Beethoven war Zeuge - Gudrun Leyendecker - E-Book

Beethoven war Zeuge E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

Was bleibt, wenn die Familie nur Fassade war? Bonn, 1973: Die Stadt steht still, als mitten im belebten Zentrum eine allseits geschätzte Frau brutal ermordet wird. Ehefrau, Mutter, Großmutter, wer sollte ihr etwas antun wollen? Für die junge Ermittlerin Johanna beginnt ein Fall, der mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert. Während Johanna sich in das Netz der familiären Beziehungen vertieft, stößt sie auf unterdrückte Gefühle, unausgesprochene Konflikte und eine Vergangenheit, die nicht ruhen will. Mit feinem Gespür dringt sie in die brüchige Fassade einer scheinbar heilen Welt ein, bis sie eine Spur entdeckt, die alles verändert. Ein psychologisch dichter Kriminalroman, der Spannung und menschliche Tiefe meisterhaft vereint. Wie gut kennt man die, die man liebt - und was bleibt, wenn Vertrauen bricht?

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Seitenzahl: 151

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.

Siehe Wikipedia.

Sie veröffentlichte bisher über 110 Bü cher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.

Inhaltsangabe

Bonn 1973. Ein rätselhafter Mord mitten in der Innenstadt lässt die Ermittler verzweifeln. Die fünfundfünfzigjährige Ehefrau, Mutter und Großmutter ist überall beliebt, und ein Tatmotiv liegt nicht auf der Hand. Die junge Ermittlerin Johanna tastet sich in den Kreis der Verdächtigen und steht vor einem Rätsel bis sie auf eine heiße Spur stößt, die alle überrascht.

Für meine Freundin Dagi als Dank

für unsere lange, gute Freundschaft

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 1

Kriminalkommissar Mauser rückt seine Brille auf der Nase zurecht. Ich kenne diese Geste an ihm schon seit einiger Zeit. Mit dieser Handbewegung will er die Wichtigkeit seiner Worte unterstreichen.

Gespannt warte ich auf seine Mitteilung. „Gibt es bei dem Fall des weiblichen Opfers eine Besonderheit, die uns weiterhelfen kann?“

Seine Finger greifen nach der Bonbonniere. Suchend wandert sein Blick über die in Stanniolpapier eingewickelten Schokoladenbonbons. „Die Roten schmecken nach Marzipan. Man kann sich darauf verlassen. Dieses rote Papier ist eine Garantie. Zum Glück kann man sich immer darauf verlassen.“

Aus seinen Worten schließe ich, dass ihm der neue Fall einige Rätsel aufgibt, von denen er anscheinend noch nicht viele gelöst hat.

Ich wage einen neuen Versuch. „Gibt es schon erste Hinweise?“

Sein missmutiger Blick verrät viel. „Beethoven war Zeuge“, presst er sich heraus.

Meine Augen weiten sich und ich bilde mir ein, die dicken Runzelfalten auf meiner Stirn zu fühlen. „Beethoven war Zeuge des Wiener Kongresses, der ab September 1814 mehrere Monate lang stattfand, und darüber hat er später geschrieben. Hat die Tote irgendetwas mit Wien zu tun?“

Mauser tippt sich an die Stirn. „Ich hätte nichts dagegen, den Fall an die Wiener Kommissare abzugeben, aber leider hat er sich auf dem Bonner Münsterplatz ereignet. Und zwar gestern Abend nach der Messe.“

„Und was hat Beethoven jetzt damit zu tun?“ frage ich irritiert.

