Deutschland dreht durch - Liane Bednarz - E-Book

Deutschland dreht durch E-Book

Liane Bednarz

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Beschreibung

Die AfD ist in aller Munde. Aber was steckt wirklich hinter der neuen Partei? Die altbekannte Rechte? Oder etwa doch eine "Partei neuen Typs", bürgerlich und mit wirtschaftlichem Sachverstand? Liane Bednarz und Christoph Giesa verfolgen die Entwicklung vom ersten Tag an und haben sich nun die Mythen rund um die AfD vorgenommen und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft. Und zwar mit spitzer Feder, zu keinem Zeitpunkt trocken und in dieser Form bisher einmalig.

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Liane Bednarz, Christoph Giesa

Deutschland dreht durch

Die Wahrheit über die AfD

Die Alternative für Deutschland – eine Partei umrankt von Mythen

Welche Politik wünschen wir uns für Deutschland? Welche Werte sind uns wichtig? Die Antworten auf diese Fragen mögen sich mit der Zeit im Detail ändern. Eine Sache sollte aber immer bestehen bleiben: die Menschenfreundlichkeit als Leitmotiv sowohl der Politik als auch der Gesellschaft im Ganzen. Keiner von uns, egal ob nun eher sozialdemokratisch oder konservativ, liberal oder grün angehaucht, möchte sich vorstellen, in einer Welt zu leben, in der Menschen nicht füreinander da sind, einander in Notsituationen helfen, Solidarität üben, dem anderen seine Sicht der Dinge zugestehen und ihn sein eigenes Leben gestalten lassen.

Spätestens seit Thilo Sarrazins »Deutschland schafft sich ab« aber dreht Deutschland durch. Jeden Tag ein bisschen mehr. Die Debatten um Pirinçci, HoGeSa und Pediga – vor allem die Art, wie sie geführt werden – lassen keinen Zweifel zu: Irgendetwas ist ins Rutschen geraten. Der fröhliche Patriotismus, der seit der Fußball-WM 2006 beschrieben wurde, ist seit einiger Zeit auf dem Rückzug. Er wird abgelöst von einem Hang zur Abschottung, zur Abwertung des anderen, zur Diskriminierung von Minderheiten. Und genau in diese Stimmung hinein gründete sich die Alternative für Deutschland (AfD). Ist sie also die Sarrazin-Partei, nur ohne Sarrazin?

Der erste Eindruck bestätigt die Vermutung: Die AfD bedient negative Gefühle. Sie spielt mit Angst, sie schürt subtil Hass – auf das System, aber auch auf Menschen. Und zwar ohne Unterlass, oder hat schon irgendjemand von einem der bekannten AfD-Politiker auch nur ein ernstgemeintes Wort der Empathie, etwa gegenüber Flüchtlingen, gehört? Oder einen Satz der Nächstenliebe, an den nicht ein »aber« angehängt wird? Trotzdem – oder gerade deshalb? – räumt die neue Partei bei Landtags- und Europawahlen ab.

Nicht rechts und nicht links will sie sein. »Bürgerlich« nennt sie sich. Wähleranalysen zeigen indes deutlich, dass sich von der neuen Partei diejenigen angesprochen fühlen, die vorher schon mit rechten, rechtsradikalen und rechtsextremen Kleinparteien – von der NPD über Die Freiheit, die Republikaner, die DVU und Pro Deutschland bis hin zur Schill-Partei – sympathisiert haben. Aber eben nicht nur diese. Die Wählerschaft der AfD rekrutiert sich aus allen politischen Lagern und aus der Gruppe der Nichtwähler gleichermaßen. Wie passt das zusammen? Muss da nicht irgendwer furchtbar falsch liegen in seiner Vorstellung von der neuen Partei?

Um die AfD ranken sich so viele Mythen wie um keine andere Partei in Deutschland. Die meisten davon speisen sich aus dem selbst deklarierten Gründungsimpuls, man wolle eine neue bürgerliche Kraft, eine Partei neuen Typs schaffen, die als »Professorenpartei« besonderen wirtschaftlichen Sachverstand in die politische Diskussion einbringen soll. Nach den ersten Erfolgen gesellte sich als weiterer Mythos hinzu, die Truppe um Bernd Lucke sei eine neue »kleine Volkspartei«. Ausfälle – vor allem die nach Rechtsaußen – werden als lästige Einzelfälle abgetan, derer man sich schnell entledigt. Stattdessen erhebt man den »gesunden Menschenverstand« und den »Mut zur Wahrheit« zum Leitbild. Lässt man sich diese Kombination auf der Zunge zergehen, kann man sich vorstellen, wie jedes Überraschungsei vor Neid erblassen muss. Die AfD will also so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau der Politik sein und alles, wirklich alles besser und perfekt machen.

