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Ein Märchen voller Zauber, Freundschaft und der Suche nach dem Glück. Im Tal des Agno, wo die Dolomiten auf sanfte Hügel treffen und Nebelgeister durch Wälder tanzen, beginnt ein zauberhafter Traum - der Traum von Recoaro Terme. Lucia und Elisa wachsen in einer malerischen norditalienischen Landschaft auf, wo die Luft nach Kräutern duftet und Wasserfälle Geschichten flüstern. Als sie sich zum ersten Mal begegnen, ahnen sie nicht, dass ihre Freundschaft durch ein magisches Band verbunden ist. Eine geheimnisvolle Fee gewährt ihnen drei Wünsche - doch das Leben stellt sie vor Prüfungen, auf die kein Märchen sie vorbereiten kann. Die Zeit vergeht, Kindheitsträume verblassen, doch als Elisa einem geheimnisvollen Sänger begegnet, scheint sich ein alter Wunsch zu erfüllen. Doch ist Vittorio wirklich der Traumprinz, den das Schicksal für sie bestimmt hat? Zwischen den Höhen der Dolomiten und den Tiefen eines sehnsuchtsvollen Herzens entspinnt sich eine Geschichte über das Erwachsenwerden, über Verluste, Wunder - und über die Macht der Hoffnung. Kann ein Kindheitswunsch das Schicksal lenken? Ein poetischer Märchenroman über Liebe, Freundschaft und den Zauber verborgener Wünsche - zart wie Nebelschleier, stark wie ein Wasserfall.
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Seitenzahl: 162
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.
Siehe Wikipedia.
Sie veröffentlichte bisher über 110 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.
Das Tal des Agnos liegt südlich der kleinen Dolomiten im nördlichen Italien. Nicht weit von der kleinen Stadt Valdagno befindet sich der berühmte Ort Recoaro Terme, der bekannt ist für die gleichnamige Quelle, aus der ein besonders gutes Wasser fließt. Auch der romantische Wasserfall zwischen Felsen und Schluchten wird gern besucht, aber nur wenige wissen etwas von dem Märchen, das sich an diesem Ort ereignet hat. Lassen Sie sich verzaubern von der Geschichte eines ganz besonderen Traumes!
Wo sind wir?
Im Tal des kleinen, italienischen Flusses Agno begegnen sich die Ausläufer der kleinen, aber dennoch gigantischen Dolomiten und der Charme des sanfte grünen und hügeligen Hinterlandes der geschichtsträchtigen Stadt Vicenza. Wir befinden uns in Venetien.
Hier bestaunen wir antike Bauwerke, tauchen in vergangene Jahrhunderte ein und genießen das Flair der italienischen Lebenskunst. Was könnte diese Vielfalt noch bereichern? Ein springender Wasserfall in einer Felsschlucht und eine Quelle, aus der ein berühmtes Wasser sprudelt?
Wie von Zauberhand eingefügt finden wir beides, wenige Kilometer hinter Valdagno in Recoaro Terme.
Da ist es kein Wunder, dass sich in dieser Gegend auch Märchen und Mythen zu Hause fühlen.
Es war einmal…
In einem kleinen Dorf nahe Valdagno, da lebte der Postbeamte Pietro mit seiner Frau Maria. Nach ihrer Hochzeit, die im Kreise der großen Familie gefeiert wurde, wünschte sich das Paar ein Kind, aber sie warteten einige Jahre vergeblich. Täglich besuchte Maria die Kirche der Heiligen Giuliana in Recoaro Terme und betete darum, schwanger zu werden.
Doch die Geduld der jungen Frau wurde auf die Probe gestellt. Erst nach sieben langen Jahren wurden ihre Gebete erhört. Der Himmel schenkte Pietro und Maria in den ersten Tagen des Frühlings ein Kind, ein gesundes Mädchen.
Sie nannten es Lucia, und gleich von Anfang an bemerkten ihre Eltern, dass die Kleine ein fröhliches Baby war.
Der Postbeamte und seine Frau waren dankbar und glücklich und freuten sich über dieses Himmelsgeschenk.
