Der Verräter - Brad Thor - E-Book

Der Verräter E-Book

Brad Thor

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Beschreibung

Ein verdeckter Treffpunkt des US-Geheimdiensts in Syrien wurde Ziel eines Anschlags. Noch bevor das dort stationierte Einsatzteam seinen Auftrag ausführen konnte, verwandelten Terroristen den Unterschlupf in ein Blutbad. Anti-Terror-Agent Scot Harvath trägt die Verantwortung für das Desaster. Fieberhaft sucht er nach den Drahtziehern. Es gibt einen Saboteur in den eigenen Reihen und Harvath muss ihn finden! Zwischen den Machenschaften von CIA, Verteidigungsministerium und kaltblütigen Terroristen stößt Scot Harvath auf eine Bedrohung, gefährlicher als sich das jemand innerhalb der Regierung vorstellen kann … Washington Times: »Brad Thor packt in seine Thriller mehr Action und Spannung als so ziemlich jeder andere Autor dieses Genres!« Therealbookspy.com: »Thor ist der unbestrittene König der Faction – einer Mischung aus Fakten und Fiction.« Suspense Magazine: »Brad Thor beweist, dass er der ultimative Thriller-Autor ist.«

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Seitenzahl: 496

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Aus dem Amerikanischen von Alexander Amberg

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe Foreign Agent

erschien 2016 im Verlag Atria Books, Simon & Schuster.

Copyright © 2016 by Brad Thor

Copyright © dieser Ausgabe 2022 by Festa Verlag GmbH, Leipzig

Titelbild: Arndt Drechsler-Zakrzewski

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-990-9

www.Festa-Verlag.de

www.Festa-Action.de

Für Scottie Schwimer –

den weltbesten Medienanwalt

und noch besseren Freund.

Vielen Dank für alles,

was du für mich getan hast.

»Wenn die Bösen sich zusammenschließen, müssen die Guten sich vereinen; andernfalls werden sie einer nach dem anderen fallen, ein erbarmungsloses Opfer in einem verachtenswerten Kampf.«

– Edmund Burke

1

FREITAG

SAFE HOUSE DER CIA

GOUVERNEMENT AL ANBAR, IRAK

Mit seinen knapp 1,95 Meter und seinen 125 Kilo bot Ken Berglund schon einen gewaltigen Anblick. Er hatte einen dichten blonden Bart und war an beiden Armen bis oben hin tätowiert. »Die T-Bone-Steaks sind gleich fertig«, rief er.

Jubel erscholl von seinen Teamkameraden im Hof und von den Frauen, die sich um die alte Steinplatte versammelt hatten, die als Esstisch diente. Jemand ließ einen Charlie-Daniels-Song auf seinem iPhone laufen, während mehr Bier aus der Kühlbox geholt wurde.

Es war eine perfekte Nacht für eine Grillparty. Über der verlassenen Wüstenfestung leuchteten die Sterne am blauschwarzen Himmel, eine kühle Brise wehte die anhaltende Hitze des Tages weg, und einen Moment lang konnte man beinahe vergessen, wo man war.

Das heißt, bis man die modifizierten M4-Gewehre bemerkte, die die Männer stets griffbereit in der Nähe behielten, oder die Pistolen vom Kaliber 45, die sie an den Hüften trugen. Sobald man die Waffen sah, war die Illusion dahin. Niemand ging so schwer bewaffnet zum Abendessen, es sei denn, er befand sich in einem Kriegsgebiet. Und ebendies war der Fall.

Ashleigh Foster hatte die Gefahr jedoch heruntergespielt, als sie ihren beiden Freundinnen den Ausflug schmackhaft machte wie etwas aus Lawrence von Arabien – ein Wochenende in einem romantischen Wüstenschloss, ringsum nichts als Sand und hin und wieder mal ein Kamel. Als CIA-Nachrichtenoffizierin wusste sie es natürlich besser. Sie war in der US-Botschaft in Amman, Jordanien, stationiert und hatte täglich Einblick in die neuesten Informationen. Ja, ihr Job bestand darin, die Informationen zu klassifizieren, zu verschlüsseln und alles nach Hause in die CIA-Zentrale in Langley, Virginia, zu senden.

Kein Ort im Irak war sicher – und das galt doppelt für Anbar. Der IS war zwar noch nicht so weit in diese Provinz vorgestoßen, doch es war nur eine Frage der Zeit.

Ihre Freundinnen wussten es ebenfalls besser. Als Botschaftsmitarbeiterinnen wurden sie über die Sicherheitslage auf dem Laufenden gehalten, nicht nur in Jordanien, sondern auch im benachbarten Irak und in Syrien. Was sie da taten, war gefährlich.

Aber die Gefahr machte ja auch den Reiz des Wochenendes aus. Es war ein Abenteuer, und Abenteuer sollten doch nun mal aufregend sein. Und was war denn aufregender als zwei Nächte lang in einem sicheren Haus der CIA Party zu machen?

Am Freitag hatten sie sich früher von der Arbeit weggeschlichen und gerade lange genug in ihren Apartments vorbeigeschaut, um ihre Kleidung und vier riesige Yeti-Kühlboxen (aus einem Lagerraum der Botschaft ausgeliehen) zu holen, die mit allen möglichen Lebensmitteln gefüllt waren, darunter Steaks, Eiscreme, Bier und sogar Donuts.

Sorglos wie drei College-Studentinnen auf dem Weg zum Spring Break stiegen sie in Ashleighs Toyota Land Cruiser, drehten die Musik lauter und brachen mit dem SUV auf in Richtung des Grenzübergangs Karameh/ Turaibil.

Keine drei Stunden später zückten sie ihre Diplomatenpässe und wurden sowohl durch den jordanischen als auch durch den irakischen Checkpoint gewinkt. Gleich dahinter warteten Ashleighs Freund und zwei seiner Teamkameraden.

Ken Berglund, ehemaliger Ranger der US-Army, arbeitete für die streng geheime paramilitärische Abteilung der CIA, bekannt als SAD beziehungsweise Special Activities Division.

Seit über einer Woche saß er mit seinem sechsköpfigen Team nun schon in der zerfallenden Wüstenfestung und wartete darauf, dass die CIA grünes Licht gab für ihren Einsatz in Syrien, um ein hochrangiges Ziel zu schnappen, eine Schlüsselperson des IS.

Berglunds Team gingen bereits die Vorräte aus, als Langley ihnen mitteilte, dass die Zielperson erneut den Standort gewechselt habe und es zu einer weiteren Verzögerung komme. Die CIA wollte die Zielperson ein paar Tage lang überwachen, um zu sehen, mit wem sie sich traf. Danach würden sie entscheiden, was zu tun war.

Immer schnell, schnell, und dann ewig nichts mehr. Was konnte ein Operator schon anderes erwarten? Wenn Langley diese Mission verzögern wollte, war das deren Entscheidung.

In der Zwischenzeit hatte Berglund allerdings selbst auch eine Entscheidung getroffen. Warum nicht die Etappe etwas interessanter gestalten?

Er hatte Ashleigh seit Monaten nicht mehr gesehen. Als er sie fragte, ergriff sie die Gelegenheit beim Schopf. Solange sie bis zum Freitagsgebet losfuhr, war alles okay. Zwischen Amman und der Grenze gab es nicht viel zu befürchten. Außerdem hatte sie ihre Waffe dabei, und wenn sie mit ihrer Glock abrocken musste, konnte sie sich durchaus behaupten.

Ihr Vater, ein Ex-Soldat, hatte ihr schon als Kind das Schießen beigebracht. Zusätzlich zu ihrer umfangreichen CIA-Ausbildung übte sie fortwährend und war ziemlich stolz darauf, besser zu schießen als jeder Kerl, der dämlich genug war, sie zu unterschätzen.

Es war eines der vielen Dinge, die Berglund an ihr liebte. Sie war nicht nur eine heiße Wahnsinnsfrau aus Südflorida, sondern auch ausgesprochen selbstbewusst – ohne Furcht, kompromisslos, und es war ihr egal, was andere von ihr dachten.

Ihr Vater allerdings hatte eigene Pläne für sie. Er hatte nicht gewollt, dass sie auch nur in die Nähe des Nahen Ostens kam, und großen Druck ausgeübt, um sie zu Hause in den USA zu behalten. Aber da Ashleigh nun mal Ashleigh war, hatte sie einen Weg gefunden, zu bekommen, was sie wollte.

Sie bekam stets, was sie wollte, und das bereitete Berglund Sorgen. Zwar trieben sie es oft ziemlich schlimm über FaceTime. Doch er befürchtete, dass sie es irgendwann auch in natura brauchte und dann finden würde, entweder in der Botschaft oder sonst wo in Diplomatenkreisen.

Der Gedanke an sie mit einem affektierten Diplomaten oder, Gott bewahre, einem Hurra-Botschaftsmarine war mehr, als der einstige Ranger ertragen konnte. Da lohnte es sich doch, gegen alle möglichen Vorschriften zu verstoßen, indem er sie raus in die Wüste holte.

Aber wie so oft führt eine schlechte Entscheidung in der Regel zur nächsten.

Den Gedanken an Steaks und hübsche Mädchen fanden die übrigen Männer im Team reizvoll, darum hatten sie auch zwei von Ashleighs Freundinnen eingeladen.

Was die Operators betraf, blieb das, was im Einsatzgebiet geschah, auch vor Ort. Niemand in Langley musste davon erfahren.

Berglund wandte seine Aufmerksamkeit wieder den T-Bone-Steaks zu, drehte sie ein letztes Mal um 90 Grad, um das perfekte Gittermuster ins Fleisch zu sengen – eine Technik, die er auf dem College gelernt hatte, als er im Sommer in einem Steakhouse in Dallas jobbte.

