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Chris Karlden

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Beschreibung

Ich bin des Kindleins Rettung in seiner Not. Ich bin die Stille. Ich bin der Tod. Ein kaltblütiger Mörder erdrosselt Frauen in ihren Wohnungen. Ein mögliches Motiv: der anzügliche Lebenswandel der Opfer. Unbarmherzig schlägt der Täter in kurzen Zeitabständen zu und bringt die Berliner Mordkommission für besonders grausame Gewaltverbrechen unter Leitung der Hauptkommissare Bogner und Speer an ihre Grenzen. Doch dann glaubt der neu zum Ermittlerteam gestoßene Ex-Profiler Lander, in einem Stoffhasen eine Verbindung zu einem früheren Mordfall in Hamburg zu erkennen. Die Nachforschungen fördern Schreckliches zutage. Gleichzeitig mehren sich Hinweise, dass Lander in die Morde verstrickt sein könnte. Dabei verfolgt der Täter einen perfiden Plan, bei dem jeder seine tödliche Strafe erhalten soll. Und ihn aufzuhalten scheint unmöglich.

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CHRIS KARLDEN

 

DER STILLMACHER

 

Thriller

 

 

 

 

 

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  Über das Buch

 

Ich bin des Kindleins Rettung in seiner Not.Ich bin die Stille. Ich bin der Tod.

Ein kaltblütiger Mörder erdrosselt Frauen in ihren Wohnungen. Unbarmherzig schlägt er zu und bringt die Berliner Mordkommission für besonders grausame Gewaltverbrechen an ihre Grenzen.Dann glaubt Ex-Profiler Lander, in einem Stoffhasen eine Verbindung zu einem früheren Mordfall zu erkennen. Die Nachforschungen ergeben Schreckliches. Und den Täter aufzuhalten scheint unmöglich.

  Über den Autor

 

Chris Karlden, geb. 1971, studierte Rechtswissenschaften. Anschließend übte er viele Jahre eine Tätigkeit als Jurist aus. Daneben schrieb er Thriller, die er in Verlagen und als Selfpublisher veröffentlichte. Mittlerweile widmet er sich beruflich ausschließlich dem Schreiben von Spannungsromanen. Seine Bücher steigen dabei regelmäßig auf Spitzenpositionen in den Bestsellerlisten. Insbesondere seine Thrillerreihe um die Kommissare Speer und Bogner erfreut sich einer immer größer werdenden Anhängerschaft. Der Autor ist sehr am Austausch mit seinen Leserinnen und Lesern interessiert, die er insbesondere auf Facebook und mit seinem Newsletter auf dem Laufenden hält.

 

Neuigkeiten und Kontakt zu Chris Karlden erhalten Sie hier:

Homepage: https://www.chriskarlden.de

Facebook: https://www.facebook.com/c.karlden

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Instagram: https://www.instagram.com/chris.karlden

 

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  Impressum

 

Der Stillmacher

Copyright © 2022 by Chris Karlden

Alle Rechte vorbehalten

 

Chris Karlden

c/o skriptspektor e. U.

Robert-Preußler-Straße 13 / TOP 1

5020 Salzburg

AT – Österreich

E-Mail: [email protected]

https://chriskarlden.de

 

Umschlaggestaltung: Artwize, https://cover.artwize.de/

1. Lektorat: Philip Anton

2. Lektorat & Korrektorat: Heidemarie Rabe

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jedwede Verwendung des Werkes darf nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erfolgen. Dies betrifft insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung.

 

Dies ist ein fiktiver Roman. Die Figuren und Ereignisse darin sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, wäre zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

Für

 

Jutta Frings

Heiko Früh

Sylke Ilga

Ramona Michaelis

und

Tanja Pechtl

 

stellvertretend

für alle Leserinnen und Leser,

ohne die es meine Bücher nicht gäbe.

  1

 

Montag

 

Seine Unterkunft für die nächsten paar Tage bestand aus einer kleinen Privatwohnung. Die Eigentümer befanden sich im Sommerurlaub und hatten ihre Räumlichkeiten zur Untervermietung in einem Onlineportal angeboten.

Die Bäckerei, in der er sich einen Tisch am Fenster ausgesucht hatte, lag drei Blocks entfernt und der Kaffee war nicht so herausragend, als dass er sich unter anderen Umständen deswegen extra herbemüht hätte. Als Beobachtungsposten war sie allerdings bestens geeignet.

Draußen war es seit Tagen so heiß, dass die Luft über dem Asphalt flimmerte. Aber hier drinnen surrte die oben an der Seitenwand angebrachte Klimaanlage unüberhörbar laut und sorgte für angenehme Temperaturen.

Außer ihm saßen nur noch zwei ältere Damen an einem der Tische und unterhielten sich bei Kaffee und Kuchen.

Die Verkäuferin hinter der Theke, die zugleich als Kellnerin fungierte, blickte gelangweilt auf ihr Handy. Nur vereinzelt betrat jemand den Laden, um frisches Brot, Brötchen oder süße Teilchen zu kaufen. Viel Betrieb herrschte also nicht. Offensichtlich saßen die Menschen zurzeit lieber draußen vor den Eisdielen, am Wasser an der Spree oder einem der Berliner Seen statt in einem Bäckerei-Café mit dunklen schweren Holzmöbeln und Wandverkleidungen.

Von seinem Platz aus blickte er auf eine endlos erscheinende Reihe Mietshäuser auf der anderen Straßenseite. Diese ragten so hoch empor, dass er nur noch einen schmalen Streifen des wolkenlosen Himmels ausmachen konnte. Die Fassaden der Betonklötze waren von einem grauen Schmutzschleier überzogen.

Er hatte sein Stück Kuchen bereits vor fünf Minuten aufgegessen. Den Teller hatte die Bedienung soeben abgeräumt und vor ihm stand sein zweiter Latte macchiato.

