Der Winterwanderer - Christine Lehmann - E-Book
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Der Winterwanderer E-Book

Christine Lehmann

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Beschreibung

Ein verschneites Schloss und eine Liebe, die keine Vergangenheit kennt. Entdecken Sie Christine Lehmanns „Der Winterwanderer“ jetzt als eBook bei dotbooks. Aufgeben kommt nicht in Frage: Sophie ist in einer langweiligen Ehe gefangen und muss sich mit lästigen Haushaltstätigkeiten plagen. Als sie den Auftrag erhält, in einem Schloss ein Wandgemälde anzufertigen, sieht sie ihre Chance, dem eintönigen Leben endlich zu entfliehen. Auf dem Weg dorthin sieht sie eine einsame Gestalt durch die verschneite Winterlandschaft wandern. Und so lernt sie Josef kennen – einen sehr wortkargen, aber unglaublich einfühlsamen und liebenswerten Mann. Doch ist ihr Herz schon bereit, sich einem neuen Mann zu öffnen? Als Sophie von seiner düsteren Vergangenheit erfährt, ist es zu spät: Sie kann nicht mehr ohne ihn leben. Werden ihre Gefühle stärker sein als das, was die Vernunft ihr sagt? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das Romantik-Highlight „Der Winterwanderer“ von Christine Lehmann wird alle Fans von Karen Swan und Sarah Morgan begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 482

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Über dieses Buch:

Aufgeben kommt nicht in Frage: Sophie ist in einer langweiligen Ehe gefangen und muss sich mit lästigen Haushaltstätigkeiten plagen. Als sie den Auftrag erhält, in einem Schloss ein Wandgemälde anzufertigen, sieht sie ihre Chance, dem eintönigen Leben endlich zu entfliehen. Auf dem Weg dorthin sieht sie eine einsame Gestalt durch die verschneite Winterlandschaft wandern. Und so lernt sie Josef kennen – einen sehr wortkargen, aber unglaublich einfühlsamen und liebenswerten Mann. Doch ist ihr Herz schon bereit, sich einem neuen Mann zu öffnen? Als Sophie von seiner düsteren Vergangenheit erfährt, ist es zu spät: Sie kann nicht mehr ohne ihn leben. Werden ihre Gefühle stärker sein als das, was die Vernunft ihr sagt?

Über die Autorin:

Christine Lehmann, geboren 1958 in Genf, wuchs in Stuttgart auf. Heute pendelt sie zwischen ihrer Heimatstadt und Wangen im Allgäu. Christine Lehmann ist Nachrichtenredakteurin beim SWR und schreibt seit vielen Jahren erfolgreich in den verschiedensten Genres – von Krimis und historischen Romanen über Jugendbücher bis zu romantischen Liebesgeschichten. Außerdem arbeitet Sie an verschiedenen Sachbüchern und Hörspielen.

Von Christine Lehmann erschienen bei dotbooks bereits die Romane »Die Inselträumerin«, »Die Rache-Engel«, »Die Liebesdiebin«, »Die Liebesträumerin«, »Die Strandträumerin« und »Das Rabenhaus« sowie der Hundekrimi »Eiskalte Fährte«.

Zwei ihrer Romane sind auch als Sammelband unter dem Titel »Die Rache-Engel & Die Liebesdiebin« erhältlich.

Unter Madeleine Harstall erscheinen bei dotbooks ihre Romane »Die Töchter der Heidevilla« und »Die Brückenbauerin«.

Mehr Informationen über Christine Lehmann finden sich auf ihrer Website: www.christine-lehmann.blogspot.de

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eBook-Neuausgabe Dezember 2017

Copyright © der Originalausgabe 2002 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz design unter Verwendung von thinkstock/iStock/AniDimi

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95520-895-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Christine Lehmann

Der Winterwanderer

Roman

dotbooks.

Für Andrea Berthel

Kapitel 1

Der Scheibenwischer knarrte. Schneeflocken schossen auf Sophie zu wie Mücken ins Licht. Die Autobahn war weiß geworden. Vorne schlingerte ein Lastwagen mit Anhänger, fing sich aber wieder. Das Schneegestöber hatte erst auf der Hochfläche der Schwäbischen Alb angefangen. Unheimlich rasch versank das Land unter einer weißen Decke.

Seit einer Stunde fuhr Sophie nur noch sechzig. In Stuttgart hatte der Tag ganz normal angefangen. Aber Dieter hatte sie gewarnt. »Fahr nicht. Der Wetterbericht sagt Schneechaos voraus. Ich möchte nicht, dass du auf der Autobahn dein Leben riskierst, nur um diesen Auftrag zu erfüllen. Das hast du doch nicht nötig.«

Aber Sophie war noch nicht lange genug im Geschäft, als dass sie es sich hätte leisten können, einen Vertrag nicht einzuhalten, nur weil es schneite. Laut Vertrag musste sie bis zum 5. Januar fertig sein. Hätte Dieter sich nicht so angestellt, als sie zwischen Weihnachten und Neujahr fahren wollte, dann wäre sie jetzt schon wieder zu Hause gewesen. Aber zwischen den Jahren pflegte Dieter seine Geschäftspartner und Freunde einzuladen. Jeden Tag waren Gäste da, und zu Silvester stieg eine Party. Wie hätte Dieter seinen Gästen erklären sollen, dass seine Frau nicht zu Hause war? Kriselte es etwa in ihrer Ehe?

Für Sophie war es der erste wichtige Auftrag in einem völlig fremden Haus außerhalb von Stuttgart. Den Fotos zufolge, die ihr eine gewisse Monika von Rohenfels geschickt hatte, handelte es sich um ein Schlösschen im schwäbischen Allgäu. Die Wand, um die es ging, befand sich in der Eingangshalle. Jeder, der das Schloss betrat, würde sehen, was Sophie auf diese Wand gemalt hatte. Eine bessere Werbung gab es nicht.

Auch wenn Dieter nicht einsah, dass sie für sich Werbung machen musste. Für einen seiner Kunden hatte sie um den Kamin herum eine Einfassung gemalt. Dessen Freundin hatte dann einen Karibikstrand mit Palmen im Bad ihrer Penthouse-Wohnung haben wollen. Sophie hatte sie überreden können, stattdessen eine romantische Landschaft nach Turner zu nehmen. Sie hatte zwei Monate im Sommer daran gemalt. Anfang Dezember kam dann der Anruf von Frau von Rohenfels.

»Rohenfels?«, sagte Dieter, als Sophie ihm davon erzählte. »Wie kommt der auf dich?« Es stellte sich heraus, dass Dieter einen Mathias von Rohenfels aus Studientagen in München kannte. »Seit fast zwanzig Jahren habe ich nichts mehr von ihm gehört.«

»Aber es ist eine Monika von Rohenfels, die mich angerufen hat«, gab Sophie zu bedenken.

»Das ist seine Frau.« Auf Dieters Gesicht mit dem Dreitagebart mischten sich Verblüffung, Wiedererkennensfreude und Skepsis, ja, fast sogar Ablehnung. Sophie hatte nicht herausbekommen, warum er eigentlich dagegen war, dass sie in Schloss Rohenfels malte. Vielleicht bildete sie es sich auch bloß ein. Seine Argumente waren allgemeiner Art. »Willst du wirklich eine solche Fronarbeit auf dich nehmen?«, hatte er sie gefragt. »Diese Leute ziehen dich doch über den Tisch. Was die dir zahlen, ist ein Witz. Das hast du doch wirklich nicht nötig.«

Nein, finanziell hatte sie das nicht nötig, seit sie mit Dieter verheiratet war und die Villa auf dem noblen Stuttgarter Killesberg bewohnte. Dieter war als Architekt ausgesprochen gut im Geschäft.

Als Sophie sich als Aushilfszeichnerin in seinem Architekturbüro in Dieter verliebte, befand sie sich auf dem Tiefpunkt ihres Selbstwertgefühls. Sie hatte Jahre gebraucht, um sich wieder aufzurappeln. Darum hatte sie diese Aufträge nötig.

Während sie auf der verschneiten Autobahn ihr Leben riskierte, als sie den schlingernden Lastwagen mit Anhänger überholte, für Sekunden völlig eingenebelt von Schneefahnen, riskierte sie es auch seit langem zum ersten Mal wieder, an die Katastrophe zu denken, die sich allmählich in ihr breit gemacht hatte. Sie kam heil aus dem Schneestaubnebel heraus und scherte vor dem Lastwagen auf die beinahe makellose Fläche der Autobahn ein. Im Schneetreiben verschwammen alle Grenzen. Der graue Himmel ging ins Gewirbel der Flocken über, die flache Landschaft versackte unter einer Decke, die keine Unterschiede machte zwischen Asphalt, Weiden, Gehöften, Bäumen und einsamen Waldstücken. Es war ein Nirgendwo, in dem Sophie sich befand, das stille turbulente Nirgendwo ihrer Seele.

