Die 12 seelischen Archetypen - Carol S. Pearson - E-Book

Die 12 seelischen Archetypen E-Book

Carol S. Pearson

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Beschreibung

Mythenforscherin Carol S. Pearson gibt in der Neuausgabe ihres Klassikers zu den Archetypen eine Anleitung für das Verständnis und die Beschäftigung mit diesen Urformen des Menschen. Mythen, Märchen und die Archetypen von C. G. Jung bilden die Basis für dieses Grundlagenwerk. Prägnante Fragebögen helfen, um die eigene Mischung von Persönlichkeitsanteilen herauszufinden. Denn jeder von uns trägt verschiedene Aspekte der zwölf seelischen Archetypen in sich – je nach Lebensphase und Persönlichkeit in unterschiedlicher Stärke und Bedeutung. Und für jeden ist es wichtig, seine ganz besondere Persönlichkeitsausprägung zu erkennen, um sich selbst besser zu verstehen. Die Persönlichkeitstypen sind archetypisch ausgedrückt der Weise, der Unschuldige, der Narr, der Verwaiste, der Herrscher, der Zerstörer, der Gebende, der Liebende, der Schöpfer bzw. ihre weiblichen Entsprechungen. Der Test am Ende eines jeden Kapitels hilft, die jeweilige eigene gegenwärtige Persönchkeitsstruktur präzise herauszufinden. Die erfahrene Tiefenpsychologin Carol S. Pearson befasst sich seit über 40 Jahren mit diesem Thema und zeigt mit einmaliger Klarheit, wie die Archetypen für ein bewusst gelebtes Leben entfaltet werden können.

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Seitenzahl: 590

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Carol S. Pearson

Die 12 seelischen Archetypen

Aus dem Amerikanischen von Rita Höner

Knaur e-books

Über dieses Buch

Jeder trägt die 12 seelischen Archetypen in sich – je nach Lebensphase und Persönlichkeit in unterschiedlicher Stärke und Bedeutung. Und für jeden ist es wichtig, seine ganz besondere Mischung herauszufinden. Es sind:

Die Unschuldige, der Verwaiste, die Kriegerin, der Helfer, die Suchende, der Zerstörer, die Liebende, der Schöpfer, die Herrscherin, der Magier, die Närrin, der Weise.

In allen 12 Archetypen ist eine Kraft und Qualität verborgen. Der erfahrene Tiefenpsychologin Carol S. Person zeigt, wie sie für ein bewusst gelebten Leben entfaltet werden können.

Inhaltsübersicht

WidmungMottoEinführungDie ReiseWas die Reise verlangtArchetypen: Unsere inneren LehrerDie Lehrer und die Reise des HeldenPhasen der ReiseVorbereitungDie ReiseDie RückkehrDas spiralförmige Muster der ReiseWie dieses Buch zu benutzen istVerwendungsmöglichkeiten dieses BuchesDie Schattenformen der Lehrer erkennenDie Schattenseiten der ArchetypenSüchte, Zwänge und die Besessenheit vom SchattenDie Helden in uns weckenTipps zum Lesen dieses BuchesEthikTeil I1 Die Phasen der Reise2 Das Ich:Das innere Kind schützenDas Ich und die HeldenreiseArchetypische Einflüsse auf die Ich-EntwicklungBereitschaft zur ReiseDas Ich: Ein Gefäß für die Seele3 Die Seele:In die Mysterien eindringenEinweihungDie alten Mysterienreligionen und die AlchemieArchetypische Einflüsse auf die Entwicklung der Seele in der modernen Welt4 Das Selbst:Sich in der Welt ausdrückenDie Geschichte vom GralEros und Wissen:Über das Wissen der linken Gehirnhälfte hinausgehenSich in der Welt ausdrückenSelbst und inneres Gleichgewicht5 Nach dem Heldentum: Der TanzTrickster-Mythen und Ich-EntwicklungTrickster-Figuren: Erforschung und SelbstausdruckNarr und HeldJenseits der Individuation:Radikale Pluralität der PsycheSich in der Welt ausdrückenTeil II6 Der UnschuldigeDas verlorene und wiedergewonnene ParadiesDie Reise des UnschuldigenDie Schattenseite der UnschuldWachstum und Entwicklung des Unschuldigen7 Der VerwaisteWie man zum Verwaisten wirdVom Verwaisten über das Exil zur RevolteDer Rettung widerstehenWenn man sich selbst zum Verwaisten machtWenn das Verwaistsein zu weit gehtDie heilende Wunde8 Der KriegerDen Feind überwindenDer negative KriegerWie man zum Krieger wirdDie Reise des KriegersEin fortgeschrittener Krieger werdenWeiter werdende Spiralen9 Der GeberDer Baum des LebensDer negative GeberLernen, uns und andere anzuleiten und zu umsorgenSpielarten des GebensWeiter werdende SpiralenDer Geber und IdentitätTeil III10 Der SuchendeLeben, Freiheit und die Suche nach dem GlückDer Aufruf zur Suche: Die Schwelle überschreitenDer Weg der PrüfungenSpirituelle SucheDer Schatten-Suchende, Selbstzerstörung und VerwandlungVom Suchenden zum Eingeweihten11 Der ZerstörerDie Leugnung des TodesLeid: Sinn und FunktionDer Mythos und seine FunktionVom Schatten zum Verbündeten12 Der LiebendeDie Herrschaft des ErosArten und Phasen des LiebensDie Perversion des Eros:Leidenschaft und ihr SchattenLiebe und GeburtSich selbst lieben13 Der SchöpferKreativitätKonditionierung und der Schatten-SchöpferDem Inneren zuhörenPhasen der SchöpfungSchöpfung und BewusstseinDer erwachte SchöpferGötter, Göttinnen und der schöpferische ProzessLeben als KunstformDer Tanz von Ich und SeeleTeil IV14 Der HerrscherPflichten und Vorrechte des KönigtumsDer Schatten-HerrscherAuf dem Weg zu einem harmonischen Königreich:Phasen der Reise des HerrschersDer Herrscher, der Hof und die ständige Erneuerung15 Der MagierDer Magier in unsReisen zwischen den WeltenDer Magier als NamengeberExorzismus und VerwandlungDer Magier als HeilerPhasen der Magier-ReiseDer Schatten-Magier16 Der WeiseDer Weise als DetektivPhasen der ReiseDer negative WeiseDer Weise und das Freisein von Verhaftungen17 Der NarrDer innere NarrDer Narr und die moderne WeltNarr, Held und KomikDer Narr als SpielerDer negative NarrEin weiser Narr werdenTeil V18 Von der Dualität zur Ganzheit:Ein Modell der LebensphasenKindheitAdoleszenz und Anfang zwanzigFrühes ErwachsenendaseinLebensmitteReifeAlterEine Entwicklungsspirale19 Geschlechtszugehörigkeit und LebenswegGeschlechtsspezifische Unterschiede im Verlauf der ReiseGeschlecht und Ich, Seele und SelbstIn der modernen Welt Lösungen findenFalsche Androgynität:Supermann/SuperfrauEine authentischere geschlechtliche Identität findenEchte Androgynität20 Geschlecht, Mannigfaltigkeit und die Veränderung der KulturArchetyp, Geschlecht und gesellschaftliche VeränderungKultur und ArchetypKulturelle Traditionen respektierenGefährdete Werte und Weisheit bewahrenArchetypen, Kultur und Ganzheit21 Erkennen Sie Ihren LebensmythosFinden Sie Ihren dominanten MythosErkennen Sie Ihr DrehbuchEine neue Geschichte finden:Ein dialektischer ProzessDas Reich des Mythos betretenDanksagungenAnhangDer Heldenmythen-Test (Fassung E)Der TestAnleitung zur AuswertungDie Testergebnisse verstehen
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Für David

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Die Jagd ist erst vorbei, wenn euer Herz und euer Bauch voll sind.

Sun Bear, Walk in Balance

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Einführung

Manche Menschen haben geliebt, gelitten und ein intensives Gefühl für den Sinn des Lebens entwickelt. Und, was vielleicht am wichtigsten ist, sie wissen, wer sie sind. Andere haben materiellen Besitz: das »richtige« Haus, das richtige Auto, den richtigen Job … Vielleicht haben sie sogar ein stabiles Familienleben und sind religiös. Aber innerlich fühlen sie sich leer. Auch wenn sie »das Richtige« tun, ist es ein Tun ohne Sinn.

Wieder andere lieben und leiden und spüren das Leben intensiv; aber sie bekommen ihr Leben nie wirklich auf die Reihe. Sie finden weder eine Arbeit noch persönliche Beziehungen, die sie befriedigen, und fühlen sich deshalb ständig eingeschränkt. Sie fühlen sich von der Welt abgeschnitten.

Am bedauerlichsten von allen sind die Menschen, die nie lernen, ihren Weg in der Welt zu machen oder ihrer Seele treu zu sein. Ihr Leben ist leer und bietet wenige positive Erfahrungen. Aber das muss nicht so sein; praktisch jeder von uns kann in seinem Leben und in dem der menschlichen Gemeinschaft Sinn und Zweck finden.

Die Geschichten über Helden[*] geben uns ein Modell, von dem wir lernen können, wie man leben kann. Bei der Suche des Helden geht es darum, zu sich selbst Ja zu sagen und dadurch lebendiger und in der Welt effektiver zu werden. Denn der Held zieht aus, um den Schatz des wahren Selbst zu finden, und kehrt nach Hause zurück, um mit seiner besonderen Gabe dazu beizutragen, dass das Königreich – und dadurch das eigene Leben – verwandelt wird. Die Reise ist voller Gefahren und Hindernisse, aber sie bietet viele Belohnungen: die Fähigkeit, erfolgreich in der Welt zu bestehen, das Wissen um die Geheimnisse der menschlichen Seele, die Chance, die eigene besondere Begabung zu finden und in der Welt auszudrücken und in liebevoller Gemeinschaft mit anderen Menschen zu leben.