Er seufzte und nahm einen winzigen Schluck von dem Getränk, das bereits nicht mehr sonderlich warm war, und tippte auf seinem Laptop herum, um vorzutäuschen, dass er daran arbeitete. Die hölzerne Eingangstür des Wohnhauses schräg gegenüber ließ er dabei nicht aus den Augen. Sie verfügte im oberen Bereich über eine Milchglasscheibe, die eingeworfen und notdürftig mit Panzerband wieder zusammengeklebt worden war. Vor einer halben Stunde hatte ein Mann das Gebäude betreten, ohne vorher die Tür aufzuschließen. Daraus schloss er, dass der Eingang bei Tag nicht abgeschlossen war.

Er sah auf die Uhr. Es war fünf nach vier Uhr nachmittags. Er beschloss, sich noch zwei Minuten zu geben. Wenn seine Zielperson dann nicht herauskam, würde er sich einen anderen Platz suchen, um das Haus im Auge zu behalten. Keinesfalls wollte er als Gast, der bei dem herrlichen Wetter auffällig lange in dem Café verweilte, in besonderer Erinnerung bleiben.

Als die Zeit um war, verstaute er seinen Laptop in seinem Rucksack und erhob sich, um zu bezahlen. Währenddessen registrierte er eine Bewegung auf der anderen Straßenseite und wandte seinen Blick unauffällig wieder dorthin.

Gegenüber zog jemand die Haustür auf und kam heraus. Das Warten hatte sich gelohnt. Er erkannte sie sofort trotz ihrer Sonnenbrille und ihres Outfits, das nicht zu der Person passen wollte, die ihm bislang lediglich von Bildern auf seinem Laptop bekannt war.

Sie trug ein übergroßes T-Shirt, eine kurze weite Hose, die ihre grazile Figur kaum erahnen ließ und ging in Richtung der U-Bahnstation, die nur etwa zweihundert Meter entfernt lag.

Nachdem er bezahlt hatte, verließ er das Café und schlenderte fünf Minuten durch die Gegend. In einer schmalen menschenleeren Gasse tauschte er im Schatten eines Hauseingangs sein grünes T-Shirt gegen ein graues aus seinem Rucksack und setzte sich eine Baseballkappe auf. Zuletzt zückte er die transparenten Einweghandschuhe aus der Gesäßtasche seiner Jeans und streifte sie über.

Während er auf das Haus zuhielt, verbarg er seine Hände in den Hosentaschen. Als er noch wenige Meter entfernt war, sah er sich verstohlen in alle Richtungen um. Es waren ein paar Menschen auf den Gehwegen unterwegs, aber niemand schien Notiz von ihm zu nehmen. Der Berufsverkehr schob sich gemächlich vorbei.

Er drückte die Klinke hinunter und betrat den Hausflur, der ihn mit kühler muffiger Luft empfing. Zahlreiche der schwarz-weißen Fliesen, die in einem Schachbrettmuster verlegt waren, wiesen Risse auf, aus denen der Schmutz nicht mehr wegzubekommen war.

Schnell schloss er die Tür hinter sich. Der Straßenlärm drang nur noch gedämpft ins Innere. Im Treppenhaus hörte er weder Stimmen noch eine Wohnungstür, die sich öffnete. Nichts, das darauf hindeutete, ihm könnte in den nächsten Sekunden jemand auf den Stufen begegnen.

Im Vorfeld hatte er ausgekundschaftet, dass sie in der ersten Etage wohnte. Er atmete tief durch. Ab jetzt hieß es, sich zu beeilen und weiter auf das nötige Quäntchen Glück zu hoffen. Wenn ihn einer der anderen Mieter bemerkte, war sein Plan gescheitert und er musste sein Vorhaben abbrechen.

Er eilte die knarrende Holztreppe nach oben, indem er zwei Stufen auf einmal nahm. Gleichzeitig griff er nach dem Dietrichset in seiner Gesäßtasche. Vor ihrer Wohnung nahm er das Türschloss in Augenschein und wählte den ihm passend scheinenden Sperrhaken aus. Irgendwo oben hörte er jemanden in den Flur treten. Kurz darauf ächzte eine Treppenstufe.

Einen Moment zögerte er. Dann steckte er das Werkzeug ins Schloss. Die Verriegelung war simpel. Aber die Schritte der Person, die die Treppe herunterkam, wurden lauter. Kurz schaute er sich nach oben um. Noch war niemand zu sehen. Das Schloss knackte, das Hindernis war überwunden. Er ging in die Wohnung und machte die Tür leise wieder zu. Sekunden später sah er durch den Spion einen korpulenten Mann behäbig die Stufen hinuntergehen.

Er wandte sich der Wohnung zu. Ein schmaler Flur mit Garderobe, Spiegel und zahlreichen auf dem Laminatboden verteilten Schuhen. Rechts neben der Eingangstür ein winziges Bad ohne Fenster, links das Schlafzimmer. Er zog den Einwegoverall aus seinem Rucksack an und stülpte sich die Füßlinge über seine Schuhe. Dann ging er in den vor ihm liegenden Wohnbereich. Dort sah es wüst aus. Decken und Kleider lagen auf dem Boden. Auf den Arbeitsplatten der Küchenzeile stapelte sich schmutziges Geschirr.

Sie hatte auf Instagram für 18:30 Uhr einen Livestream angekündigt. Lange würde er also nicht auf sie warten müssen. Er stellte sich an die Wand neben der Wohnzimmertür. In seinen Händen hielt er die Hölzer, an denen die Enden des dünnen Drahtes befestigt waren.

 

*****

 

Marina schlenderte den Gehweg entlang, eine leichte Brise wehte durch ihr Haar. Sie lächelte und schwang ausgelassen die Einkaufstüte mit dem neuen Sommerkleid in ihrer Hand hin und her.