Sie war gerade dreißig geworden. Um ihr Gesicht mit dem feinen hellen Teint kräuselte sich Haar von der Farbe gebrannten Tons, das ihr in einem langen schweren Zopf über den Rücken fiel. Unter den geraden Brauen blickten ein Paar lichte graue Augen abwartend in die Welt. Um ihre leicht geschwungenen Lippen lag ein ernster, gewissenhafter Zug. Wer sie lächeln sah, ahnte ihre Großherzigkeit und Wärme, aber dort, wo sie herkam, war das nicht sonderlich gefragt. Dieters Geschäftspartner und Freunde erlebten sie als leise Erscheinung von natürlicher Schönheit und als patente Managerin seines Haushalts. Die Ehefrauen bewunderten fachkundig das Organisationstalent, das hinter den fünfgängigen Menüs und perfekten Tischdekorationen steckte.

Wenn Dieter nach dem Essen die Drinks mischte und über seine Siege bei Wettbewerben für Großaufträge redete, räumte Sophie in der Küche die Spülmaschine ein und richtete die Snacks an. Dann kam manchmal eine Ehefrau dazu und erkundigte sich mit gewundener Indirektheit, warum Dieter und sie keine Kinder hatten. »Ich bin noch nicht so weit«, antwortete sie darauf. Aber an ihr lag es nicht. Es wäre an Dieter gewesen, mal zum Arzt zu gehen. Doch als sie das nach zwei Jahren Ehe angesprochen hatte, war er gemein geworden und hatte erwidert: »Wann schläfst du denn schon mit mir?« Sophie war so verletzt gewesen, dass ihr der Widerspruch im Hals stecken geblieben war. Wann war er denn je wirklich in Stimmung für die gemeinsamen Freuden? Für seine eigenen war er schon gelegentlich in Stimmung, aber nicht für ihre.

Dieter war fünfzehn Jahre älter als sie. Er hatte sie aufgefangen und ihr eine Perspektive geboten, als sie völlig desorientiert aus ihrem Studium in die Welt stolperte. Solange sie Kind war, hatten ihre Eltern, Onkels und Tanten sie als begabte Malerin gehätschelt. Es galt als ausgemacht, dass sie mal berühmt werden würde. Ein Volksschullehrer hatte als Erster ihre Begabung gefördert. Auch später bekam sie im Kunstunterricht immer nur Einser. Fast hilflos standen die Lehrer vor ihrer Fähigkeit, mit dem Bleistift ein Foto so zu kopieren, dass die Zeichnung wie das Foto selbst aussah. Aber schon damals hatte sie leichtes Unbehagen empfunden. Ihr fehlte etwas. Fotorealismus reichte nicht. Ihr fehlten die Ideen. Doch niemand schien das zu merken. Die Bewunderung überschlug sich, als sie anfing in der Stuttgarter Staatsgalerie die Bilder alter Meister in Öl zu kopieren. Sie war präzise und perfektionistisch. Doch als sie sich nach dem Abitur an der Kunstakademie bewarb, bekam sie eine Absage. Damit hatte niemand gerechnet. Für Sophie war es ein Schock. Freilich hätte sie sich an anderen Akademien bewerben können, aber ihr war schlagartig klar geworden, dass sie keine Künstlerin war. Sie verspürte keinen Drang, zu zeichnen oder zu malen. Sie besaß keine innere Bilderwelt, die sie auf der Leinwand verwirklichen musste. Sie musste nicht malen. Sie kopierte nur. Und nicht einmal das musste sein. Sie konnte genauso akribisch einen Tisch dekorieren oder die Farbtöne von Vorhängen, Teppichen und Servietten aufeinander abstimmen.

Weil es aber nicht so leicht war, mit Anfang zwanzig plötzlich das gesamte Selbstbild umzuwerfen, schrieb sie sich erst einmal in Kunstgeschichte ein. Ihre Eltern führten ein kleines Hotel in einem Stuttgarter Vorort und glaubten ihr, dass sie damit Lehrerin werden konnte. Doch in der Dunkelheit des Hörsaals gestand Sophie sich ein, dass sie das alles nicht wirklich interessierte. Ein Professor haspelte sich am Pult durch einen Aufsatz über den Klassizismus. Der Hilfswissenschaftler verwechselte die Dias. Amor und Psyche des Bildhauers Canova erschienen falsch herum. Die Folterkeller von Piranesi waren so dunkel, dass man gar nichts erkannte. Oder sie standen auf Exkursionen fröstelnd und fußmüde in einer Krypta, Sophie immer ganz hinten, damit sie nicht das »Bitte datieren Sie!« des Professors ereilte. Sporen an den dorischen Säulenbasen gab es nur bis 1250. Kunstgeschichte war nichts weiter als datieren und das Caravaggeske Hell-Dunkel erkennen.

Erst als Sophie nicht mehr umhin konnte, nach einem Thema für eine Magisterarbeit zu suchen, gestand sie sich und ihren Eltern ein, dass sie gescheitert war. Ihre Eltern schlugen ihr vor, die Hotelfachschule zu besuchen. Dann könnte sie eines Tages das Hotel übernehmen. Aber das kam Sophie wie Selbstmord auf Raten vor. Seit ihrer Kindheit hatte sie sich nach einem normalen Familienleben gesehnt, nach einem kleinen Haus, in dem man nicht ständig auf Fremde stieß, nach einer kleinen Küche mit kleinen Töpfen. Einer der Architekturstudenten, der gelegentlich Kunstgeschichte hörte, sagte ihr dann, dass der bekannte Architekt Dieter Benrath Aushilfszeichner und Modellbauer suche. Für Sophie war das die Flucht aus einer Zange zweier Horroralternativen gewesen. Bei der stundenlangen Arbeit am Zeichenbrett oder beim millimetergenauen Kleben von Modellen konnte sie sich völlig vergessen. Dieter führte sie zum Essen aus und erzählte ihr von seinen kreativen Krisen. Sophie konnte ihm bei einem Museumsprojekt zu einer anderen Lösung raten. So kam es, dass er sich in sie verliebte, weil sie ihn inspirierte, und sie sich in ihn, weil sie für ihn wichtig war und er die Häuser baute, in denen sie sich seit ihrer Kindheit zu leben sehnte.

Sie kauften sich eine Villa auf dem Killesberg. Sophie bekam zwei Zimmer für sich allein und durfte alle anderen Zimmer einrichten. Sie entdeckte ihr Talent für Innenarchitektur. Das erste Jahr ihrer Ehe verging wie ein Traum, den Sophie nie geträumt hatte. Sie war die Sorge um ihre Zukunft los. Die Ehe war eine so einfache Lösung, die Lösung überhaupt. Nur fehlten die Kinder.

Dieter war viel außer Haus und arbeitete, wenn er eine Ausschreibung gewinnen wollte, bis spät in die Nacht. Manchmal hatte Sophie das Empfinden, dass er sich zu Hause weniger sicher fühlte, weniger als Sieger, als in seinem Büro. Daheim hatte er seine Krisen. Da war er depressiv und ungeduldig, da brauchte er Sophie, jemanden, der sich um ihn bemühte, ihn stimulierte, bis er sich wieder als der King fühlte, brauchte eine Frau, die sich dann von ihm erobern, eigentlich überwältigen ließ. Es war eine gewisse undurchschaubare Sprunghaftigkeit in Dieters Wesen, die Sophie allmählich zu schaffen machte. Aus seinem Büro hatte er sie vertrieben. Sie hatte schnell gemerkt, dass es ihn störte, wenn sie zusammen mit seinen Mitarbeitern die Modelle und Grafiken für die Präsentationen fertig stellte. Der Ton, den sie in den Diskussionen mit ihm anschlug, war ihm zu vertraulich. Sophie glaubte, dass er sich dann von ihr als Meisterarchitekt zu sehr in Frage gestellt fühlte.

Es ist wie Eifersucht, dachte Sophie im hellen Schneetreiben auf der Autobahn. Als Architekt hatte Dieter bei Null angefangen und sich in fünfzehn Jahren zu einem der international Erfolgreichsten hochgearbeitet. Es wurde zwar nicht alles gebaut, was er entwarf, aber er gewann jeden Wettbewerb. Der Bau selber interessierte Dieter auch nicht sonderlich. Er war nicht nur außerordentlich kreativ, er besaß außerdem ein Gespür für Zeitgeschmack und einen Sinn fürs Bezahlbare. Dieter hatte nicht bloß Ideen, er verstand es auch zu verhandeln und Politiker, Gemeinderäte und Gemeinden für sich zu gewinnen.

»Man muss nicht nur sein Handwerk verstehen«, pflegte er zu sagen, »man muss vor allem mit jedem reden und Kompromisse machen. Und für den freien Wettbewerb fehlt dir der Biss, Sophie. Du bist zu idealistisch und nicht hart genug. Das gefällt mir so an dir.«

Sie hatte eine Weile gebraucht, bis sie merkte, dass er von ihr nicht Kreativität erwartete, sondern ihre stille, immer freundliche Anwesenheit und perfekte Tischdekorationen und Menüs. Dieter wollte keine Konkurrentin haben, weder in seinem Büro noch in seinem eigenen Haus.

Im dritten Winter brach ihr Selbstwertgefühl erneut zusammen. Über dem Stadtkessel wurde es nicht hell und in ihr auch nicht mehr. Sie wusste nicht, wie sie den Tag überstehen sollte. Es ging nicht vorwärts und nicht zurück. Sie hätte in die Innenstadt fahren müssen, um für die Ehefrau eines Geschäftspartners von Dieter eine Vase als Geburtstagsgeschenk zu kaufen, aber nicht einmal das war ihr möglich. Wie sollte sie Dieter erklären, dass sie außer Stande war, sich in ihr Auto zu setzen und loszufahren, wie diese innere Totenstarre begründen, wie all das ausdrücken, das ihre Seele einbetonierte? Warum konnte sie nicht glücklich sein?

