art und Weise immer mehr Verantwortung zu.

Als die Infusionsflasche leer gelaufen war, stand er plötzlich neben mir, zog die Nadel aus der Vene und drückte einige Zeit einen Tupfer auf die Einstichstelle. Alle seine Aktionen liefen ruhig und selbstverständlich ab. Wie durch Zauberei hatte er immer wieder die gerade notwendigen Utensilien in Händen, obwohl sich ständig eine brennende Zigarette entweder zwischen seinen Fingern oder in einem seiner Mundwinkel befand und er ständig in irgendwelchen Gesprächen steckte. Später sollte sein Lieblingsspielzeug ausschließlich eine Tabakspfeife werden, die er jetzt nur ab und zu zusätzlich rauchte, weil er glaubte, diese sei nicht so gesundheitsschädlich und, weil sich doch schon ein paar dezente Herzprobleme einstellten. „Una piccola ischemia“, wie er sich auszudrücken pflegte.

„Bis zu meinem nächsten Termin habe ich noch zwei Stunden Zeit. Kommt mit, ich fahre Euch zum Leuchtturm!“, fiel es ihm plötzlich ein.

Da waren wir natürlich einverstanden. Wie ich wusste, lag der Leuchtturm, il faro, am westlichen Ende der Insel, an der Punta Carena. Das war noch weiter von den gängigen Touristenwegen entfernt, als wir uns ohnehin schon befanden. So etwas gefiel mir immer schon am besten. Je unverfälschter, desto besser. Von unserem relativ hoch gelegenen Punkt der Insel aus mussten wir hinunter zu einem der tiefsten, eben auf Meereshöhe. Ganz allmählich den Höhenunterschied überwindend, führt die Straße, Via Nuova Del Faro, durch das weite Hinterland von Anacapri. Bis zu diesem Tage wusste ich noch nicht, über welch große Landfläche die Insel auf dieser Seite noch verfügt. Land im wahrsten Sinne des Wortes, wird hier doch sehr viel Landwirtschaft, Acker- und Gartenbau wie auch Nutztierhaltung, betrieben. Später sollten wir noch richtige kleine Ställe kennenlernen mit Kühen, Schweinen, Ziegen, Schafen, Enten, Gänsen, Hühnern, Kaninchen und vielem anderem Getier. Schöne, kleine Ställe, in der Art des Stalles von Bethlehem, zwei Kühe, ein Esel, zwei Ziegen zum Beispiel, wie es sie bei uns leider kaum noch gibt. Sie wurden durch die tierquälerische, industrialisierte Massentierhaltung mit fünfzig, hundert und noch viel mehr Tieren der gleichen Art verdrängt. Hier aber gibt es noch die kleinen Ställe, die unmittelbar an das Wohnhaus angebaut, fest in das Leben der Familie integriert sind. Tummelplätze und Versteckmöglichkeiten für Kinder und Katzen bei schlechtem Wetter. Manchmal gelangt man auch durch eine Schiebetür von der Küche oder einem Wohnraum aus direkt in den Stall, wie auf Gebirgsbauernhöfen oder vereinzelt noch auf alten, kleinen, Bauernhöfen bei uns auf dem Lande.

Unterwegs, auf halbem Wege etwa, zeigte uns der Dottore am Straßenrand einen über zweitausend Jahre alten Wasserspeicher mit Resten einer römischen Wasserleitung und ein großes Plateau, das angeblich Kaiser Augustus hatte anlegen lassen. Auf dieser Fläche, die tatsächlich so eben wie ein Billardtisch ist, wachsen ein kleiner Pinienhain und einige Eichen. Warum der Kaiser eine solche künstliche Ebene auf der sonst so zerklüfteten, ganz und gar unebenen, Felseninsel haben wollte, verstand ich nicht. Heute jedenfalls, verriet der Dottore augenzwinkernd, ist der Pinienhain für alle jungen Liebespaare der Insel ein beliebter Treffpunkt. Hier herrschten und herrschen nämlich teilweise auch heute noch so relativ strenge Sitten, wie etwa bei uns in manch ländlichen Gegenden. Die Jugend traut sich nicht so selbstverständlich wie in den Großstädten öffentlich zu knutschen und Zärtlichkeiten auszutauschen.

Während sich der kleine Fiat des Dottore, la Brasilienne, wie er ihn liebevoll nannte, weil er in Brasilien hergestellt wurde, unermüdlich durch die Kurven kämpfte, fragte ich, was es mit seinem nächsten Termin auf sich hätte.

