Der Taubenhasser und das Fenster zum Hof - Michael Möseneder - E-Book

Der Taubenhasser und das Fenster zum Hof E-Book

Michael Möseneder

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Beschreibung

HEUTE STEHST DU VOR GERICHT: ALS BEOBACHTER*IN! WAS PASSIERT EIGENTLICH IN EINEM GERICHTSSAAL? Wenn du nicht gerade eine BANK AUSGERAUBT HAST, weißt du das vermutlich nicht so genau. Außer du bist LEIDENSCHAFTLICHER GERICHTSKOLUMNEN-FAN. Dabei ist es OFT SPANNEND, MANCHMAL TRAGISCH, UND IMMER WIEDER HÖCHST UNTERHALTSAM, was sich vor dem Richter*innentisch so abspielt … MANCHE GERICHTSPROZESSE SIND SO ABSURD WIE DAS LEBEN: Wie zum Beispiel der Fall von der UNTALENTIERTEN BETRÜGER-OMI oder VOM MANN, DER EINE STRASSENBAHN STAHL. Außerdem auf der Anklagebank: RABIATE WILDPINKLER, AGGRESSIVE PARKLÜCKEN-DIEBE UND TRENNUNGSBEDINGTE MEERSCHWEINCHEN-VENDETTA. Doch neben solchen Geschichten gibt es durchaus auch STRAFTATEN, DIE GANZ UND GAR NICHT LUSTIG SIND. Fälle, die man einfach nicht glauben möchte. Die erschaudern lassen. Bei denen man KURZZEITIG DEN GLAUBEN AN DIE MENSCHHEIT VERLIERT ... DIESE STORIES GEHEN DIR SO SCHNELL NICHT WIEDER AUS DEM KOPF Zum Glück musst du NICHT ERST EIN VERBRECHEN BEGEHEN, um einen EINBLICK IN DIE WELT DER WIENER JUSTIZ zu bekommen. Wir schicken lieber jemanden vor, der dir DIE KNACKIGSTEN HIGHLIGHTS, DIE INTERESSANTESTEN SCHLAGLICHTER UND DIE VERRÜCKTESTEN BEGEGNUNGEN serviert: Michael Möseneder! Lass dich von seinen UNGLAUBLICHEN GESCHICHTEN mitreißen – ALS GERICHTSREPORTER hat Michael Möseneder SCHON FAST ALLES GESEHEN. Er hat ein UNTRÜGLICHES GESPÜR DAFÜR, WELCHE PROZESSE BESONDERS SPANNEND WERDEN KÖNNTEN - und die besucht er dann auch und berichtet darüber. Einige seiner Fälle kennst du vielleicht schon aus dem STANDARD, andere sind erstmals hier zu lesen. SEINE LIEBLINGSFÄLLE HAT ER IN DIESEM BUCH FÜR DICH VERSAMMELT. SPOILER-WARNUNG! Ob du nun zum VERURTEILEN, FREMDSCHÄMEN ODER MITFÜHLEN tendierst, bestimmte Geschichten einfach überblättern musst oder alles fassungslos in dich aufnimmst - HIER WIRST DU SCHMUNZELN, GRÜBELN, EMPÖRT DEN KOPF SCHÜTTELN UND DICH VERSTÖRT FRAGEN: "IST DAS WIRKLICH PASSIERT?!"

