Der Songwriter - Chris Regez - E-Book

Der Songwriter E-Book

Chris Regez

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Beschreibung

Joe Baker, ein junger Kalifornier ist am Boden zerstört. Seine Freundin hat ihn für einen anderen verlassen und seinen Job als IT-Spezialist hat er ebenfalls verloren. Zwei Möglichkeiten bleiben ihm: aufgeben oder wieder aufstehen und weitergehen. Joe entscheidet sich, sein Leben umzukrempeln und einen Neustart zu wagen. Er verlässt San Diego und setzt in Nashville alles auf die Karte Musik. Mit dem Schreiben von Songs versucht er, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch das Leben als Musiker ist kein Zuckerlecken. Unzählige Musikerinnen und Musiker kommen täglich nach Nashville. Alle mit dem Ziel, von der Musik leben zu können. Auf dem Weg zum Erfolg muss Joe hart arbeiten und viele Widerstände überwinden. Schon bald befreundet er sich nach einem Konzert mit einem Anwalt, der ihn bei der Umsetzung seiner Pläne mit Rat und Tat unterstützt. Nach einiger Zeit lernt er eine bezaubernde Sängerin kennen und sein Liebesleben sieht wieder vielversprechender aus. Doch ein Nebenbuhler macht ihm das Leben schwer und auf einmal taucht seine Ex-Freundin wieder auf. Sie hat eine riesige Überraschung für ihn. Der Autor ergänzt die Story mit interessanten Hintergründen rund um das Musikbusiness. Das Buch enthält auch Insider-Tipps für touristische Hotspots, Kulinarik und das Nachtleben in Nashville.

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Das Buch

Freundin weg. Job weg. Alles weg. Joe Baker ist am Tiefpunkt seines Lebens angelangt. Gibt er auf? Nein! Das ist nicht sein Ding. Er setzt alles auf die Karte «Musik» und verlässt San Diego, Kalifornien, um in Nashville, Tennessee, sein Glück als Songwriter zu versuchen. Doch das ist alles andere als einfach. In der Musikmetropole versuchen Tausende von der Musik zu leben. Doch nur die wenigsten schaffen es. Die meisten müssen als Barkeeper oder Kellner arbeiten, um über die Runden zu kommen.

Nur mit Gitarre, Notebook und selbst geschriebenen Songs in der Hand landet Joe Baker an einem warmen Herbsttag in der Music City USA. Mit einem gemieteten Ford Mustang beginnt sein neues Leben in Nashville.

Nicht nur Gitarren, Musikstudios und das Leben als Musiker lassen sein Herz höher schlagen. Auch Allison Monroe, eine talentierte und attraktive Sängerin, sorgt dafür, dass er nachts nicht schlafen kann. Und auch seine Ex erhöht seine Herzfrequenz immer wieder.

Jeder Tag bringt neue Überraschungen: Liebe, Erotik, Betrug, Enttäuschungen, neue Songs, Intrigen, Eifersucht, Verbrechen und Hoffnung. Die Frage stellt sich: Kann Joe Baker seine Träume verwirklichen?

Für alle, die ihren Traum verwirklichen wollen.

Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum.

Tommaso Campanella (1568 - 1639) Bürgerlich: Giovanni Domenico Italienischer Philosoph, Dominikaner, Dichter und Politiker

Bei diesem Buchprojekt haben mich zwei Personen ganz besonders unterstützt. Ohne Astrid und Urs wäre das Buch nie entstanden oder fertig geworden. Dafür danke ich euch beiden herzlich!

AstridDu hast mich motiviert, dieses Buchprojekt zu starten und immer wieder zu optimieren.

Urs Nach jedem neuen Kapitel wolltest du wissen, wie sich die Geschichte weiterentwickelt. Das hat mich angetrieben, immer nach neuen Antworten zu suchen.

Ich danke allen Freunden und Kollegen, die mir ihr wertvolles Feedback nach einer Leseprobe gaben. . Bei Sergio bedanke ich mich für die technische Beratung bei der Buchproduktion!

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 – Endlich wieder in Nashville

Kapitel 2 – Im Hotel einchecken

Kapitel 3 – Schlaflose Nacht

Kapitel 4 – Unzuverlässiger Autohändler

Kapitel 5 – Der Männerabend

Kapitel 6 – Auf Wohnungssuche

Kapitel 7 – Zusatzkonzerte in Charleston

Kapitel 8 – Die Demo-Session

Kapitel 9 – Rückkehr von der Ostküste

Kapitel 10 – Open Mic Night

Kapitel 11 – Relaxen

Kapitel 12 – Die Demo-Session

Kapitel 13 – Record Label unter Strom

Kapitel 14 – Die Song-Demos sind fertig

Kapitel 15 – Schlechtes Timing

Kapitel 16 – Von Tür zu Tür

Kapitel 17 – Der Möbelverkäufer

Kapitel 18 – Songwriting mit Ruben

Kapitel 19 – Mädels-Abend

Kapitel 20 – Nadel im Heuhaufen

Kapitel 21 – Shows in Austin, Texas

Kapitel 22 – Alte Verbindungen

Kapitel 23 – Bittere Pille

Kapitel 24 – Wunden lecken

Kapitel 25 – Neue Perspektiven

Kapitel 26 – Zurück in Nashville

Kapitel 27 – Songschreiber-Abend im Bluebird Cafe

Kapitel 28 – Einen Schritt weiter

Kapitel 29 – Das Angebot

Kapitel 30 – Zwei Gewinner

Kapitel 31 – Kuscheln

Kapitel 32 – Song Selection

Kapitel 33 – Cover Songs und eigenes Material

Kapitel 34 – Gesucht: Hit-Songs

Kapitel 35 – Einen Schritt weiter

Kapitel 36 – Stürmische Zeiten

Kapitel 37 – Die neue Crew übernimmt

Kapitel 38 – Das Angebot

Kapitel 39 – Die Lösung

Kapitel 40 – Positive Neuigkeiten

Kapitel 41 – Unter Zeitdruck

Teil 2

Kapitel 42 – Mit Allison im Studio

Kapitel 43 – Zweiter Aufnahmetag

Kapitel 44 – Dritter Aufnahmetag

Kapitel 45 – Alles war ein Set-up

Kapitel 46 – Insider-Wissen

Kapitel 47 – Im Park

Kapitel 48 – CD Release Party

Kapitel 49 – Nachricht von Allison

Kapitel 50 – Zweiter Besuch von Sandy

Kapitel 51 – Trip nach Chattanooga

Kapitel 52 – Die Hoffnung lebt

Kapitel 53 – Der Test

Kapitel 54 – Sandy sucht eine Wohnung

Kapitel 55 – Besuch der Polizei

Kapitel 56 – Telefongespräch mit Dunbar

Kapitel 57 – Der Verdacht

Kapitel 58 – Puzzleteile

Kapitel 60 – Die Verhaftung

Kapitel 61 – Ende

Kapitel 1 – Endlich wieder in Nashville (Tag 1 – Montag, 1. September 2014)