Als erfahrenem – und damit kritischem – Demokraten muss einem die durch sie selbsterfolgte Glorifizierung einer Partei allerdings irgendwie seltsam vorkommen. Zu oft musste man bereits erleben, dass große Ankündigungen im Tagesgeschäft zermalmt wurden oder in der Implementierung ihre Schwächen offenbarten. Die perfekte Partei, das sollte man über die Zeit gelernt haben, gibt es nicht. Es lohnt daher, auch und gerade bei der AfD einen genaueren Blick auf die Realität hinter der auf Hochglanz gebürsteten Fassade wohlfeiler Worte zu werfen. Was ist eigentlich eine Partei »neuen Typs«? Und handelt es sich bei den immer wieder zu vernehmenden rechten Ausfällen tatsächlich um Einzelfälle? Oder sind diese nicht vielleicht vielmehr Teil eines tieferliegenden Problems der jungen Partei? Sind Macher, Mitglieder und Wähler der AfD tatsächlich Fleisch vom Fleisch des Bürgertums, Menschen, die aufrecht standen, während sich Union und FDP von ihnen entfernt haben? Und ist die AfD deshalb fast schon zwangsläufig auf dem Weg zur neuen Volkspartei? Einer Volkspartei vielleicht sogar, die besondere Kompetenz in wirtschaftlichen und anderen Sachfragen mitbringt?

Die Antwort auf genau diese Fragen wollen wir auf den folgenden Seiten geben. Dabei wollen wir gar nicht so tun, als ob wir unparteiisch wären. Die Autorin dieses Buches versteht sich als konservativ, der Autor als liberal. Zusammen spannen wir weite Teile dessen auf, was gemeinhin als bürgerlich gilt. Wir sehen uns als Demokraten, die empfindlich auf jegliche Übergriffe auf die Selbstbestimmung von Menschen, auf ihre Würde und auf ihre unveräußerlichen Rechte reagieren. Wir würden uns als Menschenfreunde bezeichnen. Aus dieser Perspektive heraus ist dieses Buch geschrieben, und aus dieser Perspektive heraus erfolgen auch die politischen Einordnungen.

Der Mythos von der Partei neuen Typs

Je mehr man sich mit der AfD beschäftigt, desto öfter fühlt man sich an einen Sketch mit Louis de Funès erinnert, der mehrfach hintereinander mit neuen Informationen und Vorwürfen konfrontiert wird, woraufhin sich immer wieder dieselbe Kommunikation wiederholt: »Nein!« – »Doch!« – »Oh!« Konfrontation, Leugnung, Beweis, gespielte Überraschung. Konsequenz: keine. So ungefähr lässt sich beschreiben, was man in immer neuen Schleifen erleben kann, wenn man die bekanntesten Köpfe wie Bernd Lucke oder Hans-Olaf Henkel mit dem Vorwurf konfrontiert, dass die AfD-Spitze für Vertreter einer »Partei neuen Typs« in Inhalt, Argumentationsstruktur oder Tonalität doch ziemlich klassisch am rechten Rand zu verorten ist. Die Rechtfertigungsversuche, die man dann hört, lauten wahlweise, dass man das wohl falsch verstanden habe, es auf jeden Fall anders gemeint war und überhaupt die AfD mit radikalen oder gar extremen Meinungen ja gar nichts zu tun habe. So kommt man nicht weiter. Deshalb ist der Blick auf die wichtigen Köpfe der Partei, die bisher nicht allzu sehr im Rampenlicht standen, viel interessanter. Denn dort wird wirklich noch »Klartext« gesprochen – eine Lieblingsvokabel der rechten Szene übrigens. Das hilft bei der Beantwortung der Frage: Ist die AfD nun tatsächlich eine Partei neuen Typs? Oder doch nur eine rechtspopulistische Kraft, die in Teilen sogar rechtsradikal zu nennen ist? Der erste Blick geht dabei zu den Wahlgewinnern in Ostdeutschland.

