Entscheidung in Florida - Chris Regez - E-Book

Entscheidung in Florida E-Book

Chris Regez

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Beschreibung

Joe Bakers Erfolge als Songwriter sprechen sich bis nach Florida herum. Dort wird ein ehemaliger Musik-Superstar auf Joes Lieder aufmerksam. Er lädt Joe nach Naples ein, um mit ihm neue Songs zu schreiben. Zwischen den beiden Musikern entsteht eine enge Männerfreundschaft. Joe und Bruce müssen die neuen Songs schnell schreiben, denn die Zeit drängt. Es ist unklar, wie lange der frühere Star noch leben wird. Seine Krankheit macht ihm schwer zu schaffen. Die Einnahmen aus den neuen Hits sollen als finanzielle Sicherheit für seine Frau und seine Tochter dienen, falls das Schlimmste eintritt. Die neu komponierten Lieder wecken das Interesse der Produzenten in Nashville. Das hat grosse Auswirkungen auf Joes Karriere. Plötzlich steht er mit einer der bekanntesten Sängerinnen der Country-Szene im Scheinwerferlicht und singt mit ihr die neuen Hits. Dies wiederum macht Joes Ehefrau Allison eifersüchtig. Sie sieht es nicht gerne, dass Joe mit einer anderen Sängerin riesige Erfolge feiert. Doch Allison ist diejenige, welche ihre Ehe mit einem Abenteuer riskiert. Wie wird sich Joe verhalten? Bei einer der Reisen nach Florida unternimmt Joe einen folgenschweren Ausflug mit einem Jet-Ski.

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Seitenzahl: 327

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Das Buch

Bruce Cannon erreichte in den 90er-Jahren unter dem Künstlernamen «Randy Jackson» alles, wovon ein Country-Star nur träumen konnte. Doch dann setzte ihn seine Plattenfirma auf die Strasse. Daraufhin verliess er Nashville und begann in Florida ein neues Leben als Golfplatzmanager.

Jetzt, 20 Jahre später, erhält Bruce Cannon eine niederschmetternde Krankheitsdiagnose. Um seiner zweiten Frau und ihrer Tochter – auch nach seinem möglichen Tod – die Existenz zu sichern, will er neue Hits komponieren. Doch alleine wird er es nicht mehr schaffen. Deshalb lädt er Joe Baker, einen der erfolgreichsten Songschreiber, nach Florida ein, um mit ihm neue Hits zu schreiben. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Joe Baker und seine Ehefrau Allison durchleben hektische Zeiten in Nashville. Ihre Tournee und das Familienleben mit den Kindern halten sie auf Trab.

Leona Black spielt seit fünf Jahren jeden Abend vor vollem Haus in einem Casino in Las Vegas. Ihre Plattenfirma plant ein Duett mit ihr und Bruce Cannon (alias «Randy Jackson») für ihre neue CD. Doch lässt sein Gesundheitszustand ein Comeback überhaupt noch zu?

Alle Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Weitere Infos zum Buch

www.der-songwriter.com

www.facebook.com/buch.der.songwriter

Gute Ideen verdienen es, umgesetzt zu werden. Und zwar jetzt: nicht erst morgen.

Lerne aus der Vergangenheit. Träume von der Zukunft. Aber lebe hier und jetzt.

Wie beim ersten Teil durfte ich auch bei der Fortsetzung auf wertvolle Unterstützung zählen:

AstridDanke für deine Liebe, deine Geduld und deinen grossartigen Support!

UrsDeine Inputs waren erneut unglaublich inspirierend und motivierend zugleich!

Captain GreenDeine magischen Fähigkeiten brachten überraschende Erkenntnisse!

Ich danke allen, die mir ihr wertvolles Feedback nach einer Leseprobe gaben!

Zudem danke ich allen Leserinnen und Lesern, die den ersten Musikroman gelesen haben und danach fragten: «Und wie geht es jetzt weiter?»

Auf den folgenden Seiten findest du die Antwort.

Hauptdarsteller

Russel Anderson

Lead-Gitarrist und Bandleader von Allison Monroes Band.

Joe Baker

Seit seiner Ankunft in Nashville wurde er zum gefragten Songwriter. Er wird von Bruce Cannon zu einer Songwriting Session nach Florida eingeladen.

Leona Black

Die Country-Sängerin spielt seit fünf Jahren jeden Abend vor ausverkauftem Haus in einem Casino in Las Vegas. Sie plant eine neue CD.

Bruce Cannon (alias Randy Jackson)

Randy Jackson war einer der absolut erfolgreichsten Country-Stars der 90er-Jahre. Nachdem ihn seine Plattenfirma auf die Strasse setzte, verliess er Nashville, um in Florida ein neues Leben zu beginnen. Jetzt, 20 Jahre später, zwingt ihn ein unerwarteter Schicksalsschlag, neue Songs zu schreiben.

Jerry Cruz

CEO der Plattenfirma «High7-Records».

Stu Miller

Marketingleiter bei «Black Horse Records».

Allison Monroe

Allison ist Joe Bakers Ehefrau. Sie ist eine erfolgreiche Sängerin mit einer äusserst erfolgreichen CD, die seit längerer Zeit in der Country-Album-Hitparade sehr gut platziert ist.

Don Ramsey

Musikproduzent und Inhaber der Schallplattenfirma «Black Horse Records».

Jessica Sanders

Erfolgreiche Newcomerin.

Steve Sharp

Anwalt und Joes engster Freund in Nashville.

Sam Stone

Inhaber des Musikverlages «Rocky Road Songs».

Ruben Taylor

Songwriter-Kollege von Joe Baker.

Wichtige Informationen zum «Weizengrassaft»

Der Autor ist bei den Recherchen zu diesem Roman per Zufall im Internet auf «Weizengrassaft» gestossen. Er hält klar fest, dass er nicht an Unternehmen beteiligt ist, welche das Produkt herstellen oder vertreiben.

Zudem gibt der Autor zum Gebrauch keine Empfehlung ab. Ob man den Saft als Heilmittel verwenden und deshalb trinken möchte, muss jeder für sich selber entscheiden.

Zudem kann der Autor nicht garantieren, dass die gewünschte und erhoffte Wirkung eintritt. Im Buch ist der Saft bloss ein Teil der Geschichte.