Es würde eine kolossale Mahlzeit werden. Ashleigh hatte sogar die Zutaten für einen Eisberg-Keilsalat besorgt. Wenn doch alle ihre Einsätze so sein könnten.

Als die Steaks fertig waren, schichtete er sie auf einen Teller, schulterte sein M4 und strebte dem Tisch zu. Sein Helm mit dem Nachtsichtgerät stand in einer Reihe bei den anderen.

Berglund war erst auf halbem Weg, da hörte er das schrille Pfeifen eines Granatwerfers. Er ließ die Steaks fallen, rannte auf die anderen zu, brüllte: »Granate! Runter! In Deckung!«

2

Heiße, gezackte Steintrümmer flogen in alle Richtungen, als die erste Granate explodierte. Unmittelbar darauf folgten zwei weitere.

Hastig drängten die Teammitglieder zu ihrer Ausrüstung, brüllten ihr Rufzeichen heraus und dass sie »Up!« seien – gefechtsbereit.

Während jeder zu dem Bereich rannte, den er abzudecken hatte, schnappte Berglund sich einen seiner Untergebenen, einen Mann namens Moss. Er deutete auf die Frauen und schrie: »Schaff sie ins Loch!«

Das Loch war ein unterirdischer Vernehmungsraum aus der Zeit, als die Iraker das Fort noch als Gefangenenlager nutzten. Es war der sicherste Ort für Ashleigh und ihre Freundinnen.

»Und bring das MG mit!«, brüllte Berglund über dem Lärm. Er meinte das leichte Maschinengewehr des Teams.

Es hagelte weiter Granaten. Sie rissen riesige Stücke aus der Mauer und erzielten einen direkten Treffer auf den letzten verbliebenen Turm der Festung, während Moss mit den Frauen zur Treppe hastete.

Unten befand sich eine riesige Stahltür, die von einem großen Stein offen gehalten wurde. Moss trieb die Frauen hindurch, schnappte sich das 10,8 Kilogramm schwere Maschinengewehr und griff sich so viele Kisten Norma-Magnum-Munition Kaliber 338, wie er tragen konnte.

»Geht ganz nach hinten, in den hinteren Teil des Raumes«, wies er sie an. »Und kommt nicht raus, bis einer von uns euch holen kommt.«

Während er den Stein aus dem Weg stieß, lehnte er sich mit den Schultern gegen die schwere Tür und versetzte ihr einen Stoß. Er war bereits auf halber Höhe der Treppe, bevor sie krachend ins Schloss fiel.

Draußen auf den verfallenen Wehrgängen des Forts war das Feuergefecht in vollem Gang.

Berglund gab mit seinem schallgedämpften Gewehr kontrollierte Feuerstöße ab, als Moss in den Hof gestürmt kam. »Mach schon mit dem MG!«, rief er.

Moss rannte zu ihm, ließ die Munitionskisten fallen und begann die Waffe aufzustellen.

»Sind sie unten im Loch?«

Moss wollte gerade antworten, als heulend eine weitere Mörsergranate heranflog und im Hof explodierte. Sie sprengte die halbe Wand neben der Treppe weg, keinen Meter von der Stelle entfernt, an der er sich soeben noch befunden hatte.

»Sind sie unten im Loch?«, wiederholte Berglund. Er musste schreien, um das Klingeln in seinen Ohren zu übertönen.

»Sie sind in Sicherheit«, rief Moss zurück.

Mit dem Gewehrlauf deutete Berglund nach Südosten. »Es sind mindestens 50. Wenn nicht mehr. Bewaffnet mit Kalaschnikows und Panzerfäusten.«

»Wer zum Teufel sind die?«

»Ist doch scheißegal! Fang endlich an, sie einzudecken.«

Moss blickte durch das auf dem Maschinengewehr montierte Nachtsichtgerät, legte den Sicherungshebel um und eröffnete das Feuer.

Die Norma-Magnum-Patrone Kaliber 338 war unglaublich treffsicher und hatte eine enorme Durchschlagskraft. Ihre effektive Reichweite betrug 1800 Meter, aber sie war in der Lage, Ziele noch in über 5500 Metern Entfernung zu treffen. Das Lightweight Medium Machine Gun von General Dynamics konnte 500 Schuss pro Minute hinausjagen, und die nutze Moss auch.

Doch kaum hatte er einen Trupp niedergemäht, tauchte ein anderer auf. Mittlerweile kamen sie aus unterschiedlichen Richtungen auf das Fort zu. Es wimmelte nur so von ihnen. Sie waren überall.

Moss wechselte sechsmal die Stellung, während ein Mann aus dem Team in den Keller hastete, um die restliche Munition zu holen.

Berglund hatte über sein verschlüsseltes Satellitentelefon bereits Langley um Hilfe gebeten. Er benötigte dringend Informationen. Wer sind diese Leute? Wie viele sind es? Und welche Kräfte stehen in der Region zur Verfügung, um das Team zu unterstützen? Langley hatte keine guten Antworten für ihn.

Wer auch immer die Angreifer sein mochten, sie hatten zugeschlagen, als die CIA-Drohne außerhalb der Satellitenreichweite war. Frühestens in 20 Minuten wäre eine neue Drohne über ihnen. Das Retasking eines Satelliten dauerte mindestens 30 Minuten. Berglund hatte keine 30 Minuten. Er bezweifelte, dass ihm noch 20 Minuten blieben. Nicht mehr lange, dann würde ihnen die Munition ausgehen. Wenn das geschah, war dieses Gefecht vorüber.

Erschwerend kam hinzu, dass das SAD-Team ja noch nicht einmal im Irak sein dürfte. Dies war eine absolut geheime Operation. Allerdings hatte die CIA nicht vor, ihre Leute sterben zu lassen.

In einem verlassenen Lagerhaus hinter der jordanischen Grenze stand ein ganz gewöhnlicher Sattelzug. In seinem langen weißen Anhänger verborgen befanden sich zwei stark modifizierte Hughes/MD 500 Hubschrauber mit eingeklappten Rotorblättern.

»Los! Los, vorwärts!«, brüllte der CIA Crew Chief, als die Vögel herausgerollt und hastig für den Start vorbereitet wurden. Ihre bisher schnellste Zeit vom Truck bis zum Abheben betrug viereinhalb Minuten. Wenn sie auch nur die Hoffnung haben wollten, Berglunds Team zu helfen, mussten sie es in der Hälfte der Zeit schaffen.

Die Hubschrauber, CIA-Versionen des MH-6 Little Bird der US Army, hatte man im Vorfeld als Plan B auf der jordanischen Seite der Grenze stationiert. Plan A sah vor, dass Berglund und seine Männer mit drei separaten Fahrzeugen nach Syrien eindrangen, ihrer IS-Zielperson einen Sack über den Kopf stülpten und wieder hinausfuhren. Die Hubschrauber waren lediglich für den Fall da, dass während der Mission etwas schiefging.

Einen Angriff dieser Größenordnung an einem derart abgelegenen Ort, wo eigentlich niemand wissen konnte, dass sie überhaupt da waren, hatte man als nahezu unmöglich betrachtet. Doch hier waren Berglund und seine Männer nun und hatten nur noch wenige Minuten zu leben. Die Hubschrauberbesatzungen ahnten noch nicht einmal, dass sich im Keller unter der Festung unbefugte Besucher verbargen.

Der Crew Chief schwenkte seinen Zeigefinger eindringlich über dem Kopf und bellte den Piloten zu, endlich ihre Vögel anzuwerfen. »Bringt sie auf Touren! Vorwärts! Los! Los! Los!«

Während vier Mann vom Bodenpersonal die Waffensysteme an den Hubschraubern anbrachten und sie einrasten ließen, wurde der Lärm im Lagerhaus übertönt von dem schrillen Aufheulen, mit dem die Turbinen zum Leben erwachten.

Augenblicke später fielen lose Glasscheiben aus den Fenstern der Lagerhalle, als die vibrierenden Rotoren hungrig die Luft zerschnitten.

Als die Piloten den Daumen nach oben hielten, gab der Crew Chief das Zeichen, die Tore der Halle zu öffnen. Damit ließ er die Vögel los.

Gleichzeitig hoben die MD 500s vom Betonboden ab, schwebten zum Ausgang und starteten durch.

Das Team hatte seine eigene Bestzeit um eine Minute und 18 Sekunden übertroffen. Es war eine heroische Anstrengung. Sie hätte den Ausschlag geben können, wäre nicht eingetreten, was als Nächstes geschah.

Drei Kilometer von der Festung entfernt, als die Co-Piloten der Hubschrauber ihre Waffensysteme scharf machten, erfassten zwei Boden-Luft-Raketen die Hitze der Triebwerke. Die Hubschrauber hatten keine Chance.

Berglund brauchte Langley nicht, damit sie ihm mitteilten, was passiert war. Die Explosionen am Nachthimmel konnte er selbst sehen. Er verschoss die letzte Patrone seines Magazins, legte das Gewehr weg und zog die Pistole.

Auf seine großspurige texanische Art hatte er sich für besonders geistreich gehalten, als er Ashleigh und ihre Freundinnen in »Anbar Alamo« willkommen hieß. Ob das nun prophetisch gewesen war oder eine Ironie des Schicksals, spielte jetzt keine große Rolle mehr.

Da ihre Fahrzeuge durch Mörserbeschuss zerstört und die Hubschrauber abgeschossen waren, blieb ihnen keine andere Wahl als hier bis zuletzt Widerstand zu leisten. Sogar falls Jets aus Jordanien noch einen Alarmstart hinlegen könnten, würden sie erst eintreffen, wenn es zu spät wäre. Das war es dann wohl.

