Der Sinn des Unternehmens - Dominic Veken - E-Book

Der Sinn des Unternehmens E-Book

Dominic Veken

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Beschreibung

Wer sind wir als Unternehmen? Wofür stehen wir? Wofür arbeiten wir eigentlich? Unternehmen müssen heute wieder die großen Fragen stellen. Denn nur so können sie in radikal veränderten Märkten die richtigen Antworten finden. Nur so können sie Mitarbeitern und Kunden wirklich sinnvolle Angebote machen und ihnen wieder eine starke Identifikation und Überzeugung vermitteln. Ihnen ein Leuchten in die Augen zaubern. Unternehmen sind nicht nur dazu da, Profite zu erwirtschaften. Unternehmen sind dazu da, die Welt zu verändern. Das ist ihre Verantwortung. Das ist ihr Sinn. Dominic Veken zeigt in seinem Buch "Der Sinn des Unternehmens", was die Unternehmensphilosophien der Zukunft ausmacht, wie man sie entwickelt, wie man sie nachhaltig zum Leben bringt. Mit vielen Interviews und vielen Unternehmensbeispielen wie Bulthaup, Spotify, Starbuck's, Montblanc oder Tesla, von Netflix, Vice, Dedon, Zappos, A. Lange & Söhne u.v.a.

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Dominic Veken

Der Sinn des Unternehmens

Wofür arbeiten

Einleitung

Wofür arbeiten wir eigentlich? Warum gehen wir jeden Tag der Tätigkeit nach, der wir nachgehen? Die Antworten auf diese Fragen scheinen uns häufig so selbstverständlich, dass wir sie uns gar nicht erst stellen. Wir arbeiten für Geld. Damit wir uns ernähren können. Damit wir die Mittel zur Verfügung haben, das Leben zu genießen. Damit wir mit dem schönen Gefühl durch die Welt gehen können, erfolgreich zu sein. Also arbeiten wir natürlich auch für Anerkennung. Wir können vieles und einiges sogar auch besser als andere. Damit können wir beeindrucken, uns und alle anderen davon überzeugen, dass wir jemand sind und nicht niemand. Aber das ist ja nicht alles, wofür wir arbeiten, oder?

Natürlich arbeiten wir auch dafür, uns selbst zu verwirklichen, das aus uns herauszuholen, was in uns steckt, das zu machen, was wir mögen und was uns liegt, und uns hiermit auf ganz besondere, individuelle Art auszudrücken. Geld, Ruhm, Macht, neue Möglichkeiten, Wohlstand und Weiterentwicklung – alles Elemente, für die wir arbeiten, ohne dass wir groß danach fragen müssten. Dem einen ist halt das eine wichtiger, dem anderen das andere.

So arbeiten wir vor uns hin, erfüllen die an uns gestellten Anforderungen und kommen Schritt für Schritt weiter. Die Frage ist nur: wohin? Und die Frage ist: wofür? Die These dieses Buches ist, dass wir diese Fragen stellen und sie beantworten müssen, wenn wir wirklich überzeugt sein wollen von dem, was wir tun. Nur wenn wir uns wirklich identifizieren mit dem, was wir tun, und mit dem, für den wir es tun, kann uns unsere Arbeit wirklich beseelen und begeistern, können wir erfüllt von ihr sein statt sie nur zu erfüllen, kann sie bei uns ein Leuchten in den Augen erzeugen. Nur wenn wir den Sinn eines Unternehmens kennen, wenn er uns bei der Arbeit bewusst ist, haben wir das Gefühl, Teil von etwas Großem zu sein und unsere Zeit in etwas zu investieren, für das es sich lohnt zu streiten, zu kämpfen, sich anzustrengen.

Erst dann wissen wir, wofür wir tun, was wir tun. Und erst dann entsteht ein ansteckender Stolz, der das Unternehmen in seiner Besonderheit abhebt von all denen, bei denen es nur um die Vermehrung von Wohlstand, um das Abarbeiten von äußeren und inneren Anforderungen geht. Erst dann hat das Unternehmen die Möglichkeit, wie eine soziale Bewegung zu begeistern und zu beseelen.

Sehr eindrücklich hat der amerikanische Psychologe Mihályi Csíkszentmihályi diese Logik gefasst, nachdem er über viele Jahre die Wirkung der Arbeit auf das Glücksempfinden der Menschen untersucht hat. Nach den Ergebnissen seiner später hier noch einmal zitierten Studien sind Chirurgen die Beschäftigten mit dem höchsten Glücksempfinden, da bei ihnen alle positiven Arbeitsfaktoren zusammenkommen. Das ist wenig überraschend. Viel überraschender ist die Aussage, dass auch unter den Putzfrauen in Krankenhäusern immer wieder einige anzutreffen waren, deren Glücksempfinden ähnlich hoch war wie das der Chirurgen. Sie erzählten im Gespräch über ihre Arbeit nicht nur davon, dass sie die Bettpfannen säubern oder den Fußboden wischen müssten, sondern auch davon, dass sie alles so sauber, frisch und angenehm wie möglich halten wollten, damit es den Patienten besser ginge. Diese Frauen, die man als »Erfüllte« beschreiben könnte, sehen sich als wichtige Größe für die Gesundheit und das Leben der Patienten. Sie tun exakt das Gleiche, was die »Erfüllerinnen« ihres Jobs machen, aber ihnen ist bewusst, wofür sie es machen. Sie kennen den Sinn. Und genau das macht sie in ihrer Arbeit glücklich.

