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Gerhard Waldherr begibt sich dorthin, wo und worüber man am besten lügen kann, ins Feld nämlich, wie man ethnologisch sagen würde. Auf der Suche nach der Antwort auf die Frage "Was macht uns Deutschen aus?" reist er durch Deutschland, besucht Heimaten, findet Gelegenheiten, Geschichten und Widersprüche an besonderen und an unspektakulären Orten und zeigt, wie ambivalent sich die Dinge darstellen, wenn man sie eingehender untersucht, und dass es ganz unterschiedliche Blicke gibt, die die Dinge wahrheitsgemäß abbilden können. Dieses Essay stammt aus dem Kursbuch 189.
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Seitenzahl: 17
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Lauter Lügen
Inhalt
Gerhard Waldherr | Deutschkunde. Prolog
Anhang
Der Autor
Impressum
Gerhard WaldherrDeutschkundeProlog
»Willkommen in Deutschland! Das gilt den Flüchtlingen, die vor Krieg und Gewalt fliehen und nach Deutschland kommen, in ein offenherziges, aber für die meisten Neuankömmlinge auch fremdes Land mitten in der Europäischen Union. Doch wie leben die Deutschen? Welche Regeln gelten hier? An welchen Werten richten sie sich aus? Was ist ihnen wichtig? Welche Geschichte haben sie? Diese Fragen stellen sich auch viele Deutsche …«
Aus: Deutschland – Erste Informationen für Flüchtlinge, 2015
Im Reichstag, gleich hinter Plenarsaal und Besuchertribüne. Ein paar Glastüren weiter, dann rechts, Vortragssaal A2. Die Landseniorinnen und -senioren aus der Prignitz warten schon. Eingeladen hat sie die Abgeordnete Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke. Die Prignitz gehört zu ihrem Wahlkreis in Brandenburg. Die Besuchergruppe blickt auf eine knallorange Wand und einen Tisch, daneben Kartons mit Stofftragetaschen, bedruckt mit einem weißen Bundesadler. Draußen vor dem Fenster zerfließt die Silhouette eines Baumes im Nebel.
Es ist der 20. Dezember 2016, elf Uhr vormittags. Am Abend zuvor war ein Lkw durch einen Teil des Weihnachtsmarkts am Berliner Breitscheidplatz gerast. Während Tackmann den Raum betritt, wird von zwölf Toten und 48 Verletzten gesprochen. Die Fotos, die im Internet und auf den Titelseiten der Tageszeitungen verbreitet werden, sind von bedrückender Symbolik. Neben dem Bombenstummel der Gedächtniskirche ein Bild der Verwüstung. Der Zweite Weltkrieg trifft auf den Terror des 21. Jahrhunderts. Paris, Brüssel, Nizza. Und nun Berlin. Zwischendurch hieß es, der Täter sei Afghane oder Pakistaner und als Flüchtling über Passau eingereist. Wie die Meldung entstanden ist, bleibt unklar.
Man kann sich an so einem Tag, an diesem Ort viele Botschaften zur Begrüßung vorstellen. Kirsten Tackmann wählt eine überraschende Variante. Sie spricht nicht von Zivilisationsfinsternis, einer entweihten Weihnacht oder Merkels Toten. Sie spricht nicht von islamischer Bedrohung, Flüchtlingsproblematik, Asylmissbrauch, wie es andere Politiker zu dieser Stunde bereits getan haben. Sie spricht auch nicht von erhöhter Polizeipräsenz, verschärften Grenzkontrollen oder gar Vergeltung. Keine Phrasen, keine Appelle, kein »Sei stark Berlin«. Kein Sprech