Die Angstprediger - Liane Bednarz - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Angstprediger E-Book

Liane Bednarz

0,0
14,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Religion und Politik: Welchen Einfluss haben rechte Christen in Deutschland? In ihrem politischen Debattenbuch beschreibt Liane Bednarz, wie Teile der evangelischen, evangelikalen und katholischen Christen seit Jahren rechtes Gedankengut annehmen und verbreiten. Diese Art von Fundamentalismus nutzt das bürgerliche Vertrauen in die christliche Religion und ihre Kirchen, um die bürgerliche Mitte mit rechten Ideen zu infiltrieren und einen Kreuzzug gegen Pluralismus und Toleranz zu führen. Rechte Christen sind seit Jahren auf dem Vormarsch. Sie sind in den Volkskirchen und in evangelikalen Gruppierungen zu Hause, sie haben ein klares Feindbild und meinen, damit das christliche Abendland zu schützen. Rechte Christen kämpfen gegen die angebliche Islamisierung, gegen Zuwanderung und Migration, gegen die Ehe für alle, Homosexualität, Gender Mainstreaming, Gleichberechtigung und Abtreibung, ein zeitgemäßes Familienbild und zu liberale Haltungen in den großen Kirchen. Die Verbindungen zur rechten populistischen Szene sind zum Teil fließend; Die Angstprediger zeigen bisweilen offene Sympathie für Pegida, die AfD und die vom Verfassungsschutz beobachtete Identitäre Bewegung. In ihrem Debattenbuch deckt Liane Bednarz die Netzwerke der rechten Christen auf, beschreibt ihre Feindbilder, Überzeugungen und Aktionsformen und warnt vor den gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Instrumentalisierung von Religion. "Fromme Christen und rechte Wähler bilden eine Allianz. Nach der Flüchtlingskrise soll der Widerstand gegen Abtreibungen und gleichgeschlechtliche Ehen die AfD beflügeln." Der Spiegel

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 331

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Liane Bednarz

Die Angstprediger

Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern

Knaur e-books

Über dieses Buch

Die rechten Christen sind seit Jahren auf dem Vormarsch – unbemerkt von der Öffentlichkeit. Sie gewinnen zunehmend an Einfluss in den politischen Parteien, in Zeitschriftenredaktionen und in den Volkskirchen. Der Kampf gegen eine angebliche »Islamisierung«, Kampagnen gegen die »Ehe für alle«, Gleichstellung, Abtreibung und den sogenannten »Genderwahn« sind die großen Themen dieses Kreuzzugs. Liane Bednarz beobachtet die Szene seit Jahren. In ihrem Buch nennt sie die Akteure beim Namen, beschreibt ihre Überzeugungen und Ziele und warnt vor den gesellschaftlichen Konsequenzen ihres Erfolgs.

Inhaltsübersicht

VorwortWie aus konservativer Frömmigkeit ein Denken in Feindbildern wurdeDas politische Klima in [...]Konservativ vs. rechts nach 1945Die Neue Rechte in Deutschland und ihre Berufung auf das ChristentumEthnopluralismus unter rechten Christen – wie man sich von der Bibel entferntAntipluralismus – vom politreligiösen DenkenDie Verteidigung der Scharfmacher Thilo Sarrazin und Akif PirinçciThemen, Feindbilder und AkteureFixierung auf die SexualitätGender-Theorie und christliches Menschenbild: Wie aus legitimer Kritik Hysterie wirdGender Mainstreaming – wie rechte Christen mit der Gleichstellung von Mann und Frau Desinformation betreibenGender Diversity: das Reizthema HomosexualitätDie Debatte um Michael Dieners Äußerungen zur HomosexualitätHomosexualität in der BibelDer Glaube an die »Heilung« HomosexuellerDie Ablehnung der »Ehe für alle«»Frühsexualisierung«, »Angriff auf die Familie« und die »Demo für Alle«Feindbild Gender StudiesFeindbild Sexualität und die Netzwerke zwischen rechten Christen und neurechtem MilieuVerfallsrhetorik aus christlichem MundPutin als »Garant christlicher Werte«Die Angstprediger und ihr Feindbild IslamDie Ausbreitung des Ressentiments in den letzten JahrenDie Haltung der Kirchen zum IslamDie Anti-Islam-Agitation von Hans-Peter RaddatzDas Geraune von der »Neuen Weltordnung«Die Mythen von der »Islamisierung«»Wintermärkte« statt »Weihnachtsmärkte«?St. Martin und die Sternsinger: politisch korrekt umbenannt?Die Legende von der Kreuzabnahme am TempelbergChristenverfolgung: Ein wichtiges Thema wird instrumentalisiertEinwanderung, Flucht und Asyl: Nächster oder Fremder?Die Ablehnung von Euro und EUDie Verachtung der Moderne – vom Kampf gegen den »Zeitgeist« und die »politische Korrektheit«Evangelische Anti-Zeitgeist-AktivistenFeindbild »Politische Korrektheit«Die rechten Christen und die Freiheit der KunstDie Angstprediger und ihre MitstreiterPegida – Retter des christlichen Abendlands?Antiklerikalismus – was passiert, wenn die Kirchen nicht so wollen wie die rechten Christen»Sine Dubia« – ein »Weckruf« gegen die Lästereien über Papst FranziskusSchelte von rechts gegen BischöfeMedienschelte und MilieumedienDie positive Haltung gegenüber AlternativmedienWarum die AfD für viele rechtskonservative Christen so attraktiv istFeldforschung: Zu Besuch bei Veranstaltungen mit den Christen in der AfDChristliche AfD-ApologetenBundestagsabgeordnete und Programmatik der »Christen in der AfD«Das »kirchenpolitische Manifest« der AfDZunehmende Kritik an der AfD auch im konservativ-christlichen MilieuWie umgehen mit rechten Positionen aus christlichem Mund?
[home]

Vorwort

In den letzten Jahren ist es rechten Strömungen gelungen, in Teile der Gesellschaftsmitte vorzudringen. Zwar existierten diese Denkrichtungen schon immer in der Bundesrepublik, doch waren sie bislang sowohl gesellschaftlich als auch politisch fast bedeutungslos. Hingegen stießen sowohl die Alternative für Deutschland (AfD) als auch die Pegida-Bewegung von Anfang an auch in bürgerlichen Kreisen auf Sympathien und blieben selbst dann anschlussfähig, als sie sich zunehmend radikalisierten. Unter dem berühmt-berüchtigten Motto »Man wird ja wohl noch sagen dürfen« trauten sich plötzlich nun auch Menschen aus der bürgerlichen Mitte, rechtspopulistisches Gedankengut zu vertreten und etwa die etablierte Politik als »Altparteien« bzw. »Politikerkaste« sowie die Medien als »Lücken-« bzw. »Lügenpresse« zu diffamieren.

