Der Spieluhrenmann: Thriller - Chris Karlden - E-Book

Der Spieluhrenmann: Thriller E-Book

Chris Karlden

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Beschreibung

Morgen früh, wenn ich will, wirst du wieder geweckt … Ausgerechnet an dem Morgen, als Adrian Speer zu seiner Freundin Ines ziehen will, werden er und sein Partner Kriminalkommissar Robert Bogner an den Schauplatz eines grausamen Verbrechens gerufen. Eine Frau wurde nachts auf dem Heimweg in einer Parkanlage qualvoll ermordet. In ihrer Hand platzierte der Täter eine Ballerina-Spieluhr. Die Ermittlungen ergeben, dass das Opfer dunkle Geheimnisse verbarg und die Spieluhr bereits eine tödliche Vorgeschichte hat. Dann gibt es ein weiteres Todesopfer, wieder dekoriert mit einer Spieluhr. Während das Team um Speer und Bogner in einem fieberhaften Wettlauf gegen die Zeit den skrupellosen Täter zu überführen versucht, verfolgt dieser einen undurchsichtigen Plan, der noch durch einen besonderen Mord gekrönt werden soll. Der Thriller ist in sich abgeschlossen und kann daher auch als Einzeltitel unabhängig von den anderen Büchern der erfolgreichen Reihe gelesen werden.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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DER SPIELUHRENMANN

THRILLER

CHRIS KARLDEN

INHALT

Über den Autor

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

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Nachwort

Weitere Bücher

Impressum

Der Spieluhrenmann

Copyright © 2025 by Chris Karlden

Alle Rechte vorbehalten

Chris Karlden

c/o COCENTER

Koppoldstr. 1

86551 Aichach

E-Mail: [email protected]

https://chriskarlden.de

Umschlaggestaltung: https://buchcover.design

Lektorat und Korrektorat: Heidemarie Rabe,

E-Mail: [email protected]

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jedwede Verwendung des Werkes darf nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erfolgen. Dies betrifft insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung. Dies ist ein fiktiver Roman. Die Figuren und Ereignisse darin sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, wäre zufällig und nicht beabsichtigt.

ÜBER DAS BUCH

Ausgerechnet an dem Morgen, als Adrian Speer zu seiner Freundin Ines ziehen will, werden er und sein Partner Kriminalkommissar Robert Bogner an den Schauplatz eines grausamen Verbrechens gerufen. Eine Frau wurde nachts auf dem Heimweg in einer Parkanlage qualvoll ermordet. In ihrer Hand platzierte der Täter eine Ballerina-Spieluhr. Die Ermittlungen ergeben, dass das Opfer dunkle Geheimnisse verbarg und die Spieluhr bereits eine tödliche Vorgeschichte hat. Dann gibt es ein weiteres Todesopfer, wieder dekoriert mit einer Spieluhr. Während das Team um Speer und Bogner in einem fieberhaften Wettlauf gegen die Zeit den skrupellosen Täter zu überführen versucht, verfolgt dieser einen undurchsichtigen Plan, der noch durch einen besonderen Mord gekrönt werden soll.

ÜBER DEN AUTOR

Chris Karlden, geb. 1971, studierte Rechtswissenschaften. Seine Bücher steigen regelmäßig auf Spitzenpositionen in den Bestsellerlisten. Insbesondere seine Thriller-Reihe um die Kriminalkommissare Adrian Speer und Robert Bogner erfreut sich immenser Beliebtheit und einer immer größer werdenden Anhängerschaft. Chris Karlden widmet sich beruflich ausschließlich dem Schreiben von Spannungsromanen. Seine Leser hält er insbesondere mit seinem Newsletter auf dem Laufenden.

Mehr über den Autor und seine Bücher unter www.chriskarlden.de

1

Drei Monate davor

Da die Gebäudeheizung wieder einmal nicht funktionierte, hatte sich seine Wohnung über Nacht in eine Kühlkammer verwandelt. Auch der Bademantel über seinem Pullover und die dicken Wollsocken änderten nichts daran, dass er fror. Leicht zitternd stand er vor seinem Küchenfenster und betrachtete die grazilen Eisblumen, die sich darauf gebildet hatten.

Aus seiner gelben Lieblingstasse, die er vor sich in der Hand hielt und die mit einem lachenden SpongeBob verziert war, stieg ihm der Dampf heißen Pfefferminztees in die Nase. Er schlürfte aus der Tasse und genoss die wohltuende Wärme, die seine Kehle durchströmte. Im Hintergrund dudelte leise sein uraltes Radio, das auf der Arbeitsfläche neben dem Herd seinen festen Platz gefunden hatte.

