Die Airbnb-Story - Leigh Gallagher - E-Book

Die Airbnb-Story E-Book

Leigh Gallagher

4,5
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Airbnb hat im Handumdrehen die Übernachtungsindustrie revolutioniert und alle bisherigen dort geltenden Regeln auf den Kopf gestellt. Vorbei ist die Zeit von Hotels mit Halb- und Vollpension, stattdessen mieten sich heute weltweit Reisende aller Altersstufen über Airbnb in die Wohnungen und Häuser von Privatleuten ein. Getreu dem Slogan: Sei dort zuhause! Was Millionen Reisende freut, eben dass sie günstig und mit viel Lokalkolorit übernachten können, fürchten Hotellerie und Mieter in vielen Städten, in denen fast ganze Stadtviertel nur noch bei Airbnb zu buchen sind. Die Idee einiger Studenten hat so praktisch über Nacht das drittgrößte Einhorn-Start-up der Welt geschaffen. Leigh Gallagher beleuchtet in ihrem Buch die Gründer und ihre Geschichte: Sie präsentiert Porträts des Airbnb-CEOs Brian Chesky und von den Mitgründern Nathan Blecharczyk und Joe Gebbia und beschreibt erstmalig mit viel Insiderwissen den steilen Aufstieg von Airbnb.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 419

Bewertungen
4,5 (32 Bewertungen)
21
7
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Gil, Zeb, Anna, Noa und Ava,

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2017

© 2017 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86 D-80636 München Tel.: 089 651285-0 Fax: 089 652096

© der Originalausgabe 2017 by Leigh Gallagher.Die englische Originalausgabe erschien 2017 bei Hougthon Mifflin Harcourt Publishing Company unter dem Titel TheAirbnbStory.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Martin Bayer, Hartenrod Redaktion: Christiane Otto, München Umschlaggestaltung: Laura Osswald, München

Umschlagabbildung: Shutterstock/bioraven

Satz: inpunkt[w]o, Haiger (www.inpunktwo.de)

ISBN Print 978-3-86881-658-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-938-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86414-937-5

Inhalt

Einleitung

Kapitel 1 – Der Coup

»Wie Craigslist und Couchsurfing.com, aber stilvoller«

»Auf einmal war ich gleichzeitig im Wohnzimmer und in der Präsentation«

AirBed & Breakfast »Lite«

Der Gründervater

»Einfach immer weiter launchen«

»Mark Zuckerberg musste aber nie Cornflakesschachteln zusammenkleben«

»Was macht ihr noch hier?«

Die Rakete hebt ab

Kapitel 2 – Ein Unternehmen aufbauen

Wachstumshacker

Die Drei-Klick-Regel nach Steve Jobs

Ein paar »Faustschläge mitten ins Gesicht«

Überleben versus Brandbekämpfung

Kapitel 3 – Die Airbnb-Nation

»Es ist Anti-Einheitlichkeit«

Ein Logo, ein Rebranding, eine Mission

Die Extrem-Nutzer

Aus dem Gastgeber das Beste machen

Die »Hosticians«

Lasst eine Million Kissenaufschüttler blühen

Kapitel 4 – Schwarze Schafe

»Wie Golfer sehen sie nicht gerade aus«

Ein schrecklicher Angriff

Sicherheit zuerst

Gute Absicht, böse Folgen

Das Gegenteil von »dazugehören«

Kapitel 5 – Wutbürger

Nutznießer des Systems

Das Hin und Her des Homesharing

New Yorker mit Problemen

Organisieren, mobilisieren, legitimieren

Das Wachstum der »Gastfreundlichkeit«

Früh zu Bett, früh wieder auf ...

Ein Zahlenspiel

Kapitel 6 – Aufgescheuchte Hoteliers

Die innovativen Online-Homesharing-Jungunternehmer des Jahres ... 1995

Die Zukunft: Partnerschaften

Kapitel 7 – Führungspersönlichkeiten

»Ein Lerntier«

»Die schlechten Nachrichten, die du hören musst«

»Der Inspektor«

»Lasst die Unternehmenskultur in Ruhe«

Kapitel 8 – Was kommt als Nächstes?

Eine »Stocksharing«-Economy?

Epilog

Dank

Über die Autorin

Einleitung

Brian Chesky und ich saßen einander in den samtbezogenen hohen, würdevollen Lehnsesseln der Lobby-Bar des Fairmont-Hotels in San Francisco gegenüber.

Es war Anfang November 2015, und wir hatten den Gesprächstermin ausgemacht, um die Idee eines Buches über sein Unternehmen zu besprechen, die »Homesharing«-Plattform Airbnb, um die erfolgreich verbreitete Wortschöpfung der Firma selbst zu verwenden. Es lag ein wenig Ironie in der Wahl des Treffpunkts: Erstens war es ein Hotel und zweitens kein beliebiges. Es war genau das Hotel, in dem 2007 jene internationale Designertagung stattgefunden hatte, die Chesky und seinen Gründerkollegen Joe Gebbia auf die verrückte Idee gebracht hatte, ein paar Luftmatratzen auf dem Boden ihrer Dreizimmerwohnung im Bezirk South of Market als Schlafplätze zu vermieten.

Tatsächlich hatte Chesky keine zehn Meter von unseren Sesseln entfernt damals einen Designer angesprochen, der zu seinen größten Vorbildern zählte, und ihm von seiner neuen Geschäftsidee erzählt. Der berühmte Designer hatte das Konzept sofort als albern verworfen (»Ich hoffe, das ist nicht das Einzige, woran Sie gerade arbeiten«, waren seine Worte gewesen). Dieser Kommentar war der erste in einer langen Reihe gnadenloser Ablehnung und Häme, aber er war auch der Anfang von Airbnb, des Unternehmens, das Chesky heute leitet und das zu einem Giganten mit einem Marktwert von 30 Milliarden Dollar angewachsen ist, einer Quote von 140 Millionen »guest arrivals«, wie die einzelnen Buchungen auf der Plattform firmenintern bezeichnet werden, und einer Vermittlungsliste von drei Millionen Gastgebern. (Zur Terminologie: »guest arrivals« bezeichnet die Anzahl der Gäste, die jeweils bei einem Airbnb-Anbieter neu eingetroffen sind. Diesen Begriff benutzt das Unternehmen in Anpassung an das internationale Touristikgewerbe. Im Folgenden wird er einfach mit »Gäste« wiedergegeben.) Hotels betritt Chesky inzwischen eigentlich nur noch, um Vorträge zu halten, und in diesem hier sprach er vor dem Fortune Global Forum, einer Tagung, zu der mein Arbeitgeber jährlich CEOs aus der ganzen Welt einlädt. Chesky trat hier nach dem ehemaligen US-Verteidigungsminister Leon Panetta und vor dem CEO von JPMorgan Chase, James »Jamie« Dimon, auf.

Chesky und ich hatten uns nach dem Vortrag noch in der Lounge zusammengesetzt, um über meine Idee für ein Buchprojekt zu sprechen. Ich hatte mit einer positiven Reaktion von ihm gerechnet, und die bekam ich auch, aber nicht ohne Vorbehalte; er hatte offensichtlich bereits darüber nachgedacht. »Das Problem bei einem solchen Buch«, meinte er, nachdem er sich offensichtlich einige Gedanken darüber gemacht hatte, »besteht darin, dass es nur eine einzelne Phase des Unternehmens fixiert.« Ich wusste erst nicht, worauf er hinauswollte, weshalb ich ihn bat, das genauer zu erklären. »Ich bin doch erst 34«, erläuterte er, »und unser Unternehmen ist jung. Wir haben noch eine Menge vor und werden uns verändern.« Es sei vielleicht noch zu früh für eine Firmengeschichte. Was immer ich 2017 über Airbnb veröffentliche, so Chesky, und wonach die Leser sich ein Bild über die Firma machten, werde dann schon veraltet sein. Sogar die aktuellen Medien seien mit ihrer Berichterstattung im Rückstand: »Das, was die Öffentlichkeit heute mit Airbnb verbindet«, sagte er, »das ist Airbnb vor zwei Jahren.«

Dieser Gedanke war ebenso sehr Ausdruck von Cheskys Ehrgeiz wie seines Pragmatismus. Im Prinzip aber, so fügte er dann hinzu, stehe er mir für mein Projekt gerne zur Verfügung, und er vertraue mir, dass ich es schon richtig hinbekommen werde. Die ganze Besprechung dauerte vielleicht zehn Minuten. Es war ein guter Tag für das Unternehmen: Erst am Abend zuvor hatte Airbnb nach langem Kampf eine Volksabstimmungsinitiative in San Francisco niedergeschlagen, die seine Tätigkeit stark eingeschränkt hätte. Chesky wollte jetzt nach Paris zu den »Airbnb Open« weiterfliegen, der jährlichen Festveranstaltung für die »Gastgeber« – für diejenigen also, die das Produkt bereitstellen, auf dem die Plattform beruht. Als wir die Lounge verließen, war er ganz aufgeregt über die Planung für diese Riesenparty: An einem einzigen Abend würden die Pariser »Gastgeber« ihre Wohnungen für gleichzeitige Festbankette an Hunderten verschiedener Orte in der Stadt der Lichter gleichzeitig öffnen. »Das wird eine der größten Simultan-Dinnerpartys aller Zeiten«, freute er sich.