Berglund war ein Krieger. Und so wollte er auch sterben – im Kampf und so viele Feinde wie möglich mitnehmen. Er bedauerte lediglich zwei Dinge – dass er Ashleigh nicht besser versteckt hatte und dass er keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, sein Steak zu essen.

Sascha Baseyew war beeindruckt. Die Amerikaner hatten härter gekämpft als erwartet. Selbst nachdem ihnen die Munition ausgegangen war, hatten sie ihre Messer gezogen und versucht, sich mit bloßen Händen zu wehren.

Nur zwei waren noch am Leben. Allerdings gab es für beide keine Hoffnung mehr, kein Arzt konnte sie wieder zusammenflicken. Er sagte den Leuten mit den Videokameras, sie sollten sich beeilen und an die Arbeit machen.

Während er über den mit Trümmern übersäten Innenhof ging, kam er auch an die Kühlboxen. Er wischte eine Staubschicht weg, zückte eine Taschenlampe und öffnete einen der Deckel. Als er hineinlangte, stellte er fest, dass die Box angefüllt war mit – Eis. Ein unglaublicher Luxus mitten in der Wüste.

Er ging zur nächsten Box und zur übernächsten, musterte ihren Inhalt. Flaschen Roséwein? Gebäck? Eiscreme? Die Amerikaner mochten zwar dekadent sein, aber dieser Proviant ergab keinen Sinn, noch nicht einmal bei einer paramilitärischen CIA-Einheit.

Neben der letzten Kühlbox lagen Steaks auf dem Boden verstreut. Baseyew langte nach unten, berührte eines. Es war noch warm. Er zählte neun. Neun Steaks für ein Sechs-Mann-Team.

Zog man in Betracht, wie groß einige der Amerikaner waren, hatten sie vielleicht vor, mehr als ein Steak zu essen. Aber das erklärte immer noch nicht den Wein, den er gesehen hatte. Amerikaner, insbesondere Militärs, tranken für gewöhnlich Bier oder harte Sachen. Wenn sie überhaupt Wein tranken, dann bestimmt keinen Rosé.

Hier stimmte etwas nicht. Der Inhalt der Kühlboxen sah eher nach Verpflegung für ein Picknick aus oder so etwas wie eine amerikanische Beach Party. Ein paar Meter entfernt sah er im Schein seiner Taschenlampe etwas aufblitzen.

Unter weiterem Schutt fand er ein iPhone, das in einer Strasshülle steckte. Das passwortgeschützte Display war gesprungen, doch deutlich war das Bild einer Frau zu sehen, die einen der CIA-Soldaten küsste. Dies war in der Tat ein Geschenk des Himmels.

Er hielt es hoch in die Luft und rief seinen Kämpfern auf Arabisch zu: »Hier ist noch eine Frau. Eine Amerikanerin. Wenn ihr sie findet, könnt ihr sie haben!«

Die Dschihadisten brachen in Jubel aus, während eine Handvoll von ihnen bereits zum Treppenschacht stürmte.

Im Durchgang unten mussten sie zu zweit die Tür zum Kellerloch aufstemmen. Der erste Mann, der sich hindurchzwängte, erhielt zwei Schüsse in die Brust und einen in den Kopf. Eine weitere Schießerei war eröffnet.

Diese währte allerdings nicht so lange. Ashleigh hatte bloß zwei Ersatzmagazine.

Als ihre Pistole verstummte, strömten die Dschihadisten herein. Ashleighs Kolleginnen hatten Schreibtisch-Jobs. Sie trugen keine Waffen.

Es dauerte nur Sekunden, bis das Unaussprechliche begann.

3

SONNTAG

WIEN, ÖSTERREICH

Scot Harvath versuchte gar nicht erst, sich zu verstecken. Er ging davon aus, dass man ihn sah. Das war der Plan. Mach es kurz. Und blutig. Und dann verschwinde.

Natürlich würde es bei den Österreichern einiges Händeringen geben. Aber die Politik hinter dem Auftrag ging ihn nichts an.

Das Weiße Haus hatte sich glasklar ausgedrückt. Entweder befassten sich die Europäer mit ihrem Problem, oder die Vereinigten Staaten würden es tun.

Harvath saß in einer Ecke des Café Hawelka. Auf seinem Schoß lag unter einer Zeitung eine Beretta mit Schalldämpfer. Kunstdrucke hingen an den verblichenen Wänden. In dem Café roch es nach Schokolade und abgestandenem Zigarettenrauch.

Er nahm einen letzten Schluck von seinem Kaffee, erhob sich und legte die Zeitung auf den Tisch.

Seine Zielperson saß mit einem weiteren Mann am Fenster. Beide waren Anfang 30. Keiner der beiden blickte auf.

Harvath trat an den Tisch und sagte lediglich: »Paris.« Damit hielt er dem Mann den Schalldämpfer unters Kinn und drückte ab.

Die Beretta hatte zwar einen Schalldämpfer, dennoch hörte man den Schuss und sah nur zu deutlich, wie die Hirnmasse des Mannes über die Fensterscheibe spritzte.

Gäste schrien und stießen in ihrer überstürzten Hast zu entkommen Tische und Stühle um. Andere blieben wie erstarrt sitzen, entweder unter Schock oder zum Selbstschutz – in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit des Schützen nicht auf sich zu ziehen.

Der CIA-Direktor wollte einen Rembrandt – wuchtig, kühn, unmissverständlich. Harvath hatte geliefert.

Er verließ das Café durch den Hinterausgang, setzte die Mütze ab, zerlegte die Waffe und steckte sich alles in die Taschen.

Sechs Blocks entfernt betrat er das Hotel Sacher. Er gab dem Mädchen an der Garderobe ein Trinkgeld und bekam seinen Mantel und seine Einkaufstaschen zurück.

Anschließend suchte er die Waschräume auf, um sich zurechtzumachen und sich umzuziehen.

Er stand am Waschbecken und wusch sich die Hände. Die Polizei würde etliche Beschreibungen von ihm bekommen, keine davon präzise. Die Umstehenden waren wie gelähmt gewesen angesichts der Gewalt und weil alles so schnell ging.

Sein Kellner würde sich lediglich daran erinnern, dass er weiß war, männlich, vielleicht in den Dreißigern, und seine Bestellung leise auf Deutsch aufgegeben hatte.

Falls sie ihn bis zum Hotel Sacher verfolgen konnten, könnte das Mädchen an der Garderobe ihn wohl als gut aussehend beschreiben. Er bezweifelte, dass sie in der Lage war, ihrer Beschreibung hinzuzufügen: »1,80, sandbraunes Haar und blaue Augen.« So oder so wäre er dann bereits weg.

Vor dem Hotel ließ er sich vom Portier ein Taxi zum Hauptbahnhof rufen. Dort legte er eine falsche Spur, indem er ein Ticket nach Klagenfurt erstand, eine Stadt in Grenznähe.

Er verließ den Bahnhof, ging ein paar Blocks zu einer nahe gelegenen U-Bahn-Station und nahm sechs Haltestellen weit die U-Bahn.

20 Minuten lang schlenderte er durch ein zweifelhaftes Wiener Viertel.

Schließlich fand er ein Taxi, das ihn zum Ristorante Va Bene direkt am Fluss brachte. Davon überzeugt, dass ihm niemand folgte, setzte er sich ins Freie und bestellte ein Bier.

Er war spät dran. Das Schiff fuhr bald ab. Aber er brauchte dieses Bier.

Mehr noch als das Bier brauchte er die fünf Minuten Ruhe. Fünf Minuten, um seinen Kopf frei zu bekommen für das, was vor ihm lag.

Noch nie hatte er einen Einsatz auf diese Weise durchgeführt. Der Versuch, zwei Herren gleichzeitig zu dienen, war nie eine gute Idee. Egal wie clever man war. Es hieß geradezu darum zu betteln, dass etwas schiefging. Und wenn etwas schiefging, dann häuften sich nicht nur die Fehler, sondern es gab auch Tote.

Er blickte auf seine Uhr. So viel zum Thema fünf Minuten Ruhe. Er zog etwas Geld aus der Tasche, kippte sein Bier hinunter, zahlte und ging.

Bis zum Wiener Hafen waren es etwas über anderthalb Kilometer. Unterwegs warf er erst die Beretta, dann den Schalldämpfer in die Donau.

Er holte sich den verschließbaren Plastikbeutel wieder, den er mit seinem Pass, seiner Schlüsselkarte und sonstigen persönlichen Gegenständen unter einen Müllcontainer geklebt hatte. Dann steckte er sich alles wieder in die Taschen und ging im Geist noch einmal durch, ob er etwas vergessen hatte, während er sich abklopfte. Er wollte sich mit nichts erwischen lassen, das ihn mit dem in Verbindung brachte, was im Café passiert war.

Als er die Gangway des Schiffes betrat, zeigte er seine Bordkarte vor und lächelte die Besatzung an. Sie legten seine Einkaufstaschen auf das Band des Röntgengeräts und ließen ihn durch den Metalldetektor gehen.

In den vier Tagen, die er nun schon auf dem Schiff war, hatte er hundert Möglichkeiten ausgemacht, wie ein Terrorist oder sonst ein Krimineller Unheil anrichten konnte. Bei keiner davon ging es darum, etwas durch den Metalldetektor oder das Durchleuchtungsgerät zu schmuggeln.

Nachdem er die Freigabe hatte, bekam er von der Crew seine Sachen zurück und wurde wieder an Bord willkommen geheißen. Eine gut gelaunte Mitarbeiterin machte Anstalten, ihn zu fragen, ob es ihm an Land gefallen habe. Doch er war bereits auf halbem Weg durch die Lobby, ehe sie fertig war.