Bedächtig trat er nah an die Fensterscheibe und hauchte großflächig dagegen, sodass sich ein dünner Nebelfilm darauf bildete. Dann wischte er mit dem Armzipfel des Bademantels eine kreisrunde Stelle frei und blickte wie durch das Bullauge eines Schiffes auf die gegenüberliegende Seitenwand eines weiteren Mietshauses. Das Gebäude war in dem gleichen hässlichen Braunton gestrichen wie das, in dem er seit einer Ewigkeit lebte.

Sein Blick glitt an der Fassade, deren Putz bereits in großen Teilen abgeblättert war, hinunter in den schäbigen Hinterhof. Der dreckige Asphaltboden war von Wellen und Rissen durchzogen und auf dem feuchten Sockelgemäuer hatten sich Moose und Algen ausgebreitet.

Der Beginn der Neun-Uhr-Nachrichten im Radio ließ ihn aufhorchen und er stellte das Gerät lauter. In der letzten Meldung griff die Sprecherin das Verschwinden eines Sechsjährigen in der vergangenen Woche wieder auf und berichtete, dass der Junge, der zuletzt auf einem Spielplatz gesehen worden war, noch immer nicht gefunden wurde. Sie endete mit der Bitte, sich mit sachdienlichen Hinweisen an die zuständige Polizeidienststelle zu wenden, und nannte eine entsprechende Telefonnummer.

Vermutlich sahen sich dadurch all die Eltern bestätigt, die ihre Sprösslinge statt auf einem öffentlichen Spielplatz im trügerischen Schutz ihrer Hinterhöfe spielen ließen. Aber Ungemach lauerte für eine kindliche Seele überall, bei Tag und bei Nacht, und vor allem an so manchem Ort, von dem man es nicht erwartete. Er kicherte, tadelte sich aber sogleich dafür und riss sich mit einem Seufzer aus seinen verschrobenen Gedanken.

Mit leerem Blick lauschte er dem Wetterbericht und nippte gedankenverloren an seiner Tasse, bis der Tee irgendwann ausgetrunken war. Dann stellte er den SpongeBob-Becher in die Spüle und machte sich fertig für den anstehenden Einkauf in dem nahe gelegenen Supermarkt.

Auf dem Bürgersteig spürte er sofort die eisige Kälte, die auch in den kommenden Tagen laut dem Wetterbericht anhalten sollte. Er war daher froh, seine dicke Winterjacke sowie eine Mütze und Handschuhe angezogen zu haben.

Nach zehn Minuten erreichte er den Einkaufsmarkt und trat durch die Schiebetür. Die warme Luft, die ihm entgegenkam, ließ seine Brillengläser beschlagen und brachte seine Nase zum Laufen.

Links hinter dem Eingangsbereich befanden sich die Kassen und rechts eine Bäckereifiliale. Er ging daran vorbei, nahm bei der Obst- und Gemüseabteilung einen Einkaufskorb vom Stapel und ließ seinen Blick über die Waren schweifen.

Plötzlich vernahm er hinter seinem Rücken ein jammerndes Kind. Er drehte sich um und tat so, als ob er das Gemüseangebot in den Auslagen im Mittelgang inspizieren würde, und spähte verstohlen zu der Bäckereitheke, vor der ein kleines Mädchen an der Hand einer blonden Frau zerrte.

»Das macht fünf Euro siebzig«, sagte die Verkäuferin.

»Ich zahle mit Karte«, antwortete die Frau barsch, dann wandte sie sich wieder dem kleinen Mädchen an ihrer Hand zu. »Und du benimmst dich jetzt und hörst sofort auf zu weinen!«

Das Kind reagierte prompt mit noch lauterem Gejammer.

»Wenn du nicht brav bist, bekommst du kein Teilchen«, drohte die Blonde.

»Ich will auch nichts zu essen«, rief das Kind. Dann fing es wieder an zu weinen.

Die Frau beugte sich tief nach unten. »Lia! Du hörst jetzt sofort auf zu quengeln! Sonst setzt es was!« Sie hielt den Zeigefinger hoch und sah das Mädchen böse an, das daraufhin aber nur noch lauter plärrte.