Mit dem schwarzen Ford Mustang, den er am Flughafen gemietet hat, rast Joe Baker Richtung Innenstadt. Er kennt den Weg genau. Dach runter. Sound auf. Die Hände sind feucht. Sein Herz rast. Lange hat er sie nicht mehr gesehen. Zu lange. Er freut sich, ihr endlich wieder nahe zu sein und ihren Rhythmus zu fühlen.

Aus dem Radio ertönt «Need You Now» von Lady Antebellum. «Wie passend», denkt er. Sie übt eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Er wählt den Weg über die Interstate 40. Die Fahrt vom Flughafen in die Innenstadt dauert nur 15 Minuten. Vorbei an tausend Erinnerungen und direkt ins Herz der «Music City USA». Ausser der Gitarre, einem MacBook und einem alten Reisekoffer hat Joe Baker nichts dabei. Weshalb auch? Alles ist weg. Job weg. Freundin weg. Bei einem Yard-Sale hat er alles verkauft. Was übrig geblieben war, schenkte er den Homeless.

Die letzten Monate waren hart. Sehr hart sogar. San Diego, die Stadt, in der er immer lebte, hielt ihn nicht mehr zurück. Jetzt ist es an der Zeit, das Steuer herumzureissen, wieder positiv zu denken und die eigenen Träume zu verwirklichen. Joe hat alle Zelte in Südkalifornien abgebrochen. Er ist eben erst mit dem Flugzeug in Nashville gelandet. Er fühlte sich sofort wie im siebten Himmel. Schon am Flughafen spielten Musiker in den Bars aktuelle Country-Hits und Oldies.

Erster September – Postkartenwetter in Nashville: blauer Himmel und etwas über 28 Grad warm. Joe fährt den Broadway runter. Rechts der Ernest Tubb Record Store, links Tootsie’s Orchid Lounge, das legendäre Lokal, in welchem so manche grosse Country-Music-Karriere ihren Anfang genommen hatte. Die Legende besagt, dass Willie Nelson nach einem Auftritt in diesem legendären Honky Tonk seinen ersten Vertrag als Songwriter erhalten hat. Noch immer treten jeden Abend Musiker bei Tootsie’s auf und unterhalten die Gäste mit Live Country-Music.

Zuunterst am Broadway dreht Joe den Mustang und fährt wieder zurück. Vorbei an der Bridgestone Arena, wo das Eishockey-Team, die Nashville Predators, spielt. Dann vorbei am legendären Ryman Auditorium und dem Union Station Hotel. Mit seiner Ex-Freundin Sandy hat er mehrmals in diesem historischen Gebäude übernachtet. Der alte Bahnhof wurde in ein wunderbares Hotel umgebaut. Damals schien zwischen ihnen noch alles O.K. zu sein.

Sandy. Beim Gedanken an seine Ex kommen Wut und Enttäuschung auf. Sofort versucht er, sich auf die Gegenwart zu fokussieren. Doch das ist alles andere als einfach. An jeder Ecke der Stadt lauert mindestens eine Erinnerung an ihre zahlreichen gemeinsame Reisen nach Nashville.

Joe biegt in die 16th Avenue ein. Das ist die Adresse der grossen Plattenlabels, Studios, Musikverlage und Musikagenturen. «Hier ist also das Musikbusiness zu Hause», denkt er. Häuser mit riesigen Glasfassaden, teuren Autos in der Einfahrt und perfekt gepflegten Gärten mit Springbrunnen.

Jetzt, um 15.00 Uhr, macht sich sein Magen bemerkbar. Das Sandwich, das er auf dem Flug gegessen hat, reicht natürlich nicht für den ganzen Tag. An der nächsten Ecke biegt er nach rechts ab. Sein Weg führt an vielen eindrucksvollen Backsteinbauten vorbei. Vor einem seiner Lieblingsrestaurants der Stadt sucht er sich einen Parkplatz. Das Amerigo Italian Restaurant befindet sich an der West End Avenue. Es ist bekannt für seine unverwechselbare Küche. Auch wenn er oft mit Sandy dort war und Erinnerungen hochkommen werden: er kann der feinen Lasagne, einem Glas Merlot aus dem Napa Valley, dem umwerfenden Cheesecake und einem starken Kaffee nicht widerstehen.

Kaum sitzt er am Tisch, den ihm der Kellner zugeteilt hat, klingelt sein Smartphone. Sandy. «Nein, muss das sein», sagt er leise zu sich. Er hat jetzt keine Lust, ihre Stimme zu hören. «Gerade jetzt, wo ich neu starte? Weshalb kann sie nicht aufhören, mich zu kontaktieren?»

Kapitel 2 – Im Hotel einchecken (Tag 1 – Montag)

Die Empfangsdame im Hampton Inn, im Green Hills Quartier, im Südwesten der Stadt, lächelt freundlich, als sie ihm den Schlüssel überreicht. Das Motel befindet sich am Hillsboro Pike. Von dort ist Downtown in wenigen Minuten zu erreichen.

Das Bluebird Cafe liegt nur knapp eine Meile weiter südlich des Motels. Das Musiklokal mit seinen 90 Plätzen ist ein wichtiger Ort in Nashville. Es ist ein echtes Songwriter-Mekka. Megastar Garth Brooks spielte dort, bevor er entdeckt wurde. Genauso wie Taylor Swift und andere bekannte Sängerinnen und Sänger, die es danach bis an die Spitze geschafft haben. Es ist «das» Sprungbrett für Newcomer. Zudem spielen viele Szenen der TV-Serie «Nashville» im Bluebird Cafe.