Ein anderes Beispiel gab mir Jérôme Lambert, der Geschäftsführer von Montblanc in dem unten abgedruckten Interview. Darin erzählt er von einem Brief, den ein Uhrenunternehmen bekam, für das er früher gearbeitet hatte. Diesem Schreiben lag eine sehr teure alte Uhr des Hauses bei. Sie kam von einem Mann, der viele Jahrzehnte zuvor über drei Monate in einem dunklen, schwarzen, kleinen Gefängnislagerraum eingesperrt wurde, in dem es weder Tag noch Nacht gab. »Der einzige Fehler, den die Verantwortlichen damals machten, war, dem Häftling seine Uhr zu lassen. Die konnte er zwar nicht sehen, aber dafür konnte er das Ticken hören. Für ihn bedeutete dieses Ticken die Konstanz der Zeit und damit sein Überleben. Mit 90 Jahren schickte uns dieser Mann voller Dankbarkeit seine Uhr, weil sie für ihn sein Leben bedeutete. Er sah sie als seinen Lebensretter an, den er nun zurückgeben wollte.« Für Jérôme Lambert war diese Episode sehr prägend, sie vermittelte ihm intensiv das Gefühl, eine echte Aufgabe in der eigenen Arbeit zu haben, vor allem aber eine Verantwortung. Hat man einmal erkannt und erlebt, worin der Sinn der eigenen Arbeit besteht, ist diese von da an in ein anderes Bewusstsein getaucht.

Der Philosoph Hans Blumenberg stellte das von ihm so benannte »Suspensionstheorem« auf, das besagt, dass in den letzten Jahrzehnten Sinnfragen in der Art suspendiert wurden, wie ein Kommissar im Fernsehkrimi suspendiert werden kann. Sein Kollege Odo Marquard sprach hier ganz ähnlich vom »Abschied vom Prinzipiellen«. Wir waren so damit beschäftigt, Wohlstand und Fortschritt zu schaffen, Konsum und Optionen zu vervielfältigen, dass wir ganz vergessen haben, danach zu fragen, wofür wir das alles machen. Die Welt war voller Zwecke, die erfüllt werden mussten. Damit war schon genug zu tun. Sich Zeit für Sinnfragen zu nehmen, war etwas für Idealisten und solche, die es sich leisten konnten. Man selbst gehörte irgendwie nie dazu. Das galt insbesondere für die Welt der Wirtschaft, für die Unternehmen. Hier ging es um Rendite, Shareholder Value, Produktivität, Effizienz und weiteres Wachstum. Gab es da überhaupt noch etwas anderes?

Doch heute stehen wir vor einer neuen, einer völlig veränderten Situation. Einerseits lässt sich eine deutlich wachsende Sehnsucht nach Sinn, fast schon eine Sinnsucht konstatieren. Das Abarbeiten, Hierarchiebesteigen und In-Rente-Gehen reicht den meisten im Wohlstand Aufgewachsenen längst nicht mehr aus, von den nachkommenden Generationen ganz zu schweigen. Da muss doch noch mehr sein. Und andererseits befinden wir uns durch die Digitalisierung in einer Zeit umfassender Verflüssigung, die alles zuvor Verbindliche und Klare, alle Selbstverständlichkeiten mit sich mitreißt wie ein stürzender Wasserstrom. Und in der plötzlich die grundlegenden Fragen wieder von ganz unten nach ganz oben, ans Licht der Aufmerksamkeit, gespült werden.

Kein Unternehmen kann mehr weitermachen wie bisher. Und deshalb ist es Zeit, sich wieder mit der Philosophie dieser Unternehmen zu beschäftigen, mit ihren Grundlagen, mit den Fundamenten ihres Agierens. Wie wollen sie mit der globalisierten Digitalisierung umgehen? Wie wollen sie der daraus resultierenden Verflüssigung etwas Festes entgegensetzen, das Halt, das Richtung, und Orientierung gibt? Und zwar nicht nur den Führungskräften, sondern genauso den Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten? Wofür arbeiten die Unternehmen eigentlich? Und wie können sie dieses Wofür zu etwas Großem machen, von dem man gerne Teil ist, für das man sich einsetzt und das auf diese Weise hilft, den außerordentlichen Erfolg des Unternehmens mit der besonderen Erfülltheit all derer, die mit ihm zu tun haben, zu verbinden?

Alle diese Fragen stelle ich mir seit vielen Jahren. Und die Ergebnisse dieser Arbeit möchte ich gerne auf den nächsten Seiten darstellen. Anhand der Beispiele sinnorientierter Unternehmen wie Bulthaup, Zappos, Tesla, Netflix, Spotify, Starbucks, Dedon, SpaceX, Nudie, Lego, Vice, A. Lange & Söhne und vieler anderer. Anhand der Darstellung zeitlicher und theoretischer Fundamente. Und natürlich aufgrund vieler eigener Projekte der Unternehmensphilosophie, die ich über die letzten Jahre begleiten durfte (eine genauere Aufstellung findet sich in der Danksagung).

Ein Punkt ist mir dabei aber noch besonders wichtig, da er häufig zu Missverständnissen führen kann. Zwar beinhaltet eine Unternehmensphilosophie, also die Orientierung eines Unternehmens an einem »höheren« Sinn, immer die Intention, die Welt zu verändern, doch möchte ich mich grundsätzlich von jeder Bewertung distanzieren, ob dies auch zwingend eine Weltverbesserung darstellt. Natürlich gibt es auch Kritik an Unternehmen wie Amazon, Google, Starbucks oder Spotify, doch geht es bei der Beschäftigung mit deren Unternehmensphilosophien an dieser Stelle nicht um gut oder schlecht. Hier geht es darum, dass diese Unternehmen überhaupt einem »höheren Sinn« folgen. Und die These dieses Buches ist es, dass dies sowohl für den ökonomischen Erfolg des Unternehmens wie auch für die Erfülltheit der Führungskräfte und Mitarbeiter sehr bedeutsam ist.

