Die Sinupret-Story - Gerhard Waldherr - E-Book

Die Sinupret-Story E-Book

Gerhard Waldherr

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Beschreibung

Ende der Achtzigerjahre steht Michael Popp vor großen Herausforderungen: Die Firma seiner Eltern muss technisch aufgerüstet werden, das Produktportfolio ist nicht mehr zeitgemäß, die finanzielle Situation prekär. Gleichzeitig fordert das Arzneimittelgesetz neue Zulassungen für alle Produkte. Der Kampf ums Überleben beginnt. Zeitsprung: Frühjahr 2019. Bilanzpressekonferenz. Rekordumsatz, Rekordgewinn. Die Produkte der Firma Bionorica stehen bei Ärzten und Apothekern in 52 Ländern hoch im Kurs. Vor allem Sinupret, der Marktführer bei Atemwegserkrankungen und Deutschlands führendes pflanzliches Arzneimittel. Die berühmte Mischung aus Eisenkraut, Holunder, Ampferkraut, Primel und Enzian hat längst Geschichte geschrieben. Inhalte: - Die Wunderrezeptur. Wie alles begann - Ein Mann, eine Firma, eine Erfolgsgeschichte. Der Aufstieg von Bionorica - Phytoneering. Eine Idee erobert die Welt - Forschung über alles. Das internationale Forschungsnetzwerk - Phytovalley Innsbruck. Die Universität der Bionorica - Zurück zur Natur: Michael Popps PhilosophieEin echter Familienunternehmer, Visionär und Mutmacher! Ein Vorbild für nachhaltiges und besseres Wirtschaften! Dieser Titel ist ein Produkt der Reihe "Professional Publishing for Future and Innovation by Murmann & Haufe".   Stimmen zum Buch: "Es ist eine Geschichte über den Aufstieg der Pflanzenarzneien in die Liga der ernsthaften Medizin." Cicero "Die Sinupret-Story zeigt, was erfolgreiche deutsche Unternehmer ausmacht: Mut, Leidenschaft und Offenheit für die Zukunft. Eine Biografie mit Mehrwert!" Frank Thelen

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Gerhard Waldherr

die sinupret story

MICHAEL POPP– Von einem, der auszog, die Heilpflanzenmedizin zu revolutionieren

INHALT

KAPITEL EINS

die wunderrezeptur

Über JOSEF POPP und die Entstehung von Sinupret®

KAPITEL ZWEI

ein mann, eine firma, eine erfolgsgeschichte

Wie aus Bionorica einer der weltweit führenden Phytohersteller wurde

KAPITEL DREI

aller anfang ist turbulent

Die Neunzigerjahre stellen Bionorica vor zahlreiche Herausforderungen

KAPITEL VIER

erfolgsformel phytoneering

Bionoricas Konzept revolutioniert die Pharmabranche

KAPITEL FÜNF

der richtige ansprechpartner

Bionoricas wissenschaftliches Netzwerk ist weltweit einzigartig

KAPITEL SECHS

im tal der forschung

Das Phytovalley® in Innsbruck ist Bionoricas zweites Zuhause

KAPITEL SIEBEN

weitere aussichten: heiter bis sonnig

Eine aktuelle Bestandsaufnahme der Bionorica SE

KAPITEL ACHT

zurück zur natur

MICHAEL POPP ist ein Mann auf einer Mission

der heilpflanzenkompass

Ein Streifzug durch Bionoricas Naturapotheke, vertiefendes Heilpflanzenwissen und Studienergebnisse

KAPITEL EINS

die wunderrezeptur

ÜberJOSEF POPPund die Entstehung von Sinupret®

Josef Popp wusste nichts von Bioflavonoiden und Saponinen. Nichts von Wirkprofilen und additiven Effekten bei Vielstoffgemischen. Er wusste erst recht nichts über Iridoidglykoside1, die Hemmung des entzündungsrelevanten Enzyms Cyclooxygenase-22 oder den Entzündungsbotenstoff TNF-α3. Auch den Begriff mukoziliäre Clearance4 hatte er nie gehört.

Er hätte sich niemals im Leben vorstellen können, dass renommierte Ärzte und Wissenschaftler wie André Gessner, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Regensburg, über sein Arzneimittel einmal sagen würden: »Insgesamt ist das Phytotherapeutikum in der Lage, durch eine erfolgreiche Eindämmung der viral bedingten Entzündungsreaktion auch das Risiko für eine bakterielle Superinfektion zu minimieren.«

Wie auch? Popp war weder Arzt noch Chemiker. Eine ambitionierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit pflanzlichen Arzneimitteln gab es zu seiner Zeit nicht. Erst recht keine Hochleistungsflüssigkeitschromatografie, noch nicht einmal Computer. Josef Popp hatte mit alldem nichts zu tun.

Ich Unterzeichneter wurde am 19. Januar 1889 als Sohn der Buchhalterseheleute Christoph und Henriette Popp zu Forchheim in Oberfranken geboren. Meine Kinderjahre verlebte ich dortselbst unter der sorglichen Obhut meiner Eltern.

So beginnt Josef Popps Lebenslauf, den er vermutlich 1911 während eines Militärdienstes verfasst. Bis dahin hat er Volksschule, Schlosserlehre und eine Baugewerbeschule für Maschinenbau durchlaufen. Auch ein Praktikum bei den Siemens-Schuckertwerken in Nürnberg und eine Zusatzausbildung als Elektriker sowie Montageerfahrungen werden angeführt.

Was ansonsten überliefert ist, basiert hauptsächlich auf den Erzählungen seiner Kinder. Sohn Hans-Oskar berichtet, dass der Vater mit einer Kriegsverletzung aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause gekommen war. Da ihm Ärzte bei der Linderung seiner Schmerzen nicht helfen können, sucht Popp Heilpraktiker auf, die ihm Kräutertees verschreiben. So entsteht das Interesse für Heilpflanzen. Außerdem lässt er sich mit homöopathischen Globuli der Regensburger Firma ISO5 behandeln. Von ISO erhält er das Homöopathische Arzneibuch von Theodor Krauß6 und Tafeln zur Beschreibung der Iris – der Regenbogenhaut des Auges – mit daraus abzuleitenden Krankheiten.