Auf der Suche nach dem Glauben an sich selbst, den sie in ihrer Jugend einmal besessen hatte, stieg sie auf den Dachboden und stieß auf den Schuhkarton mit den alten Malpinseln, Spachteln, der verkrusteten Palette und den verknautschten alten Farbtuben. Sie schraubte die Tuben auf und sog den Geruch der Ölfarben ein. Anders als die modernen Acrylfarben hatte jede Ölfarbe ihren eigenen Geruch und vermalte sich auch anders. Coelinblau war kompakt, Krapplack suppte ölig.

Sophie nahm die Farben und trug sie in ihr Zimmer. Dann rannte sie in die Küche hinunter, sammelte hastig ein, was ihr in die Finger kam – Zwiebeln, eine Paprika, ein Glas, ein Messer, ein Geschirrtuch –, und baute dies alles auf ihrem Schreibtisch, den sie nie brauchte, zu einem Stillleben auf. Sie malte drei Tage, ohne Dieter etwas zu sagen. Dafür, dass sie aus der Übung war, gelang ihr das kleine Bild ausgesprochen gut. Ihr Geburtstagsgeschenk sorgte für Aufsehen.

Das ganze Jahr über verschenkte sie zu Geburtstagen und Einladungen Stillleben in flämischem und niederländischem Stil. Dieter und sie wurden zu begehrten Gästen in finanzkräftigen Kreisen. Womöglich bekam Dieter so manchen Auftrag nur, weil die Ehefrau des Kunden sich über ein Küchenbild freute, wie Sophie ihre Arrangements nannte. Parmesan, Wein und Tomaten für die Italienfans, Lychees, Pflaumenwein und Kirschblüte für die Japanliebhaber, Brot und Salz für eine Hauseinweihungsparty – so realistisch und kristallscharf, dass man meinte, man müsse das Salz mit angefeuchtetem Finger vom Brett stippen können. Es kam der Moment, da ein Berliner Architekt bei Sophie ein großes Stillleben mit Parmaschinken und Weintrauben bestellte. Ihr erster Auftrag.

Statt für einen Spottlohn für andere zu arbeiten, solle sie, fand Dieter, lieber die Küche renovieren. Das ganze Haus habe einen Anstrich nötig. Sophie stürzte sich folgsam in die Renovierung ihres Hauses. Als die Küche dann in neuem Glanz erstrahlte, kamen ihr die Wände nackt vor. Tagelang kletterte sie von einer Arbeitsfläche zur nächsten und malte rundherum unter die Decke einen Fries, der aussah wie ein Stuckrelief. Die Schlagschatten der Schnörkel hatte sie exakt nach dem Lichteinfall der beiden Küchenfenster ausgerichtet. Wer bei Tag in der Tür stand, konnte nicht erkennen, dass der Stuck nicht echt war. Aber bei Nacht, wenn die Deckenlampe an war, zerfiel die Illusion. Anschließend malte Sophie im Bad Ovarienfriese und Kacheln, bei denen sie die künstliche Beleuchtung mit einrechnete. Dann plante sie für die Decke des Schlafzimmers eine Kuppel mit Durchbruch in den Nachthimmel. Vom Bett aus sah man eine stark perspektivisch verkürzte Balustrade, über die sich Putten lehnten, darüber die Kuppel mit dem Loch in den Himmel. Sophie suchte vor allem die innere Stille, die einkehrte, wenn sie stunden- und tagelang pinselte, das Ende des Denkens und aller Fragen, die sie sich über ihre Zukunft und die Person stellte, die sie war oder hätte sein können. Während sie die gigantische Aufgabe des Schlafzimmerhimmels bewältigte, lernte sie auch ihre Acrylfarben bis in jede noch so versteckte Charaktereigenschaft kennen und schätzen.

Jetzt kam ihr das abgebrochene Kunstgeschichtsstudium zugute. Der verhasste italienische Barock, die Renaissance, der niederländische und flämische Realismus, sogar das Seminar über Ornamente produzierten in ihr jede Menge Bilder und Motive für Wände, Nischen, Wandfriese oder Kamineinfassungen. Auch an den kunsthistorischen Begriff für das, was sie tat, erinnerte sie sich: Trompe-l’œil, Augentäuschung.

Es war die Kunst barocker Meister, Gipssäulen wie Marmor schimmern zu lassen, Fenster mit falschem Gesims aufzupeppen oder Kuppeln und Räume optisch zu vergrößern.

Und nun war sie ins Allgäu unterwegs, um in der Eingangshalle einer gewissen Familie von Rohenfels eine Wand zu verschönern, in der es früher einmal einen Kamin gegeben hatte. Und da Monika von Rohenfels am Dreikönigstag Geburtstag hatte und zu ihrem Fest offenbar einen Trompe-l’œil enthüllen wollte, musste Sophie es in viereinhalb Tagen schaffen. In ihrer Nervosität hätte sie sich gern vierzehn Tage Zeit gegeben, aber plötzlich hatte Dieter sich quer gestellt. Jetzt, da er über Weihnachten und Neujahr sein Büro dichtgemacht und endlich mal Zeit hatte, mit ihr zusammen zu sein und Freunde einzuladen, wollte sie weg?

Sophie hatte sich schon lange nicht mehr so lebendig und stark gefühlt wie jetzt, da sie auf der Autobahn im Schneesturm ihr Leben riskierte. Im Kofferraum klapperten die Gläser, Farbflaschen, Pinsel und Werkzeuge. Der violette Opel Corsa kroch relativ spurtreu die unberührte Zufahrt auf die Autobahn Richtung Lindau hinüber und nahm es nach Leutkirch tapfer mit den Landstraßen auf, die sich unter einer geschlossenen Schneedecke durchs Allgäuer Land mit seinen eiszeitlichen Moränenhügeln, offenen Weideflächen, verträumten Dörfern, kleinen Wäldern und stehenden Gewässern schlängelten. Sophie kam es vor, als führe sie durch eine verlassene Sommerresidenz, in der alle Möbel mit weißen Laken bedeckt waren.

Irgendwo hinter Leutkirch hielt Sophie an, um den Autoatlas und die Wegbeschreibung zu studieren, die Monika von Rohenfels ihr geschickt hatte. Diepholdshofen, Arnach, Kißlegg musste sie ansteuern. Es war eine Gegend, in der sich auf jedem Hügel, auch Egg genannt, vier oder fünf Bauernhöfe drängten. Von Kißlegg aus ging es Richtung Wolfegg. Die Abzweigung nach Höllenbach überraschte Sophie inmitten eines Wäldchens. Von den Ästen der überladenen Fichten brachen große Placken Schnee auf die gerade mal ein Auto breite Straße. Höllenbach bestand nur aus ein paar Gutshöfen. »In Edenweiler am Kruzifix rechts«, erinnerte sie sich in Monika von Rohenfels’ Brief gelesen zu haben, als plötzlich in der nächsten Häuseransammlung um einen Gasthof die Spitze eines gusseisernen überdachten Kreuzes aus dem Schnee ragte, das aussah wie vom Friedhof hierher verpflanzt. Die von Scheunen und Ställen umgebenen Bauernhäuser hörten nach zwanzig Metern auf.

»Hinter der Brücke an der Weggabelung links halten.«

Sophie entdeckte keine Weggabelung. Sie sah die Mäuerchen der Bachbrücke, auf denen sich Schnee türmte, und eine weiße Fläche, die im Schneegestöber und im Zwielicht des Nachmittags kein Ende zu haben schien. Die rotweißen Stangen, die aus dem Schnee ragten, zeigten nur eine einzige Straße an. Vorsichtig gab sie Gas. Ein dunkles Wäldchen war in der Ferne durch den Schneeschleier zu erkennen. Die Flocken waren inzwischen kleiner geworden. Rechts näherte sich ein Koppelzaun dem Weg, den Sophie entlangkroch. Aber ein Schlösschen auf einer Kuppe, auf das sie hätte zuhalten können, zeigte sich nicht.

Inmitten all dieser Konturlosigkeiten entdeckte sie vielleicht hundert Meter vor sich eine Gestalt, die gegen den schrägen Flockenfall anmarschierte. Daneben bewegte sich ein kleinerer dunkler Fleck, ein Hund. Ob sie auf sie zukamen oder von ihr weggingen, konnte sie nicht ausmachen. Aber wenn sie das Fenster runterkurbelte und hinaus auf die Straße blickte, sah sie Fußstapfen, deren Ränder schnell vom fallenden Schnee verwischt wurden, und daneben die Schlangenlinien von Hundepfoten.

Das war vermutlich ein Einheimischer, den sie nach dem Weg fragen konnte. Was für eine glückliche Fügung! Sie gab gefühlvoll Gas. Der Corsa rutschte zwar zunächst ein bisschen, fand dann aber schnell die Spur.

Der Mann schritt, die Hände tief in den Taschen einer dunkelgrauen filzigen Jacke vergraben, gegen den flockenreichen Wind an. Er trug kniehohe schwarze Stiefel, die Sophie als Schäferstiefel beschrieben hätte. Auf seinen breiten Schultern und der schwarzen Schirmmütze blieb der Schnee haften. Halb hinter ihm trottete ein hochbeiniges wolfähnliches Tier mit graubraunem Fell, das so dicht war, dass die Flocken, die in den Rückenhaaren hängen blieben, nicht schmolzen.