„Du bist doch Bonnerin“, antwortet er vorwurfsvoll. „Du müsstest doch wissen, dass dort vor dem Hauptpostamt Beethovens Denkmal auf dem Sockel steht und tagsüber den Tauben ein sonniges Plätzchen beschert. Dort hat die fünfundfünfzigjährige Ulrike gelegen.“

„Ein schweigsamer Zeuge“, bemerke ich leise seufzend. „Aber gestern Abend war doch das schwere Gewitter mit den dicken Hagelkörnern. Da wird die Spurensicherung nicht allzu viel gefunden haben.“

Mauser nickt. „Es gab keine Spuren, jemand muss das Opfer gestoßen haben, und die Frau ist mit dem Kopf auf den Steinboden aufgeschlagen.“

„Ein Unfall?“

Er wickelt ein Bonbon aus und betrachtet es genau. „Nein, es gibt ein paar blaue Flecken auf der Vorderseite ihrer Oberarme, die konnte Reimann bereits identifizieren. An diesen Stellen muss der Täter sie wohl gepackt haben.“

„Ein Raub? Ein Unfall beim Diebstahl? Körperverletzung mit Todesfolge?“

„Die Handtasche lag neben ihr, Papiere und Geld sind noch vorhanden. Ihr Mann glaubt, dass der Inhalt der Tasche noch vollständig ist.“

„Was hat sie bei diesem scheußlichen Wetter da draußen gemacht?“ erkundige ich mich interessiert.

Mausers Gesicht entspannt sich. „Ich spüre, du hast schon angebissen. Das beruhigt mich. Sie war in der Messe, und das Gewitter brach während dieser Zeit überraschend aus.“

„War sie allein?“

Er seufzt. „Leider ja. Sonst wäre sie wohl jetzt noch am Leben.“

„Wer hat sie denn dort in der Kirche gesehen?“ möchte ich wissen.

„Ein Geschäftsmann. Mode und Accessoires. Dort kleidet sich Ulrike regelmäßig ein.“

„Den werde ich auch einmal aufsuchen“, sage ich mehr zu mir selbst als zu meinem Chef. „Vielleicht ist ihm ja sonst noch jemand aufgefallen, der sich in ihrer Nähe aufhielt.“

„Herr Baumann ist zutiefst unglücklich und verstört. Er macht sich riesengroße Vorwürfe, dass er Ulrike Witto nicht angeboten hat, sie nach Hause zu bringen. Er sagt, sie habe in der Münsterkirche ganz hinten gesessen, ziemlich nah am Ausgang, daher sei sie ihm am Ende schnell entschlüpft.“

„Hat schon jemand überprüft, wann er zu Hause angekommen ist?“

Mauser steckt das Bonbon in den Mund. „Marzipan. In den Roten ist immer Marzipan. Seine Frau hat uns bestätigt, dass er unmittelbar danach zu Hause angekommen ist.“

„Wie viel Zeit braucht man, um jemanden im wahrsten Sinne des Wortes „umzulegen“? Nicht viel, glaube ich. Hat er ein Motiv?“

„Das sollst du herausfinden!“ antwortet er, genüsslich auf dem Bonbon kauend. „Aber verdächtiger scheint mir der Ehemann zu sein. Angeblich war er zwar für seine Firma unterwegs, aber wir haben Hinweise, dass er eine Geliebte hat.“

„Mit was beschäftigt sich denn der gute Herr Witto?“

Mauser sieht mich vorwurfsvoll an, so, als hätte ich eines seiner Bonbons stibitzt. „Du kennst die Firma Witto nicht?! Firmensitz in Bonn. Die exklusivsten und teuersten Badezimmer in ganz Deutschland?!“

„Ach, der Witto! Den kennt natürlich jeder. Ich bin mit seinem Sohn Michael in die Schule gegangen.“

Er sieht mich amüsiert an. „Das weiß ich doch, und deswegen wirst du bestimmt an viele Informationen kommen.“

„Dann hast du Glück, dass ich ihn nicht näher kenne, denn sonst müsstest du mich als befangen ablehnen. Michael gehörte damals zur Elite in unserer Klasse, weil man ihm schon damals ansah, dass seine Eltern viel Geld besitzen. Da wir gerade von Geld sprechen, hatte denn diese Frau Witto ein interessantes Testament gemacht?“

