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Chris Karlden

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Beschreibung

Zwei Todesfälle, die von der Polizei als Selbstmorde eingestuft wurden, geben Hauptkommissar Speer und seinem Partner Bogner Rätsel auf. Ausgerechnet der inhaftierte Auftragskiller Hauser, der einst Speer und seine Familie umbringen wollte, behauptet, es handle sich um vorsätzliche Tötungen. Bei ihren Recherchen stoßen die Ermittler auf Gemeinsamkeiten der vermeintlichen Selbstmörder. Beide waren in der Unterhaltungsbranche tätig und ihre Angehörigen wurden Monate zuvor kaltblütig erschossen. Zudem weist noch ein anderer Fall Parallelen auf. Nach und nach verdichten sich die Hinweise, dass tatsächlich ein skrupelloser Serienmörder am Werk ist, der seine Taten als Suizide tarnt. Können Speer und Bogner weitere Morde rechtzeitig verhindern? Und welche Fäden hält Gefängnisinsasse Hauser bei dem tödlichen Spiel in der Hand? Der Roman ist in sich abgeschlossenen und kann problemlos als Einzeltitel gelesen werden. Es ist der dritte Band der Speer-und-Bogner-Reihe.

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Seitenzahl: 262

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Chris Karlden

 

DER

TOTENRÄCHER

 

Thriller

 

 

 

 

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Über das Buch

Zwei Todesfälle, die von der Polizei als Selbstmorde eingestuft wurden, geben Hauptkommissar Speer und seinem Partner Bogner Rätsel auf. Ausgerechnet der inhaftierte Auftragskiller Hauser, der einst Speer und seine Familie umbringen wollte, behauptet, es handle sich um vorsätzliche Tötungen. Bei ihren Recherchen stoßen die Ermittler auf Gemeinsamkeiten der vermeintlichen Selbstmörder. Beide waren in der Unterhaltungsbranche tätig und ihre Angehörigen wurden Monate zuvor kaltblütig erschossen. Zudem weist noch ein anderer Fall Parallelen auf. Nach und nach verdichten sich die Hinweise, dass tatsächlich ein skrupelloser Serienmörder am Werk ist, der seine Taten als Suizide tarnt. Können Speer und Bogner weitere Morde rechtzeitig verhindern? Und welche Fäden hält Gefängnisinsasse Hauser bei dem tödlichen Spiel in der Hand?

Über den Autor

Chris Karlden, geb. 1971, studierte Rechtswissenschaften und arbeitete über zwanzig Jahre als Jurist in der Gesundheitsbranche. In dieser Zeit verfasste er Thriller, die alle zu E–Book–Bestsellern wurden. Seit Mitte 2021 widmet sich der Autor beruflich ausschließlich dem Schreiben von Spannungsromanen. Karlden lebt mit seiner Familie im Saarland. Er ist sehr am Austausch mit seinen Leserinnen und Lesern interessiert, die er insbesondere auf seiner Homepage und Facebook über seine Bücher und sein Schriftstellerleben auf dem Laufenden hält.

 

Neuigkeiten und Kontakt zu Chris Karlden erhalten Sie unter:

 

https://www.chriskarlden.de

https://www.facebook.com/c.karlden

https://www.facebook.com/chriskarlden.de

https://www.instagram.com/chris.karlden

Impressum

Der Totenrächer: Thriller

Copyright © 2020 by Chris Karlden

Alle Rechte vorbehalten

 

Chris Karlden

c/o Bianca Kronsteiner

impressumservice.net

Robert-Preußler-Straße 13 / TOP 1

5020 Salzburg

AT – Österreich

E-Mail: [email protected]

https://chriskarlden.de

 

Umschlaggestaltung: Artwize, https://cover.artwize.de/

unter Verwendung eines Fotos von Depositphotos.com

Urheberrecht: autobus (Xavier Pous)

Open Coffin - Standardlizenz

url: https://depositphotos.com/26476695/stock-photo-open-coffin.html

 

Lektorat: Philip Anton

Korrektorat: Schreib- und Korrekturservice Heinen

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jedwede Verwendung des Werkes darf nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erfolgen. Dies betrifft insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung.

 

Dies ist ein fiktiver Roman. Die Figuren und Ereignisse darin sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, wäre zufällig und nicht beabsichtigt.

1

 

Charlotte Schwarzer war weder gezwungen, selbst zu kochen, noch ihren kleinen Sohn Mats zu der Privatschule, die er besuchte, zu fahren und ihn wieder abzuholen. Doch sie tat das gern und sie ging ganz in ihrer Rolle als fürsorgliche Mutter auf, nachdem sie beschlossen hatte, nach der Geburt von Mats ihre Karriere als Fotomodell nicht mehr weiterzuverfolgen.

Ihr Mann Arno, dem sie ihr luxuriöses Dasein verdankte, hatte ihre Entscheidung, sich nun ganz der Familie zu widmen, mit Wohlwollen aufgenommen. Es verging kein Tag, an dem sie nicht für dieses schöne Leben dankbar war, das er ihr ermöglichte. Niemals hätte sie von so etwas zu träumen gewagt.

Sie war in prekären Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater war früh verstorben und ihre Mutter hatte sie und ihren Bruder durchgebracht, indem sie bis zum Umfallen in schlecht bezahlten Jobs schuftete.

Dessen ungeachtet entwickelte sich Charlotte positiv. Sie kam in der Schule gut mit, sah blendend aus und war groß gewachsen. Kurz nach ihrem Abitur wurde ein Model-Scout auf sie aufmerksam. Bald darauf wurde sie für ihre ersten Jobs gebucht. Der große Durchbruch gelang ihr zwar nicht, jedoch konnte sie sich von ihren Honoraren eine schöne Mietwohnung in Berlin und ein wenig Luxus leisten.