Popp arbeitet inzwischen als Maschinenbauingenieur bei MAN in Nürnberg. Fasziniert von der Homöopathie, beginnt er in seiner Freizeit, Freunde und Bekannte mittels Augendiagnose zu behandeln und ISO-Globuli zu verordnen. Popp hat damit großen Erfolg. Der Kundenkreis wächst rapide. Irgendwann arbeitet er unablässig. Tagsüber bei MAN, nach Feierabend und an Wochenenden widmet er sich seinen Patienten und dem Studium der Botanik und der Heilpflanzen. Bis ihn sein Arbeitgeber vor die Entscheidung stellt, die Nebenbeschäftigung aufzugeben oder zu kündigen.

1924 eröffnet Josef Popp in der Nürnberger Endterstraße eine Praxis als Homöopath und Naturheilkundiger. Neben Augendiagnose und Homöopathika bietet er auch Teemischungen an, die er für seine Patienten individuell zusammenstellt. Der nächste Schritt ist die Herstellung von pflanzlichen Arzneimitteln. Die Praxis in der Endterstraße wird um eine Etage erweitert, in der Popp ein Labor für die Entwicklung von Rezepturen einrichtet. Ein Gewerbebetrieb wird angemeldet. Hergestellt werden die Arzneimittel der Bionorica GmbH zunächst von der Apotheke Zum goldenen Stern.

1933 entsteht bei Bionorica die Rezeptur für ein Arzneimittel gegen Infekte der oberen Atemwege. Schnupfen mit Entzündung der Nasen- und Nasennebenhöhle ist ein Klassiker der Neuzeit. Auch zu Popps Zeiten sind davon Millionen betroffen. Das Arzneimittel, das Besserung verschaffen soll, ist eine Mischung aus den Extrakten von fünf Heilpflanzen: Eisenkraut, Enzianwurzel, Holunderblüten, Ampferkraut und Schlüsselblumenblüten. Er nennt das Produkt Sanor.

Sanor übersteht den Zweiten Weltkrieg. Es übersteht auch den darauffolgenden Siegeszug der chemisch-synthetischen Arzneimittel. Unter dem neuen Namen Sinupret® erobert es nach und nach die Apotheken in Deutschland und rund um die Welt. Das Lehrbuch Phytotherapie von Fintelmann, Weiss und Kuchta7 widmet Sinupret® aufgrund seiner »Sonderstellung unter den Phytopharmaka« sogar einen eigenen Eintrag und bezeichnet es darin als »ein Mittel erster Wahl bei akuten und chronischen Entzündungen der Nasennebenhöhlen«.

Das ist umso erstaunlicher, als die Autoren zwar anerkennen, dass Sinupret® Millionen und Abermillionen Menschen geholfen hat, aber gleichzeitig auch gestehen, dass ihnen Josef Popps Kreation immer noch Rätsel aufgibt: »Es herrscht nach wie vor die Meinung vor, dass die Wirkung eines Kombinationsarzneimittels mit mehr als drei Bestandteilen, deren jeweiliger Nutzen zur Gesamtwirksamkeit geklärt ist, nicht rational begründbar sei.« Mit anderen Worten: Wie konnte jemand nur auf die Idee kommen, dass ausgerechnet dieser Heilpflanzenmix funktioniert?

Michael Popp sagt: »Es gibt zwar das handschriftliche Original der Rezeptur, aber keine Dokumentation zur Entstehung von Sinupret®. Nach allem, was wir wissen, hat mein Großvater sich sehr intensiv mit Lehrbüchern beschäftigt, unter anderem mit den Werken von Leonhart Fuchs8. Er hat sich von überall Meinungen eingeholt, hat mit vielen Heilpraktikern und Homöopathen gesprochen. Und er war leidenschaftlich in dem, was er tat. Sonst hätte er in der damaligen Zeit nicht trotz Frau und drei kleinen Kindern eine sichere Anstellung als Ingenieur aufgegeben.«

Für die These der Lehrbücher spricht einiges. Und auch Leonhart Fuchs’ Bücher dürften tatsächlich Einfluss auf Josef Popp gehabt haben. Insbesondere sein New Kreüterbuch von 1543 galt über Jahrhunderte als Maßstab der Pflanzenheilkunde. Es umfasst die Beschreibung von 473 Pflanzen, begleitet von kunstvollen Holzschnitten. Allerdings dürften nicht alle Ausführungen des Autors nützlich gewesen sein. Das Kreüterbuch wimmelt von stereotypen Wiederholungen, Mutmaßungen und wilden Theorien. Werner Dressenhöfer spricht in seinem Kommentar zu einer 2001 erschienenen Neuauflage9 von »barocker Indikationslyrik«. Hinzu kommt, dass Fuchs sich an der Viersäftelehre10 orientierte, die am Anfang des 20. Jahrhunderts längst überholt war.

Die Pharmazeutin Margit Schlenk vertritt daher eine zusätzliche These: »Ich denke, Josef Popp hat sich nicht nur auf Lehrbücher und Heilpraktiker verlassen, er hat auch die Natur um sich herum beobachtet. Was wächst in der Region? Was setzen die Menschen bei Krankheiten oder Alltagsleiden schon immer ein? Holundertee ist in Franken ein traditionelles Mittel bei Erkältungen. Ampferkraut gilt von jeher als schleimlösend und blutreinigend. Man weiß, dass die Bitterstoffe der Enzianwurzel die Geschmacksknospen der Zunge stimulieren. Das wirkt der Appetitlosigkeit bei Schnupfen entgegen und so weiter …«

Schlenk, die Apotheken in Neumarkt und Nürnberg betreibt, als Referentin für Bionorica auftritt und Bücher über Heilpflanzen schreibt, 2016 etwa über die Schlüsselblume, sagt: »Hausmittel aus Heilpflanzen waren damals in Süddeutschland gang und gäbe. Und man darf nicht vergessen: Die meisten Leute hatten kein Geld für Medikamente aus der Apotheke, gerade zwischen den Weltkriegen. Das alles hat sicher auch bei der Entstehung der Rezeptur von Sinupret® eine Rolle gespielt.«

Historisches Wissen also kombiniert mit Erfahrungsmedizin. Doch das ist immer noch nicht die ganze Wahrheit. Durch Hans-Oskar Popp ist überliefert, dass der Vater neue Rezepturen überwiegend an MAN-Kollegen testete und je nach Wirkungsgrad und -weise die Zusammensetzung und Dosierung modifizierte. Wenn man so will, hat Josef Popp damit seine eigenen klinischen Studien durchgeführt – wenn auch in sehr kleinem Rahmen.

