Der Trip - Petru Engel - E-Book

Der Trip E-Book

Petru Engel

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  • Herausgeber: 110th
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Die Wirklichkeit ist nur eine Frage der Perspektive, Wahrheit dagegen eine Frage der Sensibilität. Die Außerirdischen kommen, um hier zu beten. Was ist Wirklichkeit? Was Phantasie? Was bewirkt eine Verschiebung der Perspektive? Kris Blumenberg, fasziniert von entsprechenden Büchern, Bildern, Filmen, reist allein entlang der Mittelmeerküste durch Italien, Frankreich und Spanien. Sprachbarrieren und Schüchternheit isolieren ihn mehr und mehr, seine Wahrnehmungen nehmen seltsame Züge an, er hat surreale Begegnungen. Eine Odyssee in den Wahnsinn beginnt. Am Ende wartet das Fixierbett in einer Nervenklinik. Blumenberg steht vor neuen Fragen: Was will ihm das Erlebte sagen? Gibt es Auserwählte? Was ist das Geheimnis der Schizophrenen?"

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Seitenzahl: 148

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Petru Engel

Der Trip

 

 

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-430-3

MOBI ISBN 978-3-95865-431-0

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Kurzinhalt

„Die Außerirdischen kommen, um hier zu beten.“

Wirklichkeit ist eine Frage der Perspektive, Wahrheit eine Frage der Sensibilität.

Autor

Petru Engel wird 1963, an einem Sonntag, irgendwo im Süden Deutschlands gebo-ren, drei Tage vor Quentin Tarantino. Steve McQueen wurde an diesem Tag 33 Jahre alt. Nach dem chinesischen Horoskop kommt er im Jahr des Wasser-Hasen zur Welt. An diesem Tag ist Neumond.

Prolog 1

Kein Anfang. Schlieren,

wie gehaucht.

Striche, Fäden,

wie mit Federkielen und Pinseln gemalt.

Muster, die ich deuten kann,

Marmor, der mich lesen lässt. Heilige

Schriften. Die Kaligrafien

auf dem Kunststoffboden.

Ja.

Ich kann sie entziffern. Ich kann mich erinnern.

Amsterdam, 1984

Zu Pfingsten 1984 reisten wir nach Amsterdam. Natürlich wegen der Drogen. Aber jeder hatte andere Vorstellungen.

Bertl wollte reichlich einkaufen im Café Russland und dann mit dem Zug auf das Open-Air-Konzert am Nürburgring fahren.

Thilo wollte ganz groß was reißen und mit Kokain dealen.

Micha wusste nie so genau, was er eigentlich wollte.

Ich hatte 100 D-Mark zur Verfügung. Von der einen Hälfte gedachte ich 'Schwarzen Afghan' zu kaufen, von der anderen zu leben.

Zunächst hatte ich geplant auf eigene Faust nach Amsterdam zu trampen. Doch dieses Vorhaben hätte ich besser für mich behalten sollen.

Als ich in den Kiffercliquen zwischen Leonberg und Pforzheim mein Vorhaben erwähnte, fand sich schnell eine Truppe, die ebenfalls nach Amsterdam wollte. Thilo und Micha kauften zu diesem Zweck ein Auto. Einen alten, verschrammten, schwarzen Mercedes, dessen Lenkrad zwischen Tempo 70 und 90 zitterte wie ein Kranker, den das Fieber schüttelt. Darunter und darüber lief er tadellos. Bei einer Probefahrt stellte sich heraus, dass ich gut zurecht kam mit diesem Handicap. Ich durfte chauffieren, während die anderen sich planmäßig die Köpfe zuknallten. Denn Bertl hatte Reiseproviant dabei, der noch vor der deutsch-holländischen Grenze bis auf den letzten Krümel vernichtet werden musste. Vernunft und Vorsicht ließen ihnen keine andere Wahl.

Ich rauchte meine Roth-Händle-Zigaretten und drehte die Musik lauter. Die frisch installierten Zimmer-Boxen verdeckten die Heckscheibe komplett.

Es regnete ohne Unterbrechung, ein Pfingstwetter wie so oft. Die Scheibenwischer schlugen zehntausendfach ihren Bogen.

Gegen vier Uhr morgens hatte ich genug nass-schwarzen Asphalt, Rücklichter, Scheinwerfer und weiße Mittelstreifen gesehen. Meine Reisegenossen schlummerten, ich spürte, wie meine Lider sich über die Pupillen zogen und mit aller Macht nach unten drückten.

Keine Raststätte, kein Parkplatz.