Arno und sie hatten sich vor zehn Jahren bei einem Formel-1-Rennen auf dem Hockenheimring kennengelernt. Der Inhaber eines Modelabels, für das sie bereits des Öfteren fotografiert worden war, hatte sie dorthin eingeladen. Beim Büfett im VIP-Bereich hatte sie neben Arno Schwarzer am Tisch gesessen. Aus der Unterhaltung war bald ein Flirt geworden, und sie hatten sich schließlich das Rennen gemeinsam angeschaut. Anschließend hatte er sie noch zum Abendessen eingeladen. Es folgten einige weitere Verabredungen, bevor sie ein Paar wurden und schon bald darauf heirateten. Sie reisten viel und logierten dabei in den besten Hotels. Als Mats sich ankündigte, hatte Arno mit diesem wunderschönen Haus ein großartiges Familiennest für sie erbauen lassen. Das Glück war perfekt.

Gerade hatte Charlotte ihre Küche auf Vordermann gebracht. Die Arbeitsflächen glänzten wieder wie neu und sie strich mit dem Zeigefinger darüber, bevor sie ins Esszimmer zurückging und Mats, der dort am Tisch in seine Hausaufgaben vertieft saß, durch sein strohblondes Haar wuschelte.

»Nicht Mama«, beschwerte Mats sich und zog den Kopf leicht zur Seite weg. Dennoch lächelte er sie an. Mats war ein glücklicher und freundlicher Junge. Sie war froh, ihm eine so unbeschwerte Kindheit bieten zu können.

Kurz sah sie Mats noch über die Schulter und beobachtete ihn bei seiner Beschäftigung. Dann wandte sie sich zur Seite und sah verträumt auf das sündhaft teure Wandgemälde eines angesagten Künstlers aus Los Angeles.

Sie liebte dieses Bild. Es hatte ihr sofort gefallen, als sie es zum ersten Mal auf ihrer Hochzeitsreise, die sie zu den Hotspots in den USA führte, entdeckte. Arno hatte es sich nicht nehmen lassen, es ihr zum Geschenk zu machen. Mittlerweile hatte sich sein Kauf als eine hervorragende Investition erwiesen, denn das Bild, für das er damals knapp vierzigtausend Dollar hingeblättert hatte, war heute das Zehnfache wert. Sie dachte an den Spruch, dass Geld immer zu denen kam, die schon genügend davon hatten. Daran war etwas Wahres.

Arno hatte Millionen mit den von ihm entwickelten Computerspielen gemacht. Doch er arbeitete weiterhin hart und war gerade wieder auf einer mehrtägigen Geschäftsreise. Da er jedoch seine Arbeit liebte, war es sowohl für ihn als auch für sie in Ordnung, dass er weniger Zeit mit seiner Familie verbringen konnte als ein Angestellter in einem Nine-to-five-Job.

Ein leichtes Zupfen an ihrer Weste holte Charlotte aus ihren Gedanken und ihren Erinnerungen an vergangene Urlaube, in denen sie so gerne schwelgte.

»Mama, ich bin fertig«, sagte Mats. »Darf ich in mein Zimmer gehen? Ich würde gern an meinem Flugzeug weiterbasteln.«

Sie strich ihm über den Kopf und ging in die Hocke, sodass sie ihm auf Augenhöhe begegnete. »Natürlich darfst du das. Aber vergiss nicht, vorher dein Schulzeug vom Tisch zu räumen, es zurück in deinen Rucksack zu tun und ihn mit nach oben zu nehmen.«

Mats lächelte. »Das mach ich, Mama.«

Sie drückte ihn an sich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Mats räumte seine Schulsachen vom Tisch und rannte anschließend mit seinem Rucksack die Treppe hinauf.

 

***

 

Er parkte den Paketwagen am Straßenrand vor dem Haus, sodass dieser von dort aus gut zu sehen war. Die Villa im Bauhausstil lag am Ende einer Sackgasse. Die ersten Nachbarhäuser befanden sich ein gutes Stück weit entfernt. Selbst wenn ihn jemand durch ein Fenster beobachten würde, wäre er zu weit weg, um sein Gesicht zu erkennen. Hinzu kam, dass einige Häuser durch Bäume und Strauchhecken in den Vorgärten vor den neugierigen Blicken von Passanten geschützt waren. Auch dies spielte ihm in die Karten, da sie auch umgekehrt verhinderten, dass man ihn von dort sehen konnte.

Er setzte die Baseballmütze mit dem Logo des Paketzustellers auf, die er im Handschuhfach gefunden hatte, und warf einen Blick auf seine Uhr. Es war kurz vor halb vier nachmittags. Die ganze Aktion sollte nicht länger als eine Viertelstunde dauern. Er sah sich nach allen Seiten um. Auch in den Rückspiegeln war niemand zu sehen. Sein Herz pulsierte schneller und kräftiger. Aber ganz so nervös wie beim ersten Mal war er nicht mehr. »Heute wird es glatter laufen«, flüsterte er sich selbst Zuversicht ein. Hinter ihm im Transportraum rumorte es.

Er hatte den Paketwagen verfolgt und eine Lieferung zu einem abgelegenen Haus abgewartet. Als der Fahrer zum Wagen zurückgekehrt war, hatte er ihm aufgelauert und ihn mit Chloroform betäubt. Anschließend hatte er dem Mann Jacke und Hose vom Leib gezogen, die diesen als Mitarbeiter des Zustellunternehmens auswiesen, und war selbst in die Uniform geschlüpft. In dieser Tarnung war er zu der Villa gefahren.

