Der Tod hält Einzug: Kriminalroman - Theodor Horschelt - E-Book

Der Tod hält Einzug: Kriminalroman E-Book

Theodor Horschelt

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  • Herausgeber: Alfredbooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Der Tod hält Einzug Kriminalroman von Theodor Horschelt Der Umfang dieses Buchs entspricht 182 Taschenbuchseiten. John Robson Lee, Erdölfachmann von hohen Graden und so einsam wie ein Mensch nur einsam sein kann, lernt in Guatemala City die Journalistin Charlie Eshley kennen und heiratet sie zwölf Stunden später. Praktisch ist es die einzige impulsive, unüberlegte Handlung seines bisher so sauberen, klaren, völlig geordneten Lebens. Er soll sie bitter bereuen.

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Seitenzahl: 217

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Der Tod hält Einzug

Theodor Horschelt

Published by Casssiopeia-XXX-press, 2019.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Der Tod hält Einzug

Copyright

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

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About the Publisher

Der Tod hält Einzug

Kriminalroman von Theodor Horschelt

Der Umfang dieses Buchs entspricht 182 Taschenbuchseiten.

John Robson Lee, Erdölfachmann von hohen Graden und so einsam wie ein Mensch nur einsam sein kann, lernt in Guatemala City die Journalistin Charlie Eshley kennen und heiratet sie zwölf Stunden später.

Praktisch ist es die einzige impulsive, unüberlegte Handlung seines bisher so sauberen, klaren, völlig geordneten Lebens. Er soll sie bitter bereuen.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© Cover by Klaus Dill mit Steve Mayer, 2017

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Prolog

Letzte Woche in Guatemala ...

In der „Casa Antica“ verkehrten: Schieber, Mädchenhändler, Rauschgiftspekulanten und Kongressabgeordnete. Minister erschienen an Sonntagen seltener.

Pedro Dominguez sah den Gringo mit scheelen Augen an. Wie alle Guatemalteken liebte der Wirt den U.S. Dollar und hasste den U.S. Staatsbürger.

An jenem Juni-Sonntag hatte sich auch John Lee in das Lokal verirrt. Krank vor Heimweh saß er am Barhocker und stierte in sein Glas, aber dadurch wurde es auch nicht wieder voll.

Langsam schaukelte der Mixer näher, ein adretter, gutaussehender Latino mit einem unwahrscheinlichen Brillantineverbrauch.

Lee sah ihn an und lächelte. „Ich hatte ein Cuba Libre bestellt, cholo.“

„Nennen Sie mich nicht cholo, Señor!“, entrüstete sich der Mann. „Ihr ... Getränk kommt schon noch. Señor. Es muy occupado – viel Arbeit, Señor.“

„Bestellen Sie lieber ein unverfängliches Getränk, Sir“, sagte plötzlich ein humorvoller Alt. „Fidel Castro steht hier hoch im Kurs, und das Wort Freies Kuba hört man gar nicht gern.“

Als er den Blick hob, sah er das Profil der jungen Frau. Sie hatte rotblondes Haar und eine weiße Haut, wie sie Frauen nur haben, wenn diese Haarfarbe echt ist. Sie saß zwei Hocker weiter rechts von ihm. Ihre Augen schillerten wie irische Bergseen.

Er wandte den Blick und sah sie groß an.

„Verzeihen Sie, wenn ich Sie so anstarre. In Chubut und Santa Cruz gibt es keine rothaarigen Frauen. Während dreier Jahre habe ich dort keine einzige gesehen.“

„Oh!“, rief sie überrascht. „Sie leben im südlichen Argentinien?“

„Ich lebe überall, wo es Erdöl gibt.“

„Sie sind Bohrmeister?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin Mineningenieur, Ölsucher und Einmann-Feuerwehr. Im Augenblick bin ich krank vor Heimweh. Ich war sechs Jahre nicht mehr zu Hause in England und fliege morgen oder übermorgen über New York nach London.“

„Warum haben Sie den großen Umweg über Guatemala City gemacht?“ Sie sah ihn prüfend an. „Erdöl gibt es hier auch keines ...“

Er lächelte. „Ich wollte einen alten Freund treffen, aber er hat telegraphisch abgesagt. Ich ... “ Er unterbrach sich mitten im Satz, weil der betrunkene Gringo, der den allgemeinen Unwillen auf sich gelenkt hatte, etwas schwankend aus seiner Separeenische heraus zur Theke kam und die Rotblonde ansprach.