Ich zündete mir eine Roth-Händle an und nahm einen Schluck Cola. Ich war jung und überwand schnell den toten Punkt. Endlich zeigten die Schilder Amsterdam an. Eine halbe Stunde später waren wir in der Stadt.

Ich fuhr rechts ran und sagte: „Hört zu, ich bin total müde. Wer hat die Karte? Wo ist die nächste Jugendherberge?“

Thilo machte den Standort klar. Wir mussten wenden. Ich stieß etwas zurück und touchierte einen Laternenpfahl. Thilo rastete aus. „Mein Auto!“ Er stürzte aus dem Wagen, um dem Unglück ins Auge zu blicken. Eine Delle an der Stoßstange.

Der Schaden war minimal, Thilo völlig außer sich.

Als wären wir in einem Raritäten-Oldtimer unterwegs.

Thilo und Micha stritten sich wieder, wem das Auto nun eigentlich gehört.

Bei der Jugendherberge erfuhren wir, dass sie jetzt zu Pfingsten schließen und keine neuen Gäste mehr aufnehmen. Alles klar - ich wollte zurück zum Auto. Thilo nicht.

„Mann, hier hat's jede Menge Weiber, schau dir mal den Frühstücksraum an!“

Er war begeistert. Ich ließ ihn stehen und wartete mit den anderen im Auto. Thilo kam nicht. Ich wurde richtig sauer:

„Ich muss dringend schlafen. Der Thilo ist mir jetzt scheißegal. Micha, wir suchen das Hausboot von deinem Bekannten, dann kann ich mich dort hinlegen.“

Micha und Bertl waren sofort einverstanden. Wir ließen Thilo einfach zurück.

Wir fanden bald das Hausboot, jedenfalls war Micha felsenfest davon überzeugt, dass es das Richtige ist. Der Bootsbesitzer war nicht da. Ich suchte also auf der Karte die nächste Herberge. Sie schien nicht weit weg zu sein, ich entschied mich, dorthin zu laufen.

„Wir treffen uns in dieser Jugendherberge an der Herengracht so gegen 15 Uhr. Dann könnt ihr euch dort ebenfalls einquartieren.“

Meinen großen Tramperrucksack ließ ich im Kofferraum des Autos, nahm nur Schlafsack und Geldbeutel mit und ging die nächste Brücke über die Gracht. Und über die nächste Gracht.

Amsterdam ist schnuckelig, pittoresk, wunderschön.

Und noch eine Gracht.

Die Herberge war teuer, acht Gulden, und ich konnte nicht schlafen, war zu unruhig. Um drei Uhr kam niemand, um vier auch nicht, um fünf beschloss ich, zurück zum Auto zu gehen. Brücke um Brücke, Gracht für Gracht. Ich fand weder Auto noch Hausboot.

Einen 50er-Schein hatte ich in die Jacke eingenäht, die in meinem Rucksack im Kofferraum des nun verschwundenen Autos lag. Was mir blieb: die Kleider am Leib, der Schlafsack, 30 D-Mark im Geldbeutel und die Möglichkeit, es im Café Russland zu versuchen. Bald entdeckte ich das berühmte Drogen-Café und darin als Gast einen alten Freund: Thilo.

Er saß bei zwei Mädchen, die eine hübsch, die andere hässlich.

Und er zwitscherte, lachte, sang, charmant, charmant, kavalieresk, die Kanaille, der Schurke, der alte Hund betörte die Hässliche, die sich im siebten Himmel wähnte und ihn mit Kaffee, Zigaretten und weiß Gott sonst was freihielt. Die Hübsche daneben durchschaute sein Spiel, aber sie wagte es nicht, ihre überglückliche Freundin mit der Wahrheit zu enttäuschen. Thilo war eiskalt und das Ganze unwürdig. Ist dieser Abenteurer tatsächlich völlig ohne Kohle gen Amsterdam gezogen, auf dass es notwendig war, so ein Ding abzuziehen?

„Wo sind die andern? Und wo ist das Auto?“

„Der Bertl hat hier eingekauft und will noch heute Abend mit dem Zug zurück nach Deutschland fahren.“

„Und Micha. Der Mercedes?“

„Das weiß ich nicht. Den habe ich nicht gesehen, als ich gekommen bin. Der Daimler gehört jedenfalls mir. Aber nur dieser Michael Gumpp weiß, wo er steht, und er hat die Schlüssel. Das hat mir Bertl erzählt.“

„Weißt du, wann dem Bertl sein Zug fährt?“

„Neunzehn Uhr oder so etwas hat er gesagt.“

Am Hauptbahnhof bat ich darum, Bertl, meine letzte Hoffnung, auszurufen: „Berthold Kock, bitte melden Sie sich an Schalter eins.“ Drei Mal. Gerade war die Ansage verklungen, da schlappte Bertl durch die Glastüren des Amsterdamer Hauptbahnhofs. Vollbärtig, langhaarig, dicklich. Stoned wie immer, und man merkte es ihm nicht an.

