Die 50 gefährlichsten Unternehmen der Welt - Juha-Pekka Raeste - E-Book

Die 50 gefährlichsten Unternehmen der Welt E-Book

Juha-Pekka Raeste

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Beschreibung

Große multinationale Unternehmen beeinflussen, meist ohne dass wir es merken, wie wir leben, was wir essen, wie wir unsere Zeit verbringen, wen wir treffen, wie wir uns fortbewegen und sogar was wir denken. Sie sind mitunter mächtiger als Staaten. Dieses Buch zeigt die Gefahren und Risiken, die mit deren alltäglichen Geschäften für uns verbunden sind. Die Autoren haben fünf Jahre lang für dieses Buch recherchiert und porträtieren 50 Unternehmen, die einen erschreckend großen Teil der weltweiten Marktkräfte ausmachen.  Einige der Unternehmen sind relativ unbekannt, (beispielsweise Zhōngguó Yāncǎo Zǒnggōngsī, der staatseigene chinesische Tabakhersteller, auf den 40% des weltweiten Zigarettenkonsums entfallen oder Hangzhou Hikvision, der weltweit größte Hersteller von Überwachungskameras), einige vorhersehbar (Google), andere überraschend (Ikea und Disney) und andere unvermeidlich (Gazprom und McKinsey). Einige Unternehmen profitieren von unseren täglichen Bedürfnissen (Coca-Cola), andere von unserer Eitelkeit (Facebook) und andere von unserer Gier (Goldman Sachs). Ein tiefer und besorgniserregender Einblick in die Wirkmacht der Wirtschaft.

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Die 50 gefährlichsten Unternehmen der Welt

Die Autoren

Juha-Pekka Raeste ist Wirtschaftsjournalist bei Helsingin Sanomat, der größten Zeitung Finnlands. Seine Schwerpunkte sind Großunternehmen und die IT-Branche.

Hannu Sokala arbeitet als investigativer Reporter für YLE, der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaft Finnlands. Seine Schwerpunktthemen sind internationale Finanzen und Makroökonomie.

Das Buch

Viele Wirtschaftsjournalisten und -wissenschaftler konzentrieren sich auf den Erfolg von Unternehmen. Sie fragen nicht danach, welche Schäden oder Gefahren mit dem Geschäftsmodell und den Geschäfts-praktiken dieser Unternehmen verbunden sind. Viele sind mitunter mächtiger als Staaten. Das muss uns zu denken geben. Auf welcher Basis haben die Autoren diese Liste erstellt? Auf keiner. Ihre Auswahl ist absolut subjektiv. Sie haben ihre Auswahl als Journalisten getroffen, nicht als Wissenschaftler, Berater oder Finanzanalytiker. Aus vielen Branchen haben sie ein Unternehmen gewählt, das als Beispiel für eine gesamte Branche verstanden werden kann. Wer sich für Aktienanlagen begeistert, kann das Buch auch als Investmentratgeber nutzen; die Liste beinhaltet auch viele Unternehmen, deren Status und Geschäftsmodell dafür sorgen, dass sie auch in Zukunft bei Investoren beliebt sein werden. Die Gefährlichkeit wird an drei zentralen Kriterien festgemacht: an den Gefahren für die Umwelt, für die funktionierende Marktwirtschaft und für die Demokratie.

Juha-Pekka Raeste und Hannu Sokala

Die 50 gefährlichsten Unternehmen der Welt

Aus dem Finnischen von Marleen Hawkins

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

© der deutschsprachigen Ausgabe2023 Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehaltenWir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Lektorat: Dr. Annalisa Viviani, MünchenUmschlaggestaltung: total italic, Thierry WijnbergUmschlagmotiv: © iStock, Lisa-BlueAutorenfotos: Juha-Pekka Raeste: © privat und Hannu Sokala: © Chanapa PhonthaisongISBN: 978-3-8437-3003-7

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Die Autoren / Das Buch

Titelseite

Impressum

Vorwort

Einleitung

I

II

III

IV

Die gefährlichsten Unternehmen der Welt, Plätze 50–41

50. PGE (Polen)

49. Purdue Pharma (USA)

48. Berkshire Hathaway (USA)

47. China National Petroleum Corporation (China)

46. Hangzhou Hikvision Digital Technology (China)

45. NSO Group (Israel)

44. Kaspersky Lab (Russische Föderation)

43. Odebrecht (Brasilien)

42. Die Coca-Cola Company (USA)

41. ByteDance (China)

Die gefährlichsten Unternehmen der Welt, Plätze 40–1

40. Der norwegische Ölfonds: Der größte Staatsfonds der Welt

39. Glencore: Verblüffender als sein Ruf

38. Academi: Gekaufte Kämpfer

37. BNP Paribas: Die Makel der Vergangenheit

36. UBS: Ein cleveres Geldversteck

35. Ikea: Wenn Schmutz nicht haften bleibt

34. LVMH: Der König der Luxusgüter

33. MindGeek: Der größte Netzausbeuter

32. Anheuser-Busch InBev: Der Traum von einer besseren Welt

31. Uber: Temporäre Arbeitsplätze

30. Visa: Der König der digitalen Zahlungen

29. Bayer: Umgang mit Giften seit 1898

28. Lockheed Martin: Förderer der Kriegswirtschaft

27. Ryanair: Europas beliebteste Billigfluggesellschaft

26. Huawei: Feind Nummer eins der Vereinigten Staaten

25. Cargill: Der Konzern hinter dem Big Mac

24. JBS: O Mann, was für ein Unternehmen!

23. Die Walt Disney Company: Träume für alle

22. HSBC: Die Bank für Terroristen und Drogenhändler

21. Softbank: Start-up-Rausch im großen Stil

20. Boeing: Weit entfernt von der Marktwirtschaft

19. Walmart: Hier lohnt es sich einzukaufen

18. China National Tobacco Corporation: Das Raucherzimmer der Welt

17. Chevron: Bis die Hölle gefriert

16. McKinsey: »Schuldig!«

15. Koch Industries: Sponsor eines »Netzwerks der Verleugnung«

14. Microsoft: Einfach immer viel zu mächtig

13. Hon Hai Precision Industry: Das Ausbeutungsunternehmen schlechthin

12. BlackRock: Der Fuchs, der den Hühnerstall bewacht?

11. Apple: Des Kaisers neue Kleider

10. JPMorgan: Überall dabei

9. Alibaba: So funktioniert das Geschäft der Zukunft

8. Goldman Sachs: Im Auftrag Gottes

7. Gazprom: Putins Faust

6. Deutsche Bank: Im Herzen Europas ist etwas faul

5. Facebook: Expansion um jeden Preis

4. Amazon: Ein Datenunternehmen mit allem Drum und Dran

3. Saudi Aramco: Mohammed bin Salman, der Inbegriff der Macht

2. Tencent: Die Datenschmiede der Welt

1. Google: Die wichtigste Zahl

Die Welt auf Chinas Pfaden

I

II

III

IV

V

Wer macht hier die Regeln?

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

QUELLEN

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Vorwort

Vorwort

Die Zukunft kommt unaufhaltsam. Sie wird nicht mehr von den Mächten der Demokratie, von willkürlichen Entscheidungen gutartiger Herrscher oder böswilliger Diktatoren gestaltet. In unserer neuen Welt geben eine andere Logik und andere Regeln den Takt der Zukunft an.

Früher führte privates Profitstreben mithilfe der Marktmechanismen zu höherer Effizienz in der Produktion und mehr Flexibilität in der Wirtschaft. Insbesondere in den westlichen Ländern gewährleistete die Demokratie, dass nahezu alle Bürger irgendwie in den Genuss des Fortschritts kamen.

Der freie Kapitalstrom rund um den Globus sowie die Veränderungen, die das Internet mit sich gebracht und kontinuierlich beschleunigt hat, haben eine neue Welt eröffnet. In dieser Welt wird die Zukunft von den größten Unternehmen und der Geschäftslogik ihrer Eigentümer gestaltet. Egal wie das Ergebnis ausfällt, fest steht: Über die Zukunft wird nicht bei Wahlen, auf Parlamentssitzungen oder internationalen Kooperationsforen entschieden, sondern in den Laboren für Produktentwicklung und in der Führungsetage der Konzernriesen.

In einer ähnlichen Lage befand sich die Welt zuletzt vor gut 420 Jahren. Damals konnte die Britische Ostindien-Company (BEIC) – bis 1707 English East India Company (EIC) – neue Handelsbeziehungen zwischen Europa und Indien beziehungsweise Asien nutzen. Die EIC hatte Sklaven- und Drogenhandel praktiziert und zu Bestzeiten einen großen Teil Südasiens besetzt. Eine konkurrierende Handelsgesellschaft war die Niederländische Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, VOC). Das Unternehmen gedieh, indem es Asien und Afrika derart ausplünderte, dass sein Nettovermögen heute schätzungsweise schwindelerregenden 7900 Milliarden Dollar entspräche (Visual Capitalist).

Die Handelskompanien wurden von ihren Hauptsitzen in Europa aus geleitet und fungierten zugleich auch als Behörden. Die als Aktiengesellschaften agierenden Kompanien verfügten über eigene Armeen, brachten ihre eigene Währung in Umlauf und trieben auf ihren Gebieten Steuern ein. Die BEIC verfügte im Jahr 1800 über eine Armee, die mit rund 200.000 Mann doppelt so groß war wie die offizielle britische Armee. Die Handelskompanien scheiterten letzten Endes an ihrem eigenen Größenwahn, doch sie hielten sich lange: Die VOC war 200 Jahre lang tätig, bis zum Jahr 1799, und die BEIC noch knapp 60 Jahre länger, bis 1858.

Die Handelskompanien waren in ihrer Machtausübung völlig skrupellos, und das Vorgehen heutiger Großkonzerne lässt sich nicht direkt mit deren Verhalten vergleichen. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Macht gibt es dennoch viele Gemeinsamkeiten: Die Konzernriesen sind mächtiger als Nationalstaaten, und Politiker haben keine wirksamen Instrumente, um sie zu regulieren.