Am Montag darf hier jeder ans Mikrofon, der einen selbst geschriebenen Song im Rahmen der «Open Mic Nights» vorspielen möchte. Damit das klappt, muss man sich am entsprechenden Montag am Vormittag zwischen 11.00 und 12.00 Uhr telefonisch anmelden.

Die ersten 25, die es schaffen, sich zu registrieren, dürfen am Abend zwischen 18.00 und 21.00 Uhr auftreten und ein bis zwei Eigenkompositionen live spielen. Als Begleitung sind maximal zwei Personen erlaubt. Schlagzeug oder Playback sowie Songs, die man nicht selber geschrieben hat, sind tabu.

Joe Baker checkt für drei Nächte im Hampton Inn ein. Dann wird er weiterschauen. Vielleicht wird er schon bald ein passendes Apartment zum Mieten finden. Er will Nashville zu seinem neuen Lebensmittelpunkt machen. Das ist die Voraussetzung, um im Musikgeschäft Fuss zu fassen und in der Music City eine Existenz aufzubauen.

Das Zimmer ist einfach, aber zweckmässig eingerichtet. Ein paar Bilder, welche die Nashville Skyline zeigen, ein moderner Flachbild-TV, ein Arbeitstisch mit Bürostuhl, ein kleiner Kühlschrank und eine Kaffeemaschine. Das Bad mit Dusche, Tüchern, Duschmittel und Body Lotion ist sauber und erfüllt alle Ansprüche. Nach dem langen Flug in der Holzklasse benötigt er eine Dusche. Danach fühlt er sich wieder wie neugeboren. Die Klimaanlage rattert vor sich hin und kühlt das Zimmer auf 22 Grad. Obwohl es schon September ist, sind die Spätsommertage noch angenehm warm.

Joe legt sich aufs Bett, um sich etwas auszuruhen. Das Queensize-Bett ist bequem genug für die ersten paar Nächte. Nach einem Nickerchen, es dauert kaum mehr als 15 Minuten, nimmt er seine Gitarre zur Hand und spielt ein paar Akkorde. Durch die Reise hat sie sich etwas verstimmt. Aber immerhin ging sie auf dem Flug nicht verloren. Man konnte da nie so sicher sein. Seitdem eine seiner Gitarren bei einem Flug nicht am Zielort angekommen war und die Airline sie nicht mehr finden konnte, lässt er seine kostbaren Instrumente nicht mehr aus den Augen. Man kann den Fluggesellschaften nicht mehr trauen. Seit diesem Ereignis schleppt er seine Gitarre immer als Handgepäck mit sich rum.

Während er eine harmonische Akkordfolge spielt, überlegt sich Joe Baker seine nächsten Schritte: Auto kaufen, Wohnung suchen, ein Konto bei einer lokalen Bank eröffnen, Konzerte besuchen und bei den Musikverlagen vorsprechen. Und natürlich so rasch wie möglich Kontakte zu anderen Songschreibern knüpfen und mit ihnen Songs schreiben. In seinen Augen ist das die beste Möglichkeit, um möglichst rasch einen Deal als Songschreiber zu landen. Immer in der Hoffnung, dass ein Top-Star einen seiner Songs einspielen, auf CD veröffentlichen und zum Hit machen wird. Träume sind ja erlaubt, oder etwa nicht?

Und: Ein Überraschungsbesuch steht zuoberst auf seiner To-Do-Liste. Er klaubt eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche. Beim Blick auf den Namen, der darauf steht, und beim Gedanken an die Umstände, wie er diese Sängerin kennengelernt hatte, wird ihm ganz warm ums Herz: Allison Monroe. Sie ist eine blendend aussehende und aussergewöhnliche Sängerin. Sie ist 30 Jahre alt, etwa 1,70 Meter gross, trägt langes schwarzbraunes Haar und ihre Augen sind so blau wie der Ozean. Auf der Bühne trägt sie immer einen schwarzen oder weissen Cowboy-Hut und Jeans. Ein weisses Tanktop oder eine schwarze Bluse sowie eine silberne Kette und ein dezentes Make-up geben ihrem Look eine besondere Note. Meistens trägt sie Wrangler Bluejeans, die über den Knien leicht zerrissen sind. Dieses Outfit verleiht ihr – in Verbindung mit den Cowboy-Stiefeln – einen neckischen Cowgirl-Look. Die Gibson-Hummingbird, ihre Lieblings-Gitarre, passt hervorragend dazu.

Allison tourt regelmässig an der Westküste und spielt mindestens viermal im Jahr im Crossfire Pub in San Diego. Der Music-Club befindet sich am Mission Beach bzw. am Rand des Wohnviertels Bird Rock. Der Club ist mit einer Bühne, Künstlergarderoben, einer 15 Meter langen Bar sowie allen notwendigen technischen Anlagen wie Mischpult, Verstärkern und Boxen ausgestattet. Während der Konzerte sitzen die Gäste an ihren Tischen. Vor und nach den Shows serviert die Küche einfache Gerichte wie mit Käse überbackene Nachos, Fish and Chips, Chicken Wings, Burger oder Salatvariationen. Zudem können die Besucher aus über 20 Biersorten auswählen.

Seit einiger Zeit hat Joe Baker keines von Allisons Konzerten in San Diego verpasst. Per Zufall kamen sie nach einem ihrer Gigs an der Bar ins Gespräch. Sie faszinierte ihn vom ersten Moment an. Nicht nur wegen ihrer unverwechselbaren Stimme und ihren optischen Reizen. Sie ist zudem eine natürliche und intelligente Person mit einer starken Ausstrahlung.

Seither haben sie sich nach jedem ihrer Konzerte in San Diego an der Bar getroffen und diskutiert. Ihre Gespräche wurden immer intensiver. Humorvoller und tiefgründiger. Sie sprachen über weit mehr als nur die Musik. Obwohl zwischen ihren Konzerten immer mehrere Wochen – und manchmal Monate – vergingen, baute sich eine Vertrautheit zwischen ihnen auf. Ihre CD mit ihren selber komponierten Songs kennt er natürlich auswendig. Lied für Lied. Wort für Wort. Der Sound, die Melodien, die Geschichten der Lieder und natürlich ihre Stimme – einfach grandios.

Nach ihrem letzten Konzert in San Diego – und ein paar Drinks an der Bar – knisterte es gewaltig zwischen ihnen. Das Gespräch verlief ganz normal, bis daraus ein heisser Flirt wurde. Das war nur ein paar Wochen, bevor ihn Sandy verliess.