Als er an seiner Kabine ankam, blieb er an der Tür stehen, um zu lauschen. Nichts. Er kramte seine Schlüsselkarte hervor und trat ein.

Es war dunkel. Er streckte die Hand nach dem Lichtschalter aus, hielt jedoch inne. Die Glasschiebetür war offen. Auf seinem Balkon stand eine Gestalt.

4

Harvath hatte gewusst, dass es so kommen würde. Er wollte es zwar nicht, aber es war unvermeidlich. Er legte die Taschen auf der Couch ab und trat auf den Balkon hinaus.

Lara Cordero lehnte mit einem Glas Champagner in der Hand an der Reling. Ihr enges Kleid schmiegte sich an ihren atemberaubenden Körper, während eine schwache Brise mit ihrem langen braunen Haar spielte. Sie hätte als Model für die Kreuzfahrtlinie arbeiten können. Sie sah umwerfend aus.

»Wie ist es gelaufen?«, fragte sie und blickte auf die Donau hinaus.

Er hatte ihr nicht gesagt, was er machte, aber sie war ja nicht blöd. Seit ihrer Ankunft in Europa war er mit Anrufen und E-Mails bombardiert worden. Außerdem hatte er ein Smartphone bei sich, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie wusste genug über ihn, um zwei und zwei zusammenzuzählen.

Im letzten Herbst hatte er ihr versprochen, mit ihr Urlaub zu machen, kurz bevor ein Größenwahnsinniger bei den Vereinten Nationen eine verheerende globale Pandemie auslöste. Während die Seuche sich totlief, hatte er mit Lara Zuflucht in Alaska gesucht. Unter den gegebenen Umständen war es nicht gerade die Auszeit, die sie beide sich vorgestellt hatten. Da kam eine Donaukreuzfahrt der Sache schon näher – zumindest was Lara betraf. Harvath hegte noch eine ganz andere Absicht dabei, deshalb hatte er sie vorgeschlagen.

Der islamische Terrorismus nahm in Europa überhand. Amerikaner waren getötet worden. Die Vereinigten Staaten hatten unmissverständlich geäußert, was sie von ihren europäischen Verbündeten erwarteten. Nun war es an der Zeit, rigoros durchzugreifen. Sie befanden sich im Krieg.

Die Terroristen versteckten sich mitten unter den Menschen, die sie niedermetzelten. Sie nutzten die Freiheit und Offenheit des Westens, um Soft Targets anzugreifen, ungeschützte Ziele wie Kirchen, Cafés, Restaurants, Bars, den öffentlichen Verkehr, Touristenattraktionen, Sportveranstaltungen, Konzerte, Kinos und Schulen.

Sie waren keine legalen Kombattanten. Es waren Wilde. Von den Nationen, die ihnen zum Opfer fielen, auch noch Gnade zu erwarten, war der Gipfel des Irrsinns. Es gab nur eines, wovor sie Respekt hatten – Gewalt.

Abubakar al-Shishani war für eine Reihe von Terroranschlägen in Paris verantwortlich, bei denen zahllose Amerikaner getötet wurden. Die Tatsache, dass er sich in Wien völlig offen bewegte, zeigte, dass er keinerlei Vergeltung fürchtete. Harvath hatte sich allerdings darum gekümmert.

Es war als Botschaft an den Rest dieser Kerle gedacht. Wenn sie Amerikaner umbrachten, würde Amerika sie umbringen. Egal wo sie sich aufhielten oder wie lange es dauerte. Diese Botschaft überbrachte Harvath gern.

Per Schiff nach Wien zu fahren und wieder abzureisen war eine Gelegenheit, die Harvath sich nicht entgehen lassen wollte. Die Kreuzfahrt war die perfekte Tarnung. Außerdem bot sie ihm die Möglichkeit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

Er und Lara standen an einem Scheideweg. Beide brauchten sie den Urlaub, aber sie brauchten ihn, um zu klären, was als Nächstes passieren sollte.

Die Pandemie hatte zwar nicht lange gedauert, war jedoch brutal gewesen. Wie es schien, kannte jeder jemanden, der betroffen war. Lara eingeschlossen. Zwei ihrer Vorgesetzten waren der Pandemie zum Opfer gefallen. Und darum hatte man ihr eine unfassbare Beförderung angeboten.

Das Boston Police Department wollte sie vom Detective zur Chefin der gesamten Mordkommission befördern.

Es war eine unglaubliche Chance. Aber es hieß auch, dass sie in Boston bleiben musste.

In der Hoffnung, dass sie vielleicht umziehen könnte, hatte Harvath seine Fühler ausgestreckt. Doch seine Kontaktpersonen in und um DC steckten alle in einer ähnlichen Klemme. Sie hatten einzigartige Leute verloren, wollten aber jemanden aus den eigenen Reihen fördern. Die Chance, die Lara geboten wurde, erhielt sie nirgendwo anders.

Es tat zwar weh, es zuzugeben, aber eine bessere Entscheidung konnte sie nicht treffen. Er respektierte ihre Loyalität gegenüber einer Abteilung, die stets hinter ihr gestanden hatte, und gegenüber einer Stadt, die sie liebte.

Es gab noch weitere Faktoren, die eine Rolle spielten. Ihre Eltern lebten in der Wohnung direkt unter ihrer. Sie waren zu alt, um aus Boston wegzuziehen und von vorn zu beginnen. All ihre Freunde lebten dort. Die Familienmitglieder waren eng miteinander verbunden. Der Gedanke, dass Laras Sohn in Virginia aufwachsen sollte ohne seine Großeltern eine Treppe tiefer, war auch nicht gerade berauschend. Wenn sie nicht gemeinsam umziehen konnten, wollte sie lieber ganz auf den Umzug verzichten.

Harvath verstand. Er liebte sie genug, um das Beste für sie zu wollen – und das war, die Beförderung anzunehmen. Außerdem liebte er sie so sehr, dass er wollte, dass ihr letzter gemeinsamer Ausflug etwas Besonderes war.

Und dass er nach Boston zog, kam nicht infrage. Er konnte seinen Job nicht aus der Ferne erledigen. Die CIA hatte ihn jetzt unter Vertrag und der Präsident verlangte oft seine persönliche Anwesenheit. Mit der neuen, offensiven Haltung des Landes zum Terrorismus bekam er wahrscheinlich nur noch mehr zu tun.

Es war kein leichter Entschluss. In zehn, eventuell auch nur fünf Jahren würde er vielleicht anders denken. Aber nicht jetzt, nicht in diesem Moment. Es stand zu viel auf dem Spiel.

Die Welt wurde immer gefährlicher. Manche belächelten den amerikanischen Traum. Nicht Harvath. Er wusste, dass der amerikanische Traum nur überleben konnte, wenn es Menschen gab, die bereit waren, ihn zu schützen. Für ihn stand sein Land stets an erster Stelle. Das war als SEAL so gewesen, und seitdem hatte er es in verschiedenen Funktionen weiterhin so gehalten. Und das würde nicht aufhören, ganz gleich wie sehr es ihn persönlich schmerzte oder was es ihn kostete.

Gleich nach Paris hatte er ein Gespräch mit dem Präsidenten geführt. Darin hatte er ihm seine Theorie anvertraut, dass es auf der einen Seite Wölfe gab, auf der anderen Schafe. Um die Schafe zu schützen, brauchte das Land Schäferhunde, und so sah er sich.

Der Präsident dachte einige Augenblicke darüber nach, ehe er ihm seine Ansicht mitteilte. Ja, die Vereinigten Staaten brauchten ihre Schäferhunde, aber sie brauchten auch Wolfsjäger. Und so konnte Harvath nach Meinung des Präsidenten am besten zum Schutz der Schafe beitragen.

»Wir werden nicht darauf warten, dass die Wölfe zu uns kommen«, hatte er gesagt. »Wir werden zu ihnen gehen, dorthin, wo sie wohnen, wo sie essen, wo sie schlafen. Wir werden sie so erbittert jagen, wie sie es noch nie erlebt haben. Wenn sie auch nur in unsere Richtung schielen, werden wir sie umlegen.«

Es war eine der eindringlichsten Aussagen, die Harvath jemals gehört hatte. Sie war nicht für die Kameras bestimmt oder um politisch zu punkten. Es war der Kern dessen, woran dieser Mann glaubte. Und damit wuchs Harvaths Respekt für ihn nur noch mehr.

Nehmt uns doch die Ketten ab und lasst uns unseren Job machen. Es war eine Aussage, die immer wieder von Spionen und Special-Operations-Mitarbeitern getätigt wurde. Nun bekam Harvath seine Chance. Er hatte nicht vor, sie verstreichen zu lassen.

Er holte die kalte Flasche Champagner aus dem Eiskübel und schenkte sich ein Glas ein.

»Können wir morgen wenigstens noch gemeinsam Budapest genießen, bevor wir nach Hause fliegen müssen?«, fragte sie, nach wie vor dem Fluss zugewandt.

Er ging zu ihr und legte die Arme um sie. Er küsste sie auf den Nacken und war gerade im Begriff, etwas zu erwidern, als sein Handy vibrierte.

5

MONTAG

WASHINGTON, D. C.

Senator Daniel Wells beugte sich vor und musterte den Mann auf der anderen Seite seines Schreibtisches. »Habe ich gestottert?«, fragte er. Sein Jackett hing über der Stuhllehne, die Ärmel hatte er hochgekrempelt.

»Nein, Sir«, erwiderte sein Gast.

»Habe ich mich einer Fremdsprache bedient?«

»Nein, Sir«, wiederholte der Mann in frustriertem Tonfall, müde von der Herablassung des arroganten Senators aus Iowa. Er zählte zur schlimmsten Sorte Politiker. Selbst in der schweren Zeit nach der Pandemie ging es ihm einzig und allein darum, seine eigene Agenda voranzutreiben.