Eigentlich hätten beide längst ihr Auto hören müssen. Aber weder Hund noch Mann schauten sich um. Sophie kurbelte erneut ihr Seitenfenster runter. Schneeflocken wirbelten herein.

Jetzt blickte wenigstens der Hund zurück. Er hatte gelbe Augen und ein hübsch gezeichnetes schmales Gesicht mit großen Ohren. Sophie gab noch einmal Gas, um an die Seite des Mannes aufzuschließen, der sich so schwerhörig stellte. Wenn sie ihn dabei nicht anfahren wollte, musste sie leicht nach rechts ausweichen. Vermutlich gab sie zu viel Gas. Sie spürte, wie der Lenker ins Leere drehte, und steckte im nächsten Moment mit dem rechten Vorderrad in einem Straßengraben, den man nicht sehen konnte.

Auch das bewog den Schneewanderer nicht, sich umzuschauen. Er war schon wieder zehn Schritte weiter. Sophie sprang aus dem Auto und schrie entrüstet: »He, Sie!« Der Schrei schien in den herabrieselnden Flocken stecken zu bleiben.

Aber der Hund blieb stehen, und der Mann drehte sich endlich um.

»Können Sie mir vielleicht helfen?«, rief Sophie. Selbst wenn sie Rätoromanisch gesprochen hätte, musste der Mann begreifen, in welcher Notlage sie und ihr Auto sich befanden. Doch Sophie zweifelte ernsthaft, ob dieser Schneemensch von dieser Welt war. Ein paar Sekunden lang sah es so aus, als wollte er sich wieder abwenden. Dann aber setzte er sich langsam in Bewegung und kam in seiner eigenen Fußspur zurück. Sein Hund blieb missmutig stehen und wandte die Schnauze in die andere Richtung, vermutlich in die des warmen Heims. Doch da sein Herr nicht auf ihn reagierte, kam er schließlich ebenfalls angetrabt, umrundete ihn und näherte sich Sophie mit gesenktem Kopf und gestellten Ohren witternd. Er hatte wirklich etwas Wölfisches.

Sophie hatte keine Angst vor Hunden. Sie hatten sich nur im Hotel nie einen halten können, und Dieter mochte Hunde nicht. Nicht für das Tier, aber für den Mann setzte sie ihr schönstes und bittendstes Städterinnenlächeln auf. Der Einheimische sah ja ohnehin an ihrem Nummernschild, dass sie aus Stuttgart kam. Der Wind trieb kleine spitze Schneekristalle gegen ihre Wangen und in ihre Augen. Sie brauchte eine Weile, bis sich ihre Augen an den scharfen Wind gewöhnt hatten und sie richtig sehen konnte.

Der Mensch, der nun bei ihr stehen blieb, zeigte nur Teile seines Gesichts unter seiner schneeverkrusteten Schirmmütze und einem vom Atem vereisten Schal, den er bis zur Nase hochgezogen hatte. Es war, so weit sie das erkennen konnte, immerhin ein junges Gesicht, wenn auch kein jugendliches mehr.

Sie fasste Hoffnung, dass er sie verstehen würde.

»Ich stecke fest«, sagte sie. »Ich habe den Graben unter all dem Schnee nicht gesehen.«

Der Mann musterte stumm das violette Auto, dessen Kühler dampfte. Der Hund schnüffelte kurz die Reifen ab und hielt die Schnauze dann in den Wind, der ihm den Rauch des heimischen Herdes zutragen mochte.

»Meinen Sie, wir kriegen das Auto wieder flott?«, fragte Sophie. »Oder muss ich einen Abschleppwagen rufen?«

Der Mann hob den Blick, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen. Sophie schaute kurz in ein Paar fast schwarze Augen unter finsteren schwarzen Brauen. In den Stoppeln seines Dreitagebarts blieben die Schneeflocken hängen, ohne sogleich zu schmelzen. Sophie hatte sich den Menschenschlag im Allgäu eher hellhaarig vorgestellt. Aber es gab auch diese welschen Typen mit dem dunklen Einschlag französischer Wanderarbeiter.

»Ich will zum Schloss Rohenfels«, sagte Sophie, um das einseitige Gespräch am Laufen zu halten. »Da bin ich doch auf dem richtigen Weg, oder?«

Einen Augenblick hatte Sophie den Eindruck, dass der Mann etwas antworten wollte, doch dann fiel ein eigenartiger Schatten über sein Gesicht, fast wie Resignation, fast so, dachte Sophie, als wäre es ihm nicht möglich zu sprechen. Aber sie dachte nicht länger über diesen seltsamen Eindruck nach, denn jetzt zog er die Hände aus den Taschen und trat vor dem Kühler ihres Corsa an den Graben heran, offenbar bereit zu helfen. Mit einem großen Schritt, der die genaue Kenntnis der Bodenbeschaffenheit unter der Schneedecke verriet, setzte er den linken Fuß auf die andere Seite des Grabens. Sein Stiefel verschwand fast bis zum Schaftrand im Schnee. Auf diese Weise stand er genau vor dem Kühler.

Der Hund stellte die Ohren, fing den Blick seines Herrn auf, senkte sie wieder, wandte sich daraufhin Sophie zu und schnüffelte fragend in die Luft.

»Wollen Sie den Wagen etwa alleine aus dem Graben heben?«, erkundigte sie sich besorgt. »Meinen Sie, dass Sie das schaffen, oder soll ich nicht doch lieber …« Sie unterbrach sich, denn sie glaubte ein ganz leichtes Kopfschütteln bei ihm wahrgenommen zu haben, halb ungeduldig, halb beruhigend. Vielleicht redete sie zu viel, dachte sie. Aber sie konnte sich nicht bremsen. Zu unheimlich war es ihr, dass jemand einfach kein Wort von sich gab. »Nicht dass Sie mir die Stoßstange abreißen.«

Aber er schien genau zu wissen, was er tat. Mit bloßen Händen suchte er offenbar unter dem Kühler nach Angriffspunkten. Sein Atem strich in einer Wolke über den dampfenden Kühler. Dann hatte er augenscheinlich gefunden, was er suchte, korrigierte noch einmal seinen Stand, holte Luft und atmete aus. Plötzlich ruckte der Corsa, schlitterte seitwärts auf Sophie zu, die zurücksprang, und rollte dann rückwärts. Sophie riss die Fahrertür auf, ließ sich auf den Sitz fallen und trat auf die Bremse.

Mit einem Satz befreite sich der Mann aus dem Tiefschnee im Graben, und schon stand er wieder auf der Straße. Dann steckte er die Hände erneut in die Jackentaschen. Der Hund sprang erfreut in die Höhe und lief leichtfüßig vorneweg, als sein Herr in seinen eigenen Fußstapfen davonging.

Sophie hätte ihm ihr Danke hinterherbrüllen müssen.

Sie startete den Corsa und gab vorsichtig Gas. Die Winterreifen fassten. Langsam rollte sie erneut an den Mann heran, der diesmal immerhin etwas nach links auswich.

»Vielen Dank«, sagte Sophie, den Wagen im Schritttempo neben ihm haltend. »Sie haben mir sehr geholfen. Aber könnten Sie mir vielleicht freundlicherweise auch noch sagen, ob es hier wirklich zum Schloss Rohenfels geht?«

Er wandte sich ihr nur halb zu und hob das Kinn in Richtung Wäldchen. Sophie hätte es für unfreundlich halten können, aber sie spürte etwas ganz anderes – als ob der Mann erstaunt wäre, angesprochen zu werden, als ob er ein Wesen aus einer anderen Welt wäre, das sich nur im tiefsten Schneegestöber materialisierte und sonst von keinem Sterblichen wahrgenommen wurde, nur von ihr, und als suchte er nun erstmals nach einer Sprache, um mit Sterblichen zu kommunizieren. Sophie rief ihre Phantasie zur Ordnung und sagte: »Vielen Dank. Kann ich Sie und Ihren Hund ein Stück mitnehmen, falls das auch Ihre Richtung ist? Sie könnten mir dann gleich den Weg zeigen, damit ich nicht wieder in den Graben fahre.«

Der Mann blieb stehen.

In seinen langen Wimpern hatte sich eine Schneeflocke verfangen, die abfiel, als er die Lider senkte. Seine dunklen Augen ruhten nur kurz auf Sophies frischem, lächelndem Gesicht. »Fol… folgen Sie mir«, sagte er endlich. Gleich darauf hatte er sich wieder seinem Weg zugewandt.

So blieb Sophie nichts anderes übrig, als sich im Schritttempo von den beiden Wanderern durchs zwielichtige Schneegestöber führen zu lassen. Sie achtete darauf, dass sie den Mann immer links vor dem Kühler hatte, um ja nicht nach rechts in den Graben abzugleiten. Der Hund trabte inzwischen zügig ein paar Meter voraus.