„Kennen wir uns nicht vom Sehen, Schätzchen?“

Er wandte dabei Lee den Rücken zu. Er war etwa in Lees Alter. Klein, drahtig, schwarzhaarig, ein spanischer Typ mit einem rasiermesserdünnen Schnurrbart auf der Oberlippe. Auf der linken Wange trug er eine schlecht verheilte, blutrote Narbe in Blitzform.

Die Unbekannte wandte sich schweigend und unwillig von ihm ab, was ihn nicht daran hinderte, weiter auf sie einzusprechen. Lee verstand nur einzelne Wortfetzen: „Herbert ... Rausch ... tot.“ Oder: ... rot?

„Lassen Sie mich bitte in Frieden, Señor!“, bat die Rotblonde unwillig.

„Das könnte dir so passen, Schätzchen! Und von wegen Señor! Du weißt ganz genau ... “

„Halt!“ Hier legte sich John Lee ins Mittel. Er sprang vom Hocker herunter, packte den Gringo bei den Schultern und wirbelte ihn zu sich herum. „Halt, Sir, Sie sehen doch, dass die Dame auf eine Unterhaltung mit Ihnen keinen Wert legt. Lassen Sie sie zufrieden, ich bitte Sie.“

Der Mann mit der Narbe stutzte und dachte nach. „Sir“, erwiderte er sodann mit Würde, „mischen Sie sich da besser nicht ein!“

„Doch, ich mische mich ein“, beharrte Lee auf Spanisch – er wusste, warum! – auf seinem Standpunkt, „weil Sie eine Dame unverschämt belästigen! Señores: Que el hombre salga de aqui en ol acto!“ Auf Englisch fuhr er, für den Nordamerikaner bestimmt, energisch fort: „Falls Sie kein Spanisch verstehen, Sir. Dort ist die Tür!, habe ich soeben gesagt.“ Er zeigte mit dem Finger in die Richtung.

Der Gringo starrte ihn an und schlug plötzlich zu. Er war sehr gewandt und verstand zu boxen. Lee war noch gewandter und verstand noch mehr davon. Er fing den Aufwärtshaken mit der linken Schulter ab, riss die linke Hand deckend hoch und versetzte dem Amerikaner einen kurzen geraden Haken auf die Kinnspitze. Ein hässliches, trockenes Geräusch erklang, als Ober- und Unterkiefer des Geschlagenen zusammenklappten. Der Mann, der diese Behandlung selbst herausgefordert hatte, kippte nach hinten um und blieb bewusstlos liegen. Die Zeugen des Blitzkampfes klatschten und trampelten begeistert Beifall. Der Rausschmeißer des Lokals – ein zwei Zentner schwerer Mestize – packte den Bewusstlosen und warf ihn achtlos vor die Tür.

„Señores“, verkündete Lee mit Würde, „wollen Sie mir die unverdiente Ehre antun, zu einer Lokalrunde meine geehrten Gäste zu sein?“

Danach kannte die Begeisterung keine Grenzen.

„Danke!“, sagte die Rotblonde strahlend. „Sie haben mich aus einer recht unangenehmen Lage befreit, Mister ... Mister ...?“

„Lee, John Robson Lee. Meine Freunde nennen mich John.“

„Charlotte Eshley – für meine Freunde Charlie.“

Danach fiel ihm ein, dass er ebenso gut auf dem Hocker neben ihr sitzen könne und nahm dort Platz.

*

„KENNEN SIE DEN GRINGO, Charlie?“, fragte Lee neugierig.

„Seit heute Abend“, erwiderte sie trocken. „Er verfolgte mich seit Stunden auf Schritt und Tritt. Warum hat er sich nicht für eine andere Frau interessiert? Es gibt hier doch soviel davon.“

„Aber nur eine Charlie! Ich kann den Burschen schon verstehen.“

„Danke!“

Er fasste sich ein Herz und sagte: „Sie sind ganz allein hier – ich bin ganz allein hier – was hindert mich, Sie zum Essen zu entführen?“

„Dauert es bei Ihnen immer so lange, bis gute Gedanken zur Reife gedeihen?“, fragte sie augenzwinkernd.