»13 Amerikaner sind tot. 13«, bellte Wells. »Und Sie haben noch nicht mal eine verfluchte Ahnung, was passiert ist? Nicht einen Hinweis?«

»Sir, wenn ich nur …«

»Hören Sie auf, mich Sir zu nennen«, fiel Wells ihm ins Wort. »Ich bin Senator der Vereinigten Staaten.«

»Ja, Senator. Ich wollte nicht …«

Wells ignorierte ihn und machte einfach weiter. »Es ist Ihre Pflicht als CIA-Direktor, meinen Ausschuss auf dem Laufenden zu halten.«

»Wir versuchen immer noch dahinterzukommen, was passiert ist.«

»Fangen wir doch damit an, was zum Teufel Sie eigentlich in Anbar getrieben haben.«

Die Unterhaltung driftete auf gefährliches Terrain. Bob McGee wählte seine Worte sorgfältig. »Wir waren auf der Suche nach hochrangigen IS-Leuten.«

»Sie schicken ein sechsköpfiges SAD-Team an die syrische Grenze, dazu schwer bewaffnete, geheime Hubschrauber im Wert von mehreren Millionen Dollar, nur um mal jemanden zu suchen?«

Der CIA-Direktor nickte. Er war Ende 50, hatte welliges, grau meliertes Haar und einen dichten Schnurrbart.

»Das ist doch Bockmist. Dafür haben wir ein Drohnenprogramm. Was haben Sie wirklich dort gemacht?«

»Senator, wir waren wie gesagt auf der Suche nach hochrangigen IS-Persönlichkeiten.«

Wells funkelte ihn wütend an. Das führte zu nichts. »Und die Nachrichtenoffizierin? Was ist mit ihr? Was hat sie dort gemacht?«

Sie befanden sich jetzt ganz offiziell auf gefährlichem Terrain. Dennoch beschloss McGee, ihm eine ehrliche Antwort zu geben: »Ich habe keine Ahnung, weshalb Ashleigh Foster dort war.«

»Bullshit!«

»Senator, Sie haben mein Wort, dass …«

»Was ist mit den anderen beiden?«, unterbrach ihn Wells. »Den beiden anderen Frauen aus der Botschaft?«

Der CIA-Direktor schüttelte den Kopf. »Darüber sind wir uns noch nicht ganz im Klaren.«

Wells starrte ihn zornig an.

»Was ist mit dem Video? Haben Sie das überhaupt gesehen?«

McGee war versucht, seinen Blick ebenso zornig zu erwidern. Ob er es gesehen hatte? Natürlich hatte er es gesehen. Die ganze Welt hatte es mittlerweile gesehen. Der IS hatte keine Zeit verloren, es zu veröffentlichen. Es war mehr als barbarisch.

Man hatte die Frauen gezwungen, unaussprechliche Dinge mit den Körperteilen der toten SAD-Männer zu tun. Anschließend hatte man sie brutal vergewaltigt und gefoltert, ehe sie ermordet wurden. Es war sogar zu hören, wie eine nach ihrem Vater schrie, er solle ihr helfen. Selbst für eine Gruppe, die so verkommen war wie der IS, war es abscheulich.

»Wilde«, sagte McGee und bestätigte damit, dass er es in der Tat gesehen hatte.

»Können Sie sich vorstellen, was die Familien durchmachen?«

»Das kann ich mir unmöglich …«

»Da haben Sie verdammt recht, das können Sie nicht«, schnitt Wells ihm das Wort ab. »Ich weiß nicht, was für ein Spiel Sie spielen. Aber was mich betrifft, ist die CIA voll verantwortlich für den Tod dieser Amerikaner.«

McGee begriff, wohin das jetzt führte. Wells hasste die Agency. Er wollte alles Langley anhängen, wenn nicht gar ihm persönlich.

Der Senator war ein kleinlicher, rachsüchtiger Mensch, der alles in seiner Macht Stehende getan hatte, um McGees Bestätigung zu blockieren. Wells hatte nie etwas von der Entscheidung gehalten, ihn zum Direktor zu machen. Er hatte jemanden mit mehr politischem Gespür im Spiel gewollt, einen Karrieristen, den er manipulieren konnte.

Aber genau deshalb hatte der Präsident McGee ausgewählt. Er wurde nicht als »Insider« angesehen. Er spielte das Spiel nicht mit. Zwar konnte er auf einen langen Werdegang bei der CIA zurückblicken, allerdings auf der operativen Seite, nicht in der Verwaltung. Was den Präsidenten anging, war das ein Pluspunkt.

McGee machte sich wirklich Gedanken um die CIA, die Wiederherstellung ihrer zerrütteten Kultur lag ihm am Herzen. Darum war er die perfekte Wahl, um diesen Augiasstall auszumisten.

Als Direktor der Central Intelligence Agency hatte McGee gnadenlos die Axt angelegt. Die Firma musste zu ihren Wurzeln zurückkehren. Es gab zu viele Bürokraten, zu viele Bürohengste im mittleren Management, die sich eher um ihre nächste Beförderung sorgten als um die Männer und Frauen im Außeneinsatz.

Unter McGee wurden bei der CIA mehr Menschen gefeuert als in den letzten drei Jahrzehnten. Er verfolgte Verschwendung, Betrug und Missbrauch wie ein Krebsgeschwür, was es ja auch war. Unter anderem auch Menschen, die mit Senator Wells befreundet waren. Leute, die dachten, Wells würde ihre Stellung protegieren.

Der Senator war außer sich wegen der Entlassungen. Sein Einfluss innerhalb der Firma war im Schwinden begriffen. Er verlor gute Informationsquellen und die Möglichkeit, Macht auszuüben. Leute, die ihm einen Gefallen schuldeten, wurden mit einem Mal ausgeschaltet. Es dauerte nicht lange, bis er sich zur Wehr setzte, indem er dem neuen Direktor subtil drohte.

»Sie kümmern sich um die CIA, und ich kümmere mich um Wells«, hatte der Präsident McGee versichert. Bis jetzt hatte diese Strategie funktioniert. Doch Anbar hatte soeben alles verändert. Es würde die Ambitionen von Senator Wells nur forcieren.

Er hatte es zwar noch nicht angekündigt, aber jeder wusste, dass er den Präsidenten bei der nächsten Wahl herausfordern wollte. Anbar und dieses perverse Video mussten ihm wie ein Geschenk des Himmels erschienen sein.

McGee hatte nicht die Absicht, Wells zu helfen. »Sobald ich mir ein besseres Bild davon verschafft habe, was passiert ist«, sagte er, »werde ich den Ausschuss gern informieren.«

»Nein, Sie werden mich informieren. Und es ist mir egal, in wie viele Ärsche Sie treten oder kriechen müssen. Aber Sie sollten lieber bald etwas für mich haben.«

McGee nickte und machte Anstalten aufzustehen. »Falls das alles ist, werde ich …«

»Setzen Sie sich!«, brüllte Wells. »Ich bin noch nicht fertig.«

McGee musste sich sehr zusammennehmen, um dem Mann nicht an die Kehle zu gehen, doch er fügte sich.

»Was wissen Sie über Wien?«, wollte Wells wissen.

Ohne zu überlegen, erwiderte er: »Es ist die Hauptstadt von Österreich.«

»Wollen Sie sich mit mir anlegen, Direktor McGee? Ist es das? Wie lustig wird es Ihrer Meinung nach wohl sein, wenn der CIA die Mittel gekürzt werden?«

McGee war klug genug, nicht den Besserwisser zu spielen. Wells war nicht nur ein arroganter Trottel – er war ein extrem mächtiger arroganter Trottel. Das machte ihn gefährlich. Der CIA die Mittel zu kürzen wäre politischer Selbstmord für Wells. Das würde er niemals tun. Er konnte es allerdings in die Länge ziehen. In diesem Fall hätte die CIA alle möglichen Probleme.

Damit hatte er McGee in der Hand, und McGee verabscheute ihn dafür. Er hasste es, vor einem eigennützigen Clown wie Wells zu Kreuze zu kriechen.

Noch mehr allerdings hasste er die Vorstellung, dass seine Leute bei der CIA nicht das bekamen, was sie brauchten. Geld war im Nachrichtengeschäft wie Sauerstoff. Wenn es nicht mehr floss, hörte alles auf zu funktionieren. Das durfte er nicht riskieren. »Wien«, sagte McGee, während er sein Ego beiseiteschob. »Sie beziehen sich auf den Anschlag auf al-Shishani?«

»Nein, ich beziehe mich auf das verfluchte Schnitzel. Natürlich meine ich den Anschlag auf al-Shishani. Was wissen Sie darüber?«

Alles, dachte McGee. Aber ich werde dir nichts davon verraten.

Der CIA-Direktor blickte dem Senator direkt in die Augen. »Wir glauben, die Franzosen wollten damit eine Botschaft senden.«

»Die Franzosen? Weil der Schütze Paris erwähnt haben soll?« Wells überlegte einen Moment. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Nicht ihr Stil. Die Israelis vielleicht. Aber das ist nicht ihr Bier.«

McGee zuckte die Achseln. »Sie haben mich gefragt, was ich darüber weiß.«

»Und Sie haben mir einen Scheißdreck erzählt«, entgegnete Wells. »In unserer Regierung gibt es aus einem bestimmten Grund eine Gewaltenteilung. Sollte ich herausfinden, dass Sie oder der Präsident außerhalb Ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse tätig waren, mache ich Ihnen beiden die Hölle heiß. Haben Sie mich verstanden?«

»Ja, Sir!« McGee erhob sich, brachte ihn noch ein bisschen mehr auf die Palme. »Ist das alles, Sir?«

Wells durchbohrte ihn mit Blicken. »Machen Sie, dass Sie aus meinem Büro rauskommen.«

Als McGee das Büro des Senators verließ, waren ihm zwei Dinge klar. Erstens: Er hasste Wells mehr denn je. Und zweitens: Wenn Harvath nicht herausfand, wer hinter dem Debakel in Anbar steckte, drohten ihnen allen jede Menge Schwierigkeiten.