Auf der anderen Seite des Flusses Agno lebte ein Lehrer mit Namen Massimo. Er war verheiratet mit seiner bildschönen Frau Elena, die die feinsten Spitzenarbeiten des Tales herstellen konnte. Seit einigen Jahren freuten sie sich über ihre beiden Söhne Enno und Roberto, und nun, wenige Tage nach Lucias Geburt, brachte Elena ihr drittes Kind, ein Töchterchen zur Welt. Sie nannten das Mädchen Elisa und freuten sich über den Familienzuwachs.
Lucia und Elisa begegneten sich das erste Mal in der Schule, als die Lehrerin die beiden Mädchen nebeneinander in eine Bank setzte.
Das war der schicksalhafte Beginn einer besonderen Geschichte.
Der Anfang
Drei Tage saßen die beiden Mädchen in der Schule nebeneinander, ohne eine Silbe miteinander zu reden. Nur ein paar verstohlene Blicke wanderten hin und her, aber weder Lucia noch Elisa wagten es, ein Wort an die Tischnachbarin zu richten.
Der freundlichen jungen Lehrerin war dies nicht entgangen, und weil sie bemüht war, in der Schulklasse ein gutes Miteinander zu fördern, schickte sie die beiden Kinder in den Schulgarten. „Ich möchte gleich mit euch über ein paar Kräuter sprechen. Elisa und Lucia, ihr beide geht bitte zum Kräuterbeet und pflückt von jeder Pflanze ein paar Zweiglein ab.
Die beiden Mädchen erhoben sich von ihren Plätzen und begaben sich zum Pult der Lehrerin, um den Sammelkorb in Empfang zu nehmen.
„Tragt ihn zusammen!“ riet die Lehrerin. „Wenn er voll ist, wird er schwer sein, dann ist es besser, wenn ihr beide gemeinsam darauf aufpasst.“
Schweigend gingen die beiden Mädchen mit dem Korb nach draußen, liefen über den Schulhof und erreichten das Kräuterbeet, das duftend vor ihnen lag.
„Ich fange vorn an, und du beginnst von hinten“, schlug Elisa vor.
„Nein, ich fange vorn an, und du beginnst von hinten“, entgegnete Lucia.
„So geht das nicht“, fand die Tochter des Lehrers. „Wenn wir uns so nicht einigen können, müssen wir es anders machen. Dann fangen wir eben beide in der Mitte an und arbeiten uns beide nach den Seiten hin zum Ende und zum Anfang vor.“
„Genau das wollte ich auch gerade vorschlagen“, antwortete die Tochter des Postbeamten. „Warum sollten wir uns auch wegen ein paar Kräutern streiten?!“
Sie stellten den Korb in die Mitte und trugen kleine Äste und Zweiglein herbei, emsig ernteten sie die zahlreichen Kräuter aus dem Beet.
Beim Pflücken der Kräuter begann Lucia eine Melodie zu pfeifen, und kurz daraufhin fing Elisa an, ein Lied zu singen.
Etwa zur gleichen Zeit trafen sie sich wieder in der Mitte beim Korb und stellten fest, dass sie ihre Arbeit getan hatten.
„Das hast du gut hinbekommen“, lobte Lucia ihre Mitschülerin.
„Du hast es nicht schlechter gemacht“, antwortete Elisa.
Gemeinsam nahmen sie den Korb und trugen ihn in das Klassenzimmer, in dem die Lehrerin schon wartete.
„Ihr kommt gerade richtig mit dem Material, so können wir jetzt mit der Pflanzenkunde fortfahren.“ Als sie den vollen Korb bemerkte, lobte sie die beiden Mädchen. „Ihr habt eure Arbeit schnell und gut erledigt. Wie es scheint, kann man euch beiden gemeinsam wichtige Aufgaben erteilen.“
Die beiden Mädchen freuten sich über das Lob, lächelten die Lehrerin an und blinzelten sich fröhlich zu.
Lucia und Elisa setzen sich auf ihren Platz, und danach verlief die Schulstunde wie gewohnt und ohne Störung weiter.
Als der Unterricht beendet war, eilten die Schulkinder nach draußen. Während die anderen Mitschüler eilig nach Hause liefen, blieben die beiden Kräuter-Pflückerinnen zögernd am Tor stehen.