Der Held zieht aus, um den Schatz des wahren Selbst zu finden.

Dieses Buch ist für Menschen auf allen Stufen der Reise gedacht: Für die, die sich überlegen, ob sie sich auf die Reise machen sollen, kann es der »Aufruf zur Suche« sein, für die, die schon lange unterwegs sind, eine Ermutigung, und ein Werkzeug für die, die auf ihrer Reise weit gekommen sind und nach Möglichkeiten suchen, das Gelernte weiterzugeben. Jede Reise ist einzigartig, und jeder Suchende folgt einem neuen Pfad. Aber das ist sehr viel einfacher, wenn wir zumindest etwas von den Erfahrungen derer wissen, die vor uns aufgebrochen sind. Wenn wir die vielen verschiedenen heroischen Wege kennenlernen, begreifen wir, dass wir alle auf unsere einzigartige Art Helden sind.

Geschichten über Helden sind tiefgründig und zeitlos. Sie verbinden unsere Sehnsucht, unseren Schmerz und unsere Leidenschaft mit der unserer Vorgänger, sodass wir etwas über den Sinn des Menschseins und die Art unserer Verbindung zu den großen Kreisläufen der materiellen und spirituellen Welten lernen. Die Mythen, die unserem Leben Bedeutung geben können, sind alt und archetypisch und können unser Herz mit Entsetzen füllen, uns aber auch von einem unauthentischen Leben befreien und uns zu dem Menschen machen, der wir wirklich sind. Wenn wir die Auseinandersetzung mit dieser – um mit T. S. Eliot zu sprechen – »Urangst« meiden, bekommen wir keinen Bezug zur Intensität und zum Geheimnis des Lebens. Der Kontakt zu diesen ewigen Mustern vermittelt uns auch in den schmerzlichsten Augenblicken ein Gefühl von Sinn und Bedeutung, das dem Leben seine Würde zurückgibt.

Es gehört zu den Paradoxa des modernen Lebens, dass wir heute zwar auf nie gekannte Art leben und unsere Welt täglich neu erschaffen, unser Tun sich aber trotzdem inkohärent und leer anfühlt. Um diesen Zustand zu überwinden, müssen wir uns in der Geschichte und in der Ewigkeit verwurzeln.

Wir haben etwas erlebt, seinen Sinn aber nicht erfasst. (T. S. Eliot)

Deshalb ist der Mythos vom Helden für die zeitgenössische Welt so wichtig. Es ist ein zeitloser Mythos, der uns mit allen Menschen dieser Welt verbindet. Er handelt davon, furchtlos das Bekannte zu verlassen, dem Unbekannten die Stirn zu bieten und darauf zu vertrauen, dass wir zu gegebener Zeit alles Notwendige haben werden, um unseren Drachen entgegenzutreten, unsere Schätze zu entdecken und bei unserer Rückkehr das Königreich zu verwandeln. Es geht auch darum, dass wir lernen, uns selbst treu zu sein und in verantwortlicher Gemeinschaft mit anderen zu leben.

Im klassischen Mythos spiegelt die Gesundheit des Königs oder der Königin den Zustand des Königreichs wider. Wenn der Herrscher verletzt war, wurde das Königreich öde und unfruchtbar. Um es wieder zum Blühen zu bringen, musste ein Held sich auf die Reise machen, einen heiligen Gegenstand finden und zurückkommen, um den Herrscher zu heilen oder zu ersetzen. Unsere Welt weist viele klassische Symptome des verwüsteten Königreichs auf: Hungersnöte, Umweltschäden, ökonomische Unsicherheit, Ungerechtigkeit, persönliche Verzweiflung und Entfremdung, Krieg und drohende atomare Vernichtung. Unsere »Königreiche« geben den Seelenzustand der ganzen Gemeinschaft wieder, nicht nur den der Regierenden. Helden werden heutzutage dringend gebraucht; denn wenn wir aufbrechen, unser wirkliches Schicksal finden und unseren ganz persönlichen Beitrag leisten, tragen wir wie die klassischen Helden dazu bei, das Leben, die Gesundheit und die Fruchtbarkeit des Königreichs wiederherzustellen. Die Welt ist wie ein riesiges Puzzle, und jeder von uns, der sich auf die Suche macht, kommt mit einem Stück zurück. Wenn wir unseren Teil beitragen, wird das Königreich mit unser aller Hilfe verwandelt.

Die Verwandlung des Königreichs hängt von uns allen ab. Wenn wir das verstanden haben, konkurrieren wir nicht mehr, sondern kümmern uns darum, uns und anderen Kraft zu geben. Wenn einige Menschen »verlieren« und ihren Beitrag nicht leisten, verlieren wir alle etwas. Wenn wir nicht den Mut haben, unsere Reise zu machen, schaffen wir eine Leere, in der unser Stück vom Puzzle uns und der Gemeinschaft schaden kann.

Die Reise

Helden finden nicht nur eine neue Wahrheit, sie haben auch die Courage, ihr entsprechend zu handeln. Deshalb brauchen Helden den Mut und die Fürsorglichkeit, die mit einer starken Ich-Entwicklung assoziiert werden, und die geistige Einsicht und Klarheit, die Folge der Seelenreise und des Erwerbs eines authentischen Selbst sind.

Die meisten Menschen wissen, dass Helden Drachen töten, die Dame in Not (oder andere Opfer) retten und Schätze finden und nach Hause bringen. Am Ende der Reise heiraten sie oft. Sie haben ein »Happy End« erreicht, bei dem die »neue erneuernde Wahrheit« sich in ihrem Leben zeigt – in der Gemeinschaft mit ihrer neuen Familie und mit anderen Menschen. Die neue Wahrheit, die sie zurückbringen, erneuert ihr Leben und das ihres Königreichs und beeinflusst dadurch jeden, mit dem sie in Berührung kommen.

Unsere Reise folgt diesem mystischen Muster, auch wenn das Happy End im Allgemeinen nicht lange anhält. Sobald wir von einer Reise zurückkommen und eine neue Phase unseres Lebens beginnen, werden wir sofort zu einer neuen Reise gedrängt; das Muster unseres Lebensweges ist nicht linear oder kreisförmig, sondern spiralförmig. Es gibt Marksteine, die auf eine neue Realität verweisen, aber eigentlich hören wir nie auf zu reisen. Und jedes Mal wenn wir unsere Reise beginnen, tun wir dies auf einer neuen Ebene und kommen mit einem neuen Schatz und neuen verwandelnden Fähigkeiten zurück.

Was die Reise verlangt

Wenn wir meinen, unsere Reise sei nicht wichtig, und weder unseren Drachen entgegentreten noch unsere Schätze finden, empfinden wir eine innere Leere, die uns alle schmerzt. In unserer gleichmachenden modernen Welt gibt es relativ wenige Fälle von Größenwahn im Vergleich mit dem grassierenden Wahn, nicht wichtig zu sein. Obwohl es stimmt, dass niemand von uns wichtiger ist als irgendjemand anders, hat jeder von uns einen bedeutenden Beitrag zu leisten – den er nicht leisten kann, wenn er sich nicht auf die Reise macht.

Die Reise verlangt, dass wir die Illusion aufgeben, nicht wichtig zu sein.

Dieses Buch soll Ihnen helfen, Ihre Bedeutung und Ihren potenziellen Heroismus zu verstehen. Vor allem lädt es Sie ein, das geschwundene Gefühl für die Möglichkeiten des Lebens wiederaufzubauen und sich zu entscheiden, ein großes Leben zu leben. Viele von uns versuchen, ein großes Leben zu leben, indem sie materiellen Besitz, Leistungen oder Erfahrungen anhäufen, aber das funktioniert nie. Wir können nur dann ein großes Leben haben, wenn wir bereit sind, selbst groß zu werden, wenn wir die Illusion der Machtlosigkeit aufgeben und die Verantwortung für unser Leben übernehmen.

Das moderne Leben ist im Grunde menschenverachtend. Die Wirtschaft veranlasst uns, uns als menschliches Kapital zu betrachten. Die Werbung spricht unsere Ängste und Unsicherheiten an, damit wir Produkte kaufen, die wir nicht brauchen. Viele religiöse Institutionen lehren die Menschen, gut zu sein, helfen ihnen aber nicht bei der Selbsterkenntnis. Viele Psychologen sehen ihre Arbeit darin, den Leuten zu helfen, sich dem Vorhandenen anzupassen, anstatt sich auf die Reise zu machen und herauszufinden, was sein könnte. Viele pädagogische Institutionen trainieren Menschen, Zahnrädchen in der ökonomischen Maschinerie zu sein, anstatt sie zur Ganzheit zu erziehen.

Im Grunde werden wir als Produkte oder Handelsartikel betrachtet, die entweder dem Meistbietenden verkauft oder zwecks Wertsteigerung verbessert werden. Beide Ansichten respektieren Seele und Geist des Menschen nicht; sie sehen sie nur als Werkzeug, um Gewinn zu erzielen. Eine Folge dessen ist, dass die Menschen immer weniger Achtung vor sich selbst haben. Viele von uns versuchen, die Leere mit Speisen, Getränken, Drogen oder einer zwanghaften hektischen Aktivität zu füllen. Das viel beklagte Tempo des modernen Lebens ist nicht unvermeidlich – es deckt nur seine Leere zu. Wenn wir in Bewegung bleiben, haben wir die Illusion von Bedeutsamkeit.