„Ihr Mann hat jedenfalls keine finanziellen Vorteile. Da Ulrikes Vater bei der Hochzeit jede Menge Geld in die Firma gesteckt hat, um sie in die Höhe zu bringen, entschloss sich die Braut schon nach der Geburt ihres Sohnes, ihre Firmenanteile Michael zu vererben. Dieses Testament wurde nie geändert. Traust du deinem ehemaligen Klassenkameraden einen Mord zu?“

„Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen. Damals war er ein ruhiger Junge, der sich in seinen teuren Klamotten nicht immer ganz wohl fühlte. Wir schätzten ihn als sehr brav ein. Aber stille Wasser sind ja bekanntlich manchmal tief.“

Mauser grinst und ergreift das nächste Bonbon. „Du siehst also, es gibt viel Arbeit für dich. Hast du schon einen Plan?“

„Ich werde die Verdächtigen alle nacheinander abklappern. Denn unser Hauptzeuge wird vermutlich nicht reden.“

Er sieht mich irritiert an. „Wen meinst du denn?“

„Beethoven natürlich, das hast du doch eben selbst gesagt.“

Er wirft das Bonbon-Papier auf den Boden. „Dieser Fall nervt mich jetzt schon. Bestimmt wird es eine Sisyphusarbeit werden.“

„Solange ich nicht wie dieser alte Grieche immer wieder einen Felsbrocken den Berg hinaufrollen muss, ist es mir egal. Doch ich werde mir an ihm ein Beispiel nehmen, denn Sisyphos kannte sich mit Tricks aus. Und die werde ich in dieser feinen Gesellschaft der Neureichen bestimmt nötig haben.“

Mauser wünscht mir viel Glück, und ich eile aus seinem Büro, während mir der Marzipangeruch in der Nase haften bleibt.

*

Kapitel 2

Ich bin mir ganz sicher, dass Kommissar Mauser von mir erwartet, dass ich den Ehemann meines Opfers zuerst aufsuche, um ihn diplomatisch zu verhören.

Doch als ich erfahre, dass eine Nachbarin der Wittos, eine junge Frau namens Gabi, mit mir die Tanzstunde absolviert hat, besuche ich sie zuerst.

Freundlich grüßen mich die Kastanienbäume auf der Poppelsdorfer Allee, und ich spaziere an den alten Jugendstilhäusern vorbei, für die viele Straßen in Bonns Innenstadt berühmt sind.

Die dazugehörigen Vorgärten sind winzig klein und werden häufig mit Efeu oder anderen Bodendeckern bepflanzt, weil die Hausmeister oder ältere Mieter die wenigen Quadratmeter pflegeleicht bearbeiten möchten.

Gabi, die mich schon erwartet hat, schickt ihre kleine Tochter ins Kinderzimmer.

„Sie muss nicht alles hören, was ich dir erzähle“, erklärt sie mir. „Dies schmucke Haus hier nebenan ist zwar nur das Stadthaus der Wittos, aber immerhin bekomme ich genug von dem mit, was sich da drüben so abspielt. An den Wochenenden sind sie älteren Wittos im Vorgebirge in ihrer Villa, dort haben sie natürlich einen riesigen Garten mit Swimmingpool.“

Erstaunt sehe ich sie an. „Diese Regelung ist ja noch richtig altmodisch. Für mich wäre das nichts, zwei Haushalte und immer hin und her ziehen.“

„Ulrike war auch meist hier“, weiß Gabi. „Sie wohnt mit ihrem Mann drüben im unteren Stockwerk, während Michael und ihre Schwiegertochter Alexandra mit dem kleinen Sohn Niki die oberen Stockwerke bewohnen.“

„Jung und Alt, funktioniert das denn?“ frage ich skeptisch. „Zwei Generationen einer Familie in einem Haus, das gibt häufig Probleme.“