„Vom Festland kommt ein Kollege aus dem Ministerium herüber, der mit mir zusammen eines der größten Hotels der Insel, das Quisisana, überprüfen muss.“

Es handelt sich bei derartigen Besuchen, wie wir weiter von ihm erfuhren, um Routineuntersuchungen, die ab und an, völlig unangekündigt, sämtliche öffentlichen Einrichtungen treffen konnten. Wie auch bei uns in Deutschland und anderswo auf der Welt werden Hotels, Restaurants, Cafés, winzige Snackbars, Lebensmittelgeschäfte, Krankenhäuser, alle Arten von Heimen, Jahrmärkte, öffentliche Toiletten und vieles andere mehr veterinärbehördlich zum Schutz der Bevölkerung überprüft.

„Die Aufsicht über das gesamte Gesundheitswesen der Insel unterliegt zwei Personen, nämlich einem Kollegen aus der Humanmedizin und mir“, erklärte der Dottore.

Diese Positionen entsprechen bei uns in Deutschland etwa dem Amtsarzt und dem Amtstierarzt, wenngleich sie in Italien mehr Macht und Einfluss haben. Alle Personen und Gegenstände, die mit dem Endverbraucher in irgendeinen Zusammenhang zu bringen sind, werden überprüft. Angeblich soll die Personenüberwachung sogar so weit gehen, dass in regelmäßigen Abständen Tupferproben sämtlicher Körperöffnungen genommen werden. Hinzu kommen die ohnehin üblichen Untersuchungen wie Blut, Harn, Stuhl und alle paar Jahre Röntgen.

Ferner gilt es, alle Produkte der Insel selbst, als auch alle von außen herangeschafften, auf ihre Frische und Verträglichkeit zu überprüfen. Man stelle sich die ungeheueren Mengen an Lebensmitteln vor, die tagtäglich in den Häfen der Insel anlanden! Alles muß zumindest stichprobenartig lebensmitteltechnisch und lebensmittelchemisch analysiert werden.

Obwohl der allergrößte Teil der Lebensmittel und selbst der Meeresfrüchte, die aus dem karibischen Meer um Kuba oder aus anderen Gebieten der Weltmeere stammen, wegen der enormen Touristenströme eingeführt werden muss, gibt es doch noch herrliche Inselköstlichkeiten und auch eine stattliche Anzahl absolut frischer Fische, die täglich von den weltberühmten Caprifischern gefangen und an bestimmte Lokale geliefert werden.

Wohl dem, der diese Lokale kennt! Oder gar den Dottore, ein absoluter Garant für das Auffinden der wahren lukullischen Tempel! Diese sind meistens nicht in den sündteuren Riesenhotels oder Restaurants zu finden, sondern, wie schon seit Menschengedenken, in den geheimnisvollen Kaschemmen, alten, traditionellen Hafenkneipen oder stillen und abgelegenen Landtavernen.

Wenn man noch die Arbeit in der Großtierpraxis, also an den sogenannten Nutztieren, dazurechnet, sieht man, dass unser Dottore ein durchaus ansehnliches Pensum zu bewältigen hat. Denn dort muß ebenso wie bei uns künstliche Besamung, Trächtigkeitsüberwachung, Geburtshilfe, die Behandlung sämtlicher Stoffwechselstörungen, die Behandlung von Verletzungen und vieles andere mehr durchgeführt werden. Wie bei uns muss der Tierarzt also Gynäkologe, Internist, Chirurg, Zahnarzt, Augenarzt und was sonst noch alles in einer Person sein.

Selbstredend müssen ebenso wie bei uns in Deutschland staatlich angeordnete Massenimpfungen durchgeführt werden und zuletzt, ein weniger schönes Thema, muss auch der gesamte Arbeitskomplex, der mit dem Schlachten verbunden ist, bewältigt werden. So lange eine Gesellschaft Fleisch essen will (und heute isst sie nicht mehr, sondern sie frisst, und zwar in ungeheueren und absolut ungesunden Mengen und Häufigkeiten), muss es auch hier, und besonders hier, Fachleute geben, die diese Produkte und deren Zustandekommen überwachen.

„So lange es noch Schlachthöfe gibt, so lange wird es auch noch Schlachtfelder geben“, sagt Tolstoi. Da haben wir ihn wieder, den unserer Erde innewohnenden Konflikt, widersprüchlich und unlösbar. Fressen und gefressen werden. Das Gewaltprinzip. Wie überaus göttlich! Wie ästhetisch! Wie ethisch!

Der Tierarzt muss, wie bei uns auch, die Lebendbeschau eines Tieres kurz vor seiner Schlachtung vornehmen, um zu sehen, ob es einen gesunden Eindruck macht. Er muss die Schlachtung, wenn möglich, überwachen und den sogenannten Schlachtkörper (welch entsetzlicher Ausdruck!) untersuchen. Die Methoden, die heute hierfür zur Anwendung kommen, sind teilweise sehr kompliziert und setzen eine hochqualifizierte Ausbildung voraus. Es zeigte sich, dass es keineswegs so ist, wie auch ich immer dachte, dass im Süden Europas diese Dinge ein wenig zu salopp gehandhabt werden. Es wird selbst unter den Bedingungen einer sogenannten Hausschlachtung nicht weniger genau und nicht weniger modern untersucht, als in unseren ebenso furchtbaren, wie hygienisch einwandfreien Schlachthöfen.

