Der Zufallsgenerator - Peter Schmidt - E-Book

Der Zufallsgenerator E-Book

Peter Schmidt

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Glaubt man nach zwei, drei Geschichten, man habe seine belletristischen 'Strickmuster' durchschaut, entzieht er sich auch schon mit überraschenden neuen Wendungen allen Erwartungen – als sei der Fundus seiner Ideen unerschöpflich …" R. Mayer (Literaturkritiker) – INHALT: Der Zufallsgenerator – Kontrollpunkt – Voodoo – Eine Liebe unter Tage – Brunellas Traum – Saubermänner – Das Dozentenvirus – Wie ich Prediger in Harwich, Kreis Marschen wurde – Der Tag, an dem ich ein Verhältnis mit einer Ameise begann – Die Ordnung der Dinge – Charmeuse – Karen und Robert

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 238

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Peter Schmidt

Der Zufallsgenerator

Kriminalstorys

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

ZUM BUCH

PRESSESTIMMEN

ÜBER DEN AUTOR

INHALT

Der Zufallsgenerator

Kontrollpunkt

Voodoo

Eine Liebe unter Tage

Brunellas Traum

Saubermänner

Das Dozentenvirus

Wie ich Prediger in Harwich, Kreis Marschen wurde

Der Tag, an dem ich ein Verhältnis mit einer Ameise begann

Die Ordnung der Dinge

Charmeuse

Karen und Robert

WEITERE TITEL

Impressum neobooks

ZUM BUCH

„Wie in seinen Spionage-Thrillern, Detektivromanen und Kriminalkomödien ist Peter Schmidt auch in seinen Short-Storys immer für Überraschungen gut. Glaubt man nach zwei, drei Geschichten, man habe seine belletristischen ‚Strickmuster’ durchschaut, entzieht er sich auch schon mit überraschenden neuen Wendungen allen Erwartungen – als sei der Fundus seiner Ideen unerschöpflich … “

R. Mayer (Literaturkritiker)

––––––––––––––––––––––––––––

PRESSESTIMMEN

http://autor-peter-schmidt-pressestimmen.blogspot.de/)

„Unter den deutschen Kriminalschriftstellern ist der Westfale Schmidt fraglos einer der wenigen, die wirklich erzählerisches Format besitzen.“

(Hamburger Abendblatt)

„Sage noch einer, die Deutschen könnten keine guten Krimis schreiben. Und wie sie können: Spannend, hochaktuell und eine gehörige Portion Ironie.“

(Gießener Anzeiger)

„Faszinierende Vielfalt … Gibt es einen ‚Storywriter’ in Deutschland, der ihm das Wasser reichen kann?“

(Hans Walther)

ÜBER DEN AUTOR

Peter Schmidt, geboren im westfälischen Gescher, Schriftsteller und Philosoph, gilt selbst dem Altmeister des Spionagethrillers John le Carré als einer der führenden deutschen Autoren des Spionageromans und Politthrillers. Darüber hinaus veröffentlichte er Kriminalkomödien, aber auch Medizinthriller (zuletzt „Endorphase-X“), Wissenschaftsthriller, Psychothriller, Detektivromane und SF-Thriller.

Bereits dreimal erhielt er den Deutschen Krimipreis („Erfindergeist“, „Die Stunde des Geschichtenerzählers“ und „Das Veteranentreffen“). Für sein bisheriges Gesamtwerk wurde er mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet.

INHALT

Der Zufallsgenerator

Kontrollpunkt

Voodoo

Eine Liebe unter Tage

Brunellas Traum

Saubermänner

Das Dozentenvirus

Wie ich Prediger in Harwich, Kreis Marschen wurde

Der Tag, an dem ich ein Verhältnis mit einer Ameise begann

Die Ordnung der Dinge

Charmeuse

Der Zufallsgenerator

In Rommers Begleitung befand sich ein Beamter namens Augsburger, der während der Untersuchung kein Wort sagte. Sein unruhiger Blick wanderte nur durch den Raum, als suche er dort angestrengt nach etwas, das mehr Aufschluss geben könnte als Siegels Worte.

Fast hatte man den Eindruck, Augsburger erwarte von den Dingen so etwas wie ein Geständnis …

Wenig später hätte Siegel nicht mehr die Hand dafür ins Feuer legen wollen, ob er wirklich kein Wort gesprochen hatte; vielleicht die eine oder andere kaum hörbare Bemerkung, irgendein Flüstern, wenn Siegel sich zur Seite beugte, um nach der Flasche und den Zigarillos neben seinem Sessel zu greifen.

Augsburgers Schweigsamkeit verbreitete ein eigentümliches Gefühl der Anspannung.

Er hatte den Blick des Introvertierten, der jeden Angriff eher gegen sich selbst als gegen jemand anders oder irgendein Ding richten würde: eine bohrende, an Selbstzerstörung gemahnende Röte in den Augenhöhlen, die von seinem schmalen weißen Gesicht und der schon zur Karikatur verzerrt hohen Stirn abstach wie ein geronnener Blutfleck auf einer gekalkten Wand.