„Bertl, ich bin richtig froh, dass ich dich sehe. Mein ganzes Gepäck, das Auto und Michael Gumpp sind weg. Hör' mal, ich habe fast kein Geld mehr. Kannst du mir vielleicht zwanzig Mark leihen?“

„Das geht schlecht, Kris. Ich habe selbst nicht mehr viel und muss mir noch ein paar Comics kaufen. Für die lange Fahrt.“

Oh, verdammt. Wer hätte da kein Verständnis gezeigt? Schließlich waren wir gute Freunde. Kifferfreunde. Unverbrüchlich. Bertls Not mit den Comics war für mich so ein typischer Fall subjektdeterminierter Relativität und gar kein Problem. Ich trug einem alten Mann die Koffer zum Zug, schleppte sie in sein Abteil und er beschenkte mich mit fünf Gulden für diesen Dienst. Denn weiter geht es immer irgendwie.

Ich ging zurück zu Thilo Casanova, dem Schäbigen.

Er saß, die Damen waren weg, allein im Café Russland, vor sich eine leere Tasse und ein Päckchen Benson&Hedges.

„Na, Thilo, wie geht’s?“

„Du hast den Bertl getroffen?“

„Ja. Aber sonst nichts. Kein Michael Gumpp?“

„Der sitzt da drüben.“

Bertl war ein gepflegter Hippie, Micha ein abgerissener. Die elegante Frau, mit der Micha qualmend an einem Tisch sprach, steckte in einer schicken weißen Bluse, ihre ärmellose Weste, die Hosen und Stiefel waren so schwarz wie ihre modische Kurzhaarfrisur. Die extralange Zigarette rauchte sie mit Stil und nahe der Vollendung. Sie und Michael Gumpp – ein toller Kontrast.

„Was will die von Micha?“

„Ich frage mich, warum sie von mir nichts will“, kritisierte Thilo.

„Das Auto ist also wieder da. Mann, was bin ich froh!“

„Die Schlüssel sind wieder da. Das Auto nicht. Michael Gumpp findet die Karre nicht mehr. Und das Hausboot auch nicht.“

Wir vertagten die Suche nach dem schwarzen Mercedes vor dem Hausboot und fanden eine Jugendherberge, die uns aufnahm, wenn auch nur für eine Nacht, denn am nächsten Tag schlossen sie die Pforten. Hier konnten Jugendliche zu fairen Preisen Haschisch kaufen. Ich investierte zehn Gulden und wir rauchten das mittelmäßige Zeug ohne Zaudern weg. Der Verwalter suchte Freiwillige, die am nächsten Morgen die Herberge putzen sollten. Gegen Lohn. Wir waren dabei.

„Wer möchte im ersten Stock ...“, begann er seinen Satz.

„Ich, ich“, rief Thilo.

„Gut, gut“, sagte er. „Dann reinigen Sie also dort die Toiletten.“

Ich erhielt den Job mit dem breiten Besen. Die Gänge und die Zimmer fegen. Ein philosophischer Auftrag. Kontemplativ. Vor einem Bett standen Schuhe. Vergessene Schuhe. Traumhafte Schuhe. Ein beigefarbenes, weiches Wildleder, als hätte der Camel-Mann aus der Fernsehwerbung sie hier stehen lassen. „Ich gehe meilenweit für eine Camel-Filter.“ Genauso ausgetreten sahen sie aus. Perfekt. Sie waren eine Nummer zu groß, aber das störte mich nicht. Endlich Fußfreiheit.

Jeder Putzmann bekam stattliche 15 Gulden. Außerdem fand ich in einem der Zimmer einen zurückgelassenen Regenschirm. Das alles machte mir weitere Hoffnung. Wieviel Geld Micha und Thilo jetzt hatten, wusste ich nicht. Wir aßen Heringsbrötchen in einer Imbissstube. Ich kaufte teure Gaulois-Zigaretten und Schwarzer Krauser zum Drehen.

„Was war denn das für eine super-elegante Frau im Café Russland, Micha? Die sah ja toll aus.“

„Sie hat mir einen Job angeboten.“

„Einen Job? Für heute?“

„Nein. Ich soll Stoff von Portugal nach Holland schmuggeln. Auf einem Schiff. Kokain.“

„Lass' da bloß die Finger weg.“

Micha lächelte, die Sache schmeichelte ihm. Aber instinktiv wusste er, dass das nichts für ihn war.