Vor einigen Jahren habe ich mit meinem Buch Ab jetzt Begeisterung die Disziplin der Euphorologie, die »Lehre der Begeisterung« ins Leben gerufen. Dieses Buch stellt nun den Anwendungsfall für den Bereich Wirtschaft und Unternehmen dar.

Teil I Arbeit am Sinn – Die Kraft der Unternehmensphilosophie

1. Unternehmenssinn und Unternehmenszweck – Vorsicht, leicht zu verwechseln!

Viele, die schon einmal in Palo Alto südlich von San Francisco waren, werden das Gefühl kennen: Auf keinen Fall möchte man die Gelegenheit verpassen, der renommierten Stanford University mitten im Sunshine State Kalifornien einen Besuch abzustatten. Zu sehr gilt diese Universität als Motor und Wiege des mit den innovativsten Unternehmen dicht besiedelten Silicon Valley, die eine Vielzahl von Nobelpreisträgern hervorgebracht hat und weltweit Vorbildcharakter für eine freie, kreative Kultur unternehmerischen Handelns darstellt. Man muss Stanford einmal gesehen haben, auch um zu verstehen, wo der Silicon-Valley-Geist herkommt, um zu begreifen, was die Menschen hier antreibt. Und so bin auch ich vor einigen Jahren über den weitgestreckten klosterartigen Campus der Universität gewandelt, durch die weitläufigen Parkanlagen, vorbei an den vielen Wohnhäusern und den im Stil der Kalifornischen Missionsstationen errichteten Lehrgebäuden, bis ich irgendwann vor dem riesigen sandsteinfarbenen Hauptportal ankam, über dem in großen Buchstaben das Universitätsmotto prangt: »Die Luft der Freiheit weht« – fünf Worte auf Deutsch, ganz einfach und ohne Übersetzung, die zurückgehen auf den deutschen Humanisten Ulrich von Hutten.

»Die Luft der Freiheit weht« – da war ich dann doch ein bisschen überrascht. Und dann auch wieder nicht, weil ich dachte: das passt. Das bringt exakt den Geist zum Ausdruck, den ich in dieser Region überall spüren konnte. Das bringt auf den Punkt, wie sich Leben und Arbeiten und vermutlich auch Studieren hier anfühlen. Dieser Satz schien mir den über dem Valley schwebenden Geist zu materialisieren und zu kondensieren: Die bewegte Luft der Freiheit ist immer schon da. Du musst sie gar nicht erst erzeugen, auch nicht herbeizwingen, im Gegenteil: Mit jedem Eingriff würdest du sie eher zerstören. Freiheit kann ja nicht funktionieren, wenn man sie erzwingt. Die Luft der Freiheit weht, wenn man gerade nicht dazwischenfunkt. Dann bringt sie frische Gedanken mit sich, ganz selbstverständlich und zwanglos. Man muss sich ihr nur öffnen, sich bereitmachen und bereithalten für sie, dann wird sie vielleicht die eigenen Ideen und Gedanken auch in neue Richtungen tragen. Insofern kann jeder in dieser Sentenz am Haupttor der Stanford University viel mehr als ein einfaches Motto erkennen.

Tatsächlich drückt sie eine sehr spezifische Art aus, die Welt zu sehen, mit ihr umzugehen. Sie kennzeichnet eine eigene Philosophie, eine eigene Weise, die Welt zu begreifen – und das nach innen, für die Studenten und Lehrenden, wie auch nach außen, für die Besucher. Und ich bin ziemlich sicher, dass nicht nur ich das so empfand, sondern fast jeder, der einmal vor dem Hauptportal der Uni stand. Es ist ein besonderes Gefühl, das einen da erfasst, genauer: eine Kategorie von Gefühl, die gebunden ist an Bedeutung, an Sinn, an die erhebende Empfindung, Teil von etwas Größerem zu sein. Ein solches Gefühl kann sich bei vielen einstellen, wenn der Kapitän der eigenen Nationalmannschaft den Weltmeister-Pokal in den Himmel streckt oder wenn jemand das erste Mal erfolgreich eine Welle reitet. Andere verspüren es bei ihrem Einsatz für den Umweltschutz, wieder andere, wenn sie erleben, dass das von ihnen erfundene und gestaltete Erfrischungsgetränk einen stürmischen Absatz erfährt. Bei allen ist dann ein Punkt getroffen, etwas, das sie antreibt und befriedigt, das sie glühen lässt und ihre Augen zum Leuchten bringt: Es ist das Gefühl, Teil von etwas Großem zu sein. Der Satz »Die Luft der Freiheit weht« manifestiert einen solchen Punkt, er fasst ihn in Worte und dient auf diese Weise als Mantra. Er bezeichnet das Große, von dem jeder, der sich an der Stanford University aufhält, Teil sein kann. Er vermittelt die Aura des Außergewöhnlichen, auf das man stolz sein kann, für das es sich zu kämpfen und zu arbeiten lohnt – das dem eigenen Handeln eine Seele verleiht.

Die Allgegenwart der 08/15-Philosophien.