Lucia trippelte verlegen von einem Bein auf das andere. „Wir können mal zusammen spielen.“
„Wir können auch mal im Wald für unsere Eltern Kräuter sammeln“, schlug Elisa vor. „Da gibt es noch ganz andere, die gar nicht in einem Beet wachsen.“
„Das ist ein guter Gedanke“, lautete die Antwort der Klassenkameradin. „Wir können uns am Ufer des Agnos treffen und von dort in den Wald gehen.“
Die beiden Mädchen wurden sich einig und verabredeten sich für den Nachmittag.
*
So kam es, dass Lucia und Elisa noch am selben Tag beschlossen, Freundinnen zu werden, und sie nutzen den sonnigen Tag, um im Wald Kräuter zu sammeln.
Zu zweit wagten sie sich in das dunkelste Dickicht hinein, und bald gelangten sie an die Wasserfälle von Recoaro Terme. Während sie auf dem bisherigen Weg einige Worte gewechselt hatten, erkannten sie rasch, dass sie bei dem Brausen des Wassers keine Chance hatten, sich mit Worten zu verständigen. Sie blieben stehen und beobachteten das Naturschauspiel, das sich ihnen bot. Die tosenden Wassermassen stürzten über die steilen Felsen hinab in die Tiefe, um ihren Weg zu gehen und niemals mehr zurückzukehren.
Die feuchte, kalte Luft ließ die Mädchen frieren, und sie nahmen sich an den Händen und eilten aus der Schlucht heraus, ohne auf den Weg zu achten.
Als sie auf einer Waldlichtung angekommen waren, lagen Nebelschleier auf der Wiese, und die Kinder begannen, sich ein wenig zu fürchten.
Immer noch hielten sie sich fest an den Händen und sahen voll banger Erwartung auf die wogenden Nebelgestalten, die sie umringten.
Plötzlich trat ein seltsames Wesen aus dem weißen Gewebe, das sich beim Herankommen als junge Frau in einem langen Kleid entpuppte. „Ihr müsst euch nicht fürchten aus!“ sagte die fremde Gestalt. „Ich bin die Fee Giovanna und kenne euch gut, denn mein Weg führt mich auch oft an euren Elternhäusern vorbei, besonders am Abend, wenn die Nebel den Tag zudecken und der Nacht Platz machen.“
„Ich habe mich nicht gefürchtet“, behauptete Lucia mutig. „Vor einer so schönen Frau muss man sich nicht fürchten.“
Die Fee lächelte. „Das stimmt, vor mir muss sich keiner fürchten, ich kann manch einen guten Zauber bringen.“
„Kannst du auch Wünsche erfüllen?“ fragte Elisa erstaunt.
„Einige schon, vor allen Dingen die, die vernünftig und gut sind und keinem Menschen, keinem Tier und keiner Pflanze schaden.“
„Das ist schön“, freute sich Lucia. „Ich glaube, wir wünschen uns oft etwas, Elisa und ich.“
„Ja, das kann sehr gut sein“, stimmte Giovanna zu. „Aber kein Mensch darf sich bei einer Fee ständig etwas wünschen. Bei den meisten meiner Schwestern und Verwandten, darf sich ein Mensch im ganzen Leben nur einen einzigen Wunsch erfüllen lassen. Ich aber bin eine besondere Glücksfee, und wem ich helfen möchte, dem gewähre ich drei Wünsche in seinem ganzen Leben.“
„Was muss man denn machen, damit du einem Menschen drei Wünsche erfüllst“, erkundigte sich Lucia und sah die schöne Frau erwartungsvoll an.“
„Einen Wunsch, den kann ich euch beiden jetzt schon schenken. Aber ich rate euch, euch diesen Wunsch gut zu überlegen. Also sagt mir jetzt nicht gleich etwas, sondern geht erst einmal nach Hause, denkt nach, schlaft einmal mit vielen Träumen über dieses ganze Erlebnis. Dann könnt ihr in ein paar Tagen wiederkommen, und ich kann euch einen Wunsch erfüllen. Aber wenn ihr schlau seid, dann hebt ihr euch den Wunsch auf und sagt ihn mir erst, wenn ihr groß seid.“
„Warum sollten wir bis dahin warten?“ erkundigte sich Elisa.