Nein, seine Sache war es zunächst, den Daimler vor dem schwimmenden Haus zu finden. Auch ich sah mich in der Pflicht, schließlich brauchte ich gestern nur etwa 15 Minuten von diesem Boot bis zur Herberge an der Herengracht. Wir mussten einfach planmäßig das Labyrinth der Grachten durchkämmen und dabei etwas Glück haben.

Wir fanden nichts. Thilo hatte dann die Idee mit dem Blut.

Das Rote Kreuz von Amsterdam rief mit Reklametafeln zum Spenden des roten Safts auf.

Der halbe Liter brachte jedem 20 Gulden.

Statt des Hausboots entdeckten wir ein Hallenbad. Wir kauften dort Badehosen und Mützen. Endlich und unendlich unter einer Dusche stehen und dann Schwimmen. Ein perfekter Nachmittag.

Amsterdam hatte viel zu bieten.

Mehr als nur Haschisch.

Überall Kultur und interessante Frauen.

Nur, das alles kostet Geld, und wir waren Habenichtse.

Am Abend verirrten wir uns in die Gay-Scene von Dam. Sollten wir vielleicht für ein paar Gulden in die Fußstapfen von Jean Genet treten und uns als Stricher verdingen? Dann doch lieber Hausbootsuchen.

Ausgangspunkt unserer erneuten Fahndung war diesmal das Café Russland, das ebenfalls fußläufig vom Auto entfernt liegen musste. Wir beschlossen, getrennt zu suchen und uns um 22 Uhr wieder im Café zu treffen. Thilo zog alleine los, Micha mit mir.

Wir passierten eine breite Promenade mit einer Brunnenanlage in der Mitte. Am Brunnenrand saß ein Mann mit Gitarre. Stille. Nichts. Dann legte er los. Tief rollende, erhabene Bluesriffs, die donnernd den Platz in ein Open-Air-Konzert verwandelten. Er schlug die Elektrogitarre und grummelte cool in eine kräftige Gesangsanlage:

„Boom boom, boom, boom –

Gonna shoot you right down.“

Eine Kolonie von tausend Tauben flog in den wolkenschweren Himmel auf. Majestätisch. Wie ein Vorhang, der sich hebt. Wie ein grandioser Applaus. Unvergesslich und die beste Szene, die ich in Dam damals erlebte.

Wir stiegen in die Straßenbahn.

Der Plan war, zwei, drei Stationen Richtung Herengracht zu fahren, dann auf neuen Wegen zurück zum 'Russland' zu laufen und dabei den Mercedes zu finden.

Kaum betraten wir die Tram, fiel sie mir auf.

Sie war vielleicht siebzehn, mit Beinen bis hoch zu den Ohren.

Schwarze Netzstrümpfe, roter Blazer, schwarze Haare rückenlang. Ich zwang mich, von dieser Sensation meinen Blick abzuwenden. Was mir selbst ganz gut gelang, war für ein paar Jugendliche in der Tram ein Problem. In ihrer erotischen Hilflosigkeit und Überforderung pöbelten sie die grelle Schöne an.

Sie wehrte sich und giftete zurück. Sie musste ihren Ruf wahren. Natürlich war sie keine Nutte. Sie wollte einfach auffallen. Ich hörte dem kleinen Drama eine Weile zu, dann ergriff ich die Chance, meine Ritterlichkeit zu beweisen. Ich stand auf, ging ein paar Schritte auf die Jungs zu und sagte laut: „Haltet das Maul!“ Ich setzte mich wieder hin, ohne die dankbaren Blicke der Dame zu suchen.

Herengracht.

Der bescheidene Held und sein Knappe Michael stiegen nun aus. Sie ebenfalls.

„Sollen wir einen Kaffee trinken irgendwo – was denkst Du?“

„Ein Kaffee ist gut“, sagte sie in sicherem Deutsch. „Wir können den Kaffee bei mir zu Hause machen. Das ist nicht weit. Ich wohne in einer WG.“

Ich wünschte, ganz allein mit ihr zu sein. Neben ihr zu liegen. Sie küssen. Wir liefen durch Amsterdam.

„Was machst Du so?“

„Ich habe mich beworben. Für Fotos. Beim 'Playboy'.“

Ein 'Playboy-Girl' werden, das war damals der Traum vieler Mädchen. Sie hat, dachte ich, durchaus Chancen. Ich verbot es mir, sie mir nackt vorzustellen. Dabei wünschte ich mir, sie nackt zu sehen und ihren Körper zu spüren.