Hätte Josef Popp seine Geschichte aufgeschrieben, wüsste man, was er warum und wie gemacht hat. Doch dazu kommt es nicht. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs zieht er sich durch eine Brandbombe eine Phosphorvergiftung zu. Davon geschwächt, kämpft er nach Kriegsende um den Wiederaufbau seiner Firma. Praxis und Labor sind komplett zerstört, untergegangen im Schutt der Fliegerbomben. Beim Freischaufeln des Zugangs in der Endterstraße verletzt er sich an der Hand. Von der Sepsis, die dadurch ausgelöst wird, erholt er sich nicht mehr.

Der Maschinenbauingenieur Josef Popp, der mit der Wunderrezeptur für Sinupret® Arzneimittelgeschichte geschrieben hat, stirbt im Dezember 1945 im Alter von 56 Jahren.

1 Iridoide sind sekundäre Pflanzenstoffe, die in mehr als 50 Pflanzenfamilien gefunden wurden und der Abwehr von Fressfeinden dienen. Sie entfalten aber auch antimikrobielle Wirkung und bieten der Pflanze Schutz vor Mikroorganismen wie Bakterien oder Pilzen. Iridoide liegen in der Pflanzenzelle häufig auch als Glycoside vor.

2 Cyclooxygenasen sind die wesentlichen Enzyme am Anfang einer Prostaglandinsynthese. Da dieser erste Schritt geschwindigkeitsbestimmend ist, haben die COX eine zentrale Funktion in der Regulation des Entzündungsgeschehens.

3 Tumornekrosefaktor-α (kurz TNF-α, oder veraltet: Kachektin) ist ein multifunktionaler Signalstoff des Immunsystems, der an lokalen und systemischen Entzündungen beteiligt ist.

4 Als mukoziliäre Clearance bezeichnet man den vom respiratorischen Epithel getragenen Selbstreinigungsmechanismus der Bronchien.

5 Die Firma ISO-Arzneimittel wurde 1923 von Johannes Sonntag, dem Inhaber der Regensburger Engel Apotheke, gegründet; sie befindet sich heute in Ettlingen bei Karlsruhe.

6 Theodor Krauß (* 3. November 1864 in Beraun, Mittelböhmen; † 1. Oktober 1924) war ein deutscher Homöopath und Alternativmediziner.

7 Volker Fintelmann, Rudolf Fritz Weiss, Kenny Kuchta: Lehrbuch Phytotherapie. Karl F. Haug Verlag, Stuttgart 2017, 13. überarbeitete Auflage.

8 Leonhart Fuchs (* 17. Januar 1501 in Wemding bei Donauwörth; † 10. Mai 1566 in Tübingen) war ein deutscher Mediziner und Botaniker.

9 Leonhart Fuchs: Das Kräuterbuch von 1543. Taschen GmbH, Köln 2001.

10 Die Viersäftelehre ist eine medizinische Theorie, die um 400 vor Christus zur Erklärung allgemeiner Körpervorgänge und als Krankheitskonzept entwickelt wurde. Bis zur Einführung der Zellularpathologie im 19. Jahrhundert blieb sie für Naturwissenschaften und Medizin maßgeblich. Gemäß der Viersäftelehre wurden als Lebensträger im Körper meistens gelbe Galle, schwarze Galle, Blut und Schleim angenommen – Säfte, die sich über das Blut und auch über die Nerven im Körper verbreiten. Ihr Verhältnis zueinander wurde als Indikator für Gesundheit oder Krankheit angesehen.

BERUFSWUNSCH UNTERNEHMER

Über den jungenMICHAEL POPPund die Übernahme von Bionorica

Im Januar 1987 beginnt der junge Pharmazeut Michael Popp ein Praktikum bei der E. Scheurich GmbH in Appenweier bei Baden-Baden. Das traditionsreiche Pharmaunternehmen, 1912 gegründet, beschäftigt etwa 200 Mitarbeiter und verdient sein Geld mit OTC-Arzneimitteln1, hergestellt werden aber auch Produkte für die Lippenpflege.

Es dauert nicht lange, bis Popp Defizite im Produktionsablauf erkennt. Der junge Mann hat zwar keine Berufserfahrung außer einem halbjährigen Praktikum in einer Münchner Apotheke. Er denkt logisch, hat eine schnelle Auffassungsgabe und interessiert sich für technische Zusammenhänge. Er erstellt einen optimierten Produktionsplan. Wenig später verlässt der Produktionsleiter das Unternehmen. Die Leitung beschließt, dass Popp übernimmt, bis ein Nachfolger gefunden ist.

Als Kind saß ich oft bei meinem Großvater mütterlicherseits in dessen Büro. Opa Zöwie2hatte in Oberlauter eine Papierfabrik, die Haushalts- und Geschenkpapier herstellte. Während des Naziregimes hatte man ihm die Fabrik weggenommen. 1950 musste er noch einmal ganz von vorne anfangen. Er war ein ruhiger, liebenswerter Mann, der gerne Zigarre rauchte. Beeindruckend fand ich, wie er Verantwortung übernahm und wie souverän er Entscheidungen traf. Unternehmer – das wollte ich auch werden. Und dann lande ich in Appenweier. Ich bin 27, komme frisch von der Uni und bin verantwortlich für die Produktion eines mittelständischen Pharmaunternehmens. Bei Scheurich wird im Dreischichtenbetrieb produziert, deshalb fahre ich auch abends in die Firma, um zu sehen, ob ordentlich gearbeitet wird. Da wird mir klar: Ich will das nicht nur, ich kann das auch – Unternehmer sein.