Und damit verabschiedete sich der 34-jährige Milliardär von mir.

Zum ersten Mal gehört hatte ich von Airbnb schon 2008. Ich leitete damals diejenige Redaktionsabteilung bei Fortune, die sich um die etwas ungewöhnlicheren Geschäftsideen kümmerte, und wir hatten von ein paar unternehmerischen Underdogs Wind bekommen, die während des gerade laufenden Präsidentschaftswahlkampfs mit Werbung für »Sammlereditionen« fiktiver Frühstücksflocken namens Obama O’s und Cap’n McCain’s auf sich aufmerksam gemacht hatten. Die jungen Leute hatten gerade ihr Studium an der Rhode Island School of Design (RISD) abgeschlossen und wollten mit diesem Coup auf ihr frisch gegründetes Start-up-Unternehmen namens AirBed & Breakfast hinweisen. Dessen Geschäftsidee bestand darin, dass Leute Schlafgelegenheiten in ihren Privatwohnungen an Gäste vermittelten, die dringend einen Platz zum Übernachten suchten. Ich dachte, dass die Geschäftsidee an sich nicht gerade neu sei, aber die Idee mit den Frühstücksflocken war mutig und hatte funktioniert – die Sache war landesweit in den Medien. Wir brachten also ein paar Zeilen darüber in Fortune, und dann vergaß ich die Geschichte.

In den folgenden ein, zwei Jahren wurde allerdings immer mehr über das Unternehmen geredet, und schließlich geriet es ins Radar unserer Technologieredaktion. Intern hieß es, diese Jungs sollten wir im Auge behalten. Moment, dachte ich, diese Jungs? Ich hatte mit Fortunes Berichterstattung über die Hightech-Branche nichts zu tun und wusste nicht immer so genau Bescheid, über was für Firmen ich da gerade sprach, wenn es um Silicon Valley ging. Gerade diese Unbedarftheit aber gab mir, so glaubte ich, einen gesunden Abstand zu der wichtigtuerischen Begeisterung, die aus dieser Gegend gewöhnlich hervorsprudelte. Als Betreuerin der Fortune-Liste »40 under 40« war ich außerdem an atemlose, vor Selbstüberschätzung triefende Eingaben von Firmen gewöhnt, die behaupteten, im kommenden Jahr die Welt auf den Kopf zu stellen, wobei das kommende Jahr dann gewöhnlich ihr sang- und klangloses Verschwinden brachte. Manchmal konnte ich mir eine grimmige Genugtuung nicht verkneifen, wenn ich bei gewissen übertrieben bewerteten Neugründungen darauf hinwies, dass sie nur aus Hype bestanden. Und dieses neue Unternehmen, so glaubte ich, gehörte ganz sicher dazu.

In Gedanken stellte ich eine Liste aller Firmen zusammen, die bereits als Vermittler von Privatwohnungen oder Gästebetten am Markt waren: HomeAway.com, VRBO.com, Couchsurfing.com, BedandBreakfast.com. Ich fragte mich, was diesen Neuzugang herausheben sollte. »Was haben diese Hightech-Start-ups bloß an sich«, grummelte ich damals gegenüber einem Kollegen, »dass sie mit einer alten, abgenutzten und unoriginellen Geschäftsidee, die sie mit einer stylishen, minimalistischen, designlastigen Webseite aufhübschen, an den Markt gehen und damit durchkommen?«

Aber dieses Unternehmen hob sich wirklich von der Konkurrenz ab, wie sich schnell herausstellen sollte. Bald war Airbnb »in«. Man konnte dort weiterhin einen ganz normalen Schlafplatz mieten, aber inzwischen waren auch Gastgeber dabei, die etwas Besonderes boten: ein Baumhaus, ein Hausboot, ein Schloss, ein Tipi. Besonders die Generation Y sprang auf diesen neuartigen Reisestil an, der erschwinglich und aufregend war. Man wurde in Umgebungen eingeführt, die ein Pauschaltourist nie zu sehen bekam, lernte interessante Gleichgesinnte kennen, und das alles billiger als im Hotel. Die Zahl der Gastgeber wie die der Gäste begann steil anzusteigen, und schon 2011 konnte Airbnb beeindruckende 112 Millionen Dollar an Investitionskapital einwerben, wurde mit über einer Milliarde Dollar bewertet und hatte einen Umsatz von einer Million Übernachtungen. In den folgenden Jahren ließ es auch diese Zahlen noch weit hinter sich: Aus einer Million Buchungen wurden fünf, zehn, 50, und Ende 2016 waren es dann 140 Millionen »Gäste« – von denen alleine 70 Millionen auf die letzten zwölf Monate fielen. Die Bewertung des Unternehmens kletterte auf zehn, dann 25, dann 30 Milliarden Dollar, und dort steht sie bei Redaktionsschluss dieses Buchs. Dabei ist Airbnb auf dem Immobilienmarkt noch immer relativ wenig bekannt und vernetzt. Finanzexperten sagen der Firma ein Wachstum auf ein Vielfaches ihres heutigen Werts voraus.

Man wird sich ein solches Wachstumsphänomen kaum anschauen, ohne nach den Gründen zu fragen. Einer dieser Gründe war sicher die damalige Wirtschaftslage: Direkt nach der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 bot sich hier Normalbürgern die Möglichkeit, mit ihrer Wohnung Geld zu verdienen, und andere bekamen die Chance, preiswert zu verreisen. Die ersten Kunden waren hauptsächlich »Millennials«, die auch als Generation Y bezeichnet werden, die geburtenstarke Generation der Jahrtausendwende, die damals gerade zu Hause auszog und ihre erste eigene Wohnung mietete, aber interessanterweise ist der Durchschnittsgastgeber in den USA 43 Jahre alt. In den letzten Jahren stagnierten die Löhne, während die Mieten stiegen, und dank Airbnb konnte nun jeder mit seiner Wohnung Geld verdienen, selbst wenn er sie nur gemietet hatte. Durchschnittlich nimmt ein Gastgeber in den USA 6000 Dollar jährlich ein (Stand 2015), aber bei vielen kommt beträchtlich mehr zusammen. (Genau wie »Home Sharing« sind auch »Gastgeber« und »Gast« Begriffe, die Airbnb schmeicheln, aber weil sie inzwischen üblich geworden sind, übernehme ich sie hier ohne ironischen Unterton.) Auch die Gäste waren von den günstigen Preisen und der Möglichkeit, interessante Erfahrungen sammeln zu können, begeistert. Studien zeigen, dass viele, die zum ersten Mal Airbnb ausprobieren, treue Stammkunden werden.

Aber Airbnb bot eben mehr als nur niedrige Preise und eine Fülle verfügbarer Schlafplätze. Vielmehr wurde hier ein besonderes Erlebnis mit hohem Neuigkeitswert geboten. Sogar die kleinen Unprofessionalitäten bei der Abwicklung kamen einem Bedürfnis nach Bescheidenheit und Boheme-Atmosphäre entgegen, das sich von den standardmäßigen Hotels eher abgestoßen fühlte. Außerdem erlangte der Reisende so unmittelbaren Zugang zu authentischen Umgebungen fernab der traditionellen Touristengettos und einen echten Einblick in das Land oder die Gegend, ein Vorteil, den Airbnb gerne anpreist. Diese Argumente sprechen besonders die Angehörigen der Generation Y an, die einerseits sowohl großen etablierten Marken kritisch gegenüberstehen als auch Abenteuern gegenüber besonders aufgeschlossen sind und andererseits bereits von Kind an mit dem Internet umgehen, sodass sie keine Bedenken tragen, bei jemandem zu wohnen, den sie nur online kennen. Auch viele von uns Älteren finden übrigens diesen Erlebnisfaktor sehr ansprechend.