Allison wohnt in einem gemieteten Haus in Oak Hill, einem Vorort von Nashville. Die Gemeinde mit etwas mehr als 4’700 Einwohnern ist ein beliebter Wohnort. Hier befindet sich das Anwesen – und zugleich der offizielle Wohnsitz – des Gouverneurs des Staates Tennessee: die Governor’s Residence. Die Einwohner geniessen die Vorteile der Kleinstadt-Umgebung, in Verbindung mit den vielen Annehmlichkeiten, die ein Vorort einer grossen Metropole bietet.

Oak Hill liegt im Süden der Stadt und grenzt östlich an die Interstate 65. Bis Downtown Nashville dauert die Fahrt nur etwas mehr als zehn Minuten.

Von ihren Gesprächen weiss Joe, wie wichtig das Haus für Allison ist. Hier kann sie sich zwischen ihren Konzerten zurückziehen, erholen und ungestört an ihren neuen Songs arbeiten. Allison wuchs im Nordosten der USA auf. Genauer gesagt in Portland, Maine. Sie liebt das freundliche Nashville-Wetter. Im Winter ist es hier nicht ganz so kalt wie in ihrer Heimatstadt.

Allison weiss nicht, dass er in der Stadt ist oder dass ihn Sandy für einen anderen verliess. Joe Baker will sie überraschen. Am liebsten sofort. Aber sie ist nicht in der Stadt. Sie spielt zurzeit gerade einige Gigs an der Ostküste. Gestern in Wilmington, North Carolina, heute in Myrtle Beach, South Carolina, und morgen in Charleston, ebenfalls South Carolina.

Joe kennt ihren Tourplan auswendig. In regelmässigen Abständen schaut er sich auf Facebook ihre Bilder vom Leben «on the road» an und liest die vielen positiven Kommentare der Konzertbesucher. Er muss sich leider noch etwas gedulden, bis er sie mit einem Besuch überraschen kann.

Der erste Kontakt

Auf einmal hört Joe die Sirene eines Polizeiautos, das in der Nähe des Motels vorbeifährt und ihn aus seinen Allison-Träumen reisst. Joe blickt auf die Uhr. Höchste Zeit zu gehen.

Joe Baker setzt die Sonnenbrille auf, schliesst die Hoteltüre hinter sich und geht mit grossen Schritten auf den gemieteten Mustang zu. Joe ist 35 Jahre alt, 1,78 Meter gross, hat schwarzes Haar, blaue Augen und seine Haut ist von der kalifornischen Sonne perfekt gebräunt. Wie immer trägt er ausgewaschene Jeans und Cowboy-Boots. Dazu ein schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt.

Er startet den Motor. Aus den Lautsprechern dröhnt «Big Dreams In A Small Town» von «Restless Heart». Seine Fahrt zu 100 Oaks, einem Outdoor Shopping-Center mit grossem Kino-Komplex direkt nebenan, dauert etwas länger als normal. Wie in jeder amerikanischen Stadt sorgt der Feierabendstau für Verzögerungen.

Das «Nashville Guitar Center» ist noch immer da. Trotz boomendem Online-Handel. Er betritt das Geschäft und ist vom riesigen Angebot überwältigt. Genauso wie bei seinem letzten Besuch. Instrumente, Verstärker, Boxen, Mischpulte, Zubehör – soweit das Auge reicht. Ein Paradies für jeden Musiker. So gross wie ein Supermarkt.

Elektrische und akustische Gitarren, Keyboards, Schlagzeuge, Bässe, Mandolinen und Banjos. Bei den Gitarren bleibt er länger stehen. Er schaut sich um und entscheidet sich, die Western-Gitarren von Gibson, Takamine und Taylor genauer anzusehen. Das Angebot an Gitarren seiner Lieblingsmarken ist immens.

Seine Gitarre hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel und schon bald wird er eine neue benötigen. Je nach Marke und Preisklasse sind die Unterschiede riesig. Die günstigeren Modelle sind nicht so leicht zu spielen, da der Saitenabstand meistens zu gross ist. Dadurch muss man viel mehr Kraft aufwenden, um einen satten Ton zu erzeugen.

Eine schwarze Takamine mit integriertem Tonabnehmer und Stimmgerät lächelt ihn sofort an. Sie sieht klasse aus und lässt sich ohne grossen Kraftaufwand spielen. Er schliesst die Western-Gitarre an einem Verstärker an und spielt ein paar Akkorde. Wie erwartet, überzeugt ihr warmer und satter Klang. Er nimmt weitere Gitarren zur Hand, um auch diese zu testen. Die Versuchung ist gross, die Takamine-Gitarre sofort zu kaufen. Nur schweren Herzens kann er widerstehen. Die Vernunft ist dagegen. Denn: Mit dem Start in Nashville sind viele Ausgaben verbunden.

Joe Baker hat noch etwas mehr als 90 Minuten Zeit, bis die Show im Bluebird Cafe beginnt. Er setzt sich wieder in den Mietwagen und fährt auf der Harding Place Road, entlang wunderschöner Häuser, nach Westen bis zur Abzweigung auf die Strasse mit der Nummer 431. Dort biegt er links nach Süden ab. Dabei fallen ihm die unzähligen Kirchen auf, welche die Strasse säumen. Und er sagt laut zu sich, «wir sind im Bible Belt.»

Der «Bible Belt» ist eine Region in den Südstaaten der USA, die sich durch einen sehr hohen konservativen und christlichen Bevölkerungsanteil auszeichnet. Typisch ist die hohe Dichte an Kirchen sowie die strenggläubige Bevölkerungsmehrheit. Die Zahl der Kirchgänger ist in diesen Gegenden bedeutend höher als im nationalen Durchschnitt. Das Gebiet erstreckt sich von Texas bis Florida im Süden, bis Kansas im Nordwesten und Virginia im Nordosten. Georgia zählt ebenso dazu wie Alabama, Kentucky oder Tennessee. In Nashville, der Hauptstadt von Tennessee, spielt nicht nur die Musikindustrie eine wichtige wirtschaftliche Rolle. Die Druckbranche ist ebenfalls ein bedeutender Wirtschaftszweig. 12’000 Personen arbeiten in der Druckindustrie. Die Hälfte der Druckerzeugnisse sind Bibeln, Sonntagsschulbücher oder religiöse Magazine.