Geografie ist Schicksal. Es ist für den späteren Lebensweg nicht egal, wo du geboren wirst. Natur, Klima, Kultur sind prägende Faktoren. Nicht weniger entscheidend kann sein, in welche Familie man geboren wird. Für Michael Popp gilt das allemal.

1933 gründet Josef Popp, der Großvater väterlicherseits, in Nürnberg die Firma Bionorica. Sie fungiert als Appendix seiner naturheilkundlichen Arztpraxis, für die er pflanzliche Arzneimittel entwickelt. Nach seinem Tod 1945 übernimmt Tochter Erna die Geschäfte. Die Nachkriegsjahre sind Existenzkampf pur. Es gibt kaum Alkohol, Flaschen, Geräte. Die Heilpflanzen werden nach Josef Popps Rezepturen in Glasballons mazeriert und mit gereinigtem Wasser verdünnt, ihr Alkoholgehalt wird mit einer Messspindel ermittelt. Am Küchentisch füllt Erna Popp Flüssigextrakte ab. Tabletten werden von Hand gepresst. Die Lieferung an Apotheken erfolgt mit dem Leiterwagen. 1000 Mark Umsatz im Monat sind ein Spitzenergebnis.

Es hilft, dass Josef Popp sich vor dem Zweiten Weltkrieg in und um Nürnberg einen guten Ruf erarbeitet hatte. Als Ernas jüngerer Bruder, der Mediziner Hans-Oskar Popp, eine Praxis mit naturheilkundlicher Ausrichtung eröffnet, kommt neue Klientel dazu. Auch Hans-Oskar behandelt – wie sein Vater – mittels Augendiagnose und verordnet Produkte von Bionorica. Die Firma richtet einen Außendienst für die Region Nord- und Niederbayern sowie Baden-Württemberg ein, später auch für das Ruhrgebiet. Während ihrer Urlaube in Hamburg wirbt Erna Popp bei Ärzten und Apothekern für ihre Produkte. Hans-Oskars Praxis prosperiert ebenfalls. Seine Patienten kommen inzwischen auch aus der Schweiz, Österreich, Italien, Luxemburg und sogar den USA. Seine Vorträge besuchen bis zu 300 Interessierte. Vor allem Heilpraktiker sind zugänglich für seine Thesen. 1961 werden eine Abfüll- und eine Etikettiermaschine angeschafft. Mitarbeiter beschäftigt Bionorica schon länger.

Das Produktportfolio der Firma ist umfangreich. Die Präparate heißen Nervenheil, Lungenheil oder schlicht Herztropfen. Enausina hilft bei Übelkeit, Laxafix bei Obstipation. Impulsan ist ein Tonikum, das bei allgemeiner und sexueller Leistungsschwäche, aber auch bei Bluthochdruck zum Einsatz kommt. Star der Fünfziger- und Sechzigerjahre ist Betulum®, das bei Magen-Darm-Problemen verordnet wird und Alantwurzel, Anis, Löwenzahn, Tausendgüldenkraut und Absinth enthält. Auch Canephron®, das unter anderem auf den Inhaltsstoffen von Rosmarin basiert und die Nierenfunktion unterstützen soll, verkauft sich gut.

Im Laufe der Jahrzehnte steigt jedoch ein anderes Präparat zum Star des Sortiments auf. Es handelt sich um ein Präparat gegen Erkältungssymptome. 1933 von Firmengründer Josef Popp als Sanor und in Tropfenform entwickelt, wird es 1958 umbenannt in Sinupret®. Von 1964 an ist es auch in Pillenform erhältlich. 1969 erscheint die erste Werbeanzeige. Sinupret® generiert zu diesem Zeitpunkt bereits das Gros der Einnahmen von Bionorica. 1973 liegt der Umsatz der Firma bei etwa vier Millionen Mark. Die Produktion ist längst zu umfangreich für die Räume in einem Hinterhof der Nürnberger Dürrenhofstraße.

1973 baut Bionorica in der Nähe der Nürnberger Innenstadt ein neues Produktions- und Verwaltungsgebäude. Umzug in die Peterstraße ist 1974. Wenig später wird ein wissenschaftlicher Außendienst mit persönlicher Beratung niedergelassener Ärzte eingerichtet. Bionorica lässt außerdem als einer der ersten Hersteller in Deutschland seine pflanzlichen Arzneimittel in kleinen klinischen Studien testen. Trotz inzwischen moderner Produktionsanlagen wird daneben immer noch gearbeitet wie zu Josef Popps Zeiten. In den Achtzigerjahren besuchen die Geschwister Popp erstmals einen Kongress für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in Kuala Lumpur, Malaysia. Auf Erna Popps Anweisung reisen sie an unterschiedlichen Tagen. Damit die Firma im Fall eines Flugzeugunglücks nicht führungslos ist.

Erna Popp ist eine selbstbewusste Frau. Sie ist penibel genau in dem, was sie tut, besteht auf Disziplin und Pünktlichkeit. Darüber hinaus ist sie äußerst sparsam. Nicht einmal eine Sekretärin gönnt sie sich. Sie heiratet nicht und bekommt keine Kinder. Ihre Familie ist die Firma. Zu Erna Popp kann jeder kommen, auch mit privaten Problemen. Mag die Chefin nach außen mitunter eckig und schroff erscheinen, im Kern ihres Wesens ist sie eine herzliche, fürsorgliche, empathische Person. Erna Popp macht sich auch frühzeitig Gedanken um die Nachfolge. Ihre Wahl fällt auf Neffe Michael, Hans-Oskars ältesten Sohn.

