Als die Turmuhr 13 schlug - Gudrun Leyendecker - E-Book

Als die Turmuhr 13 schlug E-Book

Gudrun Leyendecker

2,0

Beschreibung

Der Roman: Als die Turmuhr 13 schlug, spielt in dem historischen Städtchen Sankt Augustine und ist der dreizehnte Band der Serie: Liebe und mehr. Die Journalistin Abigail Mühlberg wird zur Lösung eines Kriminalfalles gerufen, während sich um das Geschehen herum einige Liebesgeschichten ranken.

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Der Roman „Als die Turmuhr 13 schlug“ spielt in dem historischen Städtchen Sankt Augustine und ist der 13. Band der Serie „Liebe und mehr“. Die Journalistin Abigail Mühlberg wird zur Lösung eines Kriminalfalles gerufen, während sich um das Geschehen herum einige Liebesgeschichten ranken.

„Kommst du mit zum Weihnachtsmarkt?“ erkundigte sich meine Freundin Laura, während sie sich in den Webpelz hüllte.

„Wartet nicht auf uns“, riet ich ihr. „Ermanno bringt gerade noch ein paar verspätete Weihnachtspakete zur Post. Ich bleibe so lange lieber noch hier, damit er mich nicht sucht, wenn er zurückkommt.“

„Jetzt noch? Weihnachtspakete? Wir haben heute den 27. Dezember. Wem schickt er denn heute noch was?“

„Seiner Patentante, für die hat er auf dem Weihnachtsmarkt noch etwas Hübsches gefunden. Den Brief hatte er schon lange vorher abgeschickt, und das Geschenk ist jetzt noch eine Überraschung.“

„Ihr solltet euch aber etwas beeilen, Ermanno und du!“ riet sie mir. „Heute ist im Märchenpark der letzte Tag und morgen werden die zauberhaften historischen Buden des Weihnachtsmarkts schon wieder abgebaut und in ihre Sommerquartiere gebracht. Da solltet ihr euch heute die letzten Rostbratwürstchen und Anisbonbons nicht entgehen lassen.“

„Wir kommen bestimmt später nach“, versprach ich ihr. „Ich muss mich auch noch von dem netten Imker verabschieden, der den guten Honig verkauft und die älteste Bude vom ganzen Markt hat.

Morgen fährt er wieder zurück nach Riesa.“

„Na gut. Aber trödel nicht mehr zu lange! Kevin wartet schon unten in der Halle auf mich. Er hatte unseren Hausherrn Moro Rossini kurz besucht. Uns bleiben ja auch nur noch ein paar Tage. Am 3. Januar fliegen wir wieder zurück nach Philadelphia, dann ist es aus mit der schönen Faulenzerei. Die Weihnachtstage waren so himmlisch mit meinem Ehemann, da hatte ich ihn einmal ganz für mich allein.“

Ich nickte mit glänzenden Augen. „Das kann ich gut verstehen, ich habe die Feiertage auch sehr genossen, weil Ermanno und ich einmal ein paar Stunden Zeit für uns hatten. Und die beiden Rossinis haben es uns hier im Schloss so feierlich gestaltet, dass man sich fast selbst wie in einem Märchen vorkam.“

„Kevin hat mir auch gesagt, dass er diese Weihnachtsfeiertage hier im Schloss des berühmten Malers so sehr genossen hat. Und die märchenhafte Kulisse mit dem vielen Schnee draußen, es war wirklich perfekt.“

Ich brachte sie an die Wohnungstür. „Ihr müsst unbedingt jedes Jahr zu dieser Zeit hierher fliegen“, schlug ich ihr vor. „Dadurch, dass hier seit einiger Zeit die jungen Musikschüler in dem einen Trakt wohnen, sind wir dieses Jahr auch besonders mit kleinen festlichen Konzerten verwöhnt worden.“

„Du hast wirklich Glück mit deiner Dachwohnung oben“, fand Laura. „Diese festliche Umgebung gehört ja nun schon zu deinem Alltag. Und es macht hier jeden Tag so viel Spaß, in der alten großen Schlossküche mit Adelaide gemeinsam zu kochen.“

„Wer spricht hier gerade so nett von mir“, scherzte die ältere Dame, die gerade mit einem jungen Mann die Treppe heraufstieg.

