Der Vagabundenblog - Silvia Fischer - E-Book

Der Vagabundenblog E-Book

Silvia Fischer

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Beschreibung

Auf einmal verwirklichte sich Michelles grosser, lange gehegter Traum: ein Jahr lang ohne Geld zu leben - in Frankreich. Von ihrem abenteuerlichen und geradezu phantastischen Leben und ihren Begegnungen mit Menschen erzählt sie auf ihrem Vagabundenblog. Sie hat daraus ein Buch gemacht, um ihren Leser*innen die Möglichkeit zu geben, es überall zu lesen. Aber bitte nur häppchenweise, denn es ist prall gefülltes Leben! Für Michelle war das Jahr (fast) ohne Geld das glücklichste Jahr ihres Lebens. Das Buch ist nach dem Motto "nicht perfekt, aber lebendig" geschrieben und freut sich, wenn es auch unter diesem Motto gelesen wird.

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Der Vagabundenblog

 

Vom Leben ohne Geld

 

von Silvia Fischer

 

Dieses Werk steht unter

Creative Commons

 

Namensnennung-Nicht Kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0

International Lizenz

 

 

 

 

 

 

 

All jenen gewidmet,

die mir geholfen haben so zu leben

Inhaltsverzeichnis

 

Vorwort

Eröffnung Vagabundenblog

Wieder bei Papi

Unter der Woche

Wochenende wie gehabt

Back in the city

Vom freien Willen, Druiden und Squats

Dem Sonnenuntergang entgegen

Schwimmbad ade

Von Tobsuchtsanfällen und Nepalihüten

Ein Unglück kommt selten allein

Zu Besuch bei Mona

Mountains in the rain

Unverhofft kommt oft

Für eine Woche ein Zuhause

Von verlorenen und wiedergefundenen Schlafplätzen

Schweizer Käse

Rückfahrt mit Unterbrechungen

Ein Geisterhaus ums andere

Schock im Squat

Squat ade

Grüner Salat

Bergauf, bergab

Wieder auf der Strasse

Das Ende eines Squats

Von Strand- und anderen Spaziergängen

Zehn Grad minus

Fröhliche Weihnachtszeit

Zwischen den Jahren

Tunesische Hochzeit

Von Höhlen und anderen Menschen

Long way back from Hippieland

Der schönste Tag eines Lebens

Die Kunst des Nichtstuns

Weihnachtsmann als Talisman

Vom Himmel geschickt

Von Formel-Eins-Fahrern und österreichischen Zigeunern

Meeting another nomad

End of a story

Drei Würfel Zucker und Chilipulver

Getting back

Alles gratis

Nix wie weg

Unerwartete Besucher

Nachwort

Personenverzeichnis

Leserstimmen

Impressum

 

Vorwort

 

Das Buch oder eigentlich Bluch (engl. Blook - Veröffentlichung eines Buches von einem Weblog) handelt vom Leben (fast) ohne Geld in Frankreich. Fast ohne Geld, denn im gesamten Jahr 2009 habe ich 88 Euro ausgegeben. Im ersten Halbjahr, das hier nicht beschrieben ist, lebte ich von weniger als 18 Euro, die man mir, als es schneite und ich mit einer Gitarre auf der Strasse sass - ohne zu Betteln wohlgemerkt -, in die Hand drückte.

 

Nach diesem halben Jahr begann ich, sporadisch auf Flohmärkten Sachen anzubieten, die ich bei meinen Streifzügen fand. Grosse Einnahmen waren es nicht, einmal 38 Euro, mal 7 Euro oder mal nur 3 Euro. Aber die paar Euro haben mir zum Leben dicke gereicht. Ich kaufte Dinge, die ich nicht so leicht fand: Cremes, Schreibblöcke und eine Gitarre …

 

Der Untertitel heisst „Vom Leben ohne Geld“, weil es um das Leben ohne Geld geht, weil es keine finanziellen Zuwendungen von irgendwelcher Seite gab und ich die paar Euro im Monat nicht wirklich als Geld ansehe.

 

Das Ganze wurde damals auf myspace als „Vagabundenblog“ veröffentlicht. Wenn irgendwo „gefunden“ steht, dann war das meistens containert, aber der Begriff war damals noch nicht so bekannt. Da es innerhalb von mehreren Monaten entstanden ist und ziemlich viel war, was in dieser Zeit passiert ist, empfehle ich eindrücklich, das Buch nur häppchenweise zu lesen, damit es nicht zu viel auf einmal wird. Und es mit dem Herzen zu lesen und sich wie in einem Fluss mittragen zu lassen ohne sich am Ufer irgendwo festhalten zu wollen.

 

Die wiedergegebenen Gespräche entsprechen den persönlichen Meinungen von Menschen und erheben keinerlei Wahrheitsanspruch. Die Namen der Personen wurden geändert.

 

Aufgrund der Benutzung von Computern mit französischer Tastatur, habe ich wie die Schweizer auf das scharfe „s“ verzichtet und dafür ss verwendet.

 

Ich benutze bewusst eine einfache Sprache, damit das Buch auch Deutschlerner lesen können.

 

Mein Dank gilt allen und allem, was mir auf meinem Weg begegnet ist, allen, die mir geholfen haben, so zu leben und dieses Buch zu verwirklichen und vor allem dem Leben selbst.

 

Und nun viel Spass beim Lesen!

 

Eröffnung Vagabundenblog

August 6, 2009 – Donnerstag

Aktuelle Stimmung: locker

 

Habe letzthin über eine Stunde mein Tagebuch abgetippt zur ersten Veröffentlichung als Blog und dann war alles weg. Einfach gelöscht! Es war der letzte Tag, an dem die von mir bevorzugte Bibliothek des Fachbereichs Jura vor den Sommerferien geöffnet hatte. Aber zum Glück gibt’s ja noch andere Bibliotheken ...