Man kann mittlerweile von einer regelrechten Spaltung innerhalb der konservativen Kreise beider Konfessionen sprechen. Mit »konservativen Kreisen« sind diejenigen Gläubigen beider Konfessionen gemeint, die sich selbst so einordnen: Katholiken, die etwa den Zölibat befürworten, die Frauenordination ablehnen und Anhänger einer strengen Kirchenhierarchie sind, sowie bibeltreue Protestanten, die die Heilige Schrift zum Teil sehr wörtlich nehmen. In der Regel sind Letztere dem evangelikalen Milieu zugehörig, also entweder Mitglieder von Freikirchen oder in den entsprechenden Kreisen der Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu Hause. Regional findet man sie besonders häufig in den pietistisch geprägten Regionen im Südwesten, aber auch in schwäbischen Gebieten in Bayern, im »Bibelgürtel« rund um Dresden, in der Gegend um Wuppertal sowie im Siegerland und in Nordhessen. Der eine Teil von ihnen hat rechtes Denken mindestens partiell adaptiert und pflegt dementsprechend dieselben Feindbilder, während der andere Teil sich davon strikt abgrenzt. Wie unter einem Brennglas ist bei der ersten Gruppe etwas zu sehen, was sich auch gesamtgesellschaftlich beobachten lässt: wie aus ehemals harmlosen Konservativen Menschen werden, die schrittweise rechte Positionen übernehmen und sich nicht selten nach und nach immer weiter radikalisieren.

Zwar erscheint bei den kirchennahen Christen der prozentuale Anteil derer, die gen rechts gedriftet sind, nicht besonders hoch, jedoch sind sie in den sozialen Medien und den Kommentarspalten des Internets sowie auf eigenen Blogs sehr aktiv. Sie verfügen zudem über einige prominente Aushängeschilder und Netzwerke, mittels derer sie versuchen, Einfluss auf die Politik und die Kirchen zu nehmen. Innerhalb der AfD gibt es sogar eine Gruppierung, die sich Christen in der AfD (ChrAfD, gesprochen »Kraft«) nennt.

Freilich sind nicht alle Christen, die sich rechtes Gedankengut angeeignet haben, AfD-Anhänger. Manche von ihnen neigen den Unionsparteien zu und sind dort bisweilen sogar Mitglied. Ihre Meinungen und Werte unterscheiden sich jedenfalls gesellschaftspolitisch oftmals nicht wesentlich von denjenigen, welche man in AfD-Kreisen vorfindet. Gemeinsame Feindbilder sind etwa der »Genderwahn«, die »Islamisierung des Abendlands« und die »GEZ-Medien«. Viele dieser Menschen, wenngleich längst nicht alle, ziehen immerhin dann eine Grenze, wenn das Denken völkisch-rechtsradikal wird. Mit Björn Höcke, dem Rechtsausleger der AfD, wollen die meisten inhaltlich nichts zu tun haben. Das ändert aber nichts daran, dass nicht wenige von ihnen typisch neurechte Topoi wie die »Überfremdung« oder die Unterscheidung zwischen dem »Eigenen« und dem »Fremden« längst in ihren Wortschatz übernommen haben und aktiv verwenden.

Bedenklich ist diese Entwicklung deshalb, weil man bei Menschen, die dezidiert christlich auftreten, eher nicht mit solchen Termini und rechtem Gedankengut rechnet. Im Gegenteil: Oftmals genießen sie einen Glaubwürdigkeitsvorschuss, weil ihnen ein hohes Maß an Nächstenliebe und Barmherzigkeit zugeschrieben wird. Das macht es ihnen besonders einfach, ihre Thesen unter dem Deckmantel der Lehramts- bzw. der Bibeltreue zu verbreiten.

Im Frühjahr 2016 sprach der Publizist Thomas Seiterich darum auf »katholisch.de«, dem offiziellen Portal der Deutschen Bischofskonferenz, zutreffend von einem neuen »semantischen Kampf um das Christliche«[1]. Er hob hervor, dass »führende Akteure der rechtspopulistischen AfD (…) die Begriffe christlich und Christentum (kapern)« und »die frisch eroberten Worte nach ihrer rechten Ideologie um(deuten)«. Auf diese Weise, so Seiterich weiter, machen »die selbst ernannten Abendlandverteidiger aus dem internationalistischen, antirassistischen Christentum der Nächstenliebe eine Art antiislamische, weiße Stammesreligion«. Er betonte, dass die »Brisanz« dieser Entwicklung in vielen Kirchenregionen außerhalb der großen Städte noch nicht erkannt worden sei. Auch deshalb sei »offen, (ob) die rechte Instrumentalisierung von Christlich und Christentum auf Dauer überzeugend und mit Erfolg (abgewehrt) werden« könne. Seiterich bezog sich dabei sowohl auf die katholische als auch auf die evangelische Kirche.

In der Tat: Längst fordern rechte Christen von ihrer jeweiligen Kirche, ihrem politischen »Extremkonservativismus« zu folgen, wie der Redakteur Matthias Kamann es in der Welt ausdrückte.[2]

Das Phänomen der rechten Christen ist nicht nur auf Deutschland begrenzt. In Polen und Ungarn können sich die autoritären Regierungen auf eine breite Unterstützung christlicher Wählerschichten stützen. Auch der Front National verdankt seinen Aufstieg vor allem im Süden des Landes nicht zuletzt einem ultrakonservativen katholischen Milieu. Und der Politikwissenschaftler Claus Leggewie spricht schon länger davon, dass die »religiöse Rechte« in den USA das heute »stärkste und mobilste Bataillon der konservativen Revolution« sei.[3]

 

Für dieses Buch sind ein paar Begriffe zentral, deren genauer Inhalt im Verlauf der Lektüre deutlich werden wird. Zur Vermeidung von Missverständnissen sei ihre Bedeutung hier jedoch kurz angerissen. Mit der »Neuen Rechten« ist eine Bewegung gemeint, die in den 1970er-Jahren in Frankreich entstanden ist und die sich von dem altrechten Denken insofern abgrenzte, als sie den Nationalsozialismus ebenso ablehnte wie den Neonazismus. Sie sagte sich mithin von der Hitler-Verehrung, der Holocaustleugnung sowie dem Konzept der Herrenrasse los. Stattdessen knüpfte sie an die Vordenker der sogenannten »Konservativen Revolution« der späten Weimarer Republik an, deren Haltung völkisch, antiliberal und antipluralistisch war.

Da auch viele Vertreter der heutigen Neuen Rechten sich selbst als »Rechtsintellektuelle« bzw. »rechts« bezeichnen, wird letzterer Begriff im Folgenden immer dann verwendet, wenn es um Haltungen geht, die nicht mehr »nur« konservativ erscheinen, weil sie, wie der Historiker Volker Weiß in seinem 2017 erschienenen Buch Die autoritäre Revolte ausführt, »den Rahmen dieses Begriffs längst gesprengt haben«.[4] Hinzu kommt, dass auch in der Wissenschaft das Wort »rechts« für diese Positionen verwendet wird. Das bedeutet nicht, dass diese automatisch radikal sein müssen. Auch die Neue Rechte selbst unterteilt sich in einen radikalen und einen moderaten Flügel, wovon noch die Rede sein wird. Die Bezeichnung »rechts« erlaubt es überdies, auch den Rechtspopulismus mit einzubeziehen, der gewissermaßen eine Stufe unterhalb des neurechten Denkens angesiedelt ist. Im Unterschied zu Letzterem kommt er nicht zwingend völkisch daher, wie etwa bei diversen Parteien dieses Zuschnitts in Skandinavien zu sehen ist.