Er nahm vom Beifahrersitz seinen Rucksack, in dem er eine Atemschutzmaske und eine Nylontüte mit der Chloroformflasche und dem Tuch aufbewahrte. Dann stieg er aus, ging um den Wagen herum nach hinten und öffnete eine Flügeltür zum Transportraum. Der Paketfahrer lag auf der Ladefläche und zerrte an seinen Fesseln, mit denen seine Fußknöchel und seine Hände hinter dem Rücken zusammengebunden waren.

Mit angstverzerrtem Gesicht rutschte der Fahrer von ihm weg, als er auf die Ladefläche kletterte und die Tür hinter sich zuwarf.

Er zog sich die Schutzmaske vors Gesicht und drückte dem Mann, der sich vergeblich zur Wehr setzte, den feuchten Lappen auf Mund und Nase. Es dauerte nicht lange, bis dieser die Augen wieder schloss.

Er tauschte die Maske erneut gegen die Schirmmütze, packte seine Sachen zurück in den Rucksack und klemmte sich eins der mittelgroßen, leichten Pakete unter den Arm. Dann stieg er aus dem Wagen und schloss die Flügeltür hinter sich. Wieder sah er sich um, wieder war niemand zu sehen. Je schneller er es hinter sich gebracht hatte, desto besser.

Kurz darauf stand er mit dem Paket vor der Haustür und klingelte.

Das Haus verfügte über eine Alarmanlage, wie die gut sichtbare Außensirene mit Blinklicht verriet. Videokameras hatte er beim Auskundschaften des Objekts nicht entdeckt. Zur Sicherheit würde er die Hausherrin noch danach fragen.

»Ja, bitte?«, drang die Stimme der Frau durch die Gegensprechanlage.

»Ich habe ein Paket für Sie«, erwiderte er und hielt es freundlich lächelnd in das Kameraauge der Sprechanlage.

»Das wundert mich. Ich habe nichts bestellt«, sagte die Frau.

»Moment«, er sah auf das Paket. »Hier steht für Arno Schwarzer. Es ist eine Expresslieferung.«

»Also gut, einen Augenblick bitte.«

Wenig später öffnete Charlotte Schwarzer die Haustür. Auch ihm fiel ihre Schönheit sofort auf.

»Sie müssen entschuldigen«, sagte sie zu ihm. »Normalerweise lässt mein Mann Pakete in die Firma liefern.«

Er stellte das Paket auf den Boden, zog seine Pistole aus der Jackentasche und richtete sie auf die Frau. Sie schrak zusammen, bekam große Augen und erstarrte kurz. Dann versuchte sie, die Tür zuzuschlagen, doch er war schneller und stellte einen Fuß in den Türrahmen. Sie drehte sich um und lief ins Innere der Wohnung.

Er setzte ihr nach, schlug in einer fließenden Bewegung die Haustür hinter sich zu und hatte sie nach wenigen Schritten noch im Flur eingeholt. Er schleuderte sie zu Boden. Sie schrie auf und kroch auf dem Bauch liegend von ihm weg. Er setzte sich rittlings auf sie, zog ihren Kopf an den Haaren nach hinten und ging mit dem Mund nah an ihr Ohr heran. »Hör auf zu schreien«, zischte er. »Denk an deinen Sohn.« Augenblicklich verstummte sie.

»Was wollen Sie?«, wimmerte sie.

»Ist das Haus videoüberwacht?«

»Nein.«

Er zog noch fester an ihren Haaren. »Wenn du lügst, wird es besonders schlimm.«

»Nein, hier gibt es keine Kameras.«

»Gut, dann lasse ich dich jetzt aufstehen. Du bist schön ruhig und öffnest mir brav den Tresor.«

Er wusste nicht, ob es einen Tresor gab, aber in einem solchen Haus konnte er davon ausgehen.

Sie ging unsicher zu einem Bild im Wohnzimmer und nahm es ab. Es gelang ihr erst im dritten Anlauf, die Zahlenkombination an dem dahinter befindlichen Tresor richtig einzugeben. Er ließ sie das darin deponierte Bargeld und den Schmuck in eine mitgebrachte Plastiktasche stopfen.

»Setzen«, sagte er anschließend und deutete mit dem Lauf der Waffe auf das Sofa.

Sie zitterte am ganzen Körper. Tränen rannen an ihren Wangen hinab.

»Jetzt rufst du deinen Sohn herunter.«

Sie stieß einen spitzen Schrei aus. Hielt sich aber gleich die Hände vor den Mund.

»Warum? Sie haben doch das Geld. Bitte gehen Sie einfach wieder.«

Er schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Ich bin noch nicht fertig.«

»Mama?«, erklang Mats’ Stimme von oben. Dann kam er auch schon die Treppe herunter. Vermutlich hatte er den Aufschrei seiner Mutter gehört.

»Sag ihm, der Postbote hat ein Überraschungspaket für ihn«, flüsterte er ihr zu und steckte seine Pistole zurück in die Jackentasche.

Als Mats unten ankam, tat sie, was ihr befohlen worden war.

Mit neugierigem Blick ging Mats auf den Mann zu.

»Setz dich neben deine Mutter auf die Couch«, sagte er zu dem Jungen.

»Was ist das für ein Paket?«, fragte Mats. »Ist es eine Überraschung?«

Er nickte. »Es ist das hier«, dann zog er seine Pistole aus der Jackentasche und erschoss zuerst Mats und dann seine Mutter.

