Deutsche Geschichte (Band 1-3) - Ricarda Huch - E-Book

Deutsche Geschichte (Band 1-3) E-Book

Ricarda Huch

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Beschreibung

In "Deutsche Geschichte" (Band 1-3) bietet Ricarda Huch einen umfassenden und differenzierten Überblick über die Entwicklung Deutschlands von den Anfängen bis zur Neuzeit. Huch kombiniert ihre Expertise in Geschichte mit einem literarischen Stil, der bildhaft und zugleich präzise ist, wodurch komplexe historische Zusammenhänge nachvollziehbar werden. Die dreibändige Reihe gliedert sich in verschiedene Epochen, denen sie nicht nur historische Fakten, sondern auch kulturelle und gesellschaftliche Strömungen verleiht und damit einen facettenreichen Einblick in die deutsche Geschichte präsentiert. Ricarda Huch (1864-1947) war nicht nur eine bedeutende Schriftstellerin, sondern auch eine engagierte Historikerin und Politaktivistin. Ihr umfassendes Wissen über Literatur, Philosophie und Geschichte speist sich aus einem abwechslungsreichen Leben, in dem sie Zeugin bedeutender politischer Umbrüche wurde. Huchs kritische Auseinandersetzung mit ihrer Zeit, gepaart mit ihrer Leidenschaft für die deutsche Vergangenheit, führte zu diesem monumentalen Werk, das sowohl akademischen Ansprüchen genügt als auch der breiten Leserschaft zugänglich ist. Dieses Buch ist eine unverzichtbare Lektüre für jeden, der sich für die deutsche Geschichte interessiert. Huchs brillante Erzählweise und ihr analytischer Scharfsinn machen die "Deutsche Geschichte" zu einer bemerkenswerten Quelle für Studierende, Historiker und geschichtsinteressierte Leser. Lassen Sie sich von Huchs profundem Wissen und ihrer fesselnden Darstellung inspirieren, um ein tieferes Verständnis für die kulturelle und politische Entwicklung Deutschlands zu gewinnen. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine umfassende Einführung skizziert die verbindenden Merkmale, Themen oder stilistischen Entwicklungen dieser ausgewählten Werke. - Ein Abschnitt zum historischen Kontext verortet die Werke in ihrer Epoche – soziale Strömungen, kulturelle Trends und Schlüsselerlebnisse, die ihrer Entstehung zugrunde liegen. - Eine knappe Synopsis (Auswahl) gibt einen zugänglichen Überblick über die enthaltenen Texte und hilft dabei, Handlungsverläufe und Hauptideen zu erfassen, ohne wichtige Wendepunkte zu verraten. - Eine vereinheitlichende Analyse untersucht wiederkehrende Motive und charakteristische Stilmittel in der Sammlung, verbindet die Erzählungen miteinander und beleuchtet zugleich die individuellen Stärken der einzelnen Werke. - Reflexionsfragen regen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der übergreifenden Botschaft des Autors an und laden dazu ein, Bezüge zwischen den verschiedenen Texten herzustellen sowie sie in einen modernen Kontext zu setzen. - Abschließend fassen unsere handverlesenen unvergesslichen Zitate zentrale Aussagen und Wendepunkte zusammen und verdeutlichen so die Kernthemen der gesamten Sammlung.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Ricarda Huch

Deutsche Geschichte (Band 1-3)

Bereicherte Ausgabe. Eine tiefgründige Analyse der deutschen Historie von einer literarischen Pionierin
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Einführung, Studien und Kommentare von Alaric Vance
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547779605

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Synopsis
Historischer Kontext
Deutsche Geschichte (Band 1-3)
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate
Notizen

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Im Zentrum steht die Frage, wie sich das Gefüge Deutschlands aus Spannungen zwischen Zersplitterung und Einheit, Tradition und Erneuerung formt. Ricarda Huchs dreibändige Deutsche Geschichte nähert sich diesem Problem nicht als Bilanz von Daten, sondern als Erzählung einer lebendigen, widersprüchlichen Entwicklung. Die Autorin richtet den Blick auf Kräfte, die Gesellschaften bewegen: Ideen, Institutionen, Charisma und Charakter, aber ebenso Gewohnheiten, Zufälle und Krisen. Daraus entsteht ein Panorama, das Zusammenhänge sichtbar macht, ohne die Reibungen zu glätten. Die Bände laden dazu ein, die Dauer und die Brüche gleichermaßen wahrzunehmen und den historischen Sinn als offene Bewegung zu denken.

Das Werk gehört zur Gattung der historiografischen Darstellung mit literarischem Akzent; sein Schauplatz sind die vielfältigen deutschen Länder und ihre europäischen Verflechtungen. Entstanden und veröffentlicht wurde es im 20. Jahrhundert, als Fragen nach Nation, Kultur und Verantwortung mit besonderer Schärfe verhandelt wurden. In drei Bänden geordnet, folgt Huch den großen Linien politischen, gesellschaftlichen und geistigen Wandels, ohne die Eigenart der einzelnen Epochen zu verlieren. Die Anlage verbindet Überblick und Verdichtung: übergreifende Entwicklungsgeschichten werden mit prägnanten Momentaufnahmen verschränkt. So wird die nationale Geschichte nicht als abgeschlossene Erzählung präsentiert, sondern als zu prüfender Zusammenhang innerhalb eines größeren europäischen Kontextes.

Das Leseerlebnis ist von einer ruhigen, zugleich energiegeladenen Stimme geprägt. Huch schreibt klar, bildkräftig und argumentativ, lässt den Fluss der Ereignisse jedoch nie mechanisch erscheinen. Die Darstellung ist erzählend, aber nicht romanhaft; sie sucht Nähe zu den handelnden Menschen, ohne den analytischen Abstand aufzugeben. Ton und Stimmung wechseln zwischen nachdenklicher Betrachtung und eindringlicher Zuspitzung, je nachdem, ob langfristige Entwicklungen oder wendepunktartige Konstellationen im Mittelpunkt stehen. Leserinnen und Leser begegnen einer Autorin, die ordnet, ohne zu simplifizieren, und urteilt, ohne zu moralisieren. Die Prosa trägt, selbst in dichten Passagen, durch rhythmische Sätze und fein gesetzte Übergänge.

Zentrale Themen durchziehen die Bände: die Ausbildung politischer Ordnungen und ihrer Legitimität; das Verhältnis von Freiheit und Autorität; die Prägekraft religiöser und philosophischer Ideen; die Wechselwirkung von Kultur, Wirtschaft und Staat. Immer wieder tritt die Frage auf, wie kollektive Identität entsteht und wie sie mit Vielfalt vereinbar bleibt. Für heutige Leserinnen und Leser ist das relevant, weil die Darstellung nicht allein nach Erfolgen oder Niederlagen fragt, sondern nach Voraussetzungen, Handlungsspielräumen und Verantwortlichkeiten. Gerade darin liegt ihre Wirkung: Sie schärft den Blick für Ambivalenzen und ermutigt dazu, historische Erfahrungen als Ressource für Gegenwartsurteile zu nutzen.

Huchs Methode verbindet Struktur- und Personengeschichte. Sie zeigt, wie Institutionen Erwartungen formen, und wie einzelne Akteurinnen und Akteure diese Erwartungen bestätigen, unterlaufen oder neu bestimmen. Regionale Unterschiede werden nicht als Abweichungen, sondern als produktive Vielfalt verstanden, aus der sich Spannungen wie Möglichkeiten ergeben. Dabei vermeidet die Darstellung einfache Zielgerichtetheit: Entwicklungen erscheinen als Ergebnis vieler Kräfte, nicht als zwangsläufige Bahn. Die Sprache ist nüchtern, wo es um Fakten geht, und lebendig, wo sie Motive, Stimmungen und Ideen nachzeichnet. So entsteht ein begrifflich klares, doch menschennahes Bild historischer Prozesse. Quellenbezug und Interpretation stehen nicht nebeneinander, sondern greifen ineinander, sodass Argument und Darstellung sich gegenseitig stützen.

Wer heute zu diesen Bänden greift, findet keine schnelle Chronik, sondern eine Schule der Aufmerksamkeit. Die Lektüre verlangt Konzentration und belohnt sie mit Einsichten in Maßstäbe, die über einzelne Ereignisse hinausweisen: Maß und Mitte im Urteil, Sensibilität für Kontinuitäten, Bewusstsein für Kontingenz. Zugleich ist das Werk ein Beispiel dafür, wie wissenschaftlicher Anspruch und literarische Form zusammengehen können, ohne einander zu schwächen. Es zeigt, dass nationale Geschichte weder Selbstfeier noch Selbstanklage sein muss, sondern eine kritisch-verbundene Betrachtung, die Differenzen anerkennt und Gemeinsamkeiten prüfend begründet. Damit eröffnet Huch einen Denkraum, in dem Erinnerung, Urteilskraft und Zukunftssinn miteinander ins Gespräch kommen.

Über die drei Bände entwickelt sich ein weiter Bogen, der große Umbrüche mit stillen Verschiebungen verknüpft und die Dauer der Entwicklungen spürbar macht. Leserinnen und Leser können erwarten, dass wichtige Knotenpunkte sorgfältig entfaltet werden, während verbindende Linien ruhig nachgezogen sind. Die Einteilung ermöglicht es, jeweils einen Schwerpunkt zu setzen und dennoch das Ganze im Blick zu behalten. Das Ergebnis ist eine historisch sensible, stilistisch prägnante Einführung in die Vielgestaltigkeit deutscher Erfahrungen. Wer sich auf diese Stimme einlässt, gewinnt weniger fertige Antworten als eine Haltung, mit der sich Vergangenheit verantwortungsvoll lesen lässt. So wird die Trilogie zur Einladung, das Eigene im Spiegel einer vielschichtigen Geschichte neu zu befragen.

Synopsis

Inhaltsverzeichnis

Ricarda Huchs dreibändige Deutsche Geschichte entfaltet eine breit angelegte Darstellung deutscher Entwicklungen als Zusammenspiel von Politik, Geist und Gesellschaft. Ausgehend von einer Vielfalt an Territorien und Lebensformen untersucht sie, wie Ordnungen entstehen, sich behaupten und wieder zerfallen. Ihr Zugriff verbindet erzählerische Dichte mit quellennaher Beobachtung und charakteristischen Porträts, um Kräfteverhältnisse und Denkstile sichtbar zu machen. Leitend ist die Frage, wie sich in Mitteleuropa unter wechselnden Bedingungen ein Gemeinwesen formt, das weder rein zentralstaatlich noch ausschließlich lokal bleibt. Die Bände folgen der Chronologie, betonen Verknüpfungen und zeigen, wie Entscheidungen aus ihrem zeitgenössischen Horizont heraus verständlich werden.

