Die 12 Häuser der Magie - Andreas Suchanek - E-Book

Die 12 Häuser der Magie E-Book

Andreas Suchanek

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Beschreibung

Die magische Gesellschaft steht am Abgrund.Gnadenlos treibt der Dämon sein zweites Regnum aus dem Verborgenen heraus voran. Niemand ahnt, dass der Kerker zerbrochen ist und die Welt kurz davor steht, in Asche zu vergehen.Nach dem Tod eines wichtigen Mitstreiters scheint es keine Hoffnung mehr für den Widerstand zu geben. Oder doch?

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12 Häuser der Magie

Schicksalsretter

Andreas Suchanek

Copyright © 2021 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

http: www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Nina Bellem

Korrektorat: Michaela Retetzki

Layout: Michelle N. Weber

Umschlagdesign: Alexander Kopainski

https://kopainski.com

Bildmaterial: Shutterstock

ISBN 978-3-95991-696-7

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Prolog

I. Mauern des Schicksals

1. Zerbrechende Mauern

2. Schatten und Gold

3. Dem Untergang geweiht

4. Umzingelt

5. Du schon wieder

6. Verlorenes Glück

7. Lass los

8. Der nächste Schritt

9. Wofür?

10. Waterloo

11. Alles verändert sich

12. Aus dem Schatten

II. Schatten des Schicksals

13. Ein Riss im Schatten

14. Esme

15. Einsatz!

16. Die zweite Tür

17. Ein Blick zurück

18. Von Angesicht zu Angesicht

19. Die letzte Tür

20. Taschenuhr und Monokel

21. Konfrontation

22. Die Wahrheit

23. Freundschaftsband und Fotografie

24. Vor dem Sturm

III. Ein letzter Hauch des Schicksals

25. Flucht!

26. An den Anfang

27. Getrennte Wege

28. Den Fluch zu brechen

29. Egmont Chavale

30. Gemeinsam

31. Blutkette

32. Die Erhebung

33. Der letzte Sprung

34. Drei Schritte zum Ziel

35. Der letzte Zauber

36. Nachspiel

Epilog

Ein paar persönliche Worte …

Prolog

Der verschlissene Teppich verrottete vor seinen Augen. Risse zogen sich über das Porzellan des Gedecks, die Chrysanthemen verwelkten. Fenster kippten mit ihren hölzernen Rahmen aus den Mauern, schlugen auf dem Boden auf und zerbrachen in tausend Scherben. Kerzenwachs schmolz zu einer Lache. Wo einstmals Wärme gewesen war, die Geborgenheit eines Heims, blieb nichts. Ausgelöscht von Gnadenlosigkeit, dazu verdammt, einen Weg zu beschreiten, der niemals hätte betreten werden dürfen.

Er versuchte, den Augenblick festzuhalten, erfasste instinktiv, dass dies wichtig war. Doch wie ein glitschiger Fisch entschlüpfte ihm der Gedanke und hinterließ nur Leere und Verlust. Der letzte Moment nahte heran. Oder war er bereits verstrichen?

Risse bildeten sich auf dem Verputz der Wände. Sie leuchteten wie flüssiges Gold. Durch die offenen Fenster drang schwarzer Nebel herein. Dunkelheit und Licht umtanzten einander in einer traurigen, doch gleichermaßen gnadenlosen Choreografie, berührten sich jedoch niemals.

Porzellan wurde zu Glas, Kerzenwachs zu feinem Goldgespinst. Verfaulte Chrysanthemenstängel vergingen in Rauch.

Alles formte sich neu, wurde durcheinandergewirbelt zwischen dem, was war, und dem, was hätte sein sollen.

Das Schicksal schrie auf.

Er schwebte inmitten des Chaos, wusste nicht einmal seinen eigenen Namen. Doch er existierte. Irgendwo. Irgendwie. Das Schicksal wollte ihn nicht gehen lassen, hielt ihn fest. Gleichzeitig sollte er sterben. Musste er.

Unsichtbare Augen schienen in der Dunkelheit ihren Blick auf ihn zu richten, groß wie Wolkenkratzer. Er war nichts. Und doch alles. Der Funke, der einen Brand ausgelöst hatte.

Wie lange war er bereits hier?

Ein Schrei erklang, urtümlich und voller Pein. Die goldenen Fäden des Schicksals pochten im Takt eines Herzschlags, erschienen und vergingen. Doch immer mehr Stellen färbten sich schwarz.

»Doch Verrat milderte des Schicksals Klinge.«

Die Stimme war laut und leise, alt und jung, schien von überallher an sein Ohr zu dringen.

»Ein Tropfen Blut von reiner Seele.«

Die Worte klangen schmerzerfüllt, wurden beständig leiser. Der letzte Satz war nicht mehr als ein Wispern.

»Einzig tausendfach aus Güte gegeben.«

Ein Seufzer, dann war sie fort. Die Umgebung machte einen Ruck, ein Strudel zog ihn mit sich. Zum ersten Mal blickte er an sich herab, wurde seiner eigenen Finger gewahr, die in seine Hand übergingen, seinen Arm. Da war keine Haut, kein Leben.

Nur schwarzes Glas.

Teil I

Mauern des Schicksals

Kapitel 1

Zerbrechende Mauern

Matt

Ein Stück Himmel fiel herab und hinterließ ein schwarzes Loch. Dahinter lauerte etwas, dessen Anblick allein Matt in panische Angst versetzte. Sein Innerstes verkrampfte sich. Er wollte sich zusammenrollen wie ein kleines Kind und wimmern.

»Hey!«, brüllte Jane.

In ihren Augen stand nackte Panik, doch ihre Bewegungen waren zielgerichtet und beherrscht. Sie berührte ihren jadegrünen Anima-Stein in der Halskette, obgleich es keine Magie ringsum gab, die sie hätte verweben können.

Er erwiderte ihren Blick. »Was?«

»Nicht hinsehen«, verlangte sie. »Ich bin durch diese Schwärze getaumelt, tagelang. Du kannst keinen klaren Gedanken mehr fassen, wenn du dich darin verlierst.«

Risse verästelten sich auf dem Boden, die Gebäude fielen in sich zusammen. Die gesamte Kulisse, die der Dämon – Egmont Chavale – erschaffen hatte, war dem Untergang geweiht. Matts eigene Dummheit hatte all das ermöglicht. Der Fluch hatte sich erfüllt, das Gefängnis war offen.

Was eine fehlerhafte Kopie Londons aus dem 18. Jahrhundert gewesen war, fiel zusammen, als bestünde es aus Pappmaschee. Ohne den Dämon hatte der Kerker des Schicksals keinen Nutzen mehr.

»Wir müssen es durch die Schatten versuchen«, schaltete sich Sam ein.

Hektisch zupfte sie an ihrem Lippenpiercing, und es hätte Matt keine Sekunde gewundert, wenn ihr Anima darin eingelassen gewesen wäre. Doch sie trug wie er ein Lederband mit dem magischen Stein.

»Dieses Gefängnis wurde errichtet, um den Dämon einzu­kerkern«, sagte Jane. »Meine Gabe ist nutzlos. Beide Gaben.«

Das galt für sie alle.

Er selbst konnte keine Pflanzen manipulieren, weil es hier schlicht keine gab. Sams Talent des Traumwandelns bot sowieso keinerlei Nutzen für eine Fluchtmöglichkeit.

In Sichtweite brach ein Stück Straße weg, ein Abgrund tat sich auf. Die Schwärze darin wallte auf wie farbige Säure, die jemand in ein Becken gekippt hatte.

»Lauft!«, brüllte Sam.

»Wartet!« Matt gefror in der Bewegung.

»Matty, das ist nicht der richtige Augenblick für … was auch immer du in erstarrter Variante vorhast!« Jane blickte zwischen dem Abgrund und ihm hin und her.

Sein erster Instinkt war es gewesen, Engelsschwingen einzusetzen, um in der Luft Sicherheit zu suchen. Ohne Magie war das unmöglich, doch im Kampf gegen die Kreatur von Chavale war er nach oben gestiegen. Es war nur ein kurzer Blick gewesen, doch etwas war ihm in Erinnerung geblieben. »Alles bricht zusammen, aber nach innen. Das Haus wird am längsten stehen.«

»Los!«, rief Jane.