Glossar, Musik-Slang & more

Ab Seite 332 findest du Musikfachausdrücke, Namen und Institutionen, die im Buch vorkommen.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 – Die Diagnose

Kapitel 2 – Der Plan

Kapitel 3 – Der Anruf

Kapitel 4 – «And The Winner is ...»

Kapitel 5 – Das Angebot

Kapitel 6 – Auf Wolke sieben

Kapitel 7 – Flug nach Naples

Kapitel 8 – Das erste Treffen

Kapitel 9 – Die Songwriting Session

Kapitel 10 – Baltimore

Kapitel 11 – Geheimes Treffen

Kapitel 12 – Neue Songs begeistern

Kapitel 13 – Der Anruf

Kapitel 14 – Sprachlos

Kapitel 15 – Der Rat eines Freundes

Kapitel 16 – Ein paar Drinks zu viel

Kapitel 17 – Wo ist Joe?

Kapitel 18 – Mit Jessica im Studio

Kapitel 19 – Plattenfirmen kontaktieren

Kapitel 20 – Der Tipp

Kapitel 21 – Observation

Kapitel 22 – Breaking News

Kapitel 23 – Good-bye Vegas

Kapitel 24 – Bedingungen

Kapitel 25 – Verrückte Idee

Kapitel 26 – Erfolgreiches wiederholen

Kapitel 27 – Konsequenzen

Kapitel 28 – Anonymer Anruf

Kapitel 29 – Überredungskünste

Kapitel 30 – Das Plagiat

Kapitel 31 – Studio-Session mit Leona

Kapitel 32 – Freiräume

Kapitel 33 – Positives Denken

Kapitel 34 – Improvisieren

Kapitel 35 – Klare Beweise

Kapitel 36 – Finaler Mix

Kapitel 37 – Notfall

Kapitel 38 – Die Alternative

Kapitel 39 – Neue Situation

Kapitel 40 – Länger als geplant

Kapitel 41 – Der Ersatz

Kapitel 42 – Neue Perspektiven

Kapitel 43 – Bedenken

Kapitel 44 – Konsequent

Kapitel 45 – Die letzte Show in Las Vegas

Kapitel 46 – Raketenstart

Kapitel 47 – Die Verhandlung

Kapitel 48 – Mutiger Entscheid

Kapitel 49 – Wirkungsvoll

Kapitel 50 – Im «Big Apple»

Kapitel 51 – Zu viel des Guten

Kapitel 52 – Von Mann zu Mann

Kapitel 53 – Wellenritt

Kapitel 54 – Wie weggeblasen

Kapitel 1 – Die Diagnose (Tag 1 – Freitag, 10. Februar 2017)

Geplant war nur ein routinemässiger Gesundheitscheck. Aber Bruce Cannon hat ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Er sitzt am 10. Februar 2017 um 15.00 Uhr im Wartezimmer des North Naples Hospital in Naples, Florida, um zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Judy die Ergebnisse bei Dr. Jones abzuholen. Der typische «Krankenhausduft» erfüllt den Raum. Und schon diese Tatsache alleine schlägt ihm gewaltig auf den Magen.

Seit einiger Zeit fühlt er sich ständig müde und schlapp. Gut, das Alter könnte ein Grund dafür sein. Immerhin ist er bereits 62 Jahre alt. «Wäre es Sommer, wäre die Hitze eine Erklärung», sagt er einmal mehr zu Judy. Aber insgeheim weiss er, dass sein Zustand rein gar nichts mit den Temperaturen oder sonstigen äusseren Einflüssen zu tun hat. Es muss etwas anderes sein. Nach dem Essen klagte er immer öfter über Aufstossen, Übelkeit und Erbrechen. Das ganze Programm. Zuerst ignorierte er die Zeichen, die sein Magen aussendete und verdrängte einen möglichen tieferen Grund. Typisch Mann.

Judy ist 47 Jahre alt. Sie ist 1,69 Meter gross, hat eine zierliche Figur und ihre freche Kurzhaarfrisur lässt sie sehr jugendlich erscheinen. Seit dem Jahr 2000 sind sie verheiratet. Sie hält seine Hand, seit sie im Wartezimmer Platz genommen haben. Tausend Gedanken schiessen ihr durch den Kopf. Beide sind angespannt. Sie versucht, Bruce zu beruhigen. Aber so richtig will ihr das nicht gelingen. Judy ist natürlich nicht verborgen geblieben, dass ihr Mann in den letzten Monaten immer kraftloser und bleicher wirkte. Bruce, der 1,90 Meter grosse Hüne, immer perfekt rasiert, mit seinem grau melierten, nach hinten gekämmten, vollen Haar, meistens mit Polo-Shirt, Shorts und Sneakers unterwegs, war nur noch ein Abbild seiner selbst. Er hatte massiv an Gewicht verloren. Bestimmt gegen 15 Kilo. Und dies fiel auf, da er im Normalzustand für sein Alter noch sehr dynamisch und sportlich wirkte und fast kein Übergewicht hatte.

Obwohl sie ihn seit zwei Monaten immer wieder zur Untersuchung drängte, weigerte er sich bis vor einer Woche hartnäckig, den Hausarzt aufzusuchen. Dieser machte zuerst ein paar routinemässige Untersuchungen, bevor er ihn für eine Darm- und Magenspiegelung sowie einen Ultraschall-Check ins North Naples Hospital überwies. Heute fanden diese drei Untersuchungen statt und jetzt warten sie gespannt auf die Ergebnisse. Ihre Nervosität nimmt von Minute zu Minute zu. Judy blickt Bruce besorgt an und versucht, ihn, aber auch sich selber aufzumuntern und zu beruhigen: «Sie haben bestimmt nichts Schlimmes gefunden. Alles ist gut!» Sie versucht, die Angst in ihrer Stimme zu verbergen, aber es gelingt ihr nicht so richtig. Sie ahnt nichts Gutes.

An den weissen Wänden sind einige grossformatige Fotos von Naples Downtown, Sanibel Island, Muscheln und stimmungsvollen Sonnenuntergängen zu sehen. Wie gerne würde sie jetzt mit Bruce am Strand spazieren. Doch die Realität sieht anders aus.