Zunächst beschreibt Huch die Grundlagen im Alten Reich: die geteilte Souveränität zwischen Kaiser, Reichsständen, Städten und Korporationen, die Bedeutung von Rechtstraditionen und die Wirkung gemeinsamer, wenn auch lockerer, Ordnungsvorstellungen. Sie skizziert wirtschaftliche Netze, städtische Autonomie und landesherrliche Konsolidierung, aber auch die kulturelle Ausstrahlung von Höfen, Universitäten und Klöstern. Die Vielgestaltigkeit erscheint nicht als Zufall, sondern als Strukturprinzip, das Möglichkeiten der Kooperation wie der Blockade eröffnet. In dieser Konstellation formieren sich Identitäten, die über Sprache, Recht und Religion vermittelt werden. So entsteht eine politische Landschaft, die Wandel aufnimmt, ohne ihre fragmentierte Grundlage zu verlieren.

Mit der Reformation rückt die religiöse Spaltung und ihre politische Verflechtung in den Mittelpunkt. Huch zeigt, wie theologische Konflikte Institutionen, Bildungswesen und Öffentlichkeit umgestalten, während Druckerpresse und Predigt neue Kommunikationsräume öffnen. Die Festigung konfessioneller Ordnungen führt zu Disziplinierungsstrategien, aber auch zu kultureller Blüte und regionalen Besonderheiten. Dabei bleibt das Zusammenspiel von Reichsrecht, landesherrlicher Kirchenhoheit und städtischer Selbstverwaltung prägend. Die Konfessionalisierung konsolidiert Territorien, verschärft jedoch Konkurrenz und Misstrauen. Zugleich entstehen Formen praktischer Verständigung, aus denen politische Routinen und Kompromisse erwachsen, die den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte maßgeblich beeinflussen.

Der Dreißigjährige Krieg erscheint als Zäsur, in der religiöse, dynastische und machtpolitische Motive ineinandergreifen. Huch zeichnet die Eskalationslogik von Bündnissen, Interventionen und Kriegsökonomien nach und verdeutlicht die sozialen, demografischen und kulturellen Verwüstungen. Der Westfälische Friede bringt eine Neujustierung: geklärte Souveränitätsrechte der Stände, eine belastbare rechtliche Friedensordnung und erweiterte Spielräume diplomatischer Verständigung. Dabei wird die dauerhafte Pluralität der politischen Einheiten bestätigt. Huch betont die Resilienz lokaler Strukturen und die langsame Rückkehr von Produktion, Bildung und religiöser Koexistenz. Aus der Katastrophe heraus formiert sich ein langfristiger Ordnungsrahmen, der Konflikte bändigt, ohne sie vollständig aufzulösen.

Im Zeitalter von Aufklärung und Reform verlagert sich der Schwerpunkt auf Verwaltung, Recht und öffentliche Debatte. Huch beschreibt den Ausbau staatlicher Kapazitäten, Kameralismus und die Professionalisierung von Justiz und Schule, zugleich die Wirkung philosophischer Ideen, Pietismus und gelehrter Gesellschaften. Literatur und Wissenschaft öffnen neue Horizonte, während Hofkultur und bürgerliche Öffentlichkeit nebeneinander bestehen. Die Modernisierung bleibt ungleich verteilt, fördert jedoch Mobilität, Bildungsaufstieg und die Vorstellung allgemeiner Nützlichkeit. Huch zeichnet nach, wie sich ein reformorientiertes Denken Bahn bricht, das Tradition respektiert, aber Verfahren standardisiert, Zuständigkeiten klärt und Leistungsfähigkeit als Maßstab politischer Legitimation etabliert.

Die Revolutionen in Frankreich und die napoleonische Expansion setzen eine tiefgreifende Umgestaltung in Gang. Huch verfolgt Mediatisierungen, die Auflösung alter Strukturen und neue Bündnissysteme ebenso wie die administrative Erneuerung vieler Territorien. Die Kriege mobilisieren Ressourcen und Nationalgefühle, während Rechts- und Wirtschaftsreformen Handlungsspielräume erweitern. Nach 1815 stabilisieren Föderation und Restauration den Rahmen, doch der Gedanke politischer Partizipation bleibt lebendig. Öffentlichkeiten differenzieren sich, Vereine und Presse gewinnen Bedeutung. Huch zeigt, wie Sicherheitsinteressen, staatliche Effizienz und Forderungen nach Rechten in Spannung geraten und so die Agenda der folgenden Jahrzehnte vorbereiten.

Im Vormärz verdichten sich soziale und politische Fragen: Industrialisierung, ländliche Not und städtisches Wachstum fördern neue Konfliktlinien. Huch zeichnet den Weg zu 1848 über Kommunikationsnetze, juristische Debatten und kulturelle Symbole der Einheit. Die Revolution bringt konstitutionelle Entwürfe und die Suche nach einer tragfähigen nationalen Ordnung. Die Beratungen über Grundrechte, Föderalismus und Exekutivgewalt offenbaren unterschiedliche Staatsverständnisse. Das Scheitern der Pläne erklärt Huch aus widersprüchlichen Interessen, Machtkalkülen und fehlender Durchsetzungskraft, ohne die Ideen preiszugeben. Die Erfahrungen hinterlassen Institutionen, Erwartungen und Frustrationen, die die Politik der nächsten Jahre prägen.

Die Einigung erfolgt in Etappen: Konflikte zwischen Großmächten, Bündnispolitik und Kriege führen zu einer föderalen Reichsgründung. Huch beschreibt die Ausbildung einer Verfassungsordnung, in der monarchische Führung, parlamentarische Elemente und Länderrechte austariert werden. Innenpolitisch prägen Kulturkämpfe, Sozialgesetzgebung und wirtschaftlicher Aufschwung den neuen Staat, begleitet von rascher Urbanisierung, Wissenschaftsdynamik und globalen Verflechtungen. Regionale Unterschiede bleiben spürbar, doch gemeinsame Institutionen schaffen Handlungsfähigkeit. Huch zeigt das Spannungsfeld von Integration und Ausgrenzung, von politischer Steuerung und gesellschaftlicher Selbstorganisation, ohne die Vielfalt an Interessen und Milieus aus dem Blick zu verlieren.

Abschließend verdichtet Huch die längerfristigen Linien: die beharrliche Wirksamkeit rechtlicher Formen, die produktive, aber riskante Kraft von Pluralität und die wiederkehrende Spannung zwischen Freiheit und Ordnung. Ihre Darstellung legt nahe, Geschichte als Prozess verantworteter Entscheidungen zu begreifen, in dem Ideen, Institutionen und Lebenswelten einander bedingen. Die zentrale Aussage zielt auf ein Verständnis von Nation als kultureller und politischer Aufgabe, nicht als bloße Machtformel. Dadurch werden Kontinuitäten und Brüche sichtbar, ohne sie zu simplifizieren. Die Trilogie bietet so eine nüchterne, anschauliche Orientierung über Wege und Möglichkeiten deutscher Entwicklung innerhalb wechselnder europäischer Konstellationen.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

Ricarda Huchs dreibändiges Werk Deutsche Geschichte entfaltet seine Darstellung vornehmlich in den deutschsprachigen Territorien Mitteleuropas: im Gefüge des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation mit seinen Kurfürstentümern, Reichsstädten, geistlichen Fürstentümern und später in den Verbünden des 19. Jahrhunderts. Zeitlich spannt es den Bogen von der Reformation und der folgenden Konfessionalisierung über die Zäsur des Dreißigjährigen Krieges und die Staatsbildung der Frühen Neuzeit bis zu den Umwälzungen der Napoleonischen Ära, der Restauration und den liberal-nationalen Bewegungen. Im Zentrum stehen Orte wie Wittenberg, Augsburg, Prag, Münster/Osnabrück, Königsberg, Leipzig, Frankfurt am Main, Berlin und Wien, deren Ereignisse das politische und soziale Profil Deutschlands prägten.

Die Reformation setzte 1517 mit Luthers Thesenanschlag in Wittenberg ein, kulminierte in Reichstagen (Worms 1521; Augsburg 1530) und führte zum Schmalkaldischen Krieg (1546–1547) sowie zum Augsburger Religionsfrieden (1555), der das Prinzip cuius regio, eius religio festschrieb. Konfessionelle Spaltungen strukturierten Herrschaft, Bildung und Alltagskultur in Reichsstädten und Fürstentümern. Huch verknüpft diese Fakten mit einer Analyse der politischen Selbstbehauptung von Territorien und städtischen Gemeinwesen. Sie betont, wie religiöse Umbrüche soziale Ordnung und Rechtskultur veränderten, und macht deutlich, dass Legitimationskonflikte zwischen Kaiser, Reichsständen und Untertanen langfristige Linien deutscher Verfassungsgeschichte und Freiheitsdiskurse eröffneten.

Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648), ausgelöst durch die Prager Fensterstürze, verwüstete zentrale Regionen des Reiches. Schlüsselereignisse waren die Schlacht am Weißen Berg (1620), der schwedische Kriegseintritt unter Gustav II. Adolf (1630), Lützen (1632), Nördlingen (1634) und schließlich der Westfälische Friede (Münster/Osnabrück, 1648), der die Souveränität der Reichsstände und die Gleichberechtigung der großen Konfessionen verankerte. Bevölkerungs- und Wirtschaftseinbrüche prägten weite Landstriche. Huch bindet diese Daten an eine eindringliche Darstellung staatlicher und gesellschaftlicher Erosion sowie moralischer Entscheidungsnöte. Über Charakterbilder – auch in verwandten Arbeiten wie ihrer Wallenstein-Biographie – zeigt sie Machtpolitik, Kriegsökonomien und die dauerhafte Fragmentierung als Kernprobleme deutscher Entwicklung.

Auf den Krieg folgte die Verdichtung territorialer Herrschaft. In Brandenburg-Preußen schuf der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640–1688) stehendes Heer und Steuerbasis; 1701 krönte sich Friedrich I. in Königsberg zum König in Preußen. Unter Friedrich II. (1740–1786) erhob der Erwerb Schlesiens in den Schlesischen Kriegen (1740–1745) und der Siebenjährige Krieg (1756–1763) Preußen zur Großmacht. Parallel reformierten die Habsburger (Maria Theresia, Joseph II.) Verwaltung, Bildung und Rechtswesen. Huch stellt diese Macht- und Verwaltungsgeschichte den Traditionen städtischer Selbstverwaltung und landschaftlicher Mitbestimmung gegenüber und diskutiert, wie Militär- und Kameralstaaten Freiheitsspielräume einengten, zugleich aber Modernisierungsschübe auslösten.