Natürlich kannte ich Bionorica von Kindesbeinen an. Mit elf Jahren habe ich in der Dürrenhofstraße erstmals mitgeholfen. Mit 15 Jahren habe ich Tanks gewaschen und poliert, was auch eine tolle Tätigkeit war, weil wir damals die ersten Edelstahltanks bekommen haben. Dass ich Unternehmer werden wollte, war klar. Für mich stellte sich nur die Frage, in welchem Betrieb? Gehe ich in die Papierverarbeitung oder studiere ich Pharmazie und gehe zu Bionorica. Vor allem Tante Erna hat sich ernsthaft um mich bemüht. Wenn samstags die Bestellungen der Pharmagroßhändler kamen, war ich oft bei ihr. Wir sind dann in die Firma gefahren und haben begonnen, die Aufträge zusammenzustellen, damit sie am Montagmorgen von den Packern fertig gemacht werden konnten. Ich habe schon gespürt, dass meine Tante Hoffnungen in mich setzte. Wenn ich wieder mal mit dem Motorrad unterwegs war, sagte sie zu den Mitarbeitern: »Mein Gott, hoffentlich passiert dem Jungen nichts, der Michael soll doch mal die Firma übernehmen.«

Dem Jungen passiert nichts. Er studiert in Erlangen tatsächlich Pharmazie. Er mag das Studium, das er als vielseitig und lehrreich empfindet und ihn zu tief greifender Recherche einlädt. Im Studium zeichnet sich ab, dass Michael Popp immer alles ganz genau wissen und verstehen möchte. Insbesondere im Chemielabor fühlt er sich wohl. Nach seinem Studium will er das Gewerbe umfangreich kennenlernen. Ins Ausland möchte er, eventuell nach Amerika. Die Option ergibt sich theoretisch schon mit seiner Arbeit bei Scheurich in Appenweier. Das Unternehmen gehört der US-amerikanischen Firma A. H. Robins. Auch dissertieren will er unbedingt. Analytik und Galenik3 interessieren ihn besonders. Er will gut vorbereitet sein, wenn er Bionorica übernimmt.

Doch die Erfahrung bei Scheurich verändert ihn. Er sieht den Familienbetrieb nicht mehr aus der Perspektive des Neffen und Sohns der Eigentümer oder eines ambitionierten Pharmaziestudenten. Er sieht Bionorica plötzlich als Unternehmer, der Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen muss. Als Michael Popp im Juli 1987 aus Appenweier endgültig zurück nach Nürnberg kommt, schaut er sich genau an, was er bei Bionorica hat, und vergleicht es mit dem Unternehmen, das er haben will.

Was er hat, ist ein in seinen Augen völlig untaugliches Gebäude. Gebaut von einem Architekten, der davor nur Wohnhäuser konzipiert hat, ist es für die industrielle Produktion nicht geeignet, schon gar nicht für die Herstellung von Pharmazeutika. Das Lager ist im Keller. Es gibt keinen vernünftigen Materialfluss. Die Böden bieten keinen Ablauf für Flüssigkeiten. Eine Trennung zwischen Produktion und Kommissionierung existiert nicht. Darüber hinaus sind die meisten Anlagen veraltet. Viele Tanks sind nicht aus Edelstahl. Die Freigabe der Arzneimittel erfolgt noch immer nach dem organoleptischen Prinzip. Riechen. Schmecken. Zur Prüfung der Klarheit wird ein Reagenzglas mit der Flüssigkeit gegen das Licht gehalten.

Kopfzerbrechen bereitet dem jungen Mann auch das Produktportfolio. Zwar gibt es in Helarium und Klimacorin brauchbare Mittel für Herzbeschwerden aller Art. Auch in Noricaven, das als Thromboseprophylaxe und bei Durchblutungsstörungen angewendet wird, erkennt Michael Popp wertvolle Schätze, ihm fehlt aber das Geld, um sie alle zu heben. Insgesamt ist das Sortiment zu groß, zu divers. Die meisten Produkte werden in sehr kleinen Mengen hergestellt und generieren mehr Kosten als Umsatz. Außerdem gibt es keine brauchbaren Studien, die ihre Eignung als Arznei dokumentieren. Selbst nicht für die Nummer eins im Sortiment. Man weiß nur, dass Sinupret® wirkt, aber nicht, warum. Ideen für andere zeitgemäße, markttaugliche Präparate? Fehlanzeige.

Zu allem Überfluss ist die geschäftliche Struktur der Bionorica GmbH kompliziert. Zum Unternehmensverbund gehört neben der Arztpraxis des Vaters auch die Zöllner-Wiethoff Papierverarbeitung in Oberlauter, die als Zweigniederlassung firmiert. Aus steuerlichen Gründen haben Erna und Hans-Oskar Popp zudem einen Glas- und Spiegelverarbeiter in Weiden gekauft, den sie nicht selbst führen, für den aber die Bionorica GmbH die Haftung übernimmt.

Doch all das erscheint nebensächlich angesichts der größten Herausforderung, vor der das Unternehmen steht. Am 1. Januar 1978 ist das Arzneimittelgesetz in Kraft getreten, das für alle existierenden Arzneimittel eine Nachzulassung fordert. Die Frist dafür läuft am 31. Dezember 1989 ab. Ohne Nachzulassungen verliert Bionorica seine Existenzgrundlage.

Was ich hatte und was ich wollte, passten nicht zusammen. Mein erster Gedanke war, ich muss die Zukunft der Firma sicherstellen. Mir war klar, dass Bionorica oder jedes andere pharmazeutische Unternehmen nur eine Zukunft hat, wenn es mit höchsten Qualitätsansprüchen produziert und über eine möglichst lückenlose Dokumentation seiner Produkte verfügt. Das bedeutete zuallererst – auch wenn die Arzneimittel bereits seit vielen Jahren produziert werden –, dass wir wissen müssen: Wie stellen wir sie her? Warum produzieren wir auf diese Art und Weise? Was ist das Ergebnis? Die nächste Frage: Ist dieses Pharmazeutikum stabil? Haben wir von Charge zu Charge eine Konformität der Qualität? Und nicht zuletzt: Warum benutzen wir die Heilpflanzen für unsere Arzneimittel? Auf keine dieser Fragen hatten wir in der Peterstraße Hinweise oder Antworten. Daher gab es nur zwei Möglichkeiten: Den Laden dicht machen und abwickeln oder auf der grünen Wiese neu bauen. Dicht machen kam nicht infrage. Also hieß es, das Unternehmen von Grund auf neu zu positionieren. Volle Überzeugung. Volles Risiko. Ich sagte mir: Anders kannst du nicht Unternehmer sein.