Der Schweizer Tages-Anzeiger fragte im September 2007 den ehemaligen Vorsitzenden der US-Notenbank Alan Greenspan, welchen Kandidaten er bei der kommenden Präsidentschaftswahl unterstütze. Seine Antwort war aufschlussreich: »Wir haben Glück, denn dank der Globalisierung haben die globalen Marktkräfte politische Entscheidungen in den Vereinigten Staaten weitgehend ersetzt. Wenn man die nationale Sicherheit außer Acht lässt, hat der Name des nächsten Präsidenten kaum eine Bedeutung. Die Welt wird von Marktkräften regiert.« (Vgl. Tooze, J. Adam: Crashed: Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben. München 2018)

Was sind diese globalen Marktkräfte eigentlich? Wer regiert die Welt? Die Antwort: supranationale Großunternehmen. In diesem Buch werden fünfzig Unternehmen vorgestellt, die einen großen Teil der globalen Marktmacht innehaben. Darunter finden sich sowohl allgemein bekannte Namen wie Amazon, Facebook und Ikea als auch weniger bekannte wie Koch Industries, Tencent oder Cargill. Sie alle haben jedoch eines gemeinsam: Sie entscheiden, in was für einer Welt wir morgen leben werden. Vor der Auflistung der Unternehmen wenden wir uns zunächst den größten Problemen zu, die der Machtzuwachs der Unternehmen mit sich bringt. Am Ende des Buches stellen wir Überlegungen an, ob eine Änderung der Situation überhaupt noch möglich ist.

Ein Teil der Unternehmen hat es aufgrund von permanenten Regelverstößen und Verfehlungen auf unsere Liste geschafft – das frühere Verhalten der Konzerne erlaubt auch eine Prognose über ihr künftiges Verhalten. Einige Unternehmen stehen auf der Liste, weil sie bewirken, dass sich alle Beteiligten in ihrem Umfeld ängstlicher, gieriger oder unbeherrschter verhalten. Andere sind aufgeführt, weil sie aufgrund verschiedener Umstände schneller und stärker gewachsen sind, als es für uns gut wäre.

Der Fokus dieses Buches liegt nicht auf Steuerhinterziehung oder krimineller Geschäftstätigkeit. Uns interessieren insbesondere die Risiken und Gefahren im legalen Rahmen von Unternehmenstätigkeit und konventionellem Wirtschaftsbetrieb. Darüber wird gewöhnlich weder im Wirtschaftsteil der Zeitungen noch in TV-Dokumentationen berichtet. Vor den Aktivitäten der Großbanken in den vergangenen Jahren kann man jedoch nicht die Augen verschließen. So häufig sind Grenzen übertreten und Gesetze missachtet worden, dass der Eindruck entstanden ist, dies gehöre zum Businessplan der Großbanken.

Lassen wir uns inzwischen zu viel gefallen? Zwischen Großkonzernen und Staaten ist ein erschreckendes Gleichgewicht entstanden: Die Macht der Großkonzerne als Arbeitgeber und Investoren, die sich zwischen den Ländern hin und her bewegen, ist so groß, dass Staaten immer häufiger Unternehmen und ihre Führungsetagen hofieren müssen.

Wirtschaftsjournalisten und -wissenschaftler haben sich darauf konzentriert, den Erfolg, also die Wettbewerbsfähigkeit, der Unternehmen zu untersuchen. Sie fragen nicht danach, welche Schäden oder Gefahren mit dem Geschäftsmodell und den Geschäftspraktiken der einzelnen Unternehmen verbunden sind. In diesem Buch geht es jedoch nicht darum, die Unternehmen in gute und böse zu unterteilen in dem Sinne, dass es Unternehmen gibt, deren Besitzer und Angestellte böse beziehungsweise gute Menschen sind. Es ist vielmehr so, dass in vielen Branchen die Logik des freien Wettbewerbs in Kombination mit einer Politik, die sich am großen Geld orientiert, und der Entwicklung der Informationstechnologie dazu geführt hat, dass die Macht einiger Unternehmen zu groß geworden ist.

Die Wirtschaftsnachrichten verfolgen vor allem Produktions- und Beschäftigungsstatistiken verschiedener Länder. In unserer neuen Welt wäre es wichtiger, die Geschäftsmodelle und Geschäftspraktiken von Konzernen unter anderen Gesichtspunkten zu analysieren, als dies in den täglichen Nachrichten oder in Informationshappen, die für Investoren bestimmt sind, geschieht. Die Macht von Google oder Tencent ist so groß, dass es angebracht wäre, wenn die Medien neben ihren traditionellen Auslandskorrespondenten eigene Google- und Tencent-Korrespondenten hätten.

Das Vermögen, das von der Investmentgesellschaft Blackstone verwaltet wird, ist mehr als 100-mal so groß wie das Haushaltsbudget des finnischen Staates. Würde man wiederum alle Microsoft-Aktien verkaufen und den Geldwert gleichmäßig verteilen, hätte jeder Deutsche sofort 16.000 Euro mehr auf dem Konto.

Der digitale Wandel, die Verbreitung von künstlicher Intelligenz und Plattformwirtschaft, das Abhängigmachen der Menschen von Dienstleistungen, die zunehmende Ungleichheit der Vermögensverteilung und die Trägheit des politischen Systems, auf diesen Wandel zu reagieren, sind Dinge, über die alle sprechen, die aber kaum jemand begreifen kann. Dadurch, dass wir einen Zugang zur Ebene der einzelnen Unternehmen schaffen, hoffen wir, den LeserInnen ein neues Verständnis von Gegenwart und Zukunft vermitteln zu können.

Die durch das Coronavirus ausgelöste Pandemie hat die Wirtschaft in vielerlei Hinsicht hart getroffen. Während Fluggesellschaften und die Tourismusbranche in eine Krise geraten sind, haben andere Unternehmen regelrecht von der Situation profitiert. Die IT-Riesen – allen voran Facebook, Google und Apple – haben sich zunutze gemacht, dass die Menschen mehr als zuvor online arbeiten und ihre Handys und Computer stärker nutzen.

Stellenweise fokussiert sich dieses Buch auf die USA. Die Unternehmenskonzentration und das Anhäufen von Marktmacht einiger weniger Unternehmen ist in den Vereinigten Staaten schneller vorangeschritten als in Europa. Zudem waren die Behörden dort früher als in Europa mit den negativen Folgen dieser Konzentration konfrontiert. Auch fachkundige Nichtregierungsorganisationen, die kritisch über Geschäftspraktiken berichten, haben Informationen gesammelt, sodass über die Lage in den USA mehr Daten vorhanden sind als in Europa, wo Untersuchungen und Nachforschungen selten europa- oder EU-weit durchgeführt werden.

Auf welcher Basis haben wir die Liste der fünfzig gefährlichsten Unternehmen erstellt? Unsere Antwort lautet: Auf keiner. Unsere Auswahl ist absolut subjektiv, das Kriterium der Zuschreibung »gefährlich« ist nicht so auszulegen, dass die aufgeführten Unternehmen eine akute konkrete Gefahr darstellen. Es geht vielmehr um schlimme Praktiken der Unternehmen und deren verhängnisvolle Auswirkungen.

Bei einigen Entscheidungen darf man sich zu Recht fragen, warum wir Visa ausgewählt haben und nicht Mastercard. Warum McKinsey und nicht Accenture? Warum ist Chevron auf unserer Liste und nicht Shell, BlackRock und Vanguard? Und so weiter.

Wir haben als Journalisten unsere Auswahl getroffen, nicht als Wissenschaftler, Berater oder Finanzanalytiker. Wir haben die Unternehmen aufgenommen, die bei uns den größten Eindruck hinterlassen haben. Aus vielen Branchen haben wir ein Unternehmen gewählt, das als Beispiel für die Geschäftspraktiken und Gesetzmäßigkeiten – und Gefahren – der gesamten Branche verstanden werden darf. Wer sich für Aktienanlagen begeistert, kann das Buch auch als Investmentratgeber nutzen; unser fünfzig Unternehmen umfassendes Verzeichnis beinhaltet auch viele Unternehmen, deren Status und Geschäftsmodell dafür sorgen, dass sie auch in Zukunft bei Investoren beliebt sind.

Die Untersuchung der Erfolgs-DNA dieser Superunternehmen ist in vielen Kapiteln das Hauptthema. Die Gefährlichkeit der ausgewählten Konzerne wird an drei zentralen Kriterien festgemacht: an den Gefahren für die Umwelt, für die funktionierende Marktwirtschaft und für die Demokratie.

Was den Machtzuwachs der Konzerne angeht, stechen fünf Themen hervor:

Die Wertsteigerung und der Machtzuwachs der IT-Konzerne seit 2008.

Der daraus resultierende Machtzuwachs in Bezug auf die Preisgestaltung.

Die Firmenkäufe der IT-Riesen und die Fähigkeit, die Konkurrenz zu ruinieren.

Die Bedeutung von Echtzeitdaten und des Kaufs von Kundenstämmen.

Der Algorithmus der Abhängigkeit: die Fähigkeit der Konzerne, uns mithilfe von Daten und allerlei Tricks von ihren Produkten abhängig zu machen.

Kurzum: Die Allianz der künstlichen Intelligenz mit dem Kapital bestimmt unsere Zukunft.

Der Schlussteil des Buches ist auf den Kampf der USA und China um die Weltherrschaft fokussiert. Dabei geht es um nicht weniger als die Zukunft der Demokratie, der Menschenrechte, der Redefreiheit und des Rechtsstaats. Um diesen Kampf zu gewinnen, müssten die Demokratien ein Modell finden, das den Wohlstand, den die Technologie uns beschert, so unter der Bevölkerung verteilt, dass es gerechter ist als das chinesische Modell.

Wir haben das Wirtschaftsgeschehen über 30 Jahre lang als Journalisten verfolgt: Juha-Pekka Raeste als Wirtschaftsredakteur für Finnlands größte Tageszeitung Helsingin Sanomat, als Chef der Wochenzeitung Nyt und als Leiter des Wirtschaftsblattes Taloussanomat; Hannu Sokala als Wirtschaftsjournalist für die Tageszeitung Helsingin Sanomat, als Leiter der eigenen Firma und als investigativer Journalist bei der finnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Suomen Yleisradio.

Alles begann damit, dass wir ein Buch gesucht haben, das davon berichtet, wie ein paar Dutzend Großkonzerne an den Grundfesten der Demokratie rütteln, Institutionen destabilisieren und über den Zustand der Umwelt entscheiden. Ein Buch, in dem die Herausforderungen der globalen Wirtschaft und der Zukunft aus dem Blickwinkel einzelner Unternehmen – also dort, wo heutzutage alles Wichtige passiert – untersucht werden. Als wir ein solches Buch nicht fanden, beschlossen wir, es selbst zu schreiben. Wir danken dem Finnischen Kulturfonds (Suomen Kulttuurirahasto) und der Stiftung Otavan Kirjasäätiö, deren Fördergelder dieses Projekt maßgeblich unterstützt haben. Für die Überprüfung der Fakten und die Sprachpflege war Riina Nygrén verantwortlich.