Dazu aber befriedigte diese neuartige Möglichkeit, bei völlig Fremden zu Hause unterzukommen, noch ein tieferes Bedürfnis – das nach menschlichem Kontakt. Wer bei einem Airbnb-Gastgeber übernachtet oder selbst ein Bett als Gastgeber anbietet, bringt sich persönlich ein. Selbst wenn der Gastgeber verreist ist, hat er sich doch eigens Mühe gegeben, einem den Aufenthalt angenehm zu machen. Einmal selbst zögernd in eine fremde Wohnung zu treten, in einem Stadtviertel, in das man sonst nie geraten würde, gibt einem das Gefühl einer – manchmal nur geringen, persönlichen Beziehung zum Gastgeber, die sich natürlich umso stärker entwickeln kann, wenn er anwesend ist. (Einer der ersten Werbesprüche des Unternehmens, bis heute in Gebrauch, lautet »Travel like a human« – »reisen wie ein Mensch«.)

Natürlich kann die Begegnung von Gast und Gastgeber auch schiefgehen, das passiert durchaus. Aber wenn man sich gut miteinander versteht – was meistens der Fall ist – , gewinnen beide auch ein wenig mehr Vertrauen in die Spezies Mensch. Das ist wichtig in einer Zeit, in der unsere Gesellschaft fragmentierter und ihre Angehörigen vereinsamter denn je sind. Es gibt heute so viele Ein-Personen-Haushalte wie nie zuvor. Wir sitzen meist alleine im Auto, wohnen isoliert in Vorstadthäusern, schotten uns am Arbeitsplatz ab und stopfen uns, sowie wir vor die Tür gehen, die Kopfhörer in die Ohren.

Bei Airbnb gibt es dafür einen Ausdruck: Die Firma nennt das Konzept »belonging anywhere« (»überall dazugehören«) und vertritt es offensiv. Ihre Plattform, so behauptet sie, biete ein »transformatives« Erlebnis, die sogenannte »belong anywhere transformation journey« (»transformative Reise ins Dazugehören«). Dieser überdrehte Idealismus wirkt natürlich ein bisschen lächerlich, aber das Erlebnis einer Airbnb-Buchung spricht tatsächlich etwas an, das uns Menschen verloren gegangen ist, als wir so auf Abstand zueinander gegangen sind. In einem unverwechselbaren, authentischen Zuhause zu übernachten, das von einem bestimmten Menschen eigens für einen hergerichtet worden ist – selbst wenn es sich dabei in Wirklichkeit um eine Immobiliengesellschaft handelt, wie es bei Airbnb, besonders an traditionellen Ferienorten, inzwischen häufig der Fall ist –, kann einem etwas zurückbringen, das man vorher nicht vermisst hat.

So sieht das natürlich nicht jeder, und das Wachstum des Unternehmens Airbnb wirft durchaus Probleme auf. In vielen Städten der USA und Gebieten überall auf der Welt ist das, worauf das Angebot von Airbnb beruht – nämlich die private kurzzeitige Vermietung oder Untervermietung des eigenen Wohnraums –, ganz einfach illegal. Die Rechtsprechung ist hier von Stadt zu Stadt und Land zu Land unterschiedlich, aber als die Aktivitäten von Airbnb ein bestimmtes Maß überschritten, fingen die Kritiker an, den Störenfried, der sich in ihre Gemeinden drängte, mithilfe dieser Gesetze zu bekämpfen. Dieser Kampf vereint auf der Seite der Gegner ein ungewöhnliches Bündnis aus liberaler Politik, Immobilienlobby, Gewerkschaften und Hotelgewerbe. In Letzterer ist der Name »Airbnb« inzwischen ein rotes Tuch. Inzwischen wehren sich auch viele Wohnungseigentümer und Mieter in Mehrparteienhäusern gegen den Strom durchreisender Fremder, den Airbnb-Buchungen in ihre Gebäude und Stadtviertel spülen. Außerdem, so sagen die Gegner des Unternehmens, wimmele es unter den Gastgebern Airbnbs inzwischen von professionellen Immobilienmaklern, die planmäßig Wohnraum dem Markt entziehen, um ihn völlig für Airbnb-Buchungen zweckzuentfremden. Dadurch werde, so die Argumentation, regulären Mietern die Wohnungssuche erschwert und die Krise des Wohnungsmarkts in vielen Städten verstärkt. In einigen Städten der USA, etwa in New York und San Francisco, laufen Gesetzgebungsinitiativen zur Beschränkung der Airbnb-Buchungen, und je mehr das Unternehmen wächst, desto heftiger wird die Abwehr.

Auch mit den unbeabsichtigten Nebenwirkungen seines Geschäfts, Fremde zusammenzubringen, hat das Unternehmen seit Jahren immer wieder Scherereien. Es ist zu Wohnungsplünderungen und persönlichen Angriffen durch Gäste und zu verantwortungslosem Verhalten der Gastgeber gekommen, teilweise mit tragischem Ausgang. In den letzten Jahren ist noch ein weiteres Übel auf der Webseite dazugekommen, dem sich das Unternehmen stellen muss: Rassismus und andere Formen der Diskriminierung bei den Übernachtungsangeboten.

Das war wahrscheinlich nicht anders zu erwarten. Wenn man einen Markt für den offenen Austausch aller mit allen gründet, dann wird man alle Aspekte der gesellschaftlichen Realität auch auf dieser offenen Plattform wiederfinden. Das Airbnb-Konzept mag auf der Freundlichkeit zu Fremden beruhen, aber es sind eben, wie sehr das Unternehmen dies auch selbst glauben mag, längst nicht alle Fremden freundlich.

Solche Schlagzeilen haben in letzter Zeit zu einer regelrechten Hysterie bei denen geführt, die das Unternehmen nur aus den Medien kennen. »Schreiben Sie Ihr Buch besser schnell, bevor die Firma weg vom Fenster ist«, hat mich jemand gemahnt, dem ich von meinem Projekt erzählte. Auf dem Höhepunkt des Diskriminierungsskandals sprach mir mein Vater einmal mit strenger Stimme auf den Anrufbeantworter: »Ich hoffe, du gehst deswegen nicht ans Telefon, weil du dir gerade den Bericht auf NPR über die Diskriminierung von Schwarzen durch Airbnb anhörst.« (Die Diskriminierung ging dabei nicht von Airbnb selbst aus, sondern von Gastgebern auf der Plattform, aber die offensichtliche Unfähigkeit, dieses Problem anzugehen, brachte dem Unternehmen viel Kritik ein.)

Inzwischen wird Airbnb aber schon lange nicht mehr nur von Vertretern der Generation Y genutzt. Heutzutage gehören auch die Babyboomer, Senioren und sogar Stars wie Gwyneth Paltrow und Beyoncé zu den Airbnb-Anhängern. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass einige der ersten Nutzer, die sich selbst als eine Art Pioniere und Vorreiter eines sozialen Experiments betrachten, nun schon der Meinung sind, Airbnb sei inzwischen zu sehr »mainstream« geworden.

Und, ob es einem gefällt oder nicht – Airbnb beschäftigt uns. Das Unternehmen gehört inzwischen zu unserer Alltagskultur. Es erscheint in Sketchen auf Saturday Night Live und im Plot der trendigen HBO-Fernsehserie Silicon Valley. »Airbnb« war die Antwort auf eine Quizfrage in Jeopardy!. Eine romantische Kinokomödie, in der es um einen verwechselten Airbnb-Gastgeber geht, wird sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen. Man kann mit Airbnb clevere Werbekampagnen führen: Einige Wochen vor dem Kinostart des neuesten Teenage Mutant Ninja Turtles-Films 2016 wurde die angeblich echte »Höhle« der Turtles als Übernachtungsangebot gelistet – es war ein Apartment im New Yorker In-Viertel Tribeca, das die Produzenten des Films, Nickelodeon und Paramount Pictures, als »Themenwohnung« im TMNT-Stil ausgestattet hatten. Und schließlich kann man mithilfe von Airbnb sogar die eigene Kreativität ausleben: Als Anfang 2016 ein katastrophaler Schneesturm über den Nordosten der USA fegte, baute sich ein wagemutiger Hipster aus Brooklyn eine Schneehütte und bot sie als »kuscheligen Winter-Iglu für zwei« zum Übernachten an. (»Dieser begehrteste Zufluchtsort in der ›Snowpocalypse‹ trieft geradezu vor Genialität und Boheme-Atmosphäre«, hieß es in der Beschreibung. Airbnb strich das Angebot zwar, weil es den Mindeststandards für Schlafplätze nicht genügte, ließ dem Kreativen aber einen Gutschein über 50 Dollar als Anerkennung zukommen.)