Plötzlich wird die unheimliche Stille durch eine junge Arztgehilfin mit hoher, schriller Stimme unterbrochen, deren Vorfahren wohl einst aus Mittelamerika eingereist waren. Sie bittet Judy und Bruce ins Besprechungszimmer. Sie nehmen Platz. Die Stille ist bedrückend. Die Sekunden, bis der Doktor endlich ins Zimmer tritt, sind kaum auszuhalten.

Der Arzt begrüsst sie freundlich, nimmt in seinem riesigen Sessel hinter einem grossen Pult Platz und öffnet das Dossier mit den Untersuchungsergebnissen. Dr. Michael Jones, ein etwa vierzigjähriger Arzt mit weisser Haut, kahlem Schädel und runder, schwarzer Hornbrille, blickt sie mit seinen blaugrünen Augen an.

Er kommt ohne Umschweife und emotionslos auf den Punkt: «Mr. Cannon, ich will nicht lange um den heissen Brei herumreden. Leider habe ich schlechte Nachrichten für Sie. Es sind Neuigkeiten, die Ihr Leben auf den Kopf stellen werden. Bei den Untersuchungen haben wir einen Tumor gefunden: Der Befund lautet auf Magenkrebs. Wir müssen Sie noch genauer untersuchen, um zu prüfen, ob er bereits Ableger in anderen Organen produziert hat. Es tut mir leid, Ihnen diese Neuigkeiten mitteilen zu müssen.»

Judy und Bruce Cannon wird es von einer auf die andere Sekunde schwindlig. Erst nach einigen Sekunden gelingt es Bruce, eine Frage zu stellen: «Wie lange habe ich noch zu leben?»

«Ich verstehe, dass Sie das wissen möchten», sagt der Arzt ohne Anzeichen von Gefühlen und ergänzt: «Leider kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten, da wir zuerst weitere Abklärungen machen müssen.»

«Worauf muss ich mich einstellen?», fragt Bruce kaum hörbar.

«Ich kann Ihnen kein Zeitfenster nennen. Das wäre zum heutigen Zeitpunkt unseriös. Ich kann Ihnen lediglich versichern, dass die Medizin in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht hat. Trotzdem müssen Sie mit allem rechnen: von drei Monaten bis zu einem halben Jahr. Alles ist möglich. Und wenn Sie Glück haben, und unsere Behandlung erfolgreich ist, können Sie sogar noch weitere Jahre leben. Doch warten wir erst mal die Untersuchungen ab, bevor wir voreilige Schlüsse ziehen.»

Nach einigen Sekunden der Stille will Judy Cannon wissen: «Wie geht es jetzt weiter?»

«In der Regel beginnen wir mit einer Bestrahlung oder einer Chemo. Dadurch sollte sich der Tumor zurückbilden, damit wir ihn operativ entfernen können. Bevor wir mit der Behandlung beginnen, müssen wir die Details kennen. Wie schon erwähnt, sind zuerst genauere Abklärungen notwendig. Unter anderem werden wir eine Computertomografie durchführen. Das ist ein modernes Schnittbildverfahren, bei dem wir einen detaillierten Einblick in Ihren Körper erhalten. Wir koordinieren umgehend alle weiteren Schritte mit den Spezialisten unserer Onkologie-Abteilung. Diese werden Sie dann für weitere Checks aufbieten», antwortet Dr. Jones mit ruhiger Stimme. Dann schliesst er das Dossier, begleitet sie zur Türe und verabschiedet sich von ihnen.

Für den Weg vom Besprechungszimmer durch die langen Gänge des Krankenhauses, auf dem sie vielen Patienten und Mitarbeitenden begegnen, muss Bruce alle Kräfte sammeln. Diese Hiobsbotschaft hat ihm die letzten Kräfte geraubt. Nach einem unendlich lange erscheinenden Weg erreichen sie endlich den Parkplatz mit ihrem Auto. Bruce lässt sich erschöpft auf den Beifahrersitz fallen.

Auf dem Heimweg in ihrem Dodge RAM Pick-up-Truck finden sie während Minuten keine Worte. Judy hält seine Hand und fährt auf dem Tamiami Trail südlich in Richtung Downtown Naples. Bruce sitzt schweigend und in sich gekehrt auf dem Beifahrersitz. Die Stille ist bedrückend. An einer Ampel, die auf Rot steht, blickt er sie an und sagt: «Es tut mir so leid. Ich weiss nicht, was ich jetzt tun soll. Wie viel Zeit bleibt mir noch? Was müssen wir organisieren? Ich kann nicht mehr klar denken!»

Sie antwortet leise: «Ich bin auch ratlos und weiss nicht, was ich sagen soll oder was wir machen müssen. Vielleicht ist es ein Irrtum und alles ist nur ein Albtraum.»

«Verdammt, hätte ich nur auf dich gehört und wäre viel früher zum Doc gegangen. Möglicherweise hätte man den Tumor früher eindämmen können. Aber jetzt ist es wohl zu spät. Könnte ich doch nur das Rad der Zeit zurückdrehen.»

«Oh, Baby, wir müssen jetzt stark sein. Das kann es doch noch nicht gewesen sein, oder? Bitte nicht! Wir hatten doch noch so viele Pläne», sagt sie fast flehend zu ihm.

Kapitel 2 – Der Plan (Tag 1 – Freitag, 10. Februar 2017)

Nach der Diagnose meldet sich Bruce im Golf Club «Tamiami Run», dessen Geschäftsführer er ist, für den Rest des Tages ab. Er ist nicht in der Lage, klar zu denken. Tausende von Gedanken schiessen ihm durch den Kopf.

Zu Hause setzt er sich im Wohnzimmer auf das bequeme Sofa und trinkt einen Ice Tea. Er hebt das Glas und sagt zu Judy: «Ich lasse mich nicht so schnell unterkriegen und kämpfe bis zum letzten Atemzug gegen diesen verdammten Dämon in meinem Körper.»

Judy legt ihre Hand auf seine Schulter und nickt, ohne etwas zu sagen.

Nach dem ersten Schluck sagt Bruce: «Wenn es dir nichts ausmacht, gehe ich jetzt für eine Weile an den Strand. Die Sonne geht schon bald unter und ich muss in Ruhe nachdenken.»

«Darf ich dich nicht begleiten?», fragt Judy. Sie möchte ihm in diesem schwierigen Moment unbedingt zur Seite stehen und ihn unterstützen.

Bruce schüttelt den Kopf und sagt: «Nein, nicht jetzt. Ein anderes Mal natürlich wieder liebend gerne.»