Im Januar 2022Juha-Pekka Raeste und Hannu Sokala

Postskriptum

Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 wird auch einen Teil der globalwirtschaftlichen Strukturen verändern – und das möglicherweise dauerhaft. Frankreichs Minister für Wirtschaft und Finanzen Bruno Le Maire zufolge ziehen die EU und ihre Alliierten in einen Wirtschaftskrieg gegen Russland. Die Absicht ist ihm zufolge der »Zusammenbruch der russischen Wirtschaft«. Russland ist ein relativ großer Öl- und Gas-Exporteur sowie ein wichtiger Akteur auf dem Weizen-, Palladium- und Nickelmarkt. Gemessen an der Produktion befindet sich Russland allerdings in der Größenordnung von Italien, und der Zusammenbruch der russischen Wirtschaft wird nicht die gesamte Weltwirtschaft in große Schwierigkeiten bringen. Die aus reichen Industrieländern bestehende G7-Gruppe sowie zwanzig weitere Staaten verhängten im Frühjahr 2022 beispiellose Sanktionen gegen Russland. Einer der wichtigsten Schritte im Wirtschaftskrieg war die Entscheidung der EU, sieben russische Banken von dem internationalen Finanztelekommunikationssystem SWIFT auszuschließen. Die Entscheidung wirkt sich erheblich auf den Zahlungsverkehr der betroffenen Banken und deren Kundschaft aus. Im Kielwasser der von den Staaten verhängten Sanktionen begann ein großer Teil der internationalen Konzerne sich schnell aus Russland zurückzuziehen. Von den Unternehmen, die in diesem Buch behandelt werden, wandten sich Alphabet (Google), Apple, BlackRock, Coca-Cola, Deutsche Bank, Disney, Goldman Sachs, IKEA, JPMorgan, LVMH, McKinsey, Meta (Facebook), Norwegens Ölfonds, Uber und Visa von Russland ab.

Nur ungern folgen die großen internationalen Konzerne dem Beispiel der Politiker und lassen sich lukrative Geschäfte entgehen. Die Reaktionen auf den russischen Angriff auf die Ukraine könnten ein Zeichen dafür sein, dass Großkonzerne anfangen, sensibler dafür zu werden, was um sie herum geschieht.

US-Präsident Joe Biden verbot zwei Wochen nach dem Angriff die Einfuhr von russischem Öl in die USA. Die EU-Kommission beabsichtigt den Energieimport aus Russland bis 2030 gänzlich einzustellen.

Der Export von Öl und Gas stellt die Lebensgrundlage der russischen Wirtschaft dar, doch infolge des Kriegs dürfte der Export zumindest in die westliche Welt wohl stagnieren. Gazprom ist ein Konzern mit staatlicher Mehrheitsbeteiligung und der größte Gasproduzent der Welt. Der Konzern erlebte einen herben Rückschlag, als Deutschland infolge der Lage in der Ukraine verkündete, das Nord-Stream-2-Projekt auf Eis zu legen. Der Ölkonzern Shell beschloss, sich aus den gemeinsamen Projekten mit Gazprom zurückzuziehen, und BP gab bekannt, seinen Anteil von knapp 20 Prozent an dem Ölriesen Rosneft zu verkaufen. Als Russland sich gegenüber den Sanktionen unnachgiebig zeigte, begannen die westlichen Länder in raschem Tempo den Energieimport aus Russland zunächst einzuschränken und dann allmählich einzustellen.

Die Sanktionen gegen Russland trieben vor allem in der Anfangszeit die Marktpreise für Öl und Gas in die Höhe. Infolgedessen erzielte Russland zuerst mit dem Export von Öl und Gas höhere Einnahmen als vor den Sanktionen.

Zu den größten Veränderungen 2022 gehört der schnellste Inflationsanstieg seit Jahrzehnten. Eine Zentralbank nach der nächsten erhöhte ihr Zinsniveau, um die Inflation auszubremsen. Als dieses Buch in Druck ging, war noch nicht absehbar, in welche Richtung die Strukturen und Konjunkturen der globalen Wirtschaft sich in Folge von alldem entwickeln würden.

Im Oktober 2022

Einleitung

I

Es ging schneller als erwartet. Aus Großkonzernen wurden wahre Giganten, ihre Größe und die Geschwindigkeit ihres Wachstums verblüfften uns jeden Tag aufs Neue. Der US-amerikanische Konzern Apple überschritt im Sommer 2018 als erstes Unternehmen der Geschichte den Marktwert von einer Billion Dollar, also 1000 Milliarden Dollar, und zwei Jahre später knackte sein Marktwert die 2000-Milliarden-Dollar-Grenze. Das einzige andere Unternehmen, das diesen Wert überschritten hatte, war damals Aramco, das die immensen Ölreserven Saudi-Arabiens fördert. Aramcos Marktwert lag im Dezember 2019 für kurze Zeit über der magischen Grenze. Im Juni 2021 schloss sich auch der US-amerikanische Konzern Microsoft dem 2000-Milliarden-Dollar-Club an.

Gelegentlich lassen sich die Dimensionen des Wandels anhand vereinzelter Anekdoten illustrieren. Der Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg berichtete am 31. Juli 2018, dass der reichste Mann der Welt, Jeff Bezos, Gründer des börsennotierten US-amerikanischen Onlineversandhändlers Amazon, seine Eltern im Jahr 1995 dazu überredet hatte, 245.573 Dollar in das Unternehmen ihres Sohnes zu investieren: »Ich möchte, dass ihr begreift, wie riskant das ist«, hatte Bezos zu seinen Eltern gesagt. »Ich möchte am Erntedankfest zum Abendessen kommen, und ich möchte, dass ihr nicht sauer auf mich seid.«

Der Wert dieser ursprünglichen Investition von einer Viertelmillion Dollar entsprach Bloombergs Einschätzung zufolge im Sommer 2018 30 Milliarden Dollar. Zum damaligen Zeitpunkt lag der Wert einer Amazon-Aktie bei rund 1700 Dollar. Im Sommer 2020 war der Kurs auf 3300 Dollar angestiegen, und laut Bloombergs Formel war die Investition von Bezos’ Eltern bereits 58 Milliarden Dollar wert.

Zwei weitere aufschlussreiche Beispiele für die Dimensionen der globalen Wirtschaft: Im Sommer 2018 sank der Wert des sozialen Netzwerks Facebook, das vom US-amerikanischen Unternehmen Meta Platforms betrieben wird, für einen Börsentag um 20 Prozent, also um 120 Milliarden Dollar. Grund für den Kursabfall war die Meldung des Konzerns, dass die Analytiker eine Verlangsamung des Wachstums erwarteten.

Noch mehr litten die Investoren, als der Börsenwert des chinesischen Internetunternehmens Tencent innerhalb weniger Monate um 180 Milliarden Dollar sank. Ungeachtet der starken Kursabfälle gerieten die Unternehmen in keinerlei Schwierigkeiten, und auch ihre Investoren gingen daran nicht zugrunde. Die größten Unternehmen sind bereits so groß geworden und die reichsten Investoren so reich, dass ein Wertverlust in Milliardenhöhe für sie überhaupt nicht mehr spürbar ist.

Die Giganten sind schneller gewachsen als der Markt. Das bedeutet, dass ein immer größerer Anteil der gesamten Produktion und des gesamten Verkaufs in den Händen einer immer kleineren Gruppe von Unternehmen liegt.

Laut Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wuchs der Verkaufsanteil der acht größten Unternehmen an ihrer eigenen Branche von 2000 bis 2014 in Europa um etwa vier Prozentpunkte. Der US-amerikanische Markt konzentrierte sich in noch höherer Geschwindigkeit: Der Verkaufsanteil der acht größten Unternehmen stieg um acht Prozentpunkte.

Vor allem das Internetbusiness und das damit einhergehende florierende Mobiltelefonbusiness sind zum Spielfeld einiger weniger Auserwählter geworden.

Apples und Googles Anteil an Smartphone-Software beträgt 99 Prozent. Das bedeutet, dass Apple und Google zu zweit auch den Markt der Handy-Apps beherrschen.

Microsoft und Apple haben praktisch ein Duopol in Computer-Betriebssystemen.

Amazons Anteil am Onlinehandel beträgt in den USA rund 50 Prozent.

Das Rezept für Amazons Erfolg? Nicht die Tatsache, dass der Konzern neben Büchern jetzt auch alles Mögliche verkauft, sondern vielmehr, dass er seine Plattform auch für all seine Konkurrenten zugänglich gemacht hat.

So sehen sowohl die VerbraucherInnen als auch Amazons MitarbeiterInnen gleich, ob ein anderes Unternehmen dasselbe Produkt billiger verkauft.

Wenn der Preisunterschied groß ist, kann Amazon die Ursache dafür finden und als Großkunde vom Hersteller einen niedrigeren Preis erpressen.

Oftmals kann Amazon allerdings einen etwas höheren Preis verlangen als irgendein unzuverlässig wirkendes Unternehmen, da der Kunde gerne für die sichere Lieferung bezahlt und dafür, dass er weiß, wie der Reklamations- und Rücksendungsprozess bei Amazon abläuft.

Der größte Faktor ist jedoch, dass, wenn ein Verbraucher sein Produkt irgendwo anders kauft, Amazon vom Verkäufer des Produkts eine Kommission für die Nutzung der Plattform kassiert. Amazon gewinnt also in jedem Fall, immer.

Googles Anteil an allen Internetsuchmaschinen weltweit liegt seit September 2018 bei mehr als 92 Prozent.

Facebooks Social-Media-Marktanteil liegt in den USA bei knapp 80 Prozent.

In den Vereinigten Staaten gehen über die Hälfte aller Einnahmen aus Onlinewerbung an Facebook und Google.