John fand sie hinreißend. Sie war etwas über mittelgroß, sehr schlank und hatte eine makellose Figur mit einer hohen, straffen Brust, einer schmalen Taille und zärtlichen Hüften. Ihre Beine waren gerade und rassig, aber sie zeigte nicht mehr davon, als eine Dame zeigen darf, ohne sich etwas zu vergeben. Ihr dünnes Silberlamé-Kleid schien mit einer Spritzpistole auf die Haut aufgetragen. Das hätte sich eine nur ein wenig fülligere Frau nicht leisten dürfen. Ihr stand es. Make-up verwandte sie nur sehr sparsam. Dank ihrer zart gebräunten Haut hatte sie es auch gar nicht nötig. Allein ihr üppiger, rot geschminkter Mund hätte einen lyrischen Dichter zu herrlichen Versen inspiriert.

Später aßen sie in einem chinesischen Restaurant ein fernöstliches Dinner mit 20 Gängen.

John erzählte Charlie, dass er Maracaibo und Feuerland so gut kenne wie Saudi-Arabien und Persien, und sie berichtete ihm, dass sie ebenfalls beruflich die ganze Welt kennengelernt habe. Zuletzt sei sie jahrelang Südamerikakorrespondentin des „Australian Globe“, Canberra, gewesen, momentan aber ohne Job. Sie wolle sich, wie er, einen Halbjahresurlaub gönnen, wisse aber noch nicht, ob in Übersee oder in der alten Heimat.

Auch ein Dinner mit 20 Gängen geht einmal zu Ende. Er fragte Charlie: „Was machen wir jetzt mit dem angefangenen Abend?“

Und sie erwiderte: „Gehen wir tanzen!“

Er machte ihr eine schwungvolle Verbeugung und war fair genug, sie zu warnen. „Meine Gelenke sind eingerostet wie die Glieder einer alten Ritterrüstung, aber ich möchte meinen Arm um Sie legen, selbst um den Preis, dafür tanzen zu müssen.“

„Kommen Sie mir jetzt ja nicht mit faulen Ausreden, John!“ Sie drohte ihm mit dem Finger.

Später gingen sie ins „El Cruceiro“ und fanden die Bar und das Barorchester überwältigend. Um halb vier Uhr brachte er sie zu ihrem Hotel. Charlie gab ihm die Hand und bedankte sich für den reizenden Abend.

„Wenn Sie mich jetzt bitten, Sie zu einem Drink auf meinem Zimmer einzuladen, sage ich nicht nein“, murmelte sie mit halb geschlossenen Augen, „es wäre aber sehr zartfühlend und verständnisvoll, wenn Sie sich die Bitte verkneifen würden.“

Er verkniff sich die Bitte und küsste sie zum Abschied. Es war ein vielversprechender Kuss, der sein Blut in Wallung brachte, und er fragte sie heiser, ob er sie zum Mittagessen abholen dürfe.

„Ich wäre sehr enttäuscht, wenn Sie es nicht tun würden“, hauchte sie.

*

ALS ER SIE ZUM ESSEN abholte, hatte sich zwischen ihnen nichts geändert, und er glaubte sie tausend Jahre schon zu kennen. Er sagte es ihr auch, und es schien sie glücklich zu machen.

„Wie lange werden Sie noch in Guatemala City bleiben, John?“, fragte sie beim Nachtisch und der Unterton ungeweinter Tränen schwang in ihrer Stimme mit.

„Solange Sie wollen, Charlie“, erwiderte er und ließ sie dabei nicht aus den Augen. „Eines Tages wird unsere Trennung ja doch kommen müssen – es sei denn, Sie könnten sich dazu entschließen, mich nach London zu begleiten ...“

Er hatte Herzklopfen, als er sie nach dieser Einladung ansah.