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Michael Möseneder

Der Taubenhasser und das Fenster zum Hof

Unglaubliche Wiener Gerichtsprozesse

Inhaltsverzeichnis*
Cover
Titel
Das Leben zwischen Buchstaben und Paragrafen
Kapitel 1: Wenn man seinen Ohren kaum traut
Topfpflanzenstreit beim Bundesheer
Der Shoppingsender und die betrügerische Pensionistin
Der Rosenbusch und der Hausbesuch mit Schlagring*
Der von einer Unbekannten angestiftete Kinderschänder
Krippenfiguren und Teddybären
Der fliegende Burger und der Schädelbasisbruch*
Der Steirer und die „grüne Muschi“
Der Pizzabäcker und seine Peniskrümmung
Der Cam-Sex der falschen 14-Jährigen
Die wütende Mutter als Brandstifterin
Nachbarschaftsstreit im hellhörigen Altbau*
Aus dem Leben eines Blutchronikers, Teil 1
Kapitel 2: Die Richter und das liebe Vieh
Das tote Meerschweinchen in der Problembeziehung
Ein berühmter Gallier und Nothilfe für einen Hund
Vendetta rund ums Wuff-Forum
Der Künstler und der fliegende Hund
Der Dackel mit dem Löwenherz
Der Taubenhasser und das Fenster zum Hof
Der Rottweiler, der ein Kleinkind totbiss
Aus dem Leben des Blutchronikers, Teil 2
Kapitel 3: Vom Beisl vor den Kadi
Wildpinkler bei den Stürmischen Tagen
Die „Indianerin“ und Schläge auf dem Damen-WC
Der ziemlich missglückte Valentinstag*
„Mädi“ und der Würstelstand
Rabiater Diskurs im Schlingerl
Eskalierter Streit um ein Finanzamt
Drohungen gegen „Drecksschlampe“ und „Hurensohnschwiegermutter“
Der eskalierte Ticketkauf im Westbahnhof*
Prozess um transdanubisches Beziehungsgeflecht
Der Mann, der eine Straßenbahn stahl
Aus dem Leben des Blutchronikers, Teil 3
Kapitel 4: Ein Fall für die Öffentlichkeit
Estibaliz C.: Die toten Männer der Eissalonbesitzerin
Korruption in höchsten Kreisen
Der Dreifachmord im niederösterreichischen Schloss
Julia Kührer: Die verbrannten Gebeine im Weinviertler Erdkeller
Die drei vergewaltigenden Teenager vom Praterstern
Der Showdown der „Star-Anwälte“
Peter Seisenbacher: Der tiefe Fall des Doppelolympioniken
Aus dem Leben des Blutchronikers, Teil 4
Kapitel 5: Folgenschwerer Verkehr
Die Parklücke und das Steirereck
Der Spitzenkoch und die Straßenverkehrsordnung
Der „Rotzbua“ und die „schwule Sau“ in der Tempo-30-Zone*
Blaues Blut und Vorrangregeln
Der Zigarettenstummel und der Kettenhandschuh
Der frierende Polizist und der Schnaps des toten Schwiegervaters
Road Rage unter Radfahrern
Aus dem Leben des Blutchronikers, Teil 5
Kapitel 6: Jung und teils erstaunlich dumm
Die Respektschellen als Internethit
Die Teenager und der Speisekartentrick
Die Depressive und die Beauty-Convention*
„Branding“, „Schaumparty“ und ein trostloses Leben
Zwerg und Riese in rächender Mission*
Der hilflose Lehrer und sein rabiater Sohn
Lieber vorbestraft, als im Kindergarten zu helfen
Freispruch dank mütterlichen Misstrauens
Der Lehrling und die Nötigung mit zwei Dildos
Falsche Freunde, psychische Probleme und Weihnachtsdeko
Einladung an den Arbeitsplatz des Blutchronikers
Michael Möseneder
Zum Autor
Impressum

* Die mit einem * markierten Fälle erscheinen in diesem Buch zum allerersten Mal. Die anderen Texte wurden bereits in DER STANDARD veröffentlicht und uns für dieses Buch freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Das Leben zwischen Buchstaben und Paragrafen

Vor Gericht und auf hoher See ist man in der Hand eines höheren Wesens, wird behauptet, wobei die Erfindung von Schiffsschraube und Verbrennungsmotor den göttlichen Handlungsspielraum auf den Weltmeeren merklich verringert hat. Im Justizsystem geht es im Gegensatz zur Seefahrt aber auch nur bedingt um Naturgewalten, sondern vor allem um Menschen. Deshalb ist die Vorstellung einer unparteiischen Göttin Justitia (die in der antiken Mythologie übrigens nicht blind ist), die das Recht anwendet und so für Gerechtigkeit sorgt, natürlich absurd. Noch dazu, da die Antwort auf die Frage, ob ein Urteil gerecht gewesen ist, je nach befragtem Beteiligten anders ausfallen wird: Was die Staatsanwältin für gerecht hält, wird der Verteidiger als zu hart empfinden; was das Publikum für „Kuscheljustiz“ hält, wird der Berufsrichter als härtestmögliche Strafe ansehen.

Was für die Justiz gilt, gilt erst recht für den Journalismus, auch im Genre der Gerichtsreportagen. Fast jede Geschichte, die man in einem Verhandlungssaal hört, könnte man den Leserinnen und Lesern aus verschiedensten Perspektiven erzählen. Man könnte ein Verfahren aus dem Blickwinkel der (Zwei-)Klassenjustiz sehen, die Berichterstattung immer unter einen feministischen Standpunkt stellen, sich darüber echauffieren, dass nicht hart genug durchgegriffen oder die Lebensgeschichte der Angeklagten zu wenig berücksichtigt wird.