 

War drei Tage bei Papi, wohin mich Thierry und Luc unabhängig voneinander eingeladen hatten. Papi ist ein älterer Herr um die achtzig, um den sich Luc seit ein paar Monaten kümmert. Luc ist so was wie ein Rastafari, dunkelhäutig mit langen Dreadlocks und coolem Rauschebart und ebensolchen Sprüchen auf Lager. Das Problem ist, dass er den destillierten Tropfen, die unter dem Namen Rum bekannt sind, von da wo er herkommt - nämlich der Karibik - ziemlich zugetan ist. Als Luc das erste Mal in Papis Haus kam, gab es nicht mal Wasser. Luc nahm sich der Sache an und jetzt läuft das Wasser wieder. Und Thierry war seit drei Tagen bei den Beiden.

 

Ich fand es schön, nach dieser langen Pause mal wieder mit Thierry zusammen zu sein. Im Winter hatte ich öfters bei ihm im Auto übernachtet, aber dann hatte ich ihn lange nicht mehr gesehen. Ich machte viel sauber in der Junggesellenwohnung und am Sonntagmorgen fuhren wir auf einen Flohmarkt, um ein paar Sachen zu verkaufen, die Thierry gefunden hatte. Wir waren aber nicht sehr erfolgreich. Immerhin: die Spesen waren gedeckt.

 

Während meiner Putzaktion räucherte Thierry die Wohnung mit Lavendel aus. „Das haben sowohl meine Grossmutter als auch meine Mutter auch immer gemacht - mit mehreren Kräutern.“

„Ach ja, ich mache das mit Salbei“, entgegnete ich ihm.

Als wir alleine waren, erzählte er von Papi:

„Er ist bei der Fremdenlegion gewesen und hat vier Kinder. Er hat neun Kugeln abbekommen und viele falsche Knochen. Deshalb sieht er so aus. Ich sah seinen ganzen Körper. Er hat mir alle Narben gezeigt. Er war in Algerien im Krieg.“

 

Am Nachmittag lief ich noch in den nächsten Ort und fand ein paar Dinge, die von Nutzen sein konnten: eine Fernbedienung für den Fernseher, Einlegesohlen, einen Kalender mit Landkarten ...

 

Nach drei Tagen verliess ich die Herren und trampte zu einem Kloster, in dem sie freiwillige Helfer für den Sommer suchten. Sie nahmen aber nur Schüler und Studenten. Da es schon Abend wurde, blieb ich in der nächstgelegenen Stadt, die mir beim Hinfahren schon gefallen hatte. Ich fand etwas zu Essen vom Bäcker: Quiches, eine Käsestange sowie Kreppel und später ein Haus, in dem ich in einem kleinen Flur vor der Eingangstür übernachten konnte. Die Besitzer waren offensichtlich schon seit längerer Zeit weg.

Zwei flotte Jungs wollten mich abschleppen, aber ich lehnte dankend ab. Mit quietschenden Reifen kamen sie angefahren. Wenn ich nur an sie denke, wird mir angst und bange. „Liebe machen“ hörte ich ihn aus dem Wagen zum Fenster heraus rufen.

„Eine Blonde war immer schon mein Traum.“

Auch wenn sie mich mit einem Swimmingpool locken wollten, lehnte ich dankend ab.

 

Es war richtig luxuriös in dem Haus mit Tisch und Gartenstühlen, mit Licht und Wasser aus einem Gartenschlauch. Ich habe sogar am Abend noch schnell damit geduscht – nackt unter freiem Himmel.

 

Am nächsten Morgen schaute ich bei der Kleiderkammer vorbei und gab dort einen Teil der Kleider ab, die ich kurz zuvor gefunden hatte. Dafür durfte ich mir einen Schlafsack, ein Handtuch ebenso wie ein Strandtuch mitnehmen und Kaffee trinken soviel ich wollte. Das liebte ich besonders.

 

Ich zog dann von den neuen Klamotten ein weisses T-Shirt und einen indischen Rock mit Pailletten an. Das schien nicht schlecht auszusehen, denn zwei Männer, mit denen ich trampte, einer nach dem anderen wohlgemerkt, wollten mich anmachen. Einer fasste mir sogar wohin, als ich ausstieg! Das war mir noch nie passiert! Ich war wirklich aufgebracht.

 

Der andere wollte mit mir einen Abstecher in die Berge machen, hörte allerdings auf, mich anzufassen, als ich seine Hand wegnahm. Am Tag zuvor der Motorradfahrer hatte es auch schon versucht ... Es war gerade Ferienzeit und muss daran gelegen haben.

 

 

Wieder bei Papi

August 10, 2009 - Montag

Aktuelle Stimmung: heiter

 

Bin am Wochenende wieder aufs Land zu Papi gefahren. Papi nannte man in Frankreich liebevoll ältere Herren im Opaalter. Musste lange warten, aber dafür brachte mich jemand aus dem Nachbardorf direkt vor die Haustür! Thierry hat ihn als Dankeschön zu einem Glas Cidre eingeladen. Er war gerade vor der Tür, als ich ankam und machte Feuer.

„Für das Barbecue“, meinte der Fremde.

 

Da kommt mir: ich hatte in meiner Kurzfassung letztes Mal ganz viele Details vergessen. Zum Beispiel die Sache mit dem Feuer. Laut Thierry hatte es eine Explosion mit dem Gasherd gegeben.

„Sie hatten wohl das falsche Gas benutzt.“

Und die kleinen Gasflaschen für den Campingkocher waren alle. Also hatte Thierry eine Metallbox hergenommen und sie auf zwei Steine gestellt. Darin machte er Feuer. Auf einen Rost kamen die Töpfe. Für’s Frühstück, Mittag- und Abendessen. Holz gab es im nahegelegenen Waldstück genug.

 

Ich habe die Tage in der Stadt zwei Kochplatten gefunden und mitgebracht. Thierry hat mittels Klebeband einen fehlenden Stecker daran gebastelt und dann funktionierte das Teil. Beide Kochplatten. Wunderbar.