Plötzlich aber kam ein bisschen Licht ins Schneetreiben. Das Wäldchen links vor ihnen ließ erkennen, dass es aus Fichten bestand. Rechts senkten sich eingezäunte Koppeln in ein Tal. Weiter hinten gruppierten sich unten die Gebäude eines kleinen Gehöfts zwischen Bäumen mitten in der endlos weißen Fläche

Und dann sah Sophie Schloss Rohenfels. Es schob sich langsam, Schritt für Schritt, hinter dem Wäldchen hervor. Wäre es nicht barockgelb gestrichen gewesen, und hätte Sophie nicht ein paar runde Ochsenaugenfenster in den Dachgauben ausmachen können, hätte man nicht unbedingt an ein altes Schlösschen gedacht. Es war einfach ein größeres Haus, das auf der Kuppe des Moränenhügels hinter dem Wäldchen lag. Erst als das zentrale Portal mit seinem einfachen, aber durchbrochenen halbrunden Giebel auftauchte, war Sophie sicher, dass sie auf Schloss Rohenfels zuhielten.

Offenbar gab sie zu freudig Gas. Für einen Augenblick hatte sie völlig den Wanderer vergessen. Erst eine hektische Bewegung links vor ihr ließ sie zusammenzucken und auf die Bremse treten. Der Corsa schleuderte etwas. Mit einem Satz sprang der Mann zur Seite in den Tiefschnee. Auch der Hund stand plötzlich bis zum Bauch im Schnee.

Sophie kurbelte hastig das Seitenfenster runter. »Ich habe Sie doch nicht angefahren, oder? Es tut mir Leid.«

Aber weder Mann noch Hund würdigten sie eines Blickes. Mit drei langen Schritten überquerte er die Straße, sprang über den Graben – der Hund hinterher –, beugte sich zwischen oberer und unterer Latte des Koppelzauns hindurch und ging querfeldein in Richtung der Gebäude im Tal davon.

Kapitel 2

Monika von Rohenfels war eine sehr schlanke Frau Anfang vierzig mit blondem Kurzhaarschnitt, einer hypermodernen scharfkantigen Brille und einem geschäftsmäßigen Lächeln auf den Lippen. Sie trug einen hellgrauen, auf Taille geschnittenen Blazer über einem lachsfarbenen Rollkragenpullover und dazu dunkelgraue Hosen.

»Ich hatte eigentlich schon vor vier Stunden mit Ihnen gerechnet.«

»Der Schnee«, entschuldigte sich Sophie etwas verschüchtert. »Ab Ulm konnte ich nicht schneller als sechzig fahren. Und dann bin ich hinter Edenweiler in einen Graben gerutscht. Aber ein Winterwanderer, ein wundersames Wesen, halb Mensch, halb Yeti, hat mir wieder rausgeholfen.«

»Ein Yeti?« Frau von Rohenfels lächelte gar nicht mehr streng, sondern fast vergnügt. »Ja, die Einheimischen sind zuweilen etwas sonderbar. Und so viel Schnee haben sogar wir hier im Allgäu selten. Na, ich freue mich, dass Sie endlich da sind, Frau Benrath. Übrigens, das hier ist die Wand.«

Die Eingangshalle war nicht gerade riesig, bemühte sich aber mit einer geschwungenen Treppe in den ersten Stock ein wenig barockes Flair herzustellen. Wenn man zur Tür hineinkam, blickte man direkt auf eine weiße Wand, die unter der Rundung der Treppe begann und sich gut drei Meter nach rechts bis zu einem Gang hinzog. Der Boden war rot geklinkert. Links vor der Treppe ging eine Tür ab, durch die man wohl in den Gesellschaftsraum trat. Sophie schätzte, dass der Gang rechts zu den Wirtschaftsräumen führte. Ein Fenster wies ins Tal. Ohne den Kronleuchter an der Decke bekam die Halle auch tagsüber nicht genug Licht.

»Crinner«, sagte Monika von Rohenfels, als sie Sophies Blick nach oben bemerkte.

»Wie?«

»Der Stuck ist von Crinner. Das war ein berühmter Stuckateur in Wangen. Echtes Allgäuer Barock. Sonst hat Rohenfels ja nicht viel Barock, der Baukörper ist älter, aber der Stuck ist beachtenswert. Doch sie wollen jetzt sicher erst einmal ihr Zimmer sehen.«

Es gab niemanden, der herbeieilte, um Sophies Koffer und ihre Kisten mit dem Malgerät aus dem Auto zu holen. Insgeheim hatte sie eine Dienerschaft erwartet. Die hätte in den Wirtschafts- und Gesinderäumen rechts am Gang wohnen müssen, in den Monika sie jetzt führte. »Da hinten ist die Küche, links davor Ihr Badezimmer«, sagte sie, während sie die erste Tür rechts im Gang öffnete. Das Zimmer war nicht groß, aber hell und gut geheizt. Der Boden war mit Dielen bedeckt. In der Mitte befand sich ein hohes altes Bauernbett, links neben der Tür ein Schrank und daneben ein Waschbecken. Das Fenster, vor dem ein schmales Tischchen stand, wies nach Osten zum Tal hin. Der verschneite Hang des Eggs, auf dem Schloss Rohenfels stand, fiel ins Tal, durch das sich Koppelzäune zogen. Unten war in der beginnenden Dämmerung der langgestreckte Bau von Stallungen zu sehen, behütet von ein paar alten Bäumen, und ein Häuschen, aus dessen Schornstein Rauch aufstieg. Ein Fenster war erleuchtet.

»Gehört das auch zu Rohenfels?«

»Früher einmal. Heute nicht mehr. Es gibt ja keinen Anerben mehr. Sie wissen, wovon ich rede? Im Allgäu wurden die Höfe nicht aufgeteilt, sondern immer an den Ältesten vererbt. Das prägt heute noch die Landschaft. Keine parzellierten Flächen. Gefällt Ihnen das Zimmer?«

Sophie drehte sich um. »O ja, sehr.«

Monika von Rohenfels lächelte mit mehr Wärme, als sie wohl meinte, dass sie es zeigen sollte. Sie fand jedoch schnell zu ihrem geschäftsmäßigen Ton zurück. »Ich nehme an, Sie wollen heute noch anfangen. Aber zuvor möchte ich Sie meiner Schwiegermutter vorstellen. Sie hat es gern, wenn sie weiß, wer im Haus ist. Außerdem legt sie Wert darauf, dass sie es ist, die jemanden zum Abendessen einlädt. Es ist nur eine Formalität. Sie nehmen natürlich die Mahlzeiten mit uns ein, wenn Sie wollen.«

Sophie folgte ihr die Treppe hinauf, die in einem Flur endete. Auch dieser Stuck war wohl von Crinner. Monika wandte sich einer der vielen Türen auf der Ostseite zu und klopfte.

Die alte Frau von Rohenfels bewohnte ein großes Zimmer mit zwei Fenstern. An der Nordwand war ein Kamin, der nicht mehr in Gebrauch war. Sophie schätzte, dass sich darunter die Küche befand. Auf Tischen, Anrichten und Bücherborden standen zahllose Fotos und die Silberbecher der Trophäensammlung eines Sportschützen. An den Wänden links und rechts neben der Tür hingen je ein altes eingedunkeltes Ölgemälde, Teil der Ahnengalerie, so vermutete Sophie. Da sie es gewohnt war, sich rasch in Räumen zu orientieren, registrierte sie, dass Schloss Rohenfels eine gut funktionierende Heizung besaß und dass die Doppelfenster allesamt in neuen Rahmen steckten.

Hortense von Rohenfels war eine vornehme alte Dame. Sie saß klein und zusammengesunken in einem großen grünen Sessel am Fenster, legte ein Buch beiseite und nahm die Brille ab. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und waren graublau. Das weiße Haar schimmerte silbrig und war sorgfältig frisiert, auf den Wangen war etwas Rouge. An dem Sessel lehnte ein Stock.

»Mama, das ist Sophie Benrath.«

»Aha. Sie sind die Malerin.« Die alte Dame blieb sitzen und streckte Sophie ihre Hand entgegen. »Ich hoffe, Sie verstehen Ihr Handwerk.«

»Aber Mama!«, sagte die Schwiegertochter.

»Ich höre, Sie heißen Benrath«, fuhr Hortense von Rohenfells unbeirrt fort. »Sind Sie die Tochter von diesem Architekten?«

»Nein, ich bin seine Frau.«

Die alte Dame warf Monika einen Blick zu, den Sophie nicht anders zu deuten wusste als vorwurfsvoll. »Nun ja«, sagte sie und griff wieder nach dem Buch, »Sie werden sich wohl wenigstens Mühe geben, nehme ich an.«

»Ja, sicher«, entgegnete Sophie irritiert.

Monika gab ihr mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass sie sich wieder zurückziehen konnten. Ihre Brille blitzte. Irgendetwas war schief gegangen. Hortense von Rohenfels hatte sie jedenfalls nicht formell zum Abendessen eingeladen. Sophie legte ohnehin keinen Wert auf aufwendige Mahlzeiten mit Familiensilber und mehreren Gängen unter Stuck, aber leichter Unwille stellte sich bei ihr doch ein. Schließlich hatte Monika sie hergebeten. Und wenn es da irgendeine alte Geschichte gab, die mit ihrem Mann zu tun hatte, dann hätte man sie vorwarnen müssen. Auch Dieter hätte sie warnen können.