6

BRÜSSEL, BELGIEN

In Budapest wartete am Kai ein grauer Mercedes der CIA auf sie. Lara fuhr ins Four Seasons. Harvath zum Flughafen. Sie waren beide erschöpft.

Keiner von beiden wollte sich den großen Gefühlen einer Trennung stellen. Es war einfacher gewesen, das Ganze mit zwei Flaschen Champagner so gut wie möglich zu betäuben, und sie hatten eine letzte, wilde Nacht hinter sich.

Sie gaben ein großartiges Paar ab – elegant, leidenschaftlich, und es knisterte, wenn sie zusammen waren. Die Tatsache, dass sie es nicht hinkriegten, dass etwas so Gutes in ein und derselben Stadt funktionierte, war irrsinnig.

Als es Zeit für den eigentlichen Abschied wurde, gab Lara ihm einen der besten Küsse, die er je bekommen hatte. Lang, langsam, sexy. Dann stieg sie aus dem Wagen, holte ihre Tasche aus dem Kofferraum und ging ins Hotel.

Harvath saß auf dem Rücksitz und starrte auf die polierten Glastüren. Was zum Teufel ist gerade passiert, fragte er sich. Es war, als hätte man ihm soeben den gesamten Sauerstoff aus der Lunge gesaugt. Habe ich sie wirklich gehen lassen?

Einige Momente vergingen, während er dasaß und alles zu begreifen versuchte. Schließlich unterbrach der Fahrer seinen Gedankengang. »Können wir jetzt zum Flughafen fahren, Sir?«

Die kurze Antwort lautete Nein. Er war nicht bereit, zum Flughafen zu fahren. Er wollte Lara auf ihr Zimmer folgen, die Tür abschließen und so tun, als hätte er nicht Ja zu Brüssel gesagt. Doch das konnte er nicht. Er hatte sein Wort gegeben.

Normalerweise reiste Harvath gern per Privatjet, insbesondere mit etwas so Luxuriösem wie einer Dassault Falcon 5X. Aber selbst das dramatische Panoramadach vermochte ihn heute nicht zu beeindrucken.

Er verrührte Salz, Zucker und eine Aspirin-Brausetablette in einem hohen Glas Tomatensaft mit Eis. Es schmeckte fürchterlich.

Nachdem er ein zweites Glas hinuntergekippt hatte, streckte er sich mit einer großen Flasche Wasser auf der weißen Ledercouch aus.

Die CIA verwendete eine verschlüsselte App, mit der er sich das Anbar-Video nur einmal ansehen und die Bilddateien anzeigen konnte. Das reichte auch.

Der IS war ein islamischer Todeskult, der versuchte, die Apokalypse einzuleiten. Je größer sie wurden, desto verkommener wurden sie.

Letztlich bestand ihr Ziel darin, die Ungläubigen in Dabiq, einem winzigen Kaff in Nordsyrien, zum Kampf zu bewegen. Nach einer entscheidenden Bodenschlacht würde der muslimische Messias wiederkehren. So ungefähr lautete zumindest eine uralte Prophezeiung. Harvath ging jede Wette ein, dass der Prophet Mohammed sich Kernwaffen niemals auch nur vorgestellt hatte.

Wenn es nach Harvath ging, würde er gleich die Atomraketen losschicken. Nach dem Abwurf von Flugblättern, in denen die Bewohner zur Flucht aufgefordert wurden, würde er erst Dabiq und dann Raqqa, die Hauptstadt des IS, dem Erdboden gleichmachen. Eine Bodenschlacht würde es nicht geben. Nur ausgedehnte Glasflächen. Die Barbaren des IS waren keinen weiteren Tropfen amerikanischen Blutes wert.

Aber es ging nicht nach Harvath. Es war Sache des Präsidenten der Vereinigten Staaten, und dieser verfolgte im Moment einen anderen Plan.

Er wollte wissen, wie es kam, dass das SAD-Team im Irak angegriffen wurde. Woher hatte der IS gewusst, dass sie dort waren?

Harvath hatte die Informationen für die Operation gesammelt. Er war derjenige, der die hochrangige IS-Zielperson identifiziert und lokalisiert hatte. Die Informationen stammten von seinen Kontaktleuten. Nun waren 13 Amerikaner tot.

Die CIA hatte umgehend eine Untersuchung eingeleitet. Sie brachten in Erfahrung, dass Ashleigh Foster eine Beziehung zu einem Mann des SAD-Teams hatte. Sie hatte zwei Freundinnen aus der Botschaft überredet, mit ihr das Wochenende zu verbringen und im Safe House zu feiern. Telefonaufzeichnungen, SMS und E-Mails stützten dies. Es war ein Fall von durch die Bank ausnehmend schlechtem Urteilsvermögen. Der IS-Angriff jedoch stand auf einem völlig anderen Blatt.

Die Dschihadisten waren kampfbereit angerückt. Sie hatten nicht nur das SAD-Team überwältigt, sondern auch zwei CIA-Hubschrauber abgeschossen. Sie wussten ganz genau, womit sie es zu tun hatten. Hatten sogar ein Videoteam mitgebracht. Hatten sie auch gewusst, dass die Frauen sich dort aufhalten würden?

Harvath hatte man damit beauftragt, all dies herauszufinden. Und der Ausgangspunkt war in Brüssel.

Die Stadt war zu über 25 Prozent muslimisch, das Viertel mit der dichtesten islamischen Bevölkerung war Molenbeek. Auf der falschen Seite des Kanals gelegen, befanden sich dort mehr als zwei Dutzend Moscheen.

Hier lebte auch einer von Harvaths besten Kontaktmännern – ein Kontaktmann, der plötzlich nichts mehr von sich hören ließ.

Entweder befand Salah Abaaoud sich in Schwierigkeiten oder er trieb ein Doppelspiel mit Harvath.

Falls Salah Harvath reingelegt hatte, gab es kein Loch, das tief genug war, um sich darin zu verstecken. Harvath würde ihn finden. Immerhin war das sein Job.

Salah war ein Arzt mit einer Praxis in bester Geschäftslage. Jeder in Molenbeek kannte ihn. Er war der inoffizielle Bürgermeister des Viertels. Er legte Streitigkeiten bei, half neuen muslimischen Einwanderern, sich im belgischen Sozialsystem zurechtzufinden, zog schlechte Zähne und arrangierte sogar Ehen.

Er leistete großzügige Spenden für die örtlichen Moscheen und Wohltätigkeitsorganisationen, fuhr einen knallroten BMW und hatte stets Tickets für die besten Sportereignisse.

Nach außen hin war Dr. Salah Abaaoud ein erfolgreicher Mann. Niemand in dem Viertel hatte eine Ahnung von seiner kriminellen Vergangenheit. Sogar die belgische Regierung tappte im Dunkeln.

Zu Hause im Nahen Osten hatte Salah als Schmuggler ein Vermögen gemacht. Seine Position als Arzt ausnutzend, schlug er Kapital aus dem Roten Halbmond, den UN und einer Vielzahl weiterer medizinischer Hilfsaktionen und Konvois. Er schmuggelte alles, von gestohlenen Antiquitäten über Drogen und Waffen bis hin zu Menschen. Es waren jedoch die Waffen, die letztlich dafür sorgten, dass er geschnappt wurde.

Einmal transportierte er eine Kiste mit gestohlenen Raketen von Marokko in den Libanon. Harvath spürte der Zelle hinter dem Diebstahl nach. Eine Information führte zur nächsten, bis Harvath schließlich vor Salahs Haustür landete. Das Einzige, was dem Doktor das Leben rettete, war seine Kooperationsbereitschaft.

Angesichts seiner ganzen Verbindungen war Salah in der Lage, so manches in Erfahrung zu bringen. Er verfügte über ein beeindruckendes Netzwerk, und das wollte Harvath.

Salah stimmte einer großzügigen monatlichen Besoldung zu und durfte weiteratmen. Allah hatte ihn doppelt gesegnet.

Harvath verpasste ihm den Codenamen Sidewinder, nach den Raketen, bei deren Schmuggel Salah erwischt wurde. Aber im Lauf der Zeit erkannte er, dass Klapperschlange eigentlich besser gepasst hätte. Salah war kaltblütig. Er machte viel Lärm, wenn er sich aufregte, und konnte ohne Vorwarnung zuschlagen. Mit dem Mann musste man behutsam umgehen.

Im Moment allerdings war Harvath nicht in der Stimmung, behutsam vorzugehen. 13 Amerikaner waren tot. Zehn von ihnen hatten mit Informationen gearbeitet, die er besorgt hatte. Die übrigen drei waren bloß zur falschen Zeit am falschen Ort. Allerdings hätte keiner von ihnen sich dort befunden, wäre er nicht gewesen. Das war eine Tatsache, und sie lastete schwer auf ihm. Er versuchte, sie aus seinen Gedanken zu verbannen, während er nach Salah suchte.

Als Erstes überprüfte er das Haus des Mannes. Aber dort fand er keine Spur von ihm beziehungsweise dem roten BMW. Als Nächstes kam die Praxis an die Reihe.

Sie war fest verschlossen. Durchs Fenster sah Harvath einen Stapel Post auf dem Boden liegen. Hatte Salah die Stadt verlassen? War er aus dem Land geflohen? Harvaths Besorgnis, dass Salah ihn reingelegt hatte, wuchs. Ihm fiel nur noch ein Ort ein, an dem er ihn suchen konnte.