Um für jene Christen, die eben nicht mehr »bloß konservativ« sind, einen griffigen Begriff zu finden, werden sie nachfolgend als »rechte Christen« bezeichnet, auch wenn nicht jeder von ihnen ausschließlich rechte Positionen vertritt. Vielmehr findet sich bei ihnen eine Melange aus klassisch konservativen und rechten Positionen. In dieser zeigt sich auch, wie der Begriff »rechtskonservativ« richtigerweise zu verstehen ist: Nimmt man die Unterscheidung zwischen konservativ und rechts ernst, so hat das »Rechtskonservative« letztlich keine eigene Bedeutung. Der Terminus eignet sich aber dazu, den Kreis derjenigen zu beschreiben, die konservative und rechte Positionen und damit einen Antagonismus in sich vereinen, sei es nun bewusst oder unbewusst. So gesehen, sind tatsächlich viele Christen in diesem Sinne rechtskonservativ. Die meisten von ihnen haben »lediglich« Vorstellungen der moderaten neurechten Szene übernommen. Völkisch-rechtsradikale Haltungen findet man wie erwähnt deutlich seltener.

Das vorliegende Buch versteht sich ausdrücklich nicht als Pranger, sondern soll eine Debatte anstoßen, die idealerweise nicht nur zu einer Selbstvergewisserung des Christlichen, sondern auch des Konservativismus insgesamt führt. Dazu ist eine weitere Eingrenzung erforderlich. Bei den Menschen, deren Positionen in diesem Buch thematisiert werden, handelt es sich in der Regel um solche, die ganz bewusst und beständig als Christen in der Öffentlichkeit auftreten, hingegen nicht um solche, die zwar Christen sind, darüber aber öffentlich eher weniger sprechen.

Neben der Vorstellung typischer Feindbilder und Thesen der Vordenker rechter Christen werden im Folgenden ihr Aktionsradius, ihre personellen Zusammenschlüsse sowie ihre Verbindungen in das neurechte Milieu hinein dargestellt.

Dieses Buch konnte nur mit der großartigen Unterstützung meines Agenten Ernst Piper sowie der Mitarbeiter der Verlagsgruppe Droemer Knaur entstehen. Ihnen gilt mein herzlicher Dank. Ein besonderer Dank gebührt zudem Franz Eibl und Enzio Graf Rességuier de Miremont, die das Manuskript gelesen und mir wertvolle Anregungen gegeben haben.

[home]

Wie aus konservativer Frömmigkeit ein Denken in Feindbildern wurde

[home]

Das politische Klima in Deutschland hat sich seit einigen Jahren verschlechtert. Immer deutlicher und zahlreicher artikulieren Menschen ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der etablierten Politik und den Qualitätsmedien. Dieser Prozess ist durch die Entstehung der AfD im Jahre 2013 und ihre seit dem Frühjahr 2015 immer rasanter verlaufende Radikalisierung beschleunigt worden. Mit dieser Partei, die bis heute von ihrem aus der Anfangszeit resultierenden bürgerlichen Anstrich profitiert, verfügt das rechte Denkmilieu erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik über einen relevanten politischen Arm. Allen zuvor gegründeten Parteien mit einer Ausrichtung rechts der CDU/CSU, wie sie etwa die »Republikaner« oder der »Bund freier Bürger« hatten, gelang es nicht, sich dauerhaft zu etablieren.

Die im Herbst 2014 ins Leben gerufene Pegida-Bewegung, deren Name ein Akronym für die Eigentitulierung als »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« ist, brachte den Protest von rechten Wutbürgern in Dresden mit zeitweise bis zu 25000 Teilnehmern auf die Straße. »Volksverräter« und »Lügenpresse« lauteten die bekanntesten Schlachtrufe. Zwar gelang es den Pegidisten nicht, den Protest in signifikantem Ausmaß bundesweit in die Innenstädte zu tragen, jedoch erfreuen sie sich bis heute in bestimmten Milieus auch weit über Sachsen hinaus großer Sympathie.

Wie eingangs erwähnt, hat sich ausgerechnet ein Teil des konservativ-christlichen Milieus als sehr bereit erwiesen, rechtes Gedankengut zu übernehmen. Die typischen Punkte, an denen dies deutlich wird, sind neben der Haltung zur AfD und der Pegida-Bewegung die Einstellung gegenüber Autoren wie Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci. Gleiches gilt für die Positionen, die man zu Gender-Themen, zum Islam und der Flüchtlingspolitik unter Bundeskanzlerin Angela Merkel vertritt.

Die Existenz einer solchen Bruchlinie ist keineswegs ein Umstand, der nur kritischen Beobachtern der rechtskonservativen Szene auffällt. Vielmehr lud der in diesen Kreisen beliebte Publizist Michael Klonovsky – selbst kein Christ – bereits im Dezember 2014 auf seinem Blog acta diurna einen Eintrag hoch, den das rechtslibertäre Magazin eigentümlich frei kurz darauf unter dem Titel »Pegida gießt den Tea zur Party – Die Fronten müssen völlig neu gezogen werden« zweitverwertete. Zu lesen war dort wörtlich:

»Es wird in den nächsten Jahren eine Spaltung dieses Landes in zwei Lager stattfinden, wie sie in den USA bereits weitgehend vollzogen ist. Die Bruchlinien sind mit Namen wie Sarrazin, Pirinçci, AfD und Pegida markiert, desgleichen gehören die Petitionsbetreiber gegen die Schulsexualisierung in bald vielen Bundesländern dazu, vielleicht auch die Maskulinisten, ein paar HoGeSa-Leute (Hooligans gegen Salafisten) und die Handvoll deutsche Libertäre. (…) Ich für meinen Teil werde wenig mit dieser Bewegung zu tun haben, aber ein gewisses Maß an Verständnis für sie hegen, denn mir fällt kein Argument ein, warum diejenigen, so da seit Jahren für das humanitaristische Theater blechen und sich gleichzeitig von den Lautsprechern des Zeitgeistes als dumpfdeutsche Mitte-Extremisten schmähen lassen müssen (in den Öffentlich-Rechtlichen sogar auf eigene Kosten), sich nicht endlich einmal spürbar gegen diese Plage zur Wehr setzen sollten.«[5]

 

Der katholische Publizist Andreas Püttmann erkannte rasch das Sprengpotenzial dieser Äußerung und kommentierte im Februar 2015 in der ZEIT-Beilage Christ & Welt, dass das, »was der konfessionslose Klonovsky als ›humanitaristisches Theater‹ schmäht, durch manche Verzerrung hindurch, mit unserer christlichen Prägung zu tun habe«.[6] Und folgerte daraus: »Ein entchristlichter Konservativismus ist zu fürchten. Ihm fehlt es an Solidarität mit den Fremden, Gestrauchelten, irgendwie Andersartigen, die als Störer des Herkömmlichen wahrgenommen werden. Er will dagegen seine Interessen und Ordnungsvorstellungen durchsetzen und das Individuum, in welchem er nicht das Bild Gottes zu erblicken vermag, autoritär einem möglichst homogenen Kollektiv unterordnen – in der Regel dem auf ›gesunden Familien‹ aufbauenden Volk deutscher Nation.«