„Ich, liebe Ada!“ Die schöne Französin umarmte Adelaide. „Wir haben gerade so von dir und Moro und eurem so liebevoll renovierten Schloss geschwärmt. Aber jetzt muss ich mich wirklich beeilen, damit Kevin nicht allzu lange unten in der Halle auf mich warten muss.“

Sie eilte hinunter, während ihr die Hausherrin hinterher rief: „Keine Sorge, Laura! Mein Mann hat ihn bis eben sehr gut unterhalten mit einigen wahren Begebenheiten aus seinem Leben, und da hat er ja nun wahrhaftig Vieles zu berichten mit seinen über achtzig Lebensjahren.“

„… Und Interessantes“, fügte ich hinzu. „Und welchen Besuch bringst du mir hier?“

„Das ist hier der junge Uhrmacher aus dem Ort, Jonas Weiser, ein wahrer Künstler. Erst neulich hat er Moro eine alte Taschenuhr repariert, an die sich kein anderer mehr herangetraut hat.“

Ich begrüßte den jungen Mann. „Sie wollen mich besuchen? Soll ich einen Bericht über Sie und das Geschäft schreiben?“

Er schüttelte etwas verlegen den Kopf. „Nein, Frau Mühlberg, ich weiß, dass Sie Journalistin sind und für einen Kunstverlag Bücher und Artikel schreiben, aber deswegen bin ich heute nicht gekommen. Ich habe von Greta über Sie etwas erfahren, und sie hat mir von Ihren detektivischen Fähigkeiten erzählt. Da hätte ich eine große Bitte an Sie!“

„Ich lasse euch jetzt allein“, teilte mir Adelaide mit. „Es ist jetzt die Zeit für einen Espresso für Moro, den mit dem kleinen Schuss Cognac, eine Art „Cafecoretto“.“

Sie stieg die Treppen hinunter, während ich Herrn Weiser in die hübsche kleine Dachwohnung führte und ihm im Wohnzimmer einen Platz anbot.

„Was hat Ihnen Greta erzählt?“ erkundigte ich mich und stellte ihm ein Glas Wasser auf den Tisch.

„Wir singen gemeinsam im Chor, daher kennen wir uns. Doch im Moment hat sie wenig Zeit, seit sie in diesen Direktor von dem Verlag, diesen Oscar, Oscar Münz verliebt ist. Aber darum geht es jetzt nicht. Es geht um ein verschwundenes Papier, das sehr wichtig für die Uhrmacher-Werkstatt ist, in der ich arbeite. Und es ist einfach weg. Die beiden Schwestern Helene und Gabriele behaupten nämlich, ich hätte es gestohlen. Aber das ist nicht wahr. Falls es irgendjemand entwendet hat, ich habe damit nichts zu tun.“

„Oh, jetzt komme ich gerade nicht mit. Um was für ein Papier geht es denn?“

„Ja, dann muss ich Ihnen alles einmal von Anfang an erzählen, das ist wohl besser. Mein Chef besitzt diesen Uhrmacherladen ganz nah an dem historischen Rosenturm. Mein Chef, das ist Herr Wolfgang Kortmann, er ist 60 Jahre alt. Seine beiden Schwestern, Helene und Gabriele sind um ein paar Jährchen älter als er, also beide etwas über 70, so etwa wie die Adelaide Rossini, die Frau des Malers hier im Schloss.“

„Richtig, Frau Rossini ist fast 73 Jahre alt, ist aber zum Glück noch ziemlich rüstig, deswegen kann sie ihrem älteren Mann auch noch ganz gut selbst helfen. Aber was war jetzt mit Kortmann und seinen Schwestern. Ich verstehe das immer noch nicht.“