Die napoleonische Ära zerschlug das Alte Reich: Der Reichsdeputationshauptschluss (1803) mediatierte und säkularisierte, 1806 legte Kaiser Franz II. die Krone nieder; der Rheinbund entstand. Preußens Niederlage bei Jena-Auerstedt (1806) leitete Reformen ein: Oktoberedikt (1807) zur Aufhebung der Erbuntertänigkeit, Städteordnung (1808), Militärreformen (Scharnhorst), jüdisches Emanzipationsedikt (1812). Nach der Völkerschlacht bei Leipzig (1813) formte der Wiener Kongress (1814/1815) die Ordnung Europas und den Deutschen Bund. Huch verknüpft diese Zäsuren mit der Entstehung moderner Staatlichkeit und Bürgerrechte, betont aber die Ambivalenz einer Nationalidee, die zwischen Freiheitsversprechen und neuer Machstaatlichkeit oszillierte.

Die Restauration unter Metternich stabilisierte den Deutschen Bund (1815), unterdrückte jedoch liberale Bewegungen: Die Karlsbader Beschlüsse (1819) verschärften Zensur und Überwachung. Zugleich schufen soziale und wirtschaftliche Verdichtungen – Industrialisierung, Infrastruktur – neue Öffentlichkeit; der Zollverein (1834) beschleunigte ökonomische Integration. Marksteine des Vormärz waren das Hambacher Fest (1832) und der Protest der Göttinger Sieben (1837). Huch stellt diese Fakten in den Rahmen eines wachsenden bürgerlichen Selbstbewusstseins, das über Vereine, Presse und Universitäten Verfassungsstaatlichkeit einforderte. Sie zeigt, wie die Diskrepanz zwischen wirtschaftlicher Dynamik und politischer Repression die revolutionäre Konjunktur vorbereitete.

Die Revolution von 1848/49 begann nach Februar 1848 in Paris im Deutschen Bund mit Märzforderungen; in Berlin kam es am 18./19. März zu Barrikadenkämpfen, in Wien zum Sturz Metternichs. Die Nationalversammlung in der Paulskirche (Mai 1848) entwarf Grundrechte und die Paulskirchenverfassung (März 1849). Die Kaiserkrone wurde Friedrich Wilhelm IV. angeboten (April 1849) und abgelehnt; militärische Interventionen zerschlugen Aufstände. Olmütz (1850) besiegelte preußisches Nachgeben; dennoch führte der Konflikt 1866 (Königgrätz) zur kleindeutschen Lösung und 1871 zur Reichsgründung in Versailles. Huch interpretiert 1848 als moralischen Prüfstein: Sie akzentuiert Spannungen zwischen nationaler Einheit, föderaler Vielfalt, sozialer Frage und verfassungspolitischer Konsequenz – und die Folgen ihrer Verfehlung.

Das Werk wirkt als politische Gesellschaftskritik, indem es Herrschaftsformen am Maßstab von Recht, Gewissen und Gemeinwohl prüft. Huch legt die Kosten von Konfessionszwang, Adelsprivilegien, Leibeigenschaft, Militarisierung und Zensur offen und betont die prekäre Lage der Untertanen, Bürger und Bauern in Kriegs- und Krisenzeiten. Indem sie die föderale Pluralität des Alten Reiches und die bürgerlichen Freiheitsbewegungen ernst nimmt, kritisiert sie implizit autoritäre Zentralisierung und machtstaatliche Ideologien. Ihre dichte Faktendarstellung macht strukturelle Probleme der Epoche – soziale Ungleichheit, Rechtsunsicherheit, politische Exklusion – sichtbar und fordert eine Ordnung, die Freiheit, Verantwortung und historisches Gedächtnis verbindet.

Deutsche Geschichte (Band 1-3)

Hauptinhaltsverzeichnis
Erster Band Römisches Reich Deutscher Nation
Zweiter Band: Das Zeitalter der Glaubensspaltung
Dritter Band: Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation

Erster Band Römisches Reich Deutscher Nation

Inhaltsverzeichnis
Römisches Reich Deutscher Nation
Bonifatius
Die ersten Karolinger und die Päpste
Karl der Große
Die Deutschen und das Christentum
Das Kloster
Der Adel
Die Ottonen
Bischöfe
Frauen
Der Norden
Imperatoren
Heinrich IV. und Gregor VII.
Heinrich IV. und die Städte
Welfen und Staufer
Kaiser und Papst
Ausgang
Die Kreuzzüge
Die Kolonisation
Die letzten Hohenstaufer
Kaufleute
Städte
Die Juden
Die Juden und der Wucher
Ketzer
Die heilige Elisabeth und der Deutsche Orden
Geistiges Leben
Albert Magnus
Der Rheinische Bund
Stedinger, Friesen, Dithmarschen
Schlachten
Die Eidgenossenschaft
Der falsche Friedrich
Ludwig der Bayer
Sprache und Nationalität
Die Mystiker
Karl IV.
Territorialfürsten
Österreich
Zunftkämpfe
Städtebünde
Das Konzil zu Konstanz
Die Hanse
Siegmund im Reich und im Osten
Die Reformation des Kaisers Siegmund
Gutenberg
Untergang des Deutschen Ordens
Die Auflösung

Römisches Reich Deutscher Nation

Inhaltsverzeichnis

Das Römische Weltreich liegt in Trümmern, aber es ist nicht tot[1q]. Es lebt ein gesteigertes Leben, seit es nicht mehr Wirklichkeit ist; denn es ist Idee geworden. Einem Liede gleicht es, das in das Ohr eines Schlafenden dringt und ihm wunderbare Träume erzeugt. Nichts, das man am Tage hört, tönt so laut, so hinreißend; erinnert man sich wachend seiner auch nicht deutlich, so bleibt man doch seiner unvergleichlichen Schönheit bewußt, die ewige Sehnsucht erregt. Es hob das Herz wie ein Schlachtgesang, strahlend von Majestät und Triumph, es durchbohrte das Herz mit feierlicher Trauer wie ein Choral. Weltherrschaft und Christentum waren darin verschmolzen, Imperium sine fine dedi[1] – Endlos daure das Reich, das ich gab. Die Verkündigung Jupiters, des Vaters der Götter und Menschen, durch die Virgil[3] dem Römerreich unendliche Dauer verheißt, schlug in einen gewaltigen Akkord zusammen mit den Worten des Herrn, auf welche die Kirche ihren Anspruch auf Unvergänglichkeit gründet: Tu es Petrus[2] – Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Götterworte übten bindenden Zauber, beugten die siegreichen Söhne Germaniens unter Rom in Trümmern.

Manche von den Germanen hatten Rom gedient, manche hatten sich ihm unterworfen, andere es bekämpft, es besiegt, alle glaubten an das Römische Reich. Es war eine von Gott errichtete Ordnung, von Gott dadurch beglaubigt, daß er innerhalb dieses Reiches Fleisch geworden war, außerhalb dessen das Chaos der Heidenwelt brandete, und Rom war sein Haupt. Roma sancta, Roma aeterna. Es war der Sitz der Cäsaren gewesen, es war jetzt der Sitz der Päpste, es konnte verfallen und veröden, es blieb der magische Punkt, durch den die Erde mit den Göttern verbunden war. Die Germanen waren reich an Gegenwart und Zukunft, aber Rom, wenn es auch darniederlag, besaß einen Schatz über alle Schätze, es besaß geformte Vergangenheit. Alte Kultur ist Schwerkraft, die den Menschen unwiderstehlich anzieht; je näher er der Natur steht, desto williger beugt er sich ihrem vergilbten Glanze. Verschiedene germanische Völker gründeten Reiche, die überraschend aufblühten, einige vergingen so rasch, wie sie entstanden waren, alle glaubten ohne Wurzel im Zufälligen der eigenen Kraft zu schweben, bis sie unvergänglich göttlichen Rechtsgrund im Römischen Weltreich fanden.