„Schön müsste es sein, wieder einmal die alte Heimat zu sehen“, murmelte sie zögernd und niedergeschlagen, „aber es würde unsere Trennung nur hinausschieben, und eines Tages stünde ich allein und verlassen in der Riesenstadt, hilflos den Schatten der Vergangenheit preisgegeben.“

Sie sah auf. „Mit meinen sechsundzwanzig Jahren bin ich manchmal wie ein romantischer Teenager. Es gab zu Hause eine Zeit, da war ich unsagbar glücklich. Ich heiratete ganz jung. Der Himmel hing uns voller Geigen. Nach kaum einjähriger Ehe verunglückte mein Mann tödlich. Seitdem ist mir England verleidet.“

„Schlimm“, sagte er, „sehr schlimm!“, und kam sich dabei schrecklich töricht und primitiv vor. „Aber in unserem Alter kann man die Fesseln der Vergangenheit noch abstreifen und ein neues, dauerhaftes Glück aufbauen.“

„Ja, wirklich?“ Sie sah ihn aus tränenfeuchten Augen an. „Ich weiß nicht recht. Manchmal bin ich so mutlos.“

„Aber wenn Sie einen festen Halt hätten, hätten Sie keine Angst mehr, zu fallen. Ist es das?“

Sie nickte scheu.

„Kommen Sie mit!“ Er sah sie beschwörend an. „Kommen Sie mit als meine Frau.“

*

ES DAUERTE DREISSIG Minuten, bis er ihr die letzten Einwände ausgeredet hatte.

Um sofort heiraten zu können, brauchten sie eine Lizenz und wandten sich darum an die Britische Gesandtschaft. Dort wäre der Plan um ein Haar ins Wasser gefallen, weil Charlie nur einen britischen Fremdenpass aus Singapore besaß. Zum ersten Male lernte sie die dynamische Energie ihres zukünftigen Mannes kennen, als er den Gesandschaftsrat bearbeitete. Dass Charlie britische Staatsangehörige und seit Jahren verwitwet sei, sei doch klar, nicht wahr! Klar sei dementsprechend auch, dass sie einen Landsmann heiraten könne, der ledig und auch sonst ehefähig sei. Etwas anderes wolle man doch gar nicht, als die Heirat. Na bitte!

Der wackere Beamte gab sich geschlagen und murmelte vorsichtig, bei wohlwollender Auslegung der diesbezüglichen Vorschriften und Gesetze und in Anbetracht des Umstandes, dass ein echter Notfall vorliege – hier zwinkerte er unverschämt mit den Augen – könne er die Trauung gerade noch zur Not verantworten.

Als die Zeremonie vorüber war, war es Charlie, die ihm spontan an den Hals flog und unter Tränen flüsterte, dass sie ihn über alles liebe und sich redlich Mühe geben wolle, ihm eine gute, treue und gehorsame Ehefrau zu sein.

„Und falls du eines Tages doch zu der Überzeugung gelangen solltest, dass unsere Heirat ein voreiliger, unvernünftiger Schritt gewesen sei, sagst du es mir, und ich gebe dir ohne jede Hysterie deine Freiheit.“

„Halt, kein Wort weiter, Mrs. John Robson Lee!“, unterbrach er sie streng. „Oder die erste eheliche Körperverletzung findet vor Zeugen noch am Tatort statt!“

Charlie weinte vor Glück und Rührung.

1.

Eine Frau zwölf Stunden kennen und danach sofort heiraten – das muss schief gehen!, hatte sich John Lee in verschiedenen lichten Momenten immer wieder selbst vorgehalten. Die Tatsachen wussten es jedoch anders, und das allein zählte. Charlie war eine zärtliche, nachgiebige, großzügige und erfahrene Ehefrau. Immerhin war es bereits ihre zweite Ehe, und sie war acht Jahre älter als achtzehn.

Am Abend des vierten Tages nach ihrem ersten Kennenlernen erreichte das frischgebackene Ehepaar Lee London.

„Bitte Rauchen einstellen! – Passagiere bitte anschnallen, wir landen in drei Minuten!“

Überall leuchteten an den Kabinenwänden rote Warntafeln auf, außerdem sagte es die Stewardess mit freundlich-überredendem Tonfall über die Bordsprechanlage durch.

„Wir sind in der alten Heimat, meine liebe verehrte Mrs. Lee!“ John sah seine schöne Frau von der Seite her an, die die Blicke der Männer wie ein Magnet auf sich zog. „Morgen schließe ich mit The British eine Artikelserie unter dem Titel Ich heiratete Miss World ab!“

Zehn Minuten später rollte die Maschine zum Abfertigungsgebäude im Zentrum von London Airport, wurde immer langsamer und blieb am Ende ganz stehen.