Spätestens seit der ab dem Sommer 2015 einsetzenden Flüchtlingskrise zeigte sich, wie richtig Püttmann mit dieser Wertung lag. Von Nächstenliebe und Empathie gegenüber den Geflüchteten war in den rechtschristlichen Kreisen wenig zu sehen, von Ressentiments dafür umso mehr. Wobei man bei Püttmanns Äußerung anmerken muss, dass das »Christliche« kein zwingendes Merkmal des Konservativismus bundesrepublikanischer Provenienz in seiner heutigen Form ist, auch wenn bei dessen Herausbildung in den 1950er-Jahren, wie die Historikerin Martina Steber in ihrem detailreichen, klugen Buch Die Hüter der Begriffe hervorhebt, »das Christliche sich im Diskurs der 1950er-Jahre immer deutlicher als Essenz« dieses Konservativismus »herauskristallisierte«.[7] Vorstellungen von Recht und Ordnung gehören bis heute ebenfalls dazu, sind aber klar von rechtsautoritären Idealen wie demjenigen einer möglichst ethnisch-kulturell homogenen Gesellschaft zu unterscheiden.

 

Wer Letzterem anhängt, hat oftmals ein revolutionäres Verständnis vom Konservativen, das dem bundesrepublikanischen Konservativismus diametral entgegensteht. Statt Westbindung mit transatlantischer Freundschaft zu USA und NATO träumen manche von einer »Eurasischen Union« unter der Führung von Putins Russland, statt der Europäischen Einigung in Form der EU fordert man eine Rückkehr zum Nationalen, und anstelle einer vom Individuum her denkenden liberalen Politik favorisiert man eine illiberalere, autoritäre Gesellschaftsordnung, in der jeder seinen festen Platz hat. Bis heute gilt der Spruch »Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt« vielen als Mantra. Er geht auf Arthur Moeller van den Bruck zurück, einen der wichtigsten Protagonisten der antiliberalen Vordenker der Weimarer Republik. Gemeint ist damit, dass das, für dessen Erhalt man streiten möchte, erst noch (wieder)hergestellt werden müsse.

Wie verbreitet ein solches Denken längst auch in Teilen des frommen christlichen Milieus ist, beschrieb ebenfalls bereits Püttmann im Februar 2015. Dabei identifizierte er mit dem Jahr 2013 überdies den Zeitpunkt, ab dem diese Entwicklung so richtig in Schwung kam:

»In einem Zeitraum von kaum zwei Jahren schieden sich die Geister in eine moderat-konservative und eine radikal-rechtskonservative Strömung, in welcher vordemokratische und vorkonziliare Denkmuster – ›Keine Freiheit für den Irrtum!‹ – aufscheinen. Sie ähneln ideologisch der russischen Orthodoxie und der ›konservativen Revolution‹ der Weimarer Zeit: Völkisch, nationalistisch, antiliberal-ordnungsfixiert, parteien- und medienverdrossen, antiwestlich (speziell anti-amerikanisch), von Ressentiments gegen Minderheiten und von Untergangsfantasien erfüllt, eine ›Identität‹ von Religion, Kultur und Nation, Regierung und Volk erstrebend.«

Fragt man sich, warum die Spaltung des vormals recht geschlossenen konservativ-christlichen Milieus ausgerechnet ab dem Jahr 2013 so manifest wurde, spielen im katholischen Bereich neben der Gründung der AfD in ebendiesem Jahr die Affäre um den damaligen Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst sowie der Beginn des Pontifikats von Papst Franziskus eine entscheidende Rolle.

Die Causa Tebartz-van Elst verstärkte die zu jener Zeit ohnehin bereits auffällige Opferhaltung und Wagenburgmentalität in einem Teil des konservativen katholischen Milieus. Wer dazu zählte, empfand sich in seinen gesellschaftlichen und politischen Ansichten als zunehmend marginalisiert, etwa durch die Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare, das für zu liberal gehaltene Abtreibungsrecht, die Abschaffung der Wehrpflicht und die, wenn auch eingeschränkte, Zulassung embryonaler Stammzellenforschung. Gleiches galt hinsichtlich der Euro-Rettungsmaßnahmen, der Energiewende sowie der Entwicklung Deutschlands hin zu einem religiös und ethnisch vielfältigen Land.

Hinzu kam die Verärgerung über eine in zweiter Ehe verheiratete protestantische Bundeskanzlerin, welche die CDU in die Mitte rückte und deren konservativen Parteiflügel inhaltlich wie personell nahezu lahmlegte. Mit Christian Wulff einen zwar katholischen, aber ebenfalls geschiedenen und in zweiter Ehe verheirateten CDU-Politiker als Bundespräsidenten zu haben, der überdies fand, dass der Islam zu Deutschland gehöre, machte es nicht besser. Desgleichen stieß Wulffs Nachfolger Joachim Gauck als ein nicht nur von seiner Frau getrennt lebender früherer evangelischer Pastor, sondern überdies seine Lebensgefährtin zur First Lady machender Mann nicht gerade auf Begeisterung.

Im evangelikalen Milieu sah man das erwartungsgemäß ganz ähnlich. Helmut Matthies, Chefredakteur des evangelikalen Wochenmagazins idea Spektrum, schrieb im Juli 2013 unter dem Titel »Nach welchen Werten leben wir« mit dröhnendem Unterton: »Der Kölner Kardinal Joachim Meisner legte sich 1991 mit Kanzler Helmut Kohl an, als er Angela Merkel ins Kabinett holte. Der Grund: Sie lebte damals noch in wilder Ehe. Nur 21 Jahre später – vor Weihnachten 2012 – ging ein Bild durch die Medien, das den totalen Wandel illustriert: Vor dem Brandenburger Tor stehen der verheiratete Bundespräsident mit seiner Lebensgefährtin und daneben der Regierende Bürgermeister von Berlin mit seinem Lebensgefährten. Es stört fast niemanden.« Und weiter: »Wir sind also nicht wertelos geworden – aber die Werte haben sich oft völlig gewandelt. Denn trotz seiner Familiensituation ist der deutsche Bundespräsident höchst beliebt, weil eben ein anderer Wert heute für wichtiger gehalten wird: Zivilcourage. Gaucks Mut vor Diktatoren gilt für viele als vorbildlicher als eine normale Ehe«.[8]

Nun ist die Ehe fraglos ein genuin christlicher Wert. Auffallend aber ist, dass Matthies, der später auch die Pegida-Demonstranten verteidigen sollte (worauf noch zurückzukommen ist), bei Frauke Petrys Trennung von ihrem Ehemann deutlich anders reagierte. Matthies hatte Petry kurz nach dem Essener Parteitag im Juli 2015 ausdrücklich als »Mutter von vier Kindern« gewürdigt, die mit einem »lutherischen Gemeindepfarrer« verheiratet sei und außerdem »religiös und ethisch für eindeutige Positionen (stehe).[9] So sei sie »gegen Genderismus«, »für eine Verminderung von Abtreibungen« und für »die Förderung von Mehr-Kind-Familien«.[10] Wie der Journalist und Baptist Andreas Malessa in seinem 2017 erschienenen Buch Als Christ die AfD unterstützen? treffend hervorhebt, hinderte der Umstand, dass Petry »im Herbst 2015 ihren Ehemann Sven verlassen hatte und zu ihrem Lebensgefährten Marcus Pretzell gezogen war, dasselbe Blatt nicht daran«[11], sie in der Ausgabe vom 17. Februar 2016 als »die Pfarrfrau Petry« vorzustellen.[12] Und zwar in dem von Helmut Matthies verfassten Editorial. Da war der gemeinsame Auftritt von Petry und Pretzell beim Bundespresseball im November 2015 im Berliner Hotel Adlon schon Monate her.