„Wenn du mehr über Ulrike erfährst, wirst du feststellen, dass sie eine sehr hilfsbereite Frau ist. Sie hat das junge Paar nicht nur ab und zu mit etwas Geld unterstützt, sie hat sich auch um den kleinen Niki immer gekümmert, damit ihre Schwiegertochter Alexandra schnell wieder arbeiten gehen konnte. Dadurch hat die junge Frau ihre Stelle in einem Büro behalten können.“

„Man hört nur Gutes von dieser Frau Witto“, stelle ich fest. „Weißt du etwas über ihre Ehe?“

„Auch da ging es immer sehr friedlich zu. Sie sind ein Vorzeigeehepaar, das sich überall harmonisch und fröhlich zeigt, wenn es gemeinsam auftritt, was sehr häufig passiert.“

Ich seufze. „So viel Sonnenschein! Und doch scheint Ulrike jemandem im Weg gewesen zu sein.“

„Ihr Mann kann es nicht gewesen sein. Er war ja zur Tatzeit unterwegs“, weiß Gabi. „Aber es wird schon jemanden geben, dem sie im Weg war, obwohl ich es mir nicht vorstellen kann.“

Ich bin damit nicht zufrieden. „Hast du Ulrike Witto näher gekannt? Wie war sie so?“

„Sie war ein bescheidener Mensch, hat ihren Reichtum nie nach außen hin gezeigt und war auch nicht überheblich. Sie trug ganz einfache Kleidung und hat mich immer freundlich gegrüßt. Ab und zu haben wir ein paar Worte gewechselt, weil Niki in denselben Kindergarten ging wie meine Tochter Carmen.“

„Hat sie dir irgendetwas Privates erzählt?“ möchte ich wissen.

Gabi schmunzelt. „Naja, was sich schon Mütter und Großmütter so erzählen. Da geht es um Kinderkrankheiten, das Trotzalter und ein paar Erziehungsfragen. Da ist sie wohl ganz fit, denn sie wollte mal Lehrerin werden, und hat wohl ein paar Semester studiert.“

„Weißt du zufällig, warum sie abgebrochen hat?“

„Sie war wohl mit Albrecht Witto damals verlobt, und als sie schwanger wurde, hat man natürlich sofort geheiratet. Ihm konnte es ja auch recht sein, denn ihr Vater steckte all sein Geld in die junge Firma. Dann kam ja wohl der Krieg.“

„Und was geschah dann?“

„In der Zeit lebte Ulrike irgendwo bei Verwandten auf einem Bauernhof, weit draußen auf dem Land. Was Albrecht in den Kriegsjahren gemacht hat, weiß ich nicht. Darüber wird ja im Allgemeinen nicht gesprochen. Jedenfalls waren nach dem Krieg alle wieder gesund da und konnten ihre Häuser renovieren, sofern sie noch standen. Die Wittos hatten Glück, ihr Haus hatte nur ein paar Granat-Splitter abbekommen. Ulrikes Vater kam auch bald aus der Schweiz zurück, steckte sein restliches Vermögen in Albrechts neue Firma und starb kurz darauf.“

„Da bist du aber doch ganz schön gut informiert“, wundere ich mich.

„Naja, wir wohnen ja nun auch schon eine ganze Reihe von Jahren nebeneinander. Da erfährt man doch schon mal etwas. Ulrike wird jedenfalls allen fehlen, denn sie war so ein Typ Mensch, der sich überall einbringt und engagiert. Im Kindergarten hatte sie mancher Mutter Tipps zur Erziehung gegeben, und die waren ihr oft dankbar.“

„Ist sie auch in Vereinen?“

Gabi überlegt. „Da bin ich nicht so genau informiert. Aber ich denke schon, denn sie kümmert sich nicht um die Firma, das überlässt sie allein ihrem Mann.“

„Wenn er ein guter Geschäftsmann ist, scheint mir das eine kluge Lösung zu sein“, finde ich. „Weißt du denn, ob die Firma jetzt gut dasteht?“