London bereitete den Lees, die jahrelang nicht mehr in ihrer Heimat gewesen waren, einen hässlichen Empfang. Es goss wie aus Kannen, die Nacht hatte einen nebeligen Anstrich, kaum konnten sich die vielen verwirrenden roten, grünen und gelben „Feuer“ und Scheinwerfer gegen Nacht und Wolkenbruch durchsetzen.

Galant half John seiner Frau in den Regenmantel hinein, ehe er den eigenen anzog; das Ehepaar war auf schlechtes Wetter vorbereitet. An Handgepäck nahm er seine Aktenmappe und einen kleinen Saffiankoffer, Charlie seine zweite Aktenmappe, ihre große Handtasche und ihren Necessairekoffer an die Hand.

Vor der Zollschleuse herrschte wegen des Unwetters ein schreckliches Gedränge.

Vorübergehend wurde Charlie von John getrennt. Ein mittelgroßer, sportlich-eleganter junger Mann in einem vor Nässe glänzenden Lederölmantel und einem breitkrempigen Wetterhut kam mit seltsam wabbelnden Schritten aus dem Dunkel näher und prallte im nächsten Augenblick so heftig mit Charlie Lee zusammen, dass sie entsetzt ihr Gepäck fallen ließ und um ein Haar gestürzt wäre. Der Schuldige bekam sie gerade noch an beiden Armen zu fassen und stellte sie unter gemurmelten Entschuldigungen wieder auf die Beine. Danach half er ihr beim Aufsammeln ihrer Gepäckstücke.

Ein überaus großes und dickes Ehepaar versperrte John vorübergehend die Sicht. Erst bei der Zollabfertigung bemerkte er plötzlich, dass er hinter Charlie stand. Die Beamten vom Dienst waren sehr großzügig; von einer exakten Durchsuchung des Reisegepäcks konnte nicht die Rede sein.

Der Bus der PAA brachte das Ehepaar zum Waterloo-Air-Terminal. Die Fahrt dauerte „nur“ eine volle Stunde. Danach fuhren sie im Taxi noch einmal fünfzehn Minuten bis zum Scotch Guard Hotel, wo John telegrafisch ein Appartement vorausbestellt hatte.

Erst beim Auspacken im Schlafzimmer fiel ihm das Fehlen von Charlies Necessairekoffer auf, und er machte sie sofort darauf aufmerksam.

„Ich weiß auch nicht, wo er geblieben ist“, rief er ärgerlich. „Erinnerst du dich nicht? In dem Gedränge bei der Zollschleuse bist du mit einem jungen Mann zusammengestoßen. Er hat sicher den Koffer gestohlen ... “

„Seit wann verdächtigst du Unbekannte so ungerecht?“, fragte sie kopfschüttelnd. Triumphierend öffnete sie seine zweite Aktenmappe, die sie auf dem Weg vom Flugzeug ins Hotel ständig bei sich getragen hatte, und öffnete sie. Ihre Schmuckkassette purzelte heraus, sowie der übrige Inhalt des Necessaires.

„Sie sind ein oberflächlicher Beobachter, Mr. Lee!“, neckte sie ihn. „Sie sehen Gespenster, also in unserm Falle, Dinge, die es gar nicht gibt. Der Necessairekoffer schwimmt nämlich mit dem großen Gepäck auf dem Wasser. Er war mir viel zu unhandlich. Deshalb habe ich mir erlaubt, das Wichtigste und Kostbarste in deine zweite Aktentasche zu packen, und deren Inhalt unauffällig in deine erste mit einzupacken. Und du, Darling hast gar nichts davon bemerkt. So ein tüchtiges Frauchen hast du!“ Lachend warf sie sich in seine Arme und es dauerte keine Minute, bis er den unwichtigen Necessairekoffer vergessen hatte ...

*

IN JENEN TAGEN BETRACHTETE John seine wunderschöne Frau nicht selten neugierig, wenn er sich von ihr unbeobachtet wusste. Er konnte einfach nicht glauben, dass er sie erst eine Woche kannte. Ihm war zumute, als hätte es in seinem Leben nie eine Zeit ohne Charlie gegeben.

Manchmal kamen freilich auch Augenblicke, wo er sich besorgt fragte, ob er sie wirklich kenne. An ihrer Haltung und an ihrem Benehmen gab es nichts zu klagen, wogegen sie in anderer Hinsicht ausgesprochen desinteressiert erschien.