Gemeinsam rannten sie die Treppenstufen empor.

Das einstmals herrschaftliche Anwesen glich einer verfallenen Ruine, doch bisher hielt es der Zerstörung stand. Es war der Kern des Kerns. Die letzte Insel der Stabilität.

Sie stürzten durch die Tür.

Dass die Apparatur erloschen war, wussten sie längst. Der Dämon war durch den Spiegel entkommen.

Sam schrie auf, als sich etwas aus dem Nichts schälte, Konturen annahm und explodierte. Für eine Sekunde erkannte Matt einen aufrecht stehenden Mann in einer Robe, dann regnete schwarzes Glas herab.

»Was geht hier vor?«, flüsterte Jane.

Matts Gedanken rasten. »Das hier ist das Gefängnis, außer dem Dämon sollte sich niemand hier befinden.«

Eine weitere Silhouette erschien, um kurz darauf zu explodieren. Dieses Mal konnte Jane nicht schnell genug ausweichen, einer der Splitter bohrte sich in ihre Haut. Er war lediglich münzgroß, doch scharfkantig.

Sie schrie auf, ging wimmernd in die Knie.

»Jane!« Sam sank neben ihr zu Boden.

Matt wollte ebenfalls helfen. Ein weiteres Beben riss ihn jedoch von den Beinen. Ein Teil der Wand brach nach außen, gab den Blick frei auf die brodelnde Dunkelheit des Nichts.

»Es wurde von den Sieben erschaffen, die dafür selbst ihr Leben gaben«, flüsterte Jane.

Stöhnend kam Matt in die Höhe, taumelte zu ihr.

»Das war falsch.«

Natürlich kannten sie alle die Geschichte des Dämons, dessen Regnum vor über hundert Jahren beendet worden war. Erst durch Nics Zugehörigkeit zum Haus der Schicksalswächter hatten sie die Wahrheit erfahren. Der Dämon war nicht tot, lediglich eingekerkert. Sieben Magier hatten das Schicksal gebeugt und ein Gefängnis erschaffen. Doch der Dämon hatte in seiner Schläue ausgenutzt, dass die natürliche Ordnung für dieses Ziel gebrochen worden war. Ein Fluch sorgte seitdem dafür, dass sich alles zu seinen Gunsten neigte, zur Öffnung des Kerkers.

»Was meinst du?« Matt ging neben ihr in die Knie.

»Sie harrten aus«, flüsterte Jane. »Sie gaben ihre Freiheit, jedoch nicht ihre Existenz.«

»Ich verstehe nicht …« Sam hob einen der Splitter vom Boden auf. »Wer?«

»Die Überlieferung spricht davon, dass sie ihr Leben gaben, allerdings war damit nicht die körperliche Existenz gemeint. Sie opferten ihr Leben in Freiheit. Sie wurden zu Ankern.« Janes Augen waren weit aufgerissen. »Ihr Leib wurde zu schwarzem Glas. Angefüllt von jener Dunkelheit, die das Schicksal zu verändern vermag. Sie waren Teil des Kerkers.«

Sie hatten also die Stellung gehalten, um die Barriere zu stabili­sieren. Womöglich sogar, um gegen den Fluch anzukämpfen.

»Allerdings waren es nur sechs«, flüsterte Jane weiter. »Eine ist den Weg nicht mitgegangen. Und des Schicksals Klinge wurde stumpf.«

»Woher weißt du all das?«, fragte Sam.

Mit zittrigen Fingern berührte Jane den Glassplitter in ihrer Haut. »Meine zweite Gabe. Es ist, als würde ich meinen Geist an einen anderen Körper heften, um unsichtbar an dessen Seite zu wandeln. Doch hier ist es umgekehrt. Einer der Sieben hat seinen Geist an mich gehängt, bevor sein Körper zersplitterte.«

»Du kannst mit ihm sprechen?«, fragte Matt.

Wieder erzitterte der Boden.

Jane wollte antworten, doch eine weitere Silhouette aus schwarzem Glas schälte sich aus dem Nichts und explodierte. Die Splitter schossen davon. Ein beißender Schmerz fraß sich in Matts Arm, als sich eines der Schrapnelle hineinbohrte.

»Alles okay?«, fragte Sam, die hatte ausweichen können.

»Ich gewöhne mich dran.«

Instinktiv wollte er eine Nightingales Lampe weben, um die Wunde zu heilen, doch nicht ein flirrendes Magieteilchen war noch vorhanden.

»Sie haben hier ausgeharrt, haben ihn beobachtet, haben ihn bekämpft«, flüsterte Jane. »Sie haben auch dich gesehen, Matt. Deine Verlorenheit, deine Trauer, deine Angst. Der Dämon hat sie sich zunutze gemacht.« Janes Blick war in weite Ferne gerichtet. »Du hast ihm alles gegeben, was er benötigte. Dein Blut, deine Magie.«

»Mein Blut?« Matt erwiderte Janes Blick verwirrt, dann erinnerte er sich.

Angeblich war dies die einzige Möglichkeit gewesen, Zugang zum Walpole Club zu erhalten. Er hatte sich einen Blutstropfen ent­nehmen lassen.

»Ich habe ihm mein Blut gegeben«, hauchte er.

Später war es Matts Magie gewesen, die die Apparatur aufgeladen hatte. Von der anderen Seite hatte Nic dann das Portal geöffnet.

»Sie wollten euch aufhalten«, flüsterte Jane. »Doch ohne Körper, ohne Substanz war das unmöglich. Hilflos sahen sie dabei zu, wie der Fluch sich erfüllt.«

»Vielleicht konnte Nic ihn stoppen.« Matt blickte Hilfe suchend zu Sam, die nur traurig die Augen schloss.

»Nic ist tot. Sie konnten es sehen. Alles, was an diesem Ort geschieht, ist für sie sichtbar.« Tränen rannen über Janes Wangen. »Chavale hat ihn mit seinem Degen getötet. Nic hat mit dem letzten Rest an Magie Liz geheilt und mit seiner Gabe den Spiegel geöffnet. Sie ist mit Nox entkommen.«

»Vielleicht …« Matts Stimme erstarb.

»Er ist tot«, wiederholte Jane. »Ich sehe, was die Sieben sehen. Nic liegt tot vor dem Spiegel, sein Herz hat aufgehört zu schlagen.« Sie zitterte. »Der Dämon ist fort.« Sie blinzelte, kehrte zurück in das Hier und Jetzt. »Wir haben verloren. Das zweite Regnum, es beginnt.«

Sam schlug sich die Hände vors Gesicht.

Matt konnte nicht verhindern, dass sein Körper ebenfalls zu zittern begann. »Wir haben alles zerstört. Wir sind schuld!«

In diesem Augenblick war er froh, dass das Gefängnis kollabierte. In wenigen Minuten würden sie in die Schwärze stürzen und eins werden mit der Dunkelheit. Dann gab es keine Schuld mehr. Die Welt war dank ihnen dem Untergang geweiht.

»Das sind wir nicht!« Jane erhob sich ruckartig. »Woher hätten wir all das denn wissen sollen?! Niemand hat mit uns gesprochen, keiner hat den Mund aufgemacht. Woher hättest du wissen sollen, dass der zerzauste Wissenschaftler mit dem Spazierstock ein Dämon ist?« Mit jedem Satz wurde sie lauter, brüllte ihre Wut hinaus. »Wir konnten nicht gewinnen, hatten nie eine Chance!«

»Das macht es nicht unbedingt besser«, flüsterte Matt.

Es war einfach zu viel geschehen, als dass er noch hätte Wut empfinden können. Der Matt, der er einmal gewesen war, hatte über Witze gelacht, mit Magie experimentiert und die Welt um sich herum als etwas Spannendes gesehen, das es zu entdecken galt. Heute war er müde, ausgebrannt, gezeichnet vom Verlust seines Bruders. Vom Tod seines besten Freundes und so viel mehr. Er dachte an Angelo und spürte den altbekannten Stich im Inneren.

»Hör auf damit«, forderte Jane.

»Womit denn?«

»Dich aufzugeben.«

»Ist ja nicht so, als hätte ich eine Wahl«, sagte Matt.

