Der Waschsalon des kleinen Glücks - Simona Morani - E-Book

Der Waschsalon des kleinen Glücks E-Book

Simona Morani

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Beschreibung

Kaffeklatsch im Waschsalon

Rina, 62-jährige Witwe und Besitzerin eines Waschsalons, erlebt einen zweiten Frühling, als sie sich mit einem attraktiven Kunden namens Donato anfreundet. Dieser ist im Alter ihres Sohnes, was in ihrem Heimatstädtchen sofort zum Skandal wird. Aber Rina lässt sich in ihrer Schwärmerei nicht aufhalten und fühlt sich nach jeder Begegnung mit Donato verwandelt und verjüngt. Bis ihre Freundinnen einen Plan schmieden, um Rina wieder zur Vernunft zu bringen ... Ein humorvoller, bezaubernder, aber auch nachdenklicher Roman über die Macht der Gefühle, das Älterwerden und verpasste Chancen - mit liebenswerter Situationskomik und charmanter Italien-Atmosphäre.

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Seitenzahl: 173

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Simona Morani

Der Waschsalon des kleinen Glücks

Roman

Aus dem Italienischen von Anja Nattefort

C. Bertelsmann

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel Cuore delicato lavare a mano bei Giunti Editore S.p.A., Firenze, Milano.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Dieser Roman ist reine Fiktion.Etwaige Ähnlichkeiten mit realen Personen und Gegebenheiten wären rein zufällig.

Das Zitat stammt mit freundlicher Genehmigung aus:Irène Némirovsky, Jesabel. Roman, S. 52. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. © 2006 by Albrecht Knaus Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.

1. Auflage

Copyright © 2017 by Giunti Editore S.p.A., Firenze – Milano

www.giunti.it

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by C. Bertelsmann, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: www.bürosüd.de

ISBN 978-3-641-22918-4V002

www.cbertelsmann.de

Stets bleibt auf dem Grund des Herzens die Sehnsucht nach einer Stunde, einem Sommer, einem kurzen Augenblick zurück, in dem man wohl seine Blüte erreicht.

Irène Némirovsky, Jesabel

Prolog

Rina fand sich mit ihren zweiundsechzig Jahren weder schön noch hässlich. Sie verschwendete nicht viel Zeit damit, sich mit ihren Kundinnen zu vergleichen oder zu beobachten, welche Spuren die Jahre auf ihrem Körper hinterlassen hatten. Nicht einmal, wenn ihre Schwester Ada oder Maria, ihre Friseurin, erbarmungslos über Frauen aus der Nachbarschaft herzogen und lästerten, dass der Rock einer Passantin zu eng oder zu kurz sei und sowieso viel zu sexy für eine Mutter.

Hättest du dich früher so auf die Straße getraut? Nein, nicht einmal als junges Mädchen wäre sie in so grellen Farben vor die Tür gegangen, aber damit hatte sich dieser Gedanke auch schon wieder erledigt, Rina betrachtete das nicht als ihre Angelegenheit.

Sicher, wenn sie sich etwas mehr um ihr Äußeres gekümmert hätte, sich von der aktuellen Mode oder von irgendwelchen TV-Sternchen der Serien inspirieren ließe, die sie niemals versäumte, hätte sie durchaus zehn Jahre jünger aussehen können.

Zu ihren Gunsten spielten weiche Gesichtszüge, eine kleine, glänzende Nase, haselnussbraune Kulleraugen und kurze Haare von einem Aschblond, das mit dem silbrigen Schimmer an ihren Schläfen harmonisierte.