Doch jetzt wagten sich seine Augen aus ihrem Versteck und brachten es fertig, jedem Möbel und Gegenstand eine ungewohnte Seite oder Sichtweise abzugewinnen: dem blinden Parkettboden genauso wie den Spielautomaten an der Wand.

Der altmodische Marmortisch, die Blumenbänke, deren Pflanzen Born gepflegt hatte, als seien es seine leiblichen Kinder, oder die breite, den Türdurchgang umschließende Schrankwand voller Bücher und Nippsachen waren ihm ebenso eine eingehende Betrachtung wert wie Borns Schallplattensammlung in ihrer Doppelvitrine.

Er rührte keinen der Gegenstände im Zimmer an. Aber gerade das war es, was Siegel annehmen ließ, er könne es jeden Augenblick nachholen.

„Und Ihre Beziehung zu Born?“, fragte Rommer. „War sie rein geschäftlicher Natur?“

„Ist … nicht war“, berichtigte Siegel. „Ich denke doch, dass er wieder auftauchen wird? Gibt es irgendeinen Grund, das Gegenteil anzunehmen?“

„Immerhin wird er seit vier Tagen vermisst. Da Sie selbst sein Verschwinden gemeldet haben …“

„Das war wohl meine verdammte Pflicht, oder?“

„Was mir bemerkenswert erscheint, ist Ihr Altersunterschied: Born war sechsundsechzig, Sie sind …“ Rommer blätterte in seinen Unterlagen, „zweiunddreißig. Für Geschäftspartner ziemlich ungewöhnlich.“

Siegel trank wieder aus der Flasche. „Wir sind schließlich nicht miteinander verheiratet. Und wenn Sie denken, dass ich‘s mit seiner Frau oder Freundin getrieben habe? Er hatte keine …“

„Man sagt, er sei krank gewesen? Er habe in den letzte Jahren nur noch selten das Haus verlassen? Von seiner Arbeit in der Firma mal abgesehen?“

„Die Nachbarn – das haben Sie von den Nachbarn, nicht wahr?“, erkundigte sich Siegel verächtlich. „Born ist zuckerkrank und leidet an depressiven Störungen – gelegentlich“, fügte er hinzu. „Völlig richtig. Aber er fuhr manchmal ins Naturschutzgebiet hinaus, um sich zu erholen.“

„Auch an dem Tag, als er verschwand?“

„Frank hatte sich einen Spazierstock zugelegt, weil er schon einige Male am Steilufer ausgeglitten war. Kein Wunder bei dem Wetter …“

„Er arbeitete also hauptsächlich zu Hause, wenn ich richtig verstehe?“

„An der Koordinierung der Arbeitsprojekte, ja. Frank fügte ihre Einzelergebnisse zusammen und gab die Resultate an seine Auftraggeber weiter. Einmal im Monat ließ er die leitenden Mitarbeiter der Firma zur Besprechung zu sich kommen. Und dann war da natürlich noch die Ausgabe der Arbeitsunterlagen.

Sie werden in Tresoren aufbewahrt. Kleinere Tresore in den Schreibtischen der Techniker und ein großer Tresor hinter Franks Büro, zu dem nur er selbst den Schlüssel besitzt. Das Ganze auf kopiersicheren Unterlagen:

Schwarzrot-Folien und in Kunststoff eingegossene Metall- und Magnetstreifen für die elektronische Sicherung an der Pförtnerloge. Man nimmt‘s ziemlich genau bei uns. Aber es kam auch vor, dass er zu den ungewöhnlichsten Zeiten wie aus heiterem Himmel im Betrieb auftauchte.“

„Um seine Leute zu verunsichern?“

„Zu verunsichern …?“ Siegel dachte nach. „Ja, so könnte man‘s wohl nennen. Und um nachts zu arbeiten. Er hat was von einem misstrauischen alten Elefanten, der sich von der Herde absondert.“

„Um so erstaunlicher, dass Sie sich sein Vertrauen sichern konnten“, sagte Rommer. „Sie kamen vor knapp einem Jahr in die Firma. Schon fünf, sechs Wochen später würden Sie sein Kompagnon und Stellvertreter – sehe ich das richtig?“

„Als er entdeckte, dass er‘s gesundheitlich nicht verkraften würde, stimmt. Ich brachte eine eigene Entwicklung ein, ein elektronisches Bauteil. Das muss ihm ziemlich imponiert haben. Seine Techniker hatten ein paar Jahre lang vergeblich daran gearbeitet.“

„Und welcher Art war dieses Bauteil, wenn ich fragen darf?“, erkundigte sich Augsburger vom Sessel aus.

„Oh … ein, hm – ein Zufallsgenerator. Ja, ein Zufallsgenerator.“

„Wie der da in den Spielautomaten?“

„In den …? Ja, ja genau. Darin haben wir das Ding zum ersten Mal getestet.“

„Etwas später zogen Sie zu ihm, nicht wahr?“

„Weil er gern über technische Fragen diskutierte. Hier in der Gegend ist es schwer, eine Wohnung zu bekommen. Hohe Grundstückspreise. Dazu das nahe Naturschutzgebiet. Später beließen wir‘s einfach dabei. Er sagte:

‚Nehmen Sie sich eine Wohnung, Siegel, falls ich Ihnen auf die Nerven gehe. Aber bleiben Sie, solange es Ihnen gefällt. Für einen alten Kerl wie mich ist das Haus viel zu groß.’