Bonifatius

Inhaltsverzeichnis

Selten ist es den Menschen vergönnt, aus eigenem Geiste eine Tat von dauernder Bedeutung zu tun; ein dazu Auserwählter war Winfried Bonifatius[4], der die Kirche des Frankenreiches dem Papst unterwarf. Wieviel Umwälzendes die Jahrhunderte den britischen Inseln gebracht haben, der Angelsachse des 8.Jahrhunderts war dem Engländer der neuen Zeit ähnlich: tatkräftig, sachlich, streng kirchlich, ohne fromm zu sein, großartig in seinen Entwürfen, im Organisieren, so daß man den jungen Mönch des Klosters Nutscelle[5] gern zu diplomatischen Geschäften verwendete. Es würde ihm an Ehren und Einfluß in der Heimat nicht gefehlt haben; aber ihn bewegten größere Gedanken. Er ging aus von dem Wunsche, die Friesen zu bekehren, nichts Fernliegendes für ihn, denn von den Iren und Angelsachsen war größtenteils die Mission unter den germanischen Stämmen des Festlandes ausgeführt worden. Die keltischen Iroschotten, die Ureinwohner der Inseln, gehörten der alten britischen Mönchskirche an, die den Verfall des Römischen Reiches überdauert hatte, die Angelsachsen der von Papst Gregor I. gepflanzten bischöflichen Kirche. In der britischen Mönchskirche bestanden allerlei von der Papstkirche abweichende Gebräuche, wie daß die Ehelosigkeit der Geistlichen bei ihnen kein Gebot war, hauptsächlich aber waren sie, wenn sie auch mit dem römischen Papst in Beziehung standen, doch unabhängig von ihm, indem der Begriff der Fortpflanzung der göttlichen Priesterweihe durch den römischen Bischof bei ihnen nicht galt. Die Geringschätzung, mit welcher die Angelsachsen auf die Mönchskirche herabsahen, hatte vermutlich ihren Grund mehr darin, daß sie überhaupt die unterworfene Rasse verachteten, als in den Eigenheiten ihrer Verfassung. Mangel an Bildung konnte man den Iroschotten kaum vorwerfen, die sogar Griechisch verstanden und lehrten; es war wohl mehr etwas Regelloses, Schweifendes, Phantastisches in ihrem Wesen, was die Angelsachsen abstieß. Der sächsische Stolz war bei den Angelsachsen noch gesteigert; Winfried war von vornehmer Abkunft, dazu persönlich durch das Machtgefühl eines überragenden Geistes und unbeugsamen Charakters gehoben. Die Bekehrung der Friesen war eine Aufgabe der Zeit, zuerst vom Erzbischof von York versucht, der bei einer Romreise an die friesische Küste verschlagen war, während der Frankenherrscher Pipin von Heristall[6] und dessen Sohn Karl sie mit dem Schwert zu unterwerfen trachteten. Der kriegerische Angriff verdoppelte die Widerspenstigkeit der Friesen gegen die Glaubensboten; denn der neue Gott stellte sich offensichtlich dar als der Gott von Feinden, die ihrer Freiheit nachstellten. Ein Sieg Pipins hatte zunächst Erfolg: der Friesenhäuptling mußte einen Teil seines Landes abtreten und eine Tochter einem Sohne Pipins, Grimsald[7], zur Frau geben. Der angelsächsische Missionar Willibrord war Pipin als Gehilfe willkommen, er gründete das Kloster Echternach[8], stellte sich dem römischen Papst vor und wurde von diesem zum Erzbischof von Utrecht geweiht, demselben Ort, wo Radbod[9], der Friesenhäuptling, seinen Sitz hatte. Dieser rasche Erfolg war nicht von Dauer: Grimsald wurde auf der Reise zu seinem erkrankten Vater in der Kirche von Lüttich von einem Friesen ermordet, der, wie man glaubte, ein Beauftragter Radbods war. Als bald darauf Pipin starb, fiel das eroberte Gebiet ab. So war die Lage, als Winfried, etwa fünfunddreißig Jahre alt, sich dem verschütteten Werk zu weihen beschloß. Er fuhr nach Friesland hinüber und hatte eine Unterredung mit Radbod; dabei muß er den Eindruck unüberwindlichen Widerstandes empfangen haben, denn er kehrte bald in sein Kloster zurück, nicht um seinen Plan aufzugeben, sondern um ihn anders anzupacken. Winfried war nicht ein Glaubensbote, wie Columban, Gallus, Pirmin gewesen waren, die das Feuer ihres Glaubens auf die Heiden zu übertragen wußten, die Mensch und Tier durch die fremde Rede bezauberten, auch mit der Faust dreinschlugen, wenn das Wort nicht verfing; Winfried war ein Aristokrat, dem es mehr auf Kultur als Religion ankam, den das Ungeordnete mehr beleidigte als das Unchristliche. Als ein rechter Engländer sah er die Religion als Teil der staatlichen Ordnung an und beschloß, sein Bekehrungswerk nicht als ein Abenteurer gleichsam von unten aus im Herzen des Volkes, sondern von oben und außen her, als Organisation an die Hand zu nehmen, ausgehend von der Spitze der Kirche, dem römischen Papst. Nachdem er die eben erhaltene Abtswürde niedergelegt hatte, ging er nach Rom, um sich vom Papst die Vollmacht zur Missionspredigt zu holen. Auch die Romreise war etwas Zeitgemäßes, sie wurde von den britischen Inseln aus mit Vorliebe unternommen. Geistliche und weltliche Personen, männliche und weibliche folgten dem Zuge nach der Hauptstadt der Welt, nach dem heiligen Sonnenlande. Dort war, wie in unseren Tagen, eine Kolonie von Fremden, dort machte man interessante Bekanntschaften, dort trank man, gelöst vom Alltag, aus einem Lebensstrome, der über fabelhaften Ruinen voller als anderswo rauschte. Die vier Päpste, die Bonifatius erlebte, Gregor II., Gregor III., Zacharias und Stephan III., waren ihm gegenüber die Lässigeren, wenn sie auch auf seinen Plan, die fränkische Kirchenhierarchie aufzubauen, willig eingingen. Als Haupt der Christenheit sich fühlend, mochten sie denken, die Barbarenreiche würden ihnen ohnehin einmal als zeitige Frucht in den Schoß fallen, zum Teil waren sie mittelmäßige Leute, die nicht den immertätigen Geist des großen Angelsachsen hatten. Die Eigenschaften und Zustände des Nordens waren ihnen wenig bekannt, die Schärfe der Abneigung Winfrieds gegen die irischen Mönche und ihre Mission, gegen die verweltlichten fränkischen Bischöfe fühlten sie nicht mit. Andererseits waren sie gewöhnt, von den germanischen Christen als Schiedsrichter und Wissende in unzähligen Fragen des Staates, der Kirche, der Sitte angerufen zu werden. Sie waren die Inhaber der Tradition, von ihnen glaubte man erfahren zu können, was gültig war. Nachdem Winfried dem Papst Gregor II. förmlich gehuldigt und von ihm einen Kodex des kanonischen Rechtes empfangen hatte, unterwarf sich der stolze Sachse dem Urteil des römischen Bischofs mit erstaunlicher Selbstüberwindung. In den meisten Fällen waren die Entscheidungen der Päpste so verständig, daß sie ohne weiteres einleuchteten; aber in dem kanonischen Gesetz zum Beispiel, wonach geistliche Verwandtschaft, nämlich die Patenschaft bei demselben Kinde, ein Ehehindernis bildet, konnte er, obwohl er sich Mühe gab, begreiflicherweise keinen Sinn finden. Wie sollte er denen, die unter dieser Bestimmung zu leiden hatten, den Grund ihres Leidens begreiflich machen? Da der Papst darauf bestand, schluckte er den Bissen ohne Sinn hinunter. Wenn es seinen Begriff von Religion anging, wenn er sah, wie in Rom heidnischer Aberglaube ungerügt sein Wesen trieb, konnte er aber auch die Unterwürfigkeit abwerfen und den Papst wegen seiner unzeitigen Duldsamkeit abkanzeln, wie wenn er der Herr wäre. Ausgestattet mit der Vollmacht des Papstes hat der Apostel in Thüringen und Hessen das heidnische Volk bekehrt, Klöster gegründet und mächtig die heiligen Eichen vor den entsetzten Augen ihrer Verehrer gefällt; aber die Organisation und die Belehrung der Gebildeten lagen ihm mehr. Für diese hatte seine Erscheinung etwas Blendendes, namentlich für die gebildete oder nach Bildung strebende Jugend. Als er auf seinen Reisen im Nonnenkloster Pfalzel bei Trier einkehrte, dessen Äbtissin eine Enkelin des Merowingerkönigs Dagobert II. war, bestand ihr fünfzehnjähriger Enkel Gregor darauf, dem Fremden zu folgen; ebenso schloß sich ihm der junge Bayer Sturm an. Die Jugend wußte sich nichts Schöneres, als diesem Manne, der unentwegt ein hohes Ziel verfolgte, der alles Niedrige verabscheute, und der durch Niedriges unberührbar zu sein schien, zu dienen. Am liebsten waren ihm als Mitarbeiter seine Landsleute, die auf seinen Wink begeistert aus den angelsächsischen Klöstern herbeiströmten. Unter ihnen war eine Verwandte, Lioba[10], deren Mutter, während sie schwanger war, geträumt hatte, sie trage eine Glocke unter dem Herzen, die zu läuten beginne. Da sie klug und begabt war, sich lieber mit Lesen, Schreiben und Dichten als mit Handarbeit beschäftigte, übergab man sie einem Kloster; Bonifatius machte sie zur Äbtissin des Klosters Tauberbischofsheim. Man liebte sie wegen ihrer zarten Lieblichkeit; doch ging sie festen Schrittes ihren einsamen Weg. Seinen Jüngern gegenüber war Winfried ein gütiger, wenn auch viel fordernder Herr, gegen die, welche sich ihm nicht unterwarfen oder die er als schädlich ansah, war er ein unnachgiebiger Verfolger. Er haßte die hohen Geistlichen, die, wie das bei den Franken nicht selten war, ein weltliches Leben führten, und diejenigen, die den römischen Kanon verwarfen oder irgendwie von ihm abwichen. Was für Kämpfe und Ränke stattfanden, ist uns nicht im einzelnen überliefert; aber gewiß ist, daß seine Bestrebungen auf mancherlei Widerstand stießen. Es war leichter, in den noch heidnischen Gegenden Klöster zu gründen, dort geeignete Vorsteher einzusetzen, Kirchen zu bauen, als da, wo sich schon eigenartiges Leben in Kirchen und Klöstern entfaltet hatte, dies in eine einheitliche Ordnung einzubinden. Gewald, Erzbischof von Mainz, hatte Karlmann, den Bruder Pipins, der mit diesem gemeinschaftlich regierte, in den Sachsenkrieg[14] begleitet und war gefallen. Dessen Sohn Gewilieb, beim Tode des Vaters Laie, empfing rasch die Weihen, um sein Nachfolger werden zu können; sein Leben änderte er deswegen nicht. Der neu ausbrechende Krieg gab ihm Gelegenheit, seinen Vater zu rächen: er forderte den Sachsen, der Gewald getötet hatte, zu einer Unterredung auf, und als der Gerufene erschien, brachte er ihn um. Winfried fand, daß Krieg und Mord kein Geschäft für christliche Bischöfe sei; aber die fränkischen Bischöfe waren gewohnt, ihre Würde als ein königliches Amt zu betrachten, dessen kirchliche Seite nur die zufällig Frommen pflegten. Schließlich setzte Winfrieds Eifer durch, daß Gewilieb auf einer Synode abgesetzt wurde; bestraft wurde er nicht, sondern setzte sein weltlich prächtiges Leben auf seinen Gütern fort. Auch die Gegner der Lehre und der Organisation warf Bonifatius nach langen Kämpfen mit Härte nieder, nur mäßig unterstützt vom Papst und von den fränkischen Herrschern.