Ein Ballenzeh zwang sie, flaches und breit geschnittenes Schuhwerk zu tragen, sodass sie auch bei seltenen mondänen Anlässen nie über einen Meter dreiundsechzig hinauskam. Für Kosmetik hätte sie keinen Cent ausgegeben, und dass ihr Badezimmerschränkchen von allen möglichen Cremes überquoll, lag einzig daran, dass ihre Freundin Giovanna, die im Stockwerk über ihr wohnte, regelmäßig Gratisproben aus ihrem Naturkosmetikladen mitbrachte. Die einzige Extravaganz, die Rina sich ab und zu gönnte, war ein Hauch roter Lippenstift. Sie verpasste zwar an keinem Abend in der Woche ihre geliebten Fernsehserien – egal, ob Historienfilm, Romanze oder Krimi –, aber das alles betrachtete sie als harmlosen Zeitvertreib, der ganz bestimmt nicht den Zweck erfüllte, ihren Alltag mit romantischem Gesäusel und absurden Schwärmereien aufzuwerten. Oh nein, sie hatte schon als junges Mädchen kapiert, dass jegliche Wallung von Leidenschaft eine Plage des Lebens war, die man verjagen musste wie Mücken an einem schwülen Abend im August. Denn in direktem Verhältnis zur Leidenschaft wuchsen auch Kummer, Verzicht und Enttäuschungen, und das war nicht nur so eine fixe Idee von ihr, sondern eine bewiesene und unleugbare Tatsache wie die Existenz von Gut und Böse, von Schatten und Licht.

Nur zur Klarheit: Sie war kein Trauerkloß wie Ada. Im Gegenteil, sie konnte sich an den kleinsten Dingen erfreuen. Sie liebte es, sich morgens am Fenster ihren Kaffee schmecken zu lassen, zuzusehen, wie die Sonne zwischen den Dächern von Modena hervorkroch, liebte es, über den Markt im Parco Novi Sad zu schlendern, neue Rezepte herauszusuchen und ihrem Sohn Samuele etwas Leckeres zu kochen oder an der frischen Luft vom Parco Ducale bis zur Piazza Grande spazieren zu gehen. Aber ganz oben auf ihrer Liste, noch vor allem anderen, hatte ihr Leben lang nur eins gestanden: ihre kleine Wäscherei.

Als junge Frau hatte sie hart dafür kämpfen müssen, und auch wenn es letztlich nicht viel mehr als ein winziger Laden war, in dem sie seit vielen Jahren ihre meiste Zeit verbrachte, bedeutete er für sie doch immer auch ein Symbol der Freiheit und der Emanzipation von ihrem Mann.

Als Osvaldo endlich aufgehört hatte, seine Nase in ihre Angelegenheiten zu stecken – nicht, weil er endlich einsichtig geworden wäre, sondern weil er gestorben war –, hatte sie einen Moment lang überlegt, ob sie aufhören oder weitermachen sollte, und ihre Familie dafür zur Beratung zusammengetrommelt. Ada schnaubte zunächst übertrieben laut in ihr Taschentuch, dann gab sie zweierlei zu bedenken: Erstens, dass Rina nicht mehr die Jüngste sei und in Riesenschritten auf die Rente zugaloppiere; und zweitens, dass das Leben ihnen ja eh nichts mehr zu bieten habe außer der geduldigen Erwartung der jenseitigen Wiedervereinigung mit ihren Liebsten. Samuele hatte unverzüglich seine Absicht bekundet, demnächst sein abgebrochenes Studium wiederaufzunehmen, und dass ihm sofort übel werde bei der Vorstellung, die Wäscherei zu übernehmen, in der er seit seiner Geburt fast zu Hause war. Darum solle Rina sie lieber gleich verkaufen, wie sie es auch mit Osvaldos Druckerei gemacht hatten.

Nachdem sie aufmerksam verfolgt hatte, was die beiden zum Thema zu sagen hatten, beschloss Rina, auf keinen von ihnen zu hören, sondern das zu tun, was sie sich ab und zu schon mit Giovanna zurechtgesponnen hatte, eine dieser Tagträumereien: die Reinigung in einen modernen Self-Service-Waschsalon zu verwandeln, mit schicken bunten Wäschekörben, gepolsterten Sitzbänken, einem Getränkeautomaten und Illustrierten zur Unterhaltung für all jene Kunden, die vor Ort auf ihre Wäsche warten wollten. Und im Hinterraum eine Bügelecke, wo Rina kleine Schneiderarbeiten erledigen konnte.