»So schlimm ist das doch gar nicht«, sagte die Bäckereiverkäuferin lächelnd. Sie stellte die Papiertüte mit den Backwaren auf die Theke und schob das Kartenlesegerät näher zu der Frau.

»Das ist meine Tochter! Mischen Sie sich da nicht ein!«, fuhr die Mutter die Verkäuferin an.

Sie hielt ihre Karte vor das Lesegerät und vollzog den Bezahlvorgang.

Die Verkäuferin sah die Mutter an. »Die Nase Ihrer Tochter ist verstopft und ihre Augen sind trüb. Die Kleine ist krank und übermüdet. Bestimmt weint sie deshalb so viel.«

Die Mutter zückte ein gebrauchtes Papiertaschentuch aus ihrer Jacke und rieb ihrem Kind damit grob über die Schnuddelnase. »Das ist nur ein kleiner Schnupfen. Und sie weint und schreit, weil sie stur ist und ihren Kopf mal wieder durchsetzen möchte, das ist alles.«

Er trippelte von einem Fuß auf den anderen. Er war wie gebannt von der Frau. Erst jetzt bemerkte er, dass sein Mund offen stand und an seiner Unterlippe ein Speichelfaden hing. Schnell wischte er ihn mit dem Ärmel seiner Jacke weg und sah sich um. Beruhigt stellte er fest, dass niemand Notiz von ihm genommen zu haben schien. Vor einer Woche hatte er seine Medikamente zum letzten Mal eingenommen. Seitdem war aus dem stillen See in seinem Kopf ein Meer mit tosendem Wellengang geworden. Aber wenigstens war er dafür die entsetzlichen Schmerzen losgeworden, die ihm laut seinem Psychiater die Tabletten als Nebenwirkung beschert hatten.

Doch gerade war er sich nicht mehr sicher, ob seine eigenmächtige Entscheidung, auf die Medikamente zu verzichten, richtig gewesen war. In seinem Schädel herrschte das blanke Chaos und er bekam seine aufblitzenden Gedanken nicht mehr zu fassen. Am liebsten hätte er seinen Kopf hier und jetzt mit beiden Händen wie in einem Schraubstock zusammengepresst. Aber das konnte er unmöglich tun, nicht hier in dem Geschäft vor all den Leuten. Er wischte die Schweißperlen von seiner Stirn und nahm seine Brille kurz ab, um die dicken Gläser schnell mit dem Zipfel seines Pullovers zu reinigen. Hastig setzte er die Brille dann wieder auf, rückte sie mit dem Zeigefinger auf der Nase zurecht und starrte wieder hinüber zu der Frau. Die lockige blonde Mähne und die hochgewachsene Statur passten. Er konnte sie nur von hinten und eben kurz von der Seite sehen, dennoch beschwor sie vor seinem geistigen Auge eine Person aus seinem früheren Leben herauf, die ihn heute noch in seinen Albträumen verfolgte. Er fasste sich an die Stirn, hinter der sich ein stechender Schmerz manifestierte. Alles um ihn herum drehte sich und ihm wurde schlecht.

»Ich will nicht in den Kindergarten«, brüllte das Kind und versuchte, sich von der Hand der Mutter loszureißen.

Die Verkäuferin schaute die Mutter vorwurfsvoll an.

»Was soll ich machen? Ich muss jetzt zur Arbeit!«, blaffte die junge Frau die Verkäuferin an.

Das kleine Mädchen trug einen Rock, eine rosa Strumpfhose und eine Jeansjacke. Die Kleider waren viel zu dünn bei der Kälte draußen. Die Verkäuferin sah gequält zu ihm herüber und ihre Blicke trafen sich kurz. Ertappt sah er auf die Auslage vor sich, entnahm eine Zucchini und packte sie in seinen Einkaufskorb.

»Ich will nicht in den Kindergarten. Ich will meine Spieluhr haben!«, wimmerte das Kind.

Die Mutter rollte genervt mit den Augen, machte dicke Backen und blies die Luft geräuschvoll aus. »Du bist ein unartiges Kind. Ich bin froh, wenn dein Papa dich am Wochenende abholt. Dann kann er sich mit dir herumärgern.«

»Bitte, bitte, kann ich bitte meine Ballerina-Spieluhr haben?«, fragte das Kind nun erneut, aber in einem mit jedem Wort höher werdenden Ton.

»Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Du kannst ja doch bitte sagen«, antwortete die Mutter. Sie griff in ihre Handtasche und holte eine Spieluhr hervor.