Hinter ihm krachte der Kronleuchter zu Boden und zersplitterte in tausend Scherben, Metall verbog sich.

»Es gibt einen Ausweg«, erklärte Jane.

»Und woher soll der plötzlich kommen?«

Wieder deutete sie auf den Splitter, der in ihrer Haut steckte. »Hat mir ein Geist verraten.«

»Das sagst du erst jetzt?!« Sam rappelte sich auf. »Ich will hier nicht sterben!«

»Ich auch nicht«, beeilte Matt zu versichern. »Bin nur etwas müde.«

»Wir alle, Matty.« Jane zog ihn in eine Umarmung. »Noch haben wir nicht verloren.«

»Was hat dir der Splitter denn verraten?«, fragte Sam.

»Es gibt einen Weg durch die Schwärze. Mit meinem Talent als Schattenläuferin kann ich ihn nutzen.«

»Dann los.« Direkt neben Matt brach der Boden weg.

Viel war von dem Herrenhaus nicht mehr übrig. Sie standen im Salon, dessen Wände nur noch löchrig vorhanden waren. Die Decke gab es noch, was man von den Räumen darüber nicht behaupten konnte.

»Noch nicht«, sagte Jane.

»Worauf warten wir denn noch?!«, rief Matt.

»Es ist nicht einfach, einen Weg durch die Schatten zu beschreiten«, erklärte sie. »Wir sind umgeben von einem Dschungel und lediglich ein Trampelpfad führt zwischen tödlichen Pflanzen hindurch. Ich kann den Beginn erst sehen, wenn die Reste des Hauses fort sind.«

Matt hielt Janes linken Oberarm fest umklammert, Sam stand auf der anderen Seite.

»Vielleicht siehst du einfach genauer hin«, schlug er vor.

»Es ist ein Weg, der niemals hätte genommen werden sollen«, sagte Jane, während sie konzentriert auf eine unhörbare Stimme lauschte. »Sie waren sieben, doch eine verriet das große Ziel. Sie floh, bevor der Kerker sich schloss. Diesen Weg müssen wir gehen.«

»Ein Hoch auf die Verräterin«, sagte Matt trocken. »Ohne die gäbe es jetzt gar keinen Ausgang.«

»Ohne sie gäbe es den Dämon nicht mehr und wir wären nie in diesem Mist gelandet«, stellte Jane klar. »Dankbarkeit ist unangebracht.«

Weitere Teile der Decke lösten sich und trieben davon, zerfielen in der Schwärze. Sekunden später gab es nur noch den Boden. Um sie herum wallte allumfassende Dunkelheit.

»Siehst du den Weg?«, fragte Matt.

Jane hatte die Augen zusammengekniffen, doch ihr Blick war ins Innere gerichtet. Vermutlich war nicht sie es, die den Weg entdecken konnte. Jemand zeigte ihn ihr.

Geprägt von den Erlebnissen mit Chavale ergänzte Matt: »Ich hoffe, wir können ihm vertrauen.«

»Es sieht für mich nicht so aus, als hätten wir eine Wahl.« Janes Muskeln spannten sich an. »Da!«

Sie wollte einen Schritt machen, stoppte jedoch in der Bewegung. Hoch über ihnen entstand ein gleißender Wirbel aus purem Gold. Matt konnte die Wärme spüren, die davon ausging. Fäden, gesponnen zu filigranen Mustern, durchzogen das Leuchten. Es trieb die Schwärze zurück, nahm den ursprünglichen Platz wieder ein.

Es war das Schicksal.

Zum ersten Mal beneidete Matt Nic um die Gabe, es zu beein­flussen. Er konnte dieses wunderschöne Gebilde auch als Teil der Wirklichkeit sehen.

Hatte es gekonnt.

Die Euphorie verflog.

»Bring uns hier weg«, bat Matt Jane.

Sie nahm seine und Sams Hände in ihre. »Was auch passiert, ihr dürft nicht loslassen.«

Ein Schritt und die Schatten nahmen sie auf.

Hinter ihnen vergingen die letzten Reste des Kerkers. Was über einhundert Jahre Bestand gehabt hatte, existierte nicht länger. Und mit dem letzten Steinbrocken, der zu Staub zermahlen und von der Schwärze aufgenommen wurde, endete der Friede für die magische Welt.

Aus Schatten und Gold geboren, kam das zweite Regnum über sie alle.

Kapitel 2

Schatten und Gold

Nic

Stille lag wie ein Grabtuch über allem.

Er blinzelte und war hier, wo immer hier auch war. Der Boden bestand aus dunklem Stein, Wände und Decke waren eine gewölbte Glasfläche. Ringsum waberte goldenes Gespinst.

Die Tatsache, dass er all das gedanklich verarbeiten konnte, deutete glasklar auf eine Sache hin.

»Du bist doch kein Totalversager«, erklang eine Stimme.

»W-was?« Nic sah sich hektisch um.

Die Worte waren von überallher gekommen.

»Na, die Tatsache, dass du all das hier verarbeiten kannst, lässt eben doch auf eine gewisse Intelligenz schließen.« Ein Lachen folgte.

»Hör auf, meine Gedanken zu lesen!«

Nic blinzelte und vor ihm stand eine junge Frau. Sie besaß seine Größe, langes blondes Haar und in ihren Augen blitzte der Schalk.

»Besser so?«, fragte sie.

»Wo bin ich hier?«

»Tot.«

»Ich habe gefragt wo, und nicht was. Außerdem bin ich offensichtlich noch am Leben«, ereiferte sich Nic.

Instinktiv berührte er seinen Anima, der blau funkelnd im Stahlring eingefasst war. Er wechselte in die zweite Sicht und sah sich um.

»Sorry, keine Magie hier«, sagte die Frau.

Nic ging über in die Schicksalssicht, doch abgesehen von dem goldenen Gespinst vor dem Glas war auch hier nichts zu sehen.

»Du befindest dich im Zentrum des Schicksals«, erklärte die Unbekannte. »Zwischen überall und jederzeit.«

»Was tue ich hier?«

»Danke für die Rettung, wäre auch eine mögliche Antwort gewesen«, gab sie keck zurück. »Ernsthaft, manchmal verstehe ich das Schicksal nicht. Ich wäre wirklich besser gewesen.«

»Wer bist du?!«

»Ich bin du.«

»Ganz sicher nicht.« Nic verschränkte die Arme.

»So was von.« Sie tat es ihm gleich.

Bei genauerem Hinsehen erkannte Nic, dass sie tatsächlich ähnliche Gesichtszüge aufwies wie er. Auch die Körperhaltung war ein Spiegelbild.

»Komm schon, du hast es doch mittlerweile kapiert: Das Schicksal verästelt sich, Stränge werden verwoben und zu einem Netz geflochten. Dein Dad hat die Apparatur benutzt, um dich nachträglich zu erschaffen, rückwirkend zu einem Teil des Lebens aller zu machen.«

Der Gedanke ließ erneut brodelnde Wut in ihm hochkochen. Natürlich wollte er seinen Vater aus den Fängen von Inés befreien, die Mauern des magischen Gefängnisses Akantor einreißen. Danach würde er allerdings einen Vellamos Sturm weben und seinen Dad ordentlich durch die Luft wirbeln.

»Bei dieser Aktion stand nicht von vornherein fest, was das Ergebnis ist. Ich hätte auch am Ende auf der Plattform stehen können. Im Grunde genommen sind wir gedanklich, charakterlich und, wie ich fürchte, ebenso von unserem Intellekt identisch. Deshalb weiß ich ziemlich genau, was du denkst.«

»Das ist irgendwie cool.« Ein wenig fühlte es sich an, als habe er gerade eine Schwester bekommen.

Der Gedanke, dass sein Gegenüber quasi Nic selbst war, fiel ihm schwer zu begreifen.

»Ich weiß, denk nicht so viel darüber nach.«

»Dann hast du mich gerettet?«

»Jap. Normalerweise bin ich nicht manifestiert; als dein Tod näher kam, war das jedoch eine Schockwelle für das gesamte Gewebe«, erklärte sie.