Im Grunde ist die Geschäftsidee von Airbnb wirklich nicht neu. Chesky erzählt gerne, dass der Einzige, der ihm anfangs das Konzept nicht auszureden versuchte, sein Großvater war. Der habe, als er erfuhr, was für ein Unternehmen sein Enkel gegründet hatte, nur genickt und gemeint: »Nun, warum nicht? Wir sind früher immer so gereist.«

Und das stimmt auch: Ob als Untermieter, Pensionsgast, Au-pair-Mädchen oder wie auch immer – viele Leute können einem von Situationen erzählen, in denen sie lange vor Airbnb und lange vor dem Internet »Home-Sharing« erlebt haben. Viele bekannte Persönlichkeiten der Zeitgeschichte sind darunter: Lee Harvey Oswald logierte zum Beispiel von Anfang Oktober bis zum 22. November 1963 für acht Dollar pro Woche im Gästezimmer eines Privathauses in Oak Cliff, Dallas, Texas (dieses Haus ist inzwischen ein Museum und kann besichtigt werden). Isadore »Issy« Sharp, Gründer und Vorsitzender der Hotelkette Four Seasons, bekam seinen ersten Einblick ins Gastgewerbe als Kind im jüdischen Getto Torontos, weil seine Eltern Untermieter aufnahmen. Auch Warren Buffett berichtet, dass seine Familie viele Jahre lang Durchreisende als Logiergäste beherbergte – darunter George McGovern während seines Präsidentschaftswahlkampfs. Die englischsprachige Wikipedia hat ein eigenes Stichwort »Homeshare«, aber die Seite kommt ganz ohne eine Erwähnung von Airbnb aus, selbst in den Quellenverweisen.

Mein Lebensgefährte, der ohne Vater aufwuchs, war daran gewöhnt, dass seine Mutter im ungenutzten zweiten Schlafzimmer der Wohnung Untermieter aufnahm. Jahrzehnte später machte er es genauso und füllte sein dreistöckiges Haus in Brooklyn mit zwei oder mehr studentischen Logiergästen pro Semester. So lernte ich zum Beispiel Lucien kennen, einen niederländischen IT-Experten, der das Schlafzimmer im Erdgeschoss bewohnte, und die französische Filmstudentin Ariane im Gästezimmer des ersten Stocks – und ihre gemeinsamen Lebensmittel im Kühlschrank und exotischen europäischen Körperpflegeprodukte im Bad noch dazu. »Dieser ganze überflüssige Platz bringt so wenigstens ein bisschen Geld ein«, sagte mein Partner – und außerdem hatte er diese ausländischen Studenten, die interessante Gespräche und eine Erweiterung seines Horizonts mitbrachten, einfach gerne um sich.

Und in neuerer Zeit gab es natürlich die Möglichkeit, sich für wenige Tage oder Wochen ein Privatquartier als Ferienwohnung zu mieten. Das ist seit Jahrzehnten üblich und wird von größeren Firmen wie HomeAway oder VRBO wie auch von kleinen Internetanbietern wie BedandBreakfast.com angeboten. Früher fand man solche Angebote als Kleinanzeigen in der Zeitung, heute auf Craigslist im Internet. »Eines der spezifischen Merkmale der sharing economy ist, dass die Geschäftsideen selbst nicht neu sind«, schreibt Arun Sundararajan, Professor an der New York University und Autor von The Sharing Economy: The End of Employment and the Rise of Crowd-Based Capitalism.

Neu und ein spezifisches Merkmal von Airbnb ist allerdings die niedrige Hemmschwelle für den Interessenten. Der Internetauftritt des Unternehmens ist benutzerfreundlich, einladend und macht den Weg zur Buchung leicht. Anders als bei den meisten älteren Internet-Schlafplatzvermittlungen sind die Angebote bei Airbnb so designt, dass man eine Vorstellung von der Persönlichkeit des Gastgebers bekommt, und das Unternehmen hat in individuelle Profifotografien investiert, um jede angebotene Unterkunft gemütlich und einladend wirken zu lassen. Außerdem wurden Suche, Anfragen beim potenziellen Gastgeber und Bezahlvorgang nahtlos integriert, alles auf der Seite funktioniert reibungslos. (Es heißt zwar oft, Airbnb sei gar kein Hightech-Start-up, weil das Unternehmen sich ja mit Wohnraumvermittlungen befasst, aber die IT-Infrastruktur hinter den Kulissen gehört zu den höchstentwickelten im Silicon Valley.) Eingebaut sind dabei auch Tools, die der Absicherung von Gast und Gastgeber dienen, zum Beispiel gegenseitige Bewertungen, die nur von zahlenden Nutzern nach Ende des Aufenthalts abgegeben werden können, und ein Identifikationssystem mit Verifikation. Dazu kommt noch eine der größten, aber am seltensten erwähnten Neuerungen bei Airbnb: Es vermittelt Unterkünfte in Städten. Früher boten Unterkunftsvermittlungen meist Ferienhäuser auf dem Land oder Wohnungen in traditionellen Touristengegenden an. Bei aller Aufmerksamkeit, die Baumhäuser und Hausboote der Webseite bringen, sind die meisten Angebote, die man dort findet, doch Ein- und Zweizimmerwohnungen und Studios. Das macht das Angebot für Reisende so interessant – und für die Hotelbranche so bedrohlich. Bei Airbnb konnten ganz normale Menschen von ihrem Immobilienbestand profitieren – auch wenn er nur aus einer gemieteten Studiowohnung besteht – und das hatte sowohl auf die Vermieter wie auf die Reisenden wirklich »transformative« Auswirkungen: Es änderte alles. Airbnb war urban, zugänglich und richtete sich an die Generation Y. Das sorgte für einen schnellen Anstieg der Buchungen, und weil im Internet nichts so sehr für Wachstum sorgt wie Wachstum, war seine beherrschende Stellung, nachdem es einmal eine bestimmte Größe erreicht hatte, kaum noch anzugreifen.

Airbnb hat aber nicht nur die Hotelbranche, die Art, in der wir reisen und mieten und das menschliche Miteinander aufgemischt, sondern auch die Theorie erfolgreicher Unternehmensführung. Einmalig am Aufstieg des Unternehmens ist nämlich auch, dass die Gründer keinerlei Managementerfahrung mitbrachten – und die Geschwindigkeit, mit der Chesky, Gebbia und Nathan Blecharczyk (den Chesky und Gebbia nach jenem ersten Wochenende als für die Technik zuständigen Mitgründer an Bord holten) dieses fehlende Wissen dann aufholen mussten. Das Start-up-Unternehmen wuchs sehr schnell zu einer erwachsenen Firma mit erwachsenen Bewertungen und Aussichten heran – und mit erwachsenen Problemen. Anders aber als viele andere Start-ups, deren Gründer sich in diesem Stadium zerstritten oder Management-»Profis« engagierten, um die Firma zu leiten, halten bei Airbnb die drei Gründer immer noch als Team das Steuer des Raumschiffs, das sie gebaut haben, fest in der Hand.

Beim inzwischen 35-jährigen Chesky ist diese Entwicklung am deutlichsten zu sehen. Der Airbnb-CEO begann als kompletter Außenseiter – nicht nur ohne jede unternehmerische Erfahrung, sondern auch mit Entwicklerkenntnissen, die über die Gestaltung einfacher Webseiten nicht hinausgingen –, der nicht wusste, was Angel Investors oder Slide Decks sind, und lenkt heute eine mit 30 Milliarden Dollar bewertete Firma, die Verantwortung für über 2500 Mitarbeiter trägt.