2

 

Achtzehn Monate später

 

Mittwochabend

 

So musste es sich anfühlen, wenn man aus einem Koma erwachte. Er wusste weder, wo er sich befand, noch was geschehen war. Blitze durchzuckten die dunkelrote Leere vor seinen geschlossenen Augen. Krampfhaft versuchte er, die Lider zu heben. Doch sosehr er sich auch anstrengte, es gelang ihm nicht. Eine saure Flüssigkeit drängte sich seine Speiseröhre hinauf und ein Brechreiz überkam ihn. Er würgte, schaffte es aber mit einem gequälten Schlucken, seinen nach oben wandernden Mageninhalt bei sich zu behalten. Das Rauschen in seinen Ohren glich einem tosenden Gebirgsfluss. Im Hintergrund nahm er nun jedoch auch ein sonderbares Brummen wahr. Es drang wie durch Watte zu ihm durch. Er spürte, dass er irgendwo saß. Sein Platz war weich, ein Stuhl oder ein Sessel. Dennoch überkam ihn jetzt ein Schwindelgefühl und er glaubte, hin und her zu wanken. In seinem Kopf toste ein Orkan. War er auf einem Schiff? Kreiste ein Helikopter über ihm?

Er konnte es sich nicht erklären. Sein Zeitgefühl war ihm abhandengekommen. Was gerade geschah, dauerte für ihn eine Ewigkeit, es konnte aber auch sein, dass nur Minuten oder gar Sekunden vergingen. Vergleichbares hatte er noch nie zuvor erlebt.

Seine Hände tasteten die Umgebung ab. Langsam wie in Zeitlupe. Er stöhnte. Es war beschwerlich. Als ob sein Körper von Blei ummantelt wäre, und seine Arme schienen Tonnen zu wiegen. Er versuchte krampfhaft, sich an das zu erinnern, was vor dieser surrealen Situation gewesen war. War vielleicht alles nur ein Albtraum? Er hatte so viele böse Träume durchleben müssen. Es verging kaum eine Nacht, in der er nicht schweißgebadet aufwachte.

Er atmete ein. In seiner Brust schmerzte es. Ein Hustenanfall packte ihn. Dann ganz plötzlich gelang es ihm, die Augen einen Spalt weit zu öffnen. Verschwommen nahm er seine Umgebung wahr. Er begriff nicht. Was sollte das? Er saß hinter dem Steuer seines Wagens. In seiner Garage. Die Neonlampe an der Decke verströmte ihr gleißend helles Licht, das einen stechenden Schmerz auf seinen Netzhäuten verursachte. Das Dröhnen wurde lauter. Es war nicht in seinem Kopf und es war auch kein Hubschrauber. Es kam hier aus seiner Garage. Es war der laufende Motor seines Mercedes-Oldtimers. Er hatte den Wagen geliebt, ebenso wie die vier anderen Autos, darunter zwei Luxussportwagen, die er separat abgestellt hatte. Jetzt wollte er nur noch hier raus. Er war sich sicher, wenn er nur ein wenig frische Luft bekäme, würde es ihm besser gehen.

Er wollte den Arm heben, um den Zündschlüssel zu drehen und den Motor auszustellen. Aber seine Muskeln gehorchten ihm auf einmal nicht mehr. Bleierne Müdigkeit griff nach ihm. Sie legte sich um ihn wie ein Taucheranzug und zog ihn nach unten. Vor seine Augen trat ein milchiger Schleier.

Unter Aufbringung seiner letzten Kraft drehte er den Kopf nach links. Der Schlauch des Wäschetrockners klemmte in der leicht geöffneten Seitenscheibe und verströmte weißen Rauch ins Innere.

Abgase, das sind Abgase, dachte er. Aus dem Auspuff des Wagens ins Innere geleitet. Er war im Begriff, sich umzubringen.

Das durch die Erkenntnis blitzartig einschießende Adrenalin half ihm nicht. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Sein Blick verengte sich zu einem langen dunklen Tunnel, an dessen Ende das Licht zu einem winzigen Punkt gefror. Seine Lider schlossen sich. Ein letztes Mal versuchte er, zu begreifen.

Verzerrte, ruckelnde Bilder glitten vor sein geistiges Auge. Er war spät nach Hause gekommen. Er hatte mit einem Geschäftspartner gegessen und Wein getrunken. Vermutlich ein wenig zu viel, um noch Autofahren zu dürfen. Nachdem er mit der Fernbedienung das Rolltor seiner Doppelgarage geöffnet hatte und hineingefahren war, hatte er den Motor abgestellt und war ausgestiegen. Die Umrisse eines Fremden. Ein sich von hinten nähernder Schatten. Ein stählerner Arm, der ihn umklammerte. Eine Hand vor seinem Mund und seiner Nase, die ihm die Luft zum Atmen nahm. Ein Einbrecher. Ein Überfall. War das tatsächlich geschehen, oder handelte es sich nur um eine letzte Bilderfolge, die ihm sein Unterbewusstsein vorspielte? Hieß es nicht, am Ende würde das ganze Leben noch einmal wie im Zeitraffer an einem vorüberziehen? So ganz stimmte das nicht, aber letztlich war es egal. Es wurde still und er ließ los. Gleich bin ich bei euch, dachte er. Dann glitt er in die ewige Nacht.