Karl Martells Großtat, die Zurückwerfung der Sarazenen nach Spanien[12], machte ihn zum Helden des germanisch-romanischen Abendlandes, die Kirche betrachtete ihn, der gewalttätig mit dem Kirchengut geschaltet hatte, um seine Gefolgsleute belohnen zu können, mit scheuer Abneigung. Winfried ließ sich einen Schutzbrief von ihm ausstellen, da er einsah, daß sich ein solcher in strahlenden Taten ausgeprägter Ruhm nicht übersehen ließ und daß es klüger sei, ihn zur Befestigung der eigenen Stellung zu benützen; aber die beiden Großen waren zu anders geartet und hatten zu verschiedene Wege vorgeschaut, als daß sie sich freundschaftlich hätten berühren können. Wenn Winfried den Hof mied, tat er es sicher nicht, um den Verführungen auszuweichen, die für ihn keine waren, sondern um als ein Herr nicht dem Herrscher begegnen zu müssen, der sich als den Höheren betrachtet hätte, und der sicher der Mächtigere war. Als lange nach Winfrieds Tode seine Freundin Lioba einer dringenden Einladung der Kaiserin Hildegard folgte, bat die Äbtissin ihre freundliche Gastgeberin, indem sie sie unter Tränen umarmte, sie sofort wieder zu entlassen; so sehr wirkte Winfrieds Verhältnis zu den fränkischen Herrschern im Herzen der ihm Ergebenen nach. Ausschalten ließ sich die Mitwirkung der Herrscher bei den kirchlichen Dingen nicht, sie beriefen die ersten großen Synoden, die auf Anregung des Bonifatius stattfanden. Als auf einer Synode des Jahres 747 die anwesenden Bischöfe und Geistlichen die Metropolitanverfassung annahmen, eine Urkunde über den orthodoxen Glauben ausstellten und sie dem Papst übersandten, konnte er sein Ziel als erreicht betrachten. Die Einheit der Kirche im Aufbau und im Glauben unter dem Papst war hergestellt.

Trotzdem war der stolze Mann nicht befriedigt. Tiefe Traurigkeit lastete oft auf ihm wie ein körperlicher Schatten. Er fühlte sich im Bezirk seiner Wirksamkeit in der Fremde, angefeindet, nicht richtig gewertet. Sein Wunsch, das Erzbistum Köln zu erlangen, wo er den Friesen nahe gewesen wäre, wurde ihm nicht erfüllt, weil die dortige hohe Geistlichkeit ihn ablehnte, anstatt dessen bekam er Mainz, das er nicht gewollt hatte. Mehr hing sein Herz an dem Kloster Fulda[11], das er selbst gegründet und dem Papst unmittelbar unterstellt hatte, womit jede Möglichkeit königlicher Eingriffe ausgeschaltet war. In dieser Anstalt sollte die strenge Regel des heiligen Benedikt herrschen, nach welcher das Kloster einen selbständigen Wirtschaftsbezirk zu bilden hatte, wo alle erforderliche Arbeit von den Klosterbrüdern selbst, ohne Hilfe dienender Laien geleistet würde. Der Ort, wo später das Kloster Hersfeld entstand, den Winfrieds Schüler Sturm zuerst ausgewählt hatte, erschien ungeeignet, weil zu nah am heidnischen Gebiet gelegen; so wanderte der Abgesandte weiter durch sommerliche Buchenwälder, bis ihn eines Tages ein Tal von besonderer Lieblichkeit fesselte. Da war der Boden wie eine Wiege gestaltet, die den Menschen hegend umfassen will, und Hügel und sanfte Bergkuppen zogen einen schützenden Ring darum; da führte ein geselliger Fluß das klare Wasser herbei, das fast wie die Luft zur Erhaltung des Lebens notwendig ist, da gab es außer dem Holz der Wälder Basalt und Sandstein als Material zum Bau des Gotteshauses. Nachdem Karlmann, damals noch Regent in Oberhessen, das gewünschte Gebiet geschenkt hatte, wurde die Errichtung des Klosters in Angriff genommen. Von einem Hügel herab sah Winfried, alternd und zuweilen der unbequemen Reisen, der bitteren Kämpfe und der eigenen Leidenschaften müde geworden, den emsigen Männern zu und dem Erwachsen des kleinen Reiches, wo er für eine Zeitlang wenigstens Zuflucht und Heimat und bald vielleicht die ewige Ruhe finden würde. Von der alten Kirche und dem alten Kloster, die seine Augen sahen, ist nichts übriggeblieben, das festliche Barock des heutigen Doms ist unendlich fern von dem ernsten, glühenden, weltüberwindenden Geist der Stifter des ersten. Einzig die karolingische Rotunde der Michaeliskirche, einsamer Fremdling, der in unverständlicher Zunge redet, hat eine Spur davon erhalten.

Als Winfried etwa siebzig Jahre alt war, körperlich sehr hinfällig, mit schneeweißem Haare, so schildert ihn einer, der ihn damals sah, ergriff ihn wieder der Wunsch seiner Jugend, den Friesen das Wort Gottes zu predigen. Er hatte damals den Plan zugunsten eines anderen aufgegeben, aber es scheint, daß er ihn nie aus den Augen verloren hatte. Vielleicht betrachtete er die Friesen als einen besonders nahverwandten Stamm und ihr Land als seinem Volke besonders zugehörig; denn von dort sollen die Angelsachsen ausgezogen sein, um Britannien zu erobern, worauf die Friesen in das verlassene Gebiet eindrangen. Damals hatte er eben das Mannesalter erreicht, und sein Werk lag vor ihm, er wollte das Leben erhalten, das seinem Werke geweiht war; jetzt war es anders. Sein Werk war getan und sollte gekrönt werden durch den Märtyrertod. Die, welche die Nachfolge des Herrn gelobt hatten, sehnten sich danach, zu sterben wie er, gleichsam mit ihm, wie Gefolgsleute mit ihrem Herzog. Trotzdem zog er nicht aus wie ein einfacher Glaubensbote, der mit keinem anderen Schild als seinem Glauben sich in den Rachen der Hölle wagt; sondern er reiste als der Kirchenfürst, der Legat des Papstes, umgeben von einem zahlreichen bewaffneten Gefolge, mit allerlei Reisegepäck, auch Büchern, als der höchste Geistliche Germaniens, der sich einer entfernten, noch unsicheren Gemeinde zeigen will. Zugleich aber, entsprechend der zwiefachen Richtung seines Geistes, schickte er sich an wie zum gewissen Tode, als wisse er, daß der Tod seit dem Anfang seines Lebens dort an der friesischen Küste stände und ihn erwartete. Bevor er abreiste, nahm er in Mainz Abschied von seinen Getreuen und ließ auch Lioba kommen, um sie noch einmal zu sehen und seinen Freunden zu empfehlen. Er traf die Bestimmung, daß er in Fulda bestattet sein wolle, und daß, wenn Lioba einst gestorben sein würde, ihr Leichnam zu dem seinigen in seinen Sarg gelegt werde. Die er im Leben sich ferngehalten hatte, getreu dem strengen Gebot, dem er sich unterstellt hatte, riß er im Tode an sich, in seinem herrischen Sinn sicher, daß sie so oder so die Seine war, ihm folgend in der Entsagung, ihm folgend im besten Eins werden der Liebe. Dies Hervorflammen einer ein Leben lang zurückgehaltenen Leidenschaft mochte für die Jünger des alten Mannes etwas Erschreckendes haben; sie schwiegen, aber sie getrauten sich nicht, als Lioba gestorben war, seinen Befehl auszuführen. Jedoch hielten sie die zarte Freundin des Heiligen so hoch, daß ihr als der einzigen Frau gestattet wurde, im Kloster Fulda als Gast empfangen zu werden. Sie wurde auf dem Petersberge beigesetzt; während Winfrieds Leiche, wie ungern auch Mainz auf die Überreste seines großen Erzbischofs verzichtete, seinem Willen entsprechend nach Fulda überführt und in der Kirche des Klosters bestattet wurde. Die Bibliothek bewahrt das aus dem Domschatz übernommene Buch auf, mit dem Bonifatius in unwillkürlicher Bewegung wie mit einem Schild den Streich des Mörders abzuwehren suchte, und das die Spuren des ihm geltenden Schwerthiebes trägt.

Denn der Erzbischof fand mit 52 Begleitern den ersehnten Tod; es war, als wenn der Himmel, der dem ordnenden Herrscher beigestanden hatte, auch seinen Opfermut bestätigen wollte. Die Sonne eines heiteren Sommermorgens war eben aufgegangen, und Bonifatius erwartete bei seinen Zelten friesische Christen zur Firmung, als eine Schar friesischer Männer die Fremden überfiel, wahrscheinlich mehr von Raublust als von Glaubenshaß angetrieben. Eine Frau berichtete später, daß sie gesehen habe, wie der Erzbischof, den Arm mit dem Buch erhoben, den Todesstreich empfing.