Im Anschluss an ihre kleine Shoppingtour hatte sie einen Platz unter einem Sonnenschirm vor ihrer Lieblingsbar ergattert. Sie hatte sich zwei Aperol Spritz gegönnt und verspürte einen leichten Schwips. Für ihren Auftritt vor der Webcam, der in einer halben Stunde begann, war die mit dem Alkohol verbundene Lockerheit nicht von Schaden. Sie genoss es, sich vor den Augen ihrer Zuschauer im Netz möglichst lasziv auszuziehen. Das war weitaus weniger stressig und zudem besser bezahlt als der Kassiererjob im Supermarkt, den sie davor ausgeübt hatte. Auch wenn es den meisten Menschen, denen sie davon erzählte, nicht gefiel. Es war ihr Leben und sie konnte damit machen, was sie wollte.

Als Kind hatte sie davon geträumt, Schauspielerin zu werden. In gewisser Weise kam das, was sie tat, ihrem Traum sehr nahe. Ihr Bett war ihre Bühne und hinter der Linse ihres Laptops saß ihr Publikum. Und sie hatte viele Fans, glühende Verehrer, die gerne für das bezahlten, was sie ihnen bot.

Als Marina in den Hausflur trat, kam gerade Frau Meier mit ihrem Dackel aus der Wohnung. Die Alte blieb wie angewurzelt vor ihrer Tür stehen und schaute zu Boden.

Jedem sonst wünschte die Meier einen guten Tag, nur ihr nicht. Marina wohnte über der alten Hexe und war sich sicher, dass diese sie für eine ausgemachte Schlampe hielt.

Sie reckte das Kinn vor und hastete an der Alten vorbei. Ihre gute Laune war erst einmal weg. Absichtlich laut polterte sie die Holzstufen hinauf. Sie wusste, dass die Meier das nicht leiden konnte. Schon wegen ihres Hundes, der sich verängstigt duckte.

Nachdem Marina hier eingezogen war, hatte ihre Nachbarin sich noch bei ihr wegen des Lärms beschwert, den sie beim Treppensteigen angeblich verursachte. Mittlerweile sah sie davon ab. Allerdings hatte die Frau noch nicht aufgehört, mit dem Stiel ihres Besens gegen die Decke zu trommeln, wenn Marina für ihren Geschmack zu laut Musik hörte und dazu tanzte.

Genervt steckte Marina ihren Wohnungsschlüssel ins Schloss. Sie stieß die Tür auf und warf sie hinter sich zu, sodass sie schallend ins Schloss fiel. Ihre Einkaufstasche pfefferte sie in eine Ecke im Flur und schlüpfte aus ihren Schuhen. Dann blickte sie auf ihr Handy und checkte ihre Nachrichten. Ein paar Fans hatten unter ihren Beitrag bei Instagram geschrieben, dass sie sich auf sie freuten. Auf ihrem Weg ins Wohnzimmer schenkte sie jedem dieser Kommentare ein Herz.

Aus den Augenwinkeln nahm sie unmittelbar neben sich eine schnelle Bewegung wahr. Da war jemand. Reflexartig drehte sie sich in die Richtung und bekam sofort einen Schlag ins Gesicht. Sie hatte keine Zeit zu denken. Der Schmerz explodierte in ihrem Kopf. Augenblicklich schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie taumelte rückwärts und fiel zu Boden. Verschwommen nahm sie einen Fremden in einem weißen Overall wahr. Blut schoss aus ihrer Nase. Dann war der Kerl auch schon über ihr und drehte sie auf den Bauch. Alles ging rasend schnell. Der Schock saß zu tief, als dass sie sich zur Wehr hätte setzen können. Gerade als sie einen Schrei ausstoßen wollte, legte sich etwas um ihren Hals und schnürte ihr die Luft zum Atmen ab. Sie röchelte, würgte, bäumte sich auf. Der schreckliche Schmerz war mit nichts vergleichbar, das sie bisher gespürt hatte. Ebenso die Todespanik, die sie ergriff. Sie wollte nicht sterben. Sie hatte ihr Leben noch vor sich und war dazu nicht bereit. Dennoch war ihr instinktiv klar, dass sie diese Situation nicht überleben konnte.

Mit ihren Händen fasste sie sich an ihre Kehle. Sie spürte, dass es ein Draht war, der in ihr Fleisch schnitt, zu tief in ihren Hals eingegraben, um ihn mit den Fingern zu umgreifen und wegreißen zu können. Erbarmungslos zog der Mann fester und fester, bis ihre Luftröhre vollständig gequetscht war. Ihre Augen traten hervor. Ihr Blick trübte sich, ihr wurde schwarz vor Augen. Dann verlor sie das Bewusstsein.

  2

 

Dienstag

 

Nachdem er Tina Jeschke und sich eingeschenkt hatte, schob Kriminalhauptkommissar Cornelius Lander die Thermoskanne über den Tisch zu Bogner. Der beugte sich vor und zog sie zu sich heran. Dabei spannte sein Jackett. Er hatte in den letzten Monaten ein paar Kilo zugelegt.

»Ich gehe davon aus, dass du nichts dagegen hast?«, erkundigte sich Bogner an Speer gewandt, der neben ihm saß, als er wiederum dessen Tasse heranzog und ihm einschenkte.

»Danke, da liegst du ausnahmsweise mal goldrichtig«, feixte Speer und verzog die Lippen zu einem angedeuteten Lächeln.

Seit heute Morgen hatte die achte Mordkommission, die von Robert Bogner und Adrian Speer geleitet wurde, einen neuen Fall. Außer den beiden gehörten noch Tina Jeschke und erst seit gut einem halben Jahr Cornelius Lander zum Team.

Eine erste Besprechung war für elf Uhr anberaumt. Speer und Bogner hatten sich den Tatort, eine kleine Wohnung in Charlottenburg, am Morgen angesehen. Danach hatten sie noch das Ergebnis der Obduktion abgewartet, die in den frühen Morgenstunden stattgefunden hatte.