Diese journalistische Vorgehensweise bietet sich vor allem an, wenn man nur die „großen“, die sogenannten clamorosen Prozesse besucht und sonst nicht viel mit dem Gerichtsalltag zu tun hat. Oder überhaupt nicht im Saal anwesend ist und dann aufgrund einer Agenturmeldung einen Justizskandal wittert.

Hat man aber schon sehr, sehr viele Verfahren live mitverfolgt, erkennt man, dass die überwiegende Zahl der Entscheidungen, die von Berufsrichterinnen und -richtern sowie ihrer Laienkollegenschaft, Schöffinnen, Schöffen und Geschworenen, getroffen werden, durchaus nachvollziehbar ist. Und auch, dass im Zweifelsfall immer noch die nächste Instanz mitredet. Obwohl die Funktion des „embedded journalist“, also eines Medienmitarbeiters, der ganz nah am Geschehen ist und ständig mit denselben Personen zu tun hat, selbstverständlich die Gefahr birgt, dass man Teil des Systems und damit betriebsblind wird.

Dieser Gefahr lässt sich aber begegnen, wenn man zu den beruflichen Protagonistinnen und Protagonisten, seien es Verteidigerinnen, Richter oder Staatsanwältinnen, die gleiche Distanz oder Nähe hält. Mit manchen versteht man sich gut, zu anderen hat man ein sehr formelles Verhältnis. In die Berichterstattung sollte das tunlichst nicht einfließen, auch wenn es sich wohl nicht hundertprozentig vermeiden lässt.

Im Mittelpunkt stehen immer Angeklagte, Opfer und deren Geschichten. Und diese Geschichten sind manchmal verstörend, manchmal widerwärtig, manchmal empörend, manchmal nachvollziehbar und manchmal auch ziemlich lustig. Auf den folgenden Seiten findet ihr einige davon, die in den vergangenen Jahren in der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD veröffentlicht wurden, und einige, die hier erstmals zu lesen sind. Nicht bei allen Verfahren ist es mir gelungen, festzustellen, ob das Urteil rechtskräftig geworden ist, daher wird dann die Version zum Zeitpunkt der Veröffentlichung verwendet.

Eigene Fischarten werden im Straflandesgericht nicht gezüchtet, die Renovierung lässt einfach bereits seit Jahren auf sich warten.

Kapitel 1: Wenn man seinen Ohren kaum traut

Topfpflanzenstreit beim Bundesheer

Wenn eine Richterin „Hat der noch gelebt?“ fragt, wird gemeinhin ein Schwerverbrechen verhandelt. Im Prozess wegen schwerer Körperverletzung gegen Eva M. ist das glücklicherweise nicht der Fall. Die besorgte Erkundigung von Richterin Nicole Baczak gilt nämlich einer Pflanze. Die soll die 44-jährige Angeklagte samt Topf einer Untergebenen auf den Fuß geschmissen haben, wodurch sich die Frau einen Fußknochen gebrochen hat.

Schauplatz ist eine Kanzlei des Verteidigungsministeriums. Frau M. ist dort Amtsdirektorin; bis zum Vorfallstag, dem 8. August 2016, teilte sie sich mit Frau J. das Zimmer. Die scheint eine Pflanzenliebhaberin zu sein, vier Stück, darunter zwei Birkenfeigen, besser bekannt unter dem Namen Ficus, und einen Elefantenfuß stellte sie ins Büro.

Als Frau J. im Sommer auf Urlaub war, fasste die Angeklagte einen Plan. „Es war so heiß, daher habe ich die Pflanzen von der Fensterbank genommen, damit man lüften kann, und einen Ficus umgestellt. Da habe ich auch bemerkt, dass der Lichteinfall viel besser geworden ist, man hat kein elektrisches Licht mehr gebraucht“, schildert sie.

Am Tattag kam die Kollegin aus dem Urlaub zurück. „Sie ist in die Teeküche gegangen, die ist geputzt worden. Dann hat sie gleich gefragt, wer ihre Sachen umgeräumt hat“, erzählt die Unbescholtene. Dramatisch wurde die Situation dann, als Frau J. in ihrem Zimmer den 1,60 Meter hohen Ficus nicht sah. „Sie hat gefragt, wo er ist, und ich habe ihr gesagt, er steht neben der Tür.“

Aus Sicht der Besitzerin ein schlechter Platz, sie wollte ihn offenbar wieder näher ans Licht stellen. „Ich habe ihr dann eine Dienstanweisung erteilt, dass sie die Stöcke wegstellen muss“, erinnert sich die Angeklagte. „Sie haben ihr eine Dienstanweisung erteilt?“, fragt Baczak ungläubig. Nicht nur das hat sie, sie wollte auch den Vorgesetzten um eine letztinstanzliche Entscheidung bezüglich des Pflanzenstandorts bitten.