„Ich höre ja nur, was man so allgemein erzählt. Und weil gerade jetzt alle Menschen plötzlich ihr eigenes Haus haben möchten, sind die Badezimmer der Firma Witto sehr gefragt. Albrecht und sein Sohn fahren auch beide einen dicken Mercedes. Das sollten Sie sich leisten können.“

„Und wie war Ulrike zu dem kleinen Niki? Konntest du da feststellen, ob sie ein liebevoller Mensch ist?“

Gabi lacht. „Du meinst wohl, sie könnte eine Theoretikerin gewesen sein. Nein, nein! Sie hat den Kleinen sehr verwöhnt, war sehr liebevoll zu ihm. Wenn irgendetwas mit ihm im Kindergarten los war, kam sie sofort gesprungen. Alexandra konnte beruhigt arbeiten gehen, bei seiner Großmutter war ihr kleiner Sohn in den besten Händen.“

„Dann interessiert mich noch, ob Frau Witto vielleicht einen Freund hatte oder Albrecht fremdging. Weißt du darüber etwas?“

Sie schüttelt den Kopf. „Nach dem Krieg waren sie wohl sehr froh, diese schlimmen Jahre gesund überstanden zu haben. Mittlerweile geht es ihnen jedenfalls finanziell sehr gut, und sie verhalten sich so, wie man es von einem guten Ehepaar erwartet. Aber das muss natürlich nichts heißen. Albrecht ist jetzt schon in dem Alter, in dem viele Männer den zweiten Frühling erleben. Denkst du, dass er eine Geliebte hat?“

„Das muss ich möglichst bald herausbekommen“, verrate ich ihr. „Denn sie könnte einen Grund haben, ihrer Rivalin den Tod zu wünschen.“

„Ulrike hat mir einmal erzählt, dass ihr Mann eine neue Sekretärin eingestellt hat. Sie soll sehr jung und sehr attraktiv sein. Marianne heißt sie, aber ich habe sie noch nie zu Gesicht bekommen.“

„Ich werde sie mit Sicherheit einmal aufsuchen“, teile ich ihr mit. „Denn ich bin immer noch auf der Suche nach Menschen mit einem Motiv.“

Gabi atmet tief. „Das wird sehr schwer sein. Du wirst auch von anderen hören, dass Ulrike eine sehr friedliche und liebenswerte Person war, die bereit war, jedem zu helfen.“

„Du hast mir auch jetzt schon sehr gut weitergeholfen“, lobe ich sie. „Und wenn dir noch etwas einfällt, das wichtig sein könnte, dann melde dich bitte bei mir.“

Nachdem sie es mir versprochen hat, bedanke ich mich bei ihr für ihre Auskünfte und verlasse sie, um mir die nächsten Informationen einzuholen.“

*

Kapitel 3

Albrecht Witto erwartet mich im gepflegten Garten seiner Villa. Ich betrachte ihn genauer und versuche, mir ein Bild seiner aktuellen Verfassung zu machen, während er mich begrüßt.

Seine Hand ergreift meine Rechte sicher, fest und kräftig drückt er zu, doch sein Blick zeigt Unsicherheit, die mir auch wie Ratlosigkeit vorkommt.

Höflich bittet er mich, auf dem mit mehreren Kissen belegten Gartensessel Platz zu nehmen. Nachdem ich ihm kondoliert habe, komme ich schnell zum Thema.