Durch den ständigen Druck, vorgegebenen Maßstäben zu genügen, werden wir subtil und weniger subtil davon abgehalten, unseren Gral zu suchen und unsere Einzigartigkeit zu finden. Und wenn wir versuchen, die Ansprüche zu erfüllen, anstatt uns selbst zu finden, werden wir das, was wir zu geben haben, wahrscheinlich nie entdecken und mit anderen teilen. Anstatt herauszufinden, wer wir sind, sorgen wir uns darum, ob wir schön, intelligent, sympathisch, moralisch, gesund, fleißig oder erfolgreich genug sind.

Wir fragen andere, ob wir einer wie immer gearteten Version der Vollkommenheit entsprechen. Wie viele von uns sehnen sich nicht danach, das perfekte Gesicht, den perfekten Körper eines Filmstars zu haben, den Verstand eines Nobelpreisträgers, die Güte oder die geistige Klarheit eines großen Erleuchteten, den finanziellen Erfolg eines Milliardärs? Es überrascht nicht, dass viele von uns ihr Leben damit verbringen, sich abwechselnd anzustrengen und sich dann wieder Vorwürfe zu machen, weil sie meinen, den Ansprüchen nicht zu genügen.

Solange wir in diesem Prozess gefangen sind, werden wir uns nie selbst finden. Stattdessen werden wir zu gefälligen Konsumenten und bezahlen all die, die den Anspruch erheben, uns bei der Überwindung unserer Hässlichkeit, Sündhaftigkeit, Krankheit oder Armut helfen zu können. Und dadurch halten wir sie genauso fest wie uns selbst – wir streben nach etwas über uns, anstatt zu suchen, was wirklich in uns ist.

Zuerst ist unser »Aufruf zur Suche« vielleicht der Wunsch, irgendein Bild der Perfektion zu erreichen. Aber schließlich müssen wir jedes vorgefasste Ideal loslassen und uns auf unsere einzigartige Reise machen. Die Heldenreise ist nicht noch ein Projekt, das uns zu einem besseren Menschen machen soll. Vielmehr soll sie uns helfen, herauszufinden und zu achten, wer wir wirklich sind.

Wenn Sie wissen, dass Sie ein Held sind, können Sie nicht »unrecht« sein. Sie haben den richtigen Verstand, den richtigen Körper, die richtigen Instinkte. Es geht nicht darum, jemand anders zu werden, sondern herauszufinden, wer Sie sind. Es bedeutet, dass Sie sich Fragen stellen wie »Was möchte ich tun?«, »Was möchte mein Verstand lernen?«, »Wie möchte mein Körper sich bewegen?«, »Was liebt mein Herz?«. Sogar Probleme und Krankheiten können als »Aufruf der Götter« zu einer bislang geleugneten oder vermiedenen Phase der Reise verstanden werden. So könnten Sie sich fragen: »Was lehrt dieses Problem oder diese Krankheit mich, was für meine Reise förderlich ist?«[1]

Die Belohnungen der Selbsterkenntnis sind groß. Wenn wir uns selbst finden, scheint alles an seinen Platz zu kommen. Wir sehen unsere Schönheit, unsere Intelligenz und unsere Güte. Wir können sie produktiv nutzen, und deshalb sind wir erfolgreich. Wir sind weniger davon in Anspruch genommen, uns zu beweisen, deshalb können wir entspannen und lieben und geliebt werden. Wir haben alles, was wir brauchen, um unser ganzes Menschsein, unseren ganzen Heroismus zu aktivieren.

Jeder, der sich auf die Reise macht, ist bereits ein Held.

Archetypen: Unsere inneren Lehrer

Auf unserer Reise helfen uns innere Lehrer, die die Phasen der Reise veranschaulichen. Das vorliegende Buch untersucht zwölf dieser inneren Lehrer: den Unschuldigen, den Verwaisten, den Krieger, den Geber, den Suchenden, den Zerstörer, den Liebenden, den Schöpfer, den Herrscher, den Magier, den Weisen und den Narren. Jeder lehrt uns etwas, jeder ist für eine Phase der Reise bezeichnend.

Die inneren Lehrer sind Archetypen, die uns seit Anbeginn der Zeiten begleitet haben. Wir sehen sie in den immer wieder auftretenden Bildern von Kunst, Literatur, Mythos und Religion; wir wissen, dass sie archetypisch sind, weil man sie überall auf der Welt und zu allen Zeiten findet.

Weil diese Lehrer archetypisch sind und als Energie im Unbewussten aller Menschen überall auf der Welt existieren, sind sie innerhalb und außerhalb der Seele des Einzelnen. Sie leben in uns, aber, was noch wichtiger ist, wir leben in ihnen. Wir können sie deshalb finden, indem wir nach innen (zu unseren Träumen, Fantasien und oft auch Taten) oder nach außen gehen (zu Mythen, Legenden, Kunst, Literatur und Religion und, wie die heidnischen Kulturen, zu den Konstellationen der Sterne am Himmel und den Vögeln und Tieren der Erde). Sie geben uns ein Bild für den Helden in und außerhalb von uns selbst.

Wie wir die Archetypen erleben, hängt von unserer Perspektive ab. Ich habe mindestens fünf verschiedene Möglichkeiten gefunden, zu erklären, was ein Archetyp ist:

Spirituell Suchende können Archetypen als Götter und Göttinnen auffassen, die im kollektiven Unbewussten verschlüsselt sind.

Akademiker und andere Rationalisten, die im Allgemeinen allem mystisch Klingenden misstrauen, können Archetypen als Paradigmen oder Metaphern betrachten, als das unsichtbare Muster im Kopf, das bestimmt, wie wir die Welt erleben.

Naturwissenschaftler können Archetypen mit einem Hologramm und ihre Identifizierung mit anderen wissenschaftlichen Prozessen vergleichen. Genauso wie die Archetypen (und daher die Helden) in und außerhalb von uns sind, ist ein ganzes Hologramm in jedem seiner Teile enthalten. Durch ihr Verständnis der Funktionsweise eines Hologramms hat die moderne Wissenschaft tatsächlich die Richtigkeit der alten spirituellen Parallele von Makrokosmos und Mikrokosmos nachgewiesen. Auch die Psychologie liest das, was mit dem Verstand eines einzelnen Menschen los ist, oft an den Schöpfungen der Spezies ab.Physiker erfahren etwas über die kleinsten subatomaren Partikel, indem sie die von ihnen hinterlassenen Spuren untersuchen; Psychologen und andere Akademiker erforschen die Archetypen, indem sie ihr Vorhandensein in Kunst, Literatur, Mythos und Traum untersuchen. C. G. Jung erkannte, dass die archetypischen Bilder, die immer wieder in den Träumen seiner Patienten vorkamen, auch in den Mythen, den Legenden und der Kunst alter Völker sowie in der zeitgenössischen Literatur, Religion und Kunst zu finden waren. Wir wissen, dass sie archetypisch sind, weil sie zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten dieselben oder vergleichbaren Spuren hinterlassen haben.

Menschen, für die der Glaube an einen einzigen Gott wichtig ist (und die sich wegen des Polytheismus Sorgen machen, der bei jeder Betrachtung von Göttern und Göttinnen ins Spiel kommt), können die spirituelle Wahrheit des Monotheismus anhand der pluralistischen psychologischen Wahrheit der Archetypen erkennen. Der Gott, den wir meinen, wenn wir von dem einen Gott sprechen, geht über das Vorstellungs- und Benennungsvermögen des Menschen hinaus. Die Archetypen lassen sich mit verschiedenen Facetten dieses Gottes vergleichen, die der Fähigkeit der Psyche, sich eine numinose Realität vorzustellen, zugänglich sind. Einige Menschen hängen jedoch so an einer monotheistischen Sichtweise, dass sie ihre Auffassung von Gott auf ein einziges archetypisches Bild reduziert haben. Sie stellen sich Gott zum Beispiel als alten Mann mit langem weißem Bart vor. Solche Menschen haben sich unabsichtlich einem Gefühl des numinosen Mysteriums verschlossen, das tiefer ist, als es ein einziges Bild vermitteln kann.Auch im frühen christlichen Monotheismus stellte man sich eine Dreifaltigkeit vor, um die Wahrheit Gottes adäquat auszudrücken; viele moderne Theologen stellen neben das traditionelle patriarchalische Pantheon von Vater, Sohn und Heiligem Geist Bilder der weiblichen Seite Gottes. Der Buddhismus postuliert einen Gott, der in die 40, 400 und 4000 Facetten dieser einzigen Gottheit teilbar ist; all diese Aspekte haben einen eigenen Namen und eine eigene Geschichte. So tragen die Archetypen dazu bei, dass wir uns mit dem Ewigen verbinden; sie machen die großen Geheimnisse zugänglicher, indem sie uns viele Bilder geben, über die der Verstand nachsinnen kann.

Leute schließlich, die an Wachstum und Entwicklung des Menschen interessiert sind, können die Archetypen als Führer auf ihrer Reise begreifen. Jeder Archetyp, der in unser Leben tritt, bringt eine Aufgabe, eine Lektion und ein Geschenk mit. Zusammen lehren sie uns, wie wir leben können. Und das Beste ist, dass alle Archetypen in jedem von uns sind. Dies bedeutet, dass wir alle das Potenzial zur Ganzheit in uns tragen.

Die Lehrer und die Reise des Helden

Obwohl wir in jeder Phase der Reise Helden sind, wird unsere Definition und Erfahrung des Heldentums davon beeinflusst, welcher Führer in unserem Leben und in unserer Gesellschaft am aktivsten ist. Wenn wir zum Beispiel in unserer Kultur an einen Helden denken, denken wir im Allgemeinen an einen Krieger, der Drachen tötet und Damen in Not rettet. Weil der Archetyp des Kriegers im Denken unserer Kultur mit Männlichkeit assoziiert wird, stellen wir uns den Helden als Mann vor – und oft (in der westlichen Kultur) als weißen Mann. Frauen sowie Männer, die nicht weiß sind, haben die Nebenrollen inne: Helfer, Bösewichte, zu rettende Opfer, Diener und so weiter.