Ihr Haus liegt bloss wenige Hundert Meter westlich von Downtown Naples entfernt und der Strand ist in nur fünf Minuten zu Fuss bequem erreichbar.

Naples liegt im Südwesten von Florida und ist ein beliebter Wohnort. Zudem ist die Stadt ein Anziehungspunkt für Pensionierte und Touristen. Hier lässt es sich gut leben. Feine Restaurants, hohe Palmen, das Meer mit gepflegtem Sandstrand und selbst im Winter angenehme Temperaturen machen Naples zu einer beliebten Destination. Im Sommer ist es sehr heiss und die meisten Menschen kämpfen dann gegen die hohe Luftfeuchtigkeit. Fährt man nach Osten, Richtung Miami, beginnen schon bald die berühmten Everglades.

Bruce und Judy Cannon können sich ein Haus in dieser exklusiven Wohngegend leisten, da er zwischen 1987 und 1997 insgesamt neun Country-Musik-Alben veröffentlichte. Sieben davon erreichten Topplatzierungen in der Billboard Country-Album-Hitparade.

Mit seiner Debut-CD «Southern Dishes» landete Bruce Cannon unter dem Künstlernamen «Randy Jackson» im Jahr 1987 auf Anhieb auf Platz 3 der Country-Album-Hitparade. Bei den CMA-Awards (Country Music Association) gewann er zudem Preise für «Bestes Nachwuchstalent 1989» und «Bestes Album des Jahres 1990».

Zwischen 1987 und 1995 zählte er zu den absolut erfolgreichsten Country-Stars der damaligen Zeit. Er platzierte 13 Singles auf Platz 1 der Billboard Singles Charts. Weitere 18 seiner Single-Auskopplungen erreichten ebenfalls die Top 20 der Single Charts. Eine seiner Nr.-1-Singles war das Duett mit Leona Black «Your Love Means Everything» im Jahr 1990. Dieses Duett, eine Ballade, war sein grösster Hit!

Während Jahren war Bruce, alias Randy Jackson, mit seinen Alben und Singles ein Dauerbrenner in den Country-Hitparaden. Alles lief fast wie von alleine. Bruce war ein Megastar und der Liebling der weiblichen Fans und der Medien. Seine Fotos waren überall zu sehen und seine Songs wurden von den Radiosendern rauf- und runtergespielt. Genauso wie seine Video-Clips, die bei CMT (Country Music TV) in jener Zeit zu den meistgespielten Clips zählten.

Nichts schien seinen Erfolg bremsen zu können. Doch es kam anders: Nach 1993 sanken die Verkaufszahlen seiner Alben und Singles kontinuierlich. Astro Records, seine Schallplattenfirma, glaubte nicht mehr an Bruce. Sie lancierte neue Talente, von denen sie glaubte, dass sie mehr Potenzial hätten als er.

Auch die anderen Plattenfirmen entdeckten in dieser Zeit neue Sänger wie zum Beispiel Billy Ray Cyrus, Tim McGraw, Toby Keith, Sammy Kershaw, John Michael Montgomery oder Clay Walker. Diese Nachwuchssänger standen Bruce Cannon plötzlich vor der Sonne und belegten die Top-Plätze der Country-Hitparade. Das hatte folgenschwere Auswirkungen: Astro Records liess ihn 1995 wie eine heisse Kartoffel fallen. Bruce Cannon verlor seinen Plattenvertrag. Dies verkraftete er nicht und er begann zu trinken. Oder besser gesagt: Er begann zu saufen. Er goss sich den Whiskey gleich literweise hinter die Binde. Sein Alkoholkonsum wurde zu einem riesigen Problem für ihn und seine Umwelt.

Dies führte dazu, dass er seine Konzerte gleich reihenweise absagen musste. Und es kam noch schlimmer: Die Aufnahmen für eine neue CD bei einer neuen Plattenfirma vergeigte er im Studio auf klägliche Art und Weise, da er sturzbetrunken erschien. Diese Songs wurden nie veröffentlicht – und dies war gleichbedeutend mit dem Ende seiner Musikkarriere.

Nach einer Alkoholvergiftung musste er notfallmässig in eine Entzugsanstalt eingewiesen werden, da er so schlecht dran war, dass er fast draufgegangen wäre. Es gab nur eine Lösung: eine zwölfwöchige Entziehungskur in einer spezialisierten Klinik in Albuquerque, New Mexico.

Die intensive Behandlung erfolgte mittels Psychotherapie, Sport, Bewegung und Ergotherapie. Die Freizeit verbrachte er mit Arbeiten im Holzatelier, Fahrradfahren und Lesen. Die gut sortierte Klinik-Bibliothek bot ein breites Spektrum an Lesestoff. Sie wollten in ihm auch den Maler wecken, doch dagegen wehrte er sich erfolgreich. Beim Entzug ging er durch die Hölle – aber es half.

Seither blieb er dem Feuerwasser fern. Heute trinkt er Eistee, Cola Zero oder Tonic Water.

Ein Jahr später, also 1996, brannte seine erste Ehefrau zusammen mit ihrer gemeinsamen Tochter und dem Klavierspieler seiner damaligen Band durch. Sie liess sich von Bruce scheiden. Er musste sich beherrschen, um nicht wieder zur Flasche zu greifen. Bruce Cannon war am Ende. Im Alter von nur 42 Jahren kehrte er Nashville 1997 enttäuscht und gebrochen den Rücken. Er brach alle Kontakte zur Musikbranche ab und setzte seither nie mehr einen Fuss in die Music City. Nashville entschwand seinen Gedanken täglich etwas mehr.

Vom Musikbusiness frustriert, legte er seinen Künstlernamen «Randy Jackson» ab und nahm wieder seinen bürgerlichen Namen «Bruce Cannon» an. Er begann in Naples, Florida, ein neues Leben als Manager eines Golfplatzes. Bei einem Golfturnier im Sommer 1999 lernte er Judy, seine heutige Frau, kennen. Sie brachte Stabilität und Lebensfreude in sein Leben zurück. Schon ein Jahr später, also im Jahr 2000, schlossen sie den Bund fürs Leben und ihre Tochter Sarah kam zur Welt.