Der Begriff »Philosophie« wird heute im Kontext von Unternehmen und Institutionen fast schon inflationär verwendet. Man findet ihn auf Websites, auf Wandtafeln in Foyers oder auch in Fluren zur Toilette, und in den Selbstdarstellungsbroschüren und -präsentationen kommt man auch kaum noch an ihm vorbei. Statt »Unsere Philosophie« werden dort auch »Unsere Werte« präsentiert oder »Unser Selbstverständnis« oder das »Woran wir glauben« oder sehr gerne auch »Unser Leitbild«. Gemeint ist aber eigentlich immer dasselbe, nämlich das, was das Unternehmen antreibt, die Art, wie es die Welt sieht und wie es mit ihr umzugehen gedenkt. Wenn man so will, stellt sich hier die Präambel des Unternehmenswirkens dar, eine grundsätzliche Willens- und Glaubensbekundung der Organisation – im Anspruch vergleichbar dem Stanford-Motto. Doch die ambitiösen Formulierungen dürfen über eines nicht hinwegtäuschen: Die Umsetzung dieses Anspruchs gelingt in der Regel ganz und gar nicht.

Befasst man sich etwas genauer mit den Philosophien und den Unternehmen selbst, werden die bisweilen eklatanten Schwächen schnell offenkundig. Als Erstes fällt das verbreitete Phänomen ins Auge, dass sich nach den oft monatelangen Prozessen zur Definition eines Leitbildes praktisch niemand mehr in und außerhalb der Organisation sonderlich dafür interessiert. Zumindest vermag niemand im Unternehmen auf Anhieb zu sagen, was in einem solchen Text steht, was er überhaupt ausdrücken will und inwiefern er Auswirkungen auf das eigene Handeln im Unternehmen haben soll. Nun ist dies zugegebenermaßen auch nicht weiter verwunderlich, lesen sich die meisten dieser sogenannten »Philosophien« doch wie eine Aneinanderreihung tausendfach gehörter Phrasen, unter die jeder beliebige Firmenname gesetzt werden könnte. Immer und überall scheint der Mensch im Mittelpunkt zu stehen, alles Verhalten auf den Kunden und sein Wohlergehen abgestimmt zu sein und die Produktqualität als oberstes Gebot zu gelten. Ein Geist der Freiheit weht da weder in den Gedanken noch in der Verwirklichung. Kein Wunder also, dass die so verfassten Leitbilder und Philosophien maximal homöopathisch dosierten Einfluss auf den gemeinsamen Geist sowie auf das tatsächliche Organisationsverhalten und das ihrer Mitglieder haben.

Zumeist kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Bekundungen auch gar nicht der Verhaltensführung, sondern in erster Linie der Selbstvergewisserung und der Selbstdarstellung im Sinne einer »Einheit mit echten Grundsätzen« dienen sollen. Das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein, sucht man hingegen vergebens. Selbst mit viel Mühe und einigem guten Willen lässt sich nichts aus dem Geschriebenen herausdestillieren, an das wirklich geglaubt werden, das das eigene Handeln lenken und das Gefühl geben könnte, in einer Gemeinschaft einer Richtung zu folgen, einem gemeinsamen Geist verpflichtet zu sein. Warum also – so stellt sich angesichts dieses Eindrucks die Frage – halten es so viele Unternehmen und Institutionen für nötig, ihre Philosophie zu definieren, ohne dabei etwas zu entwickeln, das diesem Begriff tatsächlich gerecht wird. Oder noch schärfer gefragt: Warum sind eigentlich nahezu alle Unternehmensphilosophien aussageschwach, austauschbar, langweilig und deshalb gänzlich unwirksam?

Als einen ersten Befund kann man aus dem Studium der Aushängephilosophien schlicht festhalten: Weil sie die Antwort auf eine falsche Frage geben. Der überwiegende Teil der sogenannten Leitbilder dringt zum Grundsätzlichen überhaupt nicht vor, sondern kratzt nur an der Oberfläche des Organisationsverhaltens. Durchgehend beziehen sich die Intentionsbekundungen allein auf das, was für ein funktionierendes Unternehmen das Selbstverständlichste darstellt, das, was jede Organisation tun muss, um überhaupt am Leben zu bleiben. So als ob ein einzelner Mensch ein Leitbild schreiben und darin festhalten würde: »Mein Ziel ist es, jeden Tag etwas zu essen und zu trinken, damit ich nicht verdurste und verhungere. Ich behandele jeden Menschen als solchen, damit ich ein anerkanntes und erfolgreiches Subjekt der Gesellschaft werde. Ich lasse mich gut ausbilden und lerne permanent weiter, damit ich genügend Geld verdiene, um einen guten Lebensstandard zu erreichen.« Und so weiter, und so fort.

Hat das etwas mit der besonderen Persönlichkeit dieses Menschen zu tun? Nein. Wird hiermit der Sinn seines Tuns auch nur ansatzweise deutlich? Natürlich nicht. Ist das inspirierend und verlockend, hilft ihm das, sich über sich selbst zu erheben und ein Leben zu führen, von dem er am Schluss sagen kann, dass es ein tolles war? Die Antwort auf diese Frage erübrigt sich. Und dennoch bewegen sich die Wertekonstrukte von Unternehmen, Organisationen und Institutionen fast immer auf dieser Ebene. Sie beschreiben nur das Offensichtliche und drücken sich damit vor den wirklich relevanten Fragen, vor den Fragen nach den Wurzeln, nach dem Spezifischen und Bedeutungsstiftenden, danach, welchen Sinn ein Unternehmen in der Welt hat und warum es deshalb ein echter Verlust für die Welt wäre, wenn es dieses Unternehmen eines Tages nicht mehr gäbe.