Der Archetyp des Kriegers ist – für alle Menschen unabhängig von Alter oder Geschlecht – ein wichtiger Aspekt des Heldentums, aber er ist nicht der einzige und auch nicht der wesentlichste. Alle zwölf Archetypen sind für die Reise des Helden und den Individuationsprozess wichtig.

Unsere Weltsicht wird davon bestimmt, welcher Archetyp in unserem Denken und Handeln dominiert. Wenn der Krieger dominiert, sehen wir Herausforderungen, die wir bestehen müssen. Wenn der Geber dominiert, sehen wir Menschen, die unsere Fürsorge brauchen. Wenn der Weise dominiert, sehen wir Täuschung und Komplexität und streben danach, die Wahrheit zu finden. Wenn der Narr dominiert, sehen wir Möglichkeiten, wie wir es uns gut gehen lassen können.

Jeder der zwölf Archetypen ist gleichzeitig Führer auf der Reise und eine ihrer Phasen – er bietet eine Lektion, die wir lernen können, und ein Geschenk bzw. einen Schatz, die unser Leben bereichern. Die Übersicht »Die zwölf Archetypen« in der Einführung stellt die Themen jeden Archetyps auf einen Blick dar.

Sobald wir bereit sind, von allen zwölf Archetypen zu lernen, können wir sie im Verlauf eines einzigen Tages oder auch nur einer einzigen Stunde erleben. Nehmen wir einmal an, etwas geht schief – Sie werden krank, oder Ihr Arbeitsplatz oder Ihre Partnerbeziehung ist gefährdet. In den ersten paar Minuten wollen Sie das Problem nicht wahrhaben (Schatten-Unschuldiger), aber dann kehrt Ihr Optimismus zurück (Unschuldiger), und Sie machen sich daran, die Situation zu analysieren. Als Nächstes fühlen Sie Ohnmacht und Schmerz, aber dann bitten Sie andere um Hilfe (Verwaister). Sie mobilisieren Ihre Ressourcen und entwickeln einen Plan, um mit dem Problem fertigzuwerden (Krieger). Bei seiner Durchführung achten Sie auch darauf, welche emotionale Unterstützung Sie und andere brauchen (Geber).

Sie sammeln Informationen (Suchender), lassen Illusionen und falsche Hoffnungen los (Zerstörer) und gehen neue Verpflichtungen ein, etwas zu ändern (Liebender), um eine Lösung zu präsentieren (Schöpfer). Das heißt, Sie sehen die Krise als Möglichkeit, zu wachsen und mehr zu werden, als Sie waren, und handeln entsprechend. Sobald Sie die Krise bewältigt haben, überlegen Sie auch, wie Sie zu ihr beigetragen haben könnten (Herrscher); wenn ja, tun Sie etwas, um diesen Teil von sich zu heilen (Magier), damit Sie sich nicht wieder in dieselbe Schwierigkeit bringen. Oder Sie heilen den Teil von sich, den eine Situation schmerzt, an deren Entstehung Sie keinen Anteil hatten. So sehen Sie, was aus der Situation zu lernen ist (Weiser). Dann können Sie das Leben wieder genießen (Narr) und seinem Fortgang vertrauen (Unschuldiger).

Wenn ein oder mehrere Archetypen in Ihrem Leben nicht aktiv sind, werden Stufen übersprungen. Wenn wir zum Beispiel keinen Krieger haben, entwickeln wir keinen Plan, um mit dem Problem fertigzuwerden. Wenn wir keinen Weisen haben, übersehen wir die Lektion, die die Situation uns lehren könnte. Oder wir drücken die Schattenformen des Archetyps aus: Anstatt einen Plan zu machen, geben wir anderen die Schuld. Und anstatt die Lektion zu lernen, verurteilen wir uns und andere.

Die Reise durch die zwölf Phasen ist ein archetypischer Vorgang, der uns hilft, wertvolle Fertigkeiten für den Alltag zu entwickeln.

Phasen der Reise

Die Reise des Helden hat drei große Abschnitte: Vorbereitung, Reise und Rückkehr.[2] In der Vorbereitungsphase sind wir aufgefordert, unsere Kompetenz, unseren Mut, unsere Menschlichkeit und unsere Treue zu hohen Idealen zu beweisen. Auf der Reise selbst verlassen wir die Sicherheit unserer Familie oder unserer Gemeinschaft und machen uns auf eine Suche, in deren Verlauf wir Tod, Leid und Liebe begegnen. Aber am wichtigsten ist, dass unser Selbst verwandelt wird. Der Mythos symbolisiert diese Verwandlung oft durch das Finden eines Schatzes oder eines heiligen Gegenstandes. Bei der Rückkehr von der Suche werden wir zu Herrschern unseres Königreichs, das verwandelt wird, weil wir uns geändert haben.

Aber wir müssen auch ständig wiedergeboren und erneuert werden, sonst werden wir zu bösen Tyrannen, die zum Schaden des Königreichs dogmatisch an ihren alten Wahrheiten hängen. Jedes Mal wenn wir uns nicht mehr integer und ganz oder den Herausforderungen des Lebens gewachsen fühlen, müssen wir uns erneut auf die Suche machen.

Vorbereitung

Die ersten vier Archetypen helfen uns bei der Vorbereitung auf die Reise. Wir beginnen in der Unschuld, und vom Unschuldigen lernen wir Optimismus und Vertrauen. Nach dem »Fall«, das heißt der Vertreibung aus dem Paradies, werden wir zu Verwaisten, die vom Leben und vor allem von Menschen, denen sie vertrauten, enttäuscht, verlassen und betrogen wurden. Der Verwaiste lehrt uns, selbst für uns zu sorgen und uns diesbezüglich nicht auf andere zu verlassen; zunächst aber fühlt er sich so macht- und hilflos, dass er sich am besten mit anderen zusammentut, um zu überleben und sich gegenseitig zu helfen.

Wenn der Krieger in unser Leben tritt, lernen wir, uns Ziele zu setzen und Strategien zu entwerfen, um sie zu erreichen; diese Strategien verlangen fast immer, dass wir Disziplin und Mut entwickeln. Wenn der Geber aktiv wird, lernen wir, für andere und schließlich auch für uns selbst zu sorgen.

Die ersten vier Archetypen helfen uns bei der Vorbereitung auf die Reise.

Diese vier Eigenschaften – Optimismus, die Fähigkeit, sich zum Zweck der gegenseitigen Unterstützung mit anderen zusammenzutun, der Mut, für sich und andere zu kämpfen, Mitgefühl und Fürsorge in Bezug auf sich und andere – stellen die elementaren Fähigkeiten dar, um in der Gesellschaft zu leben. Aber obwohl wir das, was für ein moralisches und erfolgreiches Dasein in der Welt notwendig ist, gelernt haben, fühlen wir uns fast immer unzufrieden, wenn das alles ist.

Die Reise

Wir beginnen, uns nach jenem unfassbaren Etwas zu sehnen, das größer ist als wir selbst und uns zufriedenstellt, und werden zu Suchenden. Wenn wir den Aufruf beantworten und uns auf die Reise machen, stellen wir fest, dass wir Entbehrung und Leid erleben, denn der Zerstörer nimmt viel von dem weg, was uns wesentlich erschien. Die Einweihung durch das Leiden wird jedoch durch die Einweihung in den Eros, die Liebe, ergänzt, wenn wir uns in Menschen, Projekte, Orte oder eine Arbeit verlieben. Diese Liebe ist so stark, dass sie nach Bindung drängt – und wir sind nicht mehr frei (Liebender). Der Schatz, der aus dieser Begegnung mit Tod und Liebe erwächst, ist die Geburt des wahren Selbst. Der Archetyp des Schöpfers hilft uns, dieses Selbst in der Welt auszudrücken, und bereitet uns darauf vor, ins Königreich zurückzukehren. Die vier Fähigkeiten des Suchens, Loslassens, Liebens und Erschaffens lehren uns den elementaren Prozess, unser altes Selbst aufzugeben und das neue zu erschaffen. Dieser Vorgang bereitet uns darauf vor, ins Königreich zurückzukehren und unser Leben zu verändern.

 

Die zwölf Archetypen

Die Rückkehr

Bei unserer Rückkehr stellen wir fest, dass wir die Herrscher unseres Reichs sind. Anfangs mag uns der Zustand dieses Reichs enttäuschen. Aber wenn wir unserer neuen Weisheit entsprechend handeln und unserer neuen Identität treu sind, beginnt das verödete Land zu blühen. Wenn der Magier in unserem Leben aktiv wird, lernen wir, uns und andere zu heilen und zu verwandeln, sodass das Königreich ständig erneuert wird.

Auf der Reise geht es im Grunde um Verwandlung.

Solange wir unsere Subjektivität nicht konfrontieren, sind wir nicht völlig erfüllt und glücklich; deshalb hilft der Weise uns zu erkennen, was Wahrheit wirklich ist. Wenn wir lernen, unsere Subjektivität zu akzeptieren und die Einengung durch Illusionen und unbedeutende Wünsche loszulassen, können wir einen Zustand der Nichtfixiertheit erreichen, in dem wir frei sind. Wir sind dann bereit, uns für den Narren zu öffnen, und lernen, froh im Augenblick zu leben, ohne uns um morgen zu sorgen.