Den Erfolg der IT-Riesen veranschaulicht auch die Liste der reichsten Personen der Welt. Die zehn Reichsten waren im Oktober 2022 (Vermögenswert in Millionen Dollar):

Elon Musk, Tesla 223.000

Jeff Bezos, Amazon 139.000

Bernard Arnault, LVMH 130.000

Gautam Adani, Adani Group 120.000

Bill Gates, Microsoft 107.000

Warren Buffett, Berkshire 96.000

Larry Page, Google 91.000

Sergey Brin, Google 87.000

Steve Ballmer, Microsoft 86.000

Mukesh Ambani, Reliance 82.000(Quelle: The Bloomberg Billionaires Index, 4. Oktober 2022)

Unternehmen der am stärksten konzentrierten Branchen fahren höhere Gewinne ein als die anderen. Gleichzeitig ist die Effizienz dieser Unternehmen nicht merklich gestiegen, was bedeutet, dass die Marktmacht zu einem wichtigen Bestandteil des Unternehmenswertes geworden ist. Marktmacht bedeutet der relative Status der Beteiligten an der Marktlage.

Die starke Stellung der Unternehmen, die ihre Machtposition etabliert haben, zeigt sich auch darin, dass die Anzahl neuer Unternehmen in den USA innerhalb der vergangenen 30 Jahre stark gesunken ist.

Die Wettbewerbsregulierung konnte mit der Entwicklung der Geschäftswelt nicht Schritt halten. Die Gesetzgeber konnten sich nicht auf eine Welt vorbereiten, in der persönliche Daten von Menschen mehr und mehr für kommerzielle Zwecke genutzt und teilweise auch missbraucht werden. Heute »bezahlen« Verbraucher für viele Dienstleistungen (zum Beispiel Facebook und Google), indem sie den Anbietern ihre Daten überlassen. Auch das ist ein neues Phänomen, dass Unternehmen in einer Machtposition ihre Plattformen (Apple, Amazon) nutzen, um die Konkurrenz im Griff zu haben.

Apple kann man ohne Weiteres als echten Superkonzern bezeichnen. Wir meinen damit einen Konzern, der in seinem eigenen Industriezweig eine derartige Größe erreicht hat, dass er mit ein oder zwei weiteren Unternehmen die Preise und Bedingungen auf dem Markt diktieren kann.

Der Erfolg der Superkonzerne verdeckt allerdings die Tatsache, dass es trotz der lang anhaltenden Wachstumsperiode nicht allen Unternehmen gut geht. In den Vereinigten Staaten stiegen die Aktienpreise seit Anfang 2009 fast kontinuierlich bis zum Corona-Frühling 2020. Hinter dem Kursanstieg steckten jedoch fast ausschließlich Apple und andere Superkonzerne der US-amerikanischen Technologieunternehmen wie Amazon, Facebook und Google. Nach dem kurzen Corona-Tief stiegen die Aktienkurse weiter an.

Zur Zeit des Inflationsdrucks und der steigenden Zinsen fielen 2022 die Aktienkurse vieler Konzerne, auch der IT-Konzerne, rasch. Letztgenannte fielen sogar schneller als der Durchschnitt. Ende September war beispielsweise der Kurs von Microsoft um 30 und der von Meta um ganze 56 Prozent innerhalb von zwölf Monaten gesunken.

Bis Anfang Oktober 2022 hatten US-amerikanische IT-Milliardäre im Laufe des Jahres 2022 Vermögen im Wert von rund 315 Milliarden verloren, berechnete der US-amerikanische Technikblog Recode. Der größte Teil verfügte trotzdem immer noch über mehr Vermögen als zu Beginn der Coronapandemie.

In den USA verteilten sich 1975 die Hälfte aller Gewinne von börsengelisteten Unternehmen auf 109 Unternehmen. Heute nehmen 30 Unternehmen die Hälfte der Gewinne ein.

Jan De Loecker, Professor an der Katholischen Universität Löwen (Belgien), und Jan Eeckhout, Professor am Londoner University College, untersuchten die Marktmacht von Konzernen, indem sie das, was die Konzerne für ihre Produktion bezahlen mussten, dem gegenüberstellten, was sie auf dem Markt für das hergestellte Produkt bekamen.

De Loecker und Eeckhout stellten eine Datenbank aus 134 Ländern zusammen, die mehr als 70.000 Unternehmen umfasst. Aus der Analyse der Datenbank ging hervor, dass die rechnerische Deckung von durchschnittlich 1,1 im Jahr 1980 auf 1,6 im Jahr 2016 angestiegen war. Am stärksten war die Deckung in den USA und Europa gestiegen, in Südamerika war der Anstieg am geringsten. »Wettbewerb ist für eine gut funktionierende Wirtschaft unerlässlich. Ohne Konkurrenzdruck reißen die Konzerne Marktmacht an sich, was sie wiederum dazu befähigt, Güter zu höheren Preisen zu verkaufen. Marktmacht führt natürlicherweise zur Umverteilung von Ressourcen von Arbeitnehmern und Verbrauchern zu Konzernbesitzern: Die Gewinnbeteiligung wächst, während der Arbeitsanteil sinkt und die Güter zu höheren Preisen an die Verbraucher verkauft werden«, schrieben De Loecker und Eeckhout in ihrem Bericht »Global Market Power« (NBER 2018).

Die Auswirkungen der Konzentration der Marktmacht reichen jedoch noch weiter. Die hohen Preise schließen einen Teil der Verbraucher vom Markt aus, und der mangelnde Wettbewerb führt außerdem zu einem Rückgang von Innovationen und Investitionen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) analysierte im Frühjahr 2019 die Daten von knapp einer Million Unternehmen aus 27 Ländern. Nach 2000 war die durchschnittliche Gewinnspanne nur wenig angestiegen. Als die Forscher die Unternehmen aufgrund der Gewinnspanne ordneten, zeigten sich die Unterschiede. Das obere Zehntel der Unternehmen hatte seine Gewinnspanne um mehr als 30 Prozent steigern können, während die Gewinnspannen der übrigen 90 Prozent unverändert geblieben waren. Im Frühjahr 2021 schätzte der IWF, dass die Coronapandemie die Unternehmenskonzentration noch weiter vorantreiben würde.

Visa, MasterCard und American Express beherrschen seit Langem das globale Kreditkartenbusiness. Der wirtschaftliche Aufschwung in China hat mit UnionPay (CUP) einen vierten großen Akteur hervorgebracht.

Die fünf größten Banken verwalten über die Hälfte des gesamten Vermögens des US-amerikanischen Finanzsystems. Noch gegen Ende der Neunzigerjahre lag der Vermögensanteil der fünf größten Banken bei einem Fünftel.

In den vergangenen zehn Jahren sind sechs der größten US-amerikanischen Fluggesellschaften zu drei Riesenkonzernen fusioniert. In der EU wurde hingegen verstärkter Wettbewerb angestrebt und viele Billigfluggesellschaften (Ryanair und EasyJet) gingen neu an den Markt.

In den USA lag das Verhältnis der 500 größten Unternehmen zum Bruttosozialprodukt des ganzen Landes 1980 bei etwa 58 Prozent; heute sind es 73 Prozent. Das Verhältnis der 100 größten Unternehmen stieg von 33 auf 46 Prozent an.

Das Mobilfunknetz ist eine der wenigen Branchen in Europa, in denen der Wettbewerb sehr konzentriert ist: Das Netz wird in den meisten Ländern von dem Trio bestehend aus dem britischen Vodafone, der spanischen Telefonica und der Deutschen Telekom beherrscht. In Deutschland beispielsweise liegen die Marktanteile bei 21, 30 und 33 Prozent (Quelle: Deutsche Telekom, März 2020).

Der Chemiekonzern Monsanto hat in den vergangenen zehn Jahren 30 Unternehmen aufgekauft. Oracle kaufte 80 Unternehmen und Google mehr als 120.

Noch im Jahr 1994 waren mehr als 80 Konzerne in der US-amerikanischen Luftfahrt- und Rüstungsindustrie tätig – im Jahr 2000 gab es nur noch fünf konkurrierende Konzerne.

ChemChina, Corteva (früher DowDuPont) und Bayer bestimmen 70 Prozent des weltweiten Pestizidmarktes.

Anheuser-Busch InBev und MillerCoors teilen sich knapp zwei Drittel des US-amerikanischen Biermarktes.

Boeing und Airbus beherrschen zu zweit den Weltmarkt der großen Passagierflugzeuge.

Die schnelle Konzentration der Industriezweige auf einige wenige und besonders erfolgreiche Großkonzerne wird überall in der Wirtschaft sichtbar. Gleichzeitig stecken die Lohnentwicklung, die Inflation und das Wirtschaftswachstum bei nahezu null fest. Dies drückt sich auch darin aus, dass der Anteil der Lohnempfänger am Nationaleinkommen in den Industrieländern seit den Achtzigerjahren zurückgegangen ist. Der sinkende Anteil der Lohnempfänger spricht in der Volkswirtschaft allgemein für einen geschwächten Status der Arbeitnehmer.

Joseph E. Stiglitz, der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Professor der University of Columbia, geht in seinem Artikel »A Rigged Economy« (Scientific American 5/2018) der Frage nach, warum die Regulierung von Unternehmen in den vergangenen Jahren entschärft worden ist, obwohl man doch die Unternehmen strenger hätte regulieren müssen als zuvor. Ihm zufolge hat der technologische Fortschritt mit zweierlei Mechanismen dafür gesorgt, dass die Marktmacht in die Hände einiger weniger globaler Akteure gelegt wurde und sich so konzentriert hat.

Den ersten Mechanismus nennt Stiglitz »Netzwerk-Effekt«: Ein Verbraucher wählt bestimmte soziale Medien oder ein Computerprogramm, wenn dieses in seinem Bekanntenkreis schon genutzt wird. Einmal über die kritische Grenze hinausgewachsen, lässt sich an der Stellung von Facebook oder Microsoft kaum noch rütteln.

Der zweite Mechanismus ist das Wachstum von Fixkosten im Vergleich zu den Grenzkosten. Der Gedanke lässt sich wie folgt veranschaulichen: Die Entwicklung eines Computerprogramms kostet immer mehr (Fixkosten), während das Kopieren eines Programmes ausgesprochen günstig ist (Grenzkosten). Wenn ein Neuling auf dem Software-Markt Fuß fassen will, muss er sofort für beide Kosten aufkommen. Taucht ein neuer Konkurrent am Markt auf, kann ein etabliertes und wohlhabendes Unternehmen die Entstehung von Wettbewerb effektiv vermeiden, indem es schnell den Preis seines Endprodukts, in diesem Fall des Computerprogramms, senkt. »Kurz gesagt: An den Markt zu gehen, ist schwierig und risikoreich, was den etablierten Unternehmen, die über eine Kriegskasse verfügen, die enorme Macht gibt, Konkurrenten zu ruinieren und schließlich die Preise anzuziehen«, schreibt Stiglitz und fährt fort: »Was die Situation noch schlimmer macht, ist, dass US-amerikanische Unternehmen nicht nur innovativ in ihrer Produktentwicklung waren, sondern auch darin, Methoden zu entwickeln, mit denen sie ihre Marktmacht noch ausweiten und verstärken können. Die EU-Kommission hat Microsoft und Google Geldstrafen in Milliardenhöhe auferlegt und sie angewiesen, ihr wettbewerbswidriges Verhalten zu stoppen […]. Wir haben in den USA zu wenig unternommen, um die Konzentration von Marktmacht zu kontrollieren, sodass es nicht verwunderlich ist, dass sie in verschiedenen Sektoren zugenommen hat.«

Mit wachsenden Gewinnen und wachsender Marktkraft nahm auch die politische Macht der Superkonzerne zu. Dies zeigt sich unter anderem in Fällen, in denen Unternehmen sich weigern, sich an behördliche Bestimmungen zu halten.

