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Chris Karlden

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Beschreibung

Er stiehlt deine Tränen. Er nimmt dir dein Leben. Er entsorgt deine Leiche. Ein Körperteil von dir behält er als Trophäe zurück. Grausame Morde versetzen Berlin in Angst. Entschlossen verfolgt der Täter sein Ziel. Er verwischt seine Spuren. Niemand kann ihn stoppen. Und wenn sein Werk vollendet ist, werden viele Tränen geflossen sein ... Kriminalhauptkommissar Bogner ist frustriert. Kein aktuelles Verbrechen fällt in die Zuständigkeit seiner Sonderabteilung für besonders grausame Gewalttaten, sodass er und sein Partner Speer sich mit alten ungelösten Fällen herumschlagen müssen. Das ändert sich, als sie zum Fundort einer bestialisch zugerichteten Leiche gerufen werden. Dem strangulierten Opfer wurden die Beine entfernt. Eine frische Rose in der Wohnung der Toten scheint ein Hinweis auf den Täter zu sein, der auch die Presse in sein Spiel einbezieht. Ein weiterer Mord geschieht, die gleiche Handschrift, wieder nimmt der Mörder eine Trophäe an sich, und sein Drang zu töten ist noch lange nicht gestillt. Die Ermittlungen führen die beiden Polizisten tief in die Vergangenheit und werden schließlich zu einem erbarmungslosen Kampf gegen die Zeit. Dabei steht für einen von ihnen alles auf dem Spiel und letztlich entscheiden nur wenige Sekunden über Leben und Tod. "Dieser verstörende Thriller lässt den Leser nicht zur Ruhe kommen und schnürt ihm die Kehle zu. Chris Karlden ist ein phantastischer Erzähler." Recensio Online

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CHRIS KARLDEN

 

DER TRÄNENJÄGER

 

Thriller

 

 

 

 

 

 

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Über das Buch

Er stiehlt deine Tränen. Er nimmt dir dein Leben. Er entsorgt deine Leiche. Ein Körperteil von dir behält er als Trophäe zurück.

 

Grausame Morde versetzen Berlin in Angst. Entschlossen verfolgt der Täter sein Ziel. Er verwischt seine Spuren. Niemand kann ihn stoppen. Und wenn sein Werk vollendet ist, werden viele Tränen geflossen sein ...

 

Kriminalhauptkommissar Bogner ist frustriert. Kein aktuelles Verbrechen fällt in die Zuständigkeit seiner Sonderabteilung für besonders grausame Gewalttaten, sodass er und sein Partner Speer sich mit alten ungelösten Fällen herumschlagen müssen. Das ändert sich, als sie zum Fundort einer bestialisch zugerichteten Leiche gerufen werden. Dem strangulierten Opfer wurden die Beine entfernt. Eine frische Rose in der Wohnung der Toten scheint ein Hinweis auf den Täter zu sein, der auch die Presse in sein Spiel einbezieht. Ein weiterer Mord geschieht, die gleiche Handschrift, wieder nimmt der Mörder eine Trophäe an sich, und sein Drang zu töten ist noch lange nicht gestillt. Die Ermittlungen führen die beiden Polizisten tief in die Vergangenheit und werden schließlich zu einem erbarmungslosen Kampf gegen die Zeit. Dabei steht für einen von ihnen alles auf dem Spiel und letztlich entscheiden nur wenige Sekunden über Leben und Tod.

 

Das Buch ist in sich abgeschlossen und kann als Einzeltitel unabhängig von den vorhergehenden Bänden der Reihe gelesen werden.

Über den Autor

Chris Karlden, geb. 1971, studierte Rechtswissenschaft und schrieb in dieser Zeit Kurzgeschichten und Drehbücher. Nach seinem Examen arbeitete er zunächst als Videojournalist und gestaltete tagesaktuelle Fernsehbeiträge. Im Anschluss nahm er eine Tätigkeit als Jurist auf, die er über viele Jahre hinweg ausübte. Sein Psychothriller DAS MEDIKAMENT wurde als E-Book zum Nr. 1-Bestseller sowie zum BILD-Bestseller.

 

DER TOTENSUCHER bildet den Auftakt einer Thriller-Reihe um die Ermittler Adrian Speer und Robert Bogner, die einer neu eingerichteten Mordkommission der Berliner Polizei zur Aufklärung besonders grausamer Verbrechen angehören. DER TRÄNENJÄGER ist der vierte Band der Reihe.

 

Chris Karlden widmet sich beruflich mittlerweile ausschließlich dem Schreiben von Spannungsromanen und lebt mit seiner Familie als freier Autor im Saarland. Er ist sehr am Austausch mit seinen Leserinnen und Lesern interessiert, die er insbesondere auf Facebook über seine Bücher auf dem Laufenden hält.

 

Neuigkeiten und Kontakt zu Chris Karlden erhalten Sie hier:

Homepage: https://www.chriskarlden.de

Facebook: https://www.facebook.com/c.karlden

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Instagram: https://www.instagram.com/chris.karlden

 

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Impressum

Der Tränenjäger

Copyright © 2021 by Chris Karlden

Alle Rechte vorbehalten

 

Chris Karlden

c/o skriptspektor e. U.

Robert-Preußler-Straße 13 / TOP 1

5020 Salzburg

AT – Österreich

E-Mail: [email protected]

https://chriskarlden.de

 

Umschlaggestaltung: Artwize, https://cover.artwize.de/

unter Verwendung eines Fotos von Depositphotos.com

Urheberrecht: chepko

url: https://depositphotos.com/53147149/stock-photo-beauty-girl-cry.htm

 

Lektorat: Philip Anton

Lektorat & Korrektorat: Heidemarie Rabe

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jedwede Verwendung des Werkes darf nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erfolgen. Dies betrifft insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung.

 

Dies ist ein fiktiver Roman. Die Figuren und Ereignisse darin sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, wäre zufällig und nicht beabsichtigt.

Kapitel 1

 

Damals. Vier.

 

Elisabeth stellte sich vor dem Bauernschrank im Schlafzimmer auf die Zehenspitzen und zerrte den Reisekoffer, der seit Jahren unangetastet darauf lag, nach unten. Ihr Herz pochte wie wild. Dennoch war sie fest entschlossen.

Sie legte den Koffer auf ihr Ehebett und klappte ihn auf.