Er liebte es, mitten in der Nacht aufzustehen und technische Probleme oder weltanschauliche Fragen zu erörtern.“

„Und Sie standen gern dafür zur Verfügung?“

Siegel hielt den Zigarillo zwischen seinen Fingern, ohne ihn anzuzünden; dann steckte er ihn in die Schachtel zurück und legte sie neben sich auf den Parkettboden.

„Sehen Sie …“, meinte er nachdenklich. „Im Grunde verbindet uns die gleiche Besessenheit, ja, so muss man es wohl nennen. Wir alle ahnen, dass Elektronik unser Schicksal entscheiden könnte. Ein phantastischer Gedanke:

Was die Physiker durch die Entwicklung der Kernspaltung heraufbeschworen haben, ließe sich durch neue Abwehrsysteme neutralisieren. SDI zum Beispiel – viele glauben, dass es nie eine Elektronik solchen Perfektionsgrads geben wird.

‚Das Fenster der Verwundbarkeit’, so nennt man das wohl im Jargon?

Aber vor einem halben Jahrhundert konnte sich auch niemand vorstellen, wie viele Schaltungen einmal auf der Größe eines Fingernagels unterzubringen sein würden. Vor etwa neunzig Jahren glaubte man, der Glühstrumpf sei die Lichtquelle der Zukunft. Diese Leute haben sich gründlich getäuscht. Daran gemessen erscheint eine etwas perfektere elektronische Steuerung gar nicht mehr so unwahrscheinlich.“

„Und über solche Themen unterhielten Sie sich nachts?“

„Es war wohl Sympathie auf den ersten Blick. Ich glaube, er sah in mir so was wie einen Sohn. Frank hatte keine Kinder.“

„Aber nicht den Erben?“

„Was meinen Sie...? Nein.“ Siegel zögerte. „Überrascht mich etwas, der Gedanke.“

„Ich hätte gewettet, Sie würden den Laden erben?“

„Nein. Seine Schwester betreibt in den Staaten ein uneigennütziges Altenwerk. Keine Gewinne, verstehen Sie? Das hat ihm anscheinend imponiert. Er hatte ihr schon vor Jahren zugesichert, bei seinem Tode sein ganzes Barvermögen in diese Organisation zu stecken.“

„Auflösung oder Verkauf?“

„Verkauf. Der Laden soll von einem europäischen Multi geschluckt werden. Verträge darüber liegen schon beim Notar.“

„Mit anderen Worten – Sie gingen leer aus?“

„Bin auch nie daran interessiert gewesen. Erbschleicherei liegt mir nicht.“

„Und Ihr eigener Anteil?“

„Man würde mich auszahlen.“

„Hm …“ Augsburger nickte versonnen. Er war aufgestanden, ging zu einem der Spielautomaten hinüber und betrachtete die Anzeige; dann nahm er eine Münze aus dem Portemonnaie und wandte sich nach Siegel um. „Sie gestatten doch?“

„Seltsam, diese Dinger da an den Wänden, oder?“, fragte Rommer, ohne Siegels Kopfnicken abzuwarten. „Für ein Wohnzimmer, meine ich.“

„Jeder hat seine Marotten.“

„War das Ihre Idee?“

„Als Frank noch gesund war, soll er keine Gelegenheit ausgelassen haben, sein Geld in solche Apparate zu stopfen. Ich schlug ihm vor, zwei oder drei in seinem Wohnzimmer aufzuhängen. Das sei billiger – und praktischer.“

„Etwas ausgefallener Geschmack, oder?“

„Er fand die Idee ausgezeichnet.“

„Und – gewann er?“

„Wir spielten manchmal um die Wette. Ja, er gewann fast jeden Zweikampf.“

Augsburger kehrte schweigend an seinen Platz zurück. Er hatte mehrere Münzen verspielt, ohne einmal gewonnen zu haben.

Siegel bemerkte, dass er sich nachdenklich umblickte. Die Scheiben waren beschlagen – als herrsche im Zimmer ungewöhnlich hohe Luftfeuchtigkeit –‚ obwohl es drinnen kaum kälter als draußen sein konnte.

Dann erhob er sich wieder und schlenderte zum Fenster. Die Doppelgarage mit dem Geräteschuppen an der Mauer zum Waldhang war noch nicht ganz fertig. Im Garten lagen Backsteine neben Baugeräten und einer Mischmaschine für Mörtel.

„Was glauben Sie, wo könnte er stecken?“, fragte Rommer von seinem Sessel aus. „Wo würden Sie ihn suchen?“

Siegel bemerkte voller Unbehagen, dass Augsburgers Blick gespannt an seinen Augen hing – als könne schon eine unmerkliche Bewegung der Pupillen ihn verraten und Augsburger dazu bringen, sofort aufzuspringen und im Schrank oder in den beiden breiten Sitztruhen nachzusehen. Oder unter dem Teppich nach einer geheimen Falltür zu forschen...