Die ersten Karolinger und die Päpste

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Bei der Bekämpfung der Araber hatte Karl Martell die Langobarden zu Bundesgenossen. Die guten Beziehungen zu diesem germanischen Volke zu pflegen war natürlich, und Karl hielt an der langobardenfreundlichen Politik auch dann fest, als sich ihm Gelegenheit bot, eine entgegengesetzte zu verfolgen. Es geschah nämlich, daß der Langobardenkönig Aistulf den großen Gedanken faßte, seine Herrschaft über ganz Italien auszubreiten, von dem außer Rom nur ein Zipfel im Süden und Venedig im Nordosten mehr dem Namen nach als tatsächlich noch zum Oströmischen Reich gehörten. Er eroberte Ravenna und machte sich dadurch den römischen Papst zum Feinde, der sich als Herr Roms und als solcher, wenn er es auch nicht aussprach, als Herr Italiens fühlte. Nachdem die letzten Kaiser Rom aufgegeben hatten, übernahmen die Bischöfe von Rom den Schutz der Ewigen Stadt, und ihre kirchliche Stellung, ihr sittliches Übergewicht wuchsen unmerklich mit der Seele der Weltherrscherin zusammen. Nicht alle Päpste waren sich dessen bewußt, und nicht alle konnten den Anspruch, den das Bewußtsein verlieh, vertreten; aber es war eine Tatsache, die sich immer geltend machte: weil sie Rom innehatten, mußten sie Nachfolger der römischen Cäsaren sein, weil sie das Haupt der Kirche waren, die die Welt umfassen sollte, mußten sie das Reich bis zu den Grenzen der bewohnten Erde auszudehnen suchen; aus einem zwiefachen Grunde mußten sie sich zu Herren der Welt bestimmt glauben. Ein ungeheures Herrscherbewußtsein war die Schicksalsgabe von Männern, die als Kirchenhäupter nicht nur keine weltliche Macht besaßen, sondern weltliche Macht geringschätzten, mit dem Wort allein Führer der Seelen sein sollten. Wenn der König der Langobarden König von Italien wurde, mußte er Rom zu seiner Hauptstadt machen; mußte das Haupt der Welt zum Haupt Italiens, der Papst in die Stellung eines dem König untergeordneten Bischofs herabgedrückt werden. Wie sollte er sich der herandrängenden Gefahr erwehren? Zwei christliche Mächte kamen in Betracht: der Kaiser in Byzanz, der als Nachfolger der römischen Kaiser Ansprüche auf Italien hatte, und der König des fränkischen Reiches. Zu der Zeit, als Gregor der Große zwischen den Schwertern der Langobarden lebte, wie er selbst sagte, wurde die Oberherrschaft des Kaisers von Byzanz noch anerkannt, eine Lockerung trat durch einen Zwiespalt in der Lehre ein, indem in Byzanz der Bilderdienst verboten wurde, während zwar Gregor die Anbetung der Bilder verwarf, sie aber zur Belehrung des Volkes behalten wollte. Nicht nur dieser Gegensatz jedoch, sondern gerade der zu Recht bestehende Herrschaftsanspruch der oströmischen Kaiser bewog die Päpste, den Schutz der Franken vorzuziehen: sie schienen eher in der Lage, Rom zu helfen, aber weniger in der Lage, Rom zu beherrschen. Nicht zwar an die ohnmächtigen Merowinger, die die Königskrone trugen, wandte sich Gregor III., sondern an den mächtigen Hausmeier Karl Martell mit der Bitte, ihm Schutz gegen die Langobarden zu gewähren, wogegen er ihm versprach, ihn zum römischen Konsul zu machen, eine Würde, mit der die Schutzherrschaft über Rom verbunden war. Trotz der wiederholten inständigen Bitten Gregors zog Karl, wie es scheint ohne Besinnen, das Bündnis mit den Langobarden der Freundschaft mit dem Papst vor, durchaus ein Mann der Tat, der die naheliegenden Aufgaben kühn und großartig vollbrachte, den keine innere Beziehung mit der Kirche verband. Anders waren seine Söhne Pipin und Karlmann; sie waren von Kirchenmännern erzogen, und ihr Interesse umspannte weitere Gebiete. Beide waren liebenswürdige und hervorragende Persönlichkeiten, Karlmann leichter vom Gefühl hingerissen, Pipin besonnener, tatkräftig, großmütig, ein sympathischer Mensch und schöpferischer Staatsmann. Vor dieselbe Frage gestellt wie sein Vater, entschied er im entgegengesetzten Sinn. Der erste Schritt zu einer engeren Beziehung zum Papst ging von ihm aus, indem er zwei Gesandte, den Bischof Bernhard von Würzburg und den Abt Fulrad von St. Denys, nach Rom schickte, damit ihn Papst Zacharias, ein kluger Grieche, zur Führung des Königstitels berechtigt erkläre. Man könnte meinen, die förmliche Richtigstellung eines Verhältnisses, das große Taten begründet hatten, hätte keines päpstlichen Gutachtens bedurft; allein abgesehen davon, daß Pipin die Eifersucht, den Neid und die Treulosigkeit seiner Großen kannte, liegt es im Menschen, daß er das Bedürfnis hat, sich und sein Dasein nicht nur auf die eigene Kraft und Gewalt, sondern auf einen Rechtsgrund zu stützen und mit der Vergangenheit zu verbinden. Der Gläubige wie der Ungläubige, sie wollen nicht nur besitzen, sondern mit Recht besitzen, der Unterliegende fühlt sich noch als Sieger, wenn er sich als Vertreter des Rechtes, einer höheren Entscheidung in einer anderen Region betrachten kann. Einen weltlichen Herrn konnte Pipin als Schiedsrichter nicht gelten lassen; aber das Urteil des römischen Bischofs, des Hauptes der christlichen Kirche würde allgemein als Gottesurteil aufgefaßt werden. Doch wurde die Antwort des Zacharias, es sei billig, daß derjenige, der die Macht habe, auch den Königstitel führe, und Pipin sei deshalb als König zu krönen, nur als ein für Pipins Gewissen wichtiges Gutachten angesehen und als eine Weisung an die fränkische Geistlichkeit, die als Großgrundbesitzer von ausschlaggebender Bedeutung war; die Königswahl fand nach alter germanischer Sitte durch das Heer statt. Danach wurde Pipin in Soissons von den Bischöfen gesalbt; man nimmt an, daß Bonifatius dabei tätig war.

Papst Zacharias stand in guten Beziehungen zu den Langobarden; nach seinem Tode griff Aistulf den Plan der Eroberung Italiens wieder auf und nahm Ravenna ein. Papst Stephan II. wandte sich zuerst brieflich an Pipin und trat dann die Reise über die Alpen an, um als Schutzflehender vor dem König zu erscheinen, eine Reise, die doppelt schwierig war, weil sie durch das feindliche langobardische Gebiet ging. Pipin war entschlossen, den ihm vom Papst gewiesenen Weg einzuschlagen; aber er stand damit ziemlich allein. Unvergessen war seines Vaters langobardenfreundliche Politik, daran wollten nicht nur viele fränkische Große, sondern auch Pipins Frau, die Königin Bertrada, und sein Bruder Karlmann festhalten. Karlmann hatte die Regierung schon seit mehreren Jahren niedergelegt, war nach Rom gegangen und Mönch geworden; man nimmt an, daß er im Kloster durch ein Mitglied der königlichen Familie für die Langobarden gewonnen war. Die Sache war ihm so wichtig, daß er über die Alpen ging, um Pipin persönlich zu beeinflussen. Trotz so vieler und gewichtiger Gegenwirkungen beharrte Pipin auf seinem Willen: er empfing Stephan ehrenvoll, ließ sich, seine Frau und seine Söhne von ihm salben und versprach ihm Schutz nicht nur in seiner augenblicklichen Notlage, sondern auch für künftige Zeiten. Stephan verlieh ihm den Titel eines Patricius Romanorum[13], den der König seitdem führte. Auf seinem Wege nach Italien nahm Pipin seine Frau und seinen Bruder mit sich bis Vienne, wo er sie zurückließ, und wo Karlmann im folgenden Jahre starb. Pipin belagerte Aistulf in seiner Hauptstadt Pavia und zwang ihn, auf Ravenna und die sogenannte Pentapolis, fünf Städte von Rimini bis Ancona, zu verzichten; als Aistulf bald darauf seinen Angriff auf das päpstliche Gebiet erneuerte, wiederholte er seinen Kriegszug mit Erfolg. Die Schlüssel der zurückeroberten Städte, die den päpstlichen Dukat ausmachten, ließ Pipin am Grabe des heiligen Petrus niederlegen zugleich mit einer Urkunde, in welcher er seinem Versprechen gemäß die Schenkung dieses Gebietes an den Heiligen Stuhl aussprach.

Dies bedeutungsvolle Ereignis fand zu der Zeit statt, als Bonifatius starb. Pipin nahm den Faden auf, den der Angelsachse angesponnen hatte, so daß nun staatlich und kirchlich das fränkische Reich in eine enge Verbindung mit Rom eingetreten war. Man kann nicht umhin, sich vorzustellen, daß es auch anders hätte kommen können, da ja die Entwicklung, die tatsächlich sich vollzog, durchaus nicht allgemein gefordert wurde, sondern, soweit sie persönlich bedingt war, hauptsächlich nur von zwei hervorragenden Männern getragen wurde. Wenn die Langobarden Italien zu einem Reich zusammengefaßt hätten, wie anders wäre das Schicksal Deutschlands, das Schicksal Italiens, das Schicksal Europas geworden. Man könnte sich denken, daß schon damals ein Gleichgewicht nationaler Staaten sich hätte herausbilden können; man könnte geneigt sein, die Niederlage der Langobarden, eines so reichbegabten edlen germanischen Stammes zu beklagen. Das Lied vom Römischen Weltreich ertönte lauter als die Stimmen der einzelnen Völker, es erfüllte das Abendland. Und läßt man die Ereignisse und Gestalten des Mittelalters an sich vorüberziehen, so zweifelt man nicht, daß die tatsächliche Entwicklung diejenige war, die der Menschheit gerade durch das tragische Verhältnis zwischen Papst und Kaiser, durch den übermenschlichen Umriß ihrer Ziele den reichsten Gehalt an großen Ideen und vorbildlichen Gestalten geben konnte.

Karl der Große

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Nach Pipins Tode, der wie sein Vater jung starb, siegte noch einmal der politische Gedanke des Karl Martell, nämlich der Anschluß an die Langobarden. Bertrada reiste selbst nach Italien; und wenn sie auch Rom nicht mied, wo sie an den heiligen Stätten betete, so war doch ihr hauptsächlicher Zweck, die Vermählung ihres ältesten Sohnes mit einer Tochter des Langobardenkönigs Desiderius zu betreiben, die auch wirklich vollzogen wurde. Das festigte zugleich die Verbindung mit Bayern, da Thassilo, der Herzog von Bayern, mit einer Schwester der jungen Frau verheiratet war. Papst Stephan äußerte seinen Zorn über diese Wendung in einem Schreiben, das bald zähnefletschend grimmig, bald ölig milde den bombastischen Stil trägt, der in der Kanzlei der Kurie üblich wurde. Er bezeichnete die Verbindung Karls mit einer Langobardin als aus einer Einflüsterung des Teufels entstanden, von der Niedertracht selbst ausgeheckt, die Langobarden als ein stinkendes, aussätziges, treuloses Volk, ja überhaupt nicht einmal Volk. Wahnsinn sei es, wenn der edle König des ruhmvollen Frankenlandes sich durch eine solche Verbindung beflecke. Zum Schluß drohte er, wenn die Heirat trotz seiner Abmahnung zustande käme, dem Schuldigen mit dem Bannfluch, durch den er mitsamt den übrigen Gottlosen dem Teufel und dem ewigen Feuer zum Verbrennen überantwortet werden würde. Vielleicht war Karl von Anfang an gegen die eigene Überzeugung dem Willen der Mutter gefolgt, vielleicht besorgte er, was auch wirklich geschah, daß sich Papst und Langobarden nunmehr zu seinem Schaden miteinander verständigen würden: nach einjähriger Ehe schickte er dem Desiderius seine Tochter zurück, die vermutlich keine wärmere Neigung in ihm erweckt hatte. Aus dieser schroffen Tat hätten bedenkliche Verwicklungen innerhalb der Familie entstehen können, wenn nicht Karlmann, der wie einst sein gleichnamiger Oheim zu Bertrada hielt, plötzlich gestorben wäre, etwa zu gleicher Zeit auch Stephan. Seinem Nachfolger Hadrian I. wurde das widernatürliche Bündnis mit den Langobarden, das Stephan aus Not und Trotz eingegangen war, sehr bald drückend, und er wandte sich hilfesuchend an Karl. Nun war der Augenblick gekommen, wo Karl das Problem mit dem Schwerte lösen konnte; er führte ein Heer über die Alpen, besiegte und entthronte Desiderius und zwang ihn, in ein Kloster zu gehen. Karl trat als König in die durch die Absetzung des Desiderius frei gewordene Stelle ein, ohne übrigens in der Lage des Langobardenvolkes etwas Nennenswertes zu verändern, außer daß er allmählich die Langobarden, die ihm unzuverlässig erschienen, auf verantwortungsvollen Posten durch fränkische Grafen oder Herzoge ersetzte. Er war Nachbar des Papstes in Italien geworden, nicht mehr nur der entfernte Schutzherr, der zu Hilfe kam, wenn er gerufen wurde, und nach getaner Arbeit sich wieder zurückzog.