Ein nicht zu kleines Zubrot konnte sich unser Dottore letztlich durch die Kleintierpraxis, das heißt durch die Behandlung von Hunden, Katzen und anderen Liebhabertieren verdienen. Denn auch diese Versorgung lag allein in seinen Händen. Nicht nur die Einheimischen kamen mit ihren Tieren zu ihm, sondern, wie ich es später noch oft erleben durfte, auch die vielen Prominenten, die Capri schon seit Urzeiten zahlreich und gerne heimsuchen. Manche wohnen mit ihren vierbeinigen Lieblingen für kürzere Zeit in den teueren Luxushotels, andere verbringen mit ihnen Monate oder gar Jahre in gemieteten oder gekauften Villen.

Heute haben sich, wie überall, auch andere Kollegen niedergelassen, die allerdings zusehen müssen, ihr Auskommen durch die Behandlung von Liebhabertieren alleine zu verdienen, ohne staatliche Unterstützung in Form von amtstierärztlichen Aufgaben, die existenzsichernd sind.

Am Faro angelangt, stiegen wir aus und spazierten ein wenig umher. Den Faro zu zeigen, meistens bei Nacht, am besten, wenn die luna caprese sich in nackter und vollkommener Schönheit zeigt und vor dem ewigen Spiegel des Meeres in ästhetischer Perfektion posiert, war auch ein Muss bei unserem Dottore. Bevorzugte Gäste wurden, auch wenn es nachts um drei war, immer noch einmal zum Faro gefahren und dort herumgescheucht, auch wenn sie schon todmüde waren. Der Dottore schien nie müde. Zu keiner Tageszeit, zu keiner Nachtzeit und auch später in keinem Alter. So verstand er es oft nicht, wenn Besucher nicht den gleichen Enthusiasmus aufzubringen in der Lage waren wie er. Und, ich glaube, er hatte und hat sogar Recht damit! Wer rastet, der stirbt, man muss immer in Bewegung und immer beschäftigt sein, denn „sonst kommt der Tod und packt einen am Genick“, sagte er immer.

Gleich neben dem Leuchtturm gab es zwischen den allgegenwärtigen Felsen einen Zugang zum Meer, der zu einem kleinen Strandbad ausgebaut worden war. Es ist zwar nicht so elegant wie an der Marina Piccola, dafür aber weniger überlaufen, ja fast nur von Einheimischen oder echten Kennern besucht. Hier liegt, wenn auch viel, viel kleiner als die Marina Grande und die Marina Piccola, der dritte Hafen Capris. Die kulinarischen Genüsse, welche die Früchte des Meeres betreffen, sind hier genauso gut, wenn nicht sogar noch besser, weil vielleicht doch noch ein wenig ursprünglicher, sozusagen nach Fischerin Art, alla pescatrice.

Man muß aber immer wieder betonen, dass auf ganz Capri, ausgenommen vielleicht die großen Hotels, nicht versucht wird, die einheimische Küche auf internationalen Geschmack hin zu vergewaltigen. Ganz im Gegenteil gebietet es der außerordentlich stark entwickelte Stolz auf die eigene Küche, cucina caprese tipica, sich dieser Verlockung, die andernorts auf der Welt so viel Ursprüngliches zerstört hat, zu widersetzen. Erst recht und allem Massentourismus zum Trotz, will man einfach und typisch bleiben, worin ja oft im Leben, auch in anderen Belangen, die wahre Genialität besteht.

Man hat hier also die Möglichkeit, sich in der Sonne braten zu lassen, im Meer zu schwimmen, in einem Meerwasserpool zu entspannen, eine Tauchschule zu besuchen, oder sich dem Capriwein und den Kochkünsten der Fischerinnen und Fischer hinzugeben. Der ganzen Anlage gab man den Namen des Meergottes Neptun, der ja oft für solche Einrichtungen herhalten muss.

Kaum hatte uns Enzo, der Besitzer des Ristorante, erblickt, schoss er hinter seiner Theke hervor und begrüßte überschwänglich den Dottore, dann uns. Natürlich mussten wir an einem der im Freien aufgestellten Tische Platz nehmen und mit ihm einen Espresso und einen Liquore trinken. Man musste immer ess- und trinkbereit sein. Schlug man einmal eine Einladung aus, konnten die Capresen, wie alle Italiener, sehr schnell beleidigt sein.