»Meine Schwiegermutter ist eigentlich ganz okay«, fühlte sich Monika immerhin bemüßigt zu sagen. »Das werden Sie auch noch feststellen. Die Rohenfelsens sind nur anfangs etwas ruppig. Wenn es nach ihnen ginge, würden sie mit keinem Fremden Kontakt aufnehmen. Man kann auch sagen, sie haben keine Manieren. Gott sei Dank ist mein Mann da etwas aus der Art geschlagen. Er ist auch der erste Rohenfels, der wirklich Geld verdienen muss, denn wie Sie sich sicher denken können kostet der Unterhalt so eines Hauses eine Stange Geld. Mein Mann leitet ein Maklerbüro in Wangen. Seine Spezialität sind Burgen und Schlösser hier in der Gegend. Aber nun will ich Sie nicht weiter von Ihrer Aufgabe abhalten«, sagte Monika, als sie wieder unten in der Halle standen. »Sie möchten sicher gleich anfangen.«

Sophie hatte das Gefühl, dass Monika mehr Angst als sie selbst hatte, dass sie mit der Arbeit nicht rechtzeitig fertig werden würde.

»Wird Ihnen das Licht hier reichen?«

»Ich habe meine eigenen Lampen dabei.«

»Sie sind anscheinend gut organisiert.«

Sophie lächelte gewinnend. »Ich bin Perfektionistin. Leider. Bei mir muss alles stimmen. Das kann auch ganz schön lästig sein.«

Monika erwiderte das Lächeln. »Ich leider gar nicht. Bei mir muss alles schnell gehen. Da muss man auch mal fünf gerade sein lassen, wenn es nicht darauf ankommt. Ich arbeite als Stylistin.«

Sophie überlegte, ob sie ah, interessant! sagen sollte oder ob Stylistin nur die neueste amerikanische Bezeichnung für Friseurin war.

»Und zwar«, fuhr Monika fort, »hauptsächlich für Antonio Al Ami. Den kennen Sie doch sicher. Seine Modefotoserien sind ja im Moment in allen Zeitschriften. Ich bin diejenige, die ihm die viel bewunderten Requisiten beschafft.«

»Ah, wie interessant«, sagte Sophie jetzt doch.

»Sie werden übrigens die meiste Zeit das Haus für sich alleine haben. Mein Mann arbeitet in Wangen und nimmt meine Schwiegermutter oft mit. Ich bin die halbe Woche in München. Gegen Mittag kommt Frau Strunk, die sie ruhig Erna nennen können. Sie kocht und macht den Haushalt. Wenn Sie etwas brauchen, wenden Sie sich an Erna. Und wenn Sie in diesem Gemäuer einem Gespenst begegnen, dann erschrecken Sie nicht. Das ist bloß unsere Tochter Nadja.«

»Aha.«

»Sie ist fünfzehn und kleidet sich ein bisschen seltsam. Sie wissen ja, wie das ist.«

»Ja.«

Sophie schleppte Koffer und Kisten mit Malereiutensilien in ihr Zimmer und begann alles vorzubereiten.

Als Mathias von Rohenfels gegen sieben heimkam, standen zwei Scheinwerfer in der Halle, deren gleißendes Licht die Wand beleuchtete und einen in Jeans steckenden Hintern und die rot-weißen Sohlen von Sneakers. Die dazugehörige Person lag auf Knien und Unterarmen auf einer Decke auf dem Klinkerboden und war offensichtlich damit beschäftigt, da unten etwas an die Wand zu kritzeln. Ein Wust roter Haare knäulte sich auf ihrem Rücken und war im Begriff, ihr über die Schulter zu rutschen. Sie fuhr erst auf, als Mathias die Tür ins Schloss rasseln ließ.

»Oh!«, sagte sie lächelnd und strich sich die Haare aus dem Gesicht.

»Sie sind dann wohl Frau Benrath. Freut mich, Sie kennen zu lernen.«

Sophie stand auf. »Und Sie sind wahrscheinlich Herr von Rohenfels. Angenehm.«

Sie reichten sich die Hand. Mathias war ein nicht sonderlich großer glatt rasierter Mann Mitte vierzig. Er hatte die gleichen kleinen graublauen Augen wie seine Mutter. Sein Haupthaar war dunkelblond und von grauen Fäden durchzogen. Er war ausgesprochen gut und gediegen gekleidet. Auf seinem etwas müden Gesicht lag ein verbindliches Lächeln. Während er sich den Kaschmirmantel auszog, wanderte sein Blick über die im Scheinwerferlicht gleißende Wand. Die zarten Linien der Bleistiftskizze waren für sein Auge kaum zu erkennen. Er konnte nicht ausmachen, was das geben sollte.

»Da bin ich aber mal gespannt«, sagte er höflich. »Meine Frau konnte es ja kaum erwarten, bis Sie endlich da sind und loslegen. Und wie ich sehe, haben Sie auch gleich angefangen.«

»Ja«, tönte es auf einmal von oben. Monika kam rasch die Treppe herab. »Und sie zeichnet freihand, nur nach Augenmaß und Gefühl.«

Sophie lachte verlegen. Sie hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, woher sie ihr Augenmaß nahm. Und erst kürzlich, als sie einen Zeitschriftenartikel las, war ihr klar geworden, dass sie wohl das absolute Auge für Farben besaß. Das war noch seltener als das absolute Gehör. Es befähigte sie zu erkennen, ob zwei Farbtöne übereinstimmten, ohne sie nebeneinander zu halten.

»Tja«, bemerkte Mathias, »Sie haben vermutlich viel für Ihren Mann gezeichnet.«

Sophie entschloss sich, dem zuzustimmen, denn es war die einfachste Erklärung. Tatsächlich aber hatte sie so viel ja nicht gezeichnet. Die Bauzeichnungen wurden längst per Computer gemacht. Außerdem ließ Dieter sie kaum noch in sein Büro. Aber sie war ja nicht hier, um für sich selbst Verständnis zu erkämpfen, sondern um als Handwerkerin einen Auftrag zu erfüllen.

»Was soll das denn werden?«

»Aber Mathias!«, sagte Monika sofort. »Das weißt du doch. Ich habe dir doch die Entwürfe gezeigt, die Frau Benrath geschickt hat.«

»Ach ja, richtig.« Mathias lockerte seine Krawatte. »Na, dann wollen wir Sie mal nicht länger stören. Meine Mutter hat Sie zum Essen eingeladen, nehme ich an?«

»Nein, das hat sie nicht«, antwortete Monika erneut an Sophies Stelle. Es klang ein wenig gereizt.

Mathias zog erstaunt die Brauen hoch. »Dann, Frau Benrath, tue ich das hiermit. Fühlen Sie sich doch bitte wie zu Hause.«

Sophie wandte sich etwas beklommen wieder ihrer Skizze zu, nachdem die beiden die Treppe hinauf entschwunden waren. Eigentlich war sie innerlich viel zu nervös, um an einem Abendessen teilzunehmen, um das derart viel Aufhebens gemacht wurde. Das würde sie vermutlich zwei Stunden dieses Abends kosten, an dem sie wenigstens noch mit der Grundierung der Flächen beginnen wollte. Vier Tage waren verdammt wenig Zeit.

Sie ließ sich wieder auf Knie und Hand nieder, um ihre Skizze der Fußleiste knapp über dem Boden abzuschließen. Sie arbeitete so konzentriert, dass sie erst hochschreckte, als sich in ihr Gesichtsfeld plötzlich die langen Spitzen tütenartiger Lederschuhe schoben. Darüber raschelte ein schwarzes Samtkleid über weißen Spitzenunterröcken. Sophie blickte erschrocken die endlose Gestalt eines feenhaft schlanken Mädchens hinauf. Die schmalen blassen Hände, die aus den Trompetenärmeln kamen, waren mit Silberringen in Gestalt von Totenköpfen und Kreuzen bestückt. Um den Hals trug das Mädchen ein Samtband mit Kreuz. Die offensichtlich schwarz gefärbten Haare hingen glatt und glänzend wie Teer über Schulter und Rücken. Das Gesicht war genauso weiß geschminkt, wie die Wand, vor der Sophie kniete. Die graublauen Augen blickten aus tiefschwarz geschminkten Höhlen auf sie herab. Das Mädchen lächelte mit schwarz angemalten Lippen.

»Sie müssen Nadja sein«, sagte Sophie und rappelte sich auf.

Das Mädchen reichte ihr eine weiche Hand. »Wie es scheint, hat meine Mutter Ihnen bereits erklärt, dass ich das Hausgespenst bin.«

»Ist doch ein ganz ehrenwerter Beruf«, meinte Sophie lächelnd.

Nadja lachte überraschend nett und lebenslustig. »Und Sie sind dann wohl die Malerin.«

»Ich heiße Sophie.«

»Und Sie sollen also dieser Halle wieder ihr barockes Gesicht zurückgeben. Allerdings hätte ich es besser gefunden, wenn Sie einen Keller mit Folterwerkzeugen gemalt hätten oder einen Friedhof mit offenem Grab bei Mondschein.«

Sophie schwieg etwas ratlos.

»Mit was für Farben malen Sie denn?«

»Mit Acrylfarben.«

»Ich finde ja Ölfarben besser. Früher hat man in das Blau echtes Lapislazuli hineingerieben.«

»Malen Sie auch?«, erkundigte sich Sophie.