„Also, Herr Kortmann hat seine Uhrmacherwerkstatt immer sehr geliebt, das war sein Heiligtum. Aber vor 3 Jahren, da ist er zum ersten Mal diesen Jakobsweg gegangen, den kennen Sie bestimmt, da unten ganz im Süden.“

„Natürlich, einige meiner Bekannten sind schon mal ein Stück dieses Weges gegangen, einige sehr berühmte Wege davon führen durch Spanien.“

„Richtig, Frau Mühlberg! Mein Chef ist auch durch Spanien gegangen.“

„Sagen Sie ruhig Abigail zu mir, vom Alter her könnten Sie mein Sohn sein, und mein Sohn ist Matrose und schippert gerade auf den weiten Weltmeeren.“

„Okay, Abigail. Gleich im ersten Jahr kam Herr Kortmann sehr glücklich wieder zurück und sagte mir, dass er diesen Weg jetzt dreimal gehen würde, in drei Jahren hintereinander. Und wenn alles gut ginge, würde er dann vielleicht auch dort bleiben. Damals sagte er zu seinen Schwestern und auch zu mir, dass er in dem Schreibtisch der Werkstatt einen Brief hinterlegt habe, für den Fall, dass er nicht mehr wiederkomme. Er ist sonst immer spätestens im Oktober zurückgekommen und hat dann den Winter und einen Teil des Frühlings noch hier verbracht. Aber diesmal kam er nicht im Oktober und wir haben auch nichts von ihm gehört. Nun wollen die Schwestern natürlich wissen, wie es weitergeht, und ich habe einfach erst einmal wie immer meine Arbeit in der Werkstatt verrichtet.“

„Das war in Ordnung, Jonas. Und was ist jetzt mit dem Papier?“

„Es ist gar kein Brief da. Die Schwestern und ich wir haben gemeinsam die Schublade durchsucht, aber da war nichts. Nun behaupten Helene und Gabriele, dass ich den Brief gestohlen habe, weil ich vorhätte, einfach so weiter in der Werkstatt zu arbeiten.“

„Das ist doch erst einmal sehr vernünftig“, fand ich.

„Das sehen die beiden Schwestern aber nicht so. Sie möchten jetzt die Werkstatt erben und sie verkaufen und haben schon einen Detektiv beauftragt, der in Spanien nach dem Vermissten suchen soll. Wenn sie ihn nicht finden, wollen sie ihn für tot erklären.“

„Und wie siehst du die Sache, Jonas?“

„Ich habe viele Fotos gesehen in den Schubladen meines Chefs. Von einer schönen Frau, auch mit ihm gemeinsam. Sie könnte eine Spanierin sein. Denn ich glaube, er hat sich dort gleich bei seiner ersten Reise in diese Frau verliebt. Dann hat er sie jedes Jahr wieder besucht, um zu schauen, ob ihre Liebe wirklich hält. Und in diesem Jahr ist er dann wohl bei ihr geblieben. Für ihn war die ganze Sache in Sankt Augustine erledigt, er glaubte ja, mit seinem Brief hier alles in Ordnung gelassen zu haben. Aber er ist weg, und da wollte ich dich bitten, ob du einmal nachsuchen kannst.“

„Aber habt ihr nicht schon alles abgesucht?“

„Ja schon, aber Greta hat mir erzählt, dass du auch sehr gut Geheimverstecke findest und sie auch erkennst, weil du schon in so vielen alten Gebäuden danach gesucht hast. Sie hat mir erzählt, dass du im Rosenturm ebenfalls nach ihren Akten gesucht hast, hier im Schloss nach den verschwundenen Juwelen der Florence de la Maison, vor Jahren schon einmal auf allen Speichern nach dem verlorenen Buch der Zwillinge von Gut Langenau und vor gar nicht allzu langer Zeit nach den alten Büchern und Bildern der verfolgten Künstler. Da kann ich mir denken, dass du schon allerlei Tricks kennst.“