»Mein Tod«, flüsterte Nic. »Der Dämon ist zurück.«

»Keine große Neuigkeit«, erwiderte sie. »Stell dir vor, jemand schüttet Benzin auf eine Decke und setzt sie in Brand. So sieht das Ganze aktuell aus. Der Dämon ist das Feuer.«

»Es tut mir leid.«

»Ich weiß.«

»Geht es Liz gut? Und was ist mit Matt und Jane?«

Sein Gegenüber seufzte. »Es gibt jetzt Wichtigeres zu besprechen.«

»Wichtiger als meine Freunde?!«

»Äh, die Welt als Ganzes?! Ist ja nicht so, als würde deinen Freunden eine lange Lebenszeit beschieden sein, wenn der Dämon weiter mit knurrendem Magen herumrennt. Du musst etwas tun.«

»Ich?«

»Ehrlich, ich schubse dich gleich raus und gehe selbst zurück«, grummelte sie. »Ja, du!«

»Ich habe ihm die Rückkehr ermöglicht.«

»Soll das jetzt das Argument sein, dich nicht rauszuschubsen? Lausige Idee.«

»Du bist echt nervig.«

»Jetzt weißt du, wie sich deine Freunde die ganze Zeit gefühlt haben«, gab sie mit einem gemeinen Grinsen zurück.

»Die, die noch leben?«

»Netter Versuch. Widmen wir uns deiner Zukunft.«

»Nein«, sagte Nic.

Es war schwer in Worte zu kleiden, dass er sich genau darüber nie wieder Gedanken machen wollte, doch letztlich musste er das gar nicht. Sie kannte ihn, war er. Auf irgendeine verdrehte Art.

»Ich verstehe ja, dass du müde bist …«

»Es geht hier doch nicht um Müdigkeit!«, blaffte Nic. »Jane und Matt sind tot, ich weiß es. Sie waren im Kerker, als er zusammengebrochen ist. Liz ist so gut wie tot und Hunderte Magier werden sterben.«

»Eher Tausende.«

»Danke.«

»Ganz ehrlich: Millionen.«

»Hör auf damit!«, verlangte Nic.

»Warum? Es ist die Realität. Die Augen davor zu verschließen macht es nicht besser. Du könntest etwas dagegen tun.«

»Ich habe versucht, es aufzuhalten«, sagte er leise. »Schließlich wurde ich ja irgendwie dafür erschaffen, richtig? Inés war uns leider immer einen Schritt voraus und das Schicksal hat für den Dämon gearbeitet. Ziemlich mies übrigens.«

»Finde ich auch.« Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn. »Der Dämon hätte ja auch nicht eingekerkert werden sollen. Die Sieben haben da Mist gebaut. Durch die Verflechtungen bot sich dem Dämon ein Schlupfloch.«

»Und jetzt wiederholt sich alles.«

»Das muss nicht zwangsläufig sein. Es gibt heute mehr Personen, die über ihn Bescheid wissen. Nicht nur das, ihr wisst sogar, wer er war. Die Sieben kämpften gegen den Dämon, ohne das zu wissen.«

»Er war Egmont Chavale«, sagte Nic. »Was soll das denn bitte helfen? Heute ist er stärker als jeder Magier. Keine Ahnung, welche Talente er hat. Ich gehe davon aus, dass er die Wächter mit links erledigt. Vor allem, solange die nach mir suchen.«

»Mimimi, kannst du eigentlich auch mal positiv denken?« Sie verdrehte die Augen. »Konzentriere dich auf das Machbare.«

Nic erwiderte ihren Blick mit verschränkten Armen.

»Ja gut, es sieht düster aus. Du weißt doch, wie man sagt.«

»Man muss wissen, wann es vorbei ist?«, schlug er vor.

»Am dunkelsten ist es vor der Dämmerung«, hielt sie dagegen.

»Toll, nachdem wir nun die Kalendersprüche geklärt haben, hast du mich trotzdem nicht überzeugt.«

»Du bist genauso stur wie ich. Nur gibt es einen Unterschied.«

»Ach ja?«

»Ich habe hier Heimspiel.«

Sie klatschte in die Hand und die Kuppel zerbrach. Brüllend fiel Nic in das goldene Gespinst. Im nächsten Augenblick krachte er auf die Erde, seine Finger gruben sich in weiches Gras.

»Ich hasse es, zu fallen«, brüllte er. »Ständig passiert das.«

»Dein Leben ist eben eine einzige Katastrophe«, stellte sie klar.

»Du bist nicht zufällig Nox, der einfach sein Äußeres verändert hat?«

Sie kicherte. »Nette Idee. Das quirlige süße Kerlchen mochte ich.«

»Er ist ein Verräter, der mich versklaven wollte.«

»Das ist halt sein Ding. Minderwertigkeitskomplexe und so, haben alle Familiaris.« Sie winkte ab.

»Und wieso süß? Er ist hässlich.«

»Putzig. Mit diesen spitzen Öhrchen und den Hauern.«

»Ich habe ihn gehasst.«

»Das stimmt nicht.« Sie grinste in diebischer Freude. »Vergiss nicht, ich weiß, was du denkst. Inés hat Nox an dich gebunden, damit er dich ausspäht. Am Ende hast du den Spieß umgedreht und ihn an dich gebunden. Clever.«

»Danke.«

»Clever von Liz.«

Nic räusperte sich. »Ja, die Idee war möglicherweise von ihr. Trotzdem …«

»Wenn ein Satz mit ›trotzdem‹ beginnt, hat man schon verloren. Du hast Nox freigelassen, bevor du gestorben bist. Hättest du ihn weiter an dich gebunden, wäre er vom Schicksal zerfetzt worden.«

»Jeden Tag eine bescheuerte Tat, das bin ich.«

»Stimmt. Diese eine Tat war eine gute.« Sie pikste ihn mit ausgestrecktem Finger in die Seite. »Und das weißt du.«

Seltsamerweise fühlte sich Nic körperlich von ihr angezogen. Was sagte das über ihn aus?

»Dass du selbstverliebt bist«, kommentierte sie.

»Hör auf damit!«

»Dann denk nicht immer das Offensichtliche«, gab sie zurück. »Konzentrier dich auf das Hier und Jetzt. Ernsthaft, dein Dad hätte darauf achten sollen, kein ADHS einzuweben.«

Nic wollte sie anbrüllen. Die Umgebung nahm jedoch abrupt seine vollständige Aufmerksamkeit in Anspruch.

»Das«, sagte er langsam, »ist ein Friedhof.«

»Und du hast nur eine halbe Ewigkeit benötigt, darauf zu kommen. Diese Schnelligkeit.«

»Ich beginne, dich zu hassen.«

»Selbsthass ist kein gutes Zeichen.«

Vorsichtig trat Nic auf das erste Grab zu. Sie standen auf einer weiten Ebene. Das goldene Gespinst schimmerte sanft am Himmel, zog sich bis zum Horizont. Die Grabsteine hingegen waren aus schwarzem Glas gefertigt.

Instinktiv betastete Nic wieder seinen eigenen Körper, doch er bestand nicht länger aus dem gleichen Material. Möglicherweise war es einfach eine Illusion gewesen, eine Ausgeburt seines panischen Geistes.