Naples und den Südwesten von Florida kennt Bruce Cannon bestens. Hier wuchs er auf, bevor er in jungen Jahren auszog, um in Nashville sein Glück zu versuchen. Er wagte den Schritt, da er mit seiner damaligen Band im Südwesten von Florida von Erfolg zu Erfolg eilte. Sie spielten in allen renommierten Locations und wurden immer wieder als Opening Act bei den grossen Country-Music-Festivals in Florida engagiert. Nach einigen Jahren als Sänger von Demosongs und Barkeeper in Nashville erhielt er von Astro Records 1986 einen Plattenvertrag. Alles ging gut, bis die Plattenfirma 1995 seinen Vertrag auflöste und ihn aufs Abstellgleis stellte.

Sein Job auf dem Golfplatz, aber vor allem die Einnahmen aus den Tantiemen seiner selber geschriebenen Hit-Songs sorgen für äusserst vorteilhafte finanzielle Verhältnisse. Judy und Bruce führen mit ihrer Tochter Sarah ein gutes und ruhiges Leben. Das Showbusiness vermisst er nicht. Keine Sekunde. Seinen Entscheid, Nashville den Rücken zu kehren, hat er nie bereut. Der Kampf um Hitparadenplatzierungen, volle Stadien und Awards ist nicht mehr sein Ding. Davon hat er die Nase gestrichen voll.

Auf dem Weg vom Haus zum Strand beschäftigt er sich mit einer Frage, die ihn seit dem Arztbesuch am Nachmittag plagt: «Können Judy und Sarah den heutigen Lebensstandard weiterführen, falls ich den Kampf gegen den Krebs verliere?»

Auf der einen Seite könnten sie heute auch ohne die Tantiemen aus dem Musikbusiness – und nur mit dem Einkommen aus seinem Job als Golfplatzmanager – gut leben. Aber Judys Witwenrente alleine wird nicht reichen, um den aktuellen Lebensstandard zu halten, falls er das Zeitliche segnet. Dazu wären auch die Erträge aus den Tantiemen notwendig. Diese werden bis 50 Jahre nach dem Tod eines Komponisten an dessen Erben ausbezahlt. In seinem Fall wären das Judy und Sarah sowie seine Tochter aus erster Ehe, die er allerdings seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Seine Ex-Frau verhinderte jeglichen Kontakt.

Die Einnahmen aus den Tantiemen brachen in den letzten Jahren massiv ein. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Seine grössten Hits sind schon mindestens zwanzig Jahre alt und werden deshalb immer seltener am Radio gespielt. Sein altes Leben als Country-Star «Randy Jackson» wird bald nur noch eine Notiz in den Geschichtsbüchern der Country Music sein. Nur ein paar altgediente Radioleute können sich an seinen Namen erinnern und spielen hin und wieder einen seiner damaligen Hits.

Seine CDs sind immer noch im Handel erhältlich. Aber die Verkäufe sind kaum noch nennenswert. Denn: Wer kauft im Jahr 2017 noch CDs? Ausser vielleicht die ganz eingefleischten Musik-Fans, die noch Wert auf ein schönes Booklet legen und gerne eine richtige CD in den Händen halten. Aber der Anteil dieser Fans wird von Tag zu Tag kleiner. Und überhaupt: Wer interessiert sich noch für die CDs eines ehemaligen Country-Stars, der sich vor gut zwanzig Jahren aus dem Musikbusiness zurückgezogen und seither kein einziges Konzert mehr gegeben hat?

Die Sonne geht langsam am Horizont unter. Bruce Cannon rückt seine Baseball-Mütze tiefer ins Gesicht und zieht den Reissverschluss seiner Jacke hoch. Er dreht sich gegen Westen, um den Sonnenuntergang zu geniessen. Das Meer ist ruhig. Kaum noch Wellen. Welch schöner Anblick! Dabei denkt er: «Wie oft kann ich diese Stimmung an diesem wunderbaren Sandstrand wohl noch geniessen?»

Bruce wischt diesen Gedanken beiseite und steckt die Hände in die Hosentaschen seiner Levis-Jeans. Die Müdigkeit macht sich bemerkbar. Mit den Tatsachen seiner Erkrankung konfrontiert, sucht Bruce Cannon intensiv nach einem Plan, wie er seiner Ehefrau Judy und ihrer gemeinsamen Tochter Sarah auch nach seinem Tod ein sorgenfreies Leben ermöglichen kann. Das ist das Mindeste, was er für sie noch tun kann.

Sarah ist 17 Jahre alt und besucht das College. Morgen werden sie ihr die Neuigkeiten zu seinem Gesundheitszustand mitteilen. Er liebt seine Tochter über alles. Den Gedanken, nicht mitzubekommen, wie sich ihr weiterer Lebensweg entwickelt, haut ihn fast um und er muss gegen die Tränen kämpfen. Nach einigen Sekunden kann er sich nicht mehr gegen sie wehren. Die Gefühle übermannen ihn. Nachdem die Sonne am Horizont verschwunden ist, erinnert er sich plötzlich an Songs, die er seit seiner «Flucht» aus Nashville nebenbei – ohne Hintergedanken – einfach so als Hobby geschrieben hatte. Seit Jahren liegen sie unbeachtet und längst vergessen irgendwo im Haus herum. Angefangene Lieder, die er nie fertig bearbeitete: «Ich sollte diese Songideen so rasch als möglich suchen und dafür sorgen, dass sie von den heutigen Stars auf CD veröffentlicht werden!»

Nach ein paar Sekunden schüttelt er den Kopf und sagt zu sich: «Was für ein verrückter Plan. Das wird nie funktionieren. Niemand hat auf die Songs eines krebskranken ehemaligen Country-Stars gewartet, den heute kaum noch jemand kennt. Zudem habe ich alle meine Kontakte nach Nashville abgebrochen, als ich die Stadt und das Musikbusiness vor langer Zeit verlassen habe. Und von den damaligen Plattenbossen oder meinem damaligen Musikverlag ist wohl auch keiner mehr auf dem Posten. Und ich werde wahrscheinlich nicht mehr die Kraft haben, das durchzustehen, wenn ich eine Chemotherapie oder eine Operation über mich ergehen lassen muss. Was für eine verrückte Idee!»

Bruce dreht sich um und macht sich auf den Heimweg. Kaum zu Hause angekommen, heckt er einen Plan aus. Er wird – im Alter von 62 Jahren – erstmals seit 1997 wieder mit Nashville Kontakt aufnehmen. Nicht weil er will, sondern weil er muss. Aber sein Schicksal lässt ihm keine andere Wahl.