Diese Aktion traf ihn wie ein plötzlicher Schlag in die Magengrube und ihm blieb die Luft weg. Es handelte sich um eine tanzende Ballerina, die mit einer Fußspitze auf einem Sockel stand. Ihr Anblick katapultierte ihn in eine Erinnerung, die er in der Hoffnung, dass sie nie wieder auftauchen würde, vor sehr langer Zeit tief in seinem Inneren begraben hatte.

»Hier, damit du endlich Ruhe gibst«, sagte die Frau zu ihrer Tochter und drückte ihr die Musikdose lieblos in die Hand. Das kleine Mädchen hielt die Spieluhr ehrfürchtig darauf blickend fest und zog sie vorsichtig mit dem Schlüssel, der seitlich im Sockel steckte, auf.

Die Melodie, die nun erklang, ließ seine Beine für einen Moment weich werden und seinen Herzschlag aussetzen. Guten Abend, gut‘ Nacht und mit Rosen bedacht, mit Näglein bedeckt, schlüpf unter die Deck. Morgen früh, so ... Während die Melodie weiterspielte, hörte er abrupt auf, in Gedanken mitzusingen. Er kannte den Text des Wiegenliedes im Original ganz genau. Aber natürlich wusste er auch noch wie SIE den Wortlaut, um ihm Angst einzujagen, verändert hatte. Aus morgen früh, so GOTT will, wirst du wieder geweckt, hatte sie gemacht, morgen früh so ICH will, wirst du wieder geweckt. Dadurch hatte sie ihm jeden Abend, wenn sie die Spieluhr aufzog und sie vor seinem winzigen Gefängnis abspielte und dabei mitsang, deutlich gemacht, dass es nicht in Gottes, sondern allein in ihrer Hand lag, ob er die Nacht überleben würde oder starb.

Das kleine Mädchen beruhigte sich, während seine Augen auf der Ballerina hafteten, die sich untermalt von der Melodie im Kreis drehte.

»Sie sieht aus wie SIE!«, flüsterte die Stimme in seinem Kopf und lachte heiser. Er begann zu hecheln und hatte Mühe, den Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken.

Als die Mutter mit dem Kind den Supermarkt verließ, stellte er wie in Trance seinen Einkaufskorb auf dem Boden ab und folgte den beiden.

Trotz der kalten Temperaturen schwitzte er und fühlte ein eisernes Band, das sich immer enger um seine Brust schlang. Mit jedem Schritt, den er der Frau weiter folgte, überzeugte ihn die Stimme in seinem Kopf mehr, dass die Frau da vor ihm SIE war. Es nutzte nichts, dass er sich mit der Faust Kopfnüsse gab und der Stimme zuflüsterte, dass sie abhauen soll. Die Stimme blieb und sie hörte nicht auf zu reden.

»Du brauchst keine Angst mehr vor ihr zu haben«, sagte sie. »Du bist doch jetzt erwachsen und stark.«

Er nickte. Das war richtig. Und dort, wo er groß geworden war, hatte er zu kämpfen und sich zu behaupten gelernt, und er hatte erfahren müssen, dass man mit brachialer Gewalt meist sehr schnell das bekam, was man wollte.

Mit jedem weiteren Schritt kehrten die Erinnerungen zurück. An jede Demütigung und all die durchlebten Schmerzen. Zorn und Wut brandeten in ihm auf. Gefühle, die er von sich nicht kannte. Er war ein friedfertiger Mensch. Aber war er das wirklich? Es gab Momente, in denen er sich vorstellte, wie es wäre, das zu tun, was sie mit ihm getan hatte, und dann dabei noch viel weiterzugehen, als sie es je getan hatte. Er verabscheute sich dafür und hatte diese Vorstellung immer schnell abschütteln können. Aber jetzt war es, als ob jemand Fremdes von ihm Besitz ergriffen hätte und ihn wie auf Autopilot hinter dieser blonden Frau und dem Mädchen hermarschieren ließ.

Sein innerer Drang, zu der Frau aufzuschließen und sie zu ergreifen, wurde immer stärker. Er konnte sich kaum noch zurückhalten. Es gab zu viele Passanten und ihr Kind war auch noch da. Er ahnte, weshalb das gerade jetzt mit ihm passierte. Es lag an der verdammten Spieluhr, an dem Lied und an dieser Frau. Alles passte zusammen. Und natürlich waren vor allem seine verdammten Medikamente schuld, die er nicht mehr einnahm und die ihn all die Jahre davon abgehalten hatten, seine Fantasien wahr werden zu lassen.