»Was sind das für Gräber?«

»Hier liegen die Opfer begraben, die das Schicksal gefordert hat«, erklärte sie. »Der Bruder deines besten Freundes ist einer davon.«

»… das sind so viele. Hat der Dämon all das verursacht?«

Die Antwort bestand in einem Seufzen. Gedankenverloren strich sein Gegenüber mit dem Finger über das schwarze Glas eines Grabsteins. »Es gab schon früher Menschen, die sich mit dunkler Magie das Schicksal zunutze gemacht haben. Sie griffen ein, veränderten die Dinge. Der Dämon hat das alles lediglich auf eine neue Ebene gehoben. Es gibt so viel, was du noch nicht weißt.«

»Wenn es so schrecklich ist, wieso hat es niemand beendet? Weshalb ist es noch immer möglich?«

Sie lächelte. »Es ist nicht an mir, dir das zu erzählen. Der Dämon hat weitaus mehr getan, als einfach Macht anzuhäufen, Nicholas. Er nimmt sich die Kontrolle über das Sein selbst. Ein einziger Fehler vor langer Zeit hat all das ermöglicht.«

»Er ist pure Dunkelheit. Er zerstört das Schicksal selbst.«

»Und webt neue Fäden aus purer Schwärze«, flüsterte sie. »Er ist weit mehr, als jeder ahnt. Sein Ziel ist es, alles neu zu schreiben. Die Welt, die Gesetze, die Magie. Er wird mit schwarzer Tinte und Blut Asche regnen lassen.«

Nic schluckte. »Wie soll ich ihn aufhalten?«

»Dein Dad hat begriffen, was der Dämon ist. Wozu dieser in der Lage ist und was auf uns zukommt. Er hat dich geschaffen, weil er das einzige Schlupfloch gesehen hat.«

»Und ich habe versagt.«

»Nic.« Sie lächelte. »Dein Dad wusste, dass der Fluch sich erfüllt. Es war nur eine Frage der Zeit. Er hat dich erschaffen, weil er wusste, dass es die Dinge in Bewegung setzt. Es ging nicht darum, ob das zweite Regnum geschieht, sondern wann.«

Eiseskälte durchströmte Nics Adern. »Er wollte gar nicht, dass ich es aufhalte?«

»Nein«, sagte sie schlicht. »Das wäre gar nicht möglich gewesen. Niemand konnte das. Jeremiah und dein Dad haben es lange Zeit versucht. Sie wollten den Kerker endgültig versiegeln oder den Dämon töten.«

»Er hat mich geschaffen, damit ich das zweite Regnum einleite?!« Nics Oberkörper begann zu zittern. Schnell schlang er die Arme um sich selbst.

»Ja und nein«, sagte sein Gegenüber sanft. »Er wusste, dass das Regnum kommt. Doch ohne dich wäre es das Ende des Weges gewesen. Das Ende von allem. Durch deine Existenz wurde es beschleunigt, gleichzeitig gibt es nur deshalb überhaupt ein Schlupfloch.«

»Und das wäre?!«

»Inés hat dich zum Feind stilisiert und dafür gesorgt, dass Magier sich dir anschließen. Du hast längst einen Widerstand aufgebaut. Du und deine Freunde habt eine Chance.« Sie blickte ihm tief in die Augen. »Der Fluch ist erfüllt, der Dämon befreit. Begreifst du nicht, was das bedeutet?«

»Das Ende von allem?«

»Nic, das dreizehnte Haus wurde nur erschaffen, weil der Dämon gefangen gehalten wurde. Die Regeln des Ausgleichs haben dafür gesorgt. Der Kerker, der Fluch, die Gabe. Alles hängt zusammen. Doch jetzt ist das Gefängnis zerstört.«

Nic benötigte einige Sekunden, um die Wahrheit hinter den Worten zu begreifen. »Die Schicksalswächter …«

»Hören auf zu existieren«, bestätigte sie. »Ihr Talent verschwindet. Es ist längst geschehen.«

»Niemand mehr kann das Schicksal beeinflussen?«

»Du kannst es. Deshalb hat dein Dad dich rückwirkend eingeflochten. Du bist aus dem Schicksal geboren, und während alle anderen ihre Gabe verlieren, wirst du sie als Einziger behalten.«

Nic starrte sie lange an. »Ich bin durch die Hölle gegangen, um den Dämon aufzuhalten, und jetzt sagst du mir, ich war von Anfang an dazu bestimmt, ihn freizulassen?!«

»Und wieder achtest du nur auf das Negative.«

»Ist hier auch nicht zu übersehen!«, brüllte er weiter.

»Letzter mit der Gabe? Schlupfloch? Retter der Welt? Nein, kein positiver Aspekt?«

»Es hätte niemals so weit kommen müssen.«

»Der Dämon wäre entkommen«, sagte sie nachdrücklich. »Das stand von Anfang an fest. Der Fluch arbeitete für ihn und wurde mit jedem Jahr stärker. Vielleicht hätte es noch zehn Jahre gedauert oder hundert. Doch am Ende wäre Egmont Chavale zurückgekehrt. Er hätte die Welt in eine verkrustete Aschewüste verwandelt und niemand hätte ihn aufzuhalten vermocht.«

»Was für ein Glück, dass dieses Mal ich da bin.«

»Das ist es tatsächlich.«

»Ich habe keine Chance!«, brüllte Nic. »Auch nicht als einziger Schicksalswächter der Welt. Hättet ihr nicht Ultinova auswählen können? Sie wollte mich sogar töten, als sie die Wahrheit erfahren hat. Toter Nic, kein Regnum 2.0, da war sie eindeutig.«

Langsam wirkte sein Gegenüber genervt. »Es ist doch nicht so schwer zu begreifen, dass es trotzdem passiert wäre! Jetzt nimmst du gefälligst deine Freunde und trittst dem Dämon in den Arsch.«

»Toller Plan!«

»Danke.«

»Ironie! Deine Pläne sind lausig, nur nebenbei.«

»Gleichfalls. Und bisher haben die lausigen Pläne immer funktioniert, du hattest da nämlich auch ein paar.« Prompt begann sie aufzuzählen. »Das Eindringen in das Schloss in Österreich.«

»Jeremiahs Kopf ist explodiert.«

»Die Rettung von Gabriel.«

»Wir haben untote Fatumaris erweckt, ich bin in eine endlose Schlucht gefallen und wurde von Inés gekidnappt.«

»Der Diebstahl der Apparatur aus dem Büro deines Dads.«

»Hat dazu geführt, dass der Dämon zurückkam«, brüllte Nic.

»Du siehst das alles viel zu negativ.«

»Es ist immer schlecht ausgegangen.« Nic stemmte die Fäuste in die Hüfte.

»Woher willst du das wissen?«, fragte sie leise. »Das Ende ist doch noch gar nicht geschrieben.«

»Ich kann ihn nicht besiegen.« Nic ließ die Schultern hängen, er hatte keine Lust mehr, zu diskutieren.

»Du hast alles, was du brauchst. Sieh durch die Augen deines Dads und vergiss nicht, dass alles irgendwann begonnen hat und irgendwann dazu verdammt ist zu enden.«

Wieder klatschte sie in die Hand.

»Nicht schon w…«

Nic fiel in einen bodenlosen Abgrund.

Kapitel 3

Dem Untergang geweiht

Matt

Die Schatten spuckten sie aus.

Matt blieb gerade noch ausreichend Zeit, die Anwesenheit von zwei Personen zu registrieren, da begann die Luft bereits zu brennen. Eine Stichflamme schoss auf ihn zu.

Er gab Sam einen Schubs, taumelte selbst zur Seite und prallte Schulter voran gegen eine Steinwand. Instinktiv berührte er sein Anima in der Ledermanschette am Handgelenk. Magie wurde aus der Umgebung eingesogen, aus dem blauen Flirren wob er mit schnellen Bewegungen einen Mystischen Schild.

Die nächste Attacke prallte wirkungslos ab.

Jane und Sam verwoben ihrerseits Magie.

Vellamos Sturm erzeugte einen Luftwirbel und schleuderte den männlichen Angreifer an die gegenüberliegende Wand. Er verlor seine Brille.

Sam verlegte sich auf einen Agamemnons Hagel. Pfeile aus manifestiertem Eisen schossen durch die Luft.

Doch die gewaltige Frau, die wie ein Berg vor ihnen aufragte, gab sich unbeeindruckt. Schon setzte sie zu einer weiteren Attacke an, als Matt endlich begriff, wo sie gelandet waren.

In der Mitte des Raums stand ein Sarkophag.

»Ultinova!«, rief Matt.

Die Schicksalswächterin hielt in ihrem Angriff inne. »Sprich, oder werde von meiner Macht zerquetscht.«

Etwas theatralisch, doch es passte zu dem, was Nic von ihr erzählt hatte. Sie war … wuchtig. »Wir sind keine Feinde.«

Jane kniff die Augen zusammen. »Davon abgesehen ist kaum noch Magie hier.«

Matt wechselte kurz in die zweite Sicht und erkannte, dass ihre Zauber fast alles an vorhandener Magie verwoben hatten. Der Raum glich einer toten Zone.

»Wir sind Freunde von Nic«, ergänzte er.