Diese letzten Errungenschaften – die Übernahme der völligen Verantwortung für das eigene Leben, die Verwandlung und Heilung von uns und anderen, Nichtfixiertheit und die Verpflichtung zur Wahrheit, die Fähigkeit zu Freude und Spontaneität – sind die Belohnung für unsere Reise.

Das spiralförmige Muster der Reise

Die Vorstellung, dass der Held die Phasen Vorbereitung, Reise und Rückkehr durchläuft und nacheinander von zwölf Archetypen unterstützt wird, ist als Lehrmodell nützlich, aber in den meisten Fällen geschieht Wachstum nicht so festgelegt und linear. Unsere Führer kommen zu uns, wenn sie – und auf einer bestimmten Ebene wir – es wollen.

Die Reise verläuft eher wie eine Spirale: Die letzte, durch den Archetyp des Narren verkörperte Phase verbindet sich wieder mit dem ersten Archetyp, dem Unschuldigen, aber auf einer höheren Ebene. Jetzt weiß der Unschuldige mehr vom Leben. Auf dieser spiralförmigen Reise begegnen wir jedem Archetyp viele Male und erwerben dabei neue Gaben, die höhere Entwicklungsebenen bezeichnen. Jede Begegnung hinterlässt einen Abdruck in der Seele, der allmählich ein Netz bzw. Gewebe bildet. Wenn wir die Realität erleben – und das geeignete Gewebe oder Netz haben, um sie zu halten –, können wir diese Erfahrung verinnerlichen und verstehen. Die Archetypen, die wir noch nicht erlebt haben, sind wie Löcher im Netz; Erfahrungen, die wir kaum oder nicht verstehen, fallen einfach durch es hindurch.[3]

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Wie dieses Buch zu benutzen ist

Dieses Buch besteht aus fünf Teilen. Teil I stellt die heroische Suche als Reise des Bewusstseins vor. Er untersucht, wie die Archetypen dazu beitragen, die Psyche zu formen und im Gleichgewicht zu halten, indem sie unser Ich ausbilden, uns mit unserer Seele verbinden, ein Gefühl für unser wahres Selbst entwickeln, um es in der Welt auszudrücken. Die ersten fünf Kapitel geben einen Einblick in die Grundlagen des Individuationsprozesses und die Erweiterung des Bewusstseins, durch deren Verständnis wir unser Potenzial voll erkennen können.

Die Teile II, III und IV beschäftigen sich eingehend mit den zwölf Archetypen. Teil II beschreibt die Archetypen, die uns bei der Vorbereitung zur Reise helfen: den Unschuldigen, den Verwaisten, den Krieger und den Geber. Teil III beschreibt die Archetypen, die uns auf der Reise selbst helfen: den Suchenden, den Zerstörer, den Liebenden und den Schöpfer. Teil IV konzentriert sich auf die Archetypen, die eine erfolgreiche und verwandelnde Rückkehr ins Königreich erlauben: den Herrscher, den Magier, den Weisen und den Narren.

Jedes Kapitel erörtert, wie ein Archetyp sich in unserem privaten und gesellschaftlichen Leben äußert: die Fähigkeiten, die er uns lehrt, seine negative bzw. Schattenform und sein Geschenk bzw. seine Lektion. Da jeder Archetyp relativ primitive und eher fortgeschrittene Formen aufweist, werden in jedem Kapitel auch die verschiedenen Entwicklungsphasen der Archetypen dargestellt.

Teil V zeigt, wie die Reise von unserem Alter, unserem Geschlecht, unserer Kultur und unserer Einzigartigkeit beeinflusst wird; wie ein Prisma zerlegen diese Faktoren den Mythos »Held« in tausend Muster und Formen und lassen für individuelle Abweichung und Kreativität genügend Platz.

Verwendungsmöglichkeiten dieses Buches

Ich habe dieses Buch für ein allgemeines Publikum geschrieben. Es kann aber auch an Schulen und Universitäten benutzt werden, ebenso bei Programmen zur Vorbeugung und Heilung von Drogen- und Alkoholabhängigkeit, bei der psychologischen und spirituellen Beratung sowie bei der Ehe- und Familientherapie, bei Programmen im Bereich der beruflichen Weiterbildung, in Selbsthilfegruppen – und von all denen, die den Helden in sich und anderen wecken wollen. Meine Theorien können benutzt werden als:

transpersonale Entwicklungspsychologie,

Beschreibung der zwölf Schlüsselphasen der menschlichen Entwicklung, denen eine Lektion, eine Aufgabe und ein Geschenk zugeordnet ist,

Möglichkeit, die Unterschiede zwischen den Menschen mithilfe des dominanten Archetyps, des Geschlechts, des Alters, des psychologischen Typs und des kulturellen Hintergrunds zu verstehen und zu schätzen,

nichtpathologisches Diagnose- und Interventionsmodell für Erzieher und Therapeuten, um die aktuelle Herausforderung in der Entwicklung eines Menschen zu bestimmen,

Hilfe bei der Erziehung von Menschen zu Erfolg, sozialem und selbstbewusstem Verhalten in einer demokratischen Gesellschaft,

Untersuchung archetypischer und zeitloser spiritueller Wahrheiten, die sich in Religion, Mythos, Literatur und in der Psychologie finden (die Theorien sind daher ein eher psychologischer als theologischer Leitfaden zur spirituellen Entwicklung),

Hilfsmittel bei der Selbsterkenntnis und beim persönlichen Wachstum.

Der Leser kann mithilfe der Theorien auch erkennen, wo er zum Nachteil seines Lebens vielleicht von Schattenformen der Archetypen besessen ist und wie er die heroischen »Lehrer« in sich analysieren kann. Vor allem kann er anhand der Theorien die Phasen seiner Reise erkennen und so Gewinn aus der Lektion jeden Archetyps ziehen.

Die Schattenformen der Lehrer erkennen

Für manche Menschen ist der gesamte Bereich des Seelenlebens ein unentdecktes Land. Sie haben Angst, eine Seelenreise zu unternehmen, weil sie das Unbekannte fürchten; dies veranlasst sie dazu, Archetypen zu unterdrücken, die sich in ihrem Leben äußern möchten. Die Folge ist, dass sie sie zunächst in ihrer negativen Form erleben und ihre Anstrengungen verstärken, diese Archetypen zu unterdrücken, denn sie wollen ja nicht Monstern Tür und Tor öffnen.

Wenn Sie sich hier angesprochen fühlen, sollten Sie das Buch einfach so lesen, ohne es auf Ihre Seele anwenden zu wollen. Das Lesen formt Ihr Ich und wird in angemessener Zeit zur harmonischen Integration der positiveren Seiten eines Archetyps führen. Und Sie erkennen die Archetypen, die sich bereits in Ihrem Leben äußern, und sehen, wie sie Sie bereichert haben. Wahrscheinlich profitieren Sie immer noch von ihnen. Wenn Sie dann bereit sind, neue Lektionen zu lernen, wird dies nicht schwierig sein.

Helden treten Drachen entgegen, und diese Drachen haben viele Gesichter. Für Menschen, die wenige oder keine Archetypen aus dem kollektiven Unbewussten in ihr Leben integriert haben, scheint die innere und die äußere Welt von Drachen bevölkert und also ein sehr angsteinflößender Ort zu sein.

Die zwölf Köpfe des Drachen sind die Schattenseiten der Archetypen (siehe die Übersicht weiter unten); sie können so tödlich sein wie die sieben Todsünden, wenn wir den Schatz nicht finden, den sie vor uns verstecken. Wenn wir uns schrecklich fühlen, äußern wir einen Archetyp oft in seiner negativen Form. Um uns wieder gut zu fühlen, müssen wir herausfinden, welcher Schatten-Archetyp uns im Griff hat, und uns dann weigern, von ihm besessen zu sein. Im Allgemeinen gelingt uns das nur, wenn wir den Archetyp respektieren; da wir ihn irgendwie ausdrücken müssen, entscheiden wir uns am besten für seine positive Form.

Solange Sie einen Archetyp in Ihrem Leben nicht als Führer zulassen, wird er sich Ihnen als Drache entgegenstellen.

Die Schattenseiten der Archetypen

Unschuldiger

Zeigt sich an einer Fähigkeit zur Leugnung, der Weigerung, zu erkennen, was wirklich los ist. Vielleicht verletzen Sie sich und andere, geben es aber nicht zu. Oder Sie werden verletzt, aber auch dieses Wissen unterdrücken Sie. Oder Sie glauben, was andere sagen, auch wenn Ihr inneres Wissen Ihnen etwas anderes sagt.

Verwaister

Das Opfer, das andere für seine Inkompetenz, seine Verantwortungslosigkeit oder auch sein Raubtierverhalten verantwortlich macht und vom Leben eine Sonderbehandlung und Sonderrechte erwartet, weil es so schikaniert wurde bzw. so schwach ist. Wenn diese Schattenseite des Verwaisten unser Leben beherrscht, greifen wir auch Menschen an, die uns zu helfen versuchen, und schaden dadurch ihnen und uns. Oder wir brechen zusammen und werden dysfunktional (zum Beispiel: »Du kannst von mir nichts erwarten. Ich bin so krank/verletzt/inkompetent.«).

Krieger

Der Bösewicht, der Krieger-Fähigkeiten zum persönlichen Nutzen einsetzt, ohne an Moral, Ethik oder das Wohl der Gemeinschaft zu denken. Der Schatten-Krieger ist auch jedes Mal in unserem Leben aktiv, wenn wir uns gezwungen fühlen, unsere Prinzipien aufzugeben, um konkurrenzfähig zu bleiben, zu gewinnen oder unseren Willen durchzusetzen. (Der Schatten-Krieger ist in der heutigen Geschäftswelt reichlich vertreten.) Er zeigt sich auch an der Neigung, ständig kampfbereit zu sein, das heißt, praktisch alle Ereignisse als Beleidigung, Drohung oder Herausforderung zu betrachten, gegen die man sich wehren muss.