Von der Unterhaltung der beiden verstand ich nur so viel, dass der Dottore vor einem Monat dem Hund des Strandwirtes einen Tumor entfernt hatte, und, dass es dem Hund wieder sehr gut gehe. Alles andere drehte sich wohl um die Familien, die Politik, das Wetter und um was es sich sonst noch bei solchen small talks drehen kann. Ich glaube, ohne das Austauschen solcher Informationen in Form eines kürzeren oder längeren Gespräches läuft gar kein Zusammentreffen zweier Italiener ab, auch wenn sie noch so sehr in Eile sind.

Ausführlich fragte dann Enzo den Dottore über meine Mutter und mich aus. Auf diese Art und Weise sollte es noch so weit kommen, dass wir schon bald nirgendwo mehr auf der Insel auftauchen konnten, ohne dass man uns erkannte oder zumindest von uns wusste. Überall war jemand, der uns schon zusammen mit dem Dottore gesehen hatte und uns sogleich auf das Herzlichste begrüßte. Es kam vor, dass wir in Bars nicht einmal unseren Espresso bezahlen durften, was so wie so der Fall war, wenn der Dottore dabei war. Wenn uns ganz gute Freunde des Dottore auf der Straße erkannten, kam es gar vor, dass man uns in ein Privathaus bat und dort, ob wir wollten oder nicht, der Tageszeit entsprechend bewirtete.

Dann berichtete Enzo, dass er schon viele Hundebesitzer auf der Insel gesprochen hätte, die sich wegen des bekannt gewordenen Parvovirosefalles sehr ängstigten und ihre Hunde deshalb gerne impfen lassen würden.

Ja, auch der Dottore hätte schon viele Anfragen bekommen, aber er musste alle Hundehalter vertrösten, denn im Moment war in ganz Italien kein Impfstoff aufzutreiben. Anscheinend war die Seuche in den Großstädten schon ausgebrochen und der Impfstoff, bei dem es sich, wie schon erwähnt, um einen Katzenimpfstoff handelte, war knapp geworden. Es dauerte auch bei uns in Deutschland manchmal Wochen oder sogar Monate, ehe man wieder neuen bekam.

Enzo bat darum, gleich als einer der ersten berücksichtigt zu werden, sobald neuer Impfstoff einträfe.

Als wir wieder im Hotel ankamen, herrschte dort gute Stimmung. Unserem Patienten ging es den Umständen nach zufriedenstellend. Er war zwar immer noch schwach, aber Durchfall und Erbrechen hatten sich nicht wieder gemeldet. Er aß alle ein bis zwei Stunden einige kleine Happen gegrillten Hühnerfleisches, wie es der Dottore empfohlen hatte.

Meine Mutter war von unserem kleinen Ausflug sehr angestrengt. Sie wollte ein wenig ruhen.

„Kla-ùss“, sagte der Dottore, indem er nach italienischen Ausspracheregeln jeden Vokal einzeln betonte, „wenn Du möchtest, kannst Du mit mir zum Hafen hinunterfahren. Wir holen unseren Kollegen vom Schiff ab und inspizieren dann gemeinsam dieses Hotel.“

Jedenfalls übersetzte ich für mich auf die Schnelle etwas Ähnliches. Sein Französisch war, wegen des starken italienischen Akzentes, manchmal wirklich schwer zu verstehen.

Ich war natürlich begeistert und willigte sofort ein. Da vergaß man Müdigkeit und Hunger. So interessante Dinge haben wir während unserer lebensmitteltechnischen Ausbildung leider nur theoretisch mitbekommen. Betriebsprüfungen wie in diesem Falle haben wir allenfalls in ein oder zwei Filmchen sehen dürfen. Hier konnte ich es einmal praktisch erleben, noch dazu in einer solchen Umgebung. Das war traumhaft!

Kaum dass wir am Hafen auf den Kai der ankommenden Schiffe zusteuerten, kam uns schon aus der erschreckenden Masse an Tagestouristen, die soeben wieder eine Caremar-Fähre ausgespieen hatte, der Ministerialbeauftragte entgegen. Er kannte offensichtlich den Dottore schon lange und gut. Umarmung links, Umarmung rechts, small talk. Dann wurde ich vorgestellt. Freundlich lächelnd drückte er kräftig meine Hand.

Als er erfuhr, dass ich in München studiert hatte, brach er förmlich in Entzücken aus. Er hatte dort einmal vor langer Zeit zwei Semester als Austauschstudent zugebracht. Er konnte schier nicht mehr aufhören, von dieser Stadt und ihren lustigen Gebräuchen zu schwärmen. Obgleich sein Deutsch grammatikalisch selten richtig war, sprach er sehr flüssig und ohne lange Denkpausen. Er verfügte über einen außerordentlich reichen Wortschatz, der nur so gespickt war mit bayerischen Ausdrücken. Ihn sprechen zu hören war wegen des Gemisches von italienischem und bayerischem Akzent ein amüsantes, ja fast komisches Erlebnis.