Was sich aus der bisherigen Akte, die der Kriminaldauerdienst angelegt hatte, ergab, hatten alle gelesen. Jetzt ging es darum, erste Schlüsse daraus zu ziehen und das weitere Vorgehen zu koordinieren.

Bogner trommelte mit seinem Kugelschreiber auf den vor sich liegenden Notizblock. Tina Jeschke hatte die Augen auf den vor ihr liegenden Obduktionsbericht des rechtsmedizinischen Instituts gerichtet. Sie war dabei gewesen, als Dr. Eisenbeiß und zwei weitere Rechtsmediziner die Leiche der jungen Frau untersucht hatten.

Lander gähnte zum wiederholten Mal. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab.

Bogners Blick zu Lander sprach Bände. Speer ahnte, dass sein Freund und Kollege sich einen spitzen Kommentar darüber verkneifen musste, dass Lander wieder einmal völlig fertig aussah. Von Jeschke, die zu Lander eine fast freundschaftliche Beziehung aufgebaut hatte, wussten sie, dass er unter erheblichen Schlafstörungen litt, seit seine Frau sich vor einem Jahr das Leben genommen hatte.

Kurz vor elf Uhr trafen Hans Lauer vom Kriminaldauerdienst und Martin Klamm von der Spurensicherung ein. Unmittelbar hinter den beiden tauchten Paul Breitnach und André Slibow im Türrahmen auf. Beide waren Ermittler aus anderen Mordkommissionen.

»Habt ihr euch im Raum geirrt?«, fragte Bogner, als er die zwei erblickte.

»Keineswegs, wir haben euch inzwischen einfach nur lieb gewonnen«, frotzelte Breitnach, der mit seinem dicken Schnauzbart und den wenigen langen Haaren auf dem Schädel an einen Seehund erinnerte.

Slibow rückte einen Stuhl zurecht und ließ sich ächzend darauf nieder. »Die Chefin meinte, wir hätten bei euren letzten Fällen gut mit euch harmoniert, und es könnte nicht schaden, wenn wir bei der Besprechung dabei wären. Nur falls ihr anschließend wieder unsere Hilfe brauchen solltet.«

Bogner schnaufte und verzog missbilligend das Gesicht. Begeisterung sah anders aus.

»Ich finde, Verstärkung ist nie verkehrt«, versuchte sich Speer als Vermittler.

Breitnach schloss die Tür hinter sich und setzte sich neben Slibow. »Wir haben uns nicht darum gerissen, euch unter die Arme zu greifen. Aber das hat man eben davon, wenn man ein ausgezeichneter Ermittler ist. Unser Typ ist überall begehrt«, ließ er mit seinen Sticheleien an Bogners Adresse nicht locker und zog eine seiner buschigen Brauen nach oben.

Bogners Kopf wurde rot. Breitnachs Anspielung hatte gesessen. Jeder im Raum wusste, dass diese eine offene Provokation darstellte, da die Mitarbeiter der achten Mordkommission keinen sonderlich guten Ruf innerhalb des Berliner Landeskriminalamtes genossen.

Dabei hätte anfangs niemand gedacht, dass diese neue Kommission unter Robert Bogner mit den anderen mithalten konnte. Sie war personell unterbesetzt und man hatte sie abseits in einem gesonderten Trakt unter dem Dach untergebracht.

Bogner vermutete, dass die Achte als Abstellgleis für unliebsame Kollegen eingerichtet worden war. Auf dem Papier besaß sie eine Sonderzuständigkeit für ungelöste Fälle und besonders brutale Gewaltverbrechen. Doch Fernanda Gomez als Leiterin des Morddezernats oblag es, diese Zuständigkeit nach Belieben mit Aufgaben zu füllen. Jedenfalls hatten die jüngsten Ermittlungserfolge die Achte in ein anderes Licht gerückt. Sie ließ sich nun bei anspruchsvollen Fällen nicht mehr ohne Weiteres übergehen.

 Freiwillig wollte aber bis heute kein LKA-Beamter zu dieser Truppe vermeintlich schräger Vögel dazugehören.

Jeschke mit ihren unzähligen Piercings, Tätowierungen an den Armen und ausschließlich schwarzen Klamotten galt schon aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes als dubios. Hinzu kam, dass sie in ihren früheren Abteilungen Kollegen als frauenfeindlich und des Mobbings bezichtigt hatte. Ihre fachlichen Qualitäten als Internet- und Computerfachfrau waren allerdings unbestritten.

Speer galt von jeher als ein Außenseiter, da er sich als Einzelgänger von den Kollegen fernhielt und zudem noch von der Drogenfahndung zur Mordkommission gewechselt war. Auch dass er bei der Suche nach seiner entführten Tochter die Grenzen der Legalität überschritten hatte, blieb unvergessen und hatte ihm keine Freunde eingebracht.

Der neu hinzugekommene Cornelius Lander bildete in ihrem kleinen Team keine Ausnahme. Lander hatte in der Abteilung für operative Fallanalyse beim LKA Hamburg gearbeitet. Nachdem er seine Frau verloren hatte, hatte er sich für einen Ortswechsel entschieden. Zudem wollte er von der reinen Aktenarbeit als Fallanalyst künftig Abstand nehmen. Lander hatte die Hoffnung geäußert, durch die Außeneinsätze als regulärer Ermittler eine bessere Ablenkung von seinem persönlichen Schicksal zu finden. Gomez hatte daher seinem Wunsch entsprochen, in Berlin wieder als Kriminalkommissar in einer Mordkommission eingesetzt zu werden. Dabei kam es Speer und Bogner nicht ungelegen, auf die Fähigkeiten eines langjährig ausgebildeten und erfahrenen Profilers zurückgreifen zu können.

Jedoch wurde Landers Werdegang hinter vorgehaltener Hand von vielen Kollegen aus dem Kommissariat mit Argwohn betrachtet. Personalstellen als Profiler waren rar gesät. Warum also sollte jemand diesem begehrten Job die Versetzung in eine Mordkommission vorziehen? Schließlich hatte Lander nach seinem Studium zum Kriminalhauptkommissar beim BKA in Wiesbaden und einer anschließenden siebenjährigen Tätigkeit in der Abteilung für Tötungsdelikte in Hamburg fünf Jahre Sonderausbildung hinter sich gebracht.

Kaum jemand in Berlin kannte aber den wahren Grund des Wechsels sowohl seines Jobs als auch der Stadt. Deshalb kursierten Gerüchte, Lander habe sich in Hamburg etwas zuschulden kommen lassen.

»Scheint mir eher so, dass eure Kollegen ganz froh sind, euch los zu sein und ob ausgerechnet ihr zwei uns eine Hilfe sein werdet, muss sich erst noch zeigen«, konterte Bogner, wobei er das Wort Hilfe so betonte, dass klar war, dass er eher vom Gegenteil ausging. Er und Breitnach konnten sich nicht leiden und machten keinen Hehl daraus, obwohl die beiden ähnlich tickten. Vermutlich war genau dieser Umstand das Problem. Zwei Hähne im selben Stall, das konnte nicht gut gehen.

»Bis jetzt gab es an unserer Arbeit noch nie etwas auszusetzen«, gab Breitnach zurück. Sein Tonfall war dabei nun hörbar strenger.

»Tut mir einen Gefallen«, mischte Jeschke sich ein und hob sichtlich genervt die Hände. »Schaltet einen Gang runter und lasst uns mit der Besprechung beginnen. Zum gegenseitigen Zerfleischen bleibt im Verlauf der Ermittlungen sicher noch genug Zeit.«

»Wo sie recht hat, hat sie recht«, pflichtete Speer seiner Kollegin bei.

»An mir soll es nicht liegen«, meinte Breitnach, der nie um eine Antwort oder einen derben Spruch verlegen war, und verschränkte grinsend die Arme vor der Brust. »Aber eine nette Begrüßung war das trotzdem nicht.«

»Ich gebe euch beiden nach Feierabend einen aus und wir vergessen den Einstieg, okay?«, lenkte auch Bogner ein.

»Mit einem Bier kommst du aber nicht davon«, erwiderte Breitnach und nickte.

Speer glaubte zu wissen, dass Bogner, ohne es jemals zugegeben zu haben, Breitnach und Slibow als Ermittler schätzte. Doch es steckte ein Alphatier in seinem Kollegen, das bei einem direkten Aufeinandertreffen mit einem Kontrahenten zuerst mit den Muskeln spielte und die Zähne fletschte, damit von Anfang an klar war, wer das Sagen hatte.

Bogner hatte zudem den Ruf, ein Hitzkopf zu sein, der sich allzu leicht reizen und aus der Fassung bringen ließ. Leider platzte ihm tatsächlich schnell der Kragen und dann ließ er sich zu einem unüberlegten Handeln hinreißen. Aber gegenüber Menschen, die ihm nahestanden, verhielt sich Speers Ermittlungspartner äußerst fair und loyal.

Bei ihrem ersten Fall, der nun schon gut fünf Jahre zurücklag, hatten er und Bogner sich gegenseitig mit dem gebührenden Respekt beschnuppert.

Bogner hatte auch damals zunächst den starken Mann gespielt. Mittlerweile pflegten sie ein freundschaftliches Verhältnis. Obwohl es bis heute immer wieder Reibereien gab, wenn sie an einem ihrer Fälle arbeiteten. Jedoch ergänzten sie sich mit ihren unterschiedlichen Charakterzügen zu einem guten und erfolgreichen Team.

»Gibt´s noch Kaffee?«, fragte Hans Lauer an Speer gewandt, offensichtlich, um die Stimmung weiter zu versachlichen. Er zeigte auf die Kanne, die außerhalb seiner Reichweite stand. Speer schob sie dem Kollegen entgegen. »Sicher, da sollte noch was drin sein.«

Bogners Gesicht hatte wieder eine normale Färbung angenommen. Er erhob sich und ging nach vorne an das Whiteboard, an dem mehrere Fotos hingen, die das Opfer und den Tatort zeigten.

»Bei der Toten handelt es sich um die vierundzwanzigjährige Marina Fritsch.« Er zeigte auf ein Foto, das ihren Kopf bis zum Brustbein zeigte. Ihr Hals wies einen deutlichen roten Striemen auf.

»Sie wohnte allein, hat aber einen fünfjährigen Sohn, der im Kinderheim lebt. Der Vater sitzt wegen Betrügereien noch für mindestens zwei Jahre im Gefängnis. Das Opfer wurde im Wohnzimmer erdrosselt. Vermutlich mit einem Draht. Es gibt keine Einbruchsspuren. Ihr Freund Felix Lemmer hat sie nach eigener Aussage um halb acht gestern Abend tot aufgefunden. Marina Fritsch hat ihr Geld als Webcam-Stripperin verdient. Näheres kann Hans Lauer vom KDD berichten, der gestern Abend zusammen mit der Spurensicherung vor Ort war.«

Lauer zupfte seinen wie immer auffällig zerknitterten Anzug zurecht. »Wir haben die Nachbarn befragt. Niemandem ist etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Eine Nachbarin aus dem Erdgeschoss hat das Opfer um kurz vor sechs nach Hause kommen sehen. Die Tote hatte eine Stripshow im Livestream für 18:30 Uhr auf Instagram angekündigt. Die fand aber nicht statt. Wir gehen deshalb davon aus, dass der Todeszeitpunkt zwischen sechs und halb sieben liegt.«

»Dieser Zeitpunkt deckt sich mit dem, was die Obduktion ergeben hat«, bestätigte Jeschke.

»Was steht sonst noch im Bericht?«, erkundigte sich Speer.

»Der Täter hat das Opfer vermutlich zunächst niedergeschlagen«, trug Jeschke vor. »Der Tod wurde durch eine anschließende Strangulation mittels eines dünnen Seils, wahrscheinlich aber eines Drahtes herbeigeführt. Durch die Stauung des aus dem Kopfbereich abfließenden Blutes kam es im Gehirn zu einem Sauerstoffmangel, der binnen weniger Sekunden zur Bewusstlosigkeit geführt hat. Zudem wurde die Luftröhre zerquetscht. Der Täter hat viel Kraft aufgewendet.«

»Den Freund des Opfers haben wir vorläufig festgenommen«, teilte Lauer mit.

»Aus welchem Grund?«, wollte Slibow wissen.

»Das Handy des Opfers haben wir unter dem Sofa gefunden. Vermutlich hatte sie es in der Hand, als der Täter sie angriff, und es ist dorthin gefallen. Es gab keine Bildschirmsperre. Wir haben mehrere Sprachnachrichten von Lemmer gefunden. Darin droht er, sie umzubringen, wenn sie nicht mit dem Strippen vor der Kamera aufhört.«

»Er könnte sie getötet und lediglich vorgegeben haben, sie später gefunden zu haben«, meinte Bogner.

»Es gibt keine Einbruchsspuren. Das spricht dafür, dass Täter und Opfer sich kannten«, ergänzte Jeschke. »Zudem stammt bei einer Tötung der Täter meistens aus dem sozialen Umfeld des Opfers, wie wir alle wissen.«

»Deshalb haben wir den Kerl eingebuchtet«, resümierte Lauer und nickte. »Ein Alibi hat er auch nicht. Angeblich ist er gegen neunzehn Uhr von zu Hause aufgebrochen, weil er seiner Freundin danken wollte, dass sie, wie von ihm gefordert, den Webauftritt gecancelt hatte. Er besaß einen Wohnungsschlüssel. Als sie auf sein Klingeln nicht reagierte, hat er sich selbst reingelassen. Lemmer saß heulend auf dem Boden im Flur, als die Schutzpolizei und der Notarzt eintrafen, die er alarmiert hatte.«

»Ein Opfer mit einer Garotte zu erdrosseln, setzt Kaltblütigkeit oder Wut voraus«, gab Lander zu bedenken. »Zweiteres kann ich mir gut vorstellen bei einem Mann, der jeden Tag mitansehen muss, wie sich seine Freundin im Internet auszieht.«

»Ich mag mir auch den Spott seiner Bekannten, Familie und Arbeitskollegen nicht vorstellen«, ergänzte Slibow.

»Aber deshalb gleich die Geliebte umbringen? Er hätte sich auch einfach von ihr trennen können«, meinte Jeschke.

»Damit droht er aber eben nicht in seinen Sprachnachrichten, sondern mit Mord«, entgegnete Speer.

»Wir werden Herrn Lemmer nach der Besprechung verhören«, beschloss Bogner. »Dann können wir uns ein Bild davon machen, wie er tickt und was für ein Mensch er ist. Was hat die Spurensicherung für uns?«

Martin Klamm presste die Lippen aufeinander. »Leider gar nichts. Keine Fußspuren, Fingerabdrücke, Fasern. Entweder der Täter ist ein Profi, oder es war tatsächlich der Freund des Opfers. Von dessen Spuren ist die Wohnung übersät.«

»Gibt es noch weitere potenzielle Verdächtige?«, fragte Bogner.

»Es gibt ein paar Fans der Toten, die ihr derbe Nachrichten geschrieben haben. Aber nichts, das eine Tötungsabsicht erkennen ließe«, erläuterte Tina Jeschke.

»Schau dir bitte nochmals genau die Aktivitäten des Opfers im Netz an«, bat Bogner an Jeschke gewandt.

Jeschke nickte.

»Weiß jemand, wieso das Kind des Opfers im Heim ist?«, lenkte Lander die Analyse nun in eine andere Richtung.

»Vernachlässigung«, antwortete Lauer prompt. »Die bereits erwähnte Nachbarin aus dem Erdgeschoss hat es mir erzählt. Die Mutter muss das Kind wohl oft nachts allein zu Hause gelassen haben. Zudem hat sie es oft angeschrien und der Junge war unterernährt. Das ganze Haus und auch die umliegenden Anwohner wüssten davon, meinte die Nachbarin. So etwas spricht sich schnell herum.«

»Also gut«, fasste Bogner zusammen. »Außer dem Freund haben wir nicht viel. Aber vielleicht haben wir ja mal Glück und er ist tatsächlich der Täter. Den vernehmen Speer und ich. Breitnach und Slibow, ihr befragt nochmals die Bewohner des Mietshauses und die der umliegenden Häuser, ob ihnen zur Tatzeit etwas Seltsames aufgefallen ist. Ein fremdes Auto, unbekannte Personen. Und findet bitte heraus, ob in der Straße Überwachungskameras installiert sind, die vielleicht sogar den Eingang des Hauses gefilmt haben.«

  3

 

Bogner setzte sich an den Tisch im Vernehmungszimmer. Ihm gegenüber saßen Felix Lemmer und dessen Anwältin Dr. Krombach. Bogner und Speer hatten zuvor entschieden, doch keine Teamvernehmung durchzuführen, bei der der eine den guten und der andere den bösen Polizisten spielen sollte. Diese Taktik würde angesichts der Anwesenheit der versierten Anwältin kaum funktionieren.

Speer, Jeschke und Lander beobachteten das Geschehen vom Nebenzimmer durch den Observationsspiegel. Über das Mikrofon, das auf dem Tisch stand und über das alles aufgezeichnet wurde, konnten sie das Gespräch mithören.

Nach der üblichen Vorstellung der anwesenden Personen und der Erläuterung des Tatvorwurfs begann Bogner mit der Vernehmung des Beschuldigten. Lemmer war neunundzwanzig Jahre alt und er wirkte auf Bogner nicht wie ein kaltblütiger Killer.

»Schildern Sie uns doch bitte den Ablauf des gestrigen Abends. Was haben Sie ab dem Nachmittag gemacht?«

»Ich bin um 16:30 Uhr von der Arbeit gekommen und habe mit Marina telefoniert. Sie war beim Shoppen in der Stadt. Ich habe sie aufgefordert, abends nicht online aufzutreten, und ihr gedroht, mich von ihr zu trennen, wenn sie es doch tut.«

»Wie hat sie darauf reagiert.«

»Sie hat gelacht.«

»Und nach dem Telefonat.«

»Danach habe ich geduscht, mich auf dem Sofa ausgeruht und um halb sieben habe ich im Netz auf ihrem Kanal geschaut, ob sie online ist. Dass sie es nicht war, hat mich gefreut, und ich habe sie angerufen. Sie ging aber nicht ran. Deshalb bin ich hingefahren. Ich habe geklingelt. Sie hat nicht aufgemacht. Also habe ich aufgeschlossen und sie auf dem Wohnzimmerboden gefunden. Ich wusste sofort, dass sie tot war. Diesen Anblick von ihr bekomme ich nie wieder aus dem Kopf. Es war schrecklich, sie so aufzufinden.« Lemmer senkte den Kopf und raufte sich die Haare.

»Wie war Ihr Verhältnis zu Marina?«, gönnte ihm Bogner keine Verschnaufpause.

Lemmer rutschte auf dem Stuhl hin und her und zupfte sich am Ärmel seines Hoodies. »Wir waren seit anderthalb Jahren ein Paar. Haben uns in der Disco kennengelernt.«

»Wussten Sie da schon von ihrem Job als Webcam-Stripperin?«

Lemmer sah Bogner beschämt an. »Nein, das hat sie mir erst einen Monat später gebeichtet.«

»Und wie haben Sie reagiert?«

»Ich war außer mir. Bin fast durchgedreht. Ich habe sie geliebt. Klar, dass ich sie nicht mit einem Haufen Typen im Internet teilen wollte.«

»Sie haben aber nicht nur damit gedroht, sich zu trennen. Sie haben Ihrer Freundin auch per Sprachnachricht damit gedroht, dass Sie sie umbringen werden, wenn sie nicht damit aufhört.«

Lemmer atmete mehrmals schwerfällig. »Das war doch nur so dahingesagt. Ich war wütend. Ich wollte sie doch heiraten.«

»Sicher wurde es mit der Zeit für Sie immer unerträglicher, dass Ihre Freundin sich für andere Männer vor der Kamera auszog. Vielleicht ist Ihnen gestern Abend einfach die Sicherung durchgebrannt.«

»Nein, nein, ich hätte Marina niemals etwas antun können.«

»Mein Mandant hat sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen. Seine Beschreibung, wie er das Opfer gefunden hat, ist plausibel. Er hat eine Festanstellung und ein stabiles familiäres Umfeld. Ich sehe keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr und damit keinen Grund, dass Sie ihn länger festhalten.«

Bogner atmete einmal tief durch, um sich durch den Kopf gehen zu lassen, was die Anwältin, die das Verhör offensichtlich zu einem schnellen Ende führen wollte, gesagt hatte. Dann wandte er sich, ohne darauf einzugehen, wieder dem Beschuldigten zu. »Was für ein Mensch war Marina?«

Felix Lemmer zog die Nase hoch und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Sie war anders als ich. Spaß am Leben hat bei ihr ganz oben gestanden. Tanzen, feiern, shoppen.«

»In solch einen Lebensentwurf hat ein kleines Kind nicht gepasst«, folgerte Bogner.

»Darüber, ob wir Kinder wollen, hatten wir noch nicht gesprochen«, gab Lemmer zurück.

»Ich meinte damit, dass Marina bereits Mutter eines fünfjährigen Jungen war. Er musste ins Kinderheim, weil sie ihn vernachlässigt hatte.«

Lemmers Kiefer sackte nach unten.

»Sie wussten nicht, dass Ihre Freundin ein Kind hatte?«

Lemmer schüttelte den Kopf. »Das höre ich zum ersten Mal.«

Ihm war anzusehen, dass die Information in seinem Kopf arbeitete.

»Ist Ihnen in letzter Zeit etwas an Marina aufgefallen, das Ihnen ungewöhnlich vorkam? Hat sie sich bedroht gefühlt? Vielleicht durch einen aufdringlichen Fan oder hatte sie sonstige Feinde?«

»Nein, sie war wie immer.« Felix Lemmer stockte. »Das heißt ... Sie war immer knapp bei Kasse. Ich habe ihr hin und wieder mit einem Fünfziger ausgeholfen. Aber vorgestern hat sie gefragt, ob ich ihr fünfhundert Euro leihen könnte.«

»Wofür hat sie das Geld gebraucht?«

»Hat sie mir nicht gesagt.«

»Und haben Sie ihr das Geld gegeben.«

»Ich habe es davon abhängig gemacht, ob sie mit dem Strippen aufhört. Das hat sie abgelehnt. Sie meinte, sie hätte sich mit viel Zeit und Mühe ein eigenes Geschäft aufgebaut. Das wollte sie nicht einfach so wegwerfen.«

Ein kurzes Schweigen trat ein.

»Darf ich jetzt gehen?«

Bogner überlegte. Auf Felix Lemmers Kleidung hatten sie keine Fasern von den Sachen entdeckt, die das Opfer bei der Ermordung getragen hatte. Auch hatten sie bei der Durchsuchung von Lemmers Wohnung und seines Kellerraums nichts gefunden, das als Tatwerkzeug hätte dienen können. Andererseits wäre er sicher schlau genug gewesen, den verwendeten Draht nach der Tat verschwinden zu lassen.

»Einen Moment bitte«, entgegnete Bogner und verließ das Zimmer, um sich mit den anderen im Nebenraum zu beraten. »Was meint ihr? Reicht das, was wir haben, für einen Haftbefehl?«, wollte er die Meinung von Jeschke, Speer und Lander hören.

»In Hamburg würde ich meinen, eher nein«, urteilte Lander.

»Und in Berlin wohl auch nicht«, pflichtete Speer dem Kollegen bei. Auch Jeschke schloss sich der Ansicht an.

»Dann sind wir alle der gleichen Meinung«, sagte Bogner zähneknirschend. Anschließend entließ er Felix Lemmer mit der Aufforderung, sich für weitere Fragen zur Verfügung zu halten.

 

Breitnach und Slibow meldeten am Nachmittag, dass die Befragung der Anwohner rund um den Tatort keine neuen Hinweise ergeben hätte. Überwachungskameras gab es in der Gegend keine.

Tina Jeschke war es noch nicht gelungen, einen der anonym im Internet agierenden Fans des Opfers zu enttarnen. Allerdings hatten sie inzwischen Zugriff auf das Bankkonto. Es war ständig überzogen gewesen. Die Schufa-Auskunft war negativ. Mit der Miete war Marina Fritsch ebenfalls zwei Monate im Rückstand.

Bereits beantragt war der richterliche Beschluss zur Einsicht in die Akte beim Jugendamt, aus der hervorging, warum man ihr das Kind weggenommen hatte.

Bogner verließ am Abend das Büro dennoch mit dem miesen Gefühl, dass bei den Ermittlungen noch eine Menge Arbeit vor ihnen lag.

Als er zu Hause ankam und die Tür öffnete, wehte ihm der Geruch einer Lasagne entgegen. Er hoffte, dass das gute Essen, ein Glas Rotwein und die Gesellschaft seiner Frau Laura ihn gleich auf andere Gedanken bringen würden.

  4

 

Cornelius Landers T-Shirt war durchgeschwitzt, als er nach draußen kam. Die Nachtluft war schwülwarm, doch er empfand sie als angenehm im Vergleich zur Hitze in der kleinen Konzerthalle. Draußen wischte er seine Brille sauber und wunderte sich, dass sie in dem Gedränge in der Halle keinen Schaden genommen hatte.

Er setzte sich auf eine Bank unter einem Baum, blickte auf die Spree und schickte Tina Jeschke, die er nach einer Weile aus den Augen verloren hatte, eine Nachricht. Er hatte keine Ahnung, worauf er sich einließ, als sie ihn gebeten hatte, mit ihr dieses Gothic-Metal-Konzert zu besuchen. Zuletzt hatte er sie gesehen, als sie sich weiter nach vorne zur Bühne durchkämpfte.

»Das ist eine feine Newcomerband. Ihr Stil erinnert an Eisbrecher. Der Sound wird deinen Kopf freipusten. Das verspreche ich dir«, hatte sie gesagt.

Lander nahm eine Zigarette aus seinem Päckchen und zündete sie an. Er inhalierte den Rauch, dann betrachtete er den Glimmstängel, warf ihn zu Boden und trat die Glut aus.

Er hatte Louisa versprochen, dass er mit dem Rauchen aufhören würde, und er fühlte sich auch nach ihrem Tod noch daran gebunden. Tränen traten ihm in die Augen und er wischte sie weg.

»Da bist du ja«, hörte er Tinas Stimme hinter sich. Sie setzte sich neben ihn.

»Das Konzert ist noch nicht vorbei. War wohl doch nicht so dein Ding. Sorry, das hätte ich auch vorhersehen können.«

»So schrecklich war es gar nicht«, log er. »Du hast es nur gut gemeint, aber tatsächlich bin ich froh, dass der Lärm ein Ende hat.« Er lächelte, obwohl ihm nicht danach war.

Fast alle Konzertbesucher waren komplett schwarz gekleidet gewesen. Tinas Outfit passte dazu. Sie trug ein kurzes eng anliegendes Kleid, schwarze Netzstrumpfhosen und Springerstiefel. Auf ihre Lippen hatte sie ein grelles Rot aufgetragen. Um den Hals baumelte ein großer silberner Stern mit acht Zacken. Dieses auffällige Accessoire bildete eine passende Ergänzung zu ihren Ohr- und Nasenpiercings. Inmitten des Konzertpublikums fiel sie in dieser Aufmachung nicht auf. Im Büro wäre das etwas ganz anderes gewesen.

Lander war sich von Anfang an bei dem Gig fehl am Platz und isoliert vorgekommen, als ob eine transparente Scheibe ihn von den Menschen um sich herum trennte.

Er hatte eine blaue Jeans und ein graues T-Shirt angezogen. Etwas Passenderes hatte sein Kleiderschrank nicht hergegeben. Aber es lag nicht nur an seiner Kleidung, dass er sich in dem Gedränge wie ein Alien oder ein Tier im Zoo vorkam.

Es lag vielmehr an seiner Niedergeschlagenheit, die Freude an was auch immer nicht mehr zuließ, schon gar nicht an diesem Event.

Er hatte sich deshalb gleich nach Konzertbeginn an die Getränketheke auf der gegenüberliegenden Seite der Bühne zurückgezogen.

Mit ein paar hochprozentigen Shots und einigen Bieren hatte er versucht, seiner Einsamkeit in der Masse zu entkommen. Es war ihm nicht gelungen. Seine innere Leere ließ sich nicht betäuben. Im Gegenteil, es war, als ob der Alkohol sie nähren würde. Je mehr er trank, desto schlimmer wurde es. Bis er es nicht mehr ausgehalten hatte und ins Freie geflüchtet war.

»Ich hatte dir empfohlen, Ohrenstöpsel zu benutzen«, erinnerte ihn Tina und lächelte.

»Nächstes Mal«, winkte er ab. »Wollen wir noch irgendwo etwas trinken gehen?«

Tina sah auf die Uhr.

---ENDE DER LESEPROBE---