Joe Baker kennt die Gegend. Bei jedem Besuch in der Music City machte er einen Ausflug nach Franklin, einer hübschen Kleinstadt südlich von Nashville. Im Stadtzentrum kann man herrlich abhängen und durch die Main Street bummeln. Die Fahrt ist faszinierend. Er ist jedes Mal begeistert. Noch ein paar Meilen nach Süden, dann rechts auf die Strasse mit der Nummer 46 abbiegen und nach Westen fahren. Das ist ein absolutes Highlight, das er sich nie entgehen liess. Bei keinem seiner früheren Besuche.

Seine Fahrt geht an riesigen Farmen, Pferdeweiden, alten Autos und einem Schloss vorbei, das zu einem Musikstudio umfunktioniert wurde. Unzählige Stars der Country-Music-Szene haben in den «Castle Recording Studios» im Verlauf der Jahre Songs eingespielt. Dazu zählen so bekannte Namen wie Brad Paisley, Alan Jackson, Keith Urban oder Vince Gill. Auch Pop- und Rockstars wie Culture Club, Meat Loaf oder Bruce Springsteen zählen zu den Kunden.

Der Wind weht durch sein Haar. Er liebt das Mustang-Cabriolet mit seinem starken 3,7-Liter-V6-Motor und 305 PS. Er drückt das Gaspedal für kurze Zeit etwas weiter nach unten und dreht den Regler des Radios weiter auf. Joe geniesst den Moment. Nach dem Ende der Beziehung mit Sandy und dem überraschenden Verlust des Jobs sieht die Welt schon wieder besser aus.

Er blickt auf die Uhr. Fast hätte er die Zeit vergessen. Joe wendet den Wagen und fährt denselben Weg zurück, den er gekommen ist. Zusammen mit dem Flugticket hat er sich vor ein paar Wochen auch gleich ein Ticket für das Konzert von Paul Overstreet im Bluebird gekauft. Der Songwriter ist einer der besten seines Fachs. Rund dreissig seiner Kompositionen kletterten bis in den Top 10 der Country-Charts. Interpretiert von so bekannten Stars wie George Jones, Randy Travis, Tanya Tucker oder Marie Osmond. Mit anderen Worten von Top-Stars, die zu ihren besten Zeiten regelmässig die ersten Plätze der Country-Music-Hitparade belegten.

Von seinen früheren Besuchen im Bluebird weiss Joe, dass ein Vorverkaufsticket ein absolutes Muss ist, um das Konzert nicht zu verpassen. Und tatsächlich: die Warteschlange für die Show um 21.30 Uhr ist bereits beachtlich gross. Doch das kümmert ihn nicht. Er zückt sein E-Ticket und erhält seinen reservierten Platz an der Bar. Er denkt: «Verrückt, hier werden sogar Tickets für einen Platz auf einem Barhocker online verkauft!»

Die «Open Mic Night» an diesem Montag hat er bewusst ausgelassen. Er wird noch genügend Zeit haben, um sich diese Shows anzusehen oder – hoffentlich – selber daran teilzunehmen. Im Bluebird sitzen alle Besucher nahe bei den Musikern. Man kann sie beinahe berühren und ist hautnah dabei. Während des Konzerts ist es strikt untersagt, zu reden. Wer mit dem Nachbar spricht und nicht ruhig ist, wird vom Personal gebeten, zu gehen.

Für einen Songwriter wie Joe ist ein Abend im Bluebird das höchste der Gefühle. Hier stehen die Songs und ihre Geschichten im Mittelpunkt. Die Songschreiber spielen ihre Hits ohne Band – nur mit Gitarre oder Keyboard.

Hier hört man Songs, die es bis an die Spitze der Charts geschafft haben. Allerdings treten die Stars nur selten hier auf. Im Bluebird spielen die Songschreiber. Songschreiber, welche die Hits der Stars komponieren und davon leben können. Die Show von Paul Overstreet inspiriert Joe Baker vom ersten bis zum letzten Song. Er liebt den Song «I Won't Take Less Than Your Love», der von Tanya Tucker zum Megahit gemacht wurde.

Er setzt sich zum Ziel, sich bald für eine «Open Mic Night» anzumelden und selber zwei seiner Songs im Bluebird zu spielen. Man weiss ja nie. Schon oft wurden hier neue Talente entdeckt.

Das Bluebird ist nicht das einzige Lokal in der Music City, welches «Open Mic Nights» durchführt. Es ist eine Möglichkeit von vielen. Aber sicher ist es eine der «ersten Adressen» der Stadt.

Nach dem Konzert bestellt sich Joe Baker einen Jack Daniel’s on the Rocks. Dabei kommt er mit einem Typen ins Gespräch, der nur wenig älter ist als er. Das Gespräch dreht sich um die Qualität der Songs von Paul Overstreet, ums Songwriting, um Whiskey, Gitarren und um illegale Musikdownloads, die der Musikbranche zu schaffen machen. Sie führten dazu, dass die Verkaufszahlen von CDs, Vinyl oder DVDs ins Bodenlose sanken. Klar, dass Verlage, Plattenfirmen, Songwriter und Künstler darunter leiden, da die Einnahmen massiv zusammenbrachen. Der finanzielle Schaden kann auch durch den Anstieg der legalen Musikdownloads auf Plattformen wie iTunes oder durch Einnahmen aus den Streaming-Services wie Spotify oder Google Play nicht kompensiert werden.

Joe erfährt, dass Steve Sharp, sein Gegenüber, 39 Jahre alt ist und seit fünf Jahren eine eigene Anwaltskanzlei am Music Square in Downtown Nashville führt. Seine Klienten stammen hauptsächlich aus dem Musikbusiness.

In seiner Freizeitkleidung, bestehend aus dunklen Jeans, einem weissen Hemd, einem Gurt mit übergrossen Schnalle und Cowboy-Stiefeln, entspricht er überhaupt nicht dem typischen Bild eines Anwalts. Joe stellt sich vor, dass Steve Sharp mit seiner stattlichen Grösse von 1,85 Metern, seinen bereits etwas schütteren dunkelbraunen Haaren, seinem gepflegten Kinnbart und im schwarzen Anzug vor Gericht ein topseriöses Bild abgibt. Dabei ist sein leichter Bauchansatz alles andere als störend.