Zunächst erwuchsen daraus keine Schwierigkeiten. Der römische Stadtadel war eine Gegnerschaft des Papstes, die ihn immer noch des fränkischen Schutzes bedürftig machte. Leo III., Hadrians Nachfolger, wurde von seinen römischen Feinden so verfolgt, daß er sich und sein Schicksal Karl völlig überantwortete. Er suchte ihn in Paderborn auf, wo der König Hof hielt. Karl liebte diesen Ort am Fuße des Teutoburger Waldes, der ihm zu einer Stätte des Ruhms wie kaum ein anderer werden sollte; denn hier empfing nach dreißigjährigen erbitterten Kämpfen sein gefährlichster, sein größter Gegner, der Sachse Widukind, die Taufe. Er mochte Augenblicke haben, wo das Rauschen des Eichwaldes ihm wie ein Gotteswort des Friedens klang, das das vergossene Blut sühnte. An Stelle der Salvatorkirche, die im Sachsenkriege zerstört war, hatte er nahe dem Quell der Pader einen Dom aus Stein errichtet, der den Zeitgenossen prächtig erschien; er wurde 200 Jahre später durch eine Feuersbrunst vernichtet. Er war noch nicht vollendet, als Papst Leo zum Gedächtnis seiner Anwesenheit einen Altar darin weihte. Was sich sonst an Häusern in Paderborn vorfand, war vermutlich aus Holz und ziemlich dürftig; wenn aber der Ort dem Italiener nicht sonderlich imponierte, so tat es doch die Menge gerüsteter Krieger, die ihn empfing, und vor allem der König selbst im meergrünen Mantel mit dem edelsteingeschmückten Schwert und dem Diadem, wie er sich an Festtagen trug. Trotz der Anklage, die auf dem Papst lastete, wobei es sich hauptsächlich um Meineid und Ehebruch handelte, empfing ihn Karl mit allen Ehren, umarmte und küßte ihn, von vornherein entschlossen, ihn für unschuldig zu halten. Man nimmt an, daß bei dieser Begegnung die Krönung des Königs zum römischen Kaiser beredet wurde; sie war die Gegengabe des Papstes für den Schutz, den Karl ihm gewährte. Dennoch scheint es, daß der König, als ihm Leo am Weihnachtstage des Jahres 800 in der Basilika des heiligen Petrus die Krone aufsetzte, überrascht war; er hat später gesagt, daß er nicht in die Kirche gegangen sein würde, wenn ihm das Vorhaben des Heiligen Vaters bekannt gewesen wäre. Die Gründe dafür kennen wir nicht; es ist möglich, daß er fürchtete, sich durch diesen Akt die Feindschaft des oströmischen Kaisers zuzuziehen, möglich auch, daß er vorgezogen hätte, sich selbst zu krönen, wie er denn vor seinem Tode seinem Sohn Ludwig befahl, sich die Krone aufs Haupt zu setzen und sich Kaiser und Augustus nennen zu lassen. Diesen Titel führte er selbst seit der Krönung in Rom.

Die Übertragung der Cäsarenwürde auf den Frankenkönig war ein Ereignis von ungeheurer, einschneidender Bedeutung; aber da sie nicht ein neues Verhältnis schuf, sondern einer allmählich vollendeten Entwicklung Ausdruck gab, empfand sie Karl wohl als etwas Selbstverständliches. Das Weltreich bestand, es war die Form, in der seit Jahrhunderten die Menschen lebten. Durch die Entstehung des großen fränkischen Reiches war Byzanz an den Rand gedrängt, der mächtige Germanenfürst als tragende Säule in die Mitte des Weltreiches gerückt. Von ihm strahlte schaffende Kraft nach allen Seiten aus; der Titel verlieh ihm nichts, besiegelte nur das, was war. Die Möglichkeit künftiger Verwicklungen und Gefahren, die aus der Beziehung zum römischen Papst entstehen konnten, wird ihn nicht ernstlich beunruhigt haben; dazu lebte er zu sehr in der Fülle der Zeit.

Karl der Große war einer der Berufenen, die das Zusammengehörige, aber Vereinzelte zu einem lebendigen Ganzen ordnen, und die von den dankbaren Völkern, deren Geschichte sie begründet haben, wie Halbgötter verehrt wurden. Seine Vorfahren hatten das große Werk vorbereitet, Thüringen, Schwaben, Bayern fand er bereits mit den Franken vereinigt, auch die Sachsen und Friesen hatte Pipin schon zu unterwerfen versucht. Was ihn vor jenen auszeichnete, war, daß er dem neugeschaffenen Körper eine gemeinsame Ordnung, einen gemeinsamen Sinn und Geist gab.

Zu den Büchern, die Karl mit Vorliebe las, gehörte der Gottesstaat des heiligen Augustinus. Der edle Schwung, der es erfüllt, die unerschütterliche Überzeugung eines durch Anlage und Bildung überlegenen Geistes machen die Wirkung, die es jahrhundertelang ausgeübt hat, verständlich, mehr noch vielleicht die Einfachheit und doch auch Vieldeutigkeit der Gedankengänge. Schon in dem ersten Brüderpaare der Menschheit, in Kain und Abel, so sieht Augustinus den Sinn der Geschichte, spaltete sie sich in zwei Reiche, in ein solches, das Gott angehört, und in ein solches, das den Menschen folgt, menschlichen Begierden, menschlicher Einsicht, menschlichen Zwecken. Das Reich Gottes steht innerhalb der Menschheit gegenüber der Welt oder dem Reiche der Menschen, das durchaus nicht etwa des Verstandes, der Bildung, der Tugend ermangelt, aber auf menschliche und irdische Zwecke beschränkt ist und zweifelhafte irdische Genüsse durch ewiges Verderben erkauft. Das Reich Gottes ruht auf dem Glauben und gewinnt das ewige Leben, es beginnt hienieden in Hoffnung und entfaltet sich drüben im Schauen.

Augustinus wußte, daß nicht alle, die sich Christen nannten, Christen waren, aber die Kirche, die das Wissen von Gott und den göttlichen Dingen lehrte, der zu seiner Zeit alle Christen angehörten, ohne die die Nachfolge Christi als nur von einzelnen verwirklicht ohne Halt und ohne Dauer gewesen wäre, fiel ihm zusammen mit dem Gottesstaate, während der heidnische Staat diejenigen umfaßte, die sich der Gnade Gottes entzogen. Der Gedanke lag nahe, Kirche und Staat überhaupt als Gottesstaat und Menschenstaat oder Welt einander entgegenzusetzen; man konnte aber auch den Schluß ziehen, daß zwischen Kirche und dem inzwischen christlich gewordenen Staat kein Unterschied mehr bestehe und nur die gesamte Heidenschaft als gnadenloses, der Verdammnis geweihtes Reich aufzufassen sei. So sah es Karl der Große an; sein Reich sollte ein Gottesreich sein, das als solches die Kirche ehrte und schützte und ihre Lehre verbreitete. Vergleicht man ihn mit Bonifatius, so tritt die Freiheit und das Schöpferische seines Geistes bewunderungswürdig hervor. Er ließ sich gern belehren, verzichtete aber nie auf eigenes Urteil. In bezug auf manche kirchlichen Fragen, zum Beispiel auf den Bilderdienst, hatte er andere Ansichten als der Papst. Zuweilen war er derjenige, der die Richtung gab. Er hatte eine durch Erleben und Nachdenken gewonnene Überzeugung. Wenn er sich auch als Schirmherr der Kirche und des christlichen Glaubens fühlte, so verfolgte er doch Andersdenkende nicht. Allerdings zwang er mit Härte den Sachsen das Christentum auf; das war ein Mittel zur Einigung der Stämme, und die strengsten Strafen konnten sofort gemildert werden, wenn der Schuldige seine Zuflucht zur christlichen Kirche oder zu einem christlichen Priester nahm. Während Bonifatius Bedenken trug, mit einem Christen, den er nicht für ganz rechtgläubig hielt, der im geringsten vom römischen Kanon abwich, zu sprechen und zu essen, trat Karl der Große in freundschaftliche Beziehung zu Harun al Raschid, sammelte er die alten Volkslieder, in denen die Germanen die Taten ihrer Helden verherrlicht hatten.