„Jetzt seid ihr klein und habt kleine Sorgen, aber wenn ihr groß seid, dann habt ihr große Sorgen. Da ist es dann besser angebracht, einen Wunsch an mich zu richten.“
„Und wie ist es jetzt mit den anderen Wünschen? Können wir dir vielleicht dafür beim Kräutersammeln helfen? Darin sind wir wirklich gut, und wir kennen schon fast alle Kräuter, die hier in der Gegend wachsen.“
Die Fee lächelte. „Das ist nicht so einfach. Wenn ich einmal eure Wunsch-Fee geworden bin, dann begleite ich euch das ganze Leben, und ich werde immer in eurer Nähe sein, wie ein Schutzengel. Und wenn ihr eine gute Tat tut, ein wirkliches Opfer bringt, dann habt ihr einen Wunsch frei.“
Lucia freute sich. „Und wenn wir ganz viele gute Taten tun? Kannst du uns dann auch ganz viele Wünsche erfüllen?“
Giovanna schüttelte den Kopf. „Nein. Drei Wünsche, das ist schon sehr viel. Mehr Wünsche kann ich keinem Menschen erfüllen. Und wenn ein Wunsch unvernünftig ist, dann kann ich ihn auch verwehren.“
„Dann müssen wir uns unseren Wunsch sehr gut überlegen“, fand Elisa. „Da will ich nichts überstürzen.“
„Ich wüsste schon einen Wunsch“, freute sich die Freundin. „Ich denke, es wird eine ganze Menge Geld sein, das ich dann meinen Eltern schenke. Dann können sie sorgenfrei leben.“
Sie hoffte auf eine Antwort der Fee, aber die war verschwunden und hatte nur einigen Nebel hinter sich zurückgelassen.
„Sie ist fort“, stellte auch Elisa fest. „Aber ich glaube, das ist auch gut so. „Denn mit viel Geld kann man auch nicht alles kaufen. Hast du schon einmal gedacht, was passiert, wenn deine Eltern krank werden? Oder wenn du krank wirst? Vielleicht wünscht man sich besser viel Gesundheit.“
Der Nebel lichtete sich, und die späte Nachmittagssonne blinzelte durch die Bäume.
„Ich werde es mir wirklich noch einmal reiflich überlegen“, beschloss Lucia. „Ich hätte nie gedacht, dass es so schwierig ist, sich etwas Gescheites zu wünschen. Bisher habe ich mir dauernd etwas gewünscht. Aber wenn einem nicht alle Wünsche erfüllt werden, dann muss man wohl bei der Fee recht sparsam damit umgehen.“
Elisa sah in den Himmel. „Und jetzt ist es schon spät geworden. Ich muss nach Hause, meine Eltern werden vermutlich schon auf mich warten. Da gibt es immer viel zu tun, und ich muss helfen.“
Lucia lächelte. „Dann solltest du dir vielleicht wünschen, eine Prinzessin zu werden, dann hast du ganz viele Dienstboten, die dir bei allem helfen.“
„Wahrscheinlich werde ich die ganze Nacht wach liegen und überlegen, was mir wünschen soll.“
„Lass dir Zeit damit!“ riet ihr die Freundin. „Die Fee ist verschwunden, und wer weiß, wann wir sie einmal wiedersehen.“
„Aber sie hat gesagt, sie sei wie ein Schutzengel immer in unserer Nähe. Da können wir sie sicherlich auch rufen, wenn wir ihr etwas zu sagen haben.“
Die beiden Mädchen berieten noch eine Weile hin und her, während sie den Rückweg fortsetzten.
Zu Hause wurden sie schon erwartet und in die häuslichen Arbeiten eingespannt, und obgleich Elisa und Lucia nichts von ihrem Abenteuer erzählten, mussten sie doch ständig daran denken.
*
Am nächsten Tag trafen sich die beiden Mädchen in der Schule, aber dort wagten sie sich nicht, über ihr Erlebnis zu sprechen.