Er war sehr stolz auf seine schöne, lebenslustige junge Frau und gern bereit, ihr jeden gewünschten Luxus zu gönnen.

Dabei machte er die neue Entdeckung, dass es schwer war, ihr einen Luxus zu gönnen, den sie noch nicht besaß. Ihre Ausstattung an Kleidern, Wäsche und Koffern war dem Umfang nach bescheiden, nicht aber in der Qualität. Alles, was sie besaß, war vom Teuersten und Besten. Dass es so war, schien sie als selbstverständlich hinzunehmen. Wie viele Menschen, die sich ihre Position in der Sonne hart erringen müssen, war John sparsam, aber er neigte nicht zu Geiz. Im Gegenteil, er hatte eine ausgesprochen großzügige Ader. Schon vor dem Flug über den Atlantik hatte er die erstbeste Gelegenheit ausgenützt, mit Charlie über ihr zukünftiges gemeinsames Leben zu sprechen, und dabei den Versuch gemacht, ihr ein äußerst wohlwollend bemessenes Taschengeld aufzudrängen.

Sie hatte das weit weggetan und eine vage Ausrede gebraucht des Inhalts, sie besitze selbst genug und würde sich, falls eins Tages der eigene Mammon ausginge, schon an ihn zu wenden wissen.

Manchmal überfiel ihn eine heiße Angst, sie habe ihn vielleicht in ganz bestimmter Absicht – die er freilich nicht ergründen konnte – geheiratet und betrachte ihre Ehe mit ihm als eine Art Übergangsstadium, aus dem sie sich nach Lust und Laune oder bei Bedarf jederzeit wieder lösen könne.

Noch bestürzender war für ihn die klare Selbsterkenntnis, dass er ohne sie nicht mehr leben mochte. Er konnte es sich einfach nicht mehr vorstellen, einspännig durchs Leben zu gehen, nachdem einmal eine Charlie Eshley Seite an Seite mit ihm gewandelt war.

Sie bewohnten ein sehr schönes und entsprechend teures Zimmer in der dritten Etage, Nummer 67. Alles war in Lindgrün und Altgold gehalten. Es war ein richtiges Hochzeitskabinett, eigentlich schon ein Appartement, denn es besaß einen abgeteilten Wohnraum und ein Bad. Telefonanschluss war hier selbstverständlich.

Am Sonntagabend begannen die geheimnisvollen Vorgänge und Verwicklungen, die ihm so sehr zu denken gaben, und die einen unguten Ausgang nehmen sollten.

Kurz vor dem Abendessen saß Charlie in einem verführerischen Bademantel vor dem Frisiertisch. Sie hatte eben ihr herrliches Haar mit hundertfünfzig Bürstenstrichen bearbeitet und war jetzt dabei, ihre Fingernägel blutrot zu lackieren.

„Vermutlich haben Sie sich für heute Abend viel vorgenommen, Mrs. Lee“, neckte er sie. Er trat hinter sie, beugte sich zu ihr nieder und küsste sie auf die Schulter.

„Sei vorsichtig, Darling“, bat sie ernsthaft, „sonst verschmierst du mir den Lack. Nein, nicht küssen, fang nicht schon wieder damit an, sonst ist die ganze Mühe vergebens gewesen. Hilf mir lieber beim Anziehen. Du weißt doch, dass ich bei den engen Kleidern den Reißverschluss nicht ohne deine Hilfe zu bekomme.“

„Muss es denn immer ein hautenges Kleid sein, Schätzchen?“, fragte er, immer noch gutgelaunt. „Du bist auf dem besten Weg, im Scotch Guard Hotel eine Palastrevolution zu entfesseln. Die Damen werden grüngelb vor Neid, wenn sie dich nur auftauchen sehen, und die Herren zwischen achtzehn und achtzig bekommen wankende Knie.“

Charlie zuckte die Achseln. „Daran sind sie nur selber schuld!“ Sie grinste, was ihr reizend stand, und fuhr sich blitzschnell mit der Zunge über die Lippen. „Sie brauchen ja nicht hinzusehen. Ich bin nicht scharf auf sie.“ Sie erhob sich und streifte, ehe er ihr hatte helfen können, den Bademantel ab. Was sie danach noch am Leibe trug, war nicht der Mühe wert, beschrieben zu werden.