„Wenn Sie meinen Rat hören wollen.“

Siegel machte eine Kunstpause, zündete seinen kubanischen Zigarillo an und blies den Rauch mit zurückgebeugtem Kopf zur Decke.

„Es war meine Pflicht, sein Verschwinden zu melden. Aber wie mir seine Sekretärin sagte, ist er schon früher gelegentlich für ein paar Tage von der Bildfläche verschwunden. Später stellte sich dann heraus, dass Freunde ihn am Flughafen getroffen und zu einem spontanen Kasinourlaub an der französischen Mittelmeerküste überredet hatten.

Er meldete sich aus Monte Carlo. Einmal fuhr er zu einem technischen Kongress, und niemand wusste, wo er war. Misstrauen, nehme ich an, dass in der Firma alles drunter und drüber ginge ohne ihn. Aber Depressive sind auch bekannt dafür, dass ihre sprunghaft wechselnden Gefühle sie manchmal zu Tapetenwechseln veranlassen, die Außenstehenden ziemlich rätselhaft erscheinen.“

„Sie meinen also, wir sollten einfach abwarten?“, fragte Rommer.

„Geben Sie ihm noch eine Woche.“

„Was halten Sie von Selbstmord?“

„Gott“, sagte Siegel mehr gelangweilt als überzeugt. „Alles ist möglich.“

„Irgendwelche Hinweise?“

„Nein.“

„Außer seiner Depressivität, wollen Sie sagen?“

„Ich weiß nicht, ob man ihn für gefährdet hielt. Was ihm zu schaffen machte – worauf er anscheinend sensibler als andere reagierte –, war wohl mehr ein Gefühl grenzenloser Langeweile.“

„Sinnlosigkeit?“

„Nein, so hoch würde ich‘s nicht ansetzen.“ Er schüttelte amüsiert den Kopf. „Eher die Ereignislosigkeit des Alltags, das tägliche Einerlei. Die Durchschnittlichkeit der Leute um ihn her. Er befand sich ständig auf der Suche nach irgendwelchen Anregungen, drinnen wie draußen.

Daher seine Spielsucht. Verstehen Sie mich nicht falsch, es mag seltsam klingen: aber er benutzte die Technik als eine Art Abenteuer – als Entdeckungsreise in fremde Welten. Und in letzter Zeit waren er und seine Mitarbeiter sehr erfolgreich darin. Zahllose Patente. Frank vergab mehr Lizenzen, als er für seine Forschungen von anderer Seite benötigte, und das will viel besagen. Sieht man einmal von seiner Krankheit ab, dann hatte er alles, was er wollte.“

„Auf welchem Gebiet?“

„Oh … Elektronik natürlich. Aber ich glaube, das habe ich schon erwähnt?“

„Hatten Sie“, bestätigte Rommer. „Welche Art von Elektronik?“

„Europäische Forschungsprojekte. Konkurrenzunternehmen zu Projekten der Amerikaner.“

„Militärisch?“

„Auch, ja.“

„SDI?“

„Ja, SDI spielt eine Rolle.“

„Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“

„Woher hätte ich wissen sollen, dass es wichtig ist“, erwiderte Siegel ungerührt. „Ich meine – es geht doch um sein Verschwinden und nicht darum, was seine Firma treibt.“

„Beides könnte zusammenhängen, glauben Sie nicht?“

„Hm …“ Siegel schüttelte den Kopf. „Scheint mir ziemlich unwahrscheinlich.“

„Interessante Perspektive, die sich da eröffnet“, sagte Rommer und zeigte bedächtig auf Siegels Zigarillos. „Gestatten Sie …?“ Während er einen Zigarillo aus der Schachtel zog, betrachtete er das Etikett: WARRANTY FOR CIGARS EXPORTED FROM HAVANA. Sella de garantia nacional de procedencia. „Sie rauchen echte?“

„Nichts Besonderes. Sind in jedem besseren Zigarrenladen zu haben.“

„Werde mir die Sorte merken.“ Rommer machte einen tiefen Zug. „Ausgezeichnet.“

„Interessante Perspektive, wieso?“

„Entführung zum Beispiel.“

„Unsinn. Jetzt geht aber Ihre Phantasie mit Ihnen durch... ist wohl Ihr Beruf? Wozu sollte man Frank entführen?“

„Ganz einfach“, sagte Augsburger. Er hatte seinen ruhelosen Gang durch das Zimmer beendet, war stehengeblieben und musterte Siegel mit verschränkten Armen. „Um an seine Forschungsergebnisse heranzukommen.“

„Nein, völlig ausgeschlossen.“ Siegel lachte verächtlich. „Geradezu abwegig. Daran sieht man, dass Sie keine Fachleute sind. So umfangreiche Unterlagen kann niemand im Kopf behalten. Die liegen in gesicherten Tresoren. Es würde Tage und Wochen dauern, um sie durchzuarbeiten.“

„Es müsste ja nicht in der Firma passieren.“

„Ich glaube, ich sagte schon, dass sie kopiersicher sind. Man kann nicht einmal das Werksgelände mit ihnen verlassen. Automatisch schließende Türsperren verhindern das.“

„Aber Sie als sein Kompagnon haben natürlich einen Ersatzschlüssel für den Safe?“