Steve spielte früher selber während Jahren in Bands. Er erinnert sich: «Hey, Mann. Das waren noch Zeiten, als wir in Mississippi und Louisiana die Bars unsicher machten. Aber irgendwann realisierte ich, dass aus dem Traum der ganz grossen Musikkarriere nichts wird. Ich war zu wenig talentiert, machte nicht den richtigen Sound oder sonst was. Wer weiss das schon so genau? Ich wollte nicht bis zur Pension in billigen Motels übernachten und mieses Futter essen. Das war keine lukrative Perspektive für meine Zukunft. Ich wollte Geld verdienen. Richtig Kohle machen, weisst du? Deshalb studierte ich Jura, schloss mittelmässig ab und arbeite jetzt seit über fünf Jahren als Musikanwalt mit eigener Kanzlei in Downtown Nashville. Ich prüfe die Verträge meiner Klienten und helfe ihnen, wenn sie in Schwierigkeiten stecken. Musik spiele ich nur noch zum Spass.»

Joe erzählt seine Story. Steve hört interessiert zu. Sie bestellen einen weiteren Jack und tauschen ihre Karten aus. Sie verabreden sich zum Frühstück am nächsten Tag um 09.00 Uhr im Fido Restaurant Downtown. Sie sind sich auf Anhieb sympathisch.

Kapitel 3 – Schlaflose Nacht (Tag 2 – Dienstag)

Joe kann nicht schlafen. Er liegt die ganze Nacht lang wach. Während er im Bluebird das Konzert genoss, hat ihn Sandy schon wieder gesucht. Weshalb kann sie ihn nicht endlich in Ruhe lassen? Joe wälzt sich hin und her. Die Gedanken an die letzten Wochen und Monate rauben ihm den Schlaf. Einmal mehr.

Sandy verliess ihn im März von einem Tag auf den anderen für einen Arzt, der sie wegen eines übertretenen Fusses behandelt hatte. OK, nach neun gemeinsamen Jahren hatten sie sich auseinandergelebt. Ihre Interessen waren nicht mehr die gleichen.

Klar, er war in seinem Job als Softwareprogrammierer stark engagiert, und in der Freizeit spielte er oft Musik. Vielleicht zu oft. Musik ist und war schon immer seine grosse Leidenschaft. Sandy fühlte sich häufig einsam und vernachlässigt.

Sie hatten sich nicht mehr so viel zu sagen wie früher und unternahmen immer weniger gemeinsam. Sie waren zusammen, aber irgendwie doch alleine. Sie sah keine Zukunft mehr mit ihm. Sie waren in der Routine des Alltags erstarrt. Es stellte sich eine gewisse Beziehungsmüdigkeit ein. Sie fanden kein Rezept, um ihre Liebe neu zu beleben und wieder aufzuwecken. Der Kick fehlte mehr und mehr. Sandy wollte aus dem Alltagstrott ausbrechen. Offenbar schaffte es der Arzt, ihr Aufmerksamkeit und Anerkennung zu schenken und ihr neue Perspektiven zu geben. Alles Reden half nichts. Es gab keinen Weg zurück. Sie traf die Entscheidung, ihn zu verlassen und ihr neues Glück mit einem anderen Mann zu suchen.

Sandy entspricht genau dem Bild des perfekten California-Girls: lange blonde Haare, die bis in die Mitte des Rückens reichen, heidelbeerblaue Augen, sonnengebräunter Teint und ein knackiger, schlanker Körper. Diese äusserst vorteilhaften Attribute und ihre schon fast modelmässige Grösse von 1,75 Metern sorgen dafür, dass sich viele Männer nach ihr umdrehen. Mit erst 28 ist sie im besten Alter.

Trotzdem konnte Joe nicht glauben, dass er sie an einen Typen verlor, der 15 Jahre älter ist als sie. Genauer gesagt an einen Arzt, der bereits 43 Jahre alt ist. Offenbar war die Verlockung des Geldes, einer Ferienwohnung in Palm Springs und eines Boots im Hafen von Coronado, direkt vor San Diego, so gross, dass sie nicht widerstehen konnte. Das passte eigentlich überhaupt nicht zu ihr. Aber: Er hatte keine Chance, sie zurückzugewinnen. Es war aussichtslos. Sie wäre wohl auch gegangen, wenn der Typ kein stinkreicher Arzt gewesen wäre. Ihre Liebe war einfach nicht mehr stark genug. Sie war nach all den Jahren eingeschlafen, da sie beide es nicht mehr schafften, neue Impulse und Anreize zu setzen. Es dauerte keine Woche und sie war weg. Er blieb alleine in der gemeinsamen Mietwohnung zurück. Sein Schmerz sass tief. Die gemeinsamen Jahre – von einer Sekunde auf die andere – wie weggewischt.

Sandy brach sein Herz. Selbst der stärkste Whiskey und die traurigsten Country-Songs trösteten ihn nicht.

Wie so oft im Leben kam ein Unglück nicht alleine. Die Trennung von Sandy setzte ihm stark zu. Er war traurig, deprimiert und konnte kaum mehr essen. Und schon kam die nächste Hiobsbotschaft – die Kündigung. Immer neue Content-Management-Systeme für die Programmierung von Websites kamen auf den Markt und verstärkten die Konkurrenzsituation.

Die Firma, in der Joe seit Jahren arbeitete, hatte den Anschluss verpasst. Die Bestellungen für ihre Software brachen komplett ein. Der Laden musste Ende Mai die Lichter löschen. Er sass auf der Strasse. Die Negativspirale drehte und drehte. Es konnte kaum noch schlimmer kommen, oder etwa doch?

Zum Glück musste er keine Alimente bezahlen, da sie nicht verheiratet und kinderlos waren. Während der folgenden Monate schlug er sich mit Gelegenheitsjobs als Taxifahrer und Türsteher durch. Er genehmigte sich eine Art Auszeit, um ausgiebig an der Mission Bay, dem berühmten Strand von San Diego, zu joggen und um die Seele baumeln zu lassen. Hin und wieder spielte er abends in einer Strandbar Musik. Der Lohn dafür: Warmes Essen, kühles Bier und das Trinkgeld der Zuhörer. Während der freien Zeit reifte der Entschluss, die Westküste zu verlassen und in Nashville sein Glück als Songschreiber zu versuchen. Schon lange hatte er davon geträumt.