Der Limburger Bischof Tebartz-van Elst wiederum galt in konservativ-katholischen Kreisen als Bannerträger einer strengen Glaubenspraxis innerhalb des als zu liberal erachteten deutschen Episkopats. Das reichte aus, um – anders als bei Wulff – über seine Verfehlungen hinwegzusehen. Zu diesen zählte die Explosion der Kosten für den Neubau der Limburger Bischofsresidenz durch extravagante Wünsche des Kirchenmanns ebenso wie sein flexibler Umgang mit der Wahrheit hinsichtlich einer dienstlichen Flugreise nach Indien, im Rahmen derer er auch Slums besucht hatte. Auf die Frage des Spiegel-Journalisten Peter Wensierski, ob er erster Klasse geflogen sei, antwortete Tebartz-van Elst wörtlich: »Businessclass sind wir geflogen.« Später räumte er ein, sehr wohl die First Class genutzt zu haben, und zwar aufgrund eines Upgrades mittels privat erflogener Bonusmeilen des mitreisenden Generalvikars.

In dieser Zeit wuchs in einem Teil des streng katholischen Milieus das ohnehin schon vorhandene Ressentiment gegenüber den etablierten Medien weiter an, die als zu links und zu sehr dem »Zeitgeist« verpflichtet angesehen wurden. Namentlich die bis dato geschätzte F.A.Z. wurde ob ihrer kritischen Haltung gegenüber Tebartz-van Elst, vor allem in Gestalt des immer wieder nachhakenden Politikredakteurs Daniel Deckers, scharf attackiert. Manche kündigten gleich öffentlichkeitswirksam das Abo. Die Vehemenz, mit der die Tebartz-Apologeten ihren Helden zum Opfer machten, schlug bisweilen in blinde Gefolgschaft um. Das ging so weit, dass er in den sozialen Medien manchmal sogar zum »Märtyrer« stilisiert wurde.

Auch andere Übertreibungen gab es. So schrieb der Katholik Alexander Kissler wiederum in einem am 14. Oktober 2013 auf »cicero.de« erschienenen Text, der den Titel »Limburger Kirchenskandal – Wem nutzt die Hatz auf Tebartz« trug, wörtlich: »Welche wichtigen Themen werden in den Hintergrund gespielt, damit die Provinzposse das Volk beschäftigt? Was bereitet sich vor, während diese hysterisch aufgeblasene ›Borgia‹-Story aufgetischt wird? Dräuen neue Rettungspakete, neue Abhörmaßnahmen, neue Waffenlieferungen?«[13] Des Weiteren behauptete Kissler die Existenz einer unverhältnismäßigen »konzertierten Aktion der innerkirchlichen und der antikirchlichen Kritiker, dies- und jenseits der Medien«, ohne jene wilden Spekulationen auch nur im Ansatz zu plausibilisieren.

Der noch näher zu thematisierende Trierer Dominikanerpater und Sozialethiker Wolfgang Ockenfels, der die Zeitschrift Die neue Ordnung herausgibt, Vorsitzender des Instituts für Gesellschaftswissenschaften Walberberg e.V. und inzwischen auch AfD-Verteidiger ist, bezeichnete Tebartz-van Elst als »Gejagten« und empörte sich über die »journalistischen Jagdgenossen und ihre klerikalen Treiber«.[14] Der katholische Publizist Martin Lohmann räumte im Deutschlandfunk zwar »etliche Verfehlungen« des Bischofs ein, beklagte aber zugleich, es sei »auch eine Kampagne losgetreten worden«.[15] So sei »immer vom Protzbischof gesprochen worden«, weshalb Tebartz-van Elst »gar keine Chance mehr (hatte), als Mensch wahrgenommen zu werden«.[16] Das Interview führte Jürgen Liminski, auf den im Verlauf dieses Buchs noch mehrfach die Sprache kommen wird.

Auch nachdem im Februar 2014 die Verfehlungen des Bischofs im Abschlussbericht der von der Deutschen Bischofskonferenz eingesetzten Prüfungskommission nachgewiesen worden waren, war von Kritik unter seinen Anhängern kaum etwas zu vernehmen. Im Gegenteil. Der katholische Buchautor und Historiker Michael Hesemann sprach noch im Mai 2016 auf seiner Facebook-Seite von »einem unserer klügsten Bischöfe, dem wunderbaren Tebartz-van Elst, Opfer einer der infamsten Hetzkampagnen der Nachkriegszeit«.[17] Anlass war eine Einladung Tebartz-van Elsts durch das Forum Deutscher Katholiken, die auf erhebliche Kritik stieß, weshalb der frühere Limburger Bischof seine persönliche Teilnahme absagte und seinen geplanten Vortrag vorlesen ließ. Das Forum Deutscher Katholiken ist eines der zentralen Netzwerkorganisationen konservativer Katholiken. Aus Sicht von Hesemann konnte der Bischof nicht persönlich anreisen, »weil die Medienmeute und eine uninformierte Gruppe von Linkskatholiken bereits zur erneuten Treibjagd auf ihn geblasen hatten«.[18]

Aus heutiger Sicht kann in dem Zorn vieler konservativer Katholiken auf die Medien in der Causa Limburg gewiss einer der Gründe dafür gesehen werden, warum die ebenfalls 2013 einsetzende Stimmungsmache der AfD gegen die »Mainstream-Medien«, später von ihr auch »Lückenpresse« genannt, im Milieu der Tebartz-Verteidiger auf so fruchtbaren Boden fiel. Gleiches gilt für die ab Herbst 2014 aufkommende Agitation der Pegida-Bewegung gegen die »Lügenpresse«.