3

 

Freitagabend

 

Adrian Speer und Robert Bogner hatten in Henriettes Eck die letzten beiden Barhocker am Tresen ergattert und schauten auf den an der gegenüberliegenden Wand angebrachten Großbildschirm. Darauf lief das Bundesligaspiel von Union Berlin gegen Bayern München. Der Anpfiff war gerade erst erfolgt. Die Kneipe befand sich ganz in der Nähe des Gebäudes des Landeskriminalamtes in der Keithstraße und die Gäste bestanden folgerichtig zumeist aus Polizisten. Bogner kaute auf den gesalzenen Erdnüssen herum, die die Bedienung ihm mit einem Augenzwinkern neben das Bier gestellt hatte.

»Respekt«, sagte Speer.

Bogner sah ihn erstaunt an. »Wofür?«

»Du hast es geschafft, Vivien zu behandeln, als ob sie Luft wäre.«

»Sehr witzig«, maulte Bogner.

Vivien war eine hübsche junge Frau und die neue Kraft hinter der Theke in Henriettes Eck. Bogner hatte vor etwas mehr als einem Jahr eine Affäre mit Nadja, der damaligen Kellnerin in Henriettes Eck, begonnen. Seine Frau Laura hatte davon erfahren und ihn aus dem Haus geworfen. Bogner hatte die Beziehung zu der jungen Studentin sofort beendet. Dennoch konnte Laura ihm bis heute nicht verzeihen. Speer wusste, wie sehr Bogner seinen Fehltritt bereute und wie sehr er seine Familie vermisste.

Nachdem er die erste Zeit in einem Hotel untergekommen war, wohnte Bogner jetzt in Adrian Speers früherem Einzimmerappartement. Er hatte es übernommen, nachdem Speer zurück in seine Familienwohnung gezogen war, wo er jetzt zusammen mit seiner Schwester und deren Tochter Leandra lebte.

»Wie steht es denn mittlerweile zwischen dir und Laura?«, fragte Speer vorsichtig.

»Es geht von Tag zu Tag besser. Wir telefonieren fast jeden Abend und reden darüber, dass ich wieder zu ihr und Julia ziehe.«

Julia war Bogners mittlerweile siebzehnjährige Tochter.

»Super«, rief Speer. »Das sind tolle Neuigkeiten. Habt ihr schon einen Termin ins Auge gefasst?«

Bogner grinste. »Irgendwann vor Weihnachten.« Er langte in die Schüssel mit den Erdnüssen und stopfte sich eine Handvoll davon in den Mund.

Die erste große Torchance für Union Berlin endete mit einem Schuss knapp neben dem Pfosten. Ein enttäuschtes Raunen schallte durch das Lokal.

Speer nutzte den kurzen Blickkontakt zu Vivien und bestellte zwei neue Gläser Bier.

Kriminalhauptkommissar Paul Breitnach aus der vierten Mordkommission stand von einem der hinteren Tische nahe der Eingangstür auf und setzte sich in Richtung der Toiletten in Bewegung. Dabei musste er Speer und Bogner passieren.

Bogner musterte ihn, ohne eine Miene zu verziehen. Vor einem Jahr hatte Paul Breitnach ihre achte Mordkommission mit Spezialzuständigkeit für besonders brutale Verbrechen und ungelöste Fälle auf Geheiß von Fernanda Gomez bei den Ermittlungen in einer Mordserie unterstützen müssen. Breitnach hatte nicht akzeptieren können, dass er Speer und ihm unterstellt war. Er hatte jede Gelegenheit genutzt, ihre Arbeitsweise zu kritisieren, und auch nicht davor zurückgeschreckt, Speer bei Fernanda Gomez in Misskredit zu bringen. Seitdem war Bogner nicht mehr gut auf den älteren Kommissar mit dem Schnauzbart zu sprechen.

Auch Speer war auf den näher kommenden Kollegen aufmerksam geworden. Er bemerkte Breitnachs grimmigen Blick und seine funkelnden Augen. Etwas rumorte in dem grobschlächtigen Kommissar. Als er sich zu ihnen durchgedrängelt hatte, blieb er stehen und sah Speer verächtlich an. »Straftäter sollten keine Polizisten mehr sein dürfen«, grummelte er.

Speer hatte vor elf Monaten einen Kriminellen entführt und unter Gewaltanwendung gezwungen, ihm zu verraten, wo seine entführte Tochter Lucy gefangen gehalten wurde. Er hatte den Mann fast umbringen müssen, bevor dieser endlich den Mund aufgemacht hatte. Aber nur mithilfe dieser Information war es gelungen, Lucy und zwei weiteren entführten Mädchen in letzter Sekunde das Leben zu retten. Die Richter hatten vor dem Hintergrund, dass Speer sich in einer Ausnahmesituation befand, ein mildes Urteil gesprochen und die zwanzigmonatige Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Im Rahmen eines Disziplinarverfahrens waren seine Dienstbezüge erheblich gekürzt worden. Doch dies konnte er gut verkraften. Ebenso die damals von seinem Dienstherrn mit sofortiger Wirkung verhängte Zwangsbeurlaubung für acht Monate. Er hatte die freie Zeit genutzt und viel zusammen mit Lucy und ihrem Bruder Jonathan unternommen. Speer hatte miterleben dürfen, wie Lucy nach und nach wieder aufblühte und die Zeit in den Fängen des psychisch gestörten Mannes, der sie im Keller seines Waldhauses gefangen gehalten hatte, hinter sich zu lassen schien.

Nun war er seit ein paar Monaten wieder im Dienst.