„Der einzige, der Zugang zu allen Forschungsunterlagen hat, ist Born persönlich. Wer zum Tresor will, muss durch sein Büro. Seine Mitarbeiter bekommen nur Teilunterlagen, aus Sicherheitsgründen. Immer genau den Ausschnitt an Wissen, den sie benötigen, um arbeiten zu können.“

„Nur er allein überblickt das ganze Forschungsprojekt?“

„So ist es.“

„Ziemlich riskant, oder?“

„Höchste Sicherheitsstufe. Mehr Sicherheit ist in diese Job nicht drin.“

„Und wenn er verhindert ist? Dann ruht der Betrieb?“

„Er könnte jemand seines Vertrauens beauftragen … ja, das wäre möglich.“

„Waren Sie jemals der Mann seines Vertrauens?“

Siegel zögerte. „Was wollen Sie denn damit beweisen?“

„Beweisen? Nichts, rein gar nichts. Beantworten Sie nur meine Frage.“

„Ein- oder zweimal, ja.“

„Und wie lief die Sache ab?“

„Sie meinen, wie ich an die Arbeitspapiere gelangt bin? Born hat Tagescodes für das ganze Jahr programmiert. Alle vierundzwanzig Stunden einen anderen. Die Zahlen wählt der Zufallsgenerator aus. Born nannte mir die entsprechende Kombination, und ich öffnete mit dem Ersatzschlüssel.“

„Sie haben also einen Schlüssel?“

„Sicher, aber ohne Code ist er ziemlich wertlos.“

„Und? Fanden Sie nicht, dass das alles schon ein wenig zu viel des Guten war?“

„Bei militärischen Projekten? Nein.“

„Hm …“

Siegel beobachtete aus den Augenwinkeln, dass Augsburger sich an der gegenüberliegenden Wand zu schaffen machte.

Der Raum war gut zwölf Meter lang – Born hatte immer viel Wert auf Bewegungsfreiheit gelegt, er verabscheute beengende Verhältnisse. Auch die übrigen Zimmer des Hauses waren großzügig bemessen. Sein Garten hätte trotz der dicht gepflanzten Sträucher und Obstbäume noch genügend Raum für einen Tennisplatz geboten. Augsburgers dünne Beine knieten auf dem Holzgestell der Sitzecke.

Er versuchte mit den Fingerspitzen ein Gemälde auszurichten, das etwas schief hing. Es war die futuristisch anmutende Abbildung eines landenden Raumgleiters.

„Bitte nichts anrühren“, sagte Siegel (er bemühte sich, seiner Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben). „Sagen Sie Ihrem Assistenten, dass er hier nichts anfassen soll. Ich glaube, das da ist ein echter Klarell.“

„Meinem Assis …? Ach so, natürlich. Augsburger, zum Teufel, haben Sie nicht gehört?“

Augsburgers Knie rutschten ab, als habe Rommers laute Stimme ihn aus dem Konzept gebracht; seine Schuhe landeten wie unabsichtlich auf dem Polster. Er erhob sich zögernd, wobei die Federung unter seinem Gewicht nachgab und seinen Bewegungen etwas Schwankendes und Ungelenkes verlieh. Dabei schob er das Bild beiseite – um zu sehen, ob dahinter ein Safe versteckt sei, nahm Siegel an. Als er nichts fand, hängte er es achselzuckend an seinen Platz zurück. „Ziemlich feucht, die Wand, oder?“

Er roch an seinen Händen und wischte sie unwillig am Jackett ab.

„Ich weiß wirklich nicht, ob Frank das ohne Hausdurchsuchungsbefehl gestatten würde“, meinte Siegel mit einer Miene, die Besorgnis ausdrücken sollte. „Ich glaube, ich muss Ihrem Assistenten untersagen, hier noch irgend etwas anzufassen.“

„Ja, verstehe. Obwohl es sicher in Borns Interesse wäre. Augsburger, Finger weg …!“

„Wenn Sie Franks Privatsafe suchen? Er ist gleich nebenan.“

„Danke, nein. Suchen wir nicht. Ist wohl auch zu klein, um jemanden darin verschwinden zu lassen, oder?“ Rommer lachte forsch und wischte sich mit Daumen und Zeigefinger durch die Mundwinkel. „Will sagen, für einen Mann von Borns Körperfülle.“ Siegel hatte den Eindruck, er wolle die Dreistigkeit seines Assistenten überspielen, indem er alberne Scherze zum besten gab.

„Noch Fragen?“

„Im Augenblick keine.“ Rommer streckte die Hand aus. „Sie hören wieder von uns.“

Als sie ihren Wagen erreicht hatten, der jenseits der Grundstücksumzäunung unter den überhängenden Baumkronen stand, sagte Augsburger:

„Lassen Sie die Umgebung im Naturschutzgebiet absuchen – da, wo er angeblich spazieren gegangen ist. Auch den Garten. Nehmen Sie Metallsonden dazu. Wir wissen von seinem Zahnarzt, dass Born zwei Brücken aus Metall trägt, eine oben, die andere unten. Das dürfte eigentlich reichen, um ihn zu finden. Und achten Sie auf frische Bodenstellen. Wir beide könnten uns das Seeufer vornehmen. Was halten Sie davon?“

Es klang nicht, als sei es als Frage gemeint.