Geber

Der leidende Märtyrer, der andere beeinflusst, indem er ihnen Schuldgefühle vermittelt. »Sieh dir an, welche Opfer ich für dich gebracht habe!« Der Schatten-Geber zeigt sich an jedem manipulierenden, »verschlingenden« Verhalten, bei dem Fürsorglichkeit benutzt wird, um andere zu dirigieren oder einzulullen. (Er findet sich auch bei »Kodependenz«, dem zwanghaften Bedürfnis, sich um andere zu kümmern oder sie zu retten.)

Suchender

Der Perfektionist, der immer ein unmöglich zu erreichendes Ziel anstrebt oder die »richtige« Lösung finden will. Wir sehen ihn bei Menschen, deren Hauptaktivität darin besteht, besser zu werden: Sie gehen ins Fitnessstudio oder besuchen Kurse und Seminare, um in irgendeinem Bereich besser zu werden, haben aber immer das Gefühl, für die Bindung an irgendetwas oder irgendjemanden noch nicht bereit zu sein. (Dies ist die pathologische Kehrseite der Selbstverwirklichungswelle.)

Zerstörer

Beinhaltet alle selbstzerstörerischen Verhaltensweisen (Süchte, Zwänge oder Aktivitäten, die echte Vertrautheit mit anderen Menschen, beruflichen Erfolg oder das Selbstwertgefühl unterminieren) sowie alle Verhaltensweisen (seelische oder körperliche Misshandlung, Mord, Raub), die eine destruktive Auswirkung auf andere haben.

Liebender

Hierher gehören die Sirenen (die andere von ihrer Suche weglocken), die Verführer (die Liebe zur Eroberung benutzen), die Sex- oder Beziehungssüchtigen (die nach Liebe süchtig sind) und jeder, der nicht Nein sagen kann, wenn die Leidenschaft ihn überkommt, oder am Boden zerstört ist, wenn ein Partner geht.

Schöpfer

Erschafft zwanghaft, stellt sich so viele Möglichkeiten vor, dass er nicht zum Handeln kommt. (Wenn sie sich der Leere ihres Lebens gegenübersehen, füllen viele Menschen ihr Leben mit unwichtigen Projekten, Herausforderungen oder Aktivitäten.) Eine Variante dieses Verhaltens ist die Arbeitssucht, bei der uns immer noch etwas einfällt, was wir unbedingt erledigen müssen.

Herrscher

Der böse Tyrann, der auf seiner Methode besteht und kreative Elemente des Königreichs (bzw. der Psyche) verbannt, um die Kontrolle zu behalten. Dies sind die Könige und Königinnen, die selbstgerechten Wutausbrüchen freien Lauf lassen und schreien: »Dieser Kopf muss ab!« Oft handeln Menschen so, wenn sie eine Autoritätsposition innehaben (zum Beispiel Eltern sind), aber noch nicht wissen, wie sie mit der damit verbundenen Verantwortung umgehen sollen. Auch Menschen, die von einem starken Bedürfnis nach Kontrolle motiviert werden, gehören in diese Kategorie.

Magier

Der böse Zauberer, der bessere in schlechtere Alternativen verwandelt. Jedes Mal wenn wir unser Selbstwertgefühl schwächen, indem wir uns oder andere herabsetzen, sind wir Schatten-Magier; er ist auch der Teil von uns, der uns und andere durch negative Gedanken und Taten krank machen kann.

Weiser

Der gefühllose Richter – kalt, rational, herzlos, dogmatisch, oft wichtigtuerisch –, der uns und andere beurteilt und sagt, dass wir (oder sie) nicht gut genug sind oder es nicht richtig machen.

Narr

Der Vielfraß, Faulpelz oder Wüstling, der ganz von den Gelüsten und Bedürfnissen des Körpers beherrscht wird und kein Gefühl für Würde oder Selbstbeherrschung hat.

Wir alle können ständig eine ganze Meute von Drachen in uns haben, die uns sagen, dass wir nicht gut genug sind (Schatten-Weiser), nicht ohne Liebe leben können (Schatten-Liebender), uns unsere Probleme nur einbilden und alles in Ordnung ist (Schatten-Unschuldiger) und so weiter. Und wenn wir in der äußeren Welt Menschen oder Dinge antreffen, die diese inneren Stimmen auslösen, werden wir sie für Drachen halten.

Wenn wir erst mit dem Reisen angefangen haben, versuchen wir vielleicht, diese Drachen zu töten; wir meinen, sie wären außerhalb von uns selbst. Aber im weiteren Verlauf der Reise begreifen wir, dass sie auch in uns sind. Wenn wir lernen, die positive Seite eines Archetyps zu integrieren, werden die inneren (und manchmal auch die äußeren) Drachen zu Verbündeten. Menschen etwa, die uns beurteilen, können unseren inneren Schatten-Weisen auslösen, aber wir können lernen, mit unserem positiven Weisen zu reagieren, und erklären, dass wir unseren, nicht ihren Maßstäben entsprechend leben. Am Ende der Reise gibt es keine Drachen mehr. Wir fühlen uns authentisch und frei.

Wir können nicht nur von den negativen (Schatten-)Formen eines Archetyps besessen sein, sondern auch von seiner positiven Form. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein hoch entwickelter Geber: Sie geben wirklich gern. Sie haben keine verborgenen Motive, und es macht Ihnen Freude, anderen zu helfen. Trotzdem können Sie von dem Archetyp besessen sein – dann nämlich, wenn Sie immer geben und nie kämpfen, Ihr eigenes Glück suchen oder es sich einfach gut gehen lassen. Solange wir kein Gefühl für unser echtes Selbst haben, sind wir meist von den Archetypen besessen. Idealerweise besteht unser Ziel nicht nur darin, die positive Form eines Archetyps auszudrücken; wir wollen überhaupt nicht von ihm besessen sein. Wir müssen ein authentisches Gefühl für uns selbst entwickeln, damit wir viele verschiedene Archetypen ausdrücken können, ohne von ihnen besessen zu sein. Wenn wir uns von der Besessenheit durch ihre Schattenformen lösen, können wir freier leben.

Während wir selbst für das Vorhandensein von Schatten-Archetypen in unserem Leben oft blind sind, sehen andere sie klar.

Süchte, Zwänge und die Besessenheit vom Schatten

Anne Wilson Schaef meint in ihrem Buch Im Zeitalter der Sucht,[4] dass wir nach Verhaltensweisen und Gedankenmustern genauso süchtig werden können wie nach Substanzen. Wenn wir von einem Archetyp besessen sind, hat dies oft süchtige oder zwanghafte Tendenzen in irgendeiner Form zur Folge. Nach welchem Verhalten ein Mensch süchtig ist, hängt vom dominierenden Archetyp ab, aber alle schränken unser Leben ein. Die folgende Übersicht listet Verhaltensweisen und Einstellungen auf, nach denen wir süchtig werden können, wenn wir von dem entsprechenden Archetyp besessen sind. Je weniger Archetypen in ihrer positiven Form in unserem Leben aktiv sind, desto mehr neigen wir zur Sucht.

Menschen, die nach Substanzen süchtig sind, sollten unbedingt beim Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker oder anderen Programmen Hilfe suchen. Die Erkenntnis, dass die Krankheit etwas mit den Archetypen zu tun hat, ist bei der Vermeidung von Süchten und der zweiten Phase der Genesung sehr nützlich; das Wissen, dass hinter der negativen Sucht ein positiver Wunsch steht, wirkt sehr befreiend. Wenn wir die archetypische Ursache unserer Schwierigkeiten erkennen, verlassen wir das Pathologische und machen uns auf die Reise, denn es gibt immer einen »Gott« (oder einen Archetyp), der ruft. Wenn wir wissen, welcher »Gott« ruft, können wir sein Geschenk entgegennehmen.

Die Helden in uns wecken

Wir können uns von der Besessenheit durch den Schatten befreien, wenn wir unser heroisches Potenzial wecken. Jeder von uns hat in sich einen Helden, aber wir sind uns dessen nicht immer bewusst. Der Held im Inneren ist meist am Schlafen. Wir haben die Aufgabe, ihn zu wecken. Die natürlichste Methode, morgens aufzuwachen, besteht darin, die Sonne ins Zimmer scheinen zu lassen. Die natürliche Methode, unser inneres Potenzial zu aktivieren, besteht darin, das Licht des Bewusstseins auf es scheinen zu lassen. Wenn wir erkennen, dass wir in uns einen Helden haben, wird dieser Held auf ganz natürliche Weise wach.

Archetypen und Süchte

Archetyp

Suchterzeugende Eigenschaft

Sucht

Unschuldiger

Leugnung

Konsum/Zucker/Fröhlichkeit

Verwaister

Zynismus

Ohnmacht/sich Sorgen machen

Krieger

Stoizismus

Leistung/Erfolg

Geber

Retten

Fürsorglichkeit/ »Kodependenz«

Suchender

Egoismus

Unabhängigkeit/Perfektion

Zerstörer

Selbstzerstörung

Selbstmord/selbstzerstörerische Verhaltensweisen

Liebender

Probleme mit Intimität

Beziehungen/Sex

Schöpfer

Zwanghaftigkeit

Arbeit/Kreativität

Herrscher

Starkes Kontrollbedürfnis

Kontrolle/»Kodependenz«

Magier

Unehrlichkeit (Image)

Macht/halluzinogene Drogen/Marihuana

Weiser

Urteilen

Recht haben/Tranquilizer

Narr

Berauschtheit

Erregung/Kokain/Alkohol

Mit den Archetypen ist es genauso. Wenn wir das Licht des Bewusstseins auf sie scheinen lassen und erkennen, dass sie in uns sind, werden sie wach und bereichern unser Leben. Wenn sie bereits aktiv sind, aber ihre Schattenform dominiert, kann das Bewusstsein die unangenehme Seite des Archetyps in den königlichen, blühenden Prinzen verwandeln, der er sein könnte.