„Bis dahin wollte ich den Stock von der Fensterbank nehmen. Er ist mir aber ausgerutscht und auf den Boden gefallen.“ Frau J. habe sie dabei nicht getroffen. „Sie hat dann aber gesagt, ich hätte mich erschreckend verändert“, berichtet Frau M. weiter. Dann habe die Kontrahentin alle Blumentöpfe ins Auto getragen und sich krankgemeldet.

„Wer hat den Unfall gesehen, also quasi das Attentat des Blumentopfes?“, erkundigt sich die Richterin. Sie erfährt, dass es keine unmittelbaren Zeugen gibt. Andere Mitarbeiter würden aber bezeugen können, dass Frau J. weder über Schmerzen geklagt hat noch gehumpelt ist.

Frau J. erzählt naturgemäß eine ganz andere Geschichte. „Ich habe nach dem Urlaub den Dienst angetreten. Als ich gekommen bin, war eine ganz eigenartige Stimmung, eher feindselig“, erzählt sie schluchzend. Als sie sich wegen der Teeküche erkundigte, habe sie eine barsche Antwort bekommen, die sie so verstört zu haben scheint, dass sie ihren Ficus übersah.

Als sie diesen wieder auf seinen angestammten Platz stellen wollte, sei die Situation eskaliert. „Die Frau Amtsdirektor ist herübergestürmt und hat mit der Hand den Blumentopf vom Fensterbrett geschmissen“, behauptet die 49-Jährige. Der rund fünf Kilo schwere Topf habe sie mit der Kante dann am Fuß erwischt.

„Ich war geschockt und wollte nur noch weg“, daher habe sie die Streitobjekte in ihren Wagen verfrachtet und sei zum Hausarzt gefahren. Der habe sie zum Röntgen geschickt, im Spital sei ihr dann gesagt worden, dass das sogenannte Sesambein im linken Fuß gespalten sei.

Als Anhängerin von Naturmedizin verweigerte sie die verschriebenen Schmerzmittel, wegen ihrer Arthritis wollte sie auch keinen Gips. Der Knochenbruch habe weitere Folgen gehabt – einige Zeit später stieß sie, da sie nicht richtig auftreten konnte, gegen einen Türstock und brach sich die kleine Zehe. Drei Monate war sie insgesamt im Krankenstand.

„Waren Sie früher sportlich?“, stellt der medizinische Sachverständige Christian Reiter eine zunächst überraschend klingende Frage. „Ja, ich bin gelaufen, geklettert, gewandert“, bekommt er als Antwort. „Wollen Sie Schmerzensgeld?“, erkundigt sich die Richterin noch. „Ja, mein Anwalt hat gesagt, ich kann das fordern. Ich weiß aber nicht, wie viel.“

Ein Umstand, der keine Rolle mehr spielt, als Reiter sein anhand der Röntgenbilder und der Krankenhausakte erstelltes Gutachten erläutert. „Die Dreiteilung des Sesambeines muss deutlich vor dem 8. August passiert sein“, stellt er nämlich fest. „Eine derartige Verletzung passiert meistens bei einem Sprung aus großer Höhe. Es kann aber auch eine Ermüdungsfraktur sein, die bei Läufern vorkommt.“

Wäre Frau J. von einer Blumentopfkante getroffen worden, hätte es zusätzlich noch andere Symptome geben müssen. Aus seiner Sicht könne die Zeugin sich daher maximal eine Prellung zugezogen haben, falls sie überhaupt getroffen worden sei. „Vereinfacht gesagt: Da war kein Blumentopf?“, bringt die Richterin es auf den Punkt. „Ich würde mit wesentlich schwereren Verletzungen rechnen, wenn es einen gegeben hätte“, antwortet der Experte.

Die logische Folge ist ein nicht rechtskräftiger Freispruch für Frau M., Frau J. nimmt ihn wortlos zur Kenntnis und verlässt den Saal. Die beiden Frauen arbeiten mittlerweile übrigens an unterschiedlichen Standorten.