Und noch etwas zeigten die Reaktionen bestimmter konservativer katholischer Milieus in der Affäre Limburg: die Bereitschaft, den eigenen Leuten sehr viel durchgehen zu lassen, während man schnell dabei ist, mit dem Finger auf Verfehlungen liberaler Kleriker oder Politiker zu zeigen. Derartiges Verhalten, das sich unter rechten Christen gleichsam bei anderen Themen respektive Personen manifestiert, durchschaute Andreas Püttmann und beschrieb es wie folgt:

»War Moral im Kommunismus eine Frage des richtigen Klassenstandpunkts, so ist sie im kirchlich-konservativen Betonblock eine Frage des richtigen theologischen Lagerstandpunkts. Dem rechtgläubigen Bannerträger sieht man gravierende Charakterdefizite nach, mit dem kirchenpolitischen Gegner, Abweichler oder Renegaten geht man ins Gericht. Man sucht bei ihm persönliche Blößen, um sich mit seinen Argumenten nicht auseinandersetzen zu müssen. So entsteht eine Rudelmoral mit zweierlei Maß«.[19]

Während die Tebartz-Affäre ab dem Spätsommer 2013 ihrem Höhepunkt entgegensteuerte, wurde parallel bei den meisten seiner Verteidiger ein zunehmendes Fremdeln mit Papst Franziskus sichtbar.

Bereits sein erster Auftritt auf der Mittelloggia des Petersdoms, kurz nachdem »weißer Rauch« aufgestiegen und er am 13. März 2013 durch die »Konklave« genannte Versammlung der wahlberechtigten Kardinäle zum neuen Pontifex gekürt worden war, sorgte in Teilen des konservativen katholischen Milieus für Entsetzen. Denn Jorge Mario Bergoglio, der frühere Kardinal aus Buenos Aires, trug als frisch gekürter neuer Heiliger Vater anders als sein Vorgänger Benedikt XVI. keine prächtige Mozetta mit Stola, sondern eine schlichte weiße Soutane und ein ebenso schlichtes Brustkreuz aus Eisen. Noch allergischer reagierten viele auf den Umstand, dass er fortan auf die seit dem vierten Jahrhundert für Päpste üblichen roten Schuhe verzichtete und stattdessen seine Füße in orthopädische schwarze Schuhe steckte.

Was für Außenstehende reichlich bizarr anmutet, führte insbesondere in jenen katholischen Milieus, in denen viele für politisch rechtes Gedankengut anfällig sind, zu wochenlangen Diskussionen in den sozialen Medien. Ein Papst ohne rote Schuhe war dort für eine große Zahl von Gläubigen schlichtweg undenkbar. Bereits der am 28. Februar 2013 erklärte Amtsverzicht durch Papst Benedikt XVI. hatte zu großer Irritation geführt. Tonangebend waren hier sogenannte »Traditionalisten«, also Katholiken, die das Zweite Vatikanische Konzil weitgehend ablehnen und vorkonziliare Riten pflegen, darunter namentlich die »Alte Messe«, auch »Tridentinische Messe« oder »Alter Ritus« genannt. Dabei steht der Priester bis auf die Zeit der Predigt mit dem Rücken zu den Messbesuchern und nimmt die liturgischen Handlungen am Hochaltar vor.

Bis zu seinem Rücktritt hatte sich Benedikt XVI. im traditionalistischen Milieu großer Sympathien erfreut, da er sich um die »Alte Messe« verdient gemacht hatte. Diese war durch die Liturgiereform im Zuge des Zweiten Vatikanums zwar nicht untersagt worden, spielte jedoch eine nur marginale Rolle. Papst Benedikt XVI. hingegen wertete sie – auch als Konzession an die Piusbruderschaft, mit der er eine Aussöhnung anstrebte – im Juli 2007 durch ein »Motu proprio Summorum Pontificum«, also ein von ihm selbst als Pontifex veranlasstes Schreiben, deutlich auf. Mit diesem erkannte er die »Alte Messe« ausdrücklich als eine der zwei Formen des römischen Ritus an. Damit stieß er naturgemäß im traditionalistischen Milieu auf große Begeisterung. Umso größer war die Enttäuschung unter den Formstrengen, als ausgerechnet er als erst zweiter Papst in der Geschichte überhaupt auf sein Amt verzichtete.

Auch außerhalb der traditionalistischen, vorkonziliaren Gruppierungen rief Benedikts Rückzug, den dieser, so sein Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein im April 2017 gegenüber der Welt am Sonntag, »niemals bereut« habe,[20] unter manchen konservativen Katholiken große Ratlosigkeit hervor. Seit dieser Zeit nimmt die in diesen ohnehin ordnungsfixierten Milieus vorhandene Anfälligkeit für das politisch Autoritäre zu, vermutlich auch deshalb, weil Papst Franziskus sich relativ schnell als jemand erwies, der sich ausgesprochen menschenfreundlich gab und Kritik an der Kurie übte.

Für diejenigen Kreise, die unter Benedikt XVI. stets ihre Papsttreue betont hatten, war und ist die Haltung des neuen Papstes schwer verkraftbar. Viele aus diesem Milieu erwiesen sich als Menschen, die nur so lange papsttreu sind, wie der jeweilige Papst ihren Vorstellungen entspricht. Auf sie trifft der abgedroschene Spruch, »päpstlicher als der Papst« zu sein, also tatsächlich zu. Aus anfänglicher Kritik an Papst Franziskus wurden zudem rasch Häme und offene Feindseligkeit. Spöttische Bezeichnungen wie »Plapperpapst« (Alexander Kissler) oder »Plauderpapst« häuften sich. Manche nannten ihn nur noch bei seinem Nachnamen »Bergoglio« oder hofften in den sozialen Medien sogar offen, dass die Zeit bald alles regeln würde. Ein kaum verhohlener Wunsch also, dass der Pontifex bald das Zeitliche segnen werde.

Mit dem Wegfall einer für sie akzeptablen moralischen Instanz an der Spitze des Vatikans wurde das bei vielen rechtskonservativen Christen ohnehin schon vorhandene Gefühl von Heimatlosigkeit stärker. Wer schon lange mit der politisch in die Mitte gerückten CDU haderte, wähnte sich nun auch geistlich führungslos. Da erschien für viele zumindest in politischer Hinsicht die AfD als vermeintlich konservativer Streif, ja als Hoffnungsschimmer am Horizont. Kirchenvertreter, die das gefährliche Potenzial der Partei früh erkannten, wurden nicht selten harsch kritisiert. Als Robert Zollitsch, der damalige Freiburger Erzbischof und Vorsitzende des deutschen Episkopats, im August 2013 vor der Partei warnte, sprach Alexander Kissler von einer »bischöflichen Blutgrätsche«[21]. »Ein Bischof«, so Kissler, habe »schlicht nicht das Mandat, die Öffentlichkeit – noch dazu in Wahlkampfzeiten – über demokratische Parteien zu belehren«. Und weiter: »Es steht ihm nicht zu, politische Zensuren zu verteilen.« An dieser für Kisslers Milieu typischen Verteidigungshaltung zugunsten der AfD hat sich bis heute nicht viel geändert, obwohl die Partei inzwischen in einem signifikanten Teil völkisch-rechtsradikale Züge zeigt. So ärgerten Kissler die kirchlichen Proteste gegenüber der Partei anlässlich ihres Kölner Parteitags im April 2017 offenbar so sehr, dass er den folgenden Vorwurf erhob: »Intolerant will man werden, um für Toleranz ein ›zahlenmäßig breites Zeichen‹ zu setzen.«[22] Und: »Die Summe der Meinungen soll wachsen durch Subtraktion der AfD.«