Aufgrund des rasanten Lebensstils der heutigen Zeit werden einige von uns nicht wach, wenn die Sonne zum Fenster hereinscheint. Wir sind zu erschöpft oder haben den Kontakt zu natürlichen Prozessen verloren und brauchen einen Wecker. Auch unsere Psyche hat »Wecker« – die sogenannten »Symptome« –, die uns wach machen und uns sagen, dass etwas nicht stimmt. Wenn wir auf diese Symptome achten, lassen wir unser Schlafwandlerdasein hinter uns.

Früher wurden die Archetypen, die wie gesagt auch als heidnische Götter und Göttinnen aufgefasst werden können, durch Rituale, Gebete und Meditationen angerufen und indem man Tempel für sie baute. Auch heute noch schaffen wir Orte, an denen die Archetypen sich zu Hause fühlen. Auf Konkurrenz beruhende Aktivitäten und Organisationen – sportliche Ereignisse, politische Debatten oder die Armee – sind in Sportstadien und Regierungspalästen zu Hause, den »Tempeln« des Kriegers. Kirchen, die vor allem die Tugenden des Mitfühlens und Gebens lehren, sind die Tempel des Gebers. Universitäten sind die Tempel des Weisen. Der Besuch in den modernen Tempeln der Archetypen trägt dazu bei, mit ihnen in Kontakt zu kommen.

Sie können den Archetyp mit Worten bitten, in Ihr Leben zu treten. Oder Sie führen seine Riten und Rituale aus. Um etwa den Krieger anzurufen, können Sie sich auf Konfrontationen, Wettbewerbe oder Kämpfe einlassen. Um den Geber zu wecken, können Sie anderen geben, ohne etwas zurückzuerwarten. Lernen Sie, arbeiten Sie an der Verbesserung Ihrer Denkfähigkeit, und machen Sie sich Ihre subjektiven Vorurteile bewusst, um den Weisen zu aktivieren. Zuerst haben Sie vielleicht das Gefühl, mechanisch etwas zu tun, was eigentlich gar nicht zu Ihnen passt. Aber eines Tages dankt Ihnen Ihr innerer Krieger, Geber oder Weiser Ihr Tun mit seiner Gegenwart, und was sich erzwungen und schrecklich anfühlte, wird zu einer organischen Äußerung Ihrer selbst.

Wichtig ist, die einzigartige Form anzuerkennen, die ein Archetyp in Ihrem Leben annimmt. Nicht alle Krieger zum Beispiel sind gleich. Einige sind primitiv und grausam und werden vom Drang nach Eroberung getrieben. Andere sind ehrgeizige Spieler. Wieder andere kämpfen für das Wohl der Menschheit – und so weiter. Wir lassen das Licht des Bewusstseins auch deshalb auf die Archetypen scheinen, damit wir ihre spezielle Form in unserem Leben sehen.

Obwohl das Wecken aller zwölf Archetypen ein ganzheitliches und reiches Leben fördert, ist die Annahme, sie wären alle gleichermaßen aktiv, nicht realistisch. Wie man bei den alten Völkern oft alle Götter und Göttinnen verehrte, aber zu ein oder zwei eine besondere Beziehung unterhielt, wecken wir vielleicht alle zwölf Archetypen, entwickeln aber ein Gefühl für die Einzigartigkeit unserer Reise durch die besondere Mischung der zwei oder drei, die in unserem Leben dominieren.

Manche Leser werden die angebotenen Übungen machen wollen, andere nicht. Aber auch wenn Sie nur über einen Archetypen lesen, wecken Sie ihn, denn dadurch tritt er in Ihr Bewusstsein. Vielleicht achten Sie zunächst einfach auf die Archetypen, die in Ihrem Leben jetzt aktiv sind, und machen sich bereit, ihre Geschenke entgegenzunehmen. Wenn Sie dies bewusst so tun, dass das organische Auftauchen eines anderen Archetyps unterstützt und nicht behindert wird, kann die Wirkung Ihr Leben bereichern.

Tipps zum Lesen dieses Buches

Vielleicht wollen Sie das Buch von Anfang bis Ende durchlesen; dies ist, wie bei den meisten Büchern, wünschenswert. Beim Schreiben der verschiedenen Teile dieses Buches hatte ich jedoch verschiedene Leser im Sinn. Teil I zum Beispiel ist vor allem für Leser interessant, die sich mit der Funktionsweise der menschlichen Psyche beschäftigen; er erörtert, wie die Heldenreise deren Entwicklung fördert. Die Teile II, III und IV stellen die einzelnen Archetypen und ihr Erscheinen während der drei großen Phasen der Reise ausführlich dar. Leser, die Der Held in uns[5] kennen, werden Teil II möglicherweise als Wiederholung empfinden und überspringen (oder überfliegen) ihn vielleicht nur.

Den Test machen

 

Bevor Sie beginnen, sollten Sie den im Anhang befindlichen Test machen, um die in Ihrem Leben aktiven Archetypen herauszufinden. Füllen Sie auch das Kreisdiagramm am Ende der »Tipps« aus. So wird Ihre Lektüre konkreter. Tragen Sie Ihre Ergebnisse an den entsprechenden Stellen ein. Einige Leser werden ihre Energie vielleicht auf die Teile des Buches konzentrieren wollen, die für ihr gegenwärtiges Leben am relevantesten sind.

Leser, die vom Wunsch nach Selbsterkenntnis und Wachstum motiviert werden, möchten sicher auch die im ganzen Buch verstreuten Übungen machen, um ihre Erkenntnisse direkt auf ihr Leben anzuwenden. Sie können sich, allein oder in Gruppen, wochen- oder monatelang mit dem Buch beschäftigen und so Ihre Bewusstheit und Ihre Effektivität in der Welt enorm steigern. Einige Teile werden für Ihr Leben gerade jetzt wichtig sein; andere vielleicht erst in ein paar Wochen, Monaten oder Jahren. Arbeiten Sie mit dem Buch in Ihrem Rhythmus und auf Ihre Art.

Tragen Sie Ihre Testergebnisse ein

 

Gehen Sie zum Anhang, machen Sie den Test, und befolgen Sie die Anweisungen zur Auswertung. Tragen Sie dann Ihre Ergebnisse hier ein:

 

_____ Unschuldiger

 

_____ Verwaister

 

_____ Krieger

 

_____ Geber

 

_____ Suchender

 

_____ Zerstörer

 

_____ Liebender

 

_____ Schöpfer

 

_____ Herrscher

 

_____ Magier

 

_____ Weiser

 

_____ Narr

Ethik

Die hier vorgestellten Theorien und Modelle sollten nie benutzt werden, um sich oder andere zu manipulieren, zu etikettieren, zu beurteilen oder zu demütigen. Alle Teile dieses Modells sollten nur verwendet werden, um sich und andere zu achten, denn das Bild der Suche enthält implizit das Bewusstsein, dass wir alle wichtig sind. Wissen beinhaltet Verantwortung. Die sich aus diesem Modell ergebende Verantwortung besteht in der Verpflichtung, sich zu seiner eigenen Kraft zu bekennen und Handlungen zu unterlassen, die einen selbst oder andere kleiner machen. Benutzen Sie stattdessen Ihre Kraft und Ihre Weisheit, um in sich und anderen das Beste zu sehen und einen verwandelnden Einfluss auf Ihre Umgebung auszuüben.

Kreisdiagramm

 

Tragen Sie bei jedem Segment ein, wie sehr Sie sich mit dem entsprechenden Archetyp identifizieren.

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Teil I

Der Tanz von Ich, Seele und Selbst

1Die Phasen der Reise

Die Botschaften unserer Kultur in Bezug auf die Rolle von Ich, Seele und Selbst sind verwirrend und widersprüchlich. Die Managementliteratur konzentriert sich meist auf ein gesundes Ich und schließt Selbst und Seele aus. Die politische Theorie konzentriert sich ebenfalls auf Ich-Belange, wie den gleichen Zugang zu Arbeitsplätzen, Bezahlung, Erziehung und Status. Auch die Psychologie unterstreicht häufig eine gesunde Ich-Entwicklung, und viele Psychologen beschäftigen sich mit nichts anderem.

Die transpersonale Psychologie sowie einige Richtungen der zeitgenössischen östlichen oder westlichen Religion entwickeln Selbst und Seele oft zulasten des Ich. Häufig wird bewusst und explizit versucht, das Ich loszuwerden, um ganz dem Willen Gottes folgen zu können. Nur die Psychologie der Archetypen respektiert alle drei, obwohl manchmal auch bei ihr praktische Ich-Belange nicht angemessen betont werden.

In der heutigen Welt ist es dringend notwendig, Ich, Seele und Selbst zu achten und zu erkennen, wie das Ich umerzogen (nicht eliminiert) werden kann, um höhere Funktionen zu entwickeln. Erst die Verbindung von Ich und Seele bringt das Selbst hervor. Mein Studium der modernen Psychologie, Theologie, Politik, Unternehmensführung und Selbsthilfeliteratur hat mich mehr und mehr überzeugt, dass jeder von uns glücklich, erfolgreich, »selbstverwirklicht« und spirituell sein kann. Es ist auch möglich, sein Glück in die Hand zu nehmen und trotzdem ein verantwortungsbewusster Bürger, Elternteil und Freund zu sein. Das Geheimnis besteht darin, auf die Reise zu gehen und sich selbst zu finden.