Der Shoppingsender und die betrügerische Pensionistin

Es ist quasi eine Vermögensumverteilung auf eigene Faust gewesen, die Margarethe S. begangen hat. Die 68-Jährige ist nämlich der Meinung, vom Leben benachteiligt worden zu sein. Die Pensionistin hat daher beim TV-Shoppingsender QVC eine umfangreiche Bestellung aufgegeben. Als Käufernamen verwendete sie allerdings den einer Bekannten, bezüglich der Rechnung hielt sie sich an den italienischen Literaturnobelpreisträger Dario Fo: „Bezahlt wird nicht!“ Daher muss Richter Ulrich Nachtlberger entscheiden, wie er diesen Betrug bestraft.

Ihr Motiv schildert die Unbescholtene unter Tränen. „I hob mei gonz’ Leben hoat goabeit“, sagt sie. Wegen ihres Expartners sei sie in Konkurs gewesen, offenbar ist ein geschäftliches Unternehmen gescheitert, und der Herr zog es vor, die Verbindlichkeiten auf sie abzuwälzen.

Dazu kommen Pfändungen wegen weiterer Schulden und Forderungen des Finanzamts, die ebenso noch aus dem Unternehmertum stammen. Von ihrer Pension bleiben ihr lediglich 965 Euro zum Leben. „I hob monchmoi fost nix zum Essen ghobt!“, erzählt sie. Und: „I woid ma a amoi wos leisten.“

Die Unbescholtene leistete sich einiges. Auf der Bestellliste bei QVC, einem international tätigen Konzern, der laut Eigenangaben mit 17.700 Mitarbeitern weltweit rund 7,63 Milliarden Euro Umsatz macht, stehen höchst unterschiedliche Dinge: ein Laptop, vier Garnituren Bettwäsche, ein Kinderspielzeug, drei Kleidungsstücke, vier Kosmetikprodukte und ein ziemlich hässliches weihnachtliches, leuchtendes Fensterbild. Insgesamt machte die Rechnung fast 900 Euro aus.

Die kriminelle Intelligenz von Frau S. war aber enden wollend. Bestellbetrug basiert naturgemäß darauf, den wahren Empfänger zu verschleiern. Die Angeklagte gab zwar für die Rechnung Name und Adresse ihrer Bekannten an, als Lieferadresse aber einfach ihre eigene. Die Zeugin war verständlicherweise recht überrascht, als sie plötzlich die Zahlungsaufforderung bekam, die wahre Täterin konnte dagegen wenig überraschend rasch ausgeforscht werden.

Richter Nachtlberger schafft es, der Pensionistin das Wesen einer Diversion in leicht verständlichen Worten zu erklären. „Es gibt da ein Zuckerl. Also eh alles im Rahmen des Gesetzes. Wenn Sie geständig sind und den Schaden wiedergutmachen, kann das heute auch ohne eine Verurteilung enden. Das nennt man dann Diversion, da dürfen Sie einfach ein paar Jahre nichts mehr machen.“ Frau S. nimmt das Angebot freudig und dankend an, Staatsanwältin Kristina Jahn hat ebenso wenig Einwände, damit ist die Entscheidung rechtskräftig.

Der Rosenbusch und der Hausbesuch mit Schlagring

Friedrich M. ist einigermaßen erbost, als er vor Richterin Beatrix Hornich sitzt. Dass er sich am Abend des 21. November bei seinem Besuch bei Herrn R. fälschlicherweise als Polizist ausgegeben habe, gibt der 67-Jährige zwar zu. Ebenso, dass er einen Schlagring gezogen und R. körperliches Unbill angedroht habe. „Aber verletzt habe ich ihn sicher nicht!“, beteuert der Angeklagte.

Im Hintergrund steht ein Konflikt: M. scheint überzeugt, dass R. eine Frau belästigt, und wollte sich als Rächer betätigen. Mit einem Freund fuhr der Pensionist zu der Wohnhausanlage in Wien-Simmering. An der Gegensprechanlage sagte er zu R., er sei von der Kriminalpolizei, worauf er eingelassen wurde.