„Wir sind bald da.“

Es war schon dunkel. Dieser Michael Gumpp klebte an mir wie zertretene Hundescheiße im Profil einer Schuhsohle. Ich werde ihn nicht los, das wurde mir bewusst.

Er wird mir folgen und an der Bettkante sitzen.

Er wird durch die Tür lauschen und an allem teilnehmen.

Ich sah ihn scharf an und meine Augen sagten: „Lass uns allein!“. Aber Micha schaute zurück, wie wenn er das nicht gehört hätte. Ich traf eine Entscheidung.

„Bitte entschuldige, dass wir nicht mitkommen. Aber es ist spät geworden, und wir müssen unbedingt unser Auto finden.“

Ich drückte ihr einen kleinen Kuss auf die Lippen und wir machten kehrt Richtung Herengracht. Gegen 22 Uhr waren wir wie vereinbart im Coffeeshop Russland. Erfolglos auf ganzer Linie.

Irgendwann standen wir tatsächlich vor dem schwarzen Mercedes. Daneben das Hausboot. Was für eine Freude. Das Ende des täglichen Kampfes ums Überleben. Was werde ich essen, trinken, wo werde ich schlafen? Aber inzwischen war ich abgebrüht genug, meinen eingenähten Fünfziger in der Jacke stecken zu lassen und so wie die anderen einfach gegen Null zu spielen.

Wir planten die Rückreise.

Wir legten zusammen und kauften in einer Biker-Bar für 30 Gulden 'Schwarzen Afghan'. Dank dieser Erwerbshandlung hatten wir kein Geld mehr für Benzin. Also zogen wir mit unserem Kanister und einem kleinen Schlauch los, um aus parkenden Autos Sprit zu ziehen. Das funktionierte hervorragend und ohne Komplikationen hatten wir den Tank bald zu Zweidrittel voll.

Auch die Rückbank machten wir zum Kapital. Zwei Punks aus Hamburg, immer laut und durstig, wollten bis Venlo mitfahren, was uns 20 Mark pro Nase brachte. An der letzten Tankstelle vor der Autobahn füllte ich voll und Thilo jagte alle aus dem Wagen um den Innenraum zu säubern.

„Das muss an der Grenze tiptop aussehen.“

Leider gab es ein Opfer bei dieser Aktion. Der kleine Kanten 'Afghan', der zuletzt in Michas Hängetasche gelegt worden war, wurde danach nie mehr gefunden.

Ist er zwischen die Polsterung der Rückbank geraten, in den Schlauch des Staubsaugers, in den Mülleimer oder einfach in die Hände von Thilo Oberschurke?

Michael Gumpp überraschte mich dann mit seinem Wunsch, ab sofort das Auto, das ihm ja zum Teil gehörte, selbst zu steuern, und Thilo stimmte überraschend zu.

Nach wenigen Kilometern auf der holländischen Autobahn stieß Micha heftig gegen die Randsteine einer künstlichen Kurve. Achsenbruch.

Wir blieben unverletzt. Der Rettungsdienst brachte uns zur nächsten Raststätte.

Der Rest war Trampen.

Ich kiffte noch ein Jahr.

Auf einer LSD-Party im Hause von Hanjo Kahms Eltern, dem Cousin von Michael Gumpp, nahm ich Sunshine-Trips. Zunächst spürte ich gar nichts.

Dann sah ich Pferde.

Stunden später begann ich, zu lächeln, zu lachen – ich lachte über jeden, über alles, überall. Die Welt war so vorhersehbar. Ich schwebte in einem Ballon, kam nicht mehr herunter von meiner neuen Realität. Ich fand einfach nicht mehr zurück.

Ich trieb wie leichtes Holz in einem wilden Fluss und der unbekannte Strom zog mich in den grauenvollen Schlund meiner ersten Psychose.

Sechs Monate Psychiatrie.

Eine Katastrophe – für meinen Vater, für das Abitur, für mich und mein Leben. Danach konnte ich nicht mehr derselbe sein. Der Rock'n Roll in mir war tot, und auch der Hippie musste sterben. Ich schnitt meine Haare kurz, hängte die Poster ab, verschenkte meine Platten, suchte neue Freunde.

Ich beschloss, Bürger zu werden.

Prolog 2

Der Zirkel zieht nur kleine Kreise,

ähnlich denen, die wir gehen.

Wenn wir suchen, was wir kennen,

stoßen wir das Neue um.

Auch wer die ganze Welt umrundet,

hat nur einen Kreis durchschritten.

Mintzhausen, 2011

„Die Außerirdischen kommen, um hier zu beten. Für sie ist die Erde der auserwählte Planet der Milchstraße.“

„Was redest Du da? Nimmst Du LSD?“