Und so geschah es. Als der Laden nach monatelanger Renovierung wiedereröffnet wurde, war das für Rina der Beginn eines neuen Lebensabschnitts und die Erfüllung eines weiteren Traums.

Ein neuer Kunde

Das Jahr war noch jung, es war noch nicht lange her, dass Rina die Weihnachtsdekoration entfernt hatte. Vom letzten Schneefall waren nur schmutzige Matschhaufen an den Bordsteinen und Rabatten geblieben. Noch ganz verschlafen stürzte Rina ihren Kaffee hinunter, bevor sie mit strubbligem Haar und in rosa Pantoffeln in den Laden eilte. Sie war spät dran mit den Tischdecken und Servietten für die Trattoria um die Ecke, die eine der Kellnerinnen vor halb zehn abholen wollte.

Rina schaltete das kleine Radio auf der Konsole ein und suchte den Sender, der rund um die Uhr klassische Musik spielte. Sie kannte sich nicht groß aus, aber beim Bügeln konnte sie dazu wunderbar mit offenen Augen träumen. Wenn das Bügeleisen seine dampfenden Bahnen zog und sie sich ganz darauf konzentrierte, Falten zu vermeiden, begannen ihre Gedanken zu schweifen.

Sie machte sich Sorgen um Samuele. Entgegen seiner erklärten Absicht hatte er nicht wieder angefangen zu studieren, und die Abstände zwischen den Bewerbungsgesprächen wurden auch immer größer; anscheinend hatte er vor lauter Absagen jeden Mut verloren, überhaupt noch weiterzusuchen. Er hing stundenlang am Computer oder chattete mit Freunden und früheren Kollegen, um eventuelle Jobmöglichkeiten auszutüfteln, aus denen meist nur flüchtige Schnapsideen hervorgingen, und später war er dann so niedergeschlagen und erledigt, dass er sich nur noch aufs Sofa fallen ließ oder aufs Essen stürzte. Der letzte Plan dieser Art hatte vorgesehen, in der Bahnhofsgegend eine Annahmestelle für Fußballwetten zu eröffnen, allerdings hatten ihn das fehlende Startkapital und der bürokratische Aufwand dann bald abgeschreckt.

Rina hörte die Tür zuschlagen und Schritte im Waschsalon.

»Bin gleich da!«

Sie verschnürte die Tischdecken und Servietten eilig zu einem Paket. Als sie aus der Bügelecke trat, stand dort ein junger Mann, den sie noch nie gesehen hatte. Er trug einen langen Mantel über einem eleganten Anzug und schaute sich neugierig um. Er war groß und stattlich, und seine Präsenz erfüllte den ganzen Raum, der nicht besonders groß, aber eben auch keine Besenkammer war, mit der Aura einer Berühmtheit. Ohne ersichtlichen Grund fühlte Rina sich gleich ein bisschen eingeschüchtert. Das Einzige, was nicht zu dem Business-Outfit des Mannes passte, war die schwarze Sporttasche über seiner Schulter, die Rina sofort an die miefenden Trainingsanzüge und T-Shirts voller Grasflecken und Matsch erinnerte, die Samuele immer vom Fußball mit nach Hause brachte.

»Guten Tag!«, begrüßte sie ihn und schob sich schnell an ihm vorbei, um den schweren Packen Tischdecken auf dem Ladentresen loszuwerden.

»Was für ein angenehmer Duft …«, sagte er mit einem höflichen Lächeln. Rina fühlte sich überrumpelt und strich sich instinktiv über den Hals. Bevor sie in den Laden hinuntergegangen war, hatte sie eine neue Feuchtigkeitscreme mit Ginkgo ausprobiert, deren Geruch sie aber alles andere als überzeugt hatte.