„Es tut mir leid, Sie jetzt mit unsensiblen Fragen belästigen zu müssen, aber ich benötige dringend ein paar Informationen von Ihnen.“

Er fasst sich mit der Hand an die Schläfe. „Ich kann das alles noch nicht verstehen, nicht, dass sie weg ist, und auch nicht, was passiert ist. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, denn ich bin weder ein Dichter noch ein Poet. Sie gehörte in mein Leben wie mein rechter Fuß. Jetzt komme ich mir vor wie amputiert, und mein Leben ist aus den Fugen geraten.“

Jetzt oder nie, denke ich mir und wage eine indiskrete Frage. „Wenn man so lange verheiratet ist wie Sie, und man sicherlich keine Schmetterlinge mehr im Bauch hat, wie sind dann die Gefühle zum Partner?“

Er sieht mich erstaunt an. „Darüber macht man sich nach so vielen Jahren Ehe keine Gedanken mehr. Ulrike ist, ich meine, sie war, die wichtigste Person in meinem Leben. Sie gehörte in meinen Alltag und in meinen Sonntag. Weil sie da war, war die Welt in Ordnung.“

„Das heißt also, dass sie sich sehr geliebt haben“, versuche ich, ihn zu einer genaueren Aussage zu verleiten.

„Aber natürlich“, sagt er schnell, „und das ist Liebe. Sie verändert sich mit den Jahren, ist vielleicht nicht mehr so aufregend, aber sie wird dadurch nicht schlechter.“

Jetzt hoffe ich, ihn im Netz zu haben. „Und die Aufregung, die Schmetterlinge, finden Sie die jetzt stattdessen im Beruf?“

Er ist nicht dumm, denn er hat wohl gemerkt, dass ich indirekt auch nach seiner Treue frage. „Aufregung jeder Art, kann man sich überall holen. Und ich denke, Sie haben auch schon gehört, dass über mich und meine Sekretärin Marianne gemunkelt wird. Ja, wir haben ein Techtelmechtel, aber es ist nichts Ernstes. Meine Frau war mir immer wichtiger, und sie ist in allem die große Stütze in meinem Leben, auch wenn sich Ulrike nie wie der Herr im Haus aufgeführt hat.“

„Können Sie mir das auch näher erklären?“ frage ich ihn mit einem bittenden Blick. „Sie war sozusagen der gütige Chef in Ihrem Leben?“

Er schüttelt den Kopf. „Nein, so würde ich das nicht nennen. Sie hat mich nie spüren lassen, dass sie die Klügere und Stärkere von uns beiden ist. Im Gegenteil, sie hat sich immer bemüht, alle Entscheidungen mir zu überlassen. Aber weil ich wusste, dass sie außerhalb der Firma wirklich alles besser beherrscht als ich, so haben wir uns gegenseitig ganz in Ruhe gelassen. Jeder hatte seinen Bereich, in dem er das Sagen hatte. Wir haben uns immer sehr gut ergänzt, waren ein ideales Team. Dazu gehörte, dass wir uns respektiert und geachtet haben. Wir haben immer alles sehr friedlich geregelt.“

„Wusste sie von Ihrem Techtelmechtel?“ hake ich nach.

„Über so etwas haben wir nie gesprochen. Sie hat mich nicht gefragt, und ich habe sie nicht damit belastet. Ich bin sicher, dass es so besser für uns beide war.“

„Und dieses Techtelmechtel? Lieben Sie diese Frau?“ wage ich mich vor.

„Ja irgendwie schon, aber es ist eine andere Form von Liebe. Ich denke, diese Frau wäre für mich notfalls ersetzbar, während meine Frau für mich unersetzlich ist.“

Immerhin scheint er ehrlich zu sein, das kann mich weiterbringen. „Denkt ihre Freundin genauso? Sieht sie die Beziehung auch so locker, oder hoffte sie auf eine Scheidung von Ihnen und Ihrer Frau?“

„Über so etwas haben wir nie gesprochen, Marianne und ich. Ich denke, sie weiß auch, dass es nichts Ernstes zwischen uns ist.“

„Viele Frauen haben mit den lockeren Beziehungen ihre Probleme“, kläre ich ihn auf. „Könnte Marianne nicht doch auch mehr von Ihnen gewollt haben?“

Er seufzt. „Das kann ich mir nicht vorstellen. „Aber ich werde sie einmal fragen.“