Immerhin räumte der Autor im selben Text ein, dass »die taumelnde Neupartei kein anziehendes Bild ab(gibt)« und »unappetitliche Ausfälle« gehabt habe. Nun war das Motto, unter dem die Kirchen in Köln demonstrierten, in der Tat fragwürdig und Kisslers Kritik an diesem für sich genommen auch berechtigt. Es lautete: »Unser Kreuz hat keine Haken«. Eine derartige Anspielung ist ohne Zweifel maßlos. Hätte Kissler sich nur dagegen gewendet, hätte man ihm beipflichten können. Aber das tat er nicht. Er schrieb den Kirchenvertretern ob ihrer kritischen Haltung der AfD gegenüber pauschal Folgendes ins Stammbuch: »Sie ereifern sich risikolos, feiern das Individuum im Schutz der Masse und die Menschheit unter dem Banner einer Klubmoral.« Kisslers Äußerungen sind nur die Spitze des Eisbergs. Viele rechtskonservative Christen reagieren äußerst empfindlich, sobald ein Kirchenvertreter Kritik an der AfD, der Pegida-Bewegung und dem Rechtspopulismus äußert. Gerne werden dann auch die Vokabeln »Gratismut« oder »gratismutig« herausgeholt.

In den konservativen evangelikalen Milieus spielten die Causa Tebartz-van Elst sowie der Rücktritt von Benedikt XVI. naturgemäß nur eine untergeordnete Rolle, obwohl es auch dort einzelne Stimmen gab, die zumindest eine gewisse Solidarität mit dem Limburger Bischof zeigten und Medienschelte betrieben. So warf der evangelikale Theologe und Ethiker Stephan Holthaus, Leiter des Gießener Instituts für Ethik und Werte, den Medien »bei aller berechtigten Sachkritik am Umgang mit Kirchengeldern im Bistum Limburg und der Kommunikationspolitik des Bischofs« vor, ein »Spießrutenlaufen« zu »inszenier(en)«.[23]

Trotz der geringen Relevanz der Themen »Limburg« und »Papst Franziskus« kam es auch im evangelikalen Milieu ab 2013 zu einer erkennbaren Spaltung in einen konservativ-moderaten und einen immer stärker dem Rechtspopulismus und oftmals auch der AfD zugewandten Part.

Die Anfälligkeit vieler sich als konservativ verstehender Christen für rechtes Gedankengut muss also tiefere Ursachen als die Ereignisse des Jahres 2013 mit der Gründung der AfD, dem Pontifikatswechsel und der Causa Limburg haben. Und das hat sie. Diese Ereignisse stellen sich lediglich als eine Art Katalysator dar. Rechtes Gedankengut war auch vorher schon in diesen Milieus präsent. Das zeigt sich etwa daran, dass viele derjenigen, die dieses nun offensiv zeigten und aus ihrer Sympathie für die AfD keinen Hehl machten, bereits Thilo Sarrazins 2010 erschienenes Buch Deutschland schafft sich ab verteidigt hatten. Dieses spielt weit über christliche Milieus hinaus eine Schlüsselrolle bei dem seit einigen Jahren zu beobachtenden Vordringen rechter Ideen in die bürgerliche Mitte. Dementsprechend sieht auch die Neue Rechte den ehemaligen Berliner Finanzsenator als den wichtigsten Türöffner für die Verankerung ihrer eigenen Ideen im Bürgertum an.

Die noch näher zu besprechende Bereitschaft in bestimmten christlichen Milieus, Sarrazin zur Seite zu springen, war ihrerseits keine Überraschung. Vielmehr war sie die fast schon zwingende Folge eines seit der Gründung der Bundesrepublik existenten, bis dato in der politischen Praxis aber nahezu bedeutungslosen Richtungsstreits zweier Milieus, die beide für sich in Anspruch nehmen, »konservativ« zu sein, sich tatsächlich aber fundamental voneinander unterscheiden. Es geht um die Anhänger des bereits erwähnten Konservativismus bundesrepublikanischer Prägung auf der einen Seite und um die sich als konservativ ausgebende Rechte, die in der Tradition der Rechtsintellektuellen der Weimarer Republik steht. Zwischen ihr und christlichen Zirkeln gibt es seit Jahrzehnten gedankliche Parallelen und personelle Verbindungen, die sich lange unter dem Radar einer breiteren Öffentlichkeit befanden, seit Sarrazins Buch aber zunehmend ihre gebündelte Durchschlagskraft zeigen.

[home]

Konservativ vs. rechts nach 1945

Nach 1945 stand der Konservativismus in Deutschland vor einem Problem. Seine in der Weimarer Republik ins Völkisch-Radikale gewendete Richtung rund um Protagonisten wie Carl Schmitt, Arthur Moeller van den Bruck, Edgar Julius Jung und Oswald Spengler hatte sich selbst fundamental diskreditiert. Zwar waren die meisten Vertreter dieser Denkart anders als Carl Schmitt nur Wegbereiter, selbst aber keine Nationalsozialisten – Jung wurde, da er sich gegen sie gestellt hatte, sogar 1934 von jenen umgebracht –, jedoch hatten sie mit ihren völkischen, antiliberalen sowie antipluralistischen Vorstellungen und Parolen dazu beigetragen, die von ihnen so verachtete Weimarer Demokratie sturmreif zu schießen.

Diejenigen Gründungsväter der Bundesrepublik, die wie etwa der streng katholische Konrad Adenauer klassisch-konservativ ausgerichtet waren, hatte mit derartigem Gedankengut nie etwas im Sinn gehabt. Viele, die maßgeblich zur Entstehung der beiden Unionsparteien CDU und CSU beitrugen, waren sogar selbst Opfer der Nazis, hatten in Konzentrationslagern und Haftanstalten gesessen oder waren im Widerstand aktiv.

Der Journalist Alan Posener betont in der Welt, dass es »der Katholik Konrad Adenauer war, der die Westbindung Deutschlands gegen deutschnationale Versuchungen der SPD und der Rechten durchsetzte«.[24] Wie Posener weiter ausführt, eint »Katholiken und Grüne« bis heute »das Misstrauen gegen die Enge und Intoleranz des Nationalismus«. Ein Unterschied bestehe in dieser Hinsicht nur insoweit, als der Universalismus »in der Union katholisch fundiert« sei, »bei den Grünen« hingegen »eher aus der Tradition der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der Französischen Revolution« abgeleitet werde.[25] Das, so Posener, seien nur »auf den ersten Blick Gegensätze«. So sei die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung »(nicht zufällig) nach einem katholischen Schriftsteller benannt« worden.