»Seit meiner Zeit an der Uni war ich nicht mehr in einem Waschsalon«, erklärte er. »Ich hatte diesen angenehmen Waschmittelgeruch schon ganz vergessen.«

»Ach so!« Rina lachte über sich selbst und nickte nervös.

»Ich hätte ein paar Hemden zu waschen und zu bügeln.«

»Gern, zeigen Sie mal her«, und sie forderte ihn mit einer Geste auf, sie vor ihr auf dem Tresen auszubreiten.

Während er mit gesenktem Kopf in seiner Tasche wühlte und die Wäschestücke hervorzog, hatte Rina Gelegenheit, ihn eingehend aus der Nähe zu betrachten: Der vornehme Anzug passte nicht zu seinem Haar, das ihm ungekämmt in die Stirn fiel, über einem Gesicht mit hohen Wangenknochen, lebendigen und wachen Augen, einer langen und schmalen Nase, die ihm etwas Würdevolles gab, und einem fast kindlich lächelnden Mund. Rina tat sich schwer, sein genaues Alter zu schätzen. Fünfunddreißig? Höchstens achtunddreißig, mehr nicht.

»Wann sind die Sachen denn fertig? Kann ich sie heute Abend wieder abholen?«, fragte er.

Rina schüttelte entschieden den Kopf.

»Nein, heute Abend ist unmöglich. Bis Donnerstag schaffe ich es.«

»Donnerstag erst?«, wiederholte der junge Mann. Er drehte sich um, blickte aus dem Schaufenster und kaute bestürzt auf seiner Unterlippe herum. »Können Sie nicht mal eine Ausnahme machen? Ich stecke noch mitten im Umzug und weiß vor lauter Arbeit gar nicht, wo mir der Kopf steht.«

»Das verstehe ich ja, aber …«

»Im Büro habe ich ein Meeting nach dem anderen, und wie Sie sicher wissen, ist die äußere Erscheinung sehr wichtig. Ich kann auf keinen Fall mit verschwitzten Hemden herumlaufen, als Neuling schon gar nicht, wenn Sie mir also irgendwie entgegenkommen könnten …«

»Frühestens morgen Abend, aber das ist dann wirklich eine Ausnahme. Normalerweise brauche ich zwei Tage.«

»Ehrlich? Das ist wirklich sehr nett von Ihnen!«, seine Augen strahlten vor Dankbarkeit. »Im Haushalt habe ich alles im Griff, wissen Sie. Seit Jahren mache ich das alles allein, ich koche, putze, erledige Reparaturen. Auch um die Wäsche kümmere ich mich eigentlich selbst. Aber die Hemden müssen perfekt aussehen, und ich gebe zu, dass sie bei mir einfach nicht so schön werden. Außerdem habe ich keine freie Sekunde zum Bügeln, und wenn ich abends aus dem Büro komme, fehlt mir dann auch die Energie.«

Rina war gerührt. Der junge Mann lebte offensichtlich allein und hatte weder eine Frau noch eine Mutter an der Seite, die ihn im Alltag hätten unterstützen können.

»Und als ich gestern in meinem Büro saß und einen amerikanischen Kaffee trank … Wissen Sie, nach meinem Abschluss in BWL hier in Modena habe ich in den Staaten meinen Master gemacht und die schlechte Angewohnheit, Filterkaffee zu trinken, ist mir von dort geblieben … Jedenfalls stand ich gestern an meinem Fenster, schaute auf die Straße und – zack! – sprang mir dieses schöne bunte Schaufenster ins Auge. Praktisch, oder? Mehr Glück kann man doch gar nicht haben!«

Angetan von der unkomplizierten Art des jungen Mannes musste Rina wieder lächeln. Er hatte eine angenehme, klare Stimme und sprach sehr deutlich und ohne Akzent.

Sie begann den Abholschein auszufüllen.