Chesky steht zwar im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, aber nur durch die Beiträge aller drei Gründer konnte Airbnb werden, was es heute ist. Gebbia, ebenfalls 35, ist ein innovativer Designer mit unkonventionellen Ideen, der schon als Kind unternehmerisches Talent zeigte. Der 33 Jahre alte Blecharczyk ist ein geradezu unheimlich genialer Softwareentwickler, der schon als Schüler eine Million Dollar mit dem Verkauf selbst geschriebener Programme verdiente und quasi im Alleingang die Infrastruktur der Airbnb-Webseite erstellte, das Rückgrat für den Erfolg des Unternehmens. Alle drei sind so unterschiedliche Charaktere, wie man sie sich nur vorstellen kann, und während Chesky sich als Firmenchef profiliert hat, haben Gebbia und Blecharczyk in den vergangenen Jahren ihre eigenen maßgeschneiderten Führungsrollen gefunden.

Bei Drucklegung dieses Buchs bereitete die Firma gerade eine wichtige Ankündigung vor, die, so versprach Chesky, die wichtigste Veränderung in der kurzen Geschichte des Unternehmens und den Beginn einer dramatischen Neuaufstellung bedeuten würde: einen ehrgeizigen Vorstoß über die Unterkunftsvermittlung hinaus zum »Rest der Reise« durch eine ganze Reihe neuer Produkte, Tools und Angebote. Anstatt nur eine Unterkunft zu vermitteln, will Airbnb jetzt die Angebotsplattform für individuelle Aktivitäten mit hohem Erlebniswert weltweit erweitern und zum Beispiel Ultramarathontraining mit kenianischen Läufern und Bonsaipflege mit Gleichgesinnten am eigenen Wohnort bieten. Restaurantreservierungen, Mitfahrgelegenheiten und bald auch Flugbuchungen sollen dazukommen. Das ist ein kühner Sprung und ein ganz neues, riesiges Geschäftsfeld für ein so junges Unternehmen – besonders eines, dessen Umsatz im Kerngeschäft sich noch jedes Jahr verdoppelt.

Airbnb wächst und verändert sich sogar derart rasch, dass weitere Umwälzungen garantiert schon im Gang sind, wenn Sie dieses Buch in der Hand halten, und es wird so weitergehen. Erst, als ich die Arbeit an diesem Buch fast beendet hatte, begriff ich, was Chesky bei unserem Gespräch im Fairmont-Hotel gemeint hatte. Als ich später mehr über den Vorstoß in neue Geschäftsfelder erfuhr, meinte ich im Scherz zu Chesky, dass die gute alte Schlafplatzvermittlung dagegen ja richtig »von gestern« wirke. Er schaute mich ernst an, machte eine Geste in Richtung der Slide-Deck-Präsentation, die er mir gerade vorgeführt hatte, und antwortete: »Ich hoffe doch, dass das hier möglichst schnell ›von gestern‹ für Airbnb ist.«

Es war nicht leicht für diese drei Gründerpersönlichkeiten, Airbnb zu schaffen und aufzubauen, und die Unternehmensgeschichte ist nicht ohne Rückschläge. Das wird auch so bleiben: Die rechtliche Grundlage des Geschäfts ist noch längst nicht geklärt, und es wird auch weiterhin schlechte Presse und Fälle geben, in denen sich Gäste oder Gastgeber übel danebenbenehmen. Den Gründern stehen noch einige Bewährungsproben bevor, während das Unternehmen weiter expandiert – und irgendwann sicher auch an die Börse gehen wird. Bis jetzt hat das Unternehmen die sehr schwierige Aufgabe gemeistert, das Gleichgewicht zwischen rasantem Wachstum und Treue zu seiner ursprünglichen »Mission« zu halten, weil es sich die Kapitalgeber aussuchen konnte und sich an solche mit längerfristigen Perspektiven gehalten hat. Nach einem Börsengang dagegen wird Airbnb Mühe haben, weiter sein idealistisches Anliegen zu vertreten und gleichzeitig den Erwartungen professioneller Investoren zu entsprechen, die es nicht selbst auswählen kann und die die Firma unter Druck setzen.

Wie auch immer das ausgeht – bereits jetzt hat Airbnb kulturell wie ökonomisch einen dauerhaften Eindruck hinterlassen. Das Unternehmen ist in Rekordzeit um viele Größenordnungen gewachsen und hat unsere Vorstellungen davon auf den Kopf gestellt, wie man ein 30-Milliarden-Dollar-Unternehmen führt. Es hat unsere Wahrnehmung fremder Umgebungen und Menschen neu definiert. Es hat unsere Art zu reisen verändert und einen neuen Markt für »alternative Unterkünfte« eröffnet, der jetzt das Ziel Dutzender Neugründungen ebenso wie traditioneller Hotelketten ist. Und jetzt versucht Airbnb zu verändern, wie wir die Fremde und unser eigenes Leben zu Hause erleben. All das wurde gegen enorme Widerstände erreicht, gegen eine Menge Ablehnung und mit dem finanziell gut aufgestellten, marktbeherrschenden traditionellen Beherbergungsgewerbe als Gegner. Und all das entstand aus der seltsamen, frechen Idee dreier unerfahrener Typen. Die Geschichte von Cheskys, Gebbias und Blecharczyks Aufstieg ist nicht nur ein erzählenswertes Abenteuer, sondern auch eine Inspiration für jeden mit einer kühnen neuen Idee, der sich anhören muss, dass sie sowieso nicht funktioniert.

Hier ist sie.

Kapitel 1 – Der Coup

Ich muss dir was erzählen. Eines Tages machen wir eine Firma auf, über die später jemand ein Buch schreiben wird.

Joe Gebbia

Der Gründungsmythos von Airbnb ist im Sagenschatz von Silicon Valley und darüber hinaus heute fest verankert: Oktober 2007. Zwei arbeitslose Kunsthochschulabsolventen, die Geld für die Miete ihrer Dreizimmerwohnung in San Francisco auftreiben müssen, entschließen sich, einer verrückten Idee nachzugeben, und vermieten während einer großen Designtagung, als die Hotels der Stadt völlig ausgebucht sind, einige Luftmatratzen auf dem Fußboden als Schlafplätze. In manchen Kreisen ist diese Anekdote tatsächlich schon ebenso sehr ein Mythos wie ältere Gründungslegenden: Bill Bowerman gießt Flüssig-Urethan in das Waffeleisen seiner Frau – das Waffelsohlenprofil der Nike-Sneakers ist geboren. Oder: Bill Hewlett und Dave Packard löten in Packards Garage, inzwischen ein sagenumwobener Ort, einen Audio-Oszillator zusammen.

In der Realität hat die Airbnb-Story bereits einige Jahre früher und 5000 Kilometer weiter östlich in Providence, Rhode Island, angefangen, und zwar in einem Studio auf dem Gelände der Rhode Island School of Design im Sommer 2004. Brian Chesky und Joe Gebbia, zwei Designstudenten – Gebbia absolvierte damals das vierte Jahr eines fünfjährigen Doppelstudiengangs Industrie- und Grafikdesign und Chesky hatte gerade seinen Abschluss gemacht –, nahmen an einem Forschungsprojekt der Hochschule mit der Conair Corporation teil, die Elektrokleingeräte wie etwa Haartrockner herstellt. Es kam oft vor, dass Privatunternehmen Aufträge an die Hochschule vergaben, um das kreative Potenzial der Studierenden zu nutzen. In diesem speziellen Programm arbeiteten Studentengruppen jeweils sechs Wochen lang praktisch ausschließlich am Design für Conair-Produkte. Es fand zwar in den Räumen der Hochschule statt, aber das Unternehmen war Rechteinhaber aller Produktentwürfe; die Studierenden erhielten als Gegenleistung nicht nur Erfahrung in der echten Arbeitswelt, sondern auch eine echte Entlohnung. Am Ende des Programms würden sie ihre Designkonzepte dann in einer richtigen Präsentation den Conair-Managern vorstellen.