Tante und Vater halten nichts von diesen Plänen. Sie befürworten eine Betriebserweiterung in Nürnberg. Entsprechende Baugenehmigungen liegen vor. Sie wollen nicht noch einmal von vorne anfangen. Popp junior hat jedoch bei Fachseminaren erfahren, wie moderne Pharmabauten aussehen müssen. Das angrenzende Wohngebiet in Nürnberg lässt überdies kein signifikantes Wachstum zu. Also interveniert er monatelang. Er kennt Bionorica in- und auswendig. Er kennt die Schwächen und Grenzen der Firma. Davon will er nicht abhängig sein. Er will für seine Visionen ausreichend Platz und die nötige Infrastruktur. Bis Tante Erna sagt: »Okay, du hast recht, aber dann musst du es auch alleine machen.«

1987 existiert noch die DDR. Für Betriebe im Zonenrandgebiet gibt es Grenzlandförderung. Subventionen, vergünstigte Darlehen, Steuervorteile. Schnell wird ein 48 000 Quadratmeter großes Grundstück in Neumarkt in der Oberpfalz erworben. Popp junior einigt sich mit dem Oberbürgermeister über einen Neubau. Die Konditionen sind günstig. Eine Bahnverbindung nach Nürnberg ermöglicht es Popp, seinen Mitarbeiterstamm zu halten. Die Entscheidung ist gefallen.

Der junge Mann stürzt sich mit Elan in die schwierige Aufgabe. Er lernt Bilanzen lesen und nimmt am Arbeitskreis für mittelständische Pharmaunternehmer teil. Von erfahrenen Geschäftsleuten will er lernen. Auch Managementseminare besucht er. Ein Satz, den er von dort mitbringt, sollte ihn fortan prägen: »Meine Einstellung bestimmt mein Verhalten.« Er beschließt, jeden Tag positiv anzugehen, ungeachtet aller Probleme. Die Pläne für die neue Produktion in Neumarkt zeichnet er selbst und übergibt sie dem Architekten. Während der Bauarbeiten ist er täglich vor Ort. Sobald das Gebäude in der Peterstraße verkauft ist, so sein Plan, wird er nach Neumarkt umziehen.

Am 1. Januar 1989 übernimmt Popp offiziell die Geschäftsleitung. Er sieht es als Privileg, mit 29 sein eigenes Unternehmen aufbauen zu dürfen. Nach seiner Vision, seinen Plänen. Er bleibt ein Jahr, um die nötigen Nachzulassungen zu erwirken. Die Chancen sind miserabel. Bei aller Entschlossenheit – Popps Vorhaben, die Firma mit einem radikalen Umbau zu retten, ist kaum mehr als eine Lizenz zum Scheitern.

1 OTC ist das Akronym des englischen Begriffs over the counter. OTC-Arzneimittel sind nicht verschreibungspflichtig.

2 Franz Zöllner-Wiethoff, genannt Zöwie, ist der Vater von Michael Popps Mutter Ruth.

3 Galenik ist die Lehre von der Zubereitung und Herstellung von Arzneimitteln.

»WEGEN DER RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN…«

Das Arzneimittelgesetz von 1976 und seine Folgen

Ein rätselhaftes Phänomen beschäftigt die Ärzte Ende 1960. Seit wenigen Monaten kommen immer mehr Kinder mit stark verkürzten oder gar fehlenden Armen und Beinen zur Welt. Die Ursache dieser Missbildungen bleibt im Dunklen, bis sich ein Jahr später ein schlimmer Verdacht erhärtet.

»Missbildung durch Schlaftabletten?« titelt die Welt Ende November 1961 und informiert die deutsche Öffentlichkeit über die fatalen Wirkungen des Schlaf- und Beruhigungsmittels Contergan. Alle Mütter der betroffenen Neugeborenen haben das Medikament während der Schwangerschaft eingenommen. Denn die rezeptfrei erhältlichen Tabletten mit dem Wirkstoff Thalidomid gelten auch als empfohlenes Mittel gegen die Morgenübelkeit von Schwangeren. Bis die schädigende Wirkung von Contergan auf die Embryonalentwicklung bewiesen ist und das Medikament vom Markt verschwindet, sind weltweit etwa 10 000 und in Deutschland mehr als 4000 Kinder zu Schaden gekommen.

Nach der Gesetzeslage kann die Contergan-Tragödie seinerzeit nicht verhindert werden: In der Bundesrepublik liegt die Kontrolle der Sicherheit von Medikamenten allein bei den Herstellern. Bei neuen Präparaten sieht das Gesetz lediglich eine Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht vor.

Das soll sich in den Folgejahren ändern. Aufgerüttelt vom größten Arzneimittelskandal der Nachkriegszeit bemühen sich viele Länder um schärfere Zulassungsprozesse für Medikamente. Doch erst Jahre später, am 1. Januar 1978, tritt in Deutschland ein Arzneimittelgesetz in Kraft, das die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten erstmals streng regelt und sie damit vor vermeidbaren Risiken schützen will.

Fortan sind pharmazeutische Unternehmer, die ein neues Arzneimittel auf den Markt bringen wollen, gesetzlich verpflichtet, eine Zulassung dafür zu beantragen: umfangreiche klinische Studien mit mehreren Hundert Probanden müssen dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als zuständigem Amt vorgelegt werden. Erst wenn diese Testverfahren die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments nachweislich bestätigen, darf die Zulassung erteilt werden.