Anlässlich der Landtagswahl in Sachsen am 31. August 2014, die für die AfD mit 9,7 % glänzend ausging, verkündete Frauke Petry, die die Spitzenkandidatur im Freistaat übernommen hatte und neben Lucke und Konrad Adam Parteichefin ist, nonchalant, das Leitbild der AfD sei eine »rechte demokratische Politik«, rechtsextrem sei man aber nicht.1 Damit räumte sie mit dem Mythos der Partei neuen Typs jenseits von rechts und links, den man vorher so mühsam versucht hatte aufzubauen und aufrecht zu halten, eigentlich schon wieder auf. Noch klarer äußerte sich ihr Kollege Björn Höcke, Landesvorsitzender in Thüringen, der zwei Wochen später ein Ergebnis von 10,6 % einfuhr. Er hatte die Partei bereits Mitte August in der Blauen Narzisse, einem rechten Online-Medium als »identitäre Kraft« bezeichnet. Was für Nichteingeweihte harmlos klingt, ist tatsächlich eine klare Sympathiebekundung an die Adresse der »Identitären Bewegung«, einer seit 2012 in Deutschland aktiven »neurechten« Bewegung, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Weder Inhalt noch Gesprächspartner waren dabei übrigens dem Zufall oder gar einer Unwissenheit Höckes geschuldet, sprach jener doch auch danach fröhlich und ohne jede Hemmung mit Rechtsaußen-Medien wie der Sezession oder Zuerst!.

In diesen Interviews ließ sich Höcke zu allem, was ihm unter den Nägeln brannte, nahezu filterlos aus, und zwar ohne dass aus der Parteispitze oder aus anderen Landesverbänden laut vernehmbarer Widerspruch gekommen wäre. So behauptete er etwa, dass »alle Werte dekonstruiert, alle Tabus gebrochen, der öffentliche Raum vernutzt und der Einzelne materialisiert [werden]«2 und »mittelfristig unser Volksvermögen, unsere staatliche Integrität und unser Weiterbestand als Träger einer Hochkultur auf dem Spiel [stehe]«. Höcke sieht die AfD deshalb auf »historischer Mission«3, bezeichnet sie sogar als »letzte evolutionäre Chance für unser Land«4 und warnt, wie die Thüringer Allgemeine schreibt, vor »der erstarrten und [von] der Macht korrumpierten Berufspolitik, vor der demografischen Katastrophe, der Islamisierung, der Hypersexualisierung, der Masseneinwanderung und dem Kartell der veröffentlichten Meinung, das dies alles verschweigt«5. »Radikales Denken« schätzt er, egal ob es sich mit seiner Meinung deckt6.

Große Probleme hat Höcke auch mit einer elementaren Säule unseres demokratischen, aufgeklärten Gesellschaftsmodells. So kann er offensichtlich nichts mit dem Verfassungsgrundsatz der Religionsfreiheit anfangen, denn er hält nicht viel davon, Muslimen den Bau von Moscheen per se zu erlauben7. Große Sorge bereitet ihm in diesem Kontext auch das vermeintlich bevorstehende »Aussterben des deutschen Volkes«8. »Dass zunehmend Moscheen gebaut werden, zeugt von einem großen Selbstbewusstsein der Zuwanderer und einem gewaltigen ethnischen sowie kulturellen Transformationsprozess, der vor unser aller Augen abläuft«, lässt er sich zitieren9. Auch sonst hat Höcke erstaunlich geringe Berührungsängste mit Ansichten von Rechtsaußen, fordert gar, »dass es in einer freien Gesellschaft möglich sein muss, auch über das Dritte Reich unorthodoxe Meinungen zu äußern«10. »Unorthodox« ist fraglich auch die pathosgeladene Beschwörung des »Volkswohls« und einer am »Volkswohl orientierten Politik«, die ihm so eigen ist11.