Die Teilnehmer arbeiteten in Zweiergruppen, und Chesky und Gebbia hatten sich zusammengetan, weil sie einander bereits vom Hochschulsport her gut kannten. Chesky führte die Eishockeymannschaft der RISD, und Gebbia hatte das Basketballteam gegründet. Sport war für die Studierenden der Hochschule zwar, milde gesagt, eher zweitrangig, aber diese beiden waren entschlossen, das Ansehen ihrer jeweiligen Mannschaften aufzuwerten, und konzipierten gemeinsam eine ehrgeizige Werbekampagne: Sie warben um Spenden, entwickelten ein Trainingsprogramm, entwarfen neue Trikots und dachten sich weitere kreative Gags aus – einschließlich einer Prise Fäkalhumor1 –, damit die Mannschaften als frech und respektlos wahrgenommen wurden. Das Konzept ging auf; die RISD-Spiele gewannen nicht nur an der eigenen Hochschule an Beliebtheit, sondern zogen auch Studierende der benachbarten Brown University und sogar den unkonventionellen damaligen Bürgermeister Buddy Cianci an, der das Amt eines »Ehrencoachs« der Hockeymannschaft annahm. »Ich glaube, das war eine der schwierigsten Marketingkampagnen, die man sich nur denken kann«, erzählte Gebbia später im Interview gegenüber Fast Company. »Wie bringt man Kunsthochschüler dazu, jeden Freitagabend zu einem Mannschaftsspiel zu gehen?«2

Aber jetzt arbeiteten Chesky und Gebbia zum ersten Mal gemeinsam an einem Designprojekt. Einmal pro Woche fuhren sie mit dem Bus zum Firmensitz von Conair in Stamford, Connecticut, hinaus, um sich mit dem Marketingteam des Unternehmens zu besprechen, und zogen sich dann wieder in die RISD-Ateliers zurück, um weiter an ihren Entwürfen zu arbeiten. Gebbia und Chesky investierten viel Zeit und Mühe, oft arbeiteten sie die Nacht durch. Sie ließen ihrer Kreativität freien Lauf, aber erst bei der Präsentation wurde ihnen klar, wie frei dieser Lauf gewesen war. Während die anderen Teams einfach neue Haarfönentwürfe vorstellten, hatten Chesky und Gebbia gleich eine komplette neue Unternehmensvision auf Lager. Dazu gehörten unkonventionelle Produktideen wie ein aus Seife gefertigtes Hemd, das man nach dem Tragen einfach abwaschen konnte. »Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände«, schildert Gebbia die Reaktion der Conair-Manager. Der Marketingleiter, der für das Projekt verantwortlich war, meinte, Chesky habe wohl einen Koffeinrausch. »Dabei hatte ich gar keinen Kaffee getrunken«, beteuert Chesky. Beiden wurde trotz der befremdeten Reaktion ihrer Kunden allerdings etwas klar, das nichts mit Elektrogeräten zu tun hatte: wie sich ihr kreatives Potenzial vervielfachte, wenn sie die Köpfe zusammensteckten. »Wir bauten automatisch auf den Ideen des anderen auf«, so Chesky. »Joe und ich – wenn wir uns zusammentun, werden die Ideen immer größer, nicht kleiner.« Gebbia sah das ebenso: »Ich dachte mir: ›Okay, wenn [Brian und ich] zusammenarbeiten, dann kommt etwas anderes heraus als bei normalen Designern‹.«

Gebbia hatte das schon erlebt. Einen Monat zuvor hatte Chesky sein Abschlussdiplom erhalten. Sein Auftritt bei der Verleihungsfeier blieb den Teilnehmern im Gedächtnis: Die Studierenden hatten ihn als Festredner ausgewählt, und er hatte aus dem Vortrag eine Performance gemacht. Zu den Klängen von Michael Jacksons »Billie Jean« war er im Zuschauerraum aufgetaucht, hatte seinen Talar abgeworfen, unter dem er ein weißes Sakko trug, um in echtem Jackson-Stil vor der Bühne entlangzugrooven, und war dann aufs Podium gesprungen. Einige Tage darauf hatte Gebbia seinen guten Freund und Geistesverwandten auf ein Stück Pizza eingeladen. Die gemeinsame Studienzeit war so gut wie vorbei, und Gebbia wollte sich etwas von der Seele reden: »Ich muss dir was erzählen. Eines Tages machen wir eine Firma auf, und jemand wird ein Buch darüber schreiben.«

Chesky konnte den Gedanken nachvollziehen. (»Er schaute mich an und ging mit einem Lachen darüber hinweg«, erinnert sich Gebbia.) Aber obwohl sie diesen Augenblick später ihren »Casablanca-Moment« nannten, war Chesky auch damals klar, dass für ihn jetzt der Ernst des Lebens begann und er einen richtigen Arbeitsplatz finden musste. Das war ja der Sinn seines Abschlusses. Chesky stammte aus »upstate« New York. Seine Eltern waren beide in der Sozialfürsorge tätig und hatten einen Großteil ihres Einkommens investiert, um ihren Kindern zu ermöglichen, Hobbys zu betreiben und Interessen zu verfolgen, die sie sich selbst ausgesucht hatten. Deb, seine Mutter, war jetzt bei der Spendenabteilung des Rensselaer Polytechnic Institute angestellt, und Bob Chesky, sein Vater, der 2015 nach 40 Jahren als Beamter des Staates New York in Pension gegangen war, unterstützte die Neigung seines Sohnes zur Kunst; seine Kunstlehrerin auf der Highschool hatte Cheskys Eltern vorausgesagt, ihr Sohn habe das Zeug zum großen Kunstschaffenden. Seine Eltern waren begeistert, als er die Zulassung zum Studium an der RISD erhielt, aber auch skeptisch, was die Berufsaussichten Ihres Sohns mit einem Abschluss in bildender Kunst anging. (»Wir hatten Angst, er würde mal in einem Atelier verhungern«, erzählt Deb Chesky.) Um sie zu beruhigen, hatte Chesky nach der Hälfte seiner Studienzeit das Hauptfach gewechselt und auf einen Abschluss in Industriedesign statt als Illustrator hin studiert. Als Industriedesigner hatte er auf dem Arbeitsmarkt einfach viel bessere Chancen. Also verabschiedeten sich Chesky und Gebbia voneinander. Das Conair-Projekt brachte sie dann zwar kurzfristig wieder zusammen, aber nach seinem Abschluss zog Chesky nach Los Angeles und begann sein neues Leben als Industriedesigner.

Bevor seine Eltern ihn ins Flugzeug setzten, kauften sie ihm noch einen Anzug und ein Auto, einen Honda Civic, der ihm bei der Landung am Flughafen übergeben werden sollte. (Deb Chesky übernahm die Logistik dieses Umzugs. Die Lieferung des Autos regelte sie telefonisch im Anproberaum des Kaufhauses Macy’s, während ihr Sohn neben ihr sich gerade einen Anzug aussuchte. Sie erklärte dem Autohändler, der Wagen sei für ihren Sohn, der jetzt nach Hollywood gehe. »Er fragte: ›Er wird ja hoffentlich nicht Schauspieler?‹ Und ich so: ›Nein, aber es ist genauso schlimm – er wird Designer.‹«)

In Los Angeles machte Chesky mit einigen Ex-Kommilitonen von der RISD eine Wohngemeinschaft auf und trat einen Job beim Industriedesign-Unternehmen 3DID an. Die Arbeit gefiel ihm einige Monate lang recht gut. Es machte Spaß, echte Produkte für Kunden wie ESPN oder Mattel zu gestalten. Bald aber musste er sich eingestehen, dass diese Arbeit doch nicht das war, was er sich erhofft hatte. Er wollte der nächste Jony Ive oder Yves Béhar werden. Diese berühmten Designer hatten ihren Arbeitgebern – Apple beziehungsweise Jawbone, die ebenfalls IT-Geräte für Privatkunden herstellen – ein ganz neues Image aufgeprägt, während seine eigene Tätigkeit die uninspirierte Ausführung vorgegebener Anforderungen war. »Es war nicht gerade Fließbandarbeit, aber als RISD-Absolvent war ich dafür überqualifiziert«, erklärt er. Die renommierte Hochschule hatte ihm außer der technischen Ausbildung vor allem eine idealistische Geisteshaltung eingeimpft, mit der er die Welt verändern wollte. Fast jedes Problem, was es auch sei, war lösbar, wenn man als Designer nur kreativ genug heranging, hatte er dort gehört. Wenn man sich etwas vorstellen konnte, dann war es auch konkret umsetzbar, und wenn alles konkret umsetzbar war, konnte man buchstäblich seine ganze Welt designen. Ja, ein Designer konnte die Welt verändern. »Aber in LA holte mich dann die Wirklichkeit ein«, erinnert er sich. »Das ist sie also, die Realität. Nicht ganz, was du gedacht hast.«

Los Angeles war auch nicht unbedingt die richtige Stadt für ihn. »Alleine um zur Arbeit zu kommen, musste ich jeden Tag anderthalb Stunden im Auto hocken – in einem leeren Auto.« Er war enttäuscht und glaubte, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. »Ich kam mir vor, also mein Leben kam mir vor, als säße ich in einem Auto, und vor mir verschwand die Straße am Horizont, und im Rückspiegel sah ich genau dasselbe«, schilderte er seine Gefühle bei einem Kamingespräch 2013 mit der Journalistin Sarah Lacy, der Gründerin des IT-Blogs PandoDaily. »Es war wie ›Also, das ist schon alles, was ich mit meinem Leben anfange? Auf der RISD haben sie uns was anderes erzählt.‹«3