»Ist er neu?«, unterbrach er sie plötzlich. »Ich meine den Waschsalon. Er sieht noch so neu aus.«

»Ach was!«, lachte Rina. »Ich habe schon mein ganzes Leben hier verbracht.« Sie klemmte sich eine kurze Haarsträhne hinters Ohr. Wie viele Jahre eigentlich? Es war besser, gar nicht nachzurechnen. »Aber wir haben erst vor Kurzem renoviert, Samuele und ich.« Und ohne groß nachzudenken, beeilte sie sich hinterherzuschieben, dass Samuele ihr Sohn war.

»Oh, gratuliere, man sieht, dass hier frisch gestrichen wurde. Dieses Himmelblau passt fantastisch. Und erst die Seifenblasen …« Als er auf die bunt bemalte Wand zeigte, lief Rina rot an.

»Die habe ich selbst gemacht, mit Schwammtechnik. Aber mein Sohn findet, es sieht aus wie ein Himmel mit Wolken …«

Sein Gelächter erfüllte den ganzen Raum. »Was denn für ein Himmel? Da das hier ein Waschsalon ist, dürfte doch klar sein, dass es sich um Wasser mit Seifenblasen handelt.«

»Ja, aber er mag nicht, dass die Farbtupfer so verschwommen sind … so verwischt … Na ja, das war nur ein Versuch, ich kann nicht so gut malen …«, wiederholte sie die Kritik ihres Sohnes.

Der junge Mann schüttelte energisch den Kopf. »Da bin ich völlig anderer Meinung. Sie sind verschwommen, weil der Stil impressionistisch angehaucht ist. Mir gefallen sie sogar sehr. Wirklich, Kompliment!« Und seine Augen blickten sie so eindringlich an, dass sie nur verzaubert zurückstarren konnte. Es mussten einige Sekunden vergangen sein, denn sie kam erst wieder zu sich, als die Stimme des Mannes rief: »Meine Güte, schon so spät! Ich plaudere hier, dabei habe ich in genau eineinhalb Minuten ein Meeting. Was schulde ich Ihnen?«

»Sie können bezahlen, wenn Sie die Hemden wieder abholen. Übrigens …«, sie räusperte sich, und nach einer kurzen Unschlüssigkeit nahm sie den Bleistift und schrieb eine Notiz in ihr Auftragsbuch. Sie merkte, dass ihre Hand leicht zitterte. »Wenn es so dringend ist … Vielleicht schaffe ich es ja doch bis heute Abend.«

»Wirklich? Meinen Sie das ernst?«

Rina nickte, zufrieden und zugleich verwirrt über ihre eigene Entscheidung. »Ich kann einen weniger eiligen Auftrag auf Donnerstag verschieben. Schauen Sie doch heute Abend oder morgen früh mal rein.«

»Das mache ich. Tausend Dank!«, antwortete er schon auf dem Weg nach draußen.

»Moment, Sie bekommen noch eine Quittung. Wie ist Ihr Name?« Rina stand mit erwartungsvoll in der Luft schwebendem Stift da.

»Manicardi.«

Sie war fast ein bisschen enttäuscht. Aus irgendeinem Grund hatte sie wohl erwartet, dass er Humphrey Bogart oder Dean Martin sagen würde, aber nicht so ein gewöhnliches Manicardi.

Nachdem der junge Mann das Geschäft beschwingt verlassen hatte, nahm Rina den Zerstäuber und gab den Pflanzen im Schaufenster etwas zu trinken. Als sie kurz aufblickte, sah sie den Mann auf der anderen Straßenseite mit langen Schritten an der Pförtnerloge vorbeisprinten, dem Pförtner zuwinken, in zwei athletischen Sprüngen die Eingangstreppe hinaufhechten und in der Drehtür des Unternehmens verschwinden: einem der berühmtesten Luxusautohäuser auf der ganzen Welt.