Höcke bejammert außerdem Denkvorgaben, wo gar keine sind. Sein Problem – und das seiner Partei – ist eigentlich ein anderes: Die Wahlergebnisse zeigen, dass sein reaktionäres Gedankengut von der großen Mehrheit in Deutschland nicht geteilt und in weiten Teilen sogar als abstoßend empfunden wird. Erfreulicherweise, möchte man hinzufügen. Weil Leute wie Höcke genau das nicht ertragen können, stimmen sie ständig das große Klagelied von den angeblichen Meinungs- und Denk- und Sprechverboten12 an, mit denen die »politische Korrektheit« das Land unter Kuratel halte. Weil man selbst die Mehrheit der Menschen nicht erreicht, inszeniert man sich also als Opfer. Das wiederum – sich als »verfolgte Unschuld« und als »beharrlicher und hartnäckiger Kämpfer für die gerechte Sache« zu stilisieren13 – ist ein bekannter rechtspopulistischer Trick, wie Politikwissenschaftler Florian Hartleb beschreibt. Wer die Positionen der AfD nicht teilt, wird hingegen ganz generell von AfD-Größen als »Gesinnungswächter«, »Sprachpolizist« oder auf ähnliche Weise verächtlich gemacht. Meinungsfreiheit ist für die Höckes dieser Republik immer nur die eigene, niemals die der anderen.

Auch ansonsten sind die typischen Merkmale, die laut Hartleb konstituierend für rechtspopulistische Parteien sind, in den Äußerungen des Spitzenpersonals und in der Wahlkampfprogrammatik der AfD frappierend oft zu finden. Zu diesen zählen in inhaltlicher Hinsicht namentlich die Warnung vor einer multikulturellen Gesellschaft, die angeblich die nationale Identität gefährdet und der ein ethnisch definierter Volksbegriff entgegengesetzt wird, das Feindbild der »Islamisierung des Landes« und zugleich das Beschwören eines autoritären Law-&-Order-Staates, der vor allem hart gegen »kriminelle Ausländer« durchgreifen soll. Kernelement ist Hartleb zufolge des Weiteren »ein (national-)identitätsstiftender Kurs, der gegen supranationale Institutionen wie die Europäische Union und gegen die Globalisierung als solche gerichtet ist«. Dazu gesellen sich »Sozialdemagogie« und eine Verächtlichmachung etablierter Parteien mit, oha, dem Begriff »Altparteien«. Das schrieb Hartleb wohlgemerkt schon 2005. Das ständige Gerede der AfD von »Altparteien« ist also alles andere als eine Innovation der selbsternannten »Partei neuen Typs« – und ganz sicher kein Zufall.

Das Aufgreifen von Ressentiments, die ohnehin in der Bevölkerung vorhanden sind, ist ebenfalls typisch für Rechtspopulisten. Dies geschieht vor allem durch die undifferenzierte Darstellung von gesellschaftlichen Konflikten (bei der AfD vor allem bei den Themen Asylbewerber und Immigration), Schwarz-Weiß-Denken (etwa beim Euro), das Aufstellen von Behauptungen, die als Wahrheit verkauft werden (man denke nur an den AfD-Slogan »Mut zur Wahrheit«), die vermeintlich »intuitive Erfassung eines angeblich homogenen ›Volkswillens‹« (dazu passt die in der AfD immer wieder beschworene angebliche »schweigende Mehrheit«), dem man durch Elemente der direkten Demokratie Ausdruck verleihen möchte, sowie das »Establishment« bzw. »die da oben« als Hauptadressat der Kritik, weil diese angeblich »den Interessen des Volkes zuwiderhandeln«. Interessanterweise sieht Hartleb die »zentrale Forderung des Populismus« darin, »die Politik (…) aus der Dimension undurchsichtiger Institutionen und Funktionsweisen in einer Art Fiktion auf die Ebene des Alltagsverstands zu transportieren.« Wer denkt da nicht an die immer wieder von der AfD bemühte Behauptung, eine Politik des »gesunden Menschenverstands« zu betreiben? Eine Wortwahl, die einmal mehr kein Zufall sein dürfte.

Nun könnte man dieses Kapitel fast schon an dieser Stelle abschließen. Denn dass es sich bei der AfD nicht um eine irgendwie geartete Partei neuen Typs, sondern ganz schlicht und einfach um eine hellblau lackierte Rechtsaußen-Partei handelt, dürfte inzwischen klar sein. Denn so viele Zufälle gibt es noch nicht einmal in einer schlechten Seifenoper. Nichtsdestotrotz lohnt sich ein genauer Blick, um die Denkstrukturen der AfD-Spitzenpolitiker zu verstehen. Denn wer wundert sich nicht darüber, dass etwa ein Gymnasiallehrer, also ein Mensch, dem man eine gewisse Bildung zusprechen würde, zu einer solchen radikalen Haltung kommen kann wie Björn Höcke, der, wie die Thüringer Allgemeine