Ihr vierjähriger Sohn zupfte am Zipfel ihrer Bluse. »Mama, was machst du da?«

Sie wandte sich dem Jungen zu. Sie hatte ihn unter einem Vorwand früher aus dem Kindergarten abgeholt. Ihre Lippen bebten vor Aufregung und ihre Hände zitterten leicht. Sie strich ihm sanft über die Wange und lächelte ihn liebevoll an. »Wir verreisen für eine Weile. Weißt du, was das ist, verreisen?«

Er strahlte sie an und schüttelte den Kopf.

»Wir fahren in eine andere Gegend, sehen schöne Dinge und lernen nette neue Menschen kennen. Das wird dir sicher gefallen. Aber vorher müssen wir unsere Lieblingskleider einpacken. Die nehmen wir natürlich mit. Setz dich bitte auf den Stuhl. Du kannst mir dabei zuschauen.«

Sie öffnete den Schrank und nahm wahllos ein paar Hosen und Pullover heraus. Wenn sie fertig war, würde sie die Sachen ihres Kleinen aus dessen Schrank holen und dann würden sie für immer verschwinden.

Aber wohin? Sie hatte noch keinen Plan. Dafür hatte die Zeit nicht gereicht. Es würde sich schon ein Weg finden. Sie wusste auch noch nicht, ob sie zuerst eine neue Bleibe suchen oder zuvor die Polizei über diese furchtbaren Fotos informieren sollte. Sie kniff die Augen zusammen. Doch die grauenvollen Bilder in ihrem Kopf wollten nicht verschwinden.

Vollgepackt bis unters Kinn drehte sie sich um und ließ die Kleider in den Koffer fallen.

Ihr kleiner Sohn war auf den Stuhl geklettert, der unter der Dachschräge in der Ecke des Zimmers stand, und beobachtete seine Mutter mit großen Augen.

»Das geht ganz schnell«, sagte Elisabeth und rang sich ein Lächeln ab.

Es ging auf sechzehn Uhr zu. Erst vor einer Stunde hatte sie den Entschluss gefasst, ihren Mann zu verlassen. Hartmut war auf der Arbeit, seine Schicht ging bis zweiundzwanzig Uhr. Er hatte sein Portmonee vergessen. Sie hatte Bargeld benötigt und hineingeschaut. Hätte sie das nur nicht getan.

Sie hatte zwei Fotos darin entdeckt, auf denen Frauen abgebildet waren. Sie waren beide tot, ihre Leichen entsetzlich zugerichtet. Sie lagen auf einem Edelstahltisch und überall war Blut. Auf dem Tisch, auf dem Boden und an den Wänden. Was hatte das zu bedeuten? Sie wollte es sich nicht ausmalen. Aber ihre Phantasie spielte verrückt. Ihr Mann hatte diese brutale Seite.

Elisabeth klappte ihren Koffer zu. Sie hatte alles, was sie brauchte, um eine Zeit lang irgendwo unterzukommen. Nun musste sie nur noch die Sachen für den Kleinen einpacken, den Teddybären, ohne den er nicht einschlafen konnte, durfte sie auf keinen Fall vergessen.

»Kommt Papa auch mit?«, fragte ihr Sohn, dessen Hände sich seitlich an den Sitz des Stuhles klammerten. Seine Beine baumelten in der Luft. Sie waren noch zu kurz, um mit den Füßen den Boden zu berühren.

Sie ging zu ihm und sank vor ihm in die Knie. »Ich denke nicht.«

»Wenn er nicht mitkommt, dann will ich auch nicht weg«, erwiderte er.

Sie schluckte schwer, hielt inne und sah den Kleinen an. »Papa muss arbeiten. Er kommt nach«, log sie.

Das schien ihn nicht zu überzeugen, die Fröhlichkeit in seinem Gesicht war verschwunden.

Elisabeth lächelte. »Wir zwei werden bis dahin einen riesigen Spaß haben und du bekommst so viel Zuckerwatte, wie du möchtest.«

Sein Gesichtsausdruck hellte sich auf. »Versprochen?«

»Versprochen!«

Er lachte. »Juhu, Zuckerwatte. Gibt es da, wo wir hinfahren, auch Karussells?«

»Ja, natürlich«, sagte sie. Dabei hatte sie keine Ahnung, wie sie dieses Versprechen einlösen konnte. Es war ihr auf die Schnelle nichts Besseres eingefallen. Ihr Sohn liebte den Rummelplatz und das süße Zeug, das dort feilgeboten wurde. Sie würde es schon schaffen, ihm Zuckerwatte oder etwas, das dem nahekam, zu besorgen. Schließlich gab es einige Freizeitparks in der Umgebung.

Plötzlich vernahm Elisabeth ein Geräusch. Sie fuhr zusammen. Ihr Lächeln gefror. Jemand eilte polternd die Treppe herauf. Sie hörte jeden Tritt auf den alten Holzstufen.

Sie bewohnten das Obergeschoss im Elternhaus ihres Mannes. Von der Diele unten führte die Treppe hinauf.

Im Erdgeschoss lebte nur noch ihre Schwiegermutter. Sie war eine sehr liebe Frau, ihr Gatte war schon in jungen Jahren an Krebs gestorben. Ihr kleiner Enkelsohn war ihr Ein und Alles und sie kochte ihm immer, worauf er Lust hatte.

Die Wohnungstür wurde hastig geöffnet und fiel schallend ins Schloss. Ihre Schwiegermutter hätte angeklopft, bevor sie die Tür öffnete.

»Lisa!«, rief ihr Mann.

Elisabeth erstarrte in der Bewegung. Das konnte nicht sein. Warum war er hier?

Ihr Sohn sprang freudestrahlend vom Stuhl. Es plumpste dumpf, als seine Füße den Holzboden berührten.

»Bleib hier«, herrschte Elisabeth ihn im Flüsterton an. Sie legte so viel Strenge in ihren Tonfall, dass der Kleine eingeschüchtert auf halbem Weg zur Tür stehen blieb.

Sie hörte, wie ihr Mann in die Küche ging. Als er die Kühlschranktür aufzog, klirrten die Bierflaschen, die aufgereiht in der Ablage standen.