Als Speer nicht auf die Provokation reagierte, schüttelte Breitnach, bevor er weiterging, den Kopf mit den Worten: »Eine Schande ist das.«

Bogner sprang von seinem Hocker, war mit einem Satz bei Breitnach und hielt ihn an der Schulter fest. Breitnach drehte sich schneller um, als man ihm angesichts seiner Statur zugetraut hätte, und streifte Bogners Hand ab. »Kommissar Großmaul ist wohl wieder auf handfesten Streit aus«, feixte er. Dabei sah er Zuspruch heischend zu dem Tisch, an dem seine Kollegen saßen. Sie lachten. Außer André Slibow, der sich von seinem Platz erhob. »Lass gut sein, Paul!«

Breitnach zog seine buschigen Augenbrauen zusammen.

»Ist schon okay«, sagte Speer und zog Bogner, dessen Halsschlagader sichtbar pulsierte, sachte zurück. »Er hat nur seine Meinung geäußert.«

»Genauso ist es«, sagte Breitnach. Er drehte ihnen den Rücken zu und schlurfte in Richtung der Toilettentür. Dann blieb er stehen, fasste sich an den Kopf, als ob ihm noch etwas eingefallen wäre, und wandte sich wieder zu ihnen um. »Wo habt ihr denn die Gruftiebraut gelassen? Interessiert sich wohl nicht für Fußball. Friedhöfe sind vermutlich eher ihr Ding.«

Bogner wollte auf ihn losgehen. Aber Speer hielt ihn fest. »Das ist doch genau das, was er will.«

Tina Jeschke war das dritte Teammitglied in ihrer Mordkommission. Sie trug ausschließlich schwarze Kleidung und pflegte neben zahlreichen Piercings ihren blassen Teint durch einen knallroten Lippenstift aufzupeppen. In den Abteilungen, in denen sie bisher gearbeitet hatte, war sie gemobbt und schließlich zu ihnen versetzt worden, wo sie im Innendienst für Recherche und Zuarbeit zuständig war. Das musste allerdings als leicht untertrieben bezeichnet werden. Tina Jeschke war das, was man landläufig unter einem Computergenie verstand. Sie war in der Lage, sich in fast jedes System zu hacken, was ihnen schon mehrfach dienlich gewesen war.

Inzwischen hatte sie Speer und Bogner gegenüber sogar ihre stoische und zurückhaltende Art gelockert und lachte mithin über Bogners Witze. Anders als Breitnach vermutete, war sie auch Fußballfan und nur deshalb nicht hier, weil sie für den heutigen Abend Karten für ein Konzert der Band Oomph! hatte.

Bogner sah Speer fuchsteufelswild an. »Kann sein, aber irgendjemand muss ihm doch mal sein blödes Maul stopfen.«

»Aber nicht du«, mahnte Speer.

Ein Tor der Bayern ließ das Lokal in Aufruhr geraten und lenkte die Aufmerksamkeit der Gäste in andere Bahnen.

Kurz darauf stieß Franziska zu ihnen. »Endlich Feierabend.« Sie strahlte.

Seit sie Lucy zurückhatten, war eine unverkennbare äußerliche und innerliche Veränderung bei ihr erfolgt. Sie sah um Jahre jünger aus und hatte ihre alte Energie und Lebensfreude zurückgewonnen.

Als man sie ein paar Monate nach Lucys Befreiung gefragt hatte, ob sie in ihren Job als Fallanalytikerin in der Außenstelle des BKA in Berlin zurückkehren wolle, hatte sie sich einen Tag Bedenkzeit erbeten. Schließlich hatte sie die Dankbarkeit dafür, dass sie ihre Tochter zurückhatte, dazu bewogen, ihren Job wieder aufzunehmen. Sie hoffte, dadurch anderen Verbrechensopfern helfen zu können, denn neben der Aufklärung von Mordfällen war sie auch für Entführungsfälle zuständig.

Speer konnte den Blick kaum von ihr lösen. Er liebte sie. Aber ihre Ehe hatte Lucys Entführung nicht standgehalten. Nun war Franziska mit Arthur, einem Filmproduzenten, zusammen und lebte mit den Kindern bei ihm außerhalb von Berlin.

»Verrätst du mir, wie du das machst?«, fragte Bogner, der sich wieder gefangen hatte.

»Was meinst du?«, erwiderte Franziska.

»Es ist Freitag. Du hast die ganze Woche gearbeitet, siehst aber so erholt aus, als kämest du gerade erst aus dem Urlaub.«

»Danke«, sagte Franziska. »Versuchs mal mit Meditation.«

Bogner verzog das Gesicht. »Still sitzen ist nicht so mein Ding.«

»Genau deshalb solltest du es tun«, sagte Franziska.

Der Ausgleichstreffer für Berlin sorgte für einen synchronen Aufschrei der Zuschauer in der Kneipe.

»Möchtest du etwas trinken?«, fragte Speer über den Lärm hinweg.

Franziska schüttelte den Kopf. »Ich muss gleich wieder los. Wir wollen heute Abend zusammen ins Kino. Der neue Spiderman. Ich wollte dich nur kurz fragen, wann du morgen Lucy abholst. Ihr wolltet doch zusammen etwas unternehmen. Jona wollte spontan entscheiden, ob er mitkommt. Ich denke aber schon.«

Speer wurde es schwer ums Herz. Wie gerne wäre er an Arthurs Stelle mit seiner Familie ins Kino gegangen. Er bemühte sich, zu lächeln. »Jona schläft gerne aus. Wie wäre es gegen elf Uhr?«

»Das wäre perfekt.«

»Ich habe an ein Mittagessen mit den Kindern in der Stadt gedacht und anschließend eine kleine Shoppingtour.«

»Hört sich gut an. Ich glaube, ich nutze die Gelegenheit und fange schon mal an zu packen.«

»Das hört sich nach Urlaub an«, mutmaßte Bogner.