* * *

Nina Sommer zog ihre kleine Tochter Lia grob an der Hand hinter sich her aus dem Supermarkt. Die missbilligenden Blicke einiger Kunden, die an den Kassen anstanden, waren ihr egal. Sie war dermaßen genervt von Lia, dass sie sogar in Kauf nahm, durch ihr Zerren den Arm des Kindes fast auszukugeln. Das Mädchen stolperte im Schlepptau hinter ihr her und widmete seine gesamte Aufmerksamkeit der Spieluhr, deren Sockel es fest mit der kleinen Hand umklammerte.

Das knisternde Geklimper des Spielwerks raubte Nina jetzt auch noch den letzten Nerv. Aber sie wusste aus Erfahrung, dass Lia ausflippen würde, falls sie ihr dieses bescheuerte Spielzeug abnahm, bevor die Melodie zu Ende war. Sie wusste insgeheim, dass sie ihre Wut auf Lias Vater, der sie mit Lia hatte sitzen lassen, auf ihr Kind übertrug. Später würde es ihr leidtun, doch jetzt gerade hatte sie sich einfach nicht mehr im Griff.

»So, jetzt ist erst mal Pause«, sagte Nina, nachdem der letzte Ton der Spieluhr verklungen war. Sie nahm der Kleinen das Teil aus der Hand und steckte es zurück in ihre Handtasche.

Augenblicklich zog Lia die Mundwinkel nach unten und wollte wieder anfangen zu weinen. Doch Nina hob schnell den Finger. »Schluss jetzt!«, gebot sie ihrer Tochter mit harschem Ton Einhalt und zog sie dann weiter hinter sich her. Dabei ging ihr das Gespräch mit der Bäckereifrau durch den Kopf. Ninas Aussage, dass sie zur Arbeit müsse, war eine Lüge gewesen. Sie ärgerte sich jetzt darüber, sich vor der besserwisserischen Frau dafür gerechtfertigt zu haben, dass sie Lia statt zu einem Kinderarzt in die Kita brachte. Die Frau musste sich schließlich nicht die Nächte mit einem Kind herumschlagen, das ein vollkommen abnormales Schlafverhalten zeigte. Nina sah die Kita vor sich auftauchen und sie überkam ein Gefühl der Erleichterung. Sobald sie wieder daheim war, würde sie sich ins Bett legen und den verpassten Schlaf nachholen.

Als Nina die Tür zu Lias Gruppenraum öffnete, merkte sie der Erzieherin sofort an, dass sie nicht begeistert war, ein krankes Kind zur Betreuung gebracht zu bekommen. Kurz überkam Nina deswegen ein schlechtes Gewissen, dann machte sie sich klar, dass sie schließlich viel Geld für diese Leistung bezahlen musste, und straffte selbstbewusst die Schultern.

Als sie Lia abgegeben hatte, atmete sie durch und machte sich auf den Nachhauseweg.

Eine Viertelstunde später ging sie die Treppe zu ihrer Wohnung im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses hinauf.

Erst als sie auf ihrer Etage ankam, fiel die Gebäudetür unten leise ins Schloss. Sie legte die Stirn in Falten, drehte sich um und horchte angespannt ins Treppenhaus. Jetzt war nichts mehr zu hören und da war auch niemand zu sehen. Dennoch kam es ihr seltsam vor, dass die Eingangstür so lange gebraucht hatte, um sich wieder zu schließen. Vielleicht hatte ein anderer Bewohner des Hauses, der unbemerkt hinter ihr gewesen war, die Tür im letzten Moment aufgehalten, um nicht noch einmal extra aufschließen zu müssen. Beschäftigt mit diesen Gedanken, zückte sie ihren Schlüsselbund und entriegelte ihre Wohnungstür.

Plötzlich knarrte hinter ihr eine Holzdiele auf dem Treppenabsatz. Sofort stellten sich die dünnen Härchen auf ihren Unterarmen auf. Sie drehte sich schnell um und riss die Augen auf.

Ein Mann stürzte auf sie zu. Sie machte instinktiv einen Schritt rückwärts gegen ihre Tür, die daraufhin aufschwang. Schnell zog sie sich dahinter zurück und wollte die Tür wieder zuwerfen. Doch im letzten Augenblick stellte der Mann einen Fuß in den Rahmen. Sie warf sich gegen das Türblatt und stieß einen Hilfeschrei aus. Doch der Mann hielt dagegen und drückte sie zurück. Noch mehr Panik erfasste sie, als ihr einfiel, dass alle anderen Bewohner gewöhnlich um diese Zeit bei der Arbeit waren und niemand da sein würde, der ihr zu Hilfe eilen konnte.