»Unters Bett mit dir, schnell, versteck dich da«, zischte sie ihrem Jungen zu. Er blieb bewegungslos stehen und starrte sie mit großen Augen an.

»Unters Bett und kein Mucks! Egal, was passiert. Du bleibst versteckt! Niemand darf dich finden.«

»Ist das ein Spiel?«

»Ja und wenn du gewinnst, bekommst du etwas Tolles geschenkt.«

»Und unsere Reise?«

»Später. Jetzt husch unters Bett! Papa darf dich nicht sehen und nicht hören. Wenn er dich findet, hat er gewonnen und du verloren. Das willst du doch nicht?«

Ein breites Grinsen legte sich auf das Gesicht ihres Jungen. Blitzschnell begab der sich auf alle viere, krabbelte zum Bett und kroch darunter. Sie kniete sich hin, bückte sich zu ihm hinunter, so dass er ihr Gesicht sehen konnte, und legte den Zeigefinger vor die geschlossenen Lippen.

»Kein Mucks, egal was passiert!«

Ihr Sohn nickte freudig und grinste bis über beide Ohren.

Sie setzte sich auf die Matratze und unternahm den Versuch, ruhig zu wirken. Die Tür schwang auf.

»Hier bist du also«, polterte ihr Mann los. Ungläubig betrachtete er den Koffer auf dem Bett. Er trat ins Zimmer, schloss langsam die Tür und stellte seine halb geleerte Bierflasche auf ihrem Schminktisch ab. »Warum antwortest du nicht, wenn ich nach dir rufe?«

Sie atmete durch. »Ich weiß nicht. Ich habe nicht mit dir gerechnet.«

»Das glaube ich dir gern«, ächzte er. »Ich hab meinen Geldbeutel vergessen. Wollte ihn nur eben holen.« Er nickte missmutig in Richtung des Koffers. »Was soll das?«

Elisabeth erhob sich, um etwas Selbstbewusstsein auszustrahlen. In den Jahren ihrer Ehe war ihr das nie gelungen, und so auch jetzt nicht. Er trat nahe an sie heran. Sein Schweiß und sein bierfauliger Atem schlugen ihr entgegen. Sie begann zu zittern, kaum merklich. Aber ihm genügte es. Wie ein Hund, der die Furcht eines Menschen instinktiv witterte, schien auch ihr Mann zu spüren, dass sie entsetzliche Angst vor ihm hatte. Er grinste sie an.

Oft hatte er sie grundlos geschlagen. Heute gab sie ihm zum ersten Mal einen Anlass, wütend auf sie zu sein.

Dennoch oder gerade deshalb nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und reckte das Kinn vor. »Ich verlasse dich.«

Er kam noch näher, nur wenige Zentimeter trennten seinen Mund von dem ihrem. Er fuhr ihr mit der Zunge über die Lippen, trat zurück und lachte. Seine schweißnassen Haare strich er mit der Hand zurück.

»Du kannst mich nicht verlassen! Wie stellst du dir das vor? Wir haben ein Kind.«

Sie nahm nochmals allen Mut zusammen. »Unser Sohn geht mit mir.«

Abermals lachte er laut auf.

»Aus heiterem Himmel willst du abhauen. Hast du jemand anderen?« Er durchbohrte sie mit seinem Blick. »Oder hast du vielleicht in meinen Geldbeutel geschaut?«

Sie musste schwer schlucken und sie merkte, wie ihr Kehlkopf dabei nach oben und wieder nach unten wanderte. Sollte sie ihm sagen, dass sie die Fotos gesehen hatte? Das war gar nicht nötig. Er konnte es in ihren Augen lesen und in der Furcht, die jede Faser ihres Körpers in Besitz genommen hatte und den Ausdruck in ihrem Gesicht prägte. Sie war noch nie ein Mensch gewesen, der seine Gefühle verstecken konnte.

Wie aus dem Nichts verpasste er ihr mit dem Handrücken eine Ohrfeige, die so große Wucht besaß, dass es sie auf die Matratze schleuderte.

Der Gedanke an ihren kleinen Sohn unter dem Bett blitzte auf. Hatte er bemerkt, dass hier kein Spiel ablief? Bleib, wo du bist!

Im nächsten Augenblick war er über ihr. Ein Speichelfaden tropfte von seiner Lippe auf ihre Wange. Sie schloss die Augen.

»Warum willst du gehen?«

Sie sagte nichts. Er ließ von ihr ab, stellte sich vors Bett und hielt seinen Geldbeutel hoch.

»Du hast hineingeschaut. Du hast gesehen, was nicht für deine Augen bestimmt ist.« Er schüttelte den Kopf. »Das hättest du nicht tun dürfen.«

Sie biss in die Bettdecke, um ihr Wimmern zu dämpfen. Bleib, wo du bist, keinen Laut.

Die Augen ihres Mannes veränderten sich. Sie wurden glasig und dunkel. Er stürzte sich auf sie. Ohne ein weiteres Wort. Ohne jegliche Vorwarnung.

Seine Hände umklammerten ihren Hals. Sie wehrte sich, zappelte wie ein Fisch, der an der Angel aus dem Wasser gezogen wurde. Er drückte fester zu, zog sie vom Bett auf den Boden und setzte sich auf sie. Seine Kraft, die sie schon immer als unmenschlich empfunden hatte, lag gebündelt in den Griffen um ihren Hals. Sie war sicher, er würde gleich ihren Kehlkopf zerquetschen. In ihrer Panik bäumte sie sich auf, zerrte an seinen Handgelenken. Doch sie war viel zu schwach. Sie hatte ihm nicht das Geringste entgegenzusetzen. Erbarmungslos drückte er weiter zu. In ihren Ohren erklang ein tosendes Rauschen und ihr Verstand schrie nach Sauerstoff. In ihrer Brust dominierte unendlicher Schmerz.

Elisabeths Arme und Beine sanken kraftlos nieder. Sie vermochte noch ihren Kopf zur Seite zu drehen, sodass sie unter das Bett schauen konnte. Ihr war klar, dass es der letzte Blick ihres Lebens sein würde. Bewegungslos lag ihr Sohn etwa einen Meter von ihr entfernt auf dem Bauch und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. Aus seiner Perspektive konnte er nur ihren reglos am Boden ausgestreckten Körper sowie die Hände sehen, die seine Mutter würgten. Bleib still. Keinen Mucks! Es waren ihre letzten Gedanken.