Eines der bekanntesten Beispiele ist Apple. Das Unternehmen verweigerte dem FBI seine Unterstützung beim Versuch, auf das iPhone von Syed Farook zuzugreifen, der für den Terroranschlag 2015 im kalifornischen San Bernadino verantwortlich war. Farook tötete 14 Menschen. Apple teilte mit, dass die Behörden freie Hand hätten, auf die Inhalte sämtlicher iPhones zuzugreifen, wenn sie die Sicherheitssperre eines einzigen Geräts brechen würden. Der CEO Tim Cook sagte, dass Apple in diesem Streit für die »Rechte des Volks« kämpfe. Noch bevor der Streit vor Gericht entschieden wurde, teilte das FBI mit, eine Drittpartei gefunden zu haben, die geholfen habe, das Gerät zu entsperren (mehr über den Streit in Kapitel 11: »Apple: Des Kaisers neue Kleider«).

Die Nachrichtenagentur Reuters enthüllte im Jahr 2018, dass die US-Regierung versucht habe, Facebook zur Dechiffrierung von verschlüsselten Nachrichten der Messenger-Anwendung zu zwingen, damit die Polizei die Messenger-Gespräche eines Mitglieds der kriminellen Bande Mara Salvatrucha abhören konnte. Die gewaltbereite Gang, die in den Achtzigerjahren in Los Angeles gegründet worden war, ist auch unter der Abkürzung MS-13 bekannt. Sie ist in Mittelamerika, Mexiko und den USA aktiv und gilt als äußerst brutal.

Reuters zufolge teilte Facebook in einer Gerichtsverhandlung unter Ausschluss der Presse mit, dass die Messenger-Gespräche Ende-zu-Ende verschlüsselt seien. Das bedeutet, dass die Sprache verschlüsselt beziehungsweise so unkenntlich gemacht wird, dass nur die jeweiligen Gesprächspartner das Gesprochene verstehen können. Facebook sagte, dass die Dechiffrierung dieser Verschlüsselung eine Neuschreibung des Messenger-Codes sowie die Aufhebung der Verschlüsselung bei allen Nutzern voraussetze. Ein Richter des Federal Court, des US-amerikanischen Bundesgerichtshofs, entschied, dass Facebook nicht dazu verpflichtet sei, die Verschlüsselung der Gespräche für die Polizei aufzuheben. Die Begründung für dieses Urteil ist geheim.

In den westlichen Ländern beobachtete man mit Besorgnis, wie vor allem Russland Einfluss auf die Präsidentschaftswahlen in den USA und die britische Volksabstimmung zur EU-Mitgliedschaft ausübte. Trotzdem gelang es dem Westen nicht einmal innerhalb der EU, eine einheitliche Handlungsstrategie zu entwickeln. Die Internetriesen befürchteten, dass die Regierungen früher oder später einschreiten würden, und begannen selbst eine behördenartige Überwachung ihrer Dienste aufzubauen.

Google verkündete vor der Wahl des EU-Parlaments 2019 ein eigenes gesamteuropäisches Projekt. Ein Bestandteil dieses Projekts war die Prüfung aller Werbebetreibenden auf Google-Plattformen, bevor der Werbung zugestimmt wurde. Facebook und Twitter experimentierten bei den US-Kongresswahlen 2018 mit neuen Methoden, um Fake News und irreführende Informationen aufzuspüren und aus ihren Diensten zu löschen. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 kennzeichneten Facebook und Twitter mehrere Posts von Donald Trump als potenziell irreführend.

Laut Einschätzung der Wissenschaftler Alessio Terzi und Stefano Marcuzzi in ihrem Artikel »Are multinationals eclipsing nation-states?« (IPS 2018) sind die multinationalen – und insbesondere die US-amerikanischen – Technologiekonzerne zu globalen politischen Einflussnehmern geworden. Gleichzeitig haben das nachlassende Wirtschaftswachstum, Rekordwerte bei der Staatsverschuldung, die polarisierte Politik und die paralysierte Gesetzgebung dazu geführt, dass die Nationalstaaten an Macht verloren haben.

Wenn Apple ein Land wäre, wäre sein BIP, nach dem Umsatz berechnet, im Jahr 2017 größer gewesen als dasjenige von Portugal. Mithilfe seiner gut mehr als 200 Milliarden Dollar schweren Portokasse könnte Apple ein Investitionsprogramm in der Größenordnung von zwei Marshallplänen realisieren, rechnen Terzi und Marcuzzi vor. Angepasst an den heutigen Wert war der Marshallplan eine etwa 100 Milliarden Dollar schwere Unterstützung der USA, mit der die Staaten Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg 1948 bis 1951 wiederaufgebaut wurden.

Terzi und Marcuzzi zufolge wird vor allem von den Social-Media-Giganten erwartet, sozusagen als Organe der Gewaltenteilung zu fungieren. Von den Unternehmen wird erwartet, bei ihren Dienstleistungen selbst die Grenzen für angemessenes Verhalten festzulegen (gesetzgebende Gewalt, Legislative), außerdem müssen sie überwachen, dass diese Regeln eingehalten werden (ausführende Gewalt, Exekutive) und Regelverstöße bestrafen (rechtsprechende Gewalt, Judikative).

Die IT-Riesen treten inzwischen als gleichwertige Akteure bei internationalen Foren auf. Ende 2018 schlossen Facebook und Google mit anderen Tech-Giganten und Dutzenden Staaten einen Vertrag zur Förderung der Cybersicherheit. China, Russland und die USA unterzeichneten den Vertrag nicht.

Auch im Hinblick auf die Besteuerung müssen Konzernriesen sich um die Grenzen der Nationalstaaten keine Sorgen mehr machen. Forscher gehen davon aus, dass rund 40 Prozent des Gewinns multinationaler Konzerne jedes Jahr in Steueroasen abfließen. (Tørsløv, Wier & Zucman 2018: The Missing Profits Of Nations).

Auch große Entwicklungssprünge werden mithilfe der Großkonzerne gemeistert. Die Konzerne sind für das Erschaffen von allem Neuen und Wichtigen verantwortlich – sei es die Eroberung des Weltraums, der Aufbau und die Entwicklung des Internets oder die Entwicklung von Solarenergie und neuen Medikamenten.

Die ersten 50 Jahre wurde der Weltraum auf Kosten der Staatskassen erobert. Obwohl der Bau von Raketen ausgesprochen teuer ist, hat auch hier der private Sektor in den vergangenen Jahren eine immer größere Rolle angenommen.

Elon Musk, der den meisten durch seine Tesla-Elektroautos bekannt ist, hat mit seinem Unternehmen SpaceX Hunderte von Satelliten in die Atmosphäre geschickt, und im November 2020 beförderte das Unternehmen vier NASA-Astronauten zur Internationalen Raumstation ISS. Virgin Galactic, die zu Richard Bransons Virgin-Konzern gehört, bereitet sich darauf vor, den Weltraum als Ausflugsziel für Touristen anzubieten, und Branson selbst flog im Sommer 2021 mit drei Passagieren und zwei Piloten ins All. Amazon-Gründer Jeff Bezos verkauft im Milliardentakt Amazon-Aktien, um sein Weltraumprojekt Blue Origin zu finanzieren. Bezos stattete der Grenze des Weltalls rund eine Woche nach Branson mit seiner eigenen Rakete einen Besuch ab. »Ich möchte allen Amazon-Angestellten und Amazon-Kundinnen und -Kunden danken, denn ihr habt für all das hier bezahlt«, sagte er nach seiner Rückkehr auf die Erde.

II

Private Kapitalanleger sind ein immer wichtigerer Teil der Wirtschaft geworden. Die Finanzkrise, die 2007 ihren Anfang nahm, führte zu einer strikteren Überwachung der Großbanken. Die von den Marktschwankungen lebenden Hedgefonds litten darunter, dass die Zentralbanken – mit Erfolg – versuchten, die Schwankungen auszugleichen.

Den Private-Equity-Investoren geht es ihrerseits gut, und sie können Kapital in Höhe von Tausenden Milliarden Euro investieren. Private-Equity-Gesellschaften verwalten außerbörsliches Kapital, das sie in private Unternehmen investieren, deren Aktien nicht an der Börse gehandelt werden. Die Grundidee des privaten Beteiligungskapitals ist, mit geliehenem Geld Unternehmen zu kaufen und nach einiger Zeit wieder ganz oder teilweise zu verkaufen. Privates Beteiligungskapital gäbe es nicht, wenn kein geliehenes Geld zur Verfügung stünde. Das Zinstief der Zentralbanken der Industrienationen in den vergangenen Jahren hat es für Private-Equity-Gesellschaften einfach gemacht, an Geld zu kommen.

Konventionelle Vermögensverwalter erzielen Einnahmen, indem sie eine Gebühr auf das von ihnen verwaltete Vermögen erheben; Investoren zahlen dem Vermögensverwalter üblicherweise eine jährliche Gebühr in Höhe von maximal ein Prozent des verwalteten Vermögens.

Das Gebührenmodell der Private-Equity-Gesellschaften lautet hingegen »2+20«: Die Anleger bezahlen dem Vermögensverwalter eine jährliche Gebühr in Höhe von zwei Prozent des verwalteten Vermögens und sogar 20 Prozent des mit dem Kapital erzielten Gewinns, sofern eine gesondert vereinbarte Gewinngrenze überschritten wird.