»Ist es auch. Sieben Tage Griechenland. Nächste Woche Samstag fliegen wir. Pünktlich zum Start der Herbstferien.«

»Sonne, Strand und Meer. Das wird bestimmt toll. Wo genau soll es denn hingehen?«

Speers Handy vibrierte in seiner Hosentasche und ein Signalton vermeldete den Eingang einer SMS.

»Nach Kreta«, sagte Franziska.

»Na dann wünsche ich euch schon mal eine schöne Zeit«, sagte Bogner und lächelte. Er schien ebenfalls eine Nachricht erhalten zu haben, denn auch er holte sein Smartphone heraus und sah auf das Display.

»Da hat man einmal keinen aktuellen Fall und freut sich auf ein wohlverdientes Wochenende und schon macht Gomez einen Strich durch die Rechnung«, stöhnte Bogner und sah Speer an.

Fernanda Gomez war die Leiterin des Morddezernats und ihre unmittelbare Vorgesetzte.

Speer nickte. »Mir hat sie auch geschrieben. Samstagmorgen, neun Uhr, Besprechung in meinem Büro. Erscheinen zwingend erforderlich. Entschuldigungen werden nicht akzeptiert.«

»Kurz und bündig. Aber unmissverständlich«, schmunzelte Bogner.

»Und spannend macht sie es auch noch«, fügte Speer hinzu.

»So ein Mist«, ärgerte sich Franziska. »Dann fällt euer Stadtbummel morgen wohl aus.«

»Hey, davon kann nicht die Rede sein«, erwiderte Speer. »Vielleicht ist es nur eine kurze Besprechung. Dann schaffe ich es bis elf Uhr, bei euch zu sein. Und wenn nicht, kann ich Lucy und Jona auch noch etwas später abholen. Ich gebe dir Bescheid, sobald ich mehr weiß.«

»Ist gut«, sagte Franziska.

»Soll ich Gomez schreiben, dass wir morgen beide da sein werden?«, fragte Bogner.

»Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig.«

4

 

Samstag

 

Pünktlich um neun Uhr saßen Speer und Bogner an dem kleinen Besprechungstisch in Fernanda Gomez’ Büro. Außer ihnen und ihrer Chefin, die am Kopfende saß, war noch Oberkommissar Hans Lauer vom Kriminaldauerdienst zugegen. Er war kurz nach ihnen eingetroffen und hatte den Kollegen gegenüber Platz genommen. Sie kannten sich von einem früheren Fall. Daher brauchte Gomez sie einander nicht vorzustellen.

Die Kriminalrätin hatte noch nicht angedeutet, warum sie sie an ihrem freien Tag herzitiert hatte und was so wichtig war, dass es nicht bis Montag warten konnte.

Gomez legte die Hände auf dem Tisch übereinander und sah mit gewichtiger Miene von einem zum anderen. »Ich habe Sie hergebeten, weil etwas Ungewöhnliches geschehen ist, und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll.« Sie sah Lauer an. »Es geht um den Todesfall Arno Schwarzer.«

Lauer runzelte die Stirn. »Schwarzers Leiche wurde am Donnerstagmorgen von seiner Putzfrau in seinem Wagen gefunden, der in der Garage abgestellt war. Wir sind zur Abklärung ausgerückt. Es war aber nach unserer Einschätzung definitiv kein Tötungsdelikt, sondern ein klassischer Selbstmord. Der Leichenbeschauer ist zu der gleichen Ansicht gelangt. Schwarzer hat die Autoabgase mit einem Schlauch übers Fahrerfenster ins Wageninnere geleitet.«

Obwohl es draußen herbstlich kühl war und in Gomez’ Büro die Heizung noch nicht angeschaltet war, standen Schweißperlen auf Lauers Stirn. Vermutlich hatte er sich beeilt, um pünktlich hier zu sein.

»Ist die Konzentration an Kohlenmonoxid in den Pkw-Abgasen wegen der verbauten Katalysatoren nicht zu gering, um sich damit das Leben zu nehmen?«, warf Bogner ein.

»Bei modernen Autos ist das in der Tat so, aber Arno Schwarzer fuhr einen Oldtimer. Einen Mercedes, Baujahr 1971«, erklärte Lauer. »Außerdem hat er die Abgase konzentriert ins Wageninnere geleitet. Das führt zu einer deutlich höheren Vergiftungsgefahr.«

»Wie sicher sind Sie, dass niemand nachgeholfen hat?«, fragte Gomez.

Lauer zog ein Taschentuch aus seiner Hose und tupfte sich die Stirn ab. Er wirkte sichtlich nervös. »Sie wissen, dass wir in Zweifelsfällen die Mordkommission verständigen.«

»Dann verraten Sie mir, was genau Sie zu der Feststellung eines Selbstmords bewogen hat.«

Lauer seufzte. »Die Leiche wurde untersucht. Es gab keine Zeichen äußerer Gewalteinwirkung. In der Garage gab es nicht die geringsten Spuren eines Kampfes. Im Haus ebenfalls nicht. Keinerlei Hinweise, dass in den letzten Stunden vor seinem Tod überhaupt jemand bei dem Opfer gewesen war.«

»Gab es einen Abschiedsbrief?«, hakte Speer nach.

»Nein, aber Schwarzer hatte über ein Promille Alkohol im Blut, und er hatte einen Grund, Suizid zu begehen. Wir gehen von einer Kurzschlussreaktion aus.«

»Was ist das für ein Grund?«, wollte Bogner wissen.

»Vor anderthalb Jahren wurden seine Frau und sein siebenjähriger Sohn erschossen.«

»Mein Gott«, entfuhr es Gomez.