„Lassen dich die Schwestern denn wenigstens inzwischen in Ruhe weiterarbeiten?“

„Sie haben mir eine Frist gesetzt. Und zwar bis Ende Dezember. Wenn sich bis dahin Meister Kortmann nicht gemeldet hat, und wir bis dahin den Brief nicht gefunden haben, wollen sie die Werkstatt schließen.“

„Und wer zahlt im Moment die Unkosten, die Heizung und den Strom?“

„Herr Kortmann hat ja noch sein Konto bei der Bank, und von dem wird alles ganz normal abgebucht. Dort war ich auch schon in Wittentine und habe mit einem Angestellten gesprochen. Er meinte, ich solle mir da keine Sorgen machen, es werde alles regelmäßig bezahlt. Aber mehr Auskünfte durfte er mir nicht geben, denn alles andere ist ja schließlich ein Bankgeheimnis.“

Ich überlegte einen Augenblick. „Gut, dann wollen wir auch keine Zeit verlieren. Mein Lebensgefährte Ermanno ist auch ein bisschen detektivisch tätigt gewesen. Er hat mir einmal von einem Freund in Spanien erzählt, und ich denke, den kann er einmal mit der Suche nach Wolfgang Kortmann beauftragen. Und ich schreibe nur schnell meinem Freund, dass ich mit dir in die Werkstatt gehe.

Dann werde ich dort alles auf den Kopf stellen, das verspreche ich dir.“ Ich tippte auf meinem Handy herum und benachrichtigte Ermanno, dass der Weihnachtsmarkt noch etwas warten musste.

Jonas Gesicht zeigte ehrliche Freude. „Sie nehmen sich jetzt Zeit?“

„Natürlich, führen Sie mich einfach in die Werkstatt. Ich war noch nie dort. Gehört dazu dieser winzige Laden, der neben dem Antiquitätenlädchen liegt?“

„Ja, aber sie brauchen einen Mantel. Es schneit gerade draußen. So viel Schnee, wie in diesem Dezember hatten wir lange nicht mehr.“

Ich nahm den Mantel vom Haken, und er fasste ihn geschickt und hielt ihn mir hin, sodass ich in die Ärmel hineinschlüpfen konnte.

Von Ermanno erhielt ich kurz darauf eine Antwort.

„Ein neuer Fall? Soll ich dich retten kommen?“

Dahinter fand ich einen Smiley und mehrere Herzchen.

***

Obwohl ich Lust hatte, den verschneiten Weg vom Schloss zu Fuß zu gehen, ahnte ich, dass Jonas momentan keinen Blick für die zauberhafte Landschaft im Winterkleid hatte, daher erkläre ich mich bereit, mit ihm im Auto zu fahren.

Die Straßen von Sankt Augustine glänzten uns im Weihnachtsschmuck entgegen, über den Straßen leuchteten helle Kerzenlampen aus Fichtenzweigen, die sich in Bögen über den Straßen spannten und mit goldenen Sternen blinkten.

Die kleine Werkstatt lag im Rest der alten Stadtmauer, ein paar verwitterte Steinstufen führten hinunter zum Eingang. Ein Gesteck aus Tannengrün, geschmückt mit goldenen Kugeln und etwas Lametta zeigte mir, dass der junge Uhrmacher den Adventsschmuck nicht vergessen hatte.

Jonas öffnete die Tür und ließ mich eintreten. An der recht niedrigen Temperatur des Raumes erkannte ich, dass der junge Mann mit den Ressourcen seines Chefs sehr sparsam umging. Durch einen kleinen Verkaufsraum, in dem in einer Ecke eine Art Büro eingerichtet war, führte er mich in die geräumige Werkstatt, in der es weder an Uhren noch an Werkzeug mangelte. Im nächsten Augenblick nahmen mich die Geräusche des Raumes gefangen. Aus allen Richtungen tickte es von großen und kleinen Zeitmessern, jede in einem anderen Ton und einem anderen Takt.