»Ja, aber nur ein bisschen. Nichts Besonderes. Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen mal meine Bilder.«

Das war etwas, das Sophie unter keinen Umständen wollte. Allzu oft hatte sie schon in den Ateliers oder Malkellern von Ehefrauen der Geschäftsfreunde Dieters gestanden, auf breit geschmierte Farben und zögerlich gestrichelte Umrisse gestarrt und nicht gewusst, was sie sagen sollte, wenn die Damen mit glänzenden Augen ihr Urteil als Fachfrau erwarteten, natürlich ein lobendes Urteil.

»Übrigens«, meinte Nadja, »können Sie ruhig noch Du zu mir sagen.«

»Aber nur, wenn du mich auch duzt.«

Nadja zeigte wieder ihr junges nettes Lächeln. »Ich ziehe ja überhaupt das mittelalterliche Ihr vor.«

»Dann sagt mir doch«, schaltete Sophie sofort um, »ob ich mir zum Abendmahl das Staatskleid anziehen muss, oder ob das schlichte Hausgewand mit Goldbrokat reicht.«

Nadja lachte. »Ihr könnt bleiben, wie Ihr seid.«

»Übrigens«, Sophie senkte die Stimme, »Eure Frau Großmama hat mich nicht zum Essen eingeladen. Hätte ich ihr die Hand küssen müssen?«

»Nein.« Nadja lachte heiter. »Großmama sagt nur immer, jeder ist ein Fremder, der ihr nicht vorgestellt wurde, und er bleibt es, solange er nicht von ihr zu Tisch gebeten wurde. Aber sie wird dich … sie wird Euch nicht die Tür weisen. So schlimm ist sie auch nicht. Sie ist eigentlich eine ganz süße liebe alte Dame. Seit zehn Jahren sagt sie, dass sie in zwei Jahren tot sein wird. Und sie lebt immer noch. Papa und Mama sind jedes Mal ganz geschockt, wenn sie mit ihnen ihre Beerdigung besprechen will. Aber ich finde, sie geht voll cool mit diesem Thema um. Man kann sich mit ihr stundenlang über den Tod unterhalten.«

»Ah ja.«

»Übrigens, sie kommt«, wisperte Nadja mit einem Blick die Treppe hinauf.

Hortense von Rohenfels kam am Arm ihres Sohnes die Treppe herab. Monika umrundete die beiden hastig und öffnete die Tür neben dem Treppenfuß. Nadja wallte auf ihre Großmutter zu, die wiederum Sophie keines Blickes würdigte. Als Sophie hinter diesen seltsamen Menschen ein großes saalähnliches Wohnzimmer betrat, dessen Schiebetür zu einem Esszimmer weit geöffnet war, hatte sie das absurde Gefühl, in einen Haushalt geraten zu sein, dem der Zucker ausgegangen war. In orientalischen Märchen hatte sie als Kind gelesen, dass ein Gast sich nur dann als Freund des Hauses betrachten konnte, wenn er mit dem Gastgeber Zucker gegessen hatte.

Sie wartete, bis die alte Frau von Rohenfels saß und Monika ihr mit einer ihrer stets etwas fahrigen Bewegungen einen Stuhl zuwies. Immerhin hatte die Haushälterin Erna auch für sie gedeckt. Familiensilber und Teller in mehreren Etagen. Erna, die am Nachmittag aus dem Dorf heraufkam, war, wie Sophie das von einer Haushälterin erwartete, klein, rund, resolut und an die sechzig.

Während Erna den Salat auftrug, eröffnete Mathias das Gespräch mit einem Bericht aus den Fernsehnachrichten über das totale Schneechaos im Süden Deutschlands.

»Ein Wunder, dass Sie es überhaupt bis zu uns geschafft haben, Frau Benrath. Auf der Autobahn München-Salzburg stehen sie auf beinahe hundert Kilometern.«

»Und es schneit immer noch«, sagte Monika.

»Wenn das so weitergeht, dann sind wir bald von der Außenwelt abgeschnitten und müssen aus Hubschraubern versorgt werden.«

»Cool!«, bemerkte Nadja.

»Sag das nicht!«, schrie Monika auf. »Ich muss morgen nach München.«

»Ich fürchte, Antonio wird einmal auf dich verzichten müssen«, bemerkte Mathias mit einem Unterton, den Sophie auch von Dieter kannte.

Sie stocherte im Salat herum und schwankte zwischen Appetitlosigkeit und Hunger.

»Und was haben Sie studiert?«, hörte sie plötzlich Mathias fragen, als die Suppe kam. Damit konnte er nur sie meinen.

»Kunstgeschichte.«

»Was für einen Abschluss macht man da?«

»Den Magister Artium.« Sophie zögerte etwas. »Aber ich habe keinen Abschluss.«

»Seht ihr«, sagte Nadja. »Man muss nicht studieren, um einen interessanten Job zu machen.«

»Aber man verdient auch nichts dabei«, entgegnete Monika ziemlich scharf und nicht sonderlich taktvoll. Sie wusste, was sie Sophie bezahlen würde, und war offenbar genau wie Dieter nicht der Meinung, dass es viel oder auch nur genug war.

Sophie zwang sich, ein paar Löffel Suppe zu essen. Ihr wurde plötzlich klar, dass sie eigentlich mit ihrer Fahrt ins Allgäu die Hoffnung verbunden hatte, Distanz zu Dieter und all den bürgerlichen Lebens- und Eheregeln zu gewinnen, die für ihn so wichtig waren. Aber nun saß sie schon wieder an einem Tisch vor einem Stapel Teller, verpflichtet, Konversation zu treiben und Familienkonflikte auszuhalten, die andere miteinander hatten.

»Aber ich werde trotzdem Malerin werden«, beharrte Nadja. »Geld ist nicht so wichtig. Außerdem erbe ich ja sowieso.«

»Ja, aber vor allem Pflichten«, sagte Monika. »Und um Rohenfels in Stand zu halten, wirst du dann sogar sehr viel Geld brauchen. Außerdem kannst du nicht damit rechnen, dass dein Vater und ich just dann das Zeitliche segnen, wenn du volljährig bist und Geld brauchst.«

»Aber ich bin in spätestens zwei Jahren tot«, meldete sich nun Hortense von Rohenfels zu Wort. »Und dann erbt Nadja die Geißwiesen. Die kann sie verkaufen. Und wehe, Mathias, du überredest sie, das Geld in ein neues Dach für Rohenfels zu stecken. Und ich werde die Geißwiesen auch nicht verkaufen. Ich habe schon viel zu viel von meinem Erbteil deines Vaters in dieses Haus gesteckt.«

»Du legst doch so großen Wert darauf, dass Rohenfels im Familienbesitz bleibt«, sagte Mathias. Es klang nicht aufsässig, eher müde.

»Wenn du mehr von deinem Maklergeschäft verstündest, dann müsste ich mir keine Sorgen machen«, erwiderte die alte Dame.

Sophie wurde endgültig schlecht. Aber Mathias lächelte milde, und das beruhigte sie wieder etwas. Entweder war Mathias unendlich dickfellig oder ein besserer Geschäftsmann, als seine Mutter glaubte. Sophie sagte sich, dass sie die Geheimnisse dieser Familie nicht an diesem Abend durchschauen musste. Und vielleicht musste sie es nie.

Sie dachte an die Farbe, die sie anrühren würde, um den Ton von Stein zu treffen, der auch unter dem künstlichen Licht des Kronleuchters in der Halle bestand. Künstliches Licht war immer rötlich. Also musste sie etwas grün hineinmischen, wenn sie Grau wollte.

»Und im Übrigen«, fuhr Mathias unterdessen mit seiner betont ruhigen Stimme fort, »sind die Geißwiesen kein Bauland und werden auch nie welches. Als Weideland taugen sie ebenfalls nicht. Wer sollte die also kaufen, wenn … »

In der Halle gab es ein Geräusch, das ihn und alle anderen am Tisch aufblicken ließ. In der Schiebetür, durch die auch Erna die Teller hereintrug, erschien ein Mann.

»Der Winterwanderer!«, murmelte Sophie unwillkürlich.

Monika lachte auf.

Der Mann dampfte förmlich vor Nässe. Auf der grauen Filzjacke schmolz der Schnee, um seine Schäferstiefel sammelten sich Pfützen. Er nahm die Schirmkappe vom Kopf. Sein pechschwarzes Haar stand nach allen Richtungen.

»Was willst du?«, erkundigte sich Mathias mehr als unwirsch, geradezu angewidert.

Sophie blickte in die Gesichter am Tisch. Monika lächelte verächtlich und peinlich berührt. Hortense von Rohenfels hatte sich gar nicht umgewandt und sah auf ihren Teller. Nadja, die neben ihr mit dem Rücken zur Tür saß, hatte sich umgedreht und schaute den Kerl mit eigenartiger Neugierde an. Mathias hatte die Brauen zusammengezogen.

»Die …« begann der Mann. Sophie spürte, dass alle am Tisch mit gespannter Ungeduld warteten, dass er endlich Worte fand. »Die … die Leiter rutscht«, sagte er schließlich.

»Mein Gott, Josef, drück dich deutlicher aus«, rüffelte ihn Mathias, »sonst versteht dich wieder kein Mensch. Das weißt du doch.«

Sophie fand den Satz eigentlich ganz deutlich. Er wirkte nur wie mitten aus einer Reihe von Sätzen gegriffen, die ihm hätten vorausgehen und folgen müssen.