So unterschiedlich sie im Einzelnen auch formuliert sein mögen, im Grundsatz bewegen sich alle Unternehmensphilosophien um fünf Punkte, die variantenreich, aber im Grunde unterschiedslos die immer gleichen Werte und Grundsätze zum Ausdruck bringen. Wollte man gehässig sein, könnte man sagen, dass es für ein Organisationsleitbild keinen zwölfmonatigen Prozess braucht, bei dem alle Führungskräfte, Mitarbeiter und vielleicht sogar einige Kunden zu Wort kommen. Es würde genügen, ein sehr einfaches und immer wieder erprobtes Rezept einfach aufzugreifen und die Wirkung (oder auch Nichtwirkung) abzuwarten. Man nehme also:

■ Qualität als oberstes Gebot: Das Produkt muss stimmen. Dafür muss man immer unzufrieden bleiben. Vielleicht huldigt man sogar dem Perfektionismus. Zumindest aber müssen alle ihr Bestes geben – und zwar immer. ■ Kundenorientierung als zentraler Wert: Der Kunde ist der uneingeschränkte König. Alles dreht sich nur um ihn. Alles, was zu tun ist, muss deshalb »customer-centric« sein. Es muss den Kunden zufriedenstellen. Oder noch besser: ihn vollkommen überzeugen, ihn glücklich machen.■ Innovation als entscheidender Wachstumsfaktor: Damit alles bleibt, wie es ist, muss sich immer alles verändern: neue Märkte, neue Zielgruppen, neue Produktbereiche. Das geht natürlich nur mit Mut und großer Kreativität. Und Fehler sind auf diesem Weg sogar erwünscht. Denn nur so kann eine lernende, effiziente Organisation entstehen, die keine Chance verpasst und kein Geld verprasst. ■ Passion als großer Motivator: Um voranzukommen, braucht es einen Motor, einen Antrieb – Wille, Leidenschaft, Entwicklungsbereitschaft, kurz: Die Passion für das Produkt gibt den Ausschlag. Die Begeisterung für das Unternehmen – alles kann, niemand muss – steht für den gemeinsamen Erfolg.■ Der Mensch im Mittelpunkt als ethischer Kern: Rücksicht wird groß geschrieben. Zwar geht es immer um Wirtschaftlichkeit und Gewinn, aber nicht um jeden Preis. Das Vertrauen zu den Kollegen, Verantwortung gegenüber der Umwelt, ein gutes Verhältnis zu den Lieferanten und Dienstleistern müssen zur Geltung kommen. Corporate Social Responsibility ist viel mehr als nur eine Pflicht.

Meistens implizit, in den letzten Jahren aber auch zunehmend explizit läuft noch der Wert Wirtschaftlichkeit und Effizienz mit: Umsatz erhöhen, nichts verschwenden, viel aus wenig machen. Das ist quasi ein Gegenwert, eine regulative Idee, die klar macht, dass bei all der Leidenschaft und Kundenorientierung das Geldverdienen nicht vergessen wird.

Was bedeutet das überhaupt: »Unternehmensphilosophie«?

Zweifellos haben diese »Big Five« der Unternehmensgrundsätze einen orientierenden Wert, sie sind ein unhintergehbares Set von Grundwerten für jedes vernünftig geführte Unternehmen und insofern auch wichtig als permanentes Vergewisserungselement. Es macht durchaus auch Sinn, die »Big Five« aufzugreifen, auszudrücken und immer wieder in die Organisation zurückzuspiegeln, allein schon deshalb, weil man heute oftmals vergeblich nach einer Übereinstimmung zwischen ihnen und dem tatsächlichen Führungs- und Mitarbeiterverhalten sucht. Und dennoch fehlt den fünf Grundwerten und ihren vielen Variationen das, was zum Beispiel das Motto »Die Luft der Freiheit weht« vermag: eine tiefere Ebene bei denen anzusprechen, für die die Aussage gedacht ist, eine Wahrheit auszusprechen, die dem Sein der Organisation etwas Größeres mit auf den Weg gibt, etwas, das einen ganz besonderen Wert hat, das für die Mitglieder eine echte Bereicherung darstellt und ihnen eine kaum zu erschütternde Überzeugung vermittelt. »Mehr Demokratie wagen« von Willy Brandt, »Just do it« von Nike, »Sapere aude – Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen« von Immanuel Kant, die »Erziehung zur Freiheit« der Anthroposophen, die »Flower Power« der Hippies oder auch »You gotta fight for your right to party« von den Beastie Boys – es gibt unzählige Beispiele für Aussagen, die diese tiefere Ebene mit maximaler Wirkung anzusprechen und eine wirkliche Leitfunktion für Menschen einzunehmen vermochten.

Doch worin besteht der große Unterschied dieser Leitsätze zu den üblichen Leitbildern der »Big Five«? Warum schaffen es die gut gemeinten und mit viel Aufwand erstellten Wertetafeln und Selbstverständnisse nicht, das zu fassen, worum es ihnen geht? Fehlt es ihnen an Poesie? Oder ist es einfach nicht möglich, den entscheidenden Punkt zu treffen? Braucht es einen echten Philosophen, um eine Unternehmensphilosophie zu verfassen? Oder fehlt es nur an der richtigen Idee zur richtigen Zeit? Vielleicht lassen sich diese Fragen beantworten, wenn wir uns einmal vergegenwärtigen, was Philosophie im ursprünglichen Wortsinne bedeutet.