 

In der universalistischen Ausrichtung liegt bis heute ein wesentlicher Unterschied zwischen CDU/CSU und rechtschristlichen Strömungen, die ihr politisches Heil entweder in der AfD suchen oder versuchen, der CDU bzw. CSU ein rechteres Antlitz zu verschaffen. Auch wohnte der überkonfessionellen christlichen Ausrichtung der Unionsparteien von Anfang an eine große Offenheit inne. Sie orientierten sich zwar stark an christlichen Werten, boten aber auch säkularen Menschen eine politische Heimat. Hinzu kam, dass sie plural angelegt waren und somit sowohl nationalkonservativen, liberal-konservativen, aber auch stärker sozial ausgerichteten Menschen ein Angebot machten, wie sie sich etwa im Arbeitnehmerflügel der CDU wiederfanden, der aus der christlich-sozialen Bewegung hervorgegangen war und seit 1946 als »Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA)« firmiert. Der Publizist Thomas Schmid wies im Oktober 2017 darauf hin, dass es die »konservative CDU«, wie sie Alexander Gauland, früher Leiter der damals CDU-geführten hessischen Staatskanzlei und heute AfD-Co-Vorsitzender sowie schützende Hand über Björn Höcke, »imaginiere«, »nie gegeben« habe.[26] Vielmehr stehe »in den Festschriften der Partei«, dass sie »drei Wurzeln« habe: »eine liberale, eine konservative und eine christlich-soziale«. Somit war die CDU nie eine auf einem strengen konservativen oder gar rechtskonservativen Fundament buchstabengetreu aufgebaute Partei, sondern zeichnete sich durch eine deutliche Offenheit und Ideologieferne aus.

Auch der Publizist Jost Kaiser brachte die historische Ausrichtung der CDU im Juni 2016 in der F.A.S. prägnant und kondensiert auf den Punkt: »Die CDU gründete sich programmatisch gerade nicht auf den Trümmern des diskreditierten deutschen Konservatismus, sie stellte eine Volkspartei ›neuen Typs‹ dar: ultrapragmatisch. Der CDU-Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, ein früherer Widerstandskämpfer, hat ausdrücklich gesagt, dass die Partei nicht ›rechts‹ sein solle, und hinzugefügt: ›Praktisch heißt das für die CDU eben: Die Tore immer wieder weit aufmachen!‹«[27]

Dementsprechend hält Kaiser denjenigen »Rechtskonservativen«, die heute behaupten, die CDU habe sich von ihnen entfernt und müsse »endlich wieder rechter werden, so wie sie früher mal gewesen sei«, richtigerweise vor, dass sie der Partei damit ein »Erbe zu(weisen,) das sie nicht antreten kann, weil es nicht existiert«. Auch die sogenannte Stahlhelm-Fraktion um Alfred Dregger und die Rechten um Franz-Josef Strauß stellten Kaiser zufolge »etwas völlig Neues dar«. Er begründet das wie folgt: Ihr Konservatismus war, eine Neuheit in der deutschen Geschichte, amerikafreundlich. Vorher hatten Rechte unter dem Vorzeichen deutschen Bildungsbürgerdünkels Amerika als kulturell minderwertige, kapitalistisch orientierte Massengesellschaft abgelehnt. Bei den allermeisten heutigen Neurechten ist das übrigens immer noch so, auch wenn sie seit dem Wahlsieg Donald Trumps etwas milder gestimmt sind. Wie Kaiser weiter ausführt, war die Stahlhelm-Fraktion durch »Politikangebote unter dem Vorzeichen des Kalten Krieges und des Antikommunismus durch die Union im demokratischen Spektrum integrierbar« und wurde »durch Strauß-Sprüche wie ›Lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder‹ (…) bei Laune gehalten«. »Reale rechte Politik«, so Kaiser, sei für die Rechten »indes nie gemacht (worden)«. Helmut Kohl griff diese Linie auf. Wie Michael Mertes (Chefredenschreiber von Helmut Kohl von 1987 bis 1998) 2016 in einem Leserbrief zu Jost Kaisers Artikel an die F.A.S. schrieb und der CDU-Politiker Stephan Eisel (1983–1987 Redenschreiber für Helmut Kohl und 1987–1991 stellvertretender Leiter des Kanzlerbüros von Helmut Kohl) sowie Michael Roik, von 1984–1994 Leiter des Büros von Helmut Kohl im Konrad-Adenauer-Haus, mündlich bestätigten, pflegte Kohl seine Partei mit einem indonesischen Vinta-Boot zu vergleichen. Es besteht aus drei Teilen, nämlich dem Rumpf und je einem Längsbalken rechts und links. Die Längsbalken, so Kohl, seien wichtig für die Balance des Boots; aber seinen Kurs würden sie nicht bestimmen – das mache der Bootskörper in der Mitte.

Thomas Schmid bestätigt dies, wenn er betont, dass es zwar auch »Nationalisten, Militaristen und Feinde der Demokratie« in der CDU gegeben, diese »aber nie den Ton angegeben« haben.[28] Auch Schmid sagt klar, dass es »vor allem Konrad Adenauer« gewesen sei, »der das eisern durchgesetzt« und »mehrfach in Briefen gegen Parteifreunde, die die Union als ›Rechtspartei‹ etablieren« wollten, »polemisiert« habe. Auch lenkt Schmid den Blick darauf, dass »die CDU nie wie ein konservativer Fels in der Brandung der Zeitläufte gestanden« habe. Zwar habe sie »oft gebremst, etwa in der Familienpolitik, im Sexualstrafrecht, in der Medien- oder Justizpolitik«, dabei aber »immer nur das Tempo verlangsamt und sich am Ende geschmeidig den gesellschaftlichen Kräften angepasst, die stärker waren als sie«.

Konservativ im bundesrepublikanischen Sinne kann man eine solche Haltung gleichwohl nennen, denn ein so verstandener Konservativismus ist, vor allem in seiner liberal-konservativen Spielart, anders als das rechte Denken gerade nicht reaktionär und klammert sich deshalb auch nicht an das Alte um des bloßen Alten willens. Stattdessen ist er, und das unterscheidet ihn wiederum von Progressiven wie Liberalen, bestimmten Werten verpflichtet und verlangt, dass das Neue sich erst einmal als dem Alten gegenüber überlegen erweisen muss. Der Maßstab, der dabei angelegt wird, ist allerdings ein pragmatischer und kein ideologischer, welcher dem Neuen nur in der Theorie eine Chance geben würde. Schmid weist zutreffend darauf hin, wie weit Gauland inzwischen von einem solchen Ansatz entfernt ist. Ausgerechnet der Gauland, der, so Schmid, »einmal über den großen britischen Konservativen Edmund Burke (schrieb), der ›schonende Umgang mit dem Gewordenen und Gewachsenen‹ sei dessen Maxime gewesen«. Genau eine solche pflege, so Schmid weiter, »die CDU, nicht immer mit Maß und Mitte, in der Regel aber schon«. Für viele rechtskonservative Christen ist hingegen bereits eine solche vorsichtige, zurückhaltende Anpassung an die Zeitläufe inakzeptabel. »Anbiederei an den Zeitgeist« lautet die zugehörige Kampfvokabel.

Ähnlich wie Gauland verklären auch viele in diesem Milieu die CDU zu einer ehemals streng konservativen, ja fast reaktionären Partei und können so, ob bewusst oder unbewusst, ihre eigene Hinwendung zur AfD vor sich selbst rechtfertigen. Damit werden sie jedoch nicht nur der CDU, sondern auch dem bundesrepublikanischen Konservativismus nicht gerecht. Wie im Detail in Martina Stebers Buch Die Hüter der Begriffe