Durch einen Kurzschluss, den es irgendwann einmal gab, gehen nur noch einige Lichter in dem Haus. Und das Wasser hat einen seltsamen Geschmack, weshalb ich vorziehe, Wasser zum Trinken woanders zu holen. Von der nicht zu benutzenden Toilette möchte ich lieber erst gar nicht sprechen ... Der Fernseher läuft Tag und Nacht auf extremer Lautstärke. „Ich höre schon wenn ich ins Dorf komme, ob Papi da ist“, meinte Luc zum Thema.

 

Am Wochenende war ich in einem Schwimmbad von Leuten baden, die übers Wochenende weg waren. Als ich das nächste Mal dort vorbeiging, waren sie leider da. Es gab keinen Zaun um das Grundstück und so kam man ganz leicht rein.

 

Die Sonnenuntergänge waren einfach spektakulär. Die Sonne ging neben der nahegelegenen Gebirgskette unter und tauchte den Himmel fast täglich in orange und rot. In der Stadt kriegte man davon gar nichts mit.

 

Beim Umherstreifen durch die nahegelegene Kleinstadt fand ich wieder eine Menge nützlicher Dinge: einen Sack mit halbaufgetauter Tiefkühlkost. Eis war auch dabei (Himbeersorbet und Kokosnuss) und ich machte mich gleich darüber her. Leider ging mir ein kleiner neuer Teppich durch die Lappen, den ich nicht gleich mitnahm. Jemand anders hatte ihn gefunden und an sich genommen. Die Nackenrolle und die Fressalien, die ich mitgenommen hatte, liess ich unterwegs stehen und zwar an dem Garten, in dem ich zwei Mal gelegen hatte, als die Bewohner noch im Urlaub waren. Ich lief weiter den rot-weiss beschilderten Weg zu einer Eremitage entlang. Es war mit eineinhalb Stunden Wegzeit ausgeschildert und ging auf einen 650 Meter hohen Berg mit herrlicher Aussicht zu beiden Seiten. Geradezu atemberaubend. Da ich die einzige war, die unterwegs war, ging ich davon aus, dass es eigentlich derzeit verboten war, dort zu wandern wie an anderen Bergen der Gegend nach elf Uhr morgens auch - wegen Feuergefahr.

 

Ausserdem fand ich unter anderem Bad- und Küchenwandfarbe, zwei mir passende schwarze Röcke und sechs Sitzkissen ... Abgesehen von einer Sonnenblume vom Feld um die Ecke, die ich ausserdem noch mitnahm.

Über die Röcke freute ich mich besonders, war derjenige, den ich bisher trug eher ein Rock zum Flamenco Tanzen. Zwar sind die neuen asymmetrisch, aber das passt schon. Sandalen gab es auch dazu.

 

Mit meinen Streifzügen durch die Gegend verging das Wochenende wie im Flug. Ich liess mich am Tag darauf von Thierry etwa sechs Kilometer von der Stadt absetzen und lief den Rest zu Fuss. Meine Lust zu Trampen war aufgrund der aufdringlichen Männer letzthin etwas gedämpft.

 

 

Unter der Woche

August 17, 2009 - Montag

Aktuelle Stimmung: munter

 

Unter der Woche war ich an meinem Parkplatz, diesmal mit einer ganzen Reihe von Plüschtieren am Kopfende, die ich inmitten von Unmengen von Zeug gefunden hatte. Am nächsten Morgen kam ein Herr vorbei, der über den Zaun lugte und meinte: „Na, Ihnen geht’s da ja nicht schlecht.“

„Danke.“

 

Um sieben Uhr abends ging ich die meisten Tage ins Schwimmbad. Um sieben Uhr ist nämlich Kassenschluss. Bis viertel nach sieben darf man noch schwimmen, dann hat man eine viertel Stunde, um sich zu Duschen und anzuziehen. Für jemanden, der keinen eigenen Swimmingpool besitzt (und kein Geld, Eintritt zu bezahlen), ist das bei der Hitze nicht schlecht. Besser zehn Minuten im Wasser als gar nicht. Und: das erste Mal fühlte ich mich danach wie neugeboren.

 

Die beiden Vagabundencafés, die es in der Stadt gab, hatten beide zwei Wochen Sommerpause, das heisst es gab morgens keinen Kaffee und kein Frühstück. Das machte die Sache etwas langweilig. Deshalb fuhr ich letzthin schon am Mittwoch wieder raus aufs Land und brachte eine Menge nützliches Zeug zu Papi: einen fast neuen Duschvorhang (der alte hatte schon Altertumswert), eine Tagesdecke, mit der ich eines der desolaten Betten im anderen Zimmer abdeckte und eine Menge Obst und Gemüse, die ich vom Markt aufgelesen hatte, an dem ich kurz vor Schluss vorbeikam.

 

Dann ging ich zu Lucs Wohnwagen, wohin er mich schon Anfang Juli eingeladen hatte, den August zu verbringen. Ein Mann, der mich mit meinem Wägelchen vorbeikommen sah, fragte mich, ob er mich irgendwohin bringen könnte und da die Sonne schon am Untergehen war, nahm ich dankbar an. Er zeigte mir auch den öffentlichen Wasserhahn, den ich bisher nicht gefunden hatte und ich füllte meine mitgebrachte Fünf-Literflasche auf. Das würde erstmal eine Weile reichen.

 

Als ich mich in der Dämmerung auf die Berge blickend am Wohnwagen ausruhte hörte ich ein Geräusch aus dem Gebüsch hinter mir, das mich zum Mich-in-den-Wohnwagen-Verkriechen brachte. Im Wohnwagen flog eine kleine Heuschrecke oder Grille oder so was an mir vorbei und ich fragte mich schon wie ich die Nacht mit ihr verbringen würde. Da sprang sie glücklicherweise aufs Bett, liess sich leicht fangen und rausbefördern.

 

Am nächsten Morgen waren meine Fressalien, die ich mitgebracht hatte durchwühlt und angefressen; unter anderem mein gutes Olivenbrot! Als am Mittag Luc und Thierry vorbeischauten erfuhr ich von wem: auf dem Nachbargrundstück gab es drei Hunde.