Lauer kratzte sich an seinem stoppelbärtigen Kinn. »Arno Schwarzer war geschäftlich für ein paar Tage verreist. Schwarzers Frau muss dem Mörder die Tür geöffnet haben. An dem Tag wurde ein Paketzusteller überfallen und betäubt. Vor der Haustür der Schwarzers lag für einen ganz anderen Empfänger ein Paket, das offenbar mit dem gestohlenen Lieferwagen transportiert wurde.«

»Der Mörder von Schwarzers Familie hat sich als Paketzusteller getarnt«, folgerte Speer.

Lauer nickte. »Das ist die Vermutung der Kollegen, die den Fall bearbeitet haben. Sie gehen von Raubmord aus. Der Täter konnte aber noch nicht überführt werden. Er erbeutete Bargeld und Schmuck im Wert von insgesamt circa 50.000 Euro.«

»Wer hat denn so viel Kohle in der Wohnung?«, wunderte sich Bogner.

»Schwarzer war steinreich. Seine Neubauvilla in Dahlem dürfte einige Millionen wert sein.«

»Und wie kam er zu so viel Geld? Geerbt?«, wollte Bogner wissen.

Speer räusperte sich. »Schwarzer war Inhaber einer Firma, die Computerspiele entwickelte. Ein paar davon waren auch international echte Kassenschlager.«

»Woher weißt du denn so was?«, fragte Bogner. »Zockt dein Sohn gerade eins der Spiele?«

Speer lächelte. »Nein, das war eine Schlagzeile in der Online-Ausgabe des Berliner Boulevardblatts.«

Bogner zog in gespieltem Erstaunen die Augenbrauen hoch. »Und was stand da noch drin?«

»Schwarzer hat nach dem Tod seiner Familie nur ein halbes Jahr getrauert. Danach hat er sich exzessiv ins Partyleben gestürzt. Aktuell war er erneut mit einem Model liiert, das durch eine TV-Show bekannt geworden war, halb so alt wie er.«

»Vielleicht hat ihn die Trauer eingeholt und er hat deshalb Schluss gemacht.«

»Möglich«, schaltete sich Lauer wieder ein. »Wir haben mit seiner Schwester gesprochen. Sie meinte, ihr Bruder sei eigentlich immer einer von der ruhigen Sorte und nie ein Partylöwe gewesen. Er habe aber unter dem Verlust seiner Familie und den Umständen extrem gelitten. Im ersten halben Jahr sei er in eine tiefe Depression gerutscht und habe Unmengen Alkohol konsumiert. Dann habe er sein Verhalten plötzlich geändert. Er habe kaum noch geschlafen, dafür umso mehr gearbeitet und nachts gefeiert.«

»Das wilde Leben könnte natürlich eine Flucht vor der Trauer um seine Frau und sein Kind gewesen sein«, sprach Bogner aus, was alle dachten.

»Jedenfalls hat Schwarzer wieder Spiele entwickelt und in einem Monat sollte sein neuestes Game auf den Markt kommen«, fuhr Lauer fort.

»Man könnte denken, das spricht gegen Selbstmord«, gab Gomez zu bedenken.

»Nicht unbedingt. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Menschen gerade auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs beschließen, ihrem Leben ein Ende zu setzen«, sagte Speer. »Man denke nur zum Beispiel an den Musiker Avicii. Vielleicht war Schwarzer der aufkeimende Rummel zu viel geworden. Um wie viel Uhr ist er denn gestorben?«

»Der Leichenbeschauer hat den Todeszeitpunkt auf zweiundzwanzig Uhr plus minus eine Stunde festgelegt«, sagte Lauer. »Wie gesagt, wir haben den Fall als Selbstmord ad acta gelegt, weil wir nichts gefunden haben, das auf Fremdeinwirkung hindeutet, und die Vorgeschichte zu einem Selbstmord passt.«

»Die Chefin scheint aber etwas zu wissen, das für Mord spricht, sonst säßen wir nicht an diesem Tisch«, feixte Bogner.

Gomez zog die rechte Augenbraue hoch und verzog ihre schmalen Lippen zum Ansatz eines Lächelns.

»Nicht direkt«, räumte sie ein. »Wissen wäre übertrieben. Ich habe gestern Nachmittag einen Anruf erhalten und der Inhalt des Gesprächs hat bei mir zumindest leise Zweifel an der Selbstmord-These gesät.«

»Jetzt wird’s interessant.« Bogner steckte sich einen Kaugummi in den Mund und grinste breit in die Runde.

»Der Anruf kam aus der Justizvollzugsanstalt Moabit.«

Gomez blickte zu Speer und dieser hatte das Gefühl zu ahnen, was jetzt kommen würde, auch wenn das keinen Sinn ergab.

»Es war keiner der Wärter und auch nicht der Direktor. Es war ein Gefangener. Sie kennen ihn alle. Georg Hauser.«

Speer hatte richtig gelegen und war dennoch sprachlos. Lauer stand der Mund offen und Bogner klopfte sich aufs Knie. »Unser guter alter Polizeipsychologe meldet sich aus dem Knast zu Wort.« Die Ironie in Bogners Stimme war überdeutlich.

Georg Hauser hatte über Jahrzehnte als Psychologe im Dienst der Berliner Polizei gestanden. Zu Zeiten der DDR hatte er im Auftrag der Stasi Systemfeinde eliminiert. Im November letzten Jahres hatten alte Seilschaften aus jener Zeit sich seine Fähigkeiten zunutze gemacht und ihn beauftragt, alle aus dem Weg zu räumen, die wussten, wo Lucy Speer gefangen gehalten wurde.

---ENDE DER LESEPROBE---