Erst am Nachmittag, als sie sich am Ufer des Agnos trafen, fragte Elisa die Freundin: „Hast du schon entschieden, was du dir wünschen wirst?“
Lucia schüttelte den Kopf. „Nein, es gibt einfach zu viele Wünsche, die mir in den Sinn gekommen sind. Ich kann mich einfach nicht entscheiden. Wie ist es dir ergangen?“
„Bei mir war es nicht anders. Meine Eltern könnten schon etwas mehr Geld gebrauchen. Aber woher weiß ich denn, wann es genug ist?“
„Ich finde es gar nicht so leicht, sich etwas zu wünschen“, gestand auch Elisa. „Wir sollten uns wirklich eine Weile Zeit damit lassen.“
„Am besten, wir vergessen es ganz“, fand Lucia. „Diese vielen Gedanken an die Wünsche haben mich ganz verrückt gemacht. Am besten, wir vergessen all das erst einmal und spielen miteinander, wie das andere Kinder tun.“
„Das ist eine gute Idee“, stimmte die Freundin zu. „Wollen wir wieder Kräuter sammeln gehen?“
„Lass uns lieber hier an dem Fluss bleiben“, schlug Lucia vor. „Ich möchte der Fee jetzt gar nicht begegnen. Wir könnten am Ufer einen kleinen Damm bauen und abwarten, was sich da alles so drin sammelt.“
Elisa war damit einverstanden, und bald hatten sie einen kleinen Damm errichtet, an dem sich Blätter und kleine Hölzer ansammelten. Aus den Hölzern bauten sie kleine Flöße, die sie ein Stück weit im Fluss schwimmen ließen und dann wieder herausholten.
Sie betrachteten die sanft dahingleitenden Wellen und freuten sich über die Schmetterlinge und Vögel, die im hellen Sonnenschein darüber hinwegflogen.
„Ich bekomme ein ganz merkwürdiges Gefühl“, gestand Elisa. „Am liebsten möchte ich mit den Wellen fortschwimmen, auch einmal weg von hier.“
Lucia sah die Freundin mit großen Augen an. „Das kann ich gar nicht verstehen, ich finde es wunderschön hier in diesem Tal. Es gibt doch hier alles. Hier haben wir den Fluss und die Wiesen, und oben sind die Berge. Die Stadt, in der man alles kaufen kann, ist auch sehr nahe, und unser Wasserfall ist dazu noch etwas Besonderes, ihn gibt es nicht überall, und er lockt viele Leute hierher.“
„Ich möchte aber einmal noch viel mehr sehen“, antwortete Elisa schwärmerisch. „Irgendetwas zieht mich in die Ferne. Und jetzt weiß ich, was ich tu.“
„Jetzt machst du mich neugierig“, gestand Lucia. „Willst du auf Wanderschaft gehen?“
„Nein, aber das nächste Floß, das ich baue, das werde ich nicht festhalten, sondern auf die Reise schicken. Und ich werde auch drei Wünsche mit hinausschicken, weithin bis in die große Welt.“
Eifrig baute sie ein Floß, Lucia sah zu und fragte erwartungsvoll: „Auf deine Wünsche bin ich schon gespannt, willst du sie mir verraten?“
Elisa ließ die zusammengebundenen Hölzer ins Wasser gleiten. „Ich kann es dir verraten, ich habe mir Gesundheit für mich und meine Familie gewünscht, das war mein erster Wunsch. Mein zweiter Gedanke war, dass ich einmal von hier fortkomme, einmal reisen werde. Und dann habe ich mir noch einen Traumprinzen gewünscht, mit dem ich die ganz große Liebe erlebe.“
„Dann werde ich jetzt auch ein Floß bauen“, entschied Lucia. „Ich wünsche mir auch Gesundheit für mich und meine Familie, und ich wünsche mir immer so viel Geld zu haben, wie ich brauche. Als dritten Wunsch möchte ich einen guten Beruf haben, der mir Spaß macht und bei dem ich nette Menschen treffe.“
Eilig baute sie die Hölzer zusammen und ließ sie ins Wasser gleiten. Beide Mädchen schauten zu, wie die Flöße von den Wellen fortgetragen wurden.
„Aber du hast dir keinen Mann bestellt“, erinnerte Elisa die Freundin.