„Als ich am Anfang hier war wurde jede Nacht mein Abfall durchwühlt auch wenn gar nichts drin war. Und immer erst, nachdem ich ins Bett gegangen war. Auch wenn es zwei Uhr nachts war. Einmal blieb ich auf und wartete im Wohnwagen. Dann sah ich, dass es ein Hund war. Ich habe ihn mit dem Besen verkloppt.“

Es gab auch wieder Geschichten mit der Brünetten. So erzählte Thierry:

„Sie hat dafür gesorgt, dass die Polizei im Haus von Papi war, kurz bevor du das erste Wochenende kamst. Luc hat was mit ihr gehabt, aber er hat eine Freundin und jetzt ist die Brünette sauer. Aus Eifersucht schwärzte sie Luc bei der Polizei an. Jetzt hat sie das Gerücht verbreitet, du seist in ein fremdes Schwimmbad gegangen und hättest Tomaten geklaut (als hätte ich jemals von jemandem Tomaten geklaut). Es würden Tomaten im Garten fehlen.“

Die Jungs waren jedoch ganz cool und standen auf meiner Seite.

„Sie ist nun auf Dich eifersüchtig“, meinte Thierry. „Sie denkt, Du bist Lucs neue Geliebte. Sie war gestern bis ein Uhr nachts bei Papi. Und auf mich ist sie sauer, weil ich nicht mit ihr schlafe.“

 

 

Wochenende wie gehabt

August 18, 2009 - Dienstag

Aktuelle Stimmung: zufrieden

 

Genau zwei Nächte hielt ich es alleine am Wohnwagen aus, dann zog es mich wieder zu Papi. Diesmal putzte ich Wohnzimmer und Küche; damit war ich eine Weile beschäftigt. Als ich gerade mit einem der wenigen übrig gebliebenen Eiscremes spazieren ging, kam Thierry vorbeigefahren und nahm mich zum Supermarkt in der Nähe mit. Dort begegneten wir Luc, der mit seiner Freundin unterwegs und deshalb nur kurz angebunden war.

 

„Wir müssen noch zu einem anderen Supermarkt einkaufen gehen. Aber bringt diesen Roséwein Papi mit, dann brauche ich nicht bei ihm vorbeizufahren.“

Beim Zurücklaufen fand ich ganz teure Nudeln im Container, die wir gleich mampften. Thierry war gewöhnlich der Koch. Er machte eine Oliven-Tomatensosse dazu. Es schmeckte lecker!

 

Ich klebte ein Bild mit griechischen Häusern über die Platte vor dem Kamin und Thierry tauschte die Lampe mit Glühbirnen um ein Holzrad gegen einen modernen Halogenstrahler aus, den er vor wenigen Tagen gefunden hatte. Ausserdem sorgte er im Flur im ersten Stock für Licht, was mich sehr belustigte, denn die Tapete war dermassen ungleichmäßig geschwärzt und mit Spinnweben versehen, dass man es gar nicht so genau sehen wollte.

 

Bei meinem Streifzug durch das nächstgelegene Dorf fand ich nicht nur reife madengespickte Birnen, die zuhauf auf dem Boden lagen, sondern auch ein sehr schönes Gartengrundstück. Es hatte zwar ein Tor, aber keinen Zaun drumherum und ich nutzte es zum Ausruhen. Direkt daneben war ein Taubenschlag. Hier war also die schneeweisse Taube, die letzthin richtig fotogen auf einem Autodach sass, zuhause.

Ich fand wieder ewig viel Zeug: drei Rollen verschiedener Tapeten, eine hölzerne Klobrille, drei moderne Lampenschirme und und und. Wieder zurück bekam ich allerdings einen Dämpfer. Ich wollte wieder kurz in das Schwimmbad gehen, in dem ich schon Mal war, denn beim Vorbeilaufen sah ich, dass niemand da war. Als ich jedoch auf das Grundstück ging und zum Eingang blickte, kam dort jemand mit Gepäck in der Hand genau in meine Richtung gelaufen! Ich nahm Reissaus, aber der Schreck sass mir noch lange in den Knochen. Ich bin jetzt glaube ich, von meiner Manie, fremde Pools zu benutzen, geheilt.

 

Überhaupt ist das mit den Swimmingpools hier auf dem Land nicht so easy wie in der Stadt. War nämlich hier auch nach Kassenschluss im Schwimmbad, aber die Leute waren alle pikiert.

„Wir schliessen gleich! Und man hat Sie noch reingelassen? Es sind nicht mal mehr zehn Minuten! Aber die Kasse hat doch schon geschlossen ...“

Thierry meinte, die Leute hätten hier eine andere Mentalität. In der Stadt sagte einer ganz im Gegenteil, als ich - da verspätet - mal nur eine Minute ins Wasser sprang: „Ich hoffe, dafür haben Sie nicht auch noch bezahlt.“

 

Am Abend reparierte Thierry Lucs Mountainbike und ich drehte damit zu Sonnenuntergang gleich eine Runde.

 

Am nächsten Morgen nahm Thierry mich mit in die Stadt. Er hatte ein Date mit jemandem. Während der Fahrt redete er wieder ganz viel über Frauen.

„Frauen sind alle gleich. Ich habe grundsätzlich kein Interesse mehr an Frauen. Sie denken, weil man keine Wohnung hat, schlafe man mit jeder. Da haben sie sich aber geschnitten.“

Ich hörte nur mit einem Ohr zu.

 

 

Back in the city

August 18, 2009 - Dienstag

Aktuelle Stimmung: ruhig

 

Hatte ausser Birnen nichts zu essen, fand aber vorm Supermarkt Schafmilchjoghurts, Griespuddings und andere Leckereien, so dass der Mittag gerettet war. Am Platz, den ich mir wegen des Schattens, des Brunnens und der Abfalleimer zum Essen ausgesucht hatte, sass ein Araber, den ich vom Vagabundencafé her kannte.