Mit einem Mal schien es mir, als seien sie alle lebendig: eine jede wollte mir etwas mitteilen. Eine große mahnte mich mit dumpfem Ton, meine Zeit niemals zu verschwenden, eine kleine trieb mich mit hektischer Eile an, hier endlich etwas in Bewegung zu bringen, wieder andere versuchten sich Gehör zu verschaffen mit permanenter Erinnerung an einen Wettlauf mit der Zeit. Auch der Rest mischte sich bald ein und hatte Ratschläge und Mahnungen für mich, bis ich mir einen Moment lang die Ohren zu hielt.

„Wie halten Sie das nur aus?“ fragte ich ihn. „Hier könnte ich beim besten Willen nicht in Ruhe arbeiten.“

Er lächelte nachsichtig. „Ich kenne jede einzelne von ihnen und kann auch ihre Sprache verstehen. Für mich singen sie im Chor, aber wenn ich in meine Arbeit vertieft bin, dann verschwindet ihr Ticken im Hintergrund. Doch solange sie ticken, sind sie auch gesund.“

„Ah, jetzt verstehe ich Sie etwas besser. Sie hören hier wohl eher den Takt, und haben mir auch erzählt, dass Sie gemeinsam mit Greta im Chor singen, dann sind sie wohl auch sehr musikalisch, wie unsere Künstler, die momentan bei Rossini im Schloss wohnen.“

„Ich spiele leider kein Instrument, dazu fehlte mir immer die Zeit. Mein Instrument ist allein die Stimme, und der gemeinsame Gesang gibt mir das Leben mit den Menschen, dass mir hier in der Werkstatt fehlt.“

Er ging auf den Schreibtisch zu und zeigte mir die Schublade. „Hier! Da hätte er sein müssen, dieser Brief. Aber wir haben absolut nichts gefunden.“

„Ich sehe mir alles noch einmal genau an. So ein Brief kann doch nicht einfach verschwinden. Sie haben gesagt, der Chor bringt sie mit Menschen zusammen. Leben Sie denn sonst allein?“

Er nickte und begann ebenfalls, an einer anderen Ecke des Raumes mitzusuchen, in dem er in verschiedenen Regalen Kisten und Kasten hochhob, darunter und da rein schaute. „Ich weiß nicht, ob alle Uhrmacher so sind wie ich, aber Herr Kortmann ist auch so ein Einzelgänger. Oft, wenn wir hier so vertieft gearbeitet haben, hat einer den anderen nicht gesehen. Eine Uhr hat ihr Eigenleben, und wenn ich mich darauf konzentriere, komme ich mir vor wie ein Chirurg. Wenn ich so vertieft arbeite, sehe ich und höre ich nichts. Vor 4 Jahren, da hatte ich einmal eine Freundin, aber die hat es nicht lange mit mir ausgehalten. Sie meinte, ich passte zu den ganz alten, verstaubten Uhren.“

Ich lachte, und während ich den Inhalt der Schreibtischschublade sorgfältig notierte, bemerkte ich: „Dann sind sie wohl so eine Art Antiquität?! Manche mögen das nicht, andere erkennen ihren Wert, unter Umständen sind sie sehr kostbar.“

„Dass ich im Chor singe, gefiel ihr auch nicht. Sie meinte, ich sei bestimmt früher bei den Wiener Sängerknaben gewesen. Die wären auch nicht von dieser Welt. Mittlerweile wohnt sie auch nicht mehr in Sankt Augustine, sondern ist weiter weggezogen. Damals hatte ich geglaubt, sie sei meine große Liebe.“

Ich zuckte die Schultern. „Manchmal stimmt’s, manchmal nicht. Aber vermutlich hat sie wirklich nicht zu Ihnen gepasst. Entweder hat man einen Sinn für Geschichte und Kunstgeschichte, vielleicht auch für Antiquitäten, oder man hat kein Gespür dafür. Sagten Sie nicht, dass Sie Greta näher kennen?“

„Ja, wir singen gemeinsam im Chor. Ich finde gut, dass sie das alte Holzhaus im Blumenviertel wieder renovieren lässt. Ich habe sie in den letzten Tagen oft mit Oscar Münz gesehen. Wissen Sie, das ist doch der, der den großen Verlag in Hamburg hat. Ich glaube, sie ist in ihn verliebt.“