Seufzend ließ Ultinova ihre Arme sinken. Das raspelkurze weiße Haar verlieh ihr das Aussehen eines riesigen Igels. »Ihm verdanken wir unsere Misere. Er ist geflohen und hat uns eingesperrt.«

»Weil du ihn töten wolltest«, warf Jane wütend ein.

»Er wird das zweite Regnum auslösen!« Ultinova stemmte ihre Fäuste in die Luft. »Warum begreift es nur niemand?«

»Möglicherweise kommt das der Wahrheit recht nahe«, sagte Matt vorsichtig.

»Du glaubst mir?« Nun wirkte die Schicksalswächterin tatsächlich verblüfft.

Mit einem Stöhnen kam der männliche Angreifer wieder in die Höhe. »Hat jemand meine Brille gesehen?«

»Du bist Pablo, richtig?«, fragte Jane.

Sam reichte dem Schicksalswächter seine Brille. »Einen Anima in das Gestell einzubauen, halte ich nicht für die beste Idee.«

Schweigend nahm er sie entgegen.

»Dann versteht ihr doch, dass ich Nicholas töten muss?«, fragte Ultinova. »Ich mag ihn sehr. Doch hier geht es um so viel mehr.«

»Das wird nicht nötig sein«, sagte Matt vorsichtig.

»Der Kerker ist offen, der Dämon entkommen und das zweite Regnum läuft«, erklärte Jane gnadenlos. »Wir verlieren nur Zeit. Wie kommen wir hier heraus?«

Ultinovas Blick fokussierte zuerst Matt, nur um einem Fadenkreuz gleich weiter über Jane und Sam zu wandern. »Ihr sprecht die Wahrheit.« Sie erbleichte. »Dann war alles umsonst. Der Kampf, jeder Sieg.«

»Fairerweise muss man sagen, dass Nic nicht allein dafür verantwortlich ist«, stellte Matt klar. »Ich war auch beteiligt. Versehentlich.«

»Versehentlich«, echote Ultinova leise. »Ihr habt den Dämon versehentlich befreit.«

Jane seufzte. »Es war eine perfekt inszenierte Intrige.« Sie berichtete davon, wie Inés Matt beim Kampf im Schloss in Österreich ein magisches Artefakt – eine Münze – untergejubelt hatte. Mit dieser war er in den Kerker gelenkt worden, was er für die Vergangenheit gehalten hatte. Der Dämon hatte ihm eine perfekte Scharade vorgespielt, die schließlich mit seiner Rückkehr endete.

»Er hat Nic getötet und uns beinahe ebenfalls«, schloss Jane. »Wir konnten im letzten Augenblick hierher fliehen.«

»Das wird euch leider nichts nutzen.« Ultinova schien jede Kraft eingebüßt zu haben. »Wir sind hier gefangen.« Ihre Augen nahmen einen glasigen Ausdruck an. »Ich sehe die goldenen Linien verblassen.«

»Was bedeutet das?«, fragte Matt.

»Der Fluch hat sich erfüllt, wir verlieren die Gabe des dreizehnten Hauses. In Kürze sind wir gewöhnliche Magier.« Sie konnte es sichtlich nicht fassen. »Über einhundert Jahre haben wir die Welt beschützt.«

»Und dann kamen wir«, flüsterte Matt.

»Bevor ihr jetzt gleich einen Sitzkreis bildet und über eure Kindheit sprecht, können wir bitte einen Weg hier heraus finden?« Jane deutete an jene Wand, in der das verschlossene Steinportal eingelassen war. »Ich würde ungern verhungern.«

»Wir haben bereits alles versucht«, erklärte Ultinova. »Magie, Schicksalsverwebung, nichts davon funktioniert. Dieser Ort ist ein besonderer.«

Jane trat an den Sarg heran, strich darüber und verzog abschätzig den Mund. »Sie ist es, die uns verraten hat.« Verwirrt ergänzte sie: »Ich meine, die die Sieben verraten hat.«

Matt berichtete den beiden Schicksalswächtern, was im Kern des Gefängnisses geschehen war. Der schwarze Glassplitter steckte noch immer in Janes Haut. Eine Tatsache, die ihn langsam beunruhigte. »Vielleicht sollten wir ihn entfernen.«

»Kannst du uns helfen?« Ultinova deutete pragmatisch auf die Tür. »Ihr habt diesen Ort errichtet. Es muss doch einen weiteren Ausweg geben.«

Jane verneinte. »Meine Kraft ist fort, mein Leben verwirkt. Was geblieben ist, ist nur noch ein Schatten. Die letzte Kraft an diesem Ort liegt bei ihr.« Sie deutete auf den Sarkophag.

Alle Blick richteten sich auf das Artefakt, in dem die Verräterin ruhte.

»Wie können wir diese nutzbar machen?«, fragte Matt.

»Gar nicht«, erklärte Jane mit glasigen Augen. »Das muss freiwillig geschehen.«

»Du willst, dass ich meine Existenz opfere?«, erklang eine wis­pernde Stimme.

»Du klammerst dich noch immer daran, obgleich sie jeden Sinn verloren hat«, sprach Jane. »Damals hättest du es beenden können. Eine Welt ohne Dunkelheit, ohne den Dämon.«

»Das glaubt ihr, weil ihr die Wahrheit nicht kennt. Ich habe es gesehen, dachte, es aufhalten zu können. Doch das war vergeblich. Dafür habe ich gebüßt.« In der Stimme schwang eine Traurigkeit mit, die Matts Herz schwer werden ließ. »Es war nicht an mir, mein Leben zu opfern.«

»Wir alle haben es getan.«

»Es war der falsche Weg, doch ich kann nicht behaupten, dass meiner der richtige ist. Ein Blick auf die Welt hat sie mir gezeigt, all die Magier in ihrer Gier. Belauert haben sie sich, gegenseitig Zauber gestohlen, wollten immer mehr Macht. So hat es begonnen. Und auch mit unserem Opfer hätte es nicht geendet.«

»Gesprochen wie ein Feigling.«

»Vielleicht«, gab die Verräterin zu. »Ich mag schwach gewesen sein, doch alle anderen waren noch schwächer. Ich wollte es beenden, für immer.«

»Du hättest den Magiern, allen Menschen vielleicht mehr zutrauen sollen. Wir hätten es beendet. Ein für alle Mal.«

»Das denkst du. Das dachtet ihr.« Ihre Stimme blieb stets gleich. Keine Höhen, keine Tiefen. »Doch ich habe die Wahrheit gesehen.«

»Dieses Mal gibt es Widerstand«, erklärte Jane. »Es wurden Vorbereitungen getroffen.«

»Ja, ich sehe es. Doch es ist ein Tropfen Silber in einem Ozean aus Asche. Chancenlos. Dazu verdammt zu versagen, wie es so viele vor uns allen bereits taten.«

»Das kann doch nicht sein«, flüsterte Matt. »Wie viele Dämonen gab es denn?«

»Unzählige. Hast du denn noch immer nicht begriffen, was ein Dämon ist?« Ein Riss durchzog den Sarkophag, ein Stöhnen erklang. »Ja, ich spüre das Ende herannahen. Dieses Mal bin auch ich verloren.«

»Dann lass es nicht umsonst sein«, bat Jane. »Du bist erneut die Letzte von uns. Ein letztes Mal kannst du eingreifen. Verschwende es nicht.« Sie stöhnte auf, als der schwarze Glassplitter in tausend kleinere zerfiel und zu Boden rieselte. Blut floss als dünnes Rinnsal über ihre Haut. »Er ist fort.«

Weitere Risse entstanden auf dem Sarkophag, verästelten sich, wurden zu einem Netz.

»Dieses Gefäß steht zwischen mir und meinem Ende«, wisperte die Letzte der Sieben. »Nun ist es an euch, ihn aufzuhalten. Ohne Hilfe, ohne Schicksal, ohne eure Gabe.«

»Wenn du dann noch so freundlich wärst, uns zu sagen, wie der Dämon besiegt werden kann«, verlangte Ultinova.