Mit „Hallo Michelle, wie geht's?“, begrüsste er mich, während ich nicht die leiseste Ahnung habe, wie er heisst. Er war mit einem Freund zusammen, der mir immerhin zwei meiner Leckereien abnahm. Später lud sein Freund mich ein, bei ihm zu übernachten, wenn ich nicht wisse wo ich schlafen könne. Ich könne einfach bis neun Uhr am Platz vorbeischauen.

Mit Arabern bin ich allerdings vorsichtig geworden. Deshalb nahm ich auch die Einladung zum Kaffee des Arabers auf der Nachbarbank nicht an.

 

Als ich später bei meinem algerischen Freund Momo vorbeischaute, kam auf einmal die Polizei. Zwei Polizisten auf einem Motorrad. Sie wollten seine Papiere sehen. Ausweis und Versicherungsschein. Sie hatten ihn letztens irgendwo mit seinem Roller angehalten und ihn kontrolliert.

„Sie sagten, einer meiner Reifen wäre abgefahren gewesen.“

Er sprach mit ihnen durchs Fenster, durch das sie zuvor reingeschaut hatten. „Den Reifen habe ich ersetzt, meine Papiere habe ich jedoch nicht bei mir und dürfen Sie mich danach überhaupt fragen?“ entgegnete er ihnen. „Schliesslich bin ich bei mir zuhause.“

Deshalb war auch das erste, was sie wollten, dass er herauskam. Das tat er aber nicht. Nachdem das Interview beendet war, blieben die Polizisten noch eine ganze Weile vor dem Fenster stehen, bis sie mit ihren Motorrädern abdüsten.

 

Beim weiteren Umherstreifen stiess ich auf einen Haufen alter Bücher.

Ein Typ gesellte sich zu mir. „Darf ich auch schauen?“

„Aber natürlich.“

„Aber Sie waren zuerst da.“

Das betonte er immer wieder.

„Eigentlich bin ich aus bürgerlicher Familie. Aber ich kannte mal Leute in einem besetzten Haus, Deutsche, Türken und so weiter. Die sagten: ,Wenn Du einmal anfängst, im Müll rumzuwühlen, hörst Du nie mehr damit auf, denn im Müll findest Du manchmal wahrhaft Schätze.’ Wir haben die Sachen dann auf der Strasse verkauft. Aber das war natürlich verboten und wir bekamen Ärger mit der Polizei. Das war vor zehn Jahren.“

Er schaute die Stapel alter Bücher an, um dann mit zwei Stück abzudampfen.

Zwei Abende in der Woche konnte man während des Ferienmonats August an einer Stelle Duschen, etwas Essen und Kaffee trinken. Ich brauchte etwas vom Angebot und so ging ich hin.

„Und Michelle, von was lebst Du?“, fragte die Verantwortliche neugierig.

„Von nichts.“

„Von Luft und Liebe?“

„Genau.“

Ein früherer Freund, den ich gerade nicht sehen wollte (besser gesagt, der mich nicht sehen wollte) war gerade unter der Dusche. Ich hörte ihn mit einem nach mir Kommenden reden. Da machte ich nach einigen Bechern Kaffee und ein paar Croissants und Pains au chocolats die Fliege.

 

Beim Abendspaziergang durch die Stadt und nach diesmal zehn Minuten längerem Schwimmbad - weil die Dame an der Kasse schon vorher weg war - traf ich an einem Brunnen einen Nachbarn von Momo, der mich zu sich nach Hause einlud. Ich könne gerne bei ihm übernachten. Ich wusste nicht recht, ging aber doch mit.

Als ich seinen leeren Kühlschrank sah, liess ich zwei meiner Joghurts und ein Brot für ihn da. Er meinte: „Im Müll findet man wirklich alles, was man braucht.“

Wir spielten ‘ne Runde Domino und dann ging ich wieder, weil es mir in der Wohnung echt zu warm war (und weil er nebenbei bemerkte, wir könnten ja zusammen in seinem kleinen Bett schlafen oder auf der Couch ...). Da war es draussen im Freien doch erfrischender.

Vom freien Willen, Druiden und Squats

August 25, 2009 - Dienstag

Aktuelle Stimmung: nervös

 

Papi hatte mir eine Armbanduhr geschenkt. Ich glaube, weil ich immer auf seine Uhr schaute. Eine alte Damenuhr. Am Anfang dachte ich, sie geht nicht, da sie am nächsten Morgen nachging und später ganz stehen blieb. Dann kam ich jedoch auf die Idee, sie aufzuziehen und jetzt geht sie: Eine Ökouhr, wie klasse! Obwohl ich noch lieber ohne Uhr lebe.

 

Letzte Woche war ich wieder bei Luc im Wohnwagen. Mit der neuen afrikanischen Tischdecke über dem Nachttisch und einer Kerze war es direkt gemütlich. War vorher bei Papi und habe die ganzen Molkereiprodukte hingebracht, die ich am Abend zuvor gefunden hatte, denn da gab es oh Wunder einen Kühlschrank. Lucs Freundin kam ihn abholen und sagte über meine Wenigkeit: „Die ist ja immer noch da.“

„Sie ist immer noch eifersüchtig“, kommentierte Thierry das Geschehen.

Er hat mich dann die vier Kilometer zum Wohnwagen gefahren.

Ich erzählte ihm von dem Geräusch im Gebüsch letztes Mal.

„Das ist bestimmt ein Fuchs.“

Das dachte ich auch. Er sah derweil eine Maus, die unter das Regal krabbelte.

„Gegen Mäuse habe ich nichts. Hab gestern ganz lange eine kleine Maus in der Stadt beobachtet. Die war so süss.“

Es ist komisch, aber ich bin immer froh, wenn ich am Wohnwagen angekommen bin, weiss nicht, woran das liegt. Ob daran, dass ich so oft erst nach Sonnenuntergang ankomme oder an dem langen Weg durch die Prärie ...