Sie biss auf die Zähne und stemmte sich mit all ihrer Kraft gegen die Tür, aber er war stärker. Schließlich musste sie aufgeben und wich rückwärts gehend einige Schritte zurück in den Flur. Als er eintrat, starrte er sie durch dicke Brillengläser an und die Kälte in seinem Blick war unerträglich.

Dann schloss er langsam die Tür, und als sie abermals schrie, legte er den Finger vor seine schmalen Lippen. Seine reglose Miene erfüllte Nina mit Grauen. Er trug einen alten Parka und eine orange Strickmütze mit Bommel und seine Brille vergrößerte seine runden Augen wie eine Lupe. Nina verstummte augenblicklich und begann, am ganzen Körper zu zittern.

»Verschwinden Sie!«, rief sie mutig.

Er reagierte nicht, sondern starrte sie nur an.

Nina witterte eine Chance, den Mann doch noch aus ihrer Wohnung vertreiben zu können. »Hat mein Mann Sie geschickt, damit Sie mir Angst einjagen und ich ihm das alleinige Sorgerecht für Lia überlasse und auf seine Unterhaltszahlungen verzichte? Sagen Sie ihm, dass er das vergessen kann.«

»Gib sie mir!«, forderte der Eindringling auf einmal und zeigte auf ihre Handtasche, deren Henkel sie mit beiden Händen umklammerte.

Ständig las man von Überfällen auf Frauen und Nina war sich immer sicher gewesen, dass ihr das nicht passieren würde. Sie hatte sich damit beruhigt, dass diese Frauen es herausgefordert hätten, weil sie zu unachtsam gewesen waren oder sich in Situationen gebracht hatten, in denen man damit rechnen musste, angegriffen zu werden. Und nun stand sie einem unheimlichen Fremden in ihrer Wohnung gegenüber, der es auf sie abgesehen hatte.

»Ich habe nicht viel Geld«, rief sie ihm weinend entgegen und ging rückwärts durch die offen stehende Tür ins Wohnzimmer. Doch bevor sie die Tür zuwerfen und mit einem Möbelstück verbarrikadieren konnte, um die Zeit für einen Anruf bei der Polizei zu gewinnen, stand er auch schon im Türrahmen.

Zitternd hielt sie ihm die Tasche hin. Er nahm sie, kramte zielsicher Lias Spieluhr daraus hervor und ließ die Tasche achtlos fallen. Erstaunt, dass er an ihrem Geld kein Interesse zu haben schien, sah Nina ihm dabei zu, wie er die Musikdose in seiner Hand wendete und sie dann aufzog. Er schien dabei in eine andere Welt versunken zu sein. Alles in allem machte das den Eindringling aber nur noch angsteinflößender. Gleich darauf erklang das Wiegenlied knisternd aus der Spieluhr.

Ninas Herz pochte dumpf und schnell in ihrer Brust und sie fing an, panisch zu wimmern. Der Kerl musste vollkommen verrückt sein, denn er hatte gezielt nach der Ballerina-Spieluhr gesucht. Abgesehen davon, dass es nicht normal war, dass ein erwachsener Mann es bei einem Überfall auf ein Spielzeug abgesehen hatte, woher wusste er, dass es sich in ihrer Tasche befunden hatte? Sofort gab sie sich selbst die Antwort auf die Frage. Er musste sie beobachtet haben. Im Supermarkt. Er musste ihr von dort gefolgt sein.

»Tun Sie mir bitte nichts!«, flehte Nina jetzt. »Ich habe eine kleine Tochter.« In dem Moment, als sie es aussprach, wurde ihr klar, dass er das schon wusste, wenn er ihr vom Supermarkt gefolgt war.

»Hinlegen!«, gebot er ihr ohne Emotion und zeigte auf den Teppichboden. Seine Stimme war zart, wie die eines Minderjährigen, aber der Mann war geschätzt um die vierzig Jahre alt.

»Hinlegen!«, befahl er noch einmal und deutete stringent mit dem Zeigefinger auf den Boden.