Salahs Frömmigkeit kannte Grenzen. Sie endete direkt an seiner erogenen Zone. Er unterhielt ein Liebesnest und dazu einen gut sortierten Barwagen im eleganten Viertel Saint-Gilles. Harvath war ihm einmal dorthin gefolgt. Die Wohnung lag in unmittelbarer Nähe der Avenue Louise.

Maß man den wahren Charakter eines Menschen daran, was er so trieb, wenn niemand zusah, wären die Brüsseler Muslime von Dr. Salah Abaaoud schockiert gewesen. Er war nicht nur ein semiprofessioneller Alkoholiker, sondern vögelte auch die äußerst attraktive, sehr viel jüngere und sehr verheiratete Sprechstundenhilfe seiner Praxis, Aisha.

Harvath blieb vor der Tür stehen und lauschte. Was erwartete er eigentlich zu hören? Sex? Nicht einmal ein so unersättlicher Kerl wie Salah würde wegen einer Sauftour tagelang verschwinden. Dazu war er zu vorsichtig, hatte zu viel in sein öffentliches Image investiert. Allerdings nicht so viel, dass es ihn vom Vögeln oder Trinken abhielt. Er hatte sich wohl einfach an ein gewisses Risiko gewöhnt.

Harvath konnte etwas von drinnen hören. Es klang nach Schreien, war aber definitiv kein Sex. Ein Fußballspiel?

Er drehte den Knopf der Messingklingel in der Türmitte und wartete. Das letzte Mal, als er bei Salah hereinplatzte, hatte er etwas Furchtbares zu Gesicht bekommen. Splitternackt hatte Salah dagestanden, ganz zu schweigen von dem vielen Fett, und so haarig. Das war ein Anblick, den er nie mehr erleben wollte.

Niemand kam an die Tür.

Nachdem er einige Augenblicke gewartet hatte, zog er ein kreditkartengroßes Stück Stahl aus der Tasche. Mit einem Laser war ein Lockpicking-Set hineingeschnitten. Alles, was er tun musste, war, die Dietriche auszuklappen, die er brauchte.

Während er das Schloss musterte und im Begriff war, einen passenden Dietrich zu wählen, entschied er sich, die Klinke auszuprobieren.

Die Tür war nicht abgeschlossen. Salah ließ nie etwas unverschlossen.

Er stieß die Tür auf und konnte die Wohnung ganz überblicken, ohne einzutreten.

Jemand war hier gewesen. Und hatte seinen eigenen Rembrandt kreiert.

7

Es gab keinerlei Anzeichen für einen Kampf. Oder Folter. Salah saß in einem gold-violetten Bademantel auf der Couch, den Kopf nach hinten geneigt. Ein wahrer Strahlenkranz aus Blut war hinter ihm an die Wand gespritzt. Auf dem Tisch stand ein Highball, zur Hälfte wohl mit seinem Lieblingsbourbon gefüllt. Der Fernseher lief. Wahrscheinlich schon seit Tagen.

Harvath trat ein und schloss die Tür. Der Duft nach Tee und Gewürzen war überlagert vom Geruch des Todes. Er musste schnell machen.

Er stand im Vorraum, nahm alles in sich auf. Der Mord sah professionell aus. Salah hatte nur eine einzige Kugel in den Kopf bekommen.

Da niemand die Polizei gerufen hatte, hatte der Mörder wahrscheinlich eine Waffe mit Schalldämpfer benutzt. Das schloss Aishas Ehemann und eine Tat im Affekt aus.

Als Harvath ins Schlafzimmer ging, registrierte er das ungemachte Bett. Salahs Kleidung hing über einer Stuhllehne, die Kleidung einer Frau war auf einer Chaiselongue am Fenster drapiert. Schwaches Licht drang aus dem Badezimmer. Harvath hatte ein ungutes Gefühl, was er darin finden würde.

Er trat an die Tür und stieß sie vorsichtig auf. Nackt und tot lag Aisha in der Wanne. Jemand hatte ihr ein einziges Mal in den Kopf geschossen, genau wie bei Salah. Die Fliesen hinter ihr waren hellrot von ihrem Blut, das Badewasser von einem dunklen Rosa.

Harvath trat aus dem Badezimmer und ging durch die Wohnung zurück.

Es war definitiv ein professioneller Mord. Allem Anschein nach war nichts gestohlen worden. Salah trug immer noch seine goldene Rolex Daytona, die beiden Chagalls hingen immer noch im Wohnzimmer. Der ganze Schmuck, den er für Aisha gekauft hatte und den sie niemals mit nach Hause nehmen konnte, lag in einem roten Samtkästchen auf ihrem Schminktisch.

Der Mörder war nicht nur ein Profi, sondern auch diszipliniert. Dies schloss die meisten, wenn nicht alle Unterweltgestalten und Dschihadisten aus, mit denen Salah Geschäfte machte.

Hätte einer von ihnen ein Hühnchen mit dem Schmuggler zu rupfen gehabt, hätte Harvath davon gehört. Salah hatte ihre Beziehung häufig missbraucht, um seine geschäftlichen Streitigkeiten beizulegen. Er hatte gewusst, dass es gewisse Kunden gab, die die Vereinigten Staaten mit Freuden für ihn beseitigen würden.

Tatsächlich kritzelte die CIA manchmal EGSA auf die Raketen, die ihre Drohnen für solche Einsätze verwendeten – ein Geschenk von Salah Abaaoud.

Salahs Erfolgsquote bei der Identifizierung und Lokalisierung terroristischer Ziele war der Grund, weshalb die CIA seine jüngsten Informationen den IS betreffend so ernst genommen hatte.

Und jetzt sieh ihn sich einer an, dachte Harvath, als er den Leichnam untersuchte. Er saß eindeutig schon ein paar Tage hier.

Also wenn es kein eifersüchtiger Ehemann war und auch kein unzufriedener Geschäftspartner, wer hat ihn dann getötet?

Der Anschlag war so professionell, dass es nach einem staatlichen Auftraggeber aussah, ausgeführt von einem Geheimdienst.

Harvath schloss jegliche mit den Vereinigten Staaten verbündeten Dienste gleich aus. Er hatte sie alle vor Salah gewarnt. Hätte der MI6, der Mossad oder dergleichen ihn gewollt, wäre dies Harvath zu Ohren gekommen.

Konnte es ein Land aus Nahost gewesen sein? Marokko, Ägypten oder Saudi-Arabien zum Beispiel? Schon möglich, aber sie waren nicht sehr gut darin, Kräfte allzu weit außerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen einzusetzen. Und falls es einer von ihnen gewesen war, weshalb machten sie sich wegen Salah diese Mühe? Das ergab keinen Sinn.

Ihm kamen wesentlich mehr Fragen als Antworten in den Sinn. Eines jedoch war sicher. Salah ging einem im Tod nicht weniger auf die Nerven als im Leben.

Vorsichtig setzte Harvath seinen Weg durch die Wohnung fort, während er nach Hinweisen suchte. Das Letzte, was er wollte, war, Spuren zu hinterlassen, die ihn mit dem Tatort in Verbindung brachten. Er wollte, dass die belgischen Behörden sich darauf konzentrierten, den wahren Mörder zu schnappen.

Und wer auch immer dies war, er hatte beschlossen, Salah hier umzulegen, anstatt zu Hause oder in seiner Praxis. Warum?

Den Spuren nach zu urteilen, sah es so aus, als hätte er Salah überrascht. Nachdem Salah gerade Sex gehabt hatte, hatte er sich vor den Fernseher gesetzt und etwas getrunken, während seine Geliebte ein Bad nahm. Anscheinend hatte der Attentäter nur ein einziges Ziel gehabt – ihn gleich dort umzubringen, wo er ihn fand.

Aber wenn das der Fall war, warum hatte er nicht einfach kehrtgemacht und war abgehauen? Warum war er nach hinten ins Badezimmer gegangen, um Aisha zu töten? Zeit.

Wenn er einfach kehrtgemacht hätte, um abzuhauen, hätte es nicht lange gedauert, bis Aisha Salahs Leiche fand. Hätte sie, die untreue Ehefrau, die Polizei gerufen? Vielleicht. Hätte sie geschrien und die Aufmerksamkeit der Nachbarn auf sich gezogen? Durchaus möglich, und ein Profi zog alles in Betracht.

Dies galt insbesondere für jemanden, der das Land verlassen wollte. Je mehr Zeit er hatte, bevor die Polizei überhaupt merkte, dass er da war, desto besser standen seine Chancen, vor allem wenn er mit dem Flugzeug oder per Zug verschwinden wollte.

Harvath zückte sein Handy und machte von allem Fotos. Mittels Geotagging fügte er die Standortdaten hinzu und übermittelte die Bilder an sein Team in den USA. Außerdem fügte er eine Nachricht für seinen IT-Experten Nicholas bei.

Nicholas, bei den Geheimdiensten weltweit nur als »Der Troll« bekannt, litt an Zwergwüchsigkeit. Er war zwar keinen Meter groß, dafür aber ein digitales Genie, das sich durch den Kauf, Verkauf und Diebstahl hochsensibler Schwarzmarktinformationen einen Namen gemacht hatte.

In seinem Werdegang hatte er sich mächtige Feinde gemacht. Und obwohl er »ehrlich« geworden war, hatte er stets seine beiden Hunde an der Seite, zwei riesige weiße Kaukasische Owtscharkas, nur für alle Fälle.

Profi-Job, lautete Harvaths Nachricht. Womöglich ausländischer Geheimdienst. Besorg dir Aufnahmen der umliegenden Überwachungskameras. Sieh zu, ob du den Killer aufspüren kannst.