 

Am Wohnwagen war es toll. Er war ganz abseits am Dorfrand gelegen und man sah von dort fast kein Haus. Nur Landschaft. Ein Bergmassiv zur einen Seite, ein anderes Bergmassiv zur anderen Seite, sonst nur Weinfelder, Wiesen mit hohem Gras und Bäume; das war alles. Kein fliessend Wasser, keine Elektrizität. Nur Holz vom nächsten Baum zum Kochen und Kerzen. Ich fühlte mich dort ein bisschen wie im Paradies - und wie Robinson Crusoe.

Nur die Nachbarn waren blöd. Sie wollten nicht, dass man den einzigen kleinen Pfad, der zum Grundstück führt, benutzt. Die Frau hatte es mir verboten. Dann hiess es, wenn sie da waren - und das war meist am Wochenende der Fall, - durch das meterhohe Gras eines anderen Nachbargrundstücks gehen. Das war unangenehm und pikte gehörig.

 

Aber wieder währte mein Glück nur kurz. Ich nahm am nächsten Morgen mittels meiner Fünf-Literflasche eine Dusche in der Nähe des Wasserhahns und trampte zurück in die Stadt. Hatte am Vortag ein Schild gesehen

 

„Dringend Zimmermädchen gesucht mit Lebenslauf im Hotel soundso“

 

und das liess mir keine Ruhe. Im Winter hatte ich mal genau das als Job gesucht, aber da war natürlich Flaute.

 

Am Abend war die Vagabundenversorgung offen und da ich etwas Waschen wollte, ging ich hin. Diesmal war eine Schweizerin da, die für eineinhalb Monate ein Praktikum absolvierte. Sie wollte eigentlich nach Indien oder Afrika, aber das hatte nicht geklappt und so war sie nach Frankreich gekommen, um Vagabunden zu versorgen.

 

Wir unterhielten uns über die Schweizer Sauberkeit.

„Stimmt. Man kann bei uns fast schon vom Fussboden essen. Aber das ändert sich gerade durch die vielen Ausländer, die da sind.“

Ich war wieder zu spät dran für die Sandwiches. Sie waren weg, bevor ich mit der Wäsche fertig war. Als Entschädigung gab es Baguettes und eine Büchse Sardinen, die ich dem Einarmigen gab, der noch da war. Als ich kurz darauf ging, kam er mir entgegen und gab mir eine Packung Kekse. Wir schlenderten gemeinsam durch die abendlichen Strassen und er erzählte unentwegt vom freien Willen.

„Der freie Wille ist das Wichtigste für mich. Nichts geht ohne den freien Willen. Ich respektiere ihn bei allen Menschen.“

„Mir ist der freie Wille heutzutage ziemlich Wurst. Ich halte es mit ihm wie einer mal sagte: ,Den freien Willen gibt es gar nicht, aber wir müssen so tun, als gäbe es ihn‘. “

Dann wechselte er das Thema. Er sprach von der Seele, die jedem Menschen, aber auch den Dingen innewohnt.

„Die Seele versuchen manche zu zerstören. Julius Caesar zum Beispiel.

Früher gab es hier überall Druiden: Sie waren weiss gekleidet. Die Eltern gaben ihre Kinder, wenn sie klein waren, drei Tage den Druiden, die mit ihnen in den Wald gingen und sie beobachteten. Danach sagten sie den Eltern, was aus dem Kind werden soll, ein Soldat oder Bauer ... Und die Eltern befolgten dies. Dann kamen die Römer. Und Julius Caesar. Und er sagte zu seinen Truppen: Tötet nicht die Bevölkerung, tötet die weissen Männer. Und so flüchteten die Druiden hier und auch in Deutschland nach England. Das war der einzige Ort, wo die Druiden überlebten.“

 

Nachdem wir uns verabschiedet hatten, schaute ich an den beleuchteten Kunsthandwerkständen auf der Flaniermeile, was es so gab und entdeckte die Bücher eines Schriftstellers aus der Region. In einem Buch war eine Statue abgebildet, die der Autor Buddhastatue nannte, weil sie von der Haltung her genau so aussah wie eine Buddhastatue heute.

„Früher waren hier die Kelten. Die Statue ist aus der Zeit um 700 vor Christi, also noch älter als Buddha und man sagt, die Buddhisten hätten die Art der Darstellung von den Kelten übernommen.“

 

Am nächsten Tag bastelte ich mir in zwei Stunden einen Lebenslauf auf Französisch zusammen - mit dem Foto vom Handy eines der Mitarbeiter vom Jugendzentrum, in dem ich öfters ins Internet ging - und gab ihn im Hotel ab.

Beim Mittagessen im Park traf ich einen Jungen, den ich kannte.

„Wo übernachtest du?“, fragte er mich.

„Überall.“

„Dann komm doch in meinen Squat. Ich wohne dort nicht mehr, suche aber jemanden, der nach mir einzieht. Die Besitzerin toleriert uns und freut sich, wenn dort jemand Gescheites wohnt. Keiner, der ein Chaos veranstaltet. Es gibt zwei Häuser mit jeweils sieben Zimmern. Und sauber. In einem Haus gibt es Wasser und Toiletten. Komm, wir gehen hin. Ich zeige dir dein neues Zuhause.“

 

Ich war etwas skeptisch, denn in besetzten Häusern wohnen oft unangenehme Leute. Von den Räumlichkeiten her war's klasse, ich hätte zwei Stockwerke im Haus ohne Wasser für mich, aber in dem zweiten Haus lag im Treppenhaus erstmal ein Haufen Hundescheisse, denn die vier Bewohner hatten drei Hunde.

 

Als ich vom Schwimmbad zurückkam hatten sie eine Eisenstange vors Tor gestemmt, so dass keiner reinkam. Und rufen oder dergleichen wollte ich nicht, hatte der Bekannte mir nur einen der Bewohner vorgestellt, der noch dazu gerade zuvor noch geschlafen hatte.