Businessweek berechnete 2019, dass das Kapital der Private-Equity-Gesellschaften in 25 Jahren einen jährlichen Gewinn von rund 13 Prozent erzielt hatte; gleichzeitig lag der Gewinn bei traditionellen Aktieninvestitionen mit rund neun Prozent deutlich darunter (3. Oktober 2019: »Everything Is Private Equity Now«). Im Vergleich zu anderen Unternehmen kommt es bei Unternehmen mit privatem Beteiligungskapital leichter zu Kürzungen der Arbeitnehmerlöhne, zu einem Rückgang von Investitionen und zu häufigeren Konkursen.

Schätzungen von Businessweek zufolge sollen Private-Equity-Gesellschaften in einem Vierteljahrhundert in insgesamt mehr als 8000 Unternehmen investiert haben. Hingegen gab es nur 4000 börsengelistete Unternehmen. 1996 waren in den USA noch 8000 Unternehmen an der Börse gelistet, doch seitdem hat sich die Zahl halbiert.

Das heutige Bilanzmodell sowohl in den USA als auch in Europa begünstigt Unternehmensverschuldung. Dabei handelt es sich keineswegs um ein Naturgesetz, sondern um eine Antwort auf die Spanische Grippe, die von 1918 bis 1920 die Welt aus den Angeln hob. An der durch das Grippevirus verursachten Krankheit starben 20 bis 50 Millionen Menschen.

Die US-Regierung entschied, Unternehmen höher zu besteuern, doch gab ihnen gleichzeitig die Möglichkeit, alle Zinsen vor der Versteuerung vom Gewinn abzuziehen. Da das zu versteuernde Einkommen zuerst um die gezahlten Zinsen verringert worden war, sanken die Steuereinnahmen des Staates von den Unternehmen. Es sollte sich um eine Übergangslösung handeln, doch als die Steuererhöhung 1921 abgeschafft wurde, blieb die Begünstigung der Kreditzinsen weiterhin in Kraft und verbreitete sich weltweit. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ist in großen Teilen der Welt auch heute noch ein solches Besteuerungssystem gebräuchlich, das denjenigen Unternehmen, die ihre Investitionen mit Krediten finanzieren, einen Steuervorteil bietet.

»Ein ideologischer Coup hat unsere Gesellschaft binnen 50 Jahren stillschweigend verändert«, schrieb Mehrsa Baradaran, Professorin für Rechtswissenschaften an der University of California, Irvine, in ihrem Kommentar im Sommer 2020 (The New York Times, 2. Juli 2020: »The Neoliberal Looting of America«).

Der Coup hat die Finanzwirtschaft und die ihr dienlichen Instanzen, wie Private-Equity-Gesellschaften, florieren lassen – auf Kosten vieler Bürger, die die Auswirkungen auf die Realwirtschaft am eigenen Leib zu spüren bekamen.

Baradaran zufolge hat diese intellektuelle Übernahme ihre Wurzeln im Europa des Kalten Kriegs und im Kampf gegen den Sozialismus. Der wichtigste Vertreter dieser Idee war der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek, demzufolge nur freie Märkte dazu in der Lage sind, Ressourcen gerecht zu verteilen und Individuen ihrem Verdienst entsprechend zu entlohnen. »Diese Ideologie – bekannt als Neoliberalismus – war besonders effektiv, da sie sich selbst als neutrale Feststellung der Ökonomie ausgab und nicht als einfach eine weitere neue Theorie«, erklärte Baradaran.

In den Sechzigerjahren schaffte der Neoliberalismus den Sprung von den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten in die US-amerikanische Politik, wo er sich mit dem konservativen Antikommunismus zusammenschloss. Im Laufe der Achtzigerjahre beherrschte der Neoliberalismus die Politik und führte zu Steuersenkungen, zum Abbau der Wirtschaftsregulierung und zur Privatisierung des Schul- und Rentensystems und der Infrastruktur.

»Die Magie des Marktes verwandelte tatsächlich alles in Gold – zumindest für wohlhabende Investoren«, schrieb Baradaran.

Am eifrigsten wurden die Früchte des Neoliberalismus eben von Private-Equity-Gesellschaften geerntet. Mit den Krediten, die sie auf den deregulierten Märkten aufnahmen, begannen Private-Equity-Gesellschaften, Unternehmen zu kaufen, aufzuspalten und in kleinen Stücken weiterzuverkaufen. Laut Baradaran ist die Private-Equity-Industrie ein Paradebeispiel für die Werte des Neoliberalismus und gibt zugleich Aufschluss über den grundlegenden Charakter der neoliberalen Ideologie.

Die Begünstigung von Krediten hat viel Gutes bewirkt, unter anderem gab sie denjenigen, die über kein Eigenkapital verfügten, die Möglichkeit, ein Unternehmen zu gründen und zu prosperieren. Zugleich hat sie zu höheren Risiken in der Investment- und Bankingbranche geführt, was unter anderem eine entscheidende Ursache für die Finanzkrise 2007 war.

Laut dem Institute of International Finance lagen die weltweit zusammengerechneten Schulden im Verhältnis zur weltweiten Gesamtproduktion im ersten Quartal 2021 bereits bei 360 Prozent. Die niedrigen Zinsen haben die Bereitschaft zur Kreditaufnahme befeuert, und die Coronapandemie hat insbesondere im öffentlichen Sektor die Verschuldung zusätzlich verstärkt. Im schnell überschuldeten China gab vor allem der Immobilienkonzern Evergrande Anlass zur Sorge, dessen Schulden im September 2021 auf etwa 300 Milliarden Dollar geschätzt wurden.

Robert Armstrong, Redakteur der Financial Times, schrieb in seiner Kolumne (6. Mai 2020: »Companies are dangerously drunk on debt«), dass die Unternehmen in einem gefährlichen Schuldenrausch steckten. Er zitierte Homer Simpson, der sein Glas mit den Worten »Auf den Alkohol – Ursache und Lösung aller Probleme« erhob.

Andy Mukherjee, Kolumnist beim Nachrichtensender Bloomberg, schlug vor (29. März 2020: »Black Death Makes Us Think About Interest Rates«), mit den Maßnahmen zum Corona-Rettungsschirm auch die Bilanz- und Steuergesetze für Unternehmen neu zu schreiben, um der Begünstigung der Kreditaufnahme ein Ende zu setzen. Als Konsequenz dieser Reform müssten Unternehmen nicht mehr so oft gerettet werden, und die Rettungsaktionen kämen die Steuerzahler nicht mehr so teuer zu stehen wie jetzt.

Mit Schulden belastete Unternehmenskäufe bedeuten im Erfolgsfall die Privatisierung von Gewinnen, während Verluste hingegen auf den Staat und das Sozialsystem abgewälzt werden, wenn ein Geschäft schiefgeht: Ehemals gesunde Unternehmen gehen in Konkurs oder ächzen jahrelang unter ihrer Schuldenlast. Die Liste der Opfer von Private-Equity-Investitionen ist in den vergangenen Jahren immer länger geworden, als zum Beispiel das Spielwarenunternehmen »Toys R Us« und The Hertz Corporation hinzugekommen sind.

Im vergangenen Jahrzehnt hat das Private-Equity-Geschäft in den USA rund 1,3 Millionen Arbeitsplätze infolge von Konkursen zunichte gemacht. Mehrsa Baradaran bezeichnet das Vorgehen der Private-Equity-Gesellschaften als von Entscheidungsgebern legalisierten Raub und zitiert eine Headline der Satire-Zeitschrift The Onion: »Demonstranten in der Kritik, weil sie Unternehmen plünderten, ohne eine Private-Equity-Gesellschaft zu gründen.«

Im Silicon Valley, dem Zentrum zahlreicher Start-up-Firmen und weltweit tätiger Technologieunternehmen, gilt es bei der Unternehmensgründung immer zu bedenken, wie man das Unternehmen loswird, schreiben Mark Lemley, Professor an der Stanford University, und der Forscher Andrew McCreary in ihrer Untersuchung im Dezember 2019 (»Stanford Law and Economics Olin Working Paper #542: Exit Strategy«): »Das Wagniskapital-Modell, das die Tech-Branche dominiert, fokussiert sich auf die ›Exit-Strategie‹ – darauf, wie Finanzierer und Gründer ihre Investition wieder herausbekommen. Während gemeinhin die ›Exit-Strategie‹ zum Börsengang des Unternehmens führt, werden Börsengänge in der Praxis immer seltener. Stattdessen verschwinden Unternehmen vom Markt, indem sie mit anderen Unternehmen fusionieren.«

Ihnen zufolge führt der Fokus auf die Fusion zur Konzentration der IT-Branche und zu einem Machtwachstum der branchenführenden Unternehmen. Nicht einmal jedes zehnte Start-up geht heute noch an die Börse. Lemley und McCreary zufolge konzentriert sich die IT-Industrie auch im Schatten der IT-Riesen auf einige wenige Akteure. Das Winner-takes-all-Prinzip führt dazu, dass sich an Märkten, an denen zuvor reger Wettbewerb herrschte, die Marktkraft bei ein oder zwei Unternehmen ballt.

In Branchen, die sich traditionell schnell entwickelten, herrschte das Prinzip der sogenannten schumpeterschen schöpferischen Zerstörung, was bedeutet, dass Neulinge, die die Technologie der neuen Generation nutzten, den Marktführer verdrängten und anschließend selbst den Thron erklommen. Laut den beiden Forschern fand sich dieses Modell beispielsweise auf dem Spielkonsolen-Markt, als Nintendo Atari, anschließend Sega Nintendo, dann Sony Sega, Microsoft Sony und Sony dann wiederum Microsoft verdrängte und so weiter.

Unternehmenskäufe sind ein immer wichtigerer Bestandteil des Geschäftsmodells erfolgreicher IT-Riesen geworden. Microsoft kaufte in den ersten zehn Jahren seiner Geschäftstätigkeit 32, Google kaufte 85 und Facebook 78 Unternehmen auf. Der heutige Geldwert dieser Käufe entspräche bei Microsoft weniger als einer Milliarde Euro, während Google knapp zehn Milliarden Dollar für Firmenkäufe ausgab und Facebook beinahe 25 Milliarden Dollar.

Die Konzernriesen kaufen Unternehmen nicht zuletzt deshalb auf, um Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. Lemley und McCreary zufolge haben Facebook und Google beide zig Unternehmen aufgekauft und anschließend aufgelöst. Im März 2015 zum Beispiel erwarb Facebook die Online-Discovery-Shopping-Suchmaschine TheFind und löste das Unternehmen noch am selben Tag auf.