Harvath kehrte ins Schlafzimmer zurück, holte die Schlüssel aus Salahs Hose und verließ das Apartment.

Als er zurück nach Molenbeek kam, war es bereits dunkel und die Bewohner beim Abendgebet. Er beschloss, zuerst Salahs Praxis zu überprüfen.

Er schloss die Eingangstür auf, stieg über die Post hinweg und schlüpfte hinein. Salahs persönliches Büro befand sich ganz hinten.

Harvath hatte keine Ahnung, wonach er suchte. Ein professioneller Killer, der es auf Salah abgesehen hatte, war eine Sache. Ein Profikiller, der direkt nach dem Angriff in Anbar hinter Salah her war, war etwas völlig anderes.

Solange Harvath keinen Grund hatte, etwas anderes zu vermuten, ging er davon aus, dass die beiden Ereignisse miteinander zu tun hatten. In dieser Branche überlebte man nicht lange, wenn man an Zufälle glaubte.

Rasch durchsuchte er Salahs Büro, aber alles schien an Ort und Stelle. Es sah nicht so aus, als wäre überhaupt jemand hier gewesen.

Harvath fuhr die Praxis-Computer hoch und steckte einen USB-Stick ein mit einem Programm, das Nicholas den Zugriff ermöglichte. Nachdem es geladen war, entfernte er den USB-Stick und machte sich auf den Weg zu Salahs Haus.

Es war ein trister, dreistöckiger Backsteinbau. Das Erdgeschoss, wo Salah Treffen abhielt und Leute aus dem Viertel empfing, war bescheiden eingerichtet. Die erste und zweite Etage waren wesentlich großzügiger ausgestattet.

Die Farbgebung dieser Stockwerke ähnelte der des Bademantels, in dem Salah erschossen worden war – viel Gold und Violett. Dick gepolsterte Sofas standen auf üppigen Perserteppichen, die den Mittelpunkt für reich verzierte Sessel und schwere Vorhänge bildeten. Gemälde mit fülligen nackten Frauen und Obstschalen zierten die Wände. Die muffige Luft war erfüllt von dem widerlich süßen, überladenen Geruch nach Räucherwerk.

Mit dem Ellenbogen öffnete Harvath eine Balkontür, um frische Luft einzulassen. Er ging von Raum zu Raum, nahm zur Kenntnis, was er sah.

Schmutziges Frühstücksgeschirr stand in der Spüle. Auf der Fensterbank im Badezimmer stand eine Kaffeetasse. Eine drei Tage alte Zeitung lag aufgeschlagen auf dem Esstisch. Es sah nicht danach aus, als wäre seitdem jemand anderes als Salah hier gewesen.

Entweder war der Mord die Rache für etwas, das sehr weit zurück in Salahs Vergangenheit lag. Oder er war getötet worden, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Harvath tippte auf Schweigen. Doch worüber sollte er schweigen?

Im Haus musste es etwas geben, das es ihm verraten konnte. Er kehrte in Salahs Arbeitszimmer zurück, öffnete die Schreibtischschubladen und begann, dessen persönliche Papiere durchzugehen. Das meiste davon war auf Arabisch verfasst.

Es war eine Sprache, die Harvath ganz leidlich sprach, aber Lesen kam so gut wie gar nicht infrage. Er musste alles einpacken und es einem Übersetzer der Agency bringen.

Er kam gerade mit einem Kissenbezug aus dem Schlafzimmer zurück, als er eine SMS auf sein Handy bekam.

Kennst du diesen Kerl?, lautete die Nachricht von Nicholas. Ein Foto folgte.

Es zeigte einen dünnen, beinahe weiblich wirkenden jungen Mann mit blasser Haut und blondem Haar, das fast weiß war. Er trug ein kurzärmliges Anzughemd, dazu eine schmale schwarze Krawatte.

Nein. Wer ist das?, tippte Harvath zurück.

Innerhalb von Sekunden vibrierte sein Handy. Es war ein Anruf von Nicholas.

»Er heißt Sascha Baseyew«, sagte der kleine Mann aus fast 5000 Kilometern Entfernung zu Hause in Nord-Virginia. »Vor zwei Jahren vernahm das FBI einen russischen Geheimdienstoffizier, der politisches Asyl beantragte. Er kam vorbereitet und war bereit mitzuspielen. Baseyew taucht auf einer Namensliste auf, die er uns gab.«

»Und warum reden wir über ihn?«

»Dazu komme ich gleich«, erwiderte Nicholas. »Erinnerst du dich an die Geiselnahme von Beslan und an das Massaker in dem Moskauer Theater?«

Harvath erinnerte sich an beides sehr gut. Es waren Ereignisse mit zahllosen Todesopfern gewesen.

Beslan war ein verheerender Anschlag gewesen, der drei Tage andauerte und bei dem 1100 Menschen als Geiseln genommen wurden. 385 wurden ermordet, davon 186 Kinder.

Bei dem Anschlag auf das Moskauer Theater gab es 900 Geiseln, von denen 170 getötet wurden.

Es waren Fälle wie aus dem Lehrbuch, die von Amerikas führenden Antiterror- und Geiselbefreiungsteams studiert wurden.

»Ich entsinne mich«, sagte Harvath. »Die Anschläge wurden von islamischen Terroristen ausgeführt. Tschetschenen. Gibt es einen weiteren Zusammenhang?«

»Ein stellvertretender Direktor der GRU, Russlands größtem Auslandsgeheimdienst, verlor an diesem Abend in dem Theater seine Frau und seine Tochter. Nach einer langen Beurlaubung – manche glauben, um im Kaukasus Terroristen zu jagen – kehrte er zur GRU zurück und erhielt die Genehmigung, eine neue Einheit aufzustellen.«

»Was für eine Einheit?«

»Ein Killerkommando.«

»War es Teil der Reaktion auf Beslan?«, wollte Harvath wissen.

»Nein, sie kamen erst hinterher.«

»Um den Rest der Terroristen zur Strecke zu bringen?«

Einen Moment herrschte Schweigen. »Um zu rekrutieren«, antwortete Nicholas schließlich.

»Unter den Überlebenden? Die Kinder?«

»Wer könnte besser Jagd auf den Teufel machen als jemand, der bereits die Hölle durchgemacht hat? Das zumindest dachten sie.«

Harvath hatte einmal die Überlebende einer Flugzeugentführung rekrutiert, um einen Terroristen zu identifizieren, aber das war etwas anderes. Was die Russen da versuchten, war Wahnsinn. »Ich würde mich wundern, wenn diese Kinder überhaupt in der Lage wären, normale Erwachsene zu werden – geschweige denn Agenten, die unter hoher Belastung noch Befehle befolgen können.«

»Alle Rekruten erwiesen sich als Reinfall«, pflichtete Nicholas ihm bei. »Entweder brachen sie unter dem Druck zusammen oder waren so aggressiv, dass es ans Psychotische grenzte.«

»Bis auf einen, nehme ich an.«

»Richtig! Sascha Baseyew. Egal was sie ihm vorsetzten, er zeichnete sich stets aus.«

»Jetzt kommen wir wieder zu meiner Ausgangsfrage zurück«, meinte Harvath. »Weshalb reden wir über ihn?«

»Weil ich glaube, dass er dein Killer ist.«

8

ANTALYA

TÜRKISCHE RIVIERA

Die plastische Chirurgie hatte aus Sascha Baseyew einen Mann mit unscheinbaren Zügen gemacht, dem man nicht ansah, woher er kam. Umso besser für ihn, wenn er sich an Orten aufhielt, an denen er eigentlich nicht sein sollte.

Er war 1,75 Meter groß, konnte aber größer oder kleiner wirken, je nachdem, welche Haltung er einnahm.

Das einzig Auffällige an ihm war, dass er vollkommen unauffällig war. Selbst wenn er neben einem stand, bemerkte man ihn normalerweise nicht. Er war der Inbegriff des Schattens, der einfach mit dem Hintergrund verschmolz.

Er war eine der besten Waffen, die die Russen jemals gegen islamische Extremisten geschaffen hatten. Er war darauf trainiert, ihre Reihen zu infiltrieren, sie von innen heraus zu zerstören. Darin war er außergewöhnlich.

Aber mit Anbar hatte er das, was er tat, auf ein völlig neues Niveau gehoben. Die Russen hatten den USA eine ausgeklügelte Falle gestellt. Seine Aufgabe bestand darin, sie hineinzulocken. Darum befand er sich nun in der Türkei.

Er leitete eine Zelle mit IS-Kämpfern von einem alten Lagerhaus aus. Es lag in einem Teil der Stadt, in dem nur wenige Menschen redeten und noch weniger Fragen stellten – der perfekte Ort für ein sicheres Haus.

Heute Nacht war Baseyews geöltes Haar schwarz, seine Augen braun. Seine Kenntnis des Korans war so tief wie der Ozean. So tief, dass die Brüder ihn auserwählten, sie im Gebet zu führen. Es war nur natürlich. In ihren Augen war er der Gottesfürchtigste, Frömmste unter ihnen. Er war ihr Anführer.

Ihr Vertrauen in ihn war absolut, bereitwillig hatten sie die Pillen eingenommen, die er ihnen gegeben hatte. Drogen waren im Islam zwar verpönt, zur Vorbereitung auf eine Schlacht wurde allerdings eine Ausnahme gemacht.

Ihre Körper entspannten sich, ihre Gedanken begannen abzuschweifen. Es war eine religiöse Erfahrung für sich, ein Vorgeschmack darauf, was sie im Paradies erwartete.

Einer der Männer, dessen Augen geweitet waren, lächelte. »Inschallah, morgen werden wir siegreich sein, Bruder Ibrahim.«