 

Ein um halb acht Uhr abends verbarrikadiertes Haus konnte ich vergessen. „Dann haben die Leute Angst vor irgendwas. Was will ich damit?“, dachte ich mir.

Als ich Thierry am nächsten Tag davon erzählte, meinte er richtig: „Zu gefährlich.“

 

 

Dem Sonnenuntergang entgegen

August 26, 2009 - Mittwoch

Aktuelle Stimmung: hibbelig

 

Bin diesmal erst am Samstag zu Papi aufs Land gefahren, unter anderem mit einer Chinesin, die schon seit 23 Jahren in Frankreich lebt und nicht gerne an Selbstbedienungstankstellen tankt. Meine Bewerbung im Hotel hatte mein ganzes Leben durcheinandergebracht und mich - wie ich am Abend nach dem Schreiben des Lebenslaufes feststellte - vollkommen destrukturiert.

 

Samstagabend bekamen wir Besuch von Fabienne, der Brünetten, mit der ich nun beim gemeinsamen Abendessen das erste Mal redete und das bis spät nachts. Die Männer waren schon im Bett, als wir uns verabschiedeten. So bekam ich noch einige Details der Beziehungskiste mit Luc von ihrer Seite her mit. Fabienne hatte nicht gewusst, dass er schon eine Frau hat. Sie war deshalb, als sie mit Luc zusammen unterwegs war und sie seine Freundin auf der Strasse trafen, schockiert. Fabienne war eigentlich ganz nett und gar nicht so negativ wie Thierry sie immer dargestellt hatte.

 

Das Highlight an diesem Wochenende waren die Pflanzen, die ich am tropischen Pflanzenladen fand und die Thierry versorgte, indem er sie mit dem Schlauch goss und zurechtschnitt. So bekam ich Lust, noch mehr Pflanzen zu holen, obwohl es einige Kilometer entfernt war - und ich danach so platt war wie der kürzlich reparierte Fahrradschlauch. Aber es war schön, denn auf dem Hinweg tauchte die Abendsonne die Landschaft mit ihren Weinfeldern in herrliches Licht und auf dem Rückweg lief ich durch ein riesiges Kürbisfeld dem Sonnenuntergang entgegen.

 

Nachdem wir alle Pflanzen verteilt hatten, musste ich feststellen: es hätten noch mehr sein können. Die meisten von ihnen waren nach dem Giessen perfekt. Sie hatten bloss keine Blüten mehr, deshalb waren sie weggeworfen worden.

Am Montag traf ich Luc auf dem Weg zum Wasserholen und wir liefen zusammen zum Supermarkt, wo ich einige Puddings fand und zurück zu Papi. Nach dem Wischen des Bodens ruhte ich mich auf der Terrasse aus, bis die Jungs kamen und sich zu mir gesellten. Als Luc neben mir schnarchte, machte ich mich auf zu einem Abendspaziergang. Ich holte ein paar Birnen aus einem verlassenen Grundstück. Als ich zurückkam, meinte Thierry:

„Lucs Freundin hat einen Eifersuchtsanfall bekommen, als sie ihn abholen kam.

Gut, dass Du weg warst.“

Langsam bekam ich irgendwie genug von eifersüchtigen Frauen.

„Eifersucht ist eine Krankheit“, schob er hinterher.

 

Das erinnerte mich an ein Gespräch mit Momo, als ich ihn mit seinem Roller auf der Strasse traf.

„Ich bin enttäuscht. Von Freunden, die immer wieder neidisch auf mich sind und das schon seit Jahren. Die schlimmste Krankheit ist der Neid. Neid ist schlimmer als Krebs und alles andere. Er ist tödlich. Ich hoffe, dass sich nach dem Ramadan etwas ändert. Aber wir hatten letztes Jahr schon Ramadan und das Jahr davor auch schon und es hat sich nichts geändert.“

 

Als ich mich fertig machte, um in die Stadt zu fahren, sagte Thierry:

„Geh nicht mehr zum Wohnwagen. Selbst wenn Du noch Sachen dort hast. Ich kenne das Schicksal ...“

Schon öfters wollte er mir den Wohnwagen madig machen. Einmal, indem er erzählte, Luc hätte einen grossen Schwarzen mit Sonnenbrille eingeladen, dort zu leben. Er machte den Wohnwagen ständig schlecht:

„Es ist zu isoliert. Es könnten dort Fixer hingehen oder sonst wer ...“

 

Schwimmbad ade

August 27, 2009 – Donnerstag

Aktuelle Stimmung: friedlich

 

Traf den rothaarigen Barfussläufer an der Tankstelle wie so oft, wenn ich zu Papi fuhr oder von ihm kam. Er hatte seine Haare zu einem Minischwänzchen zusammengebunden. Er fuhr mit mir mit dem Bus und ging mit mir zum Antiquariat, um mir die vier Bücher abzunehmen, die der Antiquar nicht wollte. Ich hatte die Bücher auf dem Weg zu Papi gefunden, wo ich einmal ohne grosses Gepäck auftauchen wollte. Keine Chance! Die Bücher waren in gutem Zustand, fast alles Biographien von Königen und Königinnen und der Antiquar nahm neun Stück für acht Euro.

„Wir können umsonst ins Schwimmbad“, meinte der Rothaarige plötzlich. Dasselbe hatte mir schon einmal jemand erzählt.

 

Fand schon wieder einen Wischmob und endlich neben Farbe auch einen Pinsel. Dafür wollten sie mich im Schwimmbad um sieben Uhr kaum reinlassen. Es war eine andere Crew da und sie wollten, dass ich an der Kasse eine Karte vorzeige, dass ich umsonst ins Schwimmbad gehen darf. Ich hätte nicht das Recht, nach Kassenschluss ins Schwimmbad zu gehen, der Besitzer wolle das nicht. Mit meinem „aber bis letzte Woche gab es überhaupt kein Problem“, kam ich zwar dieses Mal noch rein, aber ein nächstes Mal werde es wahrscheinlich nicht geben - unter diesen neuen Voraussetzungen. Aus der Traum mit dem Schwimmbad. Der Rothaarige meinte zwar, wir dürften umsonst ins Schwimmbad, aber ich hatte mich die darauffolgenden Tage informiert. Das gilt nur für Leute, die das „Minimum“ vom Staat bekommen und ich hatte, da nie in Frankreich gearbeitet, kein Anrecht auf diese Hilfe und somit auch nicht aufs kostenlose Schwimmbad. Knall bumm aus.