Kaum war der magnetische Zauber des jungen Mannes wieder verflogen, bereute Rina, dass sie so entgegenkommend gewesen war. Sie musste sich sehr beeilen, wenn sie die Hemden bis zum späten Nachmittag fertig haben wollte. Dabei war nicht einmal klar, ob er noch am Abend oder doch erst am nächsten Morgen vorbeischauen würde. Sie hätte ihm genauere Angaben machen müssen.

Eine Kellnerin der Trattoria kam die Tischdecken abholen, der Waschsalon begann sich zu bevölkern, und zwischen den Waschmaschinen und Trocknern herrschte geschäftiges Treiben. Rina kam immer wieder aus der Bügelecke nach vorne in den Laden, um Kunden zu helfen, Ratschläge zu erteilen, die Treuekarte oder die Bedienung der Maschinen zu erklären. Dazwischen knüpfte sie sich die Hemden des jungen Mannes vor. Sie waren maßgeschneidert und aus sehr hochwertigem Stoff, mit Monogramm auf der Brust. Rina entfernte die Schmutzränder an Kragen und Manschetten und wusch und trocknete und bügelte sie mit großer Sorgfalt. Der junge Mann kam gegen Abend, als Rina die fertigen Hemden gerade eingepackt hatte.

»Sie sind noch warm«, scherzte sie und übergab ihm das Paket mit einem gewissen Stolz. Das unangenehme Gefühl, viel zu entgegenkommend gewesen zu sein, löste sich augenblicklich in Luft auf, als sie wieder sein Strahlen sah.

»Weil es ein Eilauftrag war, muss ich Ihnen einen kleinen Aufpreis berechnen. Das macht dann achtzehn Euro siebzig.«

»Kein Problem.« Er überreichte ihr einen Zehn-Euro-Schein, einen Fünf-Euro-Schein und begann dann hektisch in seinem Portemonnaie und in den Taschen seines Jacketts und seiner Hose zu kramen.

»Im Auto habe ich noch Kleingeld. Ich verschwinde nur kurz zum Parkplatz, bin gleich wieder da.« Er drehte sich schon zur Tür.

»Ach was, lassen Sie nur«, hielt Rina ihn auf, ohne darüber nachzudenken. »Das stimmt schon so.« Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, lief sie rot an. Sie hatte es schon wieder getan. Sie hatte sich zu einer Gefälligkeit hinreißen lassen, die Fremden gegenüber eigentlich nicht ihre Art war. Sie spürte eine beginnende Migräne und rieb sich die Schläfen.

»Sie sind wirklich sehr nett. Wir können uns übrigens gerne duzen«, beschloss er selbstsicher und spontan, »ich werde ja in Zukunft öfter zu Ihnen kommen.« Er zwinkerte ihr zu und streckte ihr eine Hand entgegen. »Ich heiße Donato.«

Ein Lächeln entschlüpfte ihr. Das war doch mal ein Name, der perfekt zu ihm passte. Donato, »der Geschenkte«. Ein Name, den sie noch nicht sehr häufig gehört hatte. Obwohl er im Grunde völlig natürlich war: ein Geschenk von dort oben, um etwas Glanz in den grauen Alltag der Leute zu bringen.

Voller Bewunderung streckte auch sie ihre Hand aus. »Freut mich, Donato«, antwortete sie und gab sich seinem Händedruck entschlossen hin.

»Ich bin Rina.«

Tischgespräche

Am Sonntagmittag um halb eins klingelte es dreimal an der Tür.

»Das ist Tante Ada!«, erklärte Rina Samuele und Loredana, die bereits am Tisch Platz genommen hatten und getrüffelte Champignons aus einem Schälchen naschten. Eine überflüssige Information, denn nur Tante Ada hatte die Angewohnheit, so stürmisch zu klingeln, als sei sie gekommen, um den Untergang der Menschheit zu verkünden.

»Mit dieser Treppe bringt ihr mich noch ins Grab«, keuchte sie, noch an den Handlauf geklammert, zur Begrüßung.