Gebbia hatte inzwischen ebenfalls sein Studium abgeschlossen und war als Grafikdesigner für Chronicle Books in San Francisco gelandet. Dort lebte er in einer Dreizimmerwohnung in der Rausch Street, im Viertel South of Market. Auch als Unternehmer hatte er sich schon versucht und ein Sitzpolster auf den Markt gebracht, das er noch auf der RISD gestaltet hatte. Es war ursprünglich für die Studierenden dort als komfortable Sitzgelegenheit während der sogenannten Kritiksitzungen (»crits«) gedacht, die dafür berüchtigt waren, sich in die Länge zu ziehen, hieß humorvoll »CritBun« und hatte die Form eines menschlichen Hinterteils. Der Entwurf hatte einen begehrten Preis der RISD gewonnen, der darin bestand, dass die Hochschule für die Entwicklung und Produktion bezahlen würde, um allen Angehörigen des Abschlussjahrgangs ein Exemplar zum Geschenk zu machen. Gebbia hatte es geschafft, einen Hersteller und einen Formenbauer zu finden, die imstande waren, innerhalb von vier Wochen 800 Stück davon zu produzieren, rechtzeitig zur Abschlussfeier. Am Tag nach dem Abschluss meldete er dieses Projekt als Unternehmen an. (Gebbia hatte schon als Kind einen Hang zum Geldverdienen mit Kunsthandwerk gezeigt: In der dritten Klasse einer Grundschule in Atlanta, Georgia, hatte er seinen Mitschülern Zeichnungen der Teenage Mutant Ninja Turtles für zwei Dollar pro Stück verkauft, bis deren Eltern sich beim Lehrer beschwerten.)

Gebbia und Chesky blieben in Kontakt zueinander; Gebbia hielt Chesky auf dem Laufenden, was die CritBuns anging, und die beiden hielten Brainstorming-Sitzungen ab, um Ideen für 3DID aufzutun, die sie gemeinsam verwirklichen könnten. Am Ende der Gespräche drängte Gebbia Chesky regelmäßig, nach San Francisco zu ziehen, damit sie zusammen eine Firma gründen könnten. Chesky wollte darauf nie recht eingehen – ohne einen Job mit Krankenversicherung konnte er den Umzug nicht riskieren. Eines Tages erhielt er am Arbeitsplatz ein Päckchen von Gebbia, das zwei CritBuns aus regulärer Produktion enthielt. Gebbia war es gelungen, das Produkt auf den Markt zu bringen; der Art Design Store des Museum of Modern Art – der Heilige Gral aller Designer also – hatte ihm einen großen Auftrag erteilt. Er hat es wirklich geschafft, sagte sich Chesky damals. (»Es war ein subtiler Fingerzeig«, meint Gebbia heute. »Sozusagen eine Erinnerung: Vergiss nicht, wir könnten zusammen kreativ sein.«)

Daraufhin begann Chesky ernsthaft, sich nach einer Stelle in San Francisco umzuschauen. Anfang 2007 hörte er von einer bei Method, einem damals schnell wachsenden Haushaltswarenhersteller, der Wert auf Nachhaltigkeit legte und dessen Verpackungen Preise gewonnen hatten. Chesky glaubte, die Lösung gefunden zu haben: Diese Stelle würde ihn nach San Francisco und zu einem Arbeitgeber führen, mit dessen Wertvorstellungen er sich besser identifizieren konnte. Er kam auch in die engere Auswahl der Bewerber: mehrere Vorstellungsgespräche, ein Design-Wettbewerb und schließlich eine Präsentation vor fünf Managern des Unternehmens. Nach jedem dieser Schritte war er begeisterter, aber schließlich erhielt ein anderer Bewerber den Vorzug, und Chesky war sehr niedergeschlagen.

Aber für diese Bewerbung war er mehrfach nach San Francisco gekommen und hatte sich sofort für die Stadt begeistert. Die Energie und die kreativen Unternehmer, die er durch Gebbia kennenlernte, erinnerten ihn an den unkonventionellen Geist an der RISD. (Gebbia war inzwischen zum Hauptmieter der Wohngemeinschaft in der Rausch Street avanciert und hatte durch sorgfältige Auswahl neuer Mitbewohner eine Art Designer-Kollektiv daraus gemacht.) Gemeinsam überlegten die beiden jetzt bereits ernsthaft, was für ein Unternehmen sie gründen wollten, und Chesky hatte – sehr zur Besorgnis seiner Eltern – seinen unbefriedigenden Job aufgegeben und verfolgte andere Pläne. Er hatte ein Angebot als Lehrbeauftragter für Industriedesign an der California State University in Long Beach und spielte eine Rolle in der Designerszene von Los Angeles. Vielleicht konnte er dort wohnen bleiben und einige Tage pro Woche nach San Francisco pendeln, um mit Gebbia zusammenzuarbeiten.

Dann zogen im September Gebbias Mitbewohner nach einer Mieterhöhung alle beide auf einmal aus, und Gebbia versuchte Chesky jetzt mit allen Mitteln zu überzeugen, die Gelegenheit zu nutzen, mit ihm zusammenzuziehen. Gebbia selbst hatte einen der Räume inne, und einen der beiden freien könne Chesky haben. Der aber zögerte, er konnte sich das Zimmer nicht leisten, und zu zweit würden sie die hohe Gesamtmiete für die Wohnung ohnehin nie aufbringen können; ein dritter Mitbewohner konnte erst im November einziehen. Chesky wollte Gebbia überreden, ihm – ausgerechnet – für drei Nächte pro Woche sein Sofa zu vermieten; er würde dann hin und her pendeln und weiter auch in Los Angeles wohnen. Gebbia fand das lächerlich. Die Frist lief ab, neue Mitbewohner waren keine in Sicht und er musste wohl oder übel ausziehen. Am Morgen, als ihm der Anruf beim Vermieter bevorstand, meldete sich Chesky dann doch noch und sagte zu, er wollte eines der drei Zimmer mieten.

Dazu verabschiedete er sich ziemlich brüsk von Los Angeles – er machte mit seiner Freundin Schluss, gab seinen beiden Mitbewohnern Bescheid, ließ seine Wohnung und die meisten seiner Sachen darin zurück und machte sich an einem Dienstagabend in seinem Honda auf die lange Fahrt nach San Francisco. Als er so mitten in der Nacht Richtung Norden die Küste entlangfuhr, konnte er kaum die Fahrbahn erkennen, aber sie kam ihm trotzdem ganz anders als die leere Straße vor, die er die ganze Zeit innerlich vor sich gesehen hatte, als er in seinem geistlosen Job gefangen war.4 Diese Straße hier, die nach San Francsisco, war etwas ganz anderes. Sie sah nach endlosen Möglichkeiten aus.

»Wie Craigslist undCouchsurfing.com, aber stilvoller«

Die mythologische Version der Geschichte geht so weiter, dass Chesky, als er dann in der Rausch Street vor der Tür stand, von Gebbia zu hören bekam, dass er kurz vor dem Hinauswurf stehe, die Miete auf 1150 Dollar gestiegen und noch in der laufenden Woche fällig sei. Chesky hatte noch etwa 1000 Dollar auf seinem Konto. In Wirklichkeit wussten sie schon seit Wochen von der Mieterhöhung und dass sie natürlich für den unvermieteten dritten Raum würden mitbezahlen müssen, und hatten bereits überlegt, wie sie das Geld auftreiben könnten, als Chesky noch in Los Angeles wohnte. Eine der Möglichkeiten, die sich anboten, war der bevorstehende zweijährliche Weltkongress des International Council of Societies of Industrial Design/Industrial Designers Society of America (ICSID/IDSA) in der Stadt, das wichtigste Treffen der Designerszene, das für Ende Oktober angesetzt war. Mehrere Tausend Designer würden nach San Francisco reisen, und die beiden wussten, dass Hotelbetten knapp und teuer werden würden.