„Einverstanden. Werden Ihre Leute weiter sein Haus beobachten? Wir sind momentan etwas knapp.“

„Ich habe einen Mann oben am Hang im Trafohäuschen und den anderen drüben in der unbewohnten Wohnung.“ Augsburger deutete nach hinten auf ein einzeln stehendes Haus mit verfallener Fassade. „Zweiter Stock, die Fenster links.“

Sie fuhren zum Naturpark, der nur einen halben Kilometer entfernt lag. Die Herbststürme hatten das Laub von den Bäumen gefegt, ihre schwarzglänzenden Stämme waren mit Moos bewachsen, und in den Bodensenken stand Regenwasser.

„Glauben Sie, dass Born bei diesem Sauwetter überhaupt aus dem Haus gegangen ist?“, fragte Augsburger zweifelnd.

„Immerhin könnte er da irgendwo am Steilufer im Lehm abgerutscht sein.“

„Er war Schwimmer.“

„Ein alter Mann, der an Depressionen litt.“

Augsburger machte ein paar ziellos wirkende Schritte nach vorn über den aufgeweichten Boden und bewegte suchend den Kopf.

„Hier draußen riecht‘s wie in seiner Wohnung.

„Genauso feucht und modrig, ja.“

„Haben Sie die beschlagenen Fensterscheiben gesehen?“

Der Weg war unpassierbar geworden, sie blieben am Rande des Morastes stehen. „Woran denken Sie? Dass Siegel vor Angst ins Schwitzen gekommen ist?“

„Ich weiß nicht.“ Augsburger hatte einen Zweig abgebrochen und spießte damit ein Präservativ aus der Regenpfütze. „Cui bono?“, fragte er. „Wem nützt es, dass Born verschwunden ist? Siegel kam vor einigen Monaten, und jetzt ist er blendend im Geschäft. Aber er wird nichts erben. Und wenn er die Wahrheit sagt, dann kommt er nicht mal an die Geheimunterlagen der Firma.“

„Ich habe mit Rosser gesprochen, einem der leitenden Angestellten. Ihr Material reicht nur noch für zwei Wochen.“

„Ziemlich merkwürdig, dass Born keine Vorsorge getroffen haben soll …“

„Wir könnten in die Firma fahren und das Ding einmal genauer unter die Lupe nehmen?“

„Schon etwas spät dazu, finden Sie nicht?“

„Dafür sind wir ungestört. Verschaffen wir uns einfach mit Ihrem Dienstausweis Einlass.“

Es machte Rommer nichts aus, wenn der andere ihm die Arbeit abnahm – obwohl er bezweifelte, dass die Spionageabwehr für Borns Verschwinden überhaupt zuständig war. Diese kleine Konzession enthob ihn der Verpflichtung, sich später wegen irgendeines Versäumnisses gegenüber seinen Vorgesetzten rechtfertigen zu müssen. Falls Born verschwunden blieb, würde die Presse unweigerlich obskure Vermutungen anstellen. Dann war es vorteilhafter, gegen Kritik gewappnet zu sein.

Die Firma arbeitete in einem stillgelegten Schlachthof. Von der abfallenden Zufahrtsstraße aus ähnelte das Gebäude mit seinen patinierten Fassaden und den schiefen Schloten kaum dem seriösen Unternehmen, für das es sich in seinen Hochglanzbroschüren ausgab. Eher einem aufgelaufenen Frachter, der zur Verschrottung freigegeben war, dachte Rommer. Er fühlte sich auf unangenehme Weise an seine Zeit bei der Kriegsmarine erinnert.

„Sehen Sie auch, was ich sehe?“, fragte er und zeigte zu einem der Fenster hinauf. „Da oben im Büro brennt noch Licht.“

Augsburger war wieder in die gleiche schweigsame Ruhelosigkeit verfallen.

Sein Blick fuhr rastlos von einem Punkt zum anderen, nichts schien seiner Aufmerksamkeit zu entgehen – als seien es die Dinge und nicht die Menschen, die schließlich sprechen würden. Rommer hatte das Gefühl, er habe gar nicht auf seine Worte geachtet.

„Ich denke, Sie sind auf dem falschen Dampfer“, sagte er unvermittelt und war selbst überrascht über seinen Vorstoß, etwas mehr aus Augsburger herauszukitzeln (irgendeine vage Assoziation von Frachter und Dampfer). „Ihre Behörde produziert angeblich zuviel Leerlauf? Wie man munkelt, soll wenig bei Ihrer Arbeit herausgekommen sein in den letzte Jahren?“

Augsburger blieb stehen. Er sah ihn ausdruckslos an. „Was sagen Sie?“

„Viel Aufwand, aber keine Resultate.“

Sie gelangten über die von Eisengeländern gesäumte Rampe zum Seiteneingang, und die hohe Backsteinkulisse mit ihren beiden vom Frost verzogenen Kaminen löste in Rommer das beklemmende Gefühl aus, unter einer überhängenden Gebirgswand aus zerbröselndem Sandstein zu stehen. Vor ihnen lagen schwere Mörtelstücke. Er musterte die Wand und kam zu dem Schluss, dass sie sich aus den Fugen der Mauervorsprünge gelöst haben mussten. Es war eines jener Hinterhofunternehmen, die im Elektronikboom der späten siebziger Jahre zu Größe und Ansehen gelangt waren, es dann aber aus irgendwelchen Gründen – nostalgische Anhänglichkeit oder Freude am Understatement – versäumt hatten, in modernere Gebäude umzuziehen.