Dabei stand der Mann mit entblößtem Haupt da, wie ein eingeschüchterter Pächter. Sein Blick fiel auf Sophie. Sie lächelte aufmunternd. Das schien ihm den Rest zu geben. Wortlos drehte er sich um und verschwand.

Monika lachte erneut auf. »So, Frau Benrath, jetzt haben Sie auch unseren Josef kennen gelernt.«

»Sepp, den Depp«, sagte Nadja in einem Ton zwischen Verachtung und Spott über genau diese Verachtung.

»Aber es klang, als würde er Hilfe brauchen«, gab Sophie zu bedenken.

»Josef braucht keine Hilfe«, bemerkte Mathias hart. »Und wenn, kann er sich an die Bauern hier wenden.«

»Wahrscheinlich«, ergänzte Monika, »war er nur neugierig. Sie sagten doch, Sie hätten ihn hinter Edenweiler getroffen. Vermutlich wollte er nur wissen, ob Sie auf dem Weg zu uns waren.«

Sophie verschwieg, dass sie ihm das bereits gesagt hatte. Es war ja nicht unbedingt ihre Aufgabe, einen Fremden gegen ein Missverständnis in Schutz zu nehmen, bevor sie wusste, warum er im Haus ihrer Gastgeber so unwillkommen war. Das war alles auch gar nicht ihre Sache. Nach einem kurzen allgemeinen Schweigen legte sie die Serviette auf den Tisch und entschuldigte sich. Sie müsse wieder an die Arbeit.

Man entließ sie freundlich nickend.

Die Eingangshalle lag im warmen Licht des Kronleuchters. Auf den roten Klinkersteinen glitzerten die feuchten Abdrücke von Profilsohlen. Sie führten nicht zur Haustür, sondern in den Gang, in dem auch Sophies Zimmer lag. Aus diesem Gang kam ihr Erna entgegen, in den Händen die Schalen mit Nachtisch, einer Schokoladencreme. Daraus schloss Sophie, dass die Küche am Ende des Gangs ebenfalls einen Eingang hatte, den Dienstboteneingang.

Erna stoppte und sagte in breitem Schwäbisch: »Sie, wellet Se koin’ Nachtisch?«

»Nein danke.«

»Aber vielleicht wellet Se ihn schpäter.«

Sophie neigte nicht dazu, lange zu argumentieren. Sie nahm die Schale mit einem Danke aus Ernas Hand und trat damit in ihr Zimmer. In Gedanken probierte sie, wie wohl das Gesicht dieses Josef zu malen wäre, der ihr am Nachmittag stumm geholfen hatte und nun womöglich selbst Hilfe brauchte. Sophie schmunzelte vor sich hin. Der Mann interessierte sie mehr, als er sollte. Dabei hatte sie jetzt eigentlich anderes zu tun.

Die Kisten mit den Flaschen der Acrylfarben standen an der Wand. Aber bevor Sophie ans Mischen gehen konnte, musste sie die Schale mit der Schokoladencreme loswerden. Ihr Blick fiel auf den Tisch am Fenster, und sie ging ums Bett herum. Während sie den Teller abstellte, erregte jenseits der dunklen Glasscheibe eine Bewegung ihre Aufmerksamkeit. Im Licht des Fensters war draußen eine Gestalt stehen geblieben und starrte zu ihr herauf – Josef. Und neben ihm der Hund.

Sophie erschrak ein wenig. Oft hatte sie aus den Komplimenten von Dieters Geschäftsfreunden herausgehört, dass man ihn um sie als seine Frau beneidete. Dieter gefiel offensichtlich der zur Schau gestellte etwas zweideutige Neid, der Sophie unbehaglich war, und er trumpfte dann jedes Mal mit der Drohung auf, ihr ja nicht zu nahe zu kommen. Aber hier auf Rohenfels war kein Dieter, der sie vor den womöglich nicht nur rhetorischen Zudringlichkeiten eines Schneemenschen schützte. Doch zugleich dachte Sophie an Josefs eigentlich freundliche Hilfe am Nachmittag draußen in der Schneewüste.

Sie öffnete das Fenster. Der Wind trieb dicke Schneeflocken herein, die sich auf die Schokoladencreme niederließen. »Ist was?«

Der Mann trat einen Schritt zurück und wollte sich abwenden.

»He, Moment«, sagte Sophie. »Sie scheinen Hilfe zu brauchen. Was ist los?«

Er blickte erneut zu ihr auf und kam heran. Wieder wirkte er wie ein etwas finsterer Bittsteller.

»Der Schnee«, antwortete er. »Das Dach … die Pferde.«

Was wollte er damit sagen? Waren irgendwelche Pferde in Not? Sie verstand nichts von Pferden. »Haben Sie Pferde?«, erkundigte sie sich. Dann begriff sie plötzlich. »Ah, Sie meinen, der Schnee könnte das Dach vom Stall eindrücken.«

»Genau.« Der Hund schaute zu ihm auf.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

»Nein, nicht … nicht Sie!«

Vor ihrem inneren Auge sah Sophie wild gewordene Pferde, die sich aufbäumten und von der Hand, die sie aus dem Stall führte, losrissen. Wenn es um Pferde ging, konnte sie ihm wahrscheinlich wirklich nicht helfen. Aber warum war er dann überhaupt ins Schloss gekommen, statt sich an einen Bauern der Nachbarschaft zu wenden? Hätte Mathias ihm helfen können?

»Worum geht es denn?«

Er öffnete die Lippen, und seine Zähne blitzten. Aber dann sagte er doch nichts.

»Ich würde Ihnen gerne helfen, wenn ich kann«, erklärte sie. »Ich bin Ihnen noch was schuldig, weil Sie mir mit meinem Auto geholfen haben. Ich verstehe nur nichts von Pferden.«

»Das … das macht nichts.«

»Dann warten Sie. Ich ziehe mir nur schnell was an.«

Sophie schlüpfte in ihre Stiefel, warf sich ihre Daunenjacke über und vergewisserte sich, dass die Handschuhe in den Taschen steckten. Anschließend schob sie den Tisch beiseite und stieg übers Fenster hinaus. Es schien der kürzeste und vor allem der unauffälligste Weg zu sein. Wenn sie durch die Küche gegangen wäre, hätte es Erna mitbekommen, und wenn sie den Haupteingang benutzt hätte, wäre es der Familie Rohenfels wohl nicht entgangen. Es gab ein Sockelgesims an der Wand unter dem Fenster, von dem sie in den Schnee hinabsprang. Auch zurück würde sie wieder kommen.

»Da bin ich. Wohin nun?«

Josef zog eine Hand aus der Jackentasche. Er war einen Kopf größer als sie. In seinen tiefliegenden nachtschwarzen Augen funkelte das Licht vom Fenster über ihnen, doch sein Mienenspiel war schwer zu deuten – nicht verschlossen, aber zurückhaltend, nicht unbedingt freundlich, aber doch auch nicht abweisend. Er zeigte den Hang hinab. Unten leuchtete ein Fenster in der dunklen Häusergruppe der Stallungen. Im Zwielicht einer schneehellen Landschaft konnte Sophie eine Fußspur ausmachen, die an den Hang führte.

»Da ist eine Treppe«, sagte Josef. Er sprach auf eine sachte, fast vorsichtige Weise, so, als wäre er gewärtig, jeden Moment über ein Wort zu straucheln. »Bleiben Sie hinter mir. Treten Sie in meine Fußspuren. Dann … dann können Sie nicht rutschen.«

Das klang ganz vernünftig. Das Unbehagen, das Sophie vom Esstisch vertrieben hatte, verschwand auf einmal. Die frische Luft tat ihr gut. Sie lächelte.

»Na, dann los.«

Der Hund sprang voran. Josef folgte ihm. Sophie konzentrierte sich darauf, ihren Fuß immer in seine Stapfen zu setzen, ohne ihm in die Hacken zu treten. Sie sah im Schnee weder eine Stiege noch deren Stufen. Es gab auch kein Geländer. Ungefähr zwanzig Meter ging es hier den Hügel steil hinab, auf dem Schloss Rohenfels stand. Nachdem sie auf halber Strecke den Rhythmus gefunden hatte, fasste Sophie die Gebäude ins Auge, die noch einmal hundert Meter vorn Hügel entfernt im Tal lagen. Prompt verfehlte sie den Tritt, rutschte an der tief unter dem Schnee verborgenen Stufenkante ab und schlitterte ihm in die Beine. Sie schrie leise auf. Im selben Moment fühlte sie sich von dem Mann gepackt und krallte sich reflexartig in seine Filzjacke. An der Erschütterung seines Körpers spürte sie, dass er selber abrutschte. Aber er fing sich. Sofort war der Hund da, mit gestellten Ohren, die Schnauze halb geöffnet, als wollte er mitmischen.

Josef bedeutete ihm mit einer Handbewegung, dass er ablassen sollte, und das Tier drehte sich geduckt um und huschte wieder den Hang hinab.

»Entschuldigung«, sagte Sophie, »ich habe nicht aufgepasst.«

»Das scheint … das scheint Ihre Spezialität zu sein.«

Sie lachte. »Aber ich habe Sie heute Nachmittag doch nicht wirklich angefahren?«

Er schüttelte den Kopf. »Aber … aber Hunde rechnen nicht damit.«