Beim Dinner bespricht er die Idee mit Judy: «Weisst du, ich möchte die alten Lieder, die ich vor einiger Zeit nur so zum Spass geschrieben habe, in die Country Singles Charts bringen!»

«Wie willst du das anstellen? Du musst doch jetzt deine Kräfte schonen», antwortet sie ungläubig.

«Das stimmt, aber ich werde mir Hilfe holen. In Nashville gibt es bestimmt viele Songschreiber, die gerne für ein paar Tage nach Naples kommen, um mit mir an diesen Songs zu arbeiten. Diese Lieder müssen einen modernen Touch erhalten. Das schaffe ich nicht alleine. Dafür bin ich zu lange weg vom Musikbusiness. Danach könnten wir die Songs als Co-Autoren rausbringen. Ist mein Partner ein etablierter Songschreiber, steht er bei einem grossen Musikverlag unter Vertrag. Dann könnte der Musikverlag die neuen Songs an die Produzenten und Plattenfirmen ‹pitchen›.»

Judy hört überrascht zu. Dann fragt sie beinahe neugierig: «Hast du etwa schon einen Namen im Kopf? Jemanden, den du kontaktieren könntest?»

Bruce schüttelt den Kopf: «Nein, noch nicht. Aber ich werde mir die aktuellen Country Singles Charts im Billboard-Magazin anschauen. Dann sehe ich rasch, wer die erfolgreichsten Hits der letzten Monate geschrieben hat!»

Kapitel 3 – Der Anruf (Tag 4 – Montag, 13. Februar 2017)

«Guten Morgen, hier spricht Randy Jackson.» Für diesen Anruf wechselt Bruce zurück zu seinem früheren Künstlernamen. «Ich möchte gerne mit dem Inhaber des Musikverlages sprechen.»

Seinen ehemaligen Künstlernamen selber auszusprechen, fühlt sich für Bruce sehr fremd an. Er kann sich nicht einmal mehr richtig damit identifizieren.

Die Telefonistin bei «Rocky Road Songs» stellt den Anruf durch und eine tiefe Männerstimme meldet sich: «Sam Stone, guten Tag, was kann ich für Sie tun?»

«Hier ist Randy Jackson. Ich habe ein ungewöhnliches ...» Er wird unterbrochen.

«Guten Morgen. Habe ich richtig verstanden? Randy Jackson? Also, der Randy Jackson, der vor Jahren einen Hit nach dem anderen herausbrachte und ein Dauergast in den Country-Hitparaden war?»

«Ja, genau. ‹Der Randy Jackson›! Sie erinnern sich noch an mich?»

«Aber klar! Wer Dutzende von Hits landete, geht nicht vergessen! Selbst dann nicht, wenn er von einem Tag auf den anderen einfach so verschwindet und untertaucht! Ich bin schon lange im Musikbusiness tätig und habe die Namen und Melodien Ihrer damaligen Hits noch immer in meinem Kopf. Aber was verschafft mir die Ehre? Benötigen Sie neue Songs? Planen Sie ein Comeback?»

Randy Jackson, alias Bruce Cannon, ist für ein paar Sekunden sprachlos. Diese Reaktion hat er nicht erwartet. «Nun, das ist eine traurige Geschichte. Eigentlich war nicht geplant, dass ich je wieder mit ‹Nashville› Kontakt aufnehme.»

Er erzählt die Gründe seines Anrufs. Jetzt verschlägt es Sam Stone die Stimme. Nach ein paar Sekunden antwortet er: «Verdammt, da kann man nur hoffen, dass Ihnen die Ärzte helfen können und dass alles gut wird. Ich drücke Ihnen die Daumen.» Dann fragt er: «Und welchen der Songschreiber, die bei uns unter Vertrag stehen, haben Sie sich als Co-Autor ausgesucht?»

Der ehemalige Country-Star räuspert sich kurz und nennt einen Namen: «Joe Baker. Mit ihm würde ich meine Songs gerne fertig schreiben. Und dies so rasch als möglich. Wenn alles schiefläuft, habe ich nicht mehr viel Zeit.»

Wie mit seiner Frau besprochen, hatte sich Bruce Cannon am Wochenende die aktuelle Country-Hitparade angehört und war dabei auf einen wunderbaren Song von Dean Potter, einem aufstrebenden jungen Country-Sänger, gestossen.

Dean Potters neuster Hit «Road To Your Heart» steht gerade auf Platz 3 der Country Singles Charts und wurde von Joe Baker geschrieben. Ein musikalisches Meisterwerk mit Potenzial, in der kommenden Woche sogar die Nummer eins zu werden. Bruce hatte sich sofort in den Song verliebt und hatte im Internet nach weiteren Kompositionen von Joe Baker gesucht.

Auf Wikipedia fand er einige Informationen über diesen Songschreiber, der seine professionelle Songwriter-Karriere im Jahr 2014 in Nashville startete. Seither wurden mehrere seiner Kompositionen von Stars wie Dean Potter, Allison Monroe und anderen aufgenommen und als Singles ausgekoppelt. Davon schafften es alle in die Top 10 der Country Charts, was einem grossen Leistungsausweis gleichkommt.

«Weshalb möchten Sie Ihre neuen Songs ausgerechnet mit Joe Baker schreiben?», will Sam Stone wissen.

«Gute Frage. Natürlich gäbe es tausend andere erstklassige Songschreiber in Nashville, die über riesiges Talent verfügen. Aber seine Songs erinnern mich an meine Art, Lieder zu schreiben, als ich jung war. Deshalb möchte ich Joe Baker persönlich kennenlernen. Sein Stil passt hervorragend zu meinen neuen, aber noch nicht fertigen Songs. Als Co-Autoren könnten Joe Baker und ich den Staub von meinen Ideen nehmen und ihnen einen zeitgemässen Touch bzw. ein Upgrade in die Gegenwart verleihen.»