Schon in der Schule haben wir gelernt, dass das Wort Philosophie altgriechischen Ursprungs ist und wörtlich übersetzt »Liebe zur Weisheit« bedeutet. Nun wissen wir aber auch, dass weise Menschen mit Geld und Gewinnen oft nicht viel anfangen können, weshalb das Führen eines wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmens dem, was Philosophie ursprünglich bedeutet, tatsächlich zuwiderzulaufen scheint. »Philosophie? Brauchen wir nicht«, sagt sich der pragmatisch orientierte Manager. »Erst einmal müssen wir unsere Hausaufgaben machen, dann bleibt vielleicht noch Zeit, über dies und jenes auch grundlegend nachzudenken.« Passender für die Anforderung unternehmerischen Handelns wird es, wenn man mit »seiner Philosophie« die eigene Weltanschauung meint, das, was man für richtig und für falsch hält, die Art, wie man die Welt, das Leben und sich selbst versteht und begreift. Es geht in diesem Zusammenhang also gar nicht um die Philosophie im akademischen Sinne, sondern um eine Philosophie als eine selbst definierte Art der Weltbetrachtung. Diese Bedeutungsfacette von Philosophie scheint schon ziemlich gut zu den »Big Five« der Unternehmenswerte zu passen, sollen die doch zum Ausdruck bringen, was in einem Unternehmen als wertvoll und wünschenswert betrachtet wird.

Seit ihrer Hinwendung zur Sprache im sogenannten »linguistic turn« zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird Philosophie auch als »Arbeit am Begriff« definiert. In dieser Bedeutungsdimension wird die sprachliche Verfasstheit unserer Weltsicht in den Blick genommen und unser Begreifen der Dinge mit Worten und der Sprache untersucht. Gefragt wird nach der Verwendung und genauen Bedeutung von Begriffen, die im gewöhnlichen Sprachgebrauch selbstverständlich und unhinterfragt zur Anwendung kommen. Für unseren Kontext hieße das zum Beispiel, konkret zu fragen: Was bedeutet Nachhaltigkeit? Was meinen wir, wenn wir vom Kunden und seinen Bedürfnissen sprechen? Unter dieser methodischen Voraussetzung hätte Unternehmensphilosophie also nicht primär die Funktion, die Weisheit im unternehmerischen Handeln zu erhöhen. Sie hätte die Aufgabe, am Begreifen der wirtschaftlich relevanten Faktoren des Unternehmens zu arbeiten: Konkurrenz, Kunde, Marke, Umwelt etc. – welches ist die eine Philosophie des Unternehmens, die hier zum Tragen kommt? Fasst man Philosophie auf diese Weise, kommt man der üblichen Leitbild-Entwicklung zwar schon recht nahe, doch hat man den großen Unterschied zwischen dem Stanford-Motto und den klassischen Unternehmenswerten immer noch nicht wirklich identifiziert.

Dazu bedarf es noch einer weiteren, ebenfalls sehr geläufigen Bedeutungsfacette der Philosophie, die in der Beschreibung »Mutter aller Wissenschaften« zum Ausdruck kommt. Interessant für unseren Zusammenhang ist dabei der Bestandteil »Mutter aller …«, wird hiermit doch etwas bezeichnet, das allem anderen Gemeinten vorausgeht, das zugleich Ursprung und Verpflichtung meint. Die Mutter gebiert und gebietet. Sie ist das, was zuerst da war und das ihr Folgende überhaupt erst ermöglicht. Dabei geht das andere nicht nur aus ihr hervor, sondern führt ihr Sein gewissermaßen fort, reproduziert ihre DNA. Und in der Tat war es schon immer eine ganz entscheidende Funktion der Philosophie, die ersten Fragen zu stellen, die »Mutter-Fragen« also, die beantwortet sein müssen, bevor alle anderen gestellt werden können. Die Philosophie, im Sinne einer »Prima Philosophia«, der »Ersten Philosophie«, geht mit ihren Fragestellungen zurück bis zum Ursprung und stellt selbst diesen noch infrage.

Man kann sich das ganz einfach klar machen, indem man sich ein staunendes Kind vorstellt, das auf jede Antwort, die ihm gegeben wird, mit einem weiteren »Warum?« oder »Wofür?« reagiert. Werden diese Fragen gewissenhaft beantwortet und bleibt der potenzielle Nervenzusammenbruch des Befragten aus, dann stößt man irgendwann zu den Fragen vor, die man als »ursächlich philosophische Fragen« bezeichnet – Fragen wie: Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts? Wofür leben wir eigentlich? Was ist schön? Was können wir wissen? Wie sollen wir leben? Oder: Was ist der Sinn des Seins? Alle diese Fragen geben sich nicht mit dem Selbstverständlichen und Oberflächlichen zufrieden, sondern hinterfragen es, um zum Allergrundsätzlichsten vorzudringen, zum Wesen der Dinge, bis zu dem, was einen weiter und immer mehr staunen lässt und eine tiefere Ebene berührt. Genau die tiefere Ebene, von der schon die Rede war und um die es in dieser Einführung in die Unternehmensphilosophie gehen soll.

Nun kann es nicht Aufgabe einer Unternehmensphilosophie sein, grundlegende erkenntnistheoretische oder metaphysische Fragen zu beantworten. Allzu große Nachdenklichkeit und Selbstzweifel könnten gerade im ökonomischen Kontext in der Tat deutlich selbstzerstörerische Wirkung nach sich ziehen – ganz unabhängig von Branche und Unternehmensumfeld. Zwar zeigt sich in den letzten Jahren, dass man Mode, Küchen, Autos und auch Fußballschuhe erfolgreich und verkaufsfördernd mit einem höheren, bisweilen weit hergeholten Sinn versehen kann. Doch grundsätzlich sollten sich Unternehmen ihrem Selbstverständnis nach nicht bloß aus verkäuferischem Interesse auf die hohe Kunst des grundlegenden Fragens verlegen. Denn nur so kann Unternehmensphilosophie einen wirklichen, unmittelbaren und vor allem nachhaltigen Mehrwert darstellen – indem sie eine Antwort gibt auf die Frage nach dem tatsächlichen Sinn eines Unternehmens. Warum existiert die Organisation überhaupt? Was macht das Unternehmen für einen Unterschied in der Welt? Und warum lohnt es sich, sich dafür zu engagieren? Auf diese Fragen relevante, originelle und sehnsuchtserfüllende Antworten zu finden, das ist es, was den Unterschied zwischen einer echten, guten Unternehmensphilosophie und den »Big Five« der Leitbilder ausmacht. Hier liegt ihre große Chance, das, was sie zu einem unschätzbaren Wert machen kann und was sie von der üblichen Phrasendrescherei abzuheben hilft.