„Das muss man doch auch gar nicht“, fand Lucia. „Einen Mann bekommen wir sowieso, alle beide. Das muss man sich nicht extra wünschen. Und Kinder werden wir auch haben, da bin ich ganz sicher. Aber ich weiß nicht, ob das mit unseren eben davongeschwommenen Wünschen auch so funktioniert. Die Fee hat uns etwas ganz anderes gesagt.“
„Wir können sie einmal fragen. Wollen wir sie rufen und nachhören, ob wir etwas falsch gemacht haben?“
Elisa nickte. „Ja, das ist besser. Dann kann sie uns auch gleich sagen, ob wir gute oder falsche Wünsche ausgesprochen haben. Sie wird uns sagen können, ob unsere Wünsche erfüllt werden können.“
Beide Mädchen riefen nach der Fee, laut nannten sie mehrere Male ihren Namen und baten sie, sich als Gestalt zu zeigen.
Aber so oft sie auch den Namen „Giovanna“ ausriefen, es blieb alles ruhig und still, es rührte sich nichts, und niemand zeigte sich.
„Vielleicht haben wir das neulich ja alles nur geträumt“, überlegte Elisa. „Ich werde einmal den alten Pepi fragen, der wohnt in der Almhütte. Und eigentlich weiß er alles.“
„Dann lass uns jetzt dorthin gehen“, schlug Lucia vor, und die Freundin stimmte sofort zu.
*
Der Nachmittag war schon weit fortgeschritten, als die beiden Mädchen an der Almhütte ankamen. Draußen vor dem kleinen Gebäude saß der braungebrannte, bärtige Pepi und rauchte eine Pfeife.
Als der alte Mann mit dem faltigen Gesicht die beiden Mädchen sah, freute er sich, lud sie zu sich an den Tisch ein und servierte ihnen frische Milch.
„Das ist schön, dass ihr mich heute besucht. Habt ihr wieder einmal etwas auf dem Herzen?“ fragte er schmunzelnd.
Elisa nickte. „Wir waren bei den Wasserfällen und sind von da aus in die Waldlichtung gekommen. Dort war es neblig, und plötzlich kam eine Fee, die sich Giovanna nannte. Sie hat uns erzählt, dass wir uns bei ihr etwas wünschen können, aber sie sagte uns auch, dass sie aufpasst, dass wir vernünftige Wünsche stellen. Da sind wir ein bisschen unsicher geworden, und es sind uns keine Wünsche eingefallen. Doch heute, am Ufer des Agnos, da fielen uns plötzlich gleich mehrere Wünsche ein, und die haben wir dann mit einem selbst gebastelten Floß mit den Wellen des Flusses auf die Reise geschickt.“
Pepi hatte gut zugehört. „So habt ihr das alles gut gemacht, aber was wollt ihr jetzt von mir?“
„Wir möchten wissen, ob das alles so seine Richtigkeit hat mit der Fee, und auch, ob sich jetzt unsere Wünsche trotzdem erfüllen werden, obwohl wir sie nicht an Giovanna gerichtet haben.“
„Von den Nebeln aus der Lichtung erzählt man sich viele Geschichten“, wusste der alte Mann. Manche „ Leute behaupten, dass man dort anfängt zu träumen. Von der alten Giovanna haben schon so manche Menschen erzählt, die sie dort gesehen haben wollen. Aber manchmal lässt sie sich sehen und manchmal nicht. Man kann sie nicht zwingen.“
„Und was ist jetzt mit unseren Wünschen?“ erkundigte sich Lucia.
„Wenn man sich etwas wünscht, dann muss man immer daran glauben und hoffen, dass es wahr wird. Das ist ganz wichtig“, teilte er den beiden Mädchen mit. „Ihr könnt also ganz zuversichtlich sein. Und bleibt schön brav, und seid nett zu euren Eltern, dann wird euch die gute Fee bestimmt noch einmal begegnen.“
Die beiden Mädchen freuten sich und bedankten sich bei Pepi.
„Und ihr könntet auch etwas für mich tun“, verriet ihnen der alte Mann. „Ich habe hier eine geschnitzte Figur, die hat sich die Marisa aus Recoaro gewünscht. Wenn ihr sie mit hinunternehmt, dann brauche ich morgen nicht ins Tal. Das wäre mir schon recht, denn ich habe noch viele andere Dinge hier zu tun.“
Gern taten ihm Elisa und Lucia diesen Gefallen. Abwechselnd trugen sie den Rucksack mit der geschnitzten Madonna den Berg hinunter.