Die in diesem Buch beschriebenen zwölf heroischen Archetypen tragen zur Entwicklung unserer Psyche bei. Die drei Phasen der Heldenreise – Vorbereitung, Reise und Rückkehr – entsprechen genau den Phasen der psychischen Entwicklung des Menschen: Erst entwickeln wir das Ich, dann begegnen wir der Seele, und schließlich bringen wir unser einzigartiges Selbst hervor. Die Reise des Ich lehrt uns, in der Welt sicher und erfolgreich zu sein; die Reise der Seele und die Begegnung mit den tiefgründigen Geheimnissen des Lebens hilft uns, der zu werden, der wir wirklich sind; die Reise des Selbst zeigt uns, wie wir unsere Authentizität, unsere Macht und unsere Freiheit finden und äußern können.

Die drei Phasen der Heldenreise – Vorbereitung, Reise und Rückkehr – entsprechen genau den Phasen der psychischen Entwicklung des Menschen.

Das Ich ist so etwas wie ein »Gefäß« für das Leben. Es schafft eine Grenze zwischen uns und allem anderen und ist gleichzeitig unser Bindeglied zur Welt. Durch das Ich lernen wir auch, uns in die vorhandene Welt einzufügen und sie zu ändern, damit unsere Bedürfnisse besser erfüllt werden.

Die Seele, die Jungianer mit dem Unbewussten oder der Psyche gleichsetzen, verbindet uns mit dem Überpersönlichen. Die Seele enthält auch das gesamte Potenzial der Spezies Mensch. Dieses Potenzial ist in jedem von uns vorhanden – wie ein Same, der keimt und sprießt, wenn die äußeren Bedingungen günstig sind (wenn, bildlich gesprochen, genug Sonne und Wasser sowie fruchtbarer Boden vorhanden sind). Für Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben, ist die Seele der Teil von uns, der weiterlebt, wenn der Körper stirbt. Aber man braucht nicht an ein Leben nach dem Tod zu glauben, um mit der Seele in Kontakt zu kommen oder die Vorstellungen dieses Buches anzuwenden.

Das Selbst bedeutet, dass wir ein Gefühl echter Identität erreicht haben. Wir wissen, wer wir sind, die disparaten Teile unserer Psyche kommen zusammen, und wir erleben Ganzheit und Integrität. Unsere Aufgabe besteht dann darin, angemessene Möglichkeiten zu finden, uns in der Welt auszudrücken und den Beitrag zu leisten, den nur wir leisten können, damit Freude in unser Leben kommt und das unfruchtbare Land zu blühen beginnt.

Die ersten vier Archetypen – der Unschuldige, der Verwaiste, der Krieger und der Geber – helfen uns bei der Vorbereitung auf die Reise. Von ihnen lernen wir, in der vorhandenen Welt zu überleben, Ich-Stärke zu entwickeln und darüber hinaus produktive Bürger und gute, moralische Menschen zu sein.

Die zweiten vier Archetypen – der Suchende, der Zerstörer, der Liebende und der Schöpfer – helfen uns auf der Reise selbst, auf der wir unserer Seele begegnen und der werden, der wir wirklich sind. Die letzten vier Archetypen – der Herrscher, der Magier, der Weise und der Narr – unterstützen unsere Rückkehr ins Königreich: Wir lernen, unser wahres Selbst auszudrücken und unser Leben zu verwandeln. Diese Archetypen führen uns über den Heroismus hinaus zu Freiheit und Freude.

Die Mandalas von Ich, Seele und Selbst

 

Die folgenden Abbildungen ordnen je vier Archetypen einem Mandala zu. C.G.Jung zufolge hängen die Zahl vier und die Form des Mandalas mit Ganzheit und der Entdeckung des Selbst zusammen.

Schreiben Sie Ihre Punktzahl für jeden Archetyp in das entsprechende Kästchen.

Zählen Sie Ihre Punkte für den Unschuldigen, den Verwaisten, den Krieger und den Geber zusammen; dann haben Sie Ihr Gesamtergebnis für das Ich. Schreiben Sie diese Zahl in das Kästchen mit der Überschrift »Ich«.

Zählen Sie Ihre Punkte für den Suchenden, den Zerstörer, den Schöpfer und den Liebenden zusammen; dann haben Sie Ihr Gesamtergebnis für die Seele. Schreiben Sie diese Zahl in das Kästchen mit der Überschrift »Seele«.

Zählen Sie Ihre Punkte für den Herrscher, den Magier, den Weisen und den Narren zusammen; dann haben Sie Ihr Gesamtergebnis für das Selbst. Schreiben Sie diese Zahl in das Kästchen mit der Überschrift »Selbst«.

Stellen Sie fest, welcher der drei Bereiche die höchste Punktzahl hat. Wenn es das Ich ist, kann dies bedeuten, dass Sie zurzeit dabei sind, sich in der Welt zu beweisen oder sich auf die Reise (oder ihre nächste Phase) vorzubereiten. Wenn es die Seele ist, sind Sie jetzt vielleicht in einer Übergangszeit – Sie sind dabei, tiefer zu gehen und mehr Sie selbst zu werden. Wenn Sie beim Selbst die meisten Punkte haben, kann dies eine Zeit sein, in der Sie sich in der Welt ausdrücken, sich Ihrer Macht bewusst sind und Ganzheit erleben.

2Das Ich:Das innere Kind schützen

Der Held wird oft als Archetyp des Ich betrachtet, aber das ist nur eine Teilwahrheit. Die Heldenreise, die Individuation, umfasst Ich, Seele und Selbst. Die Ausbildung eines gesunden Ich ist jedoch die Vorbedingung dafür, die Reise zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

Das Ich ist der Sitz des Bewusstseins; es beinhaltet die Erkenntnis, dass es ein von der Mutter und der übrigen Welt getrenntes »Ich« gibt, das die Welt beeinflussen kann. Das reife Erwachsenen-Ich entwickelt seine Fähigkeiten, um all unsere Bedürfnisse zu erfüllen, nicht nur das nach Sicherheit. Das entwickelte Ich trägt dazu bei, dass nicht nur unser Bedürfnis nach Überleben, Zufriedenheit, Sicherheit, Liebe und Zugehörigkeit erfüllt wird, sondern auch das nach Selbstachtung, Selbstverwirklichung und Transzendenz. Es bringt auch unsere individuellen Bedürfnisse mit den Bedürfnissen anderer ins Gleichgewicht und trägt so zum Überleben und zur Entwicklung des Individuums, der Familie, der Gemeinschaft, der Nation und der gesamten Spezies bei.

Zu Beginn des Lebens ist das Ich noch nicht entwickelt. Wir kommen klein, zerbrechlich und hilflos in diese Welt. Wir haben wenig oder keine Kontrolle über unsere Umgebung, nur die Fähigkeit, vor Schmerz zu schreien oder Liebe und Fürsorglichkeit anzuregen, indem wir süß, verletzlich und unschuldig aussehen. Wir sind der Fürsorge von Eltern oder anderen Erwachsenen überlassen, die, auch wenn sie sich noch so sehr bemühen, nicht immer richtig erraten, was wir brauchen. Wenn wir fähig werden, unsere Bewegungen, Laute und Handlungen zu beherrschen, lernen wir, dass unser Tun beeinflusst, was mit uns geschieht. Mit diesem Bewusstsein ist das Ich geboren.

Das Ich ist der Sitz des Bewusstseins; es beinhaltet die Erkenntnis, dass es ein von der Mutter und der übrigen Umgebung getrenntes »Ich« gibt, das die Welt beeinflussen kann.

Egal, wie alt, weise oder reif wir werden, jeder von uns hat in sich ein verletzliches kleines Kind, das immer noch die – großen oder kleinen – Narben unserer Entwicklungsjahre trägt. Die erste Aufgabe des Ich besteht darin, dieses innere Kind zu schützen. Irgendwann in der Kindheit beginnt das Ich, die Schutzfunktion der Eltern Schritt für Schritt zu übernehmen – eine Aufgabe, die mit der Reife zum Abschluss kommt.

Die nächste Aufgabe des Ich und seine elementare Funktion besteht in der Verbindung zur äußeren Welt. Das Ich sichert zunächst unser Überleben und konzentriert sich dann darauf, in der Welt erfolgreich zu sein. In gesunden Umgebungen können Kinder sich auf Eltern und andere Erwachsene dahin gehend verlassen, dass sie für ihre Sicherheit sorgen. Dann können sie die Welt erforschen und lernen, effektiv mit ihr zu interagieren. In dysfunktionalen Familien jedoch kann die Ich-Entwicklung eines Kindes dadurch gehemmt werden, dass es die Verantwortung für sein Überleben und seine Sicherheitsbedürfnisse zu früh übernehmen muss. Andererseits sind Härten und Schwierigkeiten für die Entwicklung von Ich-Stärke sehr wichtig. Aber ob die äußeren Umstände unseres Lebens schwierig sind oder nicht, die Vorbereitungsphase scheint oft sehr schwer – und sei es auch nur deshalb, weil wir noch nicht die Fähigkeiten besitzen, die das Leben leichter machen können.

Das Ich und die Heldenreise

Weil die Aufgabe der vergangenen Jahrhunderte in der Entwicklung des Ich bestand, geht es auch in den meisten Heldengeschichten eben darum. Der Held auf dem weißen Pferd, der Ritter, der den Drachen tötet und die Dame in Not rettet, und die Dame in Not, die sich gegen die Attacken des ungewollten Verführers wehrt, sind Versionen dieser klassischen Geschichte.