„Er ist mir im Stiegenhaus entgegengekommen, wir waren uns nie näher als vier oder fünf Meter“, sagt der Angeklagte. Ja, er habe einen Schlagring gezeigt, den er sich sicherheitshalber mitgenommen hatte. Und er stellte lautstark fest: „Pass auf, wenn du die Nicole ned in Rua losst, hau i da den Schädl ei!“

„Woher haben Sie denn den Schlagring?“, will die Richterin wissen. Aus der Wohnung seines 1999 verstorbenen Bruders, erklärt der Angeklagte. „Haben Sie gewusst, dass das eine verbotene Waffe ist? Haben Sie sich da nie erkundigt?“, fragt Hornich. „Nein, ich habe ihn ja nie gebraucht.“

Dass er, wie Herr R. bei der Polizei behauptete, mehrmals mit dem Schlagring in R.s Richtung geschlagen und ihn einmal am Handgelenk erwischt habe, stimme definitiv nicht. Es habe ein Wortgefecht gegeben; nachdem R. von einer Verwandten ein Baseballschläger gereicht wurde, seien der Angeklagte und sein unten wartender Bekannter gegangen.

M. hat eine ganz andere Theorie, wie es zu einer Verletzung gekommen sein könnte: R. sei unmittelbar danach noch in einen Raufhandel verwickelt gewesen, habe er erfahren. Von diesem müsse die leichte Prellung am Handgelenk stammen, die im Spital diagnostiziert worden sei.

Der 47-jährige R., der als Zeuge von einer Mitarbeiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in den Saal begleitet wird, stellt das definitiv in Abrede. Er sei gleich nach dem Vorfall mit Herrn M. zunächst zur Polizei und dann ins Spital gefahren. „Es gab sonst keine Rauferei“, erklärt er im Brustton der Überzeugung. Lediglich an einem Rosenbusch habe er sich gekratzt, als er die Wohnanlage verließ, verrät er noch.

Die Auseinandersetzung im Stiegenhaus schildert er dagegen deutlich dramatischer. M. habe zwei oder drei Mal in Richtung seines Gesichts geschlagen und ihn einmal am Gelenk getroffen, als er einen Schlag abwehren wollte. Richterin Hornich fragt über die genauen Platzverhältnisse nach und wird zusehends skeptisch. Der 1,72 Meter große Angeklagte sei demnach tiefer als der 1,80 Meter große R. gestanden, zusätzlich sei noch das Stiegengeländer zwischen den Männern gelegen.

„Hätten Sie nicht einfach einen Schritt zurück machen können? Dann wären Sie ja sicher außer Reichweite des Angeklagten gewesen.“ – „Nein, da stand meine Stieftochter“, behauptet der Zeuge, der auch sagt, er habe aus Angst Tage nach dem Vorfall nicht mehr schlafen können. Dass ihm ein Baseballschläger gebracht worden sei, bestreitet der Zeuge – der Gegenstand, den ihm seine Stieftochter aus der Wohnung geholt habe, sei ein schwarzer Besenstiel gewesen.

Seine Gattin kann als Zeugin wenig beitragen, da sie den Streit im Stiegenhaus nicht verfolgt hat. Umso interessanter ist dafür die Befragung der Stieftochter. Die erklärt, sie sei auf der Treppe schräg über R. gestanden und nicht direkt hinter ihm. Außerdem habe sie nur einen Schlag wahrgenommen. Auf die Frage von Staatsanwalt Bernhard Mascha, ob sie ihrem Stiefvater etwas gebracht habe, schüttelt sie energisch den Kopf und verneint das auch verbal.

Der Staatsanwalt beantragt also eine Protokollabschrift, da sich die Aussagen von R. und der Zeugin eklatant widersprechen und der Verdacht der falschen Zeugenaussage im Raum steht. Doch es kommt noch besser. „Gab es noch eine andere Auseinandersetzung?“, fragt die Richterin. „Ja, gab es“, gibt die Zeugin zu. Ihr Stiefvater und ihr Ex-Freund hätten sich um einen Schlüsselbund gestritten, den der Ex nicht hergeben wollte. Ihr Stiefvater habe diesen Streit aber nicht weiter verfolgen wollen, gibt die Zeugin zu. „Er hat gesagt: ‚Es war ein Ausrutscher, er war auf Alkohol.‘“ – „Hat auch ein Rosenbusch eine Rolle gespielt?“ – Die Zeugin kichert und will dazu nichts sagen.

Wegen der Nötigung und des Besitzes einer verbotenen Waffe entscheidet Hornich sich für eine vorläufige Einstellung des Verfahrens gegen die Bezahlung von 150 Euro Pauschalkosten. Vom Vorwurf der Körperverletzung spricht sie M. dagegen frei – zu widersprüchlich seien die Aussagen der Gegenseite gewesen.