„Ausgezeichneter Vorwand für Ihre Leute, den Laden wegen Baufälligkeit schließen zu lassen“, murmelte Augsburger undeutlich und schob mit der Fußspitze ein Stück Mörtel beiseite.

„Wieso? Ich meine … wozu sollte das gut sein?“ Er warf Augsburger einen argwöhnischen Blick zu.

„Man kann nie wissen. Nehmen wir mal an, irgend jemand ist hinter Borns militärischen Forschungsarbeiten her. Auf die Weise könnten wir seinen Tresor unter Kontrolle bringen. Und alles, ohne schlafende Hunde zu wecken.“

„Die Presse?“

„Schlafende Hunde“, wiederholte Augsburger.

„Sie meinen die Gegenseite?“

„Ich bin nur vorsichtig.“

Einer der beiden Wachmänner in der gläsernen Loge wandte sich von den Monitoren ab und legte grüßend die Hand an die Mütze, als sie die elektronisch überwachte Schleuse passierten.

„Zu Herrn Siegel? – oben im Büro des Chefs …“

„Was sagen Sie dazu?“, fragte Augsburger heiter und steckte seinen Ausweis ein. „Er hat uns wiedererkannt.“ Und während sie hinauffuhren, fügte er unvermittelt mit bekennerhafter Miene hinzu: „Ich weiß, was ihr in euren Kommissariaten über uns denkt, alter Junge. Wir in den Diensten sehen überall die Gespenster des Verrats. Dass wir existieren, provoziert bei der Gegenseite erst, was wir suchen – diese Art von Sophismus, ja …“ Er lächelte versonnen. „Mag schon was dran sein. Wir verdächtigen Unschuldige und lassen die Schuldigen laufen. Wir bedienen uns illegaler Praktiken, um ein paar simple elektronische Schaltungen zu retten, die nachher doch in irgendwelchen Hongkong-Spielzeugen hinter den Eisernen Vorhang gelangt wären. Kreisel mit elektronischer Abtastung des Gleichgewichts –dasselbe Prinzip wird in einem unserer neueren Panzermodelle verwendet. So einfach ist das. Alles schon passiert.“

Er blieb an Borns Bürotür stehen, und ehe er die Klinke drückte, wandte er sich nach ihm um. „Aber wir sind schließlich nicht die einzigen, die Fehler machen, oder?“

„Bei soviel Selbsterkenntnis sollten Sie vielleicht lieber in die Entwicklungshilfe gehen“, schlug Rommer vor.

Das Büro war einer jener aseptischen Räume, deren Inventar den Eindruck vermittelt, ihr Inhaber sei die personifizierte Arbeit: aufgegangen und entpersönlicht in Zahlenkolonnen, Abschlüssen und Gewinnrechnungen und jedenfalls ohne irgendein Privatleben. Abwaschbarer, cremeweiß lackierter Verputz, dunkelgrüne Filzunterlagen und Blattpflanzen aus Kunststoff auf einem umfunktionierten Ablagekasten, registrierte Rommer voller Abscheu. Alles ohne die geringste Spur von Staub. Er bemühte sich immer, sein eigenes Büro wie ein Zuhause wirken zu lassen.

Der Mann hinter dem breiten Schreibtisch machte einen beschäftigten Eindruck – als Augsburger sich räusperte, hob er überrascht den Kopf und legte ein paar Papiere beiseite. Rommer hätte wetten mögen, dass seine Überraschung nur gespielt war. Wahrscheinlich hatte der Wachmann ihn längst benachrichtigt.

„So spät noch bei der Arbeit?“, erkundigte sich Augsburger. „Wenn wir nicht wüssten, dass Sie‘s sind – der Flecken da an Ihrer Manschette, roter Krimsekt? Was haben Sie denn so ausgelassen gefeiert, mein Lieber? –, dann würden wir Sie jetzt glatt für Ihren Doppelgänger halten“, meinte er verschmitzt.

„Weil ich schon wieder arbeite?“ Siegel lächelte gequält, aber ohne irgendein Anzeichen von Verunsicherung. „Ich bin gleich nach Ihrem Besuch zurück in die Firma gefahren.“

„So viel Arbeit?“

„Na ja ….. ohne Frank wird‘s nicht gerade weniger.“

„Sie schlafen wohl überhaupt nicht mehr?“

„Bin nie der Typ des Langschläfers gewesen.“

„Ach … bei der Gelegenheit“, sagte Augsburger, während er einen geisterhaft anmutenden, in der Luft erstarrenden Schritt durch das Büro machte, „würden wir ganz gern mal Borns Safe in Augenschein nehmen. Sieht man ja nicht alle Tage, so ein Monster, vollgestopft mit Elektronik. Ich meine nur – wenn‘s keine besonderen Umstände macht?“

„Nein, warum sollte es?“

Der Raum nebenan war fensterlos, an seiner Frontseite standen, hohe Blechregale. Seine schweren Mauern glichen dem Tresorraum einer Bank.