»Komm schon, du bist doch keine alte Frau. Die paar Stufen bringen deinen Kreislauf wieder in Schwung.«

»Na … gegen die Prüfungen des Lebens können drei Treppen auch nicht viel ausrichten.« Sie streifte sich die schwarzen Stiefeletten auf der Fußmatte ab und streckte ihrer Schwester ein in Papier eingeschlagenes Paket entgegen.

»Hier, ich habe dir eine Kleinigkeit mitgebracht, um deine Erinnerungen aufzufrischen, das kann nie schaden«, sagte sie und zog genüsslich die Nase hoch. Schon Form und Beschaffenheit des Pakets ließen erahnen, dass es sich um einen Bilderrahmen handelte. Rina unterdrückte ein genervtes Schnauben.

»Noch so ein Stillleben?«, stichelte sie und stellte das Paket auf die Konsole, ohne es zu öffnen. Ada warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. »Gib her, ich pack es für dich aus.«

Nach Osvaldos Tod hatte Rina sich als Allererstes von den antiken Landkarten befreit, die er gesammelt und der ganzen Familie aufgedrängt hatte. Er brachte sie von Flohmärkten in der Umgebung mit nach Hause, und sie musste sie dann bügeln, damit sie gerahmt und an die Wand gehängt werden konnten. Während Rina sich meistens bemühte, Osvaldo mit keinem Wort zu erwähnen, schien es Ada ein besonderes Anliegen zu sein, die Erinnerung an ihre verstorbenen Ehemänner wachzuhalten und alte Fotos aus den Familienalben hervorzukramen.

»Sieh doch mal. Weißt du noch? Da waren wir auf dem Campingplatz von Piandelagotti, im Sommer 93«, sagte Ada vor dem von der Verpackung befreiten Bild. Rina seufzte. Wie hätte sie das vergessen können? Jahr für Jahr hatten sie über neue Reiseziele diskutiert, um dann doch wieder auf dem altbekannten Campingplatz in den Bergen zu landen, den ein Bekannter von ihnen führte. »Er macht uns einen Freundschaftspreis.« »Den müssen wir uns warmhalten.« »Frische Bergluft ist gesund.«

Mehr noch als eine Erinnerung an Osvaldo war für Rina jedes weitere Foto eine Botschaft ihrer Schwester, die lautete: »Jetzt, wo wir alleine sind, müssen wir gemeinsam trauern.« Diese Vorstellung schnürte ihr die Kehle zu. Auch weil Adas Mann Giuliano immerhin ein anständiger, rechtschaffener, treuer Ehemann gewesen war, was man von Osvaldo keinesfalls sagen konnte; und über sein unrühmliches Ende war Rina immer noch nicht ganz hinweg.

»Den Verlust einer Arbeit kann man auch als Trauerfall bezeichnen …«, fügte Samuele aus dem Wohnzimmer hinzu, der gemeinsam mit seiner Verlobten Loredana damit beschäftigt war, die Vorspeisen mit dem Handy zu fotografieren.

»Du hast recht, in der Welt geht es drunter und drüber«, klagte seine Tante. »Sogar die jungen Leute haben jede Hoffnung verloren.«

Sie setzten sich zusammen an den Tisch. Rina trug den Topf mit Cappelletti in brodo herein. »Na ja, nicht alle …«, widersprach sie und begann, die Teller zu füllen, »… es gibt auch Ausnahmen. Neulich kam ein Kunde in den Laden, der ungefähr in deinem Alter sein wird, Samu, und der hat gerade eine Anstellung bei Maserati bekommen. Er hat BWL studiert und dann einen Master in Amerika gemacht, der ist wohl sehr gut …«

Sie entkorkte eine Flasche Sangiovese, ihr war danach, sich einen guten Tropfen einzuschenken.

»Wieso, ist man jetzt schon ein Genie, nur weil man in Amerika studiert hat?« Samuele ging sofort in die Defensive.