Der von einer Unbekannten angestiftete Kinderschänder

„Die ganze Causa ist abstoßend und pervers“, fasst Helmut Neumar, Vorsitzender des Schöffengerichtes in Korneuburg, die Geschichte von Walter K. und Brigitta S. zusammen. Im Laufe des Verfahrens um schweren sexuellen Missbrauch einer Unmündigen fallen auch andere Beschreibungen: „bizarr“, „unglaublich“, „abscheulich“. Jeder der Begriffe passt.

Der 59 Jahre alte K. verdiente sein Geld damit, in der Firma von S. behinderte Kinder mit dem Bus in die Schule zu fahren. Eine 13-Jährige, körperlich beeinträchtigt und geistig auf dem Niveau einer Zwei- bis Dreijährigen, soll er von September 2016 bis Jänner 2017 mindestens 20-mal missbraucht haben, wirft ihm die Staatsanwältin vor.

„Ich bin schuldig“, bekennt K., dreifacher Vater. Mit seiner Lebensgefährtin war er 14 Jahre zusammen, gleichzeitig hatte er zahlreiche Affären, die er im Internet kennenlernte. „Sie waren ja praktisch permanent on. Da ging es in den Chats ja immer gleich ums Blasen und Ficken“, spricht es der Vorsitzende unverblümt aus. „Sie waren ja immer auf der Suche?“ – „Als Bestätigung“, argumentiert der Angeklagte.

Die bekam er beispielsweise von „Gipsy dewo“, die er 2016 auf Facebook kennen lernte. Man schrieb sich viel, der sonst dominante K. sagt, er sei in der schriftlichen Beziehung mit der Unbekannten der Unterwürfige und süchtig nach „Gipsy“ gewesen: „Ich wollte nur mit ihr schreiben. Mit ihr in Verbindung sein.“

Auch während seiner Fahrten kommunizierte er fernschriftlich mit der Person. Und schrieb ihr einmal, dass sein Opfer, wie schon öfter, seine Nähe gesucht und ihren Kopf in seinen Schoß gelegt habe. „Mach mal dein Hosentürl auf und schauen wir, was passiert“, forderte ihn „Gipsy dewo“ auf. „Und Sie haben das gemacht?“, ist Neumar fassungslos. „Ich habe nicht nachgedacht und das einfach gemacht.“ Zum Beweis fertigte er noch ein Foto an und schickte es „Gipsy“. Das wiederholte sich in den kommenden Wochen.

Im Jänner sei er eines Morgens schweißgebadet und mit schlechtem Gewissen aufgewacht, erzählt K. weiter. Um den Missbrauch zu beenden, versuchte er, die Route abzugeben, oder bat seine Chefin S., ihn zu begleiten. 2017 fand er auf seinem Auto einen USB-Stick mit den Missbrauchsbildern, seine Arbeitgeberin erzählte ihm, dass sie von Unbekannten mit den Fotos erpresst werde. Sogar bei der Polizei zeigte die 54 Jahre alte Frau an, dass sie von einem BMW verfolgt werde, dessen Kennzeichen sich als gestohlen herausstellten.

Schließlich erschien S. bei der Lebensgefährtin von K., zeigte ihr die Bilder und erzählte von der Erpressung. Die Lebensgefährtin schmiss K. hinaus und forderte ihn auf, sich der Polizei zu stellen. Der machte das nicht, daher zeigte ihn am Ende sein eigener Sohn an.

Die Polizei begann zu ermitteln und kam zu einer überraschenden Erkenntnis. Denn im Zuge der Erhebungen wurde die Identität von „Gipsy dewo“ offenbart: Frau S. hatte das Fakeprofil angelegt, sich die Erpresserbriefe selbst geschrieben, Drohanrufe aus Telefonzellen fingiert und die Nummerntafeln des geheimnisvollen BMW gestohlen und in ihrem Hochbeet vergraben.

Ihr Motiv bleibt im Dunkeln. Die vierfach Vorbestrafte erzählt, sie habe K., mit dem sie selbst eine Affäre hatte, des Kindesmissbrauchs verdächtigt und wollte ihn überführen. „Da hätte aber schon ein Foto gereicht!“, wirft der Vorsitzende ein. Dann sagt sie, ihr Ziel sei gewesen, dass K. sich selbst stelle. „Warum sind Sie dann zu seiner Partnerin gegangen und haben ihr die Fotos gezeigt und von der angeblichen Erpressung erzählt?“, hält ihr die Staatsanwältin vor. Antwort bekommt sie keine.

Bei einer Strafdrohung von bis zu zehn Jahren wird K. zu sechs und S. zu vier Jahren Haft verurteilt. Sowohl Angeklagte als auch Anklägerin berufen gegen die Strafhöhe, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig.