Der Charakter des Gottesreiches sollte sich nicht nur durch den Schutz der Kirche, sondern durch die vom König ausfließende Gerechtigkeit erweisen. Die Sage erzählt, daß in Zürich, in einem dem Münster gegenüberliegenden Hause, wo der Kaiser zu wohnen pflegte, eine Glocke angebracht war, damit jeder Rechtsuchende sich bei Karl melden könne. Eines Tages läutete dort eine Schlange, um gegen eine Kröte zu klagen, die sich auf ihre Eier gesetzt habe. Sie beschenkte den Kaiser, der ihr zu ihrem Rechte verhalf, aus Dankbarkeit mit einem wunderkräftigen Stein, dessen er sich oft bediente. So verdeutlichte sich das Volk die Gerechtigkeitsliebe seines großen Königs, der auch den Geringsten in seinem Recht schützte. Im Umfassenden seines Geistes zeigte sich sein Genie. Kein Gebiet war ihm fremd, keins vernachlässigte er; er förderte die Baukunst, die Dichtkunst, die Musik, die Schule, die Landwirtschaft, er war groß als Gesetzgeber, als Verwalter, als Richter, als Gutsherr, im Kriege. Nichts war ihm zu klein, nichts zu fernab. Als die nie fehlende Unterlage großer Genialität besaß er eine unerschöpfliche Tätigkeit. Er war immer erfüllt von großen Gedanken, immer mit ihrer Ausführung beschäftigt, immer voll Teilnahme an nahen und fernen, großen und kleinen Ereignissen. »Laßt uns heute etwas Denkwürdiges unternehmen«, so läßt ihn die Überlieferung täglich sprechen, »damit man uns nicht tadele, weil wir den Tag müßig verbracht haben.«

Seine zeitgenössischen Verehrer haben uns Karls Äußeres geschildert: die kräftige, hochgewachsene Gestalt, den festen Gang, die männliche Haltung, die großen, leuchtenden Augen. Seine Stimme war hell und nicht stark, er sprach gern und viel und war immer fröhlich, wie er denn auch Frohsinn um sich her liebte. Immer durch die Interessen seines riesigen Reiches bewegt, lebte er doch voll ungeteilter Hingabe mit seiner Familie und seinen Freunden. Jeder Frau, die er liebte, jedem seiner Kinder, jedem seiner Freunde gehörte sein Herz ganz. Jahrelang lebte er in glücklicher Ehe mit der Schwäbin Hildegard, die allgemein verehrt wurde, und die ihm drei Söhne und drei Töchter gebar. Seine Kinder liebte er so sehr, daß er sie immer, selbst auf Reisen, um sich haben wollte, und wie der maßlose König des deutschen Märchens ließ er seine Töchter nicht heiraten. Doch gönnte er den schönen und leidenschaftlichen Mädchen ein beglückendes Liebesleben und hielt ihre Kinder wie rechtmäßige Enkel. Nach dem Tode der Hildegard heiratete er Fastrada aus ostfränkischem Stamme, deren ungünstigem Einfluß es zugeschrieben wurde, daß er ein einziges Mal bei Gelegenheit einer Verschwörung zu übertriebener Härte sich hinreißen ließ. Für seinen übermäßigen, für die Regierung verhängnisvollen Schmerz bei ihrem Tode entdeckte man, so erzählt die Sage, eine magische Ursache in einem Ring, den sie am Finger trug. Der Erzbischof Turpin zog ihn der Toten ab, und die Neigung des Königs ging auf ihn über, bis der geistliche Herr den Talisman in einen Teich bei Aachen versenkte. Seitdem pflegte der Kaiser, in Trauer und Traum versunken, stundenlang an diesem Teich zu sitzen; das bezauberte Gewässer, zum Teil verschüttet, befindet sich am Rande der Stadt in der Nähe der Frankenburg, einem düsteren, efeuumrankten Gebäude, das die Stelle der alten Königsburg bezeichnen soll.

Keines anderen germanischen Helden Bild ist so farbenbunt, so vielseitig prächtig von der Sage aufgefangen. Immer erscheint er in ihr von Freunden und Gefährten umgeben, immer freundlich, furchtlos, überlegen, großmütig, aber auch zuweilen streng und vernichtend. Notker der Stammler, der nach Karls Tode aus mündlicher Überlieferung von ihm erzählt, nennt ihn nicht nur den weisen, den milden, den siegreichen, sondern auch den schrecklichen, den furchtbaren Karl, aber das eine ebenso bewundernd wie das andere. Nicht ohne Ströme von Blut zu vergießen hat er sein Reich gegründet. Die Sachsen aber, die am meisten durch ihn gelitten hatten, trugen es ihm nicht nach; auch für sie war er der Urquell alles Guten und Großen im Reich, das Urbild eines germanischen Heldenkaisers.

Die Deutschen und das Christentum

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Man möchte gern wissen, was von Staat und Kirche geschah, um die Sachsen zu bekehren, wie die Bekehrung wirkte, was für ein Christentum es war, das gelehrt und das aufgenommen wurde. Ein schöner Brief des Angelsachsen Alkuin an Kaiser Karl gibt zu verstehen, daß die Bekehrer hauptsächlich fordernd auftraten, indem sie den Zehnten zur Erhaltung der Kirche auferlegten, der, wie es scheint, mit Härte eingetrieben wurde. Es sei besser, meinte Alkuin, den Zehnten als den Glauben zu verlieren, es sei auch nicht erwiesen, ob die Apostel gewollt hätten, daß der Zehnte gegeben werde. Wären die Neugetauften später reif im Glauben geworden, möge man ihnen ein so schweres Gebot zumuten, zunächst solle man sie die Heilswahrheiten lehren und ihnen mit Werken der Barmherzigkeit näherzukommen suchen. Ohne Zweifel hatte Alkuin gehört, wie die Sachsen sich beklagten, daß die Religion des Gottes der Liebe für sie nur Bedrückung bedeute; wußte er, daß für die Predigt nicht genügend gesorgt war. An den Erzbischof Arn von Salzburg schrieb er, der Kaiser habe den besten Willen, aber er habe nicht genug Leute, die von der Liebe zur Gerechtigkeit beseelt wären, es gäbe eben mehr Diebe als Prediger, und mehr Menschen suchten das Ihre als das Göttliche.

Überall und zu allen Zeiten sind von den Menschen, die ein Gesetz ausführen sollen, viele, ja die meisten voller Mängel und Schwächen, so daß der Wille des Gesetzgebers selten rein zur Geltung kommt. Dasselbe ungünstige Verhältnis von Guten, Minderguten und Schlechten besteht natürlich in allen Schichten des Volkes und bestand bei den zu Bekehrenden wie bei den Siegern. Der Art der Bekehrung entsprach die Gesinnung, mit welcher die Taufe empfangen wurde, wie die folgende Anekdote erzählt. Als einmal um Ostern fünfzig Heiden zugleich sich zur Taufe meldeten, waren am Hofe des Kaisers nicht so viele leinene Gewänder vorrätig, mit denen man die Täuflinge zu beschenken pflegte, und die fehlenden wurden schnell aus grobem Stoff zusammengenäht. Entrüstet sagte der eine der Heiden, als man ihm einen solchen Kittel reichte: »Zwanzigmal schon habe ich mich hier gebadet und immer habe ich gutes neues Gewand bekommen; dieser Sack paßt höchstens für einen Sauhirten, nicht für einen Krieger. Wenn ich mich nicht meiner Nacktheit schämte, könntet ihr das Kleid mitsamt dem Chrisam behalten.«

Seit ihren Anfängen hatte die Kirche eine wesentliche Veränderung erfahren: als der Glaube des herrschenden Volkes gehörte sie nicht mehr in erster Linie den Armen und Sklaven, sondern den Großen. Bei allen germanischen Stämmen wurden die Könige und Herzöge zuerst Christen, und ihnen schloß sich der Adel an; was sie zum Übertritt bewog, war die Hoffnung, daß der Christengott ihnen Sieg verleihen werde. In den ersten Jahrhunderten hatte man die Armen beschenkt, wenn man die Kirche beschenkte; was der Kirche gehörte, gehörte den Armen, die Tätigkeit der christlichen Kirchenvorsteher bestand hauptsächlich in der Armenpflege. Allmählich, wie der Aufgabenkreis der Kirche sich erweiterte, wurde es üblich, daß die Bischöfe ihr Vermögen in vier Teile teilten und davon einen Teil für sich, einen für die Kanoniker, einen für die Instandhaltung und Verschönerung ihrer Kirche und einen für die Armen verwendeten. Almosen wurden noch immer reichlich verteilt, und Almosengeben von der Kirche dringend empfohlen; aber die Armen wurden doch als untergeordnete Leute und gewiß oft mit Geringschätzung behandelt. Es wurde erzählt, Widukind habe als Gefangener Karls, während sie, ein jeder an einem besonderen Tisch, speisten, gegen Karl bemerkt: »Euer Christus sagt, in den Armen werde er selbst aufgenommen. Mit welcher Stirn redet denn ihr uns zu, daß wir unsere Nacken beugen sollen vor dem, welchen ihr so verächtlich behandelt und dem ihr nicht die geringste Ehrerbietung beweist?« Der Kaiser, so heißt es weiter, erschrak und errötete; denn die Armen saßen demütig am Boden.

Das Mißverhältnis zwischen Ideal und Wirklichkeit, das immer besteht, drängte sich sicher gerade den Heiden auf, die der neuen Lehre zweifelnd gegenüberstanden. Indessen die Armen und Sklaven waren nur ein Teil des Volkes, und die Beziehung zur Armut ist nur ein Teil des Christentums. Erschüttert durch das ungeheure Erlebnis des mehr als dreißigjährigen Kampfes beugten sich die Besiegten, wie Widukind getan hatte, dem fremden Gott, der seine Übermacht an ihnen bewiesen hatte. Von ihm erwarteten sie nun Sieg im Kampfe, Gedeihen der Äcker, Glück und Gelingen in allen Angelegenheiten, bereit, ihm dafür mit grenzenloser Ergebenheit zu dienen. Der alte Götterglaube, ob er nun dem nordischen ähnlich war, wie er sich in der Edda darstellt, oder ob er bei den deutschen Stämmen sich anders entwickelt hatte, sicherlich hatte er nicht mehr die quellende Frische eines neuen oder erneuerten Glaubens. Man weiß aus den Klagen des Bonifatius, daß sich die Religiosität der heidnischen Deutschen hauptsächlich in abergläubischen Bräuchen und Beschwörungen äußerte, im Wählen glückbringender Tage, im Los werfen, im Zwingen des Wetters oder menschlichen Willens; in solchen Formeln war der einst sinnvolle, lebendige Glaube erstarrt. An dem christlich abgewandelten Aberglauben festzuhalten, genügte dem religiösen Bedürfnis vieler. Weise Päpste ordneten an, daß soviel wie möglich der christliche Kult an heidnische Feste, Gebräuche, Gewohnheiten angeknüpft werde; so traten denn Heilige an die Stelle der Götter, und die das Leben Christi und der Heiligen bezeichnenden Feste an die Stelle der heidnischen, die den Sonnenlauf, das Erwachen und Hinsterben der Natur begleiten. Unter den Sachsen und Friesen, den zuletzt bekehrten Stämmen, waren wohl viele Bauern, die, wenn sie sich auch an die neuen Namen gewöhnten, doch der Kirche und den Priestern im Herzen feindlich blieben auf eine verbissene, schweigsame, gefährliche Art. Aber auch bei diesen schwand die Erinnerung an den alten Glauben, selbst wenn sich die alten Zaubersprüche im Gedächtnis erhielten. Die, welche die Pfaffen haßten, fühlten sich trotzdem als gute Christen.