Ninas Beine schlotterten. Das konnte nur bedeuten, dass er sich an ihr vergehen wollte. Aber das würde sie nicht zulassen. Innerlich bebte sie vor Aufregung und die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Äußerlich verharrte sie wie erstarrt in ihrer Position und schwieg. In Windeseile wog sie ihre Möglichkeiten ab. Solange sie noch vor ihm stand, konnte sie sich wenigstens gegen einen Angriff einigermaßen zur Wehr setzen oder weglaufen. Aber wohin? Raus aus der Falle kam sie nur durch die Wohnungstür. Aber den Weg durch den Flur versperrte der Eindringling. Ihre Wohnung verfügte über keinen Balkon. Vielleicht würde es ihr gelingen, aus einem Fenster zur Straße um Hilfe zu rufen, aber würde sich darum jemand scheren? Und sicher wäre er schneller bei ihr, als sie das Fenster geöffnet hätte. Sie überlegte, ob sie versuchen sollte, ihn anzugreifen und mit einem gezielten Tritt zwischen die Beine kurzfristig außer Gefecht zu setzen. Aber sie glaubte nicht, dass sie das tun konnte, und ihre Angst, dass er schlimm zurückschlagen könnte, überwog.

»Leg dich mit dem Bauch auf den Boden«, befahl er nun erneut.

Nina schüttelte langsam den Kopf. Jetzt verfluchte sie sich, dass sie das Angebot ihrer Freundin, mit ihr zum Kickboxtraining zu gehen, nicht wahrgenommen hatte. Als letzte Option fiel ihr die links von ihr gelegene offene Küche ein. Wenn sie es bis dorthin schaffte, würde sie vielleicht ein Messer aus dem Block ziehen und ihn sich damit vom Leib halten können. Sie sah zur Küche hinüber.

Unvermittelt schoss er auf sie zu und streckte die Arme aus, um nach ihr zu greifen. Nina war völlig überrumpelt von dieser Aktion und schreckte zurück. Er griff deshalb zwar ins Leere, doch Nina eckte an einem Sessel an, was sie aus dem Tritt brachte. Die Zeit reichte ihm, einen weiteren Schritt nach vorn zu machen und ihr einen Schubs zu geben.

Sie stolperte, verlor das Gleichgewicht und kam rückwärts zu Fall. Während sie stürzte, ruderte sie nach Halt suchend in der Luft und ihre Hände schienen nach einem unsichtbaren Seil zu greifen. Dann schlug ihr Hinterkopf hart auf die Kante des Couchtischs. Das Knacken ihrer Halswirbel war laut und glich dem Geräusch eines dicken Astes, der übers Knie gelegt und zerbrochen wurde.

Das Letzte, was Nina hörte, waren seine leisen Worte »Träum schön!« begleitet von den Klängen der Spieluhr.

2

Heute

»Das war leider schon wieder nichts, Paul!«, freute sich Robert Bogner und flanierte schadenfroh grinsend vorbei an seinem Kollegen Kommissar Paul Breitnach von der Berliner Kripo zur Bowlingbahn.

Bogner leitete eine Abteilung, die für besonders brutale Gewaltverbrechen und ungelöste Fälle zuständig war. Mit seinen beiden Teamkollegen Adrian Speer und Tina Jeschke hatte er sich heute nach Feierabend zum Bowling gegen Paul Breitnach, André Slibow und Mandy Lose verabredet. Die drei gehörten zum gleichen Kommissariat, waren aber in einer anderen Mordkommission tätig.

»Die Kugeln sind nicht ganz rund und die Bahn ist leicht schief. Was soll man da machen? Wenn das Material nicht geeicht ist, lässt das selbst den besten Spieler der Welt schlecht aussehen«, murrte Breitnach und verzog griesgrämig das Gesicht.

»Bei deinem Fehlwurf davor warst du angeblich noch nicht warmgespielt«, gab Bogner ihm Kontra.

»Hochmut kommt vor dem Fall«, brummte Breitnach. »Mach's erst mal besser.«

»Das dürfte ein Leichtes sein. Du kannst gerne zuschauen. Vielleicht lernst du dann noch was von mir.«

»Dass ich nicht lache«, sagte Breitnach verächtlich.

Die anderen Ermittler, die an einem Tisch wenige Meter von der Bowlingbahn entfernt saßen, waren diese Sticheleien gewöhnt und kümmerten sich nicht weiter darum. Breitnach und Bogner konnten sich nicht sonderlich gut leiden. Beide ließen keine Gelegenheit vorüberziehen, den anderen mit einer spitzen Bemerkung zu ärgern. Andererseits respektierten sie sich beruflich und schätzten die Leistungen und die Einsatzbereitschaft des jeweils anderen, auch wenn sie es nie zugeben würden. Zudem herrschte zwischen Breitnach und Bogner ein steter Konkurrenzkampf, bei dem der eine, egal um was es ging, besser sein wollte als der andere.