Krippenfiguren und Teddybären

„Es gibt Sachen, die glaubt man nicht. Sie haben nur für Teddybären für Ihren Sohn wahrscheinlich ein Kulturgut Österreichs zerstört“, ist Nicole Baczak, Vorsitzende des Schöffensenats, am Ende des Prozesses gegen Marie-Theres E. (Name geändert, Anm.) noch immer fassungslos. Staatsanwältin Leila Ivo geht es in ihrem Schlussplädoyer ähnlich: „Das Ganze zeugt von einer Dreistigkeit, die ich kaum mehr in Worte fassen kann“, fordert sie eine Verurteilung der 31-jährigen E. wegen schweren gewerbsmäßigen Diebstahls. Das Opfer der Unbescholtenen: das Volkskundemuseum Wien. Der Schaden: mindestens 100.000 Euro.

Die Akademikerin war dort als „Kulturvermittlerin“ tätig, wie heute Museumsführer genannt werden. Da E. manchmal auch Gruppen außerhalb der Öffnungszeiten das Museum zeigte, konnte sie auf einen Zentralschlüssel zugreifen. Anfang November 2017 sei die Tür zu einer Werkstatt offen gestanden, berichtet die Angeklagte, die sich schuldig bekennt.

„Ich bin aus Neugier hineingegangen“, erinnert sie sich. „Ich habe zwei Engel gesehen. Die haben mir so gut gefallen. Ich habe so was nie besessen. Aus irgendeinem Grund habe ich sie genommen“, erzählt sie dem Senat. Die Himmelswesen waren Teil der barocken „Jaufenthaler Krippe“, eines der Prunkstücke des Hauses.

Aufgestellt ist die Krippe rund 30 Quadratmeter groß und besteht aus 898 einzelnen Objekten. Es blieb nicht bei einem Diebstahl. Mindestens sechs weitere Male drang die Angeklagte mittels Zentralschlüssel in die Werkstatt ein und stahl 90 Krippenobjekte und 200 Wallfahrtsmedaillons. En passant ging das nicht, wie Anklägerin Ivo herausarbeitet. Denn manche Objekte waren 20 bis 30 Zentimeter groß, sie einfach in die Hosentasche zu stecken war nicht möglich.

Ihre Beute verkaufte E. im Internet in ganz Europa, eine Liste von sieben Käufern gab sie der Polizei. Das waren aber teilweise Großabnehmer, die die begehrten Stücke wieder veräußerten. Der Spur jedes einzelnen Stückes zu folgen ist schwierig.

„Warum?“, will Baczak mehr über das Motiv wissen. „Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen wegen meinem kleinen Sohn“, antwortet E. unter Tränen. „Ich war länger im Krankenhaus und wollte das wiedergutmachen. Ich habe ihm sehr viele Spielsachen gekauft. Teddybären, ein Spielhaus. Und ich wollte, dass er von allem das Beste hat.“

Verteidigerin Ingrid Herzog-Müller und die Angeklagte sagen, es seien nur 5.000 Euro durch die Verkäufe erlöst worden, es seien auch nicht so viele Objekte wie angeklagt gestohlen worden. E. habe im Internet auch selbstgemachte Objekte oder Flohmarktfunde weiterverkauft. Die Vorsitzende sieht das finanzielle Motiv nicht: „Ich habe nachgeschaut: Gegen Sie läuft keine Exekution oder Zivilklage. Wo genau ist das finanzielle Problem?“ – „Ich bin manchmal mit dem Geld nicht ausgekommen.“

Direktor und Angestellte des Museums bestätigen die angeklagten Verluste. „Ist das quasi Ihre Saliera?“, will Baczak von einer Zeugin wissen. „Ja, es gehört sicher zu den wertvollsten Stücken.“ Der Marktwert kann nur geschätzt werden. Aber E. habe die Beute vor dem Verkauf teilweise auch verändert – aus einem Engel einen Teufel gemacht, beispielsweise. Alleine die Wiederherstellung der sichergestellten und wiederausgeforschten Figuren kostet mindestens 100.000 Euro.

Kurios ist die Geschichte, wie E. enttarnt wurde. Die Diebstähle wurden zwar der Polizei gemeldet, zunächst aber nicht öffentlich gemacht. Als das Bundeskriminalamt nach einigen Monaten doch Bilder der Beute auf seine Homepage stellte, berichtete die „Kronen Zeitung“ darüber.