Sam Stone überlegt kurz und antwortet lachend: «Gute Wahl! Joe Baker schreibt wirklich aussergewöhnliche Songs. Deshalb habe ich ihm einen Vertrag angeboten, als ich seine Kompositionen zum ersten Mal hörte. Wenn ich Sie richtig verstehe, soll mein Musikverlag, «Rocky Road Songs», die Songs, die Sie mit Joe Baker schreiben werden, an die Produzenten und Plattenfirmen ‹pitchen›, damit sie von den aktuellen Stars zu Hits gemacht werden, richtig? Oder planen Sie etwa selber ein Comeback mit einer neuen CD und diesen, mit Joe Baker zusammen komponierten Liedern?»

«Nein! Auf gar keinen Fall ein Comeback! Das lässt mein Gesundheitszustand nicht mehr zu und ich bin mit 62 Jahren auch viel zu alt dafür. Aber Sie können mir mit Ihrem Netzwerk weiterhelfen, denn Sie kennen die aktuelle Country-Musik-Branche und wissen, welche Sängerinnen, Sänger und Bands nach neuem Hit-Material suchen!»

«Ah, jetzt verstehe ich», sagt Sam Stone. Nach einer kurzen Pause fährt er fort: «Wenn dieser Plan aufgeht, werden alle Beteiligten viel Kohle machen. Schon Ihre damaligen Eigenkompositionen waren gigantische Hits. Wenn Ihre neuen Werke auch nur annähernd so gut werden wie Ihre alten Hits, sehe ich keinen Grund, weshalb sich diese Erfolge nicht wiederholen liessen!»

«Das ist der Plan», bestätigt Bruce kurz und knapp. Sam Stone hat angebissen. Dann ergänzt er: «Ich habe jedoch eine Bedingung, die Sie zwingend einhalten müssen: Niemand darf erfahren, wo ich mich aufhalte oder wie es um meine Gesundheit steht. Alles muss absolut vertraulich abgewickelt werden. Nur Sie und Joe Baker dürfen meinen Aufenthaltsort kennen. Für die Medien sind alle Informationen zu meiner Person ein absolutes Tabu.»

«Das geht in Ordnung. Alles bleibt ‹topsecret›, so wie Sie es wünschen», bestätigt Sam Stone. Trotzdem möchte er wissen, wo sich Randy Jackson aufhält: «Wo wohnen Sie denn jetzt?»

«Das verrate ich Ihnen erst, wenn Joe Baker zugesagt hat, hierher zu fliegen und mit mir an den Songs zu arbeiten. Heute nur so viel: Die Songwriting Session findet südlich von Nashville statt, an einem Ort mit Meer und Sandstrand. Joe Baker wird es nicht bereuen!»

Kapitel 4 – «And The Winner is ...» (Tag 4 – Montag, 13. Februar 2017)

Bruce Cannon ist zufrieden mit dem Ergebnis seines Telefonats mit Sam Stone. Er verbringt den Tag damit, seine alten Songideen durchzugehen und sie nach vier Kriterien zu sortieren: gut, sehr gut, vielleicht und unbrauchbar.

Am Abend machen Judy und Bruce einen Spaziergang am Strand. Sie geniessen den Sonnenuntergang und machen sich gegenseitig Mut.

*****

Das Grand Ole Opry House in Nashville ist bis auf den letzten Platz besetzt. Es ist Montagabend, 8. Oktober 1990. Die ganze Crème de la Crème der Country-Musik-Szene sitzt in den ersten fünf Reihen, um bei der Country Music Awards Show live dabei zu sein.

Die CMA-Awards sind vergleichbar mit der Verleihung der Oscars der Filmindustrie. Die Show wird live am TV übertragen. Millionen verfolgen die Übertragung an ihren Bildschirmen zu Hause.

Heute Abend werden Preise für «Bestes Album», «Single of the Year, «Singer of the Year» «Band of the Year», «Musician of the Year» usw. vergeben.

Auch Randy Jackson und seine damalige Ehefrau lassen sich diesen Event nicht entgehen. Und dies aus gutem Grund: Randy Jackson ist für «Singer of the Year» und «Album of the Year» nominiert. Dies bedeutet eine riesige Anerkennung für ihn und wird seine Karriere weiter befeuern.

Egal, wie die Sache für ihn heute Abend ausgeht: Morgen werden unzählige Fans CDs von ihm kaufen – und das ist gut fürs Geschäft.

Zwischen der Bekanntgabe der Awards und den obligaten Dankesworten treten aktuelle Stars mit ihren neusten Hits auf. Randy hat seine Performance zusammen mit seiner Band noch vor sich. Er ist etwas nervös, denn einen dieser beliebten Awards zu erhalten, zählt zu den absoluten Karrierehöhepunkten eines Country-Stars.

Der nächste Programmblock ist die Verleihung des Awards für «Album of the Year». Die Ansage erfolgt durch Barbara Mandrell. Sie ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten Country-Sängerinnen der 80er-Jahre. Sie nennt die Namen der Nominierten:

Here in the Real World – Alan Jackson Livin’ It Up – George Strait RVS III – Ricky Van Shelton I Wonder Do You Think of Me – Keith Whitley Pickin’ on Nashville – Kentucky Headhunters

Auf zwei übergrossen Bildschirmen im Hintergrund werden die Namen und Fotos der Nominierten eingeblendet. Der Name «Randy Jackson» fehlt. Randy, der in der ersten Reihe sitzt, kann es nicht fassen. Er steht auf, rennt Richtung Bühne und schreit: «Betrug! Betrug! Betrug! Ihr verdammten Lügner!»

Plötzlich wird er von zwei Sicherheitskräften von hinten gepackt und auf den Boden gedrückt. Er kann kaum atmen. Er schreit «Schei...». Das Wort bleibt ihm im Hals stecken, als er schweissgebadet aufwacht. Bruce Cannon braucht ein paar Sekunden, bis er realisiert, dass alles nur ein böser Traum war. Verdammt! Während vieler Jahre hat ihn dieser Albtraum verfolgt, bis er vor zehn Jahren endlich Ruhe davor hatte. Und jetzt ist Nashville plötzlich wieder da.

Judy ist durch seine heftigen Bewegungen und durch seinen Aufschrei ebenfalls erwacht. Sie legt ihren Arm vorsichtig um ihn und fragt besorgt: «Kann ich etwas tun für dich?»

«Nein. Verdammt. Dieser elende Traum macht mich fix und fertig!»