„Das ist auch kein Wunder! Wer ist nicht in ihn verliebt?! Ich bin nun schon über 40, aber auch ich habe beim ersten Anblick erst einmal geschluckt. Er sieht wirklich aus wie die alten Skulpturen von den römischen oder griechischen Göttern. Ich glaube, sein Anblick lässt niemanden kalt. Sogar Rossini fühlt sich von ihm inspiriert und bedauert, dass er in seinem fortgeschrittenen Alter nicht mehr imstande ist, Skulpturen herzustellen. Allerdings weiß ich auch, dass sich Oscar sehr oft immer wieder neu verliebt, und das weiß ich sogar aus erster Hand. Morgen fährt er wieder zurück nach Hamburg, er will dort noch die Inventur seines Verlags beaufsichtigen.“

Jonas atmete hörbar auf. „Ach, das wusste ich gar nicht. Die meisten Gäste bleiben doch noch über Silvester und Neujahr hier in Sankt Augustine. So romantisch, wie es bei uns ist, geht es kaum noch in irgendeiner anderen Stadt zu. Ich denke, wir machen Rothenburg und Dinkelsbühl ganz schön viel Konkurrenz.“

Wir suchten beide unterdessen weiter und wurden nicht müde, jedes einzelne Papier herumzudrehen.

„Meine Freundin Laura, die Französin, die in Amerika inzwischen sehr berühmt geworden ist, bleibt auch mit ihrem Mann, dem Regisseur Kevin Braun, noch ein paar Tage länger hier, um an den restlichen Feierlichkeiten des Jahres noch teilnehmen zu können. Kevin beabsichtigt schon lange einmal, einen ganzen Film hier zu drehen, weil die Kulisse so malerisch ist.“

Jonas nickte. „Ich erinnere mich. Er hat auch schon einmal hier gedreht, diese Szenen im Schloss. Da waren Sie doch auch wieder einmal mit einem Kriminalfall beschäftigt.“

Ich grinste. „Manche Leute sagen mir nach, ich ziehe solche Leute an. Aber glauben Sie das nicht! Man verwickelt mich nur immer ganz gern darein, weil mich meine Spürnase selten im Stich lässt.“

Mittlerweile hatte ich den Inhalt der Schublade von oben bis unten durchgesehen, aber keinen Brief, kein besonderes Schriftstück gefunden.

„Hoffentlich ist er nicht in den Müll geraten“, überlegte ich. „Haben Sie schon alle Bücher untersucht?“

Er nickte. „Ja, das habe ich. Aber falls Sie noch Zeit haben, können Sie gern noch einmal dort schauen, wo sie ihn vermuten. Dieser Raum ist schon sehr alt, können Sie sich vorstellen, dass es hier irgendwo in den Balken oder in den Wänden ein Geheimversteck gibt?“

Ich überlegte. „Nebenan, beim Rosenturm, dort gibt es ein paar Verstecke, die in das Mauerwerk eingelassen sind. Ganz unten zum Beispiel kann man mit dem Druck auf einen Stein eine große Zwischentür öffnen.“

Gemeinsam begannen wir die Wände abzutasten, aber wo wir auch drückten und klopften, es tat sich nichts.

„Was ich nicht verstehe, Jonas, das ist, dass Herr Kortmann behauptet hat, den Brief in der Schublade versteckt zu haben. Warum sollte er ihn hinterher noch einmal an einen anderen Ort getragen haben?“

„Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht. Vielleicht hat er seinen Schwestern doch nicht ganz vertraut und im allerletzten Moment einen anderen Ort gewählt. Dann hat er vielleicht vergessen, ihn mir mitzuteilen.“

„Gibt es vielleicht irgendeine Uhr, in der der Brief schlummern kann?“

„Da habe ich in den letzten Tagen auch schon nachgeschaut, bin aber auch nicht fündig geworden. Es ist zum Verzweifeln.“

„Dann müssen wir weitersuchen!“, schlug ich vor und schrieb noch einmal eine kurze Nachricht an Ermanno, damit er sich keine Sorgen machte.