„Und jetzt hilf mir bitte ...“

Sie wählte für diesen Abend ein graues Seidenkleid, das sie überaus jugendlich erscheinen ließ.

Wenn es nach John gegangen wäre, hätte man das Abendessen auf dem Zimmer eingenommen. Er wagte es aber nicht, Charlie einen entsprechen den Vorschlag zu machen, denn damit wäre er schön bei ihr angekommen.

Sie verfügte über einen beneidenswerten Appetit und gab sich nicht die geringste Mühe, ihn zu zügeln. Sorgen mit der Figur schien sie nicht zu kennen.

„Tja!“, sagte sie, als sie angezogen war, und drehte sich noch einmal begutachtend vor dem Spiegel. „Gehen wir also hinunter, gehen wir essen! Ich habe einen Hunger wie eine ganze Meute sibirischer Steppenwölfe. Aber vorher noch etwas anderes, Liebling: Wenn man eine junge Frau sein eigen nennt, hat man auch gewisse Verpflichtungen. Zum Beispiel die, sie am Abend in ein Nachtlokal auszuführen.“

Er lachte sie einfach aus. „Manchmal frage ich mich, Liebes, ob du wirklich eine Engländerin bist“, sagte er achselzuckend. „Denn als gebürtige Engländerin müsstest du wissen, dass es an Sonntagen kein Nachtleben gibt.“

Sie musterte ihn aufmerksam. „Ich kann dir das gepfefferte Kompliment zurückgeben. Der, der sich nicht im Londoner Nachtleben auskennt, heißt John Robson Lee! Natürlich gibt es kein öffentliches Nachtlokal, das auch am Sonntag geöffnet hat. Aber es gibt Clubs, wo man nur Mitglied zu werden braucht und dann zu allen Zeiten ankommt. Auch am Sonntagabend.“

„Hast du einen bestimmten Club im Sinn?“

„Habe ich. Den Holborn Club am Vitch Lane.“

„Und kennst du jemand, der dich dort einführt?“

„Ich kenne jemand, der dich dort einführt, mein Herr und Gebieter, nämlich mich. Mit anderen Worten: Ich bin dort Mitglied. Wenn ich die gepfefferten Jahresbeiträge nachbezahle, kann ich meine Mitgliedschaft wieder aufleben lassen. Vielleicht erlässt man mir auch die Nachzahlung, sofern ich dem Clubsekretär schöne Augen mache.“

„Sie sind eine verheiratete Frau, Mrs. Lee!“, warnte er sie, „und ich untersage Ihnen ganz energisch, irgend jemand schöne Augen zu machen außer dem eigenen Mann.“

„Dann lasse ich’s sein und greife in die Tasche. Dem Hausfrieden zuliebe.“ Sie erhob sich, drehte sich rasch um, legte ihm die Arme um den Hals und schmiegte sich an seine Brust.

„Und jetzt habe ich wirklich Hunger“, flüsterte sie. „Komm, wir wollen hinuntergehen. Gehen, habe ich gesagt, denn der verflixte Aufzug ist bereits wieder außer Betrieb. Eine Schande in einem so teuren Hotel.“

Gemeinsam verließen sie das Zimmer und traten auf den Korridor hinaus.

John wandte sich um, um die Tür zu schließen und abzusperren, und hörte in diesem Augenblick hinter seinem Rücken eine anmaßende Stimme erstaunt sagen: „Guten Abend, Mrs. Herbert! Auch wieder einmal in London?“

Verwundert drehte er sich um und sah, dass ein schlaksiger Mann mittleren Alters im Abenddress bei Charlie stehengeblieben war. Ein einziger Blick in Charlies Gesicht zeigte ihm die Sturmwarnung. Sie hatte die Augenbrauen zusammengezogen und auf ihrer Stirn stand eine steile Falte.

„Ich bin nicht Mrs. Herbert, Sie verwechseln mich“, sagte sie unwillig.

„Aber ich bitte Sie! Da ist ein Irrtum gar nicht möglich ...“

Charlie wandte sich brüsk zu John um. Ihre Augen sprühten Blitze. „John, Lieber, würdest du diesem aufdringlichen Gentleman klarmachen, dass ich Mrs. John Robson Lee bin?“, bat sie nervös.