 

Am Morgen traf ich Luc auf der Strasse und wir gingen zusammen ins Vagabundencafé, von wo ich gerade kam.

„Freut mich, dich zu sehen, denn es gibt eine Menge zu erklären. Meine Freundin ist nicht nur auf dich eifersüchtig, sondern auf jeden. Sogar auf Männer. Es gibt absolut kein Problem, wenn du bei Papi bist. Das wollte ich dir sagen. Sie dachten nämlich, du wärst weggegangen, weil meine Freundin eifersüchtig war, aber ich kenne dich. Du wärst so und so gegangen. Thierry hat mal wieder übertrieben. Das tut er öfter.“

„Du hast recht. Ich wäre so und so gegangen, aber jemandem mit meiner Anwesenheit schlechte Gefühle zu bescheren, ist mir gar nicht recht.“

Ihm war auch aufgefallen, dass Thierry nur schlecht über andere Menschen redet.

„Mittlerweile bedauere ich schon, ihn eingeladen zu haben. Wo wir nun schon in dieser Lage sind, sollten wir relaxen. Und uns nicht noch über andere aufregen.“

 

Bin dann mit dem Einarmigen doch nochmal zum besetzten Haus gegangen, nachdem ich ihn bei der Vagabundenversorgung wiedergetroffen hatte. Alleine wollte ich nicht dorthin gehen, aber mit ihm zusammen war es für mich o.k. Nach uns kam einer, der auch gerade dort wohnte und den ich schon länger kannte. Einer der angenehmen und netten Sorte. Nichts auszusetzen. Er kam sogar zu uns und brachte uns eine Decke.

„Zwischen acht Uhr morgens und sieben Uhr abends ist es besser, sich nicht vor der Tür blicken zu lassen. Wir haben nämlich das Gericht genau neben uns. Sie wissen zwar, dass wir hier sind, aber trotzdem.“

 

Der Einarmige erzählte mir, dass er schon einmal in dem gleichen Squat war. Er war von dem Typ mit den zwei Hunden eingeladen worden. Er kam jedoch um drei Uhr nachts an und da war der Eingang mit der Eisenstange verschlossen.

„Ich habe meinen künstlichen Arm abgenommen und damit die Eisenstange bewegt, aber das machte einen Heidenlärm und davon war der Hundebesitzer gar nicht begeistert.“

Mit: „Ich geh mal meine Tasche holen“, verschwand er und kam auch diesmal erst mitten in der Nacht wieder. Ich konnte bis dahin in dem leeren Haus nicht einschlafen.

 

Als Zimmermädchen nahmen sie mich zum Glück nicht; ich hätte gar keine Lust gehabt, dort zu arbeiten. Hatte sogar überlegt, meine Bewerbung zurückzuziehen. Die Dame war äusserst unfreundlich zu mir, als ich vorbeischaute, um nachzufragen, was aus der Bewerbung geworden war, weil ich ja kein Telefon hatte.

 

Endlich hat es auch mal wieder geregnet, gleich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Nach vielleicht zwei Monaten mal wieder; das war auch dringend notwendig. Die Dauerhitze unter dem täglich fast wolkenlosen Himmel war schwer auszuhalten. Und ich hatte echt kurz zuvor gedacht, jetzt reicht es mit dem schönen Wetter. Ich will endlich mal wieder Wolken sehen! Und schon sind sie gekommen.

 

 

Von Tobsuchtsanfällen und Nepalihüten

September 2, 2009 – Mittwoch

Aktuelle Stimmung: aufgebracht

 

Liege im Park, esse mein Baguette und erhole mich von einer Tobsuchtsattacke, die Thierry hatte, als ich lesend auf „seiner“ Terrasse lag. Es fing am Vorabend damit an, dass er in „meinem“ Bett schlafen wollte. Eigentlich ist es Lucs Bett, das ich jedoch immer benutze. Ich hatte jedoch nach meinen Erfahrungen im Winter wenig Bock darauf (damals landete ich, nachdem ich bei Thierry im Auto übernachtet hatte, wegen starker Herzschmerzen für 52 Stunden im Krankenhaus - Erklärung folgt vielleicht später). Ich wollte lieber im Zelt schlafen und sagte es ihm. Woraufhin er das Zelt für sich aufbaute und - wie gewohnt - darin schlief.

 

Als ich dann am Morgen ruhig auf der Terrasse lag, begann er zu schimpfen: über die Verantwortliche im Vagabundenwohnheim, wo er vor Kurzem drei Wochen geblieben war, über Luc, über Deutsche und Schweizer. Wir wären alle Blödmänner.

Ich sagte: „Vergiss das Vagabundenwohnheim. Da hättest Du gar nicht hingehen dürfen“, woraufhin er total ausrastete. Er bekam einen Tobsuchtsanfall und schlug mit seiner Bürste heftig neben mir auf den Boden.

„Pass auf, was Du sagst. Du hast gesagt, ich sei schwul.“ Er tobte.

„Gar nichts hab’ ich“, erwiderte ich und bekam es mit der Angst. Sein Gesicht war wutverzerrt.

„Ich bin ein Pirat. Ich bring’ dich um.“

Auf seiner Todesliste standen schon 25 Kandidaten. Jetzt war ich die nächste.

Ich ging in mein Zimmer, aber er kam mir hinterher und trat mich in den Hintern. Ich flüchtete runter zu Papi und bat ihn, mit mir zu kommen, um meine Sachen zu holen und zu verschwinden.

---ENDE DER LESEPROBE---