Jetzt begannen wir, unter Schubladen und Schränken nach Geheimfächern und angeklebten Behältern zu suchen, keine Stelle erschien uns absurd genug, um ausgelassen zu werden.

Nach einer Weile hielt ich inne. „Ich bin momentan wirklich ratlos. Wie sieht es denn mit dem Büro aus?“

Er seufzte. „Da habe ich auch schon mehrere Tage gesucht. Langsam werde ich mir immer sicherer, dass die beiden Schwestern den Brief gestohlen haben.“

„Haben die denn einen Schlüssel?“

„Offiziell nicht. Aber wer weiß. Vielleicht hatten sie früher mal einen, oder sie haben sich heimlich einen nachmachen lassen, in der Zeit, als ich im letzten Winter in Urlaub war, da war Herr Kortmann eine ganze Weile allein im Betrieb.“

Es klopfte an der Tür, und der junge Uhrmacher eilte hinaus, um nach dem Störenfried zu schauen. Einen Augenblick später kehrte er zurück, hinter ihm erblickte ich Ermanno.

„Ich hatte keine Lust mehr, einfach nur dazustehen und zu warten“, teilte er uns mit. „Ich werde euch einfach beim Suchen helfen.“

Ich umarmte ihn, und er küsste mich zärtlich auf die Wange. „Und außerdem möchte ich nicht solange ohne dich sein.“

Er begann in einer weiteren Ecke der Werkstatt gründliche Untersuchungen vorzunehmen und vertiefte sich in seine Arbeit.

„Was ist das?“ fragte er nach einer Weile und hielt ein altes Pergament hoch. Es steht etwas in Französisch darauf. Hat das etwas zu bedeuten?“

„Von diesen alten Papieren wirst du noch mehr in Schubladen und Büchern entdecken“, erklärte ihm Jonas. Das alles sind Schriften mit klugen Worten von dem Franzosen Jean-Jacques Rousseau. Was du gerade gefunden hast, bedeutet: „Geduld ist bitter, aber ihre Früchte sind süß. Wolfgang Kortmann ist nämlich ein Fan von ihm. Vermutlich, weil dessen Vater auch Uhrmacher war.“

„Das ist interessant“, fand Ermanno. „So haben Vater und Sohn die Geheimnisse in verschiedenen Bereichen entdeckt. Während der Vater zwischen den Rädchen der Uhren werkelte, suchte sein Sohn in den verschiedenen Lebensbereichen nach der Wahrheit und den Erkenntnissen. Es ist erstaunlich, dass Kortmann das alles hier so hinter sich gelassen hat. Diese ganzen alten Uhren hier, die sehen auch so aus, als seien sie sein Lebenswerk gewesen.“

Jonas nickte. „Das war es auch. Hier findet man viele Antiquitäten, die Kortmann mit Geduld und Fingerfertigkeit wieder zum Leben erweckt hat. Als ich ihn vor ein paar Jahren kennenlernte, war dieses Leben hier auch sein Ein und Alles. Ich habe gedacht, dass er ohne seine Uhren nicht leben könne. Aber wie ich schon sagte, diese Wanderung, der Jakobsweg, der hat ihn total verändert. Plötzlich waren das alles nur noch materielle Dinge, die er nicht mehr so wichtig nahm. Die Erfahrungen auf der Reise bedeuteten ihm mehr, da ging es wohl um den Sinn des Lebens. Und später kam dann noch diese Frau dazu. Wenn er dann hier in der Werkstatt saß, kam es häufig vor, dass er sich völlig in Gedanken vertiefte und dabei lächelte, so, wie wenn man verliebt ist.“ Er zeigte Ermanno die Fotos von der Frau.