Die Hassliebe hatte aber auch positive Effekte. So gab Breitnach alles, um unter Beweis zu stellen, dass er der bessere Ermittler war, wenn er Bogner zur Verstärkung bei intensiven Ermittlungen zugeteilt wurde.

Bisher hatte sich der Wettstreit der Kommissare auf Berufsleben, Ermittlungsmethoden und Aufklärungsraten bezogen. Seit geraumer Zeit machte das Alphatier-Gehabe aber auch vor ihrem Privatleben nicht mehr halt.

Bogner machte abfällige Bemerkungen über Breitnachs Junggesellenleben und der betitelte Bogner im Gegenzug gern als Pantoffelheld, weil er seit über dreißig Jahren verheiratet war und es sich nach Feierabend lieber vor dem Fernseher auf der Couch gemütlich machte, als etwas mit seinen Kollegen zu unternehmen.

Möglicherweise war daran sogar ein Fünkchen Wahrheit, was Bogner daher besonders ärgerte. Erinnerte ihn Breitnachs Seitenhieb doch immer wieder an ein dunkles Kapitel seiner Ehe, in dem er vor Jahren gern nach Feierabend in Bars verkehrte und sich daraus eine kurze Affäre mit einer Studentin ergeben hatte. Laura hatte ihm verziehen, aber leider konnte er, was geschehen war, nicht aus ihrer beider Gedächtnisse löschen und so blieb eine der bleibenden Konsequenzen seines Seitensprungs, dass sie ihm nie wieder so vertraut hatte wie früher.

»Ihr liegt deutlich hinten. Da müsste ein Wunder geschehen, damit ihr das noch aufholt«, sagte Speer an Breitnach gewandt.

Der winkte ab und setzte sich zu den anderen an den Tisch. »Auf dieser Bowlingbahn gegeneinander anzutreten, ist kein fairer Wettbewerb. Ich schlage deshalb vor, wir wechseln die Bahn und fangen wieder neu zu zählen an.«

»Komisch, dass alle außer dir die Pins treffen und unser Team mit Abstand vorn liegt«, kommentierte Speer.

»Die Bahn und die Kugeln sind völlig in Ordnung«, pflichtete Tina Jeschke ihrem Kollegen bei. »Du kannst einfach nur noch schlechter Bowlen als ich und lässt einfach nichts unversucht, eure sichere Niederlage noch abzuwenden.«

Jeschke war die Computer- und Internetexpertin im Team der achten Mordkommission. Äußerlich fiel sie durch ihren schwarzen Kleidungsstil, ihre Tätowierungen und Piercings auf, insbesondere in der von Neonlampen grellbunt beleuchteten Bowlinghalle. Bogner hatte all seine Überredungskünste anwenden müssen, um sie dazu zu bewegen, heute dabei zu sein. Am meisten hatte sich Jeschke gegen die Bowlingschuhe gewehrt, ohne die die Bahn nicht betreten werden durfte, am Ende aber doch eingelenkt.

Bogner schnappte sich die mit vierzehn Kilo schwerste der in der Auflage befindlichen Bowlingkugeln und drehte sich zu den anderen am Tisch um.

»So Paul, jetzt zeige ich dir mal, wie das geht«, feixte er. Er lief an und platzierte die Kugel mit Schwung in der Mitte der Bahn, von wo sie leicht rechts abdriftete und am Ende vier der zehn Pins abräumte.

»Auch keine Traumleistung«, schmetterte Breitnach.

»Abwarten«, konterte Bogner. »Ich habe ja noch einen Wurf.«

Wieder nahm er Maß und schaffte es, mit der zweiten Kugel die übrigen sechs Kegel umzustoßen.

Bogner drehte sich um und grinste Breitnach an. »Na, was sagst du jetzt!«

»Das war pures Glück oder du hast heimlich geübt. Das nächste Mal wähle ich aus, bei welchem Spiel wir gegeneinander antreten.«

»Und was schwebt dir da so vor?«, fragte die erst kürzlich zur Hauptkommissarin beförderte Mandy Lose und erhob sich von ihrem Platz, da sie jetzt an der Reihe war.

---ENDE DER LESEPROBE---