Dem US-amerikanischen Repräsentantenhaus, das die Konzentration der IT-Branche untersucht, liegen Dokumente vor, in denen sich auch eine 2012 von Mark Zuckerberg verfasste E-Mail findet: »Charakteristisch für Start-ups ist, dass man sie kaufen kann.«

Hier eine Liste der größten Unternehmenskäufe:

1997: Apple kauft NeXT Computer

2006: Google kauft YouTube

2007: Google kauft DoubleClick

2011: Microsoft kauft Skype

2012: Facebook kauft Instagram

2014: Facebook kauft WhatsApp

2016: Microsoft kauft LinkedIn

2017: Amazon kauft Whole Foods

2021: Microsoft kauft Nuance

Neben dem Kauf von Großkonzernen kauften die IT-Riesen auch viele kleine Unternehmen. Diese Käufe brauchten den überwachenden Behörden nicht angezeigt zu werden, doch die Federal Trade Commission (FTC) beschloss, Hunderte Unternehmenskäufe von Apple, Amazon, Facebook, Google und Microsoft erneut zu prüfen. 2020 teilte die FTC mit, prüfen zu wollen, ob die Behörden in die möglicherweise wettbewerbsbeschränkenden Unternehmenskäufe hätten eingreifen müssen.

Elizabeth Warren, Bewerberin um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten, fand in einem CBS-Interview am 10. März 2019 sehr klare Worte für die Megadeals: »Wissen Sie eigentlich, […], dass diese Zone um Apple und Google und Amazon von allen, die mit ihnen in Wettbewerb treten […], ›Kill Zone‹ genannt wird [?]. Wagniskapitalanleger investieren rund 20 Prozent weniger in diese Start-ups, weil sie wissen, wenn sie die ›Kill Zone‹ betreten, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder werden sie vom Konzernriesen geschluckt, oder sie werden von ihm ausradiert, aber sie werden keine Chance haben, zu wachsen und sich zu entwickeln […]«

III

Unternehmenskäufe sollten besonders dann hinterfragt werden, wenn das Unternehmen, das zum Verkauf steht, über KI-Kenntnisse verfügt. Künstliche Intelligenz wird zu einer entscheidenden Ressource, die sowohl ganze Nationen als auch einzelne Unternehmen in Gewinner und Verlierer spaltet.

Laut dem Marktforschungs- und Analyseunternehmen CB Insights wurden die meisten auf KI spezialisierten Firmen von Apple, Google, Microsoft, Facebook, Intel und Amazon gekauft. Seit 2010 sind insgesamt 635 KI-Firmen verkauft worden. CB Insights gibt an, dass viele Erfolgsprodukte der IT-Riesen direkt auf den Kauf kleinerer KI-Firmen zurückzuführen sind. Beispiele hierfür sind RealFace, mithilfe dessen Apple die Technik entwickelt hat, das iPhone durch bloßes Anschauen zu entsperren, und DeepMind, mit dessen Kauf Google große Fortschritte im Ausbau von gesundheitlichen Versorgungssystemen gemacht hat.

»Wenn die großen IT-Konzerne sie alle aufkaufen, eliminieren sie die Konkurrenten der Zukunft«, sagte Sean Gourley, CEO von Primer AI gegenüber dem Nachrichtensender Bloomberg (16. März 2020: »Big Tech Swallows Most of the Hot AI Start-ups«).

Investitionen in künstliche Intelligenz sind vor allem für die US-amerikanischen Konzerne Facebook und Google sowie den Chinesen Tencent nur logisch. Schließlich verfügen diese Unternehmen über die enorme Datenmenge, die benötigt wird, um KI-Muster »auszubilden«. Facebook hat eine Datenbank über die Aktivitäten sämtlicher Nutzer (zum Beispiel das Freunde-Netzwerk und Likes). Google weiß in Echtzeit alles über die Suchanfragen der Menschen, und Tencent hat dank der WeChat-Anwendung Informationen über so ziemlich alle Besorgungen des Alltags.

Die individualisierte Gesellschaft des Westens basiert auf der Grundidee, dass die Menschen selbst am besten ihre Gedanken, Ziele und Träume kennen und besser als der Staat wissen, wie das Leben gestaltet werden soll.

»Künstliche Intelligenz wird all dies verändern«, schreibt Simon McCarthy-Jones, außerordentlicher Professor für Psychologie am Trinity College Dublin in The Conversation (12. August 2020: »Artificial intelligence is a totalitarian’s dream – here’s how to take power back«). »Künstliche Intelligenz […] wird uns besser kennen als wir uns selbst. Eine mit KI ausgerüstete Regierung kann behaupten zu wissen, was die Bevölkerung wirklich will und was sie glücklich macht. Bestenfalls nutzt sie dies, um Bevormundung zu rechtfertigen, schlimmstenfalls führt dies zum Totalitarismus.« Und McCarthy-Jones fährt fort: »Große Tech-Konzerne sammeln gigantische Mengen an Informationen über unser Verhalten. Auf maschinellem Lernen basierende Algorithmen nutzen diese Daten, nicht nur, um zu berechnen, was wir tun werden, sondern auch, wer wir sind. […] KI kann bereits vorhersagen, welche Filme wir mögen werden, welche Nachrichten wir lesen wollen und mit wem wir bei Facebook befreundet sein wollen. Sie kann vorhersagen, ob Paare zusammenbleiben, und ob wir versuchen werden, Selbstmord zu begehen. Auf Basis unserer Facebook-Likes kann KI Prognosen über unsere religiösen und politischen Ansichten, unsere Persönlichkeit, unsere Intelligenz, unseren Drogenkonsum und unsere Zufriedenheit aufstellen.«

Auf KI gestützte Computerleistung begann 2012 mit der Verbreitung des maschinellen Lernens rapide anzusteigen. Beim maschinellen Lernen lernt der Computer aus wiederkehrenden Ereignissen, ohne dass der Mensch ihm etwas beibringen muss. Bis zum Jahr 2018 war die Computerleistung, die sich auf das Erlernen großer Muster stützte, um das 300.000-Fache angestiegen, und dieser Wert verdoppelte sich innerhalb von nur dreieinhalb Monaten.

Ein gutes Beispiel für die Nachfrage an KI-Entwicklung ist das US-amerikanische Unternehmen OpenAI, das beschloss, KI-Systeme zu entwickeln, indem es den Computer das beliebte Computerspiel Dota 2 spielen lässt, einen Nachfolger des Videospiels »Defense of the Ancients«, eines Strategiespiels, in dem zwei Teams versuchen, das Hauptquartier des Gegners zu zerstören. Das Ziel war, dass das OpenAI Five-System den Menschen im Spiel besiegen sollte. Für den Aufbau des Systems waren fast ein Jahr lang Tausende hocheffiziente Mikroprozessoren im Einsatz. Auf die menschliche Lebenszeit umgerechnet, hat die Maschine etwa 10.000 Jahre Spielerfahrung gegen sich selbst gesammelt.

Das maschinelle Lernen stellte sich als erfolgreich heraus: Im Frühjahr 2019 besiegte OpenAI Five das menschliche Team OG, den bisherigen Dota-2-Weltmeister.

Algorithmen kommt vor allem auf den Finanzmärkten eine Schlüsselrolle zu – an der weltweit wichtigsten Börse, der Wall Street in New York, werden über die Hälfte der Transaktionen bereits automatisch von Computern, genauer gesagt von Algorithmen, durchgeführt. An unruhigen Börsentagen ist der Anteil sogar noch höher.

Algorithmen werden auch bei tatsächlichen Investitionsentscheidungen immer häufiger eingesetzt. Ursprünglich haben Großinvestoren wie die Rentenfonds 60 Prozent ihres Vermögens in Aktien von angesehenen Börsengesellschaften und die übrigen 40 Prozent in Anleihen investiert, mit denen sich sowohl Staaten als auch Großkonzerne Geld von den Anlegern leihen.

Das Sammeln von Daten aus Algorithmen und anderen marktrelevanten Daten (Big Data) und deren Nutzung hat Anlegern neue Möglichkeiten zur Gewinnmaximierung eröffnet. Großanleger setzen auch auf Algorithmen, die den Inhalt der Portfolios die ganze Zeit automatisch abstimmen. Sowohl ein Teil der Hedgefonds als auch der Investmentfonds wird so bereits automatisch gesteuert.

Je effizienter die Computer werden, umso effektiver kann man sie nutzen, um enorme Datenmengen zu analysieren. Algorithmen unterstützen Menschen bei der Auswertung von Zwischenberichten, Wirtschaftsstatistiken, der historischen Entwicklung von Wertpapieren und sogar Satellitenbildern (beispielsweise um die Ölreserven der Raffinerien abzuschätzen).

Eines der interessantesten Forschungsobjekte der von Investoren verwendeten Algorithmen ist Twitter: Ein sich ständig aktualisierender Algorithmus untersucht die Meinungen der Twitter-Nutzer in Bezug auf ausgewählte Branchen und einzelne Unternehmen. Der Kurs eines Unternehmens steigt, wenn der Algorithmus auffällig viele positive Meldungen über dieses Unternehmen aufspürt.

Die größten Hedgefonds und Anlagebanken haben die raffiniertesten Tools. Die größten Anlagebanken sind eigentlich selbst IT-Unternehmen.

Bei JPMorgan beispielsweise sind 50.000 IT-Angestellte tätig, von denen zwei Drittel Software-Entwickler sind. Die Gesamtzahl aller Angestellten bei Facebook überschritt erst im Jahr 2020 die 50.000er-Marke.

Dennoch sind Algorithmen nicht der Weisheit letzter Schluss. Algorithmen, die Handel und Investitionen steuern, sind auf Basis von Daten der Vergangenheit programmiert. Und die Zukunft kann immer Überraschungen bereithalten. Genau das war der Fall, als 2007 die Finanzkrise ausbrach. Die Wohnungspreise waren nie zuvor überall in den USA gleichzeitig gesunken, sodass die Modelle und Algorithmen der Investoren und Banken ein derartiges Phänomen nicht hatten berücksichtigen können. Da die Aktionen aller Marktteilnehmer auf denselben Annahmen beruhten, war die Fehleinschätzung lange Zeit übersehen worden.

Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist Montag, der 5. Februar 2018. An jenem Tag begann der Handel an der Wall Street unter ruhigen Vorzeichen, und die durchschnittlichen Aktienpreise verzeichneten ein leichtes Tief. An jenem Tag gab es plötzlich viel mehr Verkäufer als Einkäufer, und in der letzten Stunde vor Börsenschluss begannen die Kurse rapide zu fallen. Der Dow-Jones-Index fiel um 1175 Punkte, also mehr als je zuvor. Dies bedeutete, dass die Aktien der 30 bestbewerteten Unternehmen durchschnittlich um 4,6 Prozent billiger wurden. Am Tiefstpunkt verzeichnete der Dow-Jones-Index ein Minus von 1597 Punkten. In der letzten Minute vor Börsenschluss traten jedoch Einkäufer auf den Markt, die eine Gelegenheit gewittert hatten, und durch die Einkäufe erholten sich die Kurse etwas.

Warum hatten die Algorithmen so vieler Anleger gerade an diesem fraglichen Montag um 15 Uhr entschieden, dass sie nun ihre Aktien loswerden mussten? Im Zentrum der Aufklärung steht das Angstbarometer, der Volatilitätsindex (Cboe Volatility Index, VIX). Dieser misst mithilfe der Aktienindexoptionen die auf dem Markt zu erwartende Volatilität, also das Ausmaß der Preisschwankungen. Die Anleger bezahlen für Optionen, also Wertpapiere, die ihrem Eigentümer das Recht einräumen, beispielsweise Aktien zu einem vorher verabredeten Preis zu kaufen, vor allem dann, wenn sie Preisschwankungen der Aktien erwarten. Aus den Preisen dieser Optionen kann man also einen Durchschnittwert für die erwartete Volatilität der Aktienkurse berechnen.

Der Volatilitätsindex stellt also dar, welche Erwartungen die Investoren an die nahe Zukunft der Aktienmärkte haben: Der Index ist niedrig, wenn die Anleger sich ruhig verhalten, und steigt, wenn die Anleger nervös werden. Die raffinierten Produktentwickler an der Wall Street haben viele verschiedene Investmentprodukte entwickelt, die auf dem Volatilitätsindex beruhen: VIX Futures kam 2004 auf den Markt, VIX Options 2006. Besonders beliebt wurden Wertpapiere, mit denen der Anleger Wetten auf die VIX-Berechnung abschließen konnte. Nach einem konstanten Anstieg der Aktienkurse hatte diese Wette eine gehörige Geldsumme generiert. Das meiste Anlagekapital, fast zwei Milliarden Dollar, sammelte die Schweizer Bank Credit Suisse mit ihrem XIV-Fonds, dem »umgekehrten VIX«.

Am Montag, dem 5. Februar, stieg der VIX-Wert zum ersten Mal in der Geschichte innerhalb eines Tages um 115 Prozent. Der Anstieg des Indexes bedeutete, dass die Anleger, die auf einen sinkenden Index gewettet hatten, ihr Geld auf dem Futures-Markt absichern mussten. Das setzte eine Spirale in Gang, die wiederum den VIX-Wert ansteigen ließ – und zugleich die Aktienkurse in die Tiefe stürzte.

Investoren des »umgekehrten VIX«-Fonds verloren innerhalb eines Tages sogar vier Milliarden Dollar. Bei Handelsbeginn am Montag lag der XIV-Kurs der Credit Suisse bei 99 Dollar und sank innerhalb eines Tages auf 7,35 Dollar.

Für den raketenartigen Anstieg des VIX am Montagnachmittag gab es keinen ersichtlichen Grund. Ferner war nicht ganz klar, warum die Aktienwerte nach dem Anstieg des VIX so abrupt in die Tiefe stürzten. Immerhin ein Grund dafür war offensichtlich, dass den inhärenten Regeln zufolge mit zunehmender Volatilität viele Großinvestoren die Aktien verkaufen mussten, die unter den Preisschwankungen gelitten hatten. Je mehr Investoren von Algorithmen ihre Aktien zum Verkauf freigaben, umso mehr fielen die Kurse, und umso mehr Investoren entschieden sich zum Verkauf.

»Wir haben einen Aktienmarkt geschaffen, der sich für Menschen zu verdammt schnell bewegt«, sagte David Weild, ehemaliger Vizevorsitzender der Nasdaq-Börse, dem Nachrichtensender CNN (5. Februar 2018: »How the Dow fell 800 points in 10 minutes«).

Nachdem sie den Börsencrash vom 5. Februar überlebt hatte, tat die weltgrößte Investmentgesellschaft BlackRock kund: »Dies ist ganz klar ein Produkt, das darauf ausgerichtet ist, als Instrument zur Vorhersage eines Börsentags genutzt zu werden und nicht als langfristige Investition.«

Der Absturz der VIX-Papiere erinnerte an frühere Unruhen am Markt. Der Börsencrash 1987 wurde von sogenannten Wertsicherungsprodukten (portfolio insurance products), die von Algorithmen gehandelt wurden und auf Derivaten beruhten, beschleunigt, und im Zentrum der 2007 beginnenden Finanzkrise standen zahlreiche komplizierte Derivat-Wertpapiere.

Der 5. Februar 2018 war ein Warnschuss, wohin algorithmischer Handel führen kann. Kein Mensch kommt mehr mit, wenn Computer innerhalb von Bruchteilen von Sekunden herleiten, dass sich irgendwo eine neue Gewinnoption bietet, und die Kauf- oder Verkaufsvorgaben für den Markt voll ausreizen. Je effizienter Computer und je schneller ihre Schnittstellen werden, umso wichtiger wird die Rolle von handelsentscheidenden Algorithmen.

Ein Fenster zur Zukunft öffnete sich Ende 2017, als das US-amerikanische Unternehmen EquBot eine Allianz mit IBM einging und den Supercomputer Watson des IT-Riesen nutzte, um einen Roboter zu entwickeln, der das börsennotierte Vermögen verwaltet. Der KI-basierte Roboter kann unter anderem an einem Tag eine Million Informationshäppchen in Börsenblättern, Zeitungen und Social-Media-Posts lesen und auf deren Grundlage versuchen abzuleiten, welche Aktien im Kurs steigen und welche fallen werden. Im Laufe der Zeit lernt der Roboter kontinuierlich dazu; EquBot-Geschäftsführer Art Amador sagte gegenüber dem Wirtschafts- und Finanznachrichtensender CNBC im Sommer 2019, dass der Roboter jeden Tag schlauer sei als am Tag zuvor (3. August 2019: »This ETF run by a robot is beating the market – here’s how it works«).

Einige Investoren, die ihr Geld beim VIX-Absturz verloren hatten, stellten die Theorie auf, dass hinter dem Crash an der Wall Street Manipulation steckte. Diesen Investoren zufolge könnte der VIX-Wert beeinflusst werden, indem man geschickt die Preise der für die Wertberechnung verwendeten Optionen anhebt.

Bislang gibt es keine offenkundigen Beweise zur Stützung der Manipulationstheorie. John Griffin und Amin Shams, Forscher an der University of Texas, haben den Volatilitätsindex untersucht und stützen den Manipulationsverdacht. In einem Artikel des Finanzmedien-Onlinedienstes Investopedia (25. Juni 2019: »Is Someone Manipulating the VIX?«) schrieben sie, dass es sich um einen Fall in der Dimension der zuvor enthüllten Manipulationsskandale der Libor- und Euribor-Zinsen, der Rohstoffe sowie der Währungskurse handeln könne. Die Anwaltskanzlei Zuckerman Law sei sich sicher, dass es sich um aktive Manipulation handle und übe Druck auf die Behörden aus, den Vorgang zu untersuchen, da die Anleger innerhalb einer Woche im Februar 2018 »mehrere Milliarden Dollar verloren«.

Die Chicagoer Optionsbörse Chicago Board Options Exchange (CBOE), die den VIX veröffentlicht, teilte im September 2018 mit, dass sie mehrere Methoden einführen wolle, darunter auch künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, um die Veränderungen des VIX-Wertes besser nachvollziehen zu können.

Wir leben also in einer Welt, in der eine Maschine mithilfe von künstlicher Intelligenz zu ermitteln versucht, ob die anderen KI-basierten Maschinen sich der Marktmanipulation bedient haben. Dies stellt eine völlig neue Dimension dar: Je mehr und länger selbstlernende Algorithmen den Menschen Entscheidungen abnehmen, umso schwieriger wird es für den Menschen, die Logik hinter diesen Entscheidungen nachzuvollziehen. Algorithmen können so enorme Datenmengen nutzen und so komplizierte Kettenschlüsse ableiten, dass es dem Menschen fast unmöglich ist zu überprüfen, wie der Algorithmus zu seiner Schlussfolgerung gekommen ist.

Die Algorithmen von zwei Milliarden Facebook-Nutzern sind so konzipiert, dass der Nutzer möglichst viel Zeit bei dem Anbieter verbringt. Der Erfolg besteht darin, die Nutzer zu fesseln, also abhängig zu machen. Am besten zeigt sich das an dem Maß der Befriedigung, die man erfährt, wenn der eigene Kommentar, das eigene Bild oder die eigene Story viele Likes bekommen.

Sean Parker, erster Vorstandsvorsitzender bei Facebook, erzählte im November 2017 in einem Interview mit der Nachrichtenwebsite Axios (9. November 2017: »Sean Parker: Facebook was designed to exploit human ›vulnerability‹«), dass die zentrale Frage bei der Entwicklung von Facebook lautete: »Wie können wir so viel Zeit und bewusste Aufmerksamkeit von dir bekommen wie möglich?«

»Das bedeutet, dass wir dem Nutzer von Zeit zu Zeit sozusagen eine Dopamindosis verabreichen müssen, wenn jemand ein Foto oder einen Post mit einem Like oder einem Kommentar versieht«, sagte Parker. »Dann postest du mehr Inhalte bei Facebook, was wiederum mehr Likes und Kommentare mit sich bringt. Es ist eine Rückkopplungsschleife sozialer Bestätigung, genau das, was ein Hacker wie ich sich ausdenken würde, weil es die Verwundbarkeit der menschlichen Psyche ausnutzt.«

»Die IT-Riesen haben Abhängigkeit zum Businessmodell gemacht«, sagte Josh Hawley, Mitglied des US-Senats, als er im Juli 2019 einen Gesetzesentwurf präsentierte, um die zur Abhängigkeit führenden Geschäftsmodelle der sozialen Medien in den Griff zu bekommen. Ihm zufolge haben die Internetriesen nicht so sehr in die Entwicklung besserer Produkte investiert als es vielmehr darauf abgesehen, die Aufmerksamkeit der Nutzer mithilfe psychologischer Tricks mehr als zuvor gefangen zu nehmen.