Die Philosophie eines Unternehmens ist die unhintergehbare Letztantwort auf die Frage: »Wofür?« Sie ist der Grundimpuls und die tiefste Verpflichtung für das, was die Organisation treibt. Eine Unternehmensphilosophie ist ein starkes Commitment in guten und in schlechten Zeiten. Sie fordert nicht Leidenschaft, sondern ist ihre Quelle. Sie drückt das aus, wofür die Mitarbeiter jeden Morgen zur Arbeit erscheinen, und sie bringt auf den Punkt, warum sie von dem, was sie tun, überzeugt sein können. Eine Unternehmensphilosophie schafft eine große Identifikation bei allen, die mit dem Unternehmen zu tun haben, und sie liefert eine Orientierung, so dass jeder weiß, woran er ist und wofür er sich engagiert. Warum ist das so? Weil die Philosophie eines Unternehmens die Mutter aller Fragen beantwortet. Und damit die gesamte DNA des Handelns definiert.

Genau in dieser Bedeutung der Sinnbefragung und Sinnsetzung ist der Leitsatz »Die Luft der Freiheit weht« eine Philosophie. Mit diesem Motto werden eben nicht organisationale Grundwerte heruntergebetet, mit ihm wird etwas Großes vorgestellt, das über den eigentlichen Zweck dieser Bildungsinstitution Universität weit hinausgeht. In ihm kommt eine Vorstellung davon, was Bildung bedeuten kann, zum Ausdruck, eine Idee, was man Studenten als »Schule« für ihren Lebensweg mitzugeben beabsichtigt.

Auch ein Slogan wie »Just do it« kennzeichnet in dieser Bedeutungsdimension eine Unternehmensphilosophie, weil hier die Frage nach dem Sinn des Sportartikelherstellers auf eine emotionale und sinnsetzende Art beantwortet wurde. Die Dinge anzugehen, den inneren Schweinehund zu übergehen und einfach mal loszulegen, ist eine athletische Kardinaltugend und damit auch für die Mitarbeiter von Nike ein Antrieb, das zu tun, was sie tun, und wenn sie es gut tun, ist das auch ein zentraler Grund für die Kunden von Nike, dort Laufschuhe und Trikots einzukaufen – inklusive gesteigertem Tatendrang. »Think different« – das wirkungsstarke Plädoyer für Andersdenken hatte eine sinnsetzende Funktion in schwierigen Zeiten für Apple, die Devise »Freude am Fahren« hat ein solche in den seit langem andauernden erfolgreichen Zeiten für BMW. Jeweils handelt es sich hier um Sinnformeln, die den Existenzgrund mit dem Geist der Organisation verbinden und hierdurch eine Chiffre zur Einordnung ihres Wirkens erzeugen. Eine Unternehmensphilosophie ist somit als Mutter allen unternehmerischen Wirkens zu definieren, als Offenlegung der DNA, aus der sich alle Aktivitäten in ihrer Besonderheit ableiten lassen können.

Ein weiteres Beispiel für eine solche Sinnsetzung stellt das Unternehmen Bulthaup dar, dessen Gründer Martin Bulthaup es zunächst nicht in erster Linie darum ging, besondere Küchen zu produzieren. Sein Wirken war von Anfang an von seinem Glauben an eine echte Produkt- und Materialehrlichkeit getragen. Diese Überzeugung stellt laut Gründerenkel Marc O. Eckert (siehe Interview) bis heute die Mutter allen Handelns des Unternehmens dar und ist insofern als dessen Philosophie zu begreifen.

Die fatale Gleichsetzung von Sinn und Zweck.

Fasst man Unternehmensphilosophie als Vordringen bis zur letzten Frage der unternehmerischen Motivation, wird schnell klar, warum die »Big Five« der klassischen Unternehmenswerte diese höchsten Ansprüche kaum erfüllen können. Die dort vermittelten Grundwerte Passion, Innovation, Qualität, Kundenorientierung und Rücksicht sind im üblichen Selbstverständnis von Organisationen immer nur Mittel zum Zweck, immer nur Instrumente, um ökonomischen Erfolg zu erzeugen. Jeder dieser Faktoren erhält seine Bedeutung dadurch, dass er entscheidend für den Ertrag ist: Klar, man muss innovativ sein, um auf den Märkten auch zukünftig punkten zu können. Klar muss der Kunde König sein, damit er wiederkommt und bereit ist, einen entsprechenden Preis für das Produkt oder die Dienstleistung zu bezahlen. Klar ist Leidenschaft von großer Bedeutung, um durch ein entsprechendes Engagement besser, schneller und stärker als die Konkurrenz zu sein. Jedes Mal ist der Zweck gesetzt: Wirtschaftlichkeit, Erfolg, Rendite. Das proklamierte Selbstverständnis erklärt nur noch, wie dieser Zweck zu erfüllen ist. Diese Sichtweise greift insofern zu kurz, als es vor oder hinter den sogenannten Werten nichts mehr gibt. Zumindest gerät es nicht in den Blick: der Sinn des Unternehmens, sein Wesen, seine Seele, das Große, das über den finanziellen Zweck hinausgeht und dabei hilft, dass das Unternehmen über sich selbst hinauswächst. Doch woher kommt diese beschränkte Sichtweise?