Das Gesicht des jungen Mannes wurde jäh verschlossen. Er machte eine angedeutete Verbeugung. „Ich bitte tausendmal um Entschuldigung. Erst jetzt sehe ich, dass ich mich tatsächlich geirrt habe“, sagte er mit anmaßender Stimme frostig.

Ehe John eine Bemerkung machen konnte, wandte sich der Fremde um und ging eilig zur Treppe.

Charlie zuckte die Achseln und kniff ein Auge zusammen. Aber es galt nicht ihrem Mann.

John trat einen Schritt zurück und hob langsam den Blick.

Dort, wo der Korridor einen Knick machte, stand ein kräftig gebauter, steifer alter Herr in altmodischer Kleidung und nickte zustimmend mit dem Kopf. Er hatte einen völlig haarlosen Schädel, der an eine riesige Billardkugel erinnerte, und trug im linken Auge ein gefasstes Einglas, von dessen Öse ein Seidenband zum Smoking-Revers herabpendelte. Er war etwa eins-fünfundachtzig groß; John schätzte sein Gewicht auf hundertfünfzig Pfund.

Im nächsten Augenblick wandte er sich ab und verschwand im Seitengang.

„Kennst du den Herrn, der wie ein Schmierenschauspieler aussieht, der den Herzog spielt?“, fragte John unwillig, der solche Typen nicht mochte.

„Du siehst Gespenster, Liebster!“ Charlie lachte mit erzwungener Lustigkeit. Dann hakte sie sich besitzergreifend bei ihrem Mann ein. „Komm, John, Lieber, wir wollen in den Speisesaal gehen, sonst verhungere ich.“

*

GEGEN ZWEIUNDZWANZIG Uhr hielt das Taxi vor einem hässlichen alten Haus am Vitch Lane.

Das Ehepaar stieg aus. John entlohnte den Taxifahrer.

„Hier sollte man eigentlich nur im eigenen Wagen vorfahren“, murmelte Charlie nachdenklich. „Ob ich in den nächsten Tagen versuche, einen zu bekommen?“

„Ist doch nicht nötig“, John grinste stolz. „Die Familie Lee bekommt morgen einen funkelnagelneuen Jaguar F.“

Charlie stieß einen Freudenschrei aus und fiel John auf offener Straße um den Hals. „Schatz, du bist einmalig!“, rief sie erregt, ganz außer Atem. „Du scheinst ein Krösus zu sein.“

John ließ diese Behauptung auf sich beruhen. Ihn quälte augenblicklich eine andere Frage. Er hatte das hässliche, verkommene alte Haus gesehen, in dem sich der Holborn Club befand, und hatte Bedenken, überhaupt hineinzugehen.

Charlie lachte ihn einfach aus. „Sei kein Fisch, Liebster“, sagte sie spöttisch. „Außerdem kann ich dir versichern, dir werden gleich die Augen übergehen.“ Sie fasste ihn am Handgelenk, zog ihn zur Tür und drückte dreimal kurz und zweimal lang auf den Klingelknopf.

Sofort ertönte ein leises Summen. Jemand hatte den elektrischen Türöffner in Betrieb gesetzt.

Sie gingen durch einen langen, schmalen, nur durch nackte Glühbirnen erhellten Gewölbegang zu einer Tür, die sich automatisch öffnete. Dahinter hielt eine Liftkabine.

Sobald John die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging es abwärts.

Als der Lift mit einem Ruck hielt, öffnete sich wieder automatisch die Tür – und jetzt gingen John tatsächlich die Augen über. Er trat heraus und stand in einer mäßig großen, ganz mit rotem Samt ausgeschlagenen, indirekt beleuchteten, gut gelüfteten Garderobe.

Während John Charlie aus dem Mantel half, öffnete sich die Klapptür zum Hauptraum und ein etwa fünfunddreißigjähriger, fuchsgesichtiger Gentleman im Frack trat heraus. Mit strengem Gesichtsausdruck ging er auf das Ehepaar zu und blieb stehen. Er schien Charlie zu erkennen.

„Guten Abend, meine Herrschaften!“, sagte er aufgeregt. „Der und jener segne meine Augen, wenn das nicht Miss Charlie Eshley ist!“