Mein Freund betrachtete die Bilder aufmerksam. „Ja, das sind Fotos, die eine Privatperson gemacht hat. Sie sieht sehr sympathisch aus, diese Dame. Tatsächlich kann ich sie mir gut als Spanierin vorstellen. Und Kortmann? Es gibt Menschen, die können nicht aus ihrer Haut und verfolgen ihr ganzes Leben lang einen einzigen Weg, selbst wenn er in einer Sackgasse endet. Aber dann gibt es auch wieder andere, die sich wie ein Schmetterling aus einer Raupe entfalten können. Nicht jeder hat den Mut die eingefahrenen Wege zu verlassen, besonders nicht, wenn er älter ist.“

Ich blätterte in einem alten Buch, auch hier fand ich zwischen den Seiten ein Foto der hübschen Frau. Hier habe ich schon wieder ein Bild gefunden“, teilte ich den anderen mit. „Er hat sie überall verteilt. Das ist eine hübsche Idee, so hat er sie hier in der Werkstatt überall gesehen, an verschiedenen Stellen wird er an sie erinnert. Ich wünsche es ihm, dass er dort mit ihr jetzt glücklich ist. Aber es ist schon merkwürdig, dass er sich so gar nicht meldet.“

„Vielleicht hat er einen radikalen Schnitt gemacht“, vermutete Ermanno. „Vielleicht würde ihm doch sonst der Abschied von Sankt Augustine zu schwer gefallen sein. Aber ich habe eben schon José beauftragt, einmal nach ihm Ausschau zu halten. Wer weiß, ob er da mit seinem eigenen Namen lebt, wenn er nicht gefunden werden möchte. José wird sich an den verschiedenen Stationen vom Jakobsweg erkundigen und auch seine Freunde Juan und Carlos beauftragen. Irgendeiner muss ihn doch gesehen haben.“

Jonas schickte ihm ein Foto von Wolfgang und der fremden Frau auf das Handy und Ermanno leitete es augenblicklich weiter an José, der den Erhalt kurz darauf bestätigte.

Diese Unterbrechung nutzten wir für eine kleine Pause und überlegten, was nun am besten zu tun sei.

„Wer hat denn sonst noch Zugang zu dieser Werkstatt?“ wandte sich mein Freund an Jonas.

„Eigentlich niemand. Offiziell haben seine beiden Schwestern keinen Schlüssel. Und außer den Kunden war sonst tagsüber niemand hier.

Allerdings bin ich ja nicht die ganze Nacht durch hier gewesen. Ja, manchmal arbeitete der Chef bis abends spät, aber oft, wenn ich dann nach Hause ging, blieb Kortmann noch hier unten. Seine kleine Wohnung ist oben, verschlossen. Davon hat aber nur , so viel ich weiß, der Hausmeister einen Schlüssel, und der hat auf Wunsch der Schwestern schon einmal hineingeschaut. Aber da gibt es nichts Besonderes, und warum sollte er auch diesen Brief, der für seine Schwestern und mich gedacht war, aus der Schublade herausnehmen und mit nach oben nehmen?“

„Es ist schon merkwürdig“, fand ich. „Wenn an dem Schriftstück irgendetwas zu ändern war, hätte er es gut vom Büro aus tun können. Ich denke, wenn wir hier gar nichts finden, werde ich mich einmal mit den Schwestern unterhalten müssen. Wo wohnen sie denn?“

„In einem anderen Stadtteil“, wusste Jonas. „Das sind Helene Kortmann und Gabriele von Seidel. Sie wohnen direkt neben der alten Buchdruckerei und sind sehr zurückgezogen. Helene, die jüngere, war noch niemals verheiratet und ist dafür bekannt, dass sie viele Männer vergrault hat mit ihrem unzufriedenen Wesen. Gabriele von Seidel sucht immer noch nach einem geeigneten Partner, nachdem der Baron von Seidel eines Tages nach Amerika auswanderte. Sie müssen beide einmal viel Geld gehabt haben, munkelt man. Aber obwohl sie nur eine winzige Wohnung haben, erzählt man sich, dass sie wohl alles auf den Kopf gehauen haben müssen. Man erzählt sich, dass jetzt beide arm sind.“