Der Vogelhändler von Kabul - Friedrich Orter - E-Book

Der Vogelhändler von Kabul E-Book

Friedrich Orter

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  • Herausgeber: Ecowin
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

»Ich wollte noch einmal dorthin. Nach Ka Faroshi, auf den Vogelmarkt in Alt-Kabul. Ein mir selbst rational nicht erklärbarer Wunsch. Aber ich wollte sie noch einmal hören: Die gezwitscherten Kadenzen, die geträllerten Tremolos, die schnurrenden Gesänge in und aus den Vogelkäfigen. Der Reporter in mir wollte dorthin, ein anderer Teil von mir musste.«

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Seitenzahl: 63

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FRIEDRICH ORTER

DER VOGELHÄNDLERVON

KABUL

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältigerBearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2017 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing,eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:Red Bull Media House GmbHOberst-Lepperdinger-Straße 11–155071 Wals bei Salzburg, Österreich

Illustrationen: Claudia MeitertLektorat: André PleintingerSatz: MEDIA DESIGN: RIZNER.ATGesetzt aus der Palatino, Mrs Eaves, Bureau Eagle

Printed in Slovakia

ISBN 978-3-7110-0147-4eISBN 978-3-7110-5214-8

Den Freunden in Kabul

Inhalt

Auf der Suche nach der Vogelstraße

Khalifa Amir oder das Glück ist eine Taube

Noor Agha oder die Freiheit ist (k)ein Vogelkäfig

Besmullah oder der Krieger ist ein Falke

Besuch beim Bulldozer

Mohammad Zahir oder der Friedfertige von Ka Faroshi

Friedhof der Imperien

Stammesfehden

Hedayatullah Momand oder das Schicksal ist eine Nachtigall

Kabuls zerrissenes Herz

Nachwort

Chronologie

Literatur

Dank

Wiedehopf – Upupa epops

Auf der Suche nach der Vogelstraße

Flughafen Kabul, 6.40 Uhr. Ankunft mit einer Maschine der Turkish Airlines aus Istanbul. Wir hatten Glück. Drei Tage später, am 28. Juni 2016, werden drei Selbstmordattentäter den Flughafen Istanbul-Atatürk überfallen. Die türkische Regierung macht die Terrororganisation Islamischer Staat verantwortlich.

Landung auf einem staubigen Rollfeld, umgeben vom felsigen Braun der umliegenden Berge. Am Eingang zur Ankunftshalle grüßt ein Präsidentenporträt. Zehn Jahre lang winkte Hamid Karzai, jetzt lächelt verhalten Aschraf Ghani.

Die Pass- und Zollkontrolle war schon einmal stressiger. Kein mitgebrachtes Foto ist für das Einreiseformular mehr nötig, die elektronische Gesichtskontrolle erspart bürokratische Hürden. Der Fortschritt hat Einzug gehalten am Flughafen Kabul. Verboten ist nach wie vor die Einfuhr jeder alkoholhaltigen Flüssigkeit. Das Gepäck schleppt der aus dem Westen Ankommende zu einem speziellen Parkplatz für Ausländer. Afghanen werden mit einem Bus zu einem anderen Terminalgebäude gefahren. Der vom Hotel angeforderte Chauffeur wartet tatsächlich und bringt mich in einem klimatisierten Geländewagen mit dicken getönten Scheiben und Panzerplatten auf der Fahrzeugunterseite in meine Bleibe.

Das Serena, eine für Ausländer reservierte Luxusfestung, hält diesmal für mich Zimmer 258 mit stereotypen Begrüßungsfloskeln bereit: »We hope you will have a truly memorable experience and that we exceed your expectations.«

Die Erwartungen sind absehbar. Um nicht aufzufallen, wähle ich ein Auto, das die Hälfte aller Kabulis fährt, einen Toyota Corolla mit Fahrer, um auf den Vogelmarkt zu kommen. Travel in low profile, nennen das Kabul-geeichte Ausländer.

Hamed ist mein Fahrer, ein Glücksfall, denn nicht jeder Taxifahrer ist ein Taxifahrer.

»Zur Taliban-Zeit gab es keine Autos, keine Taxis auf unseren Straßen«, erzählt Hamed und hält den täglichen Dauerstau zwischen 6 und 20 Uhr offenbar für einen Fortschritt. Sein um 4 000 US-Dollar erstandenes Gebrauchtwagen-Modell ist bereits 200 000 Kilometer weit gerollt, wurde wie die meisten anderen PKWs in Japan eingeschifft und über Dubai nach Afghanistan transportiert.

»Zur Zeit der sowjetischen Besatzung fuhren hier nur Wolgas und Tatras«, erinnert sich der ergraute 60-Jährige und schiebt seine abgegriffene Pakol-Mütze zurecht.

»Barq darem?«, frage ich Hamed mit einem meiner wenigen Wörter, die ich mir auf Dari gemerkt habe – gibt es Strom? »Barq nes«, antwortet er, – gibt es nicht. Wieder war es den Taliban gelungen, einen wichtigen Strommast zu sprengen, der Elektrizität aus Usbekistan nach Kabul leitet.

An der Weiterfahrt zur Vogelstraße hindern uns Sicherheitskräfte. Es herrscht an diesem Tag Ausnahmezustand in Kabul. Angehörige der lange Zeit unterdrückten schiitischen Minderheit der Hazara demonstrieren gegen die Entscheidung der Regierung, eine geplante Hochspannungsleitung nicht durch die von ihnen bewohnte Region Bamiyan im Zentrum Afghanistans zu führen. Die Hazara fühlen sich einmal mehr diskriminiert.