Das neue Arzneimittelgesetz verpflichtet die Hersteller aber keineswegs nur bei Neuzulassungen zum Einhalten der geregelten Verfahren, sondern auch bei Medikamenten, die bereits auf dem Markt sind. Diese sogenannten Altpräparate dürfen zwar vorläufig im Handel bleiben, allerdings mit der Auflage, sie innerhalb einer Übergangsfrist von zwölf Jahren einer Nachzulassung zu unterziehen. Von der neuen Vorschrift sind zu diesem Zeitpunkt nicht weniger als 140 000 Arzneimittel betroffen. Kein Wunder also, dass sich ihre Anträge zur Nachzulassung bei der Bonner Behörde stauen und deshalb noch jahrelang Medikamente mit unklarem legalen Status im Markt sind.

Indessen stehen die Hersteller von Phytopharmaka mit dem Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes vor einem besonderen Dilemma. Zum einen fordert das Gesetz auch für ihre Arzneimittel den Nachweis von Qualität, Sicherheit und Unbedenklichkeit durch aussagekräftige Studien und Testreihen. Zum anderen aber sind entsprechende Untersuchungen bei pflanzlichen Präparaten wesentlich komplexer als bei chemisch-synthetischen Arzneimitteln. Der Grund: Im Gegensatz zu Synthetika enthalten Phytopharmaka meist mehrere Stoffe, deren Wirkung sich erst aus ihrem Zusammenspiel ergibt. Mit klassisch schulmedizinischen Studien ist eine Analyse dieser Wirkweise sehr schwierig. Viele mittelständische Hersteller stehen mit der gesetzlichen Forderung deshalb aus finanziellen und logistischen Gründen vor einer schier unüberwindbaren Hürde.

Abhilfe verspricht der Gesetzgeber mit der Einrichtung von Expertenkommissionen, die Belege für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneipflanzen und Phytotherapeutika erarbeiten und als Monografien veröffentlichen sollen. Auf dieses Erkenntnismaterial können sich die Hersteller bei der Zulassung von pflanzlichen Medikamenten beziehen – lediglich deren Qualität müssen sie mit eigenen Dokumentationen selbst nachweisen.

Aber auch die Expertenkommissionen arbeiten schleppend. Bis 1994 liegen zwar 330 Monografien zu pflanzlichen Arzneidrogen vor, aber keine einzige zu pflanzlichen Fertigprodukten wie Phytopharmaka. Damit ist ihre Nachzulassung weiterhin gefährdet.

Herstellern, die ihr Medikament nicht vom Markt nehmen wollen, bleiben nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie stufen ihr pflanzliches Präparat als »traditionell« ein – dann ist sein Zulassungsverfahren zwar viel einfacher, aber es verliert seinen Status als anerkanntes Arzneimittel. Oder sie gehen in die Offensive und stellen die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit ihrer Phytopharmaka mit aufwendigen und kostspieligen wissenschaftlichen Studien unter Beweis. So sorgt das Arzneimittelgesetz seit 1978 zwar für eine zuverlässigere Medikamentensicherheit, fordert den Herstellern von Phytopharmaka aber bis heute erhebliche Anstrengungen bei der wissenschaftlichen Akzeptanz ihrer Präparate ab.

KAPITEL ZWEI

ein mann, eine firma, eine erfolgsgeschichte

Wie aus Bionorica einer der weltweit führenden Phytohersteller wurde

März 2019. Michael Popp ist in Moskau. Wie immer, wenn er in die russische Hauptstadt kommt, trifft er Ärzte und Wissenschaftler zum Gedankenaustausch. Auch diesmal sind ein Dutzend führende HNO-Spezialisten, Urologen und Gynäkologen in ein Hotel an der Moskwa gekommen. In der Bibliothek im achten Stock wird es ein Arbeitsessen geben, gerahmt von einer atemberaubenden Aussicht. Gerade kriecht die Dämmerung über Kreml und Roten Platz.

Russlands medizinische Elite trifft einen Freund. Großes Hallo, herzliche Umarmungen, Wangenküsse. Michail Bogomilsky hat für Popp einen elektrischen Korkenzieher mitgebracht. Wladimir Koslow ist eigens aus Almaty angereist, wo er tags zuvor einen Vortrag über die chronische Rhinosinusitis1 gehalten hat. Alexander Amosow trägt lila Krawatte zum flaschengrünen Anzug. Ein Toast auf das Wiedersehen. Und schon geht es um Bionoricas Produktionsstätte, die gerade in Woronesch gebaut wird. Um Woroneschs Gouverneur, der offenbar mit Putin über Bionorica gesprochen hat. Um aktuelle wissenschaftliche Studien und wie die Geschäfte laufen geht es natürlich auch.

Zwei Monate zuvor hat Bionorica die Zahlen für das Geschäftsjahr 2018 bekannt gegeben: 1700 Mitarbeiter, 338 Millionen Euro Umsatz, ein Plus von 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr; 65 Millionen verkaufte Verpackungseinheiten. Zwei Drittel des Umsatzes wurden im Ausland erwirtschaftet. Der Unternehmensgewinn liegt bei 54 Millionen Euro, die Eigenkapitalquote bei 74,4 Prozent, das Bankenrating AAA steht für größtmögliche Bonität.

Bionorica ist weiter beliebteste Marke bei Apothekern und Ärzten. Sinupret® ist weiter das meistverkaufte Erkältungsmittel und hinter Voltaren® die Nummer zwei unter den OTC-Produkten in Deutschland. Jeden Winter dieselben Schlagzeilen. »Grippewelle treibt Verkauf von Sinupret® & Co.« »Die Viren lassen Bionorica nicht im Stich.« »Bronchipret® erzielt neuen Absatzrekord.« Auch die steigenden Verkaufszahlen von Imupret® untermauern den Ruf des Neumarkter Phytoherstellers als Spezialist für Atemwegserkrankungen. Erfreulich auch, dass Bionoricas Cannabis-Wirkstoffe Dronabinol und Cannabidiol, seit sie unter bestimmten Voraussetzungen von den Krankenkassen erstattet werden, für Furore sorgen.2

Was Russland betrifft: Bionorica ist mit fast 100 Millionen Euro Umsatz auch hier Marktführer. Wenngleich das Topprodukt nicht mehr wie früher Mastodynon® heißt, sondern Canephron®. Dazu passt, dass Popp eine Studie mit nach Moskau gebracht hat, veröffentlicht im Oktober 2018, die belegt, dass Canephron® bei einem unkomplizierten Harnwegsinfekt einem Antibiotikum nicht unterlegen ist. Eine kleine medizinische Sensation.