»Das kann er nicht«, wisperte es. »Doch obgleich ich euch helfen will, ist es mir unmöglich. Das Wissen wird in jeder Generation nur einmal gewährt. Sucht den Wahrer des Wissens, er wird den Schleier des Vergessens lüften. Doch gebt acht, Wissen kann listig und tückisch sein.«

»Wie sollen wir ihn finden?!«, fragte Matt. »Ich habe noch nie von so jemandem gehört.«

»Die Schatten verbergen, die Schatten enthüllen. Manchmal ist es nur ein kleiner Schritt, mag er auch eine Ewigkeit dauern.«

»Gut, dass die früheren Gespräche mit Jeremiah stattfanden«, kommentierte Ultinova. »Ich hätte diesen Sarkophag irgendwann aus Frustration zerschlagen.«

Wie aufs Stichwort brach ein Teil des Artefakts heraus.

»Ich öffne euch den Fluchtweg, doch seid gewarnt. Flieht aus dem Haus, es wird nichts davon bleiben.«

Ultinova setzte dazu an, etwas zu sagen, doch es war bereits zu spät. Das Eingangsportal zerbarst, Steinbrocken regneten durch die Luft. Staub wirbelte auf.

Der Sarkophag zersprang in einer Explosion und aus dem Inneren heraus ergoss sich brodelnde Schwärze in das schmale Auffangbecken. Mehr und mehr.

»Raus hier!«, befahl Ultinova.

Gemeinsam hechteten sie auf den Gang.

Ein Blick zurück zeigte Matt, dass die Schwärze immer mehr zunahm. Wie ein klebriges Geschwür breitete sie sich aus, kroch an den Wänden nach oben und verschlang jeden Zentimeter des Raums.

Der Gang erwies sich als kurz, das Tor an der gegenüberliegenden Seite war geöffnet.

Als sie das Haus erreichten, eilte Ultinova zu einer Stelle an der Wand, wo eine Glasfläche angebracht war. Sie legte ihre Hand darauf und murmelte etwas.

Im nächsten Augenblick glühten in den Wänden verbaute Leucht­elemente auf, ein durchdringender Ton lag in der Luft.

Die Schwärze hatte mittlerweile den Gang erreicht und glitt wie eine alles verzehrende Welle heran.

»Weg hier!«, brüllte Pablo.

Überall wurden Türen geöffnet, Stimmen wurden laut.

Ultinova setzte sich an die Spitze der Gruppe. Gemeinsam eilten sie zwischen Türübergängen hindurch, in denen Spiegelsplitter verbaut waren. Das 13. Haus bestand aus Räumen, die überall auf der Welt verteilt waren. Die Übergänge waren Portale, obgleich man nichts davon bemerkte.

»Die anderen werden es nicht schaffen«, sagte Pablo.

»Wir werden sie auf andere Art retten«, erklärte Ultinova. »Schnell.«

Sie betraten einen lang gezogenen Raum, in dem allerlei Büsten in kleinen Erkern standen. Eine ausladende Wendeltreppe führte in die Höhe, davon eingerahmt wartete ein Spiegel am Boden.

»Dort oben ist das Büro unseres Obersten«, erklärte Ultinova.

»Inés«, keuchte Matt.

»Sie wird sich kaum darin befinden. Andererseits: Wäre es nicht schön, wenn die Schwärze uns den Kampf gegen sie abnehmen würde?« Pablo deutete auf eine weitere Glasplatte. »Du willst die Räume separieren?«

»Auf diese Art kann die Schwärze sich nicht ausbreiten«, sagte Ultinova.

Hinter ihnen stürmten bereits Schicksalswächter in den Raum, eilten auf den Spiegel zu.

»Flieht!«, rief Pablo.

Panische Blicke glitten über Jane, Sam und Matt, doch niemand unterbrach seine Flucht, um sie zu befragen.

Ultinova legte ihre Hand auf die Glasplatte. Wieder konzentrierte sie sich, doch nichts geschah. »Ich kann die Räume nicht trennen.« Ihre Augen weiteten sich. »Etwas unterbricht die Magie.«

Immer mehr Schicksalswächter erreichten den Ausgang und warfen sich durch den Spiegel. In Sekundenintervallen erklang das typische Schwappen.

»Wir müssen ebenfalls weg«, sagte Pablo hektisch. »Falls die Schwärze die Magie hier aufhebt, könnte sie auch den Spiegel ausschalten.«

Ultinova blickte zur Tür, wo noch immer Schicksalswächter ankamen. In ihren Blicken lag das absolute Grauen. Sie hetzten zum Spiegel und verschwanden.

In diesem Augenblick wirkte die urgewaltige Ultinova wie eine zerbrechliche Glasskulptur. Gegen diese Macht kam auch sie nicht an.

Die Schwärze kam.

Klebrig, zersetzend, tödlich. Als habe jemand Blut mit Säure gemischt und ausgeschüttet. Innerhalb von Sekunden war der halbe Raum eingenommen.

»Los!«, befahl Jane.

Sam glitt durch den Spiegel, Pablo folgte. Gemeinsam mit Ultinova blieb Matt an Ort und Stelle, starrte gebannt auf die Dunkelheit.

»Hier seht ihr das Schicksal der Welt«, flüsterte die Schicksalswächterin.

»Das werden wir sehen!« Jane packte die Frau und zog sie mit zum Spiegel.

Ein Schwappen.

Matt war der Letzte. Er wartete nicht länger, warf sich durch die Spiegelfläche. Auf der anderen Seite berührte Pablo bereits den Spiegel. Magie loderte durch den Anima in seinem Brillengestell, die Glasfläche verfestigte sich. Eine Erschütterung ließ den Boden erzittern. Verästelnde Risse überzogen das Glas.

Als habe jemand einen Hammer darauf geschmettert, zerbarst die Oberfläche in tausend Scherben. Matt wandte sich ab, um nicht getroffen zu werden.

Stille senkte sich herab.

Sie waren allein. Die anderen Schicksalswächter hatten das Gebäude bereits verlassen, vermutlich über den zweiten Spiegel. Matt wusste, dass das gesamte Haus eine Ablenkung war. Die beiden übrigen Portale in diesem Raum waren erloschen.

»Das dreizehnte Haus existiert nicht mehr«, sagte Ultinova leise. »Und unser Talent ist ebenfalls fort.«

»Wir haben später Zeit, zu trauern.« Jane eilte bereits auf die Tür zu. »Die anderen Schicksalswächter haben uns gesehen. Matt, Sam und ich werden vom Rat gesucht. Falls jemand die Wächter alarmiert, sind die in Kürze hier.«

Ultinova wedelte mit der Hand. »Verschwinden wir. Ich nehme an, es gibt einen Rückzugsort?«

Matt dachte sofort an Angelo, der mit Gabriel im sicheren Haus in Italien die Stellung hielt. »Wir können da etwas arrangieren.«

Natürlich konnten sie die beiden nicht einfach mitnehmen. Mit ein wenig Magie ließ sich das Risiko jedoch minimieren. Ultinova stellte sich an die Spitze und führte sie durch das Gemäuer. Überall hingen Spinnweben mitsamt ihren Bewohnern. Das Holz der Dielenbretter knirschte bei jedem Schritt, die Gemälde an der Wand waren verblichen und verstaubt.

Wie hatte Nic sich wohl gefühlt, als er von Jeremiah hierher­gebracht worden war? Der Gedanke, dass es sich bei dieser Ruine um das 13. Haus handelte, musste ihn schockiert haben. Wer wollte schon hier wohnen?

Matt dachte an die wunderschönen Holzhäuser der Pflanzen­magier. Er hatte sein eigenes aus einem Baum wachsen lassen, das Geäst war zu den Wänden geworden. Jeden Morgen war er vom Gezwitscher der Vögel und dem frischen Duft von Laub geweckt worden. Er lächelte wehmütig.

Ultinova führte sie ins Erdgeschoss.

Anstelle der Tür wartete der zweite Spiegel. Die Fläche waberte sanft, die Passage war noch immer geöffnet. Sie griff nach dem Rahmen, schloss die Augen und justierte ein neues Ziel. »Irgendeinen Wunsch?«

Sie konnten auf keinen Fall direkt nach Italien spiegeln.

»Starten wir mit London«, sagte Jane. »Von dort geht es weiter.«

»Dann also die geheime Station neben der Haltestelle der Piccadilly Line.«

Nacheinander traten sie hindurch.