Bei meinem ersten Kabul-Aufenthalt nach dem Einmarsch der NATO-Truppen 2001 erklärte mir ein Mitarbeiter des Energieministeriums, dass nur sechs Prozent der Afghanen zeitweise Strom hätten.

Hamed klagt, wie andere Kabulis auch, dass ausländische Hilfe nur wenig zum Besseren verändert hätte, obwohl auch der Fremde merkt, dass neue Stadtviertel hochgezogen, Straßen repariert und Shopping-malls aus dem Boden gestampft wurden, neben rosa- und blau getünchten Villen, mit denen die Eigentümer hinter Schutzmauern protzen.

»Das sind die Häuser der Opiumhändler und Warlords«, meint Hamed.

»Kennen Sie die Namen der Eigentümer?«

»Die kann ich nicht nennen. Reich werden durch den Opiumhandel nicht die Mohnbauern. Reich werden die Schmuggler, die Kriegsherren, Regierungsbeamte. Das wissen wir hier alle. Aber ändern können wir es nicht.«

Kabul, das ist auch die Stadt der wohlhabenden Geschäftsleute, der Schmuggler und Schwarzhändler, die inmitten der Ruinen reich geworden sind, aber zugleich die Stadt der Fahrradfahrer, der Pferdefuhrwerke, der Schubkarren, beladen mit Früchten, Gemüse oder alten Kleidern, die alte Männer durch staubige Straßen ziehen. Die Stadt der Geldwechsler und beinlosen Kriegskrüppel, der Bettlerinnen in schmutzig-blauen Burkas, der Kinder, die Kannen mit dem Rauch von stinkendem verbranntem Gummiharz schwenken, um vermeintlich Böses abzuwehren.

Die meisten Straßen sind aber noch immer in einem erbärmlichen Zustand, mit Schlaglöchern und Haufen von Schutt und Müll. In diesem Chaos mühen sich Kabuls Polizisten trillerpfeifend meist vergeblich ab, Ordnung zu schaffen.

»Die Briten waren hier, die Russen waren hier, die Amerikaner sind immer noch hier«, sinniert Hamed, »und wir Afghanen bekämpfen uns wie die Hähne in der Vogelstraße.«

Und während ich ihm zuhöre, fallen mir ein paar Verse aus dem wohl berühmtesten Gedicht über Kabul ein, das Saib-e-Tabrizi schrieb. Jede Straße Kabuls sei ein Fest fürs Auge, schwärmt der Dichter des 17. Jahrhunderts. Wie sie da läge, Kabul, die Schöne, umringt von kargen Bergen, wie unvergleichlich der Mond in vielfacher Gestalt ihre Dächer geheimnisvoll erhelle, wie die Sonnenstrahlen ihre Mauern überwinde, wie malerisch die ägyptischen Karawanen anzusehen seien, so der Dichter weiter in romantischer Schwärmerei.

Mich führten viele Wege nach Kabul. Einer der abenteuerlichsten im Herbst 2001 über den Hindukusch, die besagten kargen Berge, in den letzten Wochen der Taliban-Herrschaft. In kaputten Autos, hilflos dollargierigen Fahrern ausgeliefert, über Geröllhalden, die vermeintliche Straßen waren, durch reißende Flüsse, über einsturzgefährdete hölzerne Behelfsbrücken.

Nach dem Sturz der Taliban wurden mit westlicher Hilfe feste Straßen, Brücken, Stromleitungen, Kraftwerke und Schulen gebaut. Für ein Drittel der 35 Millionen Afghanen gibt es heute Elektrizität. Lesen und schreiben können mehr als 40 Prozent der über Fünfzehnjährigen. Trotz internationaler Ausgaben von mehr als einer Dreiviertel Billion Dollar, das sind statistisch 1 500 Dollar pro Afghane, und damit drei Mal so viel wie das ProKopf-Bruttoinlandsprodukt des Landes, ist die Lage im Land nicht befriedet und stabil, kämpfen afghanische Sicherheitskräfte mit enormen Herausforderungen. In dem nach dem Vietnamkrieg längsten Militäreinsatz, den die Amerikaner bisher führten, nach 2 400 gefallenen und 20 000 verwundeten amerikanischen Soldaten kontrollieren die Taliban nach US-Angaben wieder 40 Prozent des Territoriums und somit ein Drittel der Bevölkerung. Im Süden des Landes werden weiterhin 70 Prozent des weltweit gehandelten Opiums und Heroins produziert.

George W. Bushs »Krieg gegen den Terror«, die US-Invasion Afghanistans 2001 und Iraks 2003, die gescheiterte Politik des Regime Change und Nation Building, gefordert und provoziert durch den islamistischen Expansionismus und Terror, stürzte die US-Außenpolitik in ein selbst mitverschuldetes Dilemma. Den sechs muslimischen Ländern Irak, Syrien, Jemen, Libyen, Somalia und Afghanistan droht der Zusammenbruch.

Afghanistans strategische Landschaft verändert sich, da regionale Mächte mit den Taliban Verbindungen schmieden. 16 Jahre nach der US-geführten Intervention wird der Einfluss ausländischer Player wieder stärker, das Great Game des 19. Jahrhunderts wiederholt sich. Misstrauen und Verdächtigungen bleiben das größte Hindernis für die Stabilität in dieser krisengeschüttelten Region, die das Potenzial hat, weitere Territorien zu destabilisieren.