Die Idee bestand darin, den freien Platz in der Wohnung dazu zu nutzen, ein Bed-and-Breakfast-Übernachtungsheim für die Konferenzteilnehmer zu improvisieren. Auf der RISD hatten sie ja schließlich gelernt, dass man mit Kreativität jedes Problem lösen könne, und Gebbia hatte zufällig drei Luftmatratzen von einem Campingausflug im Schrank. Die Wohnung hatte außer den drei eigentlichen Schlafräumen noch ein Wohnzimmer und die Küche, also viel Platz für ein paar Übernachtungsgäste. Denen konnten sie eine preiswerte Unterkunft bieten, sogar mit Frühstück – und sie kannten die Designblogs, die alle Konferenzteilnehmer lasen, sodass sie wussten, wo sie inserieren mussten.

Sie arbeiteten die Idee wochenlang weiter aus, und je mehr sie darüber sprachen, desto klarer wurde ihnen, dass sie verrückt genug war, um zu funktionieren. Der Zahlungstermin für die Miete rückte gnadenlos näher, zu verlieren hatten sie nichts, und so fingen sie an, Wireframes – skelettartige Vorfassungen – und Mock-ups – durchgestaltete Entwürfe – für eine Website zu erstellen, auf der sie ihr Konzept anbieten konnten. Als Chesky eingezogen war, heuerten sie noch einen freiberuflichen Programmierer an, der auf der Grundlage dieser Entwürfe eine einfache Website gestaltete und ins Netz stellte. Das Ganze hieß AirBed & Breakfast. Der minimalistische Internetauftritt erklärte, worum es ging (»Zwei Designer gestalten für die diesjährige IDSA-Tagung eine ganz neue Art, sich auszutauschen«) und wie es funktionierte. Dann kam das konkrete Unterkunftsangebot, drei Luftmatratzen für 80 Dollar pro Nacht und Stück (Extras, laut Auflistung: Dachterrasse, »Design-Bibliothek«, »Motivationsposter« und 3-D-Typografie). »Wie Craigslist und Couchsurfing.com, aber stilvoller«, lautete eine »Bewertung« auf der Seite.

Daraufhin wandten sie sich mit E-Mails an Designblogs und die Veranstalter der Konferenz und baten sie um ein bisschen Werbung für die Website. Die Tagungsorganisatoren hielten das für eine originelle bis verrückte Idee und freuten sich, und die Designblogger waren sowieso auf der Seite ihrer beiden Kollegen. Chesky und Gebbia rechneten sich aus, dass sie mit ein bisschen Glück ein paar Hippies mit Rucksäcken anlocken und genug einnehmen würden, um die Miete aufzubringen. Schon nach wenigen Tagen waren alle drei Schlafplätze vergeben, und zwar an Kat, eine Designerin aus Boston in ihren Dreißigern, an Michael, einen fünffachen Vater über 40 aus Utah, und an einen Inder aus Bombay namens Amol Surve, der gerade den Masterstudiengang Industriedesign an der Arizona State University abgeschlossen hatte.

Die Gäste waren mitnichten Hippies, sondern Designprofis mit knappem Budget, die genau das suchten, was Chesky und Gebbia anboten. Natürlich mussten sie sich überwinden, sich auf so etwas Ungewöhnliches einzulassen. Surve, der als Erster bei ihnen buchte, hielt die Idee für seltsam, wollte aber, wie er erzählt, »unbedingt bei dieser Tagung dabei sein«, und als er zufällig auf die Website von AirBed & Breakfast stieß, erkannte er, dass er hier auf Gleichgesinnte zählen konnte. »Man sah sofort, dass hier Designer etwas für Designer designt hatten.« Zuerst musste er allerdings noch im Internet nachschlagen, was ein »airbed« ist – er lebte noch nicht lange in den USA und aus Indien kannte er Luftmatratzen nicht. Dann füllte er das Buchungsformular auf der Website für einen Schlafplatz im »einzig echten« AirBed & Breakfast aus. Antwort kam zunächst keine, und als es Surve gelang, die Nummer von Gebbias Mobiltelefon aufzutreiben, um nachzufragen, war der ganz überrascht. (»Er fiel aus allen Wolken«, so Surve. »Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, dass es klappen würde.«) Surve buchte fünf Nächte für je 80 Dollar. »Es war für uns beide eine Art ›Hack‹«, meint er. »Ich wollte unbedingt zu dieser Tagung, und sie brauchten unbedingt Geld für die Miete. Wir passten perfekt zusammen.«

»Auf einmal war ich gleichzeitig im Wohnzimmer und in der Präsentation«

Surve flog also in San Francisco ein, fuhr mit öffentlichen Verkehrsmitteln – die Gastgeber hatten ihm geschrieben, wie er mit dem BART-System der Bay Area zu ihnen kommen konnte – in die Rausch Street und wurde von Gebbia begrüßt. »Dieser Typ macht also die Tür auf«, erzählt Surve, »und er hat eine Pilotenmütze auf und eine große trendige Sonnenbrille, und ich dachte sofort: ›Na, wenn das kein Designer ist‹.« Gebbia bat ihn, die Schuhe auszuziehen, führte ihn in der Wohnung herum und zeigte ihm sein Zimmer, in dem eine Luftmatratze mit Kissen und ein Willkommenspäckchen auf ihn warteten. Das Päckchen enthielt eine BART-Mehrfachfahrkarte, Stadtpläne und etwas Kleingeld für die Obdachlosen. (»Sie waren absolut detailversessen«, erzählt Surve. »Sie fragten: ›Fehlt dir bei diesem Päckchen etwas?‹ Und ich sagte: ›Nein, das ist doch schon viel zu viel.‹«)

Surve stellte sein Gepäck ab und richtete sich dann auf dem Sofa im Wohnzimmer mit seinem Laptop ein, um das Tagungsprogramm durchzugehen. Gebbia und Chesky waren am Tisch in die Arbeit vertieft; sie stellten eine PowerPoint-Präsentation ihres neuen Konzepts zusammen. Surve warf neugierig einen Blick auf die Entwürfe und sah sich selbst auf einer der Slides – der erste Gast. »Es war schon seltsam«, sagt er. »Auf einmal war ich gleichzeitig im Wohnzimmer und in der Präsentation.« Die beiden begannen ihn mit Fragen zu löchern, um Rückmeldungen für ihre Idee zu bekommen, und luden ihn auch gleich zu einer Präsentation ein, die sie am Abend halten würden – zur PechaKucha, einer Art Kombination aus Poetry Slam und PowerPoint, bei der Designer einander neue Ideen vorstellen. Die Präsentation hatten Gebbia und Chesky fertig; jetzt hatten sie auch noch den Kunden gleich dabei.

Bald trafen die beiden anderen Gäste ein; Kat teilte sich das leere Zimmer mit Amol, während Michael seine Luftmatratze in die Küche legte. Bis es am nächsten Tag so weit war, dass sie gemeinsam zur Tagung aufbrachen, hatten sich Chesky und Gebbia in begeisterte Verkäuferstimmung für ihre Idee gesteigert. Die Teilnahmegebühr umgingen sie elegant, indem sie sich als Blogger ausgaben. Zu zweit streiften sie durch die Tagungsräume. Chesky hatte sich eine Kamera umgehängt, um möglichst wie ein Blogger auszusehen, und machte unaufhörlich Reklame für ihr Konzept. Surve, der ihnen als lebendes Requisit folgte, schildert, wie er alle und jeden ansprach. »Fragt ihn, wie toll es ist!«, rief Chesky immer wieder und schob Surve in Richtung des Gesprächspartners. Surve bestätigte brav, dass es Spaß mache, so zu übernachten, und viel mehr als bloß eine Unterkunft sei. (»Mein Produkt hat zu uns gehalten!«, erinnerte sich Chesky kürzlich im Gespräch. »Er war wirklich unglaublich hilfreich.«) Die Tagungsteilnehmer waren allerdings eher amüsiert; niemand nahm die drei ernst. Während einer Happy Hour im Fairmont Hotel gelang es Chesky, sich in die Menge um einen berühmten Designer zu drängen, den er schon seit Jahren bewunderte. Er stellte sich vor und erzählte von Gebbias und seinem neuen Konzept. Der berühmte Designer war nicht gerade begeistert. »Brian«, mahnte er, »ich hoffe, das ist nicht das Einzige, woran Sie gerade arbeiten.« Chesky fühlte sich unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt (»Ich erinnere mich total deutlich – es ist regelrecht in mein Gehirn eingebrannt«, schildert Chesky den Vorfall), wie es sich in der Folge noch oft wiederholen sollte.