Der Ankunftsraum war wie üblich mit gemütlichen Sitznischen eingerichtet, es gab eine Bar, an der man Tee und Kaffee ordern konnte, falls der Spiegel noch anderweitig geschaltet war. Glück­licherweise war kaum jemand anwesend.

»Wie geht es weiter?«, fragte Ultinova.

Bevor Matt antworten konnte, erwachten die Schatten zum Leben. Wächter kam daraus hervor, an ihrer Seite Schattenläufer. Innerhalb von Sekunden kam ihre Flucht zu einem Ende.

Kapitel 4

Umzingelt

Jane

Elois Standoff stand mit verkniffener Miene zwischen den Wächtern. Das Ratsmitglied hatte die Attacke in Österreich überlebt. Sie war verantwortlich für die Festnahme von Nicholas’ Vater.

Ihre Lippen zitterten, die dürren Finger wirkten wie verkrampfte Spinnenbeine. »Ihr habt es tatsächlich gewagt.« Ihr Blick huschte über Ultinova und Pablo. »Alles ist zerstört, das dreizehnte Haus entmachtet.«

»Wir haben alle gerettet«, ereiferte sich Jane.

»Der Dämon …«, setzte Pablo an.

»Ich habe kein Interesse an euren Lügen!«, blaffte Elois Standoff. »Natürlich war uns klar, dass Jeremiah mit seinem Sohn das dreizehnte Haus infiltriert, um den Dämon zurückzubringen. Das diese Kabale bereits so weit fortgeschritten ist, erschüttert uns alle. Ihr habt eure Seele seiner Macht verschrieben.«

»Wir wollten ihn aufhalten!«, rief Matt. »Dafür ist es leider zu spät. Er ist zurück.«

Grabesstille legte sich über den Ankunftsraum unter der Piccadilly Line.

»Ich verstehe.« Standoff schürzte die Lippen, dachte nach und sprach schließlich weiter. »Ihr verbreitet die Lügen weiterhin, um den Rat zu destabilisieren.«

»Inés Dubois paktiert mit dem Dämon«, sagte Jane kalt. »Wenn ihr das nicht begreift, macht ihr euch am Untergang mitschuldig.«

Innerlich brüllte sie vor Wut. Wie blind konnten die Wächter nur sein? Inés hatte ganze Arbeit geleistet, ihr Gift monatelang versprüht.

»Sprich nicht so über eine verdiente Schicksalswächterin, die uns die Augen vor eurem Verrat öffnen konnte.« Standoff erwiderte Janes Blick angeekelt. »Ihr habt gemordet, euch dem Dämon verschrieben und das dreizehnte Haus geschlagen. Wir konnten alle Flüchtenden gefangen nehmen und werden sie intensiv befragen. Die Wächter haben noch jeden zum Reden gebracht.«

Matt wirkte verzweifelt. »Wir sagen die Wahrheit.«

Jane wollte ihn in die Arme schließen, sah die Erschütterung in seinen Augen. Die Ereignisse hatten ihre Spuren auf seiner Seele hinterlassen. »Letztlich wird jede Befragung dasselbe zutage fördern.«

»Wir werden nicht befragt«, sagte Ultinova leise. »Ist es nicht so, Ratsmitglied?«

Standoff wirkte ertappt, fing sich allerdings sofort wieder. »Die Schlafseher haben uns davor gewarnt, dass das zweite Regnum herannaht und die Häuser fallen. Wir können kein Risiko eingehen. Aus diesem Grund hat der Rat die Befugnisse der Wächter erweitert. Sie dürfen nun ebenfalls gnadenlos gegen Fluchunterstützer vorgehen.«

»Das ergibt Sinn. Wir Schicksalswächter durften töten, um den Fluch aufzuhalten. Die Wächter also nun auch. Doch wer entscheidet darüber, wen sie beseitigen?«, fragte Ultinova.

»Die eine Schicksalswächterin, die über jeden Zweifel erhaben ist, natürlich«, sagte Standoff. »Gemeinsam mit dem Rat.«

»Dann wird der Rat bald ausgelöscht sein.« Ultinova sprach mehr zu sich selbst als zur Rätin.

»Ist das eine Drohung?«

»Ihr seid Narren. Ihr gebt eurer größten Feindin die absolute Macht in die Hand, aus Angst. Sie wird das zu nutzen wissen. Ohne euch steht sie allein an der Spitze.«

»Inés Dubois hat ihr Leben …«

»… dem Dämon gewidmet«, unterbrach Ultinova kalt. »Und das überaus erfolgreich. Der Kerker wurde geöffnet, das zweite Regnum ist eingeleitet. Wir Schicksalswächter besitzen keine Gabe mehr. Stell Inés auf die Probe und du wirst es selbst sehen.«

Für einen Augenblick wirkte Elois Standoff verunsichert. Ihr Blick flackerte wie eine Kerzenflamme im Wind. Doch der Moment verging. »Ich lasse mich nicht manipulieren.«

»Das Gegenteil wurde längst bewiesen.«

»Wir befragen die übrigen Schicksalswächter und werden dieser Sache auf den Grund gehen«, stellte die Rätin klar. »Ihr werdet keine Gelegenheit mehr für weitere Attacken erhalten. Im Namen des Rates verfüge ich euer Todesurteil, um den Fluch des Dämons zu stoppen.«

Nun wusste Jane immerhin, wie Nic sich gefühlt haben musste, als Ultinova seinen Tod beschloss. Den Dämon aufzuhalten war stets das oberste Gebot. Doch dass sie ihm jetzt genau damit in die Hände spielten, Opfer der Angst wurden, die er gesät hatte, bemerkte niemand.

Standoff streckte den Arm aus. »Bring mich zurück.«

Einer der Schattenläufer trat an sie heran, umfasste ihren Arm und beide verschwanden in der Dunkelheit.

Jane zählte insgesamt acht Wächter. Sie wirkten entschlossen, hatten bisher jedoch keine Mystischen Schilde erschaffen. Ihre Kampfmontur ähnelte jener, die auch Nic im Einsatz getragen hatte.

Der erste zog nun eine Klinge aus einer Scheide am Bein.

Etwas Ähnliches hatte Jane noch nie gesehen. Der Griff bestand aus dunklem Metall, die gebogene Klinge aus schwarzem Glas, von der ebenso schwarze Flammen ausgingen. Sie loderten.

»Sieht aus wie ein brennender Säbel«, flüsterte Matt.

Pablo berührte seine Brille und zog Magie aus der Umgebung. In der zweiten Sicht konnte Jane sehen, wie er diese mit schnellen Fingerbewegungen zu einem Mystischen Schild verwob. Er trat auf den vordersten Wächter zu. »Ich bin sicher, dieses Missverständnis lässt sich lösen. Ich verlange, vor dem Rat zu sprechen.«

Der vorderste Wächter machte einen schnellen Schritt und holte aus. Ein lächerliches Unterfangen, schließlich wurde Pablo von der magischen Sphäre geschützt.

Die Klinge glitt durch die Luft, hinterließ eine Spur aus schwarzen Flammen. Mühelos durchdrang sie den Schild. Jane sah die Spitze aus Pablos Rücken austreten.

Ultinova schrie auf.

»Nein.« Matt wollte zu Pablo, doch Jane bekam seinen Arm zu greifen.

Sam stand nur stocksteif mit geweiteten Augen an der Seite und sah dem Grauen zu.

Schwarze Linien breiteten sich auf Pablo aus, Flammen tanzten darüber. Sein Körper explodierte, wurde zu Rauch, der sich verflüchtigte.

Zufrieden zog der Wächter die Klinge zurück. »Ausgeführt.«

Es wirkte, als berichte er den anderen von einem Verkehrsdelikt, das er geahndet hatte. Mit seinem nichtssagenden Gesicht und den leblosen Augen wirkte der Wächter unscheinbar. Die graue Strähne im Haar war die einzige Auffälligkeit.

Seine Worte waren das Signal. Die übrigen Angreifer stürmten voran, jeder mit gezogener Klinge.

Zu viert waren sie ihren Gegnern zwei zu eins unterlegen, was Jane nur allzu bewusst war. Sie tauchte unter dem ersten Hieb weg, beging nicht den Fehler, einen Schild zu erschaffen.