Jetzt, am Tiefpunkt seines Lebens, hatte er nichts mehr zu verlieren und Selbstmitleid war auch keine Lösung. Er war noch jung, wieder alleine und es konnte nur noch besser werden. Weshalb also nicht jetzt alles auf die Karte «Musik» setzen und etwas Verrücktes wagen? Wenn nicht jetzt, wann dann?

Er dreht sich zum hundertsten Mal auf die andere Seite. Plötzlich kommen Zweifel auf, ob die Qualität seiner Songs reicht, um als Songwriter in Nashville zu reüssieren.

Nebst den üblichen Country-, Pop- und Rock-Hits, die vom Publikum immer gewünscht werden, besteht sein Repertoire aus über 50 Songs, die er selber getextet und komponiert hat. In Südkalifornien hatte er sich über all die Jahre ein treues Publikum aufgebaut, das seine Songs liebte und seine Konzerte regelmässig besuchte. Doch hier in Nashville ...? Das ist eine ganz andere Liga. Hier können nur die Allerbesten ohne Nebenjobs von der Musik leben. Genügen sein Talent und sein Können, um sich im «Mekka» der Country-Music durchzusetzen? Fragen über Fragen.

Seine Ungewissheit ist riesig. Hier, in der «Music City USA», steht er am Nullpunkt. Sozusagen auf dem «Ground Zero». Was werden die Musikverlage zu seinen Songs sagen?

Eine Karriere als Sänger im Rampenlicht steht für Joe nicht zuoberst auf der Wunschliste. Er möchte einfach nur Songs komponieren, die von anderen zu Hits gemacht werden und ihm ein Leben als Songschreiber ermöglichen. In kaum einer anderen Stadt der Welt gibt es derart viele hochbegabte Songschreiber, Sänger und Musiker wie in Nashville, Tennessee. Und alle haben das gleiche Ziel: Sie wollen mit der Musik ihren Lebensunterhalt verdienen. Doch die meisten müssen ihre Träume schon nach wenigen Monaten wieder begraben, da ihr Talent nicht ausreicht oder weil sie nicht die richtigen Leute kennenlernen. Joe verdrängt die negativen Gedanken. Dann schläft er ein.

Wo ist Steve?

Am nächsten Morgen betritt Joe wie vereinbart gegen 09.00 Uhr das Fido, einen stets sehr gut besuchten Coffee Shop, an der 21. Strasse. Die Backsteinwände, der etwas abgewetzte dunkle Riemenparkettboden, die Theke, die Hochtische, Hocker und Schwarzweissbilder mit Motiven aus Nashville verleihen dem Restaurant einen coolen Touch. An der Bar bestellt er einen Latte macchiato und zwei Donuts. Das junge Girl hinter der Theke hat ihre braunen Haare mit einem Haarband zusammengebunden. Sie trägt enge Bluejeans und ein schwarzes T-Shirt mit aufgedrucktem Fido-Logo. Lächelnd nimmt sie seine Bestellung entgegen.

Joe wartet an der Theke auf sein Frühstück, bevor er sich an einen freien Tisch setzt und den Nashville Banner, die grosse Tageszeitung der Music City, durchblättert. Er blickt auf die Uhr, dann zur Tür. Er checkt sein Mobiltelefon. Von Steve weit und breit nichts zu sehen. Nach einer halben Stunde ruft Joe in der Anwaltskanzlei an. Zum Glück hat er die Visitenkarte in seiner Brieftasche. «Steve Sharp Attorney at Law», meldet sich eine freundliche Frauenstimme. «Nein, Mr. Sharp unterhält sich gerade mit einem Klienten. Ich weiss nicht, wie lange es noch dauern wird. Gerne nehme ich Ihre Nummer auf. Er wird sich bei Ihnen melden, sobald er frei ist.» Joe hinterlässt seinen Namen und seine Mobile-Nummer. Er ist enttäuscht, dass er vom Anwalt versetzt wurde.

Er geht zurück an die Bar und bestellt einen doppelten Espresso und ein Glas Wasser. In einem Gratisanzeiger studiert er die unzähligen Kleinanzeigen der Autohändler und Immobilienmakler. Er markiert ein paar Inserate mit Autos, die ihn ansprechen. Dann entscheidet er sich, den Morgen proaktiv zu nutzen. Im Mustang fährt er zum Nolensville Pike. Die Strasse verläuft von Norden nach Süden. An dieser Strasse findet man alles, was für den täglichen Bedarf notwendig ist: Unzählige Supermärkte, Kleiderläden, Banken, Waschsalons, Drogerien und Fastfood-Restaurants. Dazu Autowaschanlagen und Autohändler mit Tausenden von Gebrauchtwagen,

Joe benötigt dringend ein eigenes Auto, da die Miete des Mustangs auf die Dauer zu teuer wird. Er schaut sich bei mehreren Autohändlern nach einem passenden Gebrauchtwagen um. Einen Neuwagen kann er sich nicht leisten. Er sucht nach einem SUV oder Pick-up. Er will nicht das erstbeste Modell kaufen, und schon gar nicht zum vorgegebenen Preis. Denn die vielen Autohändler buhlen um die Gunst der Käufer. Für einmal ist er als Käufer im Vorteil, da das Angebot unendlich ist. Joe fotografiert mit seinem Mobiltelefon diejenigen Autos, die ihn besonders ansprechen. Wie ein Buchhalter macht er sich Notizen: Marke, Modell, Preis, Jahrgang, Kilometerstand und Name des Händlers.

Er will die Informationen später in aller Ruhe studieren und die Angebote miteinander vergleichen. Bis zum Mittagessen klappert er mindestens ein Dutzend Anbieter ab. Sein Magen knurrt unüberhörbar. Er entscheidet sich, im Applebee’s Restaurant an der Thompson Lane etwas zu essen. Bei einem Chicken Salad mit Currysauce und einem ungesüssten Ice Tea schaut er sich seine Liste an. Auf die Shortlist schaffen es zwei Pick-up Trucks und ein SUV:

ein schwarzer Ford F-150 Pick-up Truck mit Jahrgang 2010 und 78’500 Meilen, mit V8-Motor für 17’400 Dollar

ein dunkelblauer Chevrolet Silverado Pick-up Truck mit Jahrgang 2011 und 120’939 Meilen, mit V8-Motor für 15’500 Dollar

ein weisser Dodge Durango SUV mit Jahrgang 2011 und 78’000 Meilen, mit V6-Motor für 21’000 Dollar

Seine drei Favoriten überzeugen: kein Rost, kein Blechschaden. Sie sehen gepflegt aus. Fast wie neu. Sie sind zu vernünftigen Preisen erhältlich. Alle drei bieten genügend Platz für zwei Gitarren, einen Verstärker und eine Golfausrüstung. Er erinnert sich an die wunderbaren Golfplätze in Südkalifornien. Sobald er sich eingelebt hat, will sich Joe eine neue Ausrüstung kaufen und regelmässig in Nashville Golf spielen.