Üblicherweise werden Zweck und Sinn eines Unternehmens gleichgesetzt: Ein Unternehmen ist dazu da, Geld zu verdienen. Punkt. Das muss als Daseinsgrund reichen. Leitbilder und Philosophien kommen in der Regel erst danach ins Spiel. Dann, wenn es um das »Was« oder »Wie« der Organisation geht. Hier werden Glaubenssätze formuliert und Gebote aufgestellt. Hier werden Unterscheidungsmerkmale und Identifikationsformeln präsentiert. Was dabei allerdings verlorengeht, ist die tiefere Ebene, ein Existenzgrund, der über den trivialen, vorgegebenen Zweck hinausgeht und Mitarbeitern und Kunden das Gefühl gibt, Teil von etwas Großem, Bedeutsamem und Wertvollem zu sein. Simon Sinek hat die Kraft dieses »großen Warum« in seinem Buch Start with Why nachdrücklich beschworen. In diesem Buch wie auch in seinen TED-Reden hat er anhand vieler Unternehmensbeispiele und geschichtlicher Anekdoten dargestellt, wie wichtig dieses »große Warum« ist, wie sehr es uns zu großen Taten beflügelt. Entsprechend lautet auch seine Schlussfolgerung, dass das Warum nicht allein im klassischen Unternehmenszweck Geldverdienen bestehen kann. Die sinnsetzende Funktion einer eigenen Philosophie führt zu mehr Erfüllung bei allen, die mit dem Unternehmen zu tun haben. Und hierdurch indirekt meistens sogar zu mehr Erfolg und mehr Rendite bei der Organisation – entgegen also der eigentlichen Intention der Beantwortung der letzten Fragen.

Der Unterschied zwischen Unternehmenssinn und Unternehmenszweck besteht darin, dass der Unternehmenszweck profan ist und außer Gier und einer computerspielartigen Leistungsmotivation wenig Antriebskraft zu erzeugen vermag. Die Mittel zu diesem Unternehmenszweck sind demgemäß austauschbar und in ihren Formulierungen relativ blass und wenig identitätsstiftend. Tatsächlich erhalten beim Unternehmenszweck »Wirtschaftlichkeit« Aktivitäten wie die Optimierung von Prozessketten, die Erhöhung der Effizienz und der Abbau von Arbeitsplätzen dieselbe, wenn nicht sogar eine höhere Relevanz als der Aufbau von Innovationsfähigkeit oder das Initiieren eines Programms für Corporate Social Responsibility. Der Unternehmenssinn hingegen umfasst den Unternehmenszweck sowie die Mittel, diesen zu erreichen, und taucht beides dann in eine besondere Färbung, bezeichnet eine Intention, ein inneres Anliegen der Organisation, das eine weit über das Ökonomische hinaus wirkende Veränderung der Welt anstrebt. Er lässt das Mitwirken an der Umsetzung des inneren Anliegens des Unternehmens entsprechend als etwas Besonderes, das Leben Bereicherndes erscheinen.

Der Unterschied von Unternehmenszweck und Unternehmenssinn lässt sich sehr schön verdeutlichen anhand der Anekdote über Steve Jobs’ Versuch, den damaligen Pepsi-Manager John Sculley für seine noch relativ junge Firma Apple abzuwerben. Jobs’ Problem war, dass Sculley zu diesem Zeitpunkt bei Pepsi viel mehr Geld, Macht, Mitarbeiter, Ruhm und Privilegien hatte, als er ihm bei Apple bieten konnte. Dennoch war er mit seinem Abwerbeversuch erfolgreich. Der Grund dafür war nach Sculleys eigener Schilderung eine einzige Frage, mit der der Apple-Gründer ihn überzeugt hat: »Willst du die Welt verändern oder willst du weiter Limonade verkaufen?«

Diese Frage bringt die Alternativen noch einmal auf den Punkt. Limonade verkauft man, um damit Geld zu verdienen. Das kann natürlich auch interessant sein und sogar Spaß machen. Dennoch wirkt es im Vergleich zur nicht eben unbescheidenen Ambition, die Welt zu verändern, also etwas wirklich Großes zu erreichen, klein und unbedeutend und wenig erstrebenswert. Wollte man diesen Gedankengang noch weiter zuspitzen, könnte man sagen, dass Menschen, die nur einem Unternehmenszweck folgen, letztlich immer nur Erfüller vorgegebener Anforderungen und Maßstäbe sind, während Menschen, die einem Sinn dienen, die Chance haben, von diesem erfüllt zu sein. Noch mehr als das: Die Orientierung an einem »höheren« Sinn erlaubt es ihnen sogar, die vorgefundenen Anforderungen und Maßstäbe immer wieder infrage zu stellen, zu verändern und neu zu definieren, weil sie in gewisser Weise über ihnen stehen.

»Unternehmen sterben niemals von außen, sondern immer nur von innen.« Ein Interview über Werte und Sinn mit Marc O. Eckert, Geschäftsführer von Bulthaup und Enkel des Gründers

Herr Eckert, welche Bedeutung haben Werte für Unternehmen?

Natürlich sind bei jedem Unternehmen zunächst die Produkte wichtig. Aber die Produkte sind immer nur das Ergebnis einer Überzeugung, einer