Kapitel 5 – Das Angebot (Tag 5 – Dienstag, 14. Februar 2017)

Es ist Dienstag, 10.00 Uhr morgens. Joe Baker sitzt auf der Sonnenterrasse des Tower23-Hotels und trinkt einen frisch gepressten Organgensaft. Er wartet auf seine Ehefrau Allison Monroe, seinen Sohn Blake, ihre gemeinsame Tochter Joella und die Nanny. Sie sollten jeden Moment zu ihm stossen, um mit ihm zu frühstücken. Joe studiert die Karte. Er wird wohl zwei Spiegeleier mit viel Speck, Toastbrot, Hash Browns und Pancakes bestellen.

Das Hotel befindet sich direkt an der Mission Bay in San Diego. Durch seine moderne Architektur, seine Innendekoration und das Restaurant mit schicker Bar spricht das Hotel ein junges, trendiges Publikum an. Es ist kein 08/15-Touristenhotel, wie es sie zu Tausenden gibt. Dieses Hotel ist hip und der Sandstrand liegt nicht mal einen Steinwurf von Joes Tisch entfernt. Der neue Tag präsentiert sich von seiner Schokoladenseite: blauer Himmel und die Temperatur liegt bei 21 Grad Celsius. Die Luft ist frei von Smog.

Eben ist Joe von einem 30-minütigen Morgenjogging am Strand zurückgekommen. Frisch geduscht, beobachtet er die Spaziergänger, Jogger, Biker und Sonnenanbeter. Dazu zählen auch viele Männer und Frauen, die am Strand ihre Yogaübungen zelebrieren.

Allison und Joe sind seit August 2015 glücklich verheirate. Seit knapp drei Wochen sind sie mit Allisons Band, seinem zweijährigen Sohn Blake (geboren 2014), ihrer gemeinsamen Tochter Joella (geboren 2015) und der Nanny auf Tournee an der US-Westküste.

Allison Monroe ist 32 Jahre alt, hat ozeanblaue Augen und trägt schwarzbraune, lange Haare. Sie ist 1,70 Meter gross. Ihr Bühnenoutfit besteht meistens aus einem weissen oder schwarzen Cowboy-Hut und dem dazu passenden weissen Tank-Top oder einer schwarzen Bluse sowie Wrangler-Jeans und Cowboy-Boots.

Seit der Debüt-Single «Over Here», mit der Allison Ende 2014 erstmals in die Billboard Country Singles Charts einstieg, konnte sie ihren Bekanntheitsgrad und ihren Erfolg massiv steigern. Die Fans und die Medien lieben sie, ihre Songs und ihre Konzerte. Das Resultat ihrer harten Arbeit kann sich sehen lassen: Immer mehr Konzertveranstalter buchen sie und ihre Band für Konzerte im ganzen Land. Rund einhundert Gigs waren es alleine im Jahr 2016. Sie füllt immer grössere Locations und tritt als Vorband der bekanntesten Country-Stars in riesigen Stadien auf.

Ihre Singles erreichen regelmässig die Top 10 der Country Singles Charts. Ihre erste CD steht immer noch auf Platz 17 der Country-Album-Hitparade. Und dies zwei Jahre, nachdem sie auf dem Markt erschienen ist.

Der ganze Tross ist mit einem gemieteten Tourbus unterwegs. Dazu zählen Allison, Joe, Blake, Joella, die Nanny, die fünfköpfige Band, die Rowdys sowie zwei Ton- und Lichttechniker. Joe hat bei diesen Gigs den Job des Tourmanagers übernommen und kümmert sich um alles Organisatorische mit den Veranstaltern, den Hotels und den Medien. Doch schon bald wird Allison einen vollamtlichen Tourmanager einstellen.

Die Konzertserie an der Westküste begann in Seattle und Olympia im Bundesstaat Washington. Von dort ging es weiter nach Portland und Salem, Oregon. Danach folgten Konzerte in Kalifornien: zuerst in Sacramento, anschliessend San Francisco, Bakersfield, Santa Barbara und San Bernardino. Den Abschluss machte gestern Abend ein Gig in San Diego, Joes Heimatstadt.

Das Konzert fand im Crossfire Pub statt. Der Music-Club liegt nur 500 Meter vom Tower23-Hotel entfernt. In diesem Music-Club lernten sich Joe und Allison vor etwas mehr als drei Jahren kennen. Der Club ist ein magischer Ort, an den sie sich für immer erinnern werden. Wer hätte damals gedacht, dass aus der zufälligen Begegnung an der Bar eine derart intensive Beziehung entstehen würde?

Nach einigen Anfangsschwierigkeiten wurden Allison und Joe im Herbst 2014 ein Paar. Ihre Kinder sind das Wichtigste in ihrem Leben und noch immer verbindet sie eine starke erotische Anziehungskraft. Auch die gemeinsame Passion, die Musik, ist ein Thema, über das sie jeden Tag sprechen.

Um 14.00 Uhr wird Allison mit Sohn Blake, Tochter Joella und der Nanny nach Nashville zurückfliegen. Joe wird noch zwei Tage hier bleiben, um ein paar Kumpels aus früheren Zeiten zu treffen.

Joe Baker ist 37 Jahre alt, 1,78 Meter gross, hat schwarzes, dichtes Haar und blaue Augen. Heute trägt er dunkelblaue Shorts, ein weisses T-Shirt mit V-Ausschnitt, Flipflops und eine schwarze Baseballmütze mit den Initialen «JB», die ihm Allison geschenkt hat. Joe lebte bis Ende August 2014 in San Diego, bevor er seine Heimatstadt verliess.

Nachdem ihn Sandy, seine Ex-Freundin, nach einer mehr als neunjährigen Beziehung, für einen anderen verlassen hatte, fiel er in eine tiefe Lebenskrise. Doch statt aufzugeben, rappelte er sich wieder auf und beschloss, den Traum vom Leben als Songwriter in die Realität umzusetzen. Im September 2014 brach Joe Baker all seine Zelte in San Diego ab, flog nach Nashville und startete sein Leben in der Country-Metropole neu.

Er erreichte sein Ziel dank harter Arbeit, diversen Zufällen, Glück, neuen Freunden und starkem Songmaterial, das die richtigen Leute im Musikbusiness überzeugte.

Joe wollte Sandy, seine Ex-Freundin, bei seinem Neustart in Nashville so rasch als möglich vergessen und nicht mehr an sie denken. Er wollte bei null beginnen und sie nie mehr sehen.