Seine Präferenz liegt bei den Pick-up Trucks. Auch der Dodge Durango überzeugt. Trotzdem fällt er aus dem Rennen. Er ist zu teuer. Joe entscheidet sich für den dunkelblauen Chevrolet Silverado Pick-up. Er wählt die Telefonnummer des Verkäufers und bittet ihn, den Wagen bis morgen Abend zu reservieren. Dank der Doppelkabine und Abdeckvorrichtung über der Ladebrücke ist der Chevrolet geradezu perfekt für all seine Bedürfnisse. Heute will Joe trotzdem noch nicht definitiv zusagen. Er will morgen den Preis noch etwas runterhandeln, denn Autos dieser Art sind wie Sand am Meer erhältlich.

Er schaut auf sein Mobiltelefon. Noch immer keine Nachricht von Steve. Zum Nachtisch bestellt er einen Kaffee und einen Cheesecake mit Erdbeersauce. Joe liebt Süssigkeiten über alles. Vor allem Ice Cream und Cheesecake. Von beidem kriegt er kaum je genug.

Da sich Steve immer noch nicht gemeldet hat, fährt er zurück ins Motel, um sich frisch zu machen. Er schaltet das Fernsehgerät an und wählt CMT. Der Sender, mit vollem Namen «Country-Music TV», strahlt 24 Stunden am Tag nonstop Country-Music-Videos aus. Zum Sendeprogramm zählen aktuelle Clips aus den Charts sowie ältere Videos von früheren Stars wie Alabama, Keith Whitley, Kathy Mattea oder Joe Diffie.

Joe legt sich aufs Bett und schaut sich die Immobilienmagazine an, die er aus einer der vielen Zeitungsboxen gefischt hat. Es fiel ihm schon immer leicht, Entscheidungen zu treffen. Auch jetzt hat er klare Vorstellungen, wo sich seine zukünftige Wohnung befinden muss: In den Green Hills, einem Quartier im Südwesten der Stadt. Diese Gegend hat es ihm besonders angetan. Die hübschen Häuser mit den mächtigen Eichen in den Gärten und die nahe gelegenen Einkaufsmöglichkeiten, wie zum Beispiel die Mall at Green Hills, machen diesen Teil der Stadt besonders attraktiv. Zudem ist man rasch auf der Autobahn sowie im Zentrum der Stadt. Oak Hill, der Ort, in welchem Allison lebt, grenzt direkt an die Green Hills.

Sandy war von dieser Gegend immer sehr begeistert gewesen. Sie kurvten oft in den Green Hills herum und schauten sich die schmucken Häuser mit ihren gepflegten Vorgärten an. «Was sie jetzt wohl gerade so macht?», fragt er sich, um die Gedanken an seine Ex sofort wieder zu verdrängen. Doch das ist nach der langen gemeinsamen Zeit leichter gesagt als getan. Er ärgert sich über sich selbst. Zu oft kommen ihm die Erinnerungen an sie in die Quere.

Drei Inserate fallen ihm sofort auf. Er sucht weder nach einem Haus noch nach einer teuren Luxuswohnung. Alles, was er benötigt, ist eine kleine und praktische Wohnung in einem sicheren Quartier.

Sie lebten nie über ihre Verhältnisse. Trotzdem verfügt Joe nicht über unendliche Geldreserven. Und nach der Kündigung schmolzen seine Ersparnisse kontinuierlich, da er sich nur noch mit Gelegenheitsjobs ein paar Dollar verdiente. Sein Bankkonto ist nach all den Jahren harter Arbeit recht gut gefüllt. Sein Vermögen reicht, um in der Music City einen Neustart wagen zu können, ohne dass ihm schon nach wenigen Wochen die Kohle ausgeht. Er hat ausgerechnet, dass er ein Jahr lang ohne fixes Einkommen überstehen könnte. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn er seine Ausgaben im Griff hat. Gemäss seinen Recherchen sollten 40’000 Dollar zum Überleben reichen. Doch das ist das absolute Minimum und lässt keinen Spielraum für Extras zu. Keine Einnahmen zu generieren, wäre der absolute «Worst Case». Er will alles unternehmen, um möglichst rasch mit der Musik Geld zu verdienen. Joe ist sich bewusst, dass dies möglicherweise nicht einfach sein wird.

Nach ein paar aktuellen Hits erscheint das Video «Roll On» von Alabama auf dem Flachbild-TV. Alabama ist eine seiner absoluten Lieblingsbands der Country-Music. «Roll On». Das ist das Stichwort. Er loggt sich im Internet ein, um zu prüfen, ob der Chevrolet Silverado Pick-up woanders zu einem tieferen Preis angeboten wird. Doch leider findet er keinen besseren Deal. Er entscheidet sich, morgen mit dem Verkäufer noch etwas zu handeln und dann den Kaufvertrag zu unterschreiben.

Joe blickt auf die Uhr. 16.30 Uhr. Vom Anwalt immer noch kein Lebenszeichen. Er ist enttäuscht und fühlt sich etwas einsam. Er hat keine Freunde hier. Es ist niemand da, den er kennt. Trotzdem möchte er sein neues Leben nicht gegen sein altes Leben in San Diego tauschen. Das Gefühl von Heimweh lässt er gar nicht erst aufkommen. Emotionen dieser Art haben keinen Platz bei der Realisierung seiner Träume.

Nashville ist keine so verrückte Partystadt wie New York oder L.A. Aber Downtown Nashville punktet mit unzähligen Möglichkeiten, um sich Live-Konzerte anzusehen. Sie beginnen schon am Nachmittag und dauern bis in die Nacht. Die Touristen können in unzähligen Restaurants, Bars und Honky Tonks erstklassige Live-Musik geniessen.