„Bleieinlage?“, fragte Augsburger und klopfte mit dem Fingerknöchel gegen den Beton.

„Strahlungssicher – wegen der Magnetbänder.“

Augsburger nickte sachkundig. Vor dem deckenhohen Safe, dessen Seiten ummauert waren, blieb er stehen und strich anerkennend über das Metall.

„Donnerwetter … sieht man dem baufälligen Laden von außen gar nicht an.“

„Nicht kleckern – klotzen“, bestätigte Siegel. „Aber an der richtigen Stelle. Das war schon immer Borns Devise. Er sah sich als Vater einer neuen Generation von technischen Rüstungskontrollen, dafür war ihm kein Aufwand zu hoch.“

„‘Ne Art Albert Schweitzer der Waffeningenieure, was?“ Augsburger machte kehrt, er deutete auf ein silbernes Kästchen mit roter Digitalanzeige oberhalb des Drehrads, in dessen Tastenfeld grüne Steuerzeichen blinkten. „Und das da ist der Zufallsgenerator?“

„Mit dem elektronischen Warnsystem. Der Inhalt des Safes soll sich beim Aufschweißen selbst zerstören.“

„Mal angenommen, Born würde nicht wieder auftauchen: Dann wären sämtliche Unterlagen futsch?“

„Davon muss man wohl ausgehen, ja.“

„Gut, das wär‘s für heute. Danke für Ihr Entgegenkommen. Ach noch was, Siegel …“ Er machte eine abrupte Kehrtwendung wie ein Lehrer, der ein ungezogenes Kind bei einem Streich ertappen wollte. „Sie sind doch naturalisierter Kanadier, hab ich das richtig aus Ihrer Personalakte entnommen?“

„Ich ging nach dem Krieg rüber“, bestätigte Siegel ungerührt. „Als man‘s dort mit Einsatz und Ideen noch zu was bringen konnte. Hamburg war ziemlich zerbombt und die Deutschen galten als gute Techniker.“

„Nun spielen Sie mal Sherlock Holmes, Augsburger – helfen Sie Ihrem dummen Watson auf die Sprünge! Dieses technische Ungetüm hat‘s Ihnen offensichtlich angetan?“ Rommer blieb am Wagen stehen. „Lassen Sie mich raten … Borns Leiche steckt im Safe? Da ist sie gut aufgehoben, weil niemand ihn öffnen kann? Und falls doch, dann würde sich sein Inhalt beim Aufschweißen selbst zerstören? Kein Opfer, kein Täter?“

„Nein.“ Augsburger schüttelte den Kopf. „Ihre schwarze Phantasie in Ehren, Watson … Akten, erst recht Schwarzrot-Folien, lassen sich selbst bei sehr wenig Luft problemlos mit einer speziellen Pulvermischung verbrennen. Aber eine Leiche? Dazu würde der Sauerstoff im Safe nicht ausreichen. Und man könnte leicht anhand der Rückstände herausfinden, dass es ein menschlicher Körper war.“

„Und wo geht‘s jetzt hin?“, erkundigte sich Rommer beiläufig – er sah gähnend aus dem fahrenden Wagen, als ginge ihn das Ganze nichts mehr an.

„Zu Rosser. Der Mann scheint nach Siegel am besten informiert zu sein.“

„Ihre Bemerkung eben über roten Krimsekt – ich will verwünscht sein, wenn Sie sich dabei nichts gedacht haben?“

„Wollte den Burschen nur ein wenig verunsichern. Möglicherweise ist der echte Siegel schon sechsundachtzig nach Neuseeland ausgewandert.“

„Das haben Sie herausgefunden? – alle Achtung …“

„Bei aller Vorsicht, ja. Dafür sprechen zumindest die Indizien. Unsere Freunde von der CIA waren uns ein wenig dabei behilflich, Siegels Verhältnisse zu sondieren.“

„Verstehe, das bedeutet … Austausch der Identität?“

„Nach der Romeo-Rolle die Methode der Wahl beim Ministerium für Staatssicherheit. Momentan aber noch ein bloßer Verdacht – wäre Siegel alles erst nachzuweisen.“

Sie hielten vor Rossers Haus, einer postkastengelben Fassade. Von den Fenstern an der Rückseite sah man die grauen Asphaltbögen der Serpentinenstraße.

„Hm … könnte Siegel für Born nicht auch so was wie ein Romeo gewesen sein?“, fragte Rommer. „Ich meine, mehr im platonischen Sinne?“

„Das ist es, worüber ich die ganze Zeit nachdenke.“

Rossers Stimme klang verschnupft; um den Kragen seines Bademantels waren zwei karierte Schals gewickelt. Er war klein und weißhaarig. Ein Mann mit dem Kopf und den Händen des Gelehrten.

„Dieser Zufallsgenerator, Doktor – wer hat ihn entwickelt?“

fragte Augsburger, während sie höflich dankend zwei Gläser Gin vom Tablett nahmen.