Tränen rannen an ihren Wangen herab und fielen auf das schäbige abgewetzte Parkett. Ihr Sohn streckte den Arm nach ihr aus, seine Finger berührten den Boden. Er war zu weit weg, um sie zu erreichen. Der Schock hatte seine Gesichtszüge verzerrt.

Die Farben lösten sich in Grautöne auf. Die Konturen verschwammen. Ein kurzes, unkontrolliertes Zappeln durchfuhr ihre Gliedmaßen, bevor ihr Körper erschlaffte. Der Schmerz verblasste und verschwand. Dann wurde alles schwarz und still.

Kapitel 2

 

Heute. Montagnachmittag.

 

Hauptkommissar Robert Bogner rutschte in seinem Bürostuhl hin und her und presste den Rücken in die Lehne, die sich unter seinem Gewicht nach hinten neigte.

»Ich weiß nicht, was das soll?«, knurrte er.

Adrian Speer seufzte und sah über den oberen Bildschirmrand zu seinem Partner. »Was meinst du damit?«

Bogner faltete die Hände hinter dem Kopf. »Ungelöste Fälle. Jahre alt. Daran haben sich die Kollegen schon die Zähne ausgebissen und nun sollen wir die Täter aus dem Hut zaubern. Dabei sind die Spuren eiskalt.«

»Das fällt nun mal in unseren Zuständigkeitsbereich«, erwiderte Speer.

Tatsächlich oblag es der achten Berliner Mordkommission, deren Leiter Bogner war, sich um alte Mordfälle zu kümmern, bei denen bisher kein Ermittlungserfolg zu verzeichnen war. Sinn und Zweck war es, mit einem frischen Blick auf die Akten und neuen Ermittlungsmethoden diese Verbrechen einer späten Aufklärung zuzuführen. Außerdem waren sie für alle besonders grausamen Gewalttaten jüngerer Zeit zuständig. Für die Zuteilung dieser speziellen Fälle war ihre Vorgesetzte Kriminalrätin Fernanda Gomez als Leiterin des Morddezernats verantwortlich. Nach ihrer Einschätzung lag aber derzeit kein Tötungsdelikt dieser Kategorie vor. Bogner teilte diese Ansicht nicht, und er machte keinen Hehl daraus, dass er es hasste, sich mit angestaubten Fällen zu befassen.

»Das ist reine Zeitverschwendung. Es liegen genügend aktuelle Morde vor, die Gomez uns zuschustern könnte«, tarierte Bogner weiter.

Speer schüttelte den Kopf und verzog einen Mundwinkel nach oben. »Mag sein. Aber dennoch, die Hinterbliebenen der Toten dürfen erwarten, dass sich jemand um eine Aufklärung bemüht. Wir sind sozusagen ihre letzte Hoffnung auf Sühne.«

Bogner lachte verächtlich. »Das hast du schön gesagt. Wie aus dem Lehrbuch. Aber was ist mit den Angehörigen von Mordopfern, deren Blut kaum getrocknet ist? Es gibt genug aktuelle Tötungsdelikte, die unserer Ermittlungsarbeit bedürfen. Einige davon wurden sicher von brandgefährlichen Psychos begangen, die schon das nächste Opfer im Visier haben könnten. Wir könnten dazu beitragen, dass die Täter zeitnah überführt werden, und dafür sorgen, dass diese Fälle gar nicht erst Jahre später ungelöst auf unserem Schreibtisch landen.«

»Das ist Aufgabe der Kollegen, und die sind nicht sonderlich scharf auf unsere Hilfe.«

»Ach, Scheiße«, ächzte Bogner und erhob sich von seinem Stuhl. »Du hast ja recht.«

Robert Bogner hatte es sich im Laufe seiner Dienstzeit mit fast allen anderen Mordermittlern verscherzt. Er galt als aufbrausend und überheblich. Außerdem neigte er dazu, die Dinge beim Namen zu nennen, ohne darüber nachzudenken, wie das bei seinem Gegenüber ankam. Aber er hatte das Herz am richtigen Fleck und brannte wie Speer für seine Arbeit. Speer konnte sich keinen besseren Partner vorstellen. Sicher gab es auch zwischen ihnen Reibereien. Doch insgesamt harmonisierten sie gut miteinander und bildeten ein effektives Team. Vielleicht lag das gerade an ihren unterschiedlichen Charakteren, die sich gegenseitig ausglichen. Bogner war impulsiv und leicht auf die Palme zu bringen, Adrian Speer hingegen in sich gekehrt, und er wog seine Gedanken ab, bevor er sie aussprach. Auch ihr Kleidungsstil war grundverschieden. Speer trug zumeist Jeans, T-Shirt und Sneakers oder Stiefel. Bogner stand auf teure maßgeschneiderte Anzüge sowie Hemd, Krawatte und elegante Schuhe. Ein weiterer Umstand, der ihn auf die Kollegen arrogant und abgehoben wirken ließ. Wenn man ihn aber näher kennenlernte, erkannte man, dass dieser Schein trog und man mit ihm Spaß haben und sich als Freund in allen Lebenslagen auf ihn verlassen konnte.

Vor ein paar Jahren hatte man Robert Bogner zum Leiter einer neuen Mordkommission befördert, deren Spezialzuständigkeit nur auf den ersten Blick beeindruckte. In der Realität war ihr Tätigkeitsfeld eingeschränkt und sie galt als Abstellgleis für schwierige Charaktere, die man gern loswerden wollte. Deshalb waren sie auch in einem schlecht isolierten Dachgeschoss untergebracht, in einem anderen Gebäudetrakt als der Rest des Kommissariats.

Neben Speer, der mit seinem Lebenslauf ebenfalls nirgendwo hineinzupassen schien, war nur noch Tina Jeschke Bestandteil der Achten. Tina pflegte einen ausschließlich schwarz gehaltenen Kleidungsstil. Hatte Piercings in Nase und Ohren sowie neuerdings auch schwarze Tätowierungen, die von den Handgelenken bis zum Hals hinaufreichten. All das mochte dazu beigetragen haben, dass sie sich in allen ihren bisherigen Abteilungen einem schmerzhaften Mobbing ausgesetzt sah. Mit Bogner und Speer schien sie jedoch Kollegen gefunden zu haben, die sie ausschließlich nach ihren Fähigkeiten als Ermittlerin beurteilten.