Wo sonst als bei diesem Moskauer Abendessen könnte man besser darüber fachsimpeln. Jeder der Anwesenden kennt den jüngsten Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die mutmaßt, dass 2050 antibiotikaresistente Keime Todesursache Nummer eins sein könnten. Jede verordnete Packung Canephron® wirkt diesem Trend entgegen.

Mit anderen Worten: Popp hat aus einem Pharmaunternehmen mit schwieriger Perspektive, das er 1989 übernommen hat, einen der weltweit führenden Phytohersteller gemacht. Bereits 2008 wurde er in Deutschland zum Unternehmer des Jahres in der Kategorie Industrie gewählt; 2009 erhielt Bionorica den Großen Preis des Mittelstandes; 2013 fand die Firma Aufnahme in die Handelsblatt Hall of Fame der Familienunternehmen. Für die Bayerische Staatszeitung ist er der »Herr der Heilpflanzen«.

Das hört Popp natürlich gerne, bekennt aber: »In zwei Bereichen liegen wir tatsächlich weltweit vorne. Wir sind führend bei der wissenschaftlichen Erforschung von pflanzlichen Arzneimitteln und wir haben die modernste Produktion für pflanzliche Arzneimittel.« 15 Prozent des Umsatzes investiert Bionorica jährlich in Forschung und Entwicklung. Seit 2012 wurden darüber hinaus etwa 200 Millionen Euro für die Infrastruktur des Unternehmens ausgegeben. Und wenn es nach Popp geht, ist beim Wachstum noch lange kein Ende in Sicht.

Das sagt die Pharmabranche

»Eine der herausragendsten Unternehmerpersönlichkeiten unserer Industrie, die absolut Maßstäbe gesetzt hat. Als Person extrem zuverlässig, organisiert und zielgerichtet, sehr schnell im Denken, pragmatisch, kriegt die Dinge auf die Reihe, ist dabei stets unprätentiös.«

KAI JOACHIMSEN

Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI)

»Michael Popp war der Erste, der gesagt hat, ich brauche Evidenz, nur wenn man die Wirkstoffe erforscht und medizinisch dokumentiert, kann man optimistisch in die Zukunft blicken. Das alles zu beweisen, gelingt nur den besten und einflussreichsten Wissenschaftlern – Popp hat sie. Was er mit Mühe, Intelligenz und Geld auf diesem Sektor geleistet hat, ist einzigartig.«

DIRK REISCHIG

Ehemaliger CEO beim Phytohersteller Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG und Aufsichtsratsmitglied bei Bionorica SE

»Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Begegnung, das war 1992 bei einer Pressekonferenz in Neumarkt. Ich habe sofort erkannt: Das ist ein Mann mit großem Talent, sehr willensstark, intelligent und ehrgeizig. Damals gab es einige Firmen in der Phytobranche, die halbseiden waren, Bionorica war es nicht.«

MARCELA ULLMANN

Gründerin und Leiterin des Komitees Forschung Naturmedizin (KFN)

»Das ist einer, der insistiert, der sich durchsetzt, der für seine Überzeugung kämpft. Michael Popp hat die positive Einstellung zu pflanzlichen Arzneimitteln in Deutschland und Osteuropa enorm weiterentwickelt und dabei großen Einfluss auf die Politik und die Interessenverbände genommen.«

HUBERTUS CRANZ

Ehemaliger Generaldirektor des Europäischen Dachverbandes der Selbstmedikationsindustrie (AESGP)

»Ich kenne wenige Unternehmer, die mehr Mut haben als Michael Popp. Er ist wie kaum ein Zweiter in der Lage, Win-win-Situationen zu erkennen und umzusetzen. Das tut er sehr ideenreich und konsequent. Michael ist auch keiner, der seine Meinung wechselt, er steht zu seinen Grundsätzen und Prinzipien.«

BERND WEGENER

Ehemaliger Vorsitzender des BPI

Der Erfolg von Bionorica 2019 basiert auf einer rigorosen Transformation. Im Prinzip krempelt Popp, als er 1989 die Geschäfte übernimmt, den Laden komplett um. Es beginnt mit dem Neubau der Produktion in Neumarkt. Es setzt sich fort mit der Neuorganisation von Anbau, Ernte und Verarbeitung der Heilpflanzen. Popp gründet eine Firma für den Anbau von Heilpflanzen in Ungarn, dann auf Mallorca. Er lässt die Pflanzen nach Inhaltsstoffen analysieren, fahndet nach dem perfekten Saatgut, klont die am besten geeignete Sorte in großem Stil. Gleichzeitig baut er langfristige Geschäftsbeziehungen mit Bauern auf der ganzen Welt auf.

Heute ist Bionorica einer der wenigen Phytohersteller, der die meisten Pflanzen für seine Arzneidrogen selbst produzieren lässt und dabei höchste Maßstäbe anlegt. Popp sagt: »Für jedes Naturprodukt ist die Qualität des Rohstoffs entscheidend. Das gilt für Kaffee wie für Wein wie für pflanzliche Arzneimittel.« Sobald die Heilkräuter oder ihre Pflanzenextrakte nach Neumarkt kommen, werden sie erneut analytischen und pharmakologischen Tests unterzogen. Hightech und Big Data bei jedem Arbeitsschritt. Nichts wird dem Zufall überlassen. Das gilt auch für die Produktion, die ebenfalls von modernster Technologie begleitet und überwacht wird.

Neben der Qualität widmet sich Popp von jeher intensiv der Wirksamkeit seiner Produkte. Belegt wird sie durch zahlreiche klinische evidenzbasierte Studien auf höchstem Niveau. Sinupret®, das 1997 eine Neuzulassung erhält, spielte und spielt dabei stets eine prominente Rolle. Aber auch für die anderen Produkte des Portfolios kann Popp nach anfänglichen Schwierigkeiten die renommiertesten Forscher ihres Fachbereichs gewinnen.