»Am ersten Tag nach deinem Urlaub habe ich dich ein wenig entspannter erwartet«, stichelte Speer.

Bogner warf ihm einen langen Blick zu. Speer konnte sehen, dass die Wangenmuskeln seines Gegenübers zuckten.

»Wenn man eine Zeit lang hier raus war, merkt man erst wieder, wie öde unsere Arbeit in dem Bereich ist«, entgegnete Bogner. Er raufte sich seine kurzgeschnittenen dunkelblonden Haare, die an den Schläfen ergraut waren. »Und Urlaub kann man das, was ich hatte, nicht nennen. Das Wetter war mies und es war nur eine freie Woche.«

»Immerhin.«

Bogner winkte ab. »Julias Freund hat Schluss gemacht, Laura lag mit Magen-Darm im Bett und mir ist zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen.«

Julia war Bogners mittlerweile achtzehnjährige Tochter und Laura seine Frau, mit der er seit über zwanzig Jahren verheiratet war.

Speer lächelte. »Das erklärt natürlich einiges. Von Erholung also keine Spur.«

»Julia war am Boden zerstört. Wenn die erste große Liebe den Bach runtergeht, dann entfacht das schon mal einen emotionalen Tsunami, vor dem niemand in der Familie geschützt ist. Sorry, dass du meine Laune ertragen musst«, sagte Bogner versöhnlich und setzte sich zurück an seinen Schreibtisch. »Trinken wir nachher ein Feierabendbier bei Henriette? Geht natürlich auf mich.«

Henriettes Eck hieß die nahe gelegene Kneipe, deren Publikum weitestgehend aus Polizisten bestand. An den Samstagen schauten sie dort öfter zusammen die Spiele der Bundesliga an. Vor ein paar Jahren hatte Bogners Affäre mit einer Studentin, die dort gekellnert hatte, seine Ehe fast auseinanderbrechen lassen. Doch Laura und er hatten die Kurve wieder gekriegt und nach einigen Monaten, in denen er von zu Hause ausgezogen war, als Paar wieder zueinandergefunden.

Speer nickte und hob die Augenbrauen. »Gerne. Auf mich wartet ja zu Hause niemand.«

Adrian Speer war nach der Scheidung von seiner Frau Franziska allein geblieben. Er führte dies darauf zurück, dass er sie noch immer liebte. Grund für die Trennung war die Entführung ihrer damals elfjährigen Tochter Lucy gewesen. Speer trug die Schuld daran. Er hatte sie alleine in der Wohnung gelassen, um zu einem Informanten zu fahren. Es war eine Falle gewesen mit dem Ziel, ihn fortzulocken. Damals hatte er noch bei der Drogenfahndung gearbeitet. Die organisierte Kriminalität hatte mit der Entführung seine Ermittlungen stören und ihn treffen wollen. Mehr als zwei Jahre hatte seine Suche nach Lucy gedauert und am Ende hatte er sie tatsächlich gefunden. Ohne Franziska, Robert Bogner und Tina Jeschke hätte er es nicht geschafft und er war ihnen für immer zu Dank verpflichtet. Die Suche nach Lucy hatte die Kollegen an ihre persönlichen Grenzen gebracht und zusammengeschweißt. Niemand verlor ein Wort darüber. Aber er wusste, jeder würde, wenn es nötig wäre, für den anderen einstehen, und das war ein gutes Gefühl.

Bogner warf Speer einen ernsten Blick zu und räusperte sich. »Willst du damit sagen, dass ich besser gleich nach der Arbeit nach Hause fahren soll?«

Speer winkte lächelnd ab. »Ach wo.«

Bogner legte den Kopf schief. »Du hast zwar keine Frau daheim. Aber Lucy und Jonathan freuen sich bestimmt auch, wenn du zum Abendessen erscheinst.«

»Touché«, sagte Speer.

Er bewohnte mit seiner Schwester Marlene und deren Tochter Leandra die große Wohnung in der Brunnenstraße, in der er einst mit seiner Familie gelebt hatte.

Seine Kinder Lucy und Jonathan, die mit Franziska und ihrem Freund Arthur außerhalb von Berlin in dessen Neubauvilla lebten, waren noch für eine Woche bei ihnen zu Besuch.

Franziska hatte sich Urlaub genommen und war mit Arthur nach Malta gereist, wo dieser sich Locations für einen Historienfilm, den er produzieren würde, ansehen wollte.

Speer seufzte. »Als Lucy und Jona noch klein waren, haben sie mich stürmisch begrüßt, wenn ich nach Hause kam und die Wohnungstür aufgesperrt habe. Ich sehe noch vor mir, wie sie durch den langen Flur auf mich zurannten und jeder Erster sein wollte, um mir um den Hals zu fallen. Lucy ist jetzt fünfzehn und widerspricht grundsätzlich allem, was ich sage, und Jona ist seit Ende letzten Jahres volljährig. Arthur hat ihm zur bestandenen Führerscheinprüfung ein Auto geschenkt. In jeder freien Minute düst er damit mit ein paar Freunden durch die Gegend und kommt meist erst spätnachts heim. Ich frage mich, wann er für seine Abiturprüfungen büffelt.«

»Ist ihm nicht zu verdenken, dass er die neuen Freiheiten der Volljährigkeit genießt«, sagte Bogner. »Julia hat nächste Woche ihre praktische Fahrprüfung. Ich hoffe, dass sie bis dahin ihren Liebeskummer einigermaßen überwunden und einen freien Kopf hat. Macht Leandra auch den Führerschein?«

»Tatsächlich wird sie in ein paar Tagen auch schon achtzehn. Aber sie will den Führerschein nicht machen. Sie hält nichts von Autos. Die widersprechen ihrem Umweltbewusstsein.«

Sie wandten sich beide wieder der elektronischen Akte auf ihren Bildschirmen zu und widmeten sich dem ungelösten Mordfall. Daneben gab es noch eine Ermittlungsakte mit dem gleichen Inhalt in Papierform, die Bogner bei sich liegen hatte.

Das Opfer war vor einem Jahr im Grunewald von dem Hund eines Spaziergängers gefunden worden. Die Leiche lag in einer flachen Grube bedeckt von einer dünnen Schicht Erde und Zweigen etwa zehn Meter neben einem Weg.

Die Obduktion hatte ergeben, dass die Frau an einem anderen Ort getötet wurde. Der Täter hatte versucht, ihre Verwesung zu verzögern, indem er den Körper mit ätherischen Ölen und Harzen einbalsamiert hatte. Außerdem hatte der Täter das Blut durch einen verwesungshemmenden Wirkstoff ersetzt, der auf Formalin basierte. Dadurch war ihm vermutlich eine Verzögerung des Zerfalls des Leichnams gelungen.

Der geschätzte Todeszeitpunkt lag etwa zwei Monate vor dem Auffinden der Toten im Wald. Dort hatte sie ungefähr drei bis vier Wochen gelegen. Die Frau konnte als die damals achtundzwanzigjährige und als vermisst gemeldete Vanessa Baumann identifiziert werden.

»Keine Zeugen. Keine Hinweise auf einen Täter aus ihrem näheren Umfeld. Alle in Betracht gezogenen Verdächtigen haben wasserdichte Alibis«, resümierte Bogner. »Wo sollen wir da ansetzen?«

»Zum Beispiel bei dem Unbekannten, der am Tag ihres Verschwindens in der Buchhandlung, in der sie beschäftigt war, kurz vor Feierabend eine Unterhaltung mit ihr geführt hat.«

»Und der bisher unauffindbar ist. Aber selbst wenn wir den Typen aufstöbern, ist die Chance, dass er der Täter ist, gering.«

»Mag sein. Dennoch wäre es ein Anfang.«

Bogner schlug die vor sich liegende Akte auf. Als er die gesuchte Seite gefunden hatte, legte er seinen Bleistift auf eine bestimmte Stelle und ging den Text nach unten durch.

»Die übrigen Angestellten haben den Mann nur von hinten gesehen«, erklärte er. »Eine Überwachungskamera in der Nähe des Buchladens hat eine Aufzeichnung geliefert, auf der Vanessa Baumann nach Feierabend in Begleitung eines Mannes die Treppe zur U-Bahnstation hinuntergeht. Darauf ist er wieder nur von hinten zu sehen. Außerdem war es dunkel und die Aufnahme ist deshalb unscharf. Die Angestellten der Buchhandlung meinten aber einhellig, dass es mit hoher Sicherheit der gleiche Mann gewesen sei, der sich mit dem Opfer zirka fünfzehn Minuten im Laden unterhalten hat.«

»Fragt sich, warum die junge Frau mit einem Unbekannten mitgegangen ist. Oder kannten sich die beiden doch? Vielleicht war der Täter auch ein Stammkunde, den die anderen Angestellten von hinten nicht erkannt haben.«

»Das wäre schon möglich«, überlegte Bogner. »Dann haben wir noch die Angestellte vom Friseursalon neben der Buchhandlung. Sie kam dem Opfer und dem Mann auf dem Gehweg entgegen und hat flüchtig das Gesicht des Begleiters gesehen. Das auf ihren Angaben beruhende Phantombild war dürftig und im Hinblick auf eine mögliche Identifizierung des Mannes vage.«

»Die Veröffentlichung in den Medien hat keine Ergebnisse gebracht«, bestätigte Speer.

Bogner steckte sich einen Kaugummi in den Mund und seine Kiefer begannen zu arbeiten. »Wir könnten das Bild wieder über Social Media ins Netz stellen. Vielleicht haben wir jetzt ein Jahr später mehr Glück.«

»Schaden kann es nicht«, sagte Speer. »Außerdem haben wir fremde DNA unter den Fingernägeln der Leiche sicherstellen können.«

Bogner strich sich mit dem Finger über die Lippen. »Das hilft uns erst, wenn wir jemanden haben, mit dem wir einen Abgleich vornehmen können.«

Speer nickte. »Ich bin dafür, dass wir nochmals die Kolleginnen des Opfers und die Frau aus dem Friseursalon befragen.«

Bogner sah auf die Uhr. »Okay, aber jetzt machen wir Schluss für heute, in Ordnung?«

Speer schmunzelte. »Ich habe Verständnis dafür, dass du deinen ersten Arbeitstag nicht mit Überstunden beenden möchtest.«

»Wie geht es eigentlich Franziska?«, lenkte Bogner ab, während er den Schreibtisch aufräumte und den Computer herunterfuhr.

Speer stand bereits wartend an der Bürotür. »Das erzähle ich dir gleich bei einem Bier.«

Kapitel 3

 

Heute. Montagabend.

 

Sybille Morgenstern drückte ihre Stirn gegen die Fensterscheibe des Linienbusses und seufzte. Sie war total erschöpft. Ihre Schicht im Callcenter hatte um neunzehn Uhr dreißig geendet. Da sie den Kühlschrank am Wochenende praktisch leer gegessen hatte, war sie anschließend in den Supermarkt einkaufen gegangen. Sie atmete aus. An der nächsten Haltestation könnte sie endlich aus dem miefigen Bus aussteigen und die letzten fünfhundert Meter zu ihrer Wohnung zu Fuß zurücklegen.

»Du siehst müde aus«, sagte ihre Sitznachbarin.

Sybille drückte das Kreuz durch und sah die junge Mutter neben sich an. Anna war zwei Jahre älter als sie und arbeitete in einem Kaufhaus in der Nähe des Callcenters, in dem Sybille schuftete. Ihre beiden Schichtpläne waren ähnlich, weshalb sie regelmäßig im Bus aufeinandertrafen. Irgendwann war aus einem freundlichen Kopfnicken ein Gruß und schließlich ein Gespräch geworden und nun setzten sie sich, wann immer sie zusammen fuhren und sich Sitzgelegenheiten boten, nebeneinander. Anna stieg zwei Haltestationen später aus.

»Irgendwie fehlt mir hier drin die Luft zum Atmen und heute hatte ich auch noch überdurchschnittlich viele anstrengende Kunden in der Leitung.«

»Verstehe. Wütend, verärgert, unzufrieden. Die rauben einem zuerst die gute Laune und am Ende den letzten Nerv. Und ja, ich finde auch, die Luft im Bus ist heute besonders ätzend.«

Sybille nickte. Sie war froh, dass jemand Verständnis für sie zeigte. »Hast du nach der Arbeit auch noch eingekauft?«

Anna hob stolz ihre Plastiktasche aus dem Discounter an, die sie zwischen ihre Füße gestellt hatte. »Alles bio. Brokkoli. Salat. Karotten.«

»Bei mir gibt´s heute Abend nur eine Fertigpizza«, sagte Sybille. »Ausnahmsweise«, fügte sie hinzu, und das stimmte auch. In der Regel ernährte sie sich gesund. Auch wenn sie keine Bioprodukte kaufte. Aber ihre Figur war ihr wichtig und gerade in letzter Zeit war es ihr gelungen, ein paar Kilo abzuspecken, sodass sie nun ihr Idealgewicht erreicht hatte. Allerdings gab es Ausnahmetage, wie den heutigen, an denen sie sich erlaubte, alles zu essen und zu trinken, wozu sie Lust hatte.

»Die gab es bei mir früher manchmal dreimal in der Woche. Schmeckt ja auch gut und ist nicht teuer. Aber seit unsere kleine Maus da ist, hat sich das gewandelt. Wie sieht es eigentlich mit deiner Familienplanung aus?«

»Ich will keine Kinder«, sagte Sybille. »Na ja, vielleicht später mal. Zuerst will ich was von der Welt sehen.«

Und damit würde sie beginnen, sobald sie ihren üblen Job gekündigt hatte. Die Lasten des Lebens schlagen sich auch auf den Hüften nieder, hatte ihre Großmutter oftmals als Binsenweisheit verlauten lassen. Sybille glaubte, dass das zutraf.

Eine dieser Lasten, ihren Freund, war sie kürzlich losgeworden, sie hatte die Beziehung beendet. Es hatte sich mit ihm mehr und mehr wie eine Zweckgemeinschaft angefühlt. Sie fand ihn nicht mehr interessant. Außerdem hatte er sich angemaßt, sie andauernd zu kontrollieren. Irgendwann war ihr aufgefallen, dass sie lieber allein die Tage verbrachte als mit ihm. Deshalb hatte sie einen Schlussstrich gezogen.

Und morgen würde sie endlich auch noch den Mut fassen, ihrem Chef ihr Kündigungsschreiben in die Hand zu drücken. Ihre Kündigungsfrist betrug sechs Wochen zum ersten Juli und danach wäre sie vom Joch des Callcenters befreit.

Sie hatte genug Geld gespart, um ein halbes Jahr davon leben zu können, und plante eine dreiwöchige Reise durch Norwegen. Nur sie allein. Sie hatte vor, sich dafür ein Wohnmobil zu mieten. Raus aus der Stadt, rein in die unberührte Natur. Das war ihr Traum. Zugleich ängstigte sie der Gedanke ein wenig, alleine eine solche Reise anzutreten. Aber keinesfalls würde sie auf die Mitreiseanfrage dieses Typs eingehen, der sich in Norwegen so gut auskannte und mit dem sie über Facebook in Kontakt gekommen war. Sie wollte über ihr Leben nachdenken. Dem Wandern auf dem Jakobsweg zog sie einen Roadtrip durch Skandinavien hierfür allerdings vor.

Ein Gong kündigte den nächsten Stopp des Busses an und riss Sybille aus ihren Träumereien. Anna erhob sich und ließ Sybille in den Gang treten.

In ihrer Jutetasche hatte Sybille eine Flasche Rotwein, Chips, eine Tiefkühlpizza und einen Eisbergsalat. Sie hatte sich für heute Abend vorgenommen, sich zuerst an dem Salat satt zu essen und anschließend dem ungesunden Teil ihres Einkaufes zuzuwenden.

»Bis die Tage«, sagte Sybille und hob zum Abschied die freie Hand.

»Ja, bis dann«, rief Anna ihr zu.

Der Busfahrer bremste scharf ab. Sybille stolperte nach vorne und ergriff fluchend die Stange über ihrem Kopf.

Als sie mit zwei weiteren Fahrgästen aus dem Bus auf den Haltesteig trat, hielt sie kurz inne und atmete tief ein und wieder aus. Sie sah in den dunklen Himmel, konnte aber keine Sterne sehen. Das würde sich ändern, wenn sie am Nordkap angekommen wäre. Wenn sie Glück hätte, würde sie sogar die grün leuchtenden Polarlichter sehen.

In den letzten Tagen hatte es geregnet, aber ab morgen war viel Sonne vorhergesagt. Kühl war es heute Abend, aber auch das sollte sich laut Wetterbericht bald ändern und die bevorstehenden Osterfeiertage sollten besonders schön werden.

»Hallo«, hörte sie eine männliche Stimme. Sie wandte den Kopf nach rechts.

»Darf ich dich zum Essen einladen?«

Sybille schluckte. Wut kroch ihre Kehle hinauf. Erst vergangenen Freitag hatte der Typ sie an der gleichen Stelle angesprochen und sie hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie nicht mit ihm reden wollte. Woher wusste er überhaupt, wann sie hier ausstieg? Oder hatte er einfach nur stundenlang gewartet?

Sie unterdrückte ihren ersten Impuls, ihn anzuschreien und ihn aufzufordern, sich zu verpissen. Plötzlich schien ihr Mitleid mit dem jungen Mann eher angebracht. Er hatte dunkelblondes Haar, ein hageres bleiches Gesicht und trug einen Seitenscheitel, wie er in den Siebzigern modern gewesen war. Sie atmete noch einmal durch und zwang ein schmales Lächeln auf ihre Lippen. Sie war sich fast sicher, dass der Mann geistig zurückgeblieben sein musste.

»Es tut mir leid. Ich habe kein Interesse«, sagte sie und wandte sich zum Gehen um.

»Moment«, erklang hinter ihr seine Stimme.

Sie drehte sich um. Er stand nah vor ihr und hielt ihr eine Rose hin, die er vorher hinter seinem Rücken versteckt haben musste.

Sybille machte einen Schritt rückwärts und hob abwehrend die Hände. »Die kann ich nicht annehmen. Ich habe einen Freund«, log sie.

Er senkte den Blick und sein ausgestreckter Arm glitt nach unten. Plötzlich sah er wieder auf. »Hast du nicht«, widersprach er in einem beleidigten Tonfall.

Jetzt wurde Sybille doch sauer. »Was bildest du dir ein, mich einfach auf der Straße anzusprechen? Du bist nicht mein Typ. Und jetzt hau ab. Such dir von mir aus eine andere. Ich will nichts mit dir zu tun haben.«

Er machte einen Schritt auf sie zu. Sie wich zurück und sah sich dabei hektisch um. Dabei stellte sie fest, dass sie inzwischen mit ihm allein an der Haltestelle stand. Es war fast dunkel und nirgendwo sonst war jemand zu sehen.

»Hau ab!«, kreischte sie. Dann drehte sie sich um und rannte, so schnell sie konnte, davon. Die Welt war einfach nur scheiße, dachte sie. Warum hatte dieser Irre sich ausgerechnet sie ausgesucht? Als sie sich umsah, stand er noch an der gleichen Stelle und sah ihr hinterher. Erleichtert atmete sie aus. Bald wäre sie zu Hause.

 

*****

 

Seine Hand, in der er die Rose hielt, öffnete sich und die Blume fiel hinab auf den Asphalt. Er hielt den Atem an, hob den Kopf und sah ihr nach. Sie war so schön und bewegte sich so graziös. Er kniff die Augen zusammen und verzog schmerzerfüllt das Gesicht. Die Erinnerung, die über ihn hereinbrach, konnte er am ganzen Leib spüren.

»Sie hat uns verlassen«, sagte sein Vater.

»Nein, jemand hat ihr wehgetan«, entgegnete sein kindliches Ich.

Eine schallende Ohrfeige traf seine linke Wange und brachte ihn zum Schweigen.

»Deine Mutter hat uns alleingelassen. Ist durchgebrannt mit einem anderen Kerl. Die Schlampe wollte dich nicht mehr. Kapier das endlich mal!«

Er weinte nicht. Zu oft hatte er diese grässlichen Worte aus dem Mund seines Vaters gehört und Prügel dafür bezogen, dass er gesagt hatte, was er glaubte, gesehen zu haben.

Sein Vater verließ das Kinderzimmer und schloss die Tür von außen ab.

Er lag auf dem Bett, starrte auf die vergilbte Zimmerdecke und strich über seine heiß brennende Wange. Er spürte keinen Schmerz. Aber sein Inneres hatte neue Risse dazubekommen. Neben den vielen anderen aus den Jahren zuvor, seit die Tränen seiner Mutter auf dem Holzboden versiegt waren.

Der Flashback hatte nur einen Augenblick gedauert. Mit den Jahren war er sich zunehmend unsicherer geworden, ob das, woran er sich zu erinnern glaubte, wirklich geschehen war. Sein Vater bestritt, dass seine Erinnerung der Realität entsprach. »Das war ein böser Traum, den du als Kleinkind hattest und der dich bis heute verfolgt. Deine Mutter hat uns verlassen. Sie hat dich und mich alleingelassen. Weil du das als Kind nicht akzeptieren wolltest, hast du dir eine alternative Wahrheit konstruiert.«

 Sybille war noch nicht weit gelaufen. Sein Herz begann zu rasen. Er konnte nicht zulassen, dass auch sie sich aus seinem Leben stahl wie seine Mutter. Sie musste bei ihm bleiben. Keinen weiteren Riss durfte sie ihm zufügen. Er kam sich schon löchrig und instabil genug vor, nur ein bisschen mehr und er würde in sich zusammenfallen und zu einem Haufen Staub zerbröseln.

Erst jetzt bemerkte er, dass seine Fäuste geballt waren und die Haut über seinen Fingerknochen weiß vor Kraftanstrengung war. Es kochte in ihm. Seine Halsschlagader pulsierte. Warum tat sie ihm das an? Er liebte sie doch so sehr.

Er lief auf die gegenüberliegende Straßenseite. An der nächsten Ecke bog er ab. Kurz dahinter hatte er seinen Wagen in einer Nische geparkt. Er stieg ein. Für einen Moment umklammerte er das Lenkrad. Dann steckte er den Zündschlüssel ins Schloss und startete das Auto.

Kurz darauf sah er seine Angebetete. Sein Herz schlug schneller. Sie hatte ihr Wohnhaus fast erreicht. Hundert Meter blieben ihm noch. Langsam ließ er den Wagen heranrollen. Dabei sah er sich nach allen Seiten um. Niemand war zu sehen.

Als er Sybille zum ersten Mal auf einem Foto im Internet gesehen hatte, war es um ihn geschehen gewesen. Es hatte ihm den Atem geraubt. Einer seiner wenigen Freunde kannte Sybille und hatte ihm ihre Adresse verraten. Fortan hatte er sie unbemerkt verfolgt und jedes Detail ihres Lebens auskundschaftet. Je länger er sie beobachtete, desto mehr begehrte er sie.

Als er sie vor ein paar Tagen zum ersten Mal angesprochen hatte, war ihre Reaktion ablehnend gewesen. Er hatte ihr das nicht übel genommen und es darauf zurückgeführt, sie zu sehr überrumpelt zu haben.

Heute Abend hatte er es erneut versuchen wollen. Er hatte beobachtet, wie sie nach Arbeitsende in den nahen Supermarkt gegangen war. Er hatte einen Bus ihrer Linie genommen und wie beim letzten Mal an ihrer Haltestelle auf sie gewartet. Doch auch heute hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie ihn nicht wollte.

Sybille tauchte in den Schatten einer Häuserfront ein. Das war der richtige Moment. Er trat auf das Gaspedal, fuhr vor ihr über den Bordstein quer auf den Gehweg und versperrte ihr den Weg. Sie war zu überrascht, um zu reagieren, blieb einfach wie festgenagelt stehen und ließ vor Schreck ihre Jutetasche mit den Einkäufen zu Boden fallen.

Ohne den Motor abzustellen, sprang er aus dem Wagen, lief um das Heck herum und stürzte sich auf sie.

Es gelang ihr noch, sich umzudrehen und einen Schritt nach vorn zu machen. Dann war er bei ihr und hielt ihr von hinten den Mund zu. Der Gurt ihrer Handtasche glitt von ihrer Schulter. Mit roher Gewalt schleifte er sie zum Kofferraum seines Wagens. Ihrer Gegenwehr war er mühelos gewachsen.

»Kein Mucks, sonst bist du tot«, hauchte er